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umlaut 11 (auszug)

Date post: 26-Mar-2016
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umlaut magazine, published 03 may 2012
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AUSGABE 11 HEFT EINS 2012 JAHRGANG 05 ISSN 1866-9816 ISBN 978-3-941570-02-3 DOPLPACK VERLAG 6,90 EUR FOTOGRAFIE LITERATUR STREETART MALEREI COMICS ZEITGENÖSSISCHE KUNST IVO MAYR, KÖLN PAUL ALTMANN, LEIPZIG ANTONY CROSSFIELD, LONDON JANA STRIEWE, HANNOVER DEIKE LAUTENSCHLäGER, TAIPEH leck mich
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Page 1: umlaut 11 (auszug)

AUSGABE 11 HEFT EINS 2012 JAHRGANG 05 ISSN 1866-9816 ISBN 978-3-941570-02-3 DOPLPACK VERLAG 6,90 EUR

FOTOGRAFIE LITERATUR STREETART MALEREI COMICS ZEITGENÖSSISCHE KUNST

IVO MAYR, KÖLN

PAUL ALTMANN, LEIPZIG

ANTONY CROSSFIELD, LONDON

JANA STRIEWE, HANNOVER

DEIKE LAUTENSCHLäGER, TAIPEH

leck mich

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stadt, land, fluchtFOTOKUNST VON IVO MAYR

keine einzeltitel

AUSGABE 11 HEFT EINS 2012 JAHRGANG 05 UM[LAUT] JUNGE KUNST. POLITISCHE KUNST. MINDESTENS. 05

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Zwei Uhr nachmittags. Sirenenklänge wehen durch die Stadt. Der Wind reißt sie mal ab, mal trägt er sie lauter herüber, schiebt sie an den Hochhäusern vorbei, presst sie in die Läden und die Cafés hinein, drückt sie zum brodelnden Verkehr auf die Straße herunter, zwischen den Bäumen im Park hindurch, hängt sie über das Sum-men der Lüftungsabzüge an den Häusern und breitet sie auf den Gehwegen aus zu Füßen der Passanten in die Frühlingssonne. In Wellen legt das Heulen die Stadt lahm. Ich stehe nur da und staune. Taipeh, zwei Uhr, Mittwochnachmittag. Nichts ist passiert. Die kalte Luft des Supermarktes bläst mir in den Rücken. Alles um mich bewegt sich langsamer, friert ein, dünnt sich aus, zieht sich zurück, hinterlässt ein Watt aus geparkten Autos, abgestellten Mopeds, liegengelassenen Fahrrädern. Darüber flackern unbeirrt die Neonleuchten aus chinesischen Zeichen. Ich bewege mich nicht, dann schließlich doch, gehe drei Meter auf die Kreuzung zu, die zwi-schen mir und meiner Wohnung liegt. Vor mir rennen zwei Mädchen in Schuluniform kichernd über die Straße, meine Schritte werden schneller, ich hüpfe über die Busspur wie über einen Fluss, springe von Zebrastreifen zu Zebrastreifen, zwei Minuten nach zwei und noch etwa zwanzig Meter. Der schrille Klang einer Trillerpfeife trifft mich bis ins Mark. Da ist niemand mehr, der vor mir läuft, die Schulmädchen sind schon längst weg. Mein erster Reflex ist Losrennen. Als ich zucke, pfeift es noch einmal, diesmal länger und energischer. Taipeh ist plötzlich so ungewohnt leer, dass ich mir einbilde, ein Echo zu hören und ich bekomme Panik. »Verzeihung, wàn-ān-yǎn-xí!« Ein dicker Junge in Polizistenuniform steht neben mir, einen halben Kopf kleiner als ich. Im ersten Moment verstehe ich nicht. Mein Chinesischwortschatz ist auf ein Friedensvokabular beschränkt. Er zeigt auf einen Zettel: »萬安演習« und liest übertrieben langsam und laut vor: »wàn-ān-yǎn-

xí«. Ich kenne alle Wörter: wàn-ān heißt völlig sicher und yǎn-xí bedeutet Übung — doch Sinn macht es nicht. Ich sehe ihn fragend

an: »Ich bin doch völlig sicher, oder?« »Jaja, sicher sicher, ... aber wir üben jetzt nicht sicher sein. Es ist zwei Uhr und wir üben jetzt ...hm... Krieg.« Ich schweige und versuche zu verstehen. »Verzeihung« fügt er nochmals hinzu.Zwei Uhr also und schon drei Minuten geübter Krieg. Die Luft über dem Teer flimmert, die Ampel zählt die Sekunden zur nächsten Rotphase herun-ter. Wie entscheidet man, wann der Krieg beginnt? Zur vollen Stunde? Oder wählt man eine symboli-sche Zeit? Fünf vor zwölf? Oder 4.45 Uhr morgens? Nach dem Essen oder besser währenddessen, in einem Land, wo »Hast du schon gegessen?« eine Begrüßungformel ist? Wenn die Sonne am höchs-ten steht? Vielleicht in der schläfrigen Mittagspau-se? Fünf Minuten nach fiktivem Kriegsbeginn. Auf der Straßenseite gegenüber klingeln Handys. Eine Frau schminkt sich im Seitenspiegel eines Autos, andere schlafen auf den Sitzen ihrer Mopeds. Krieg gegen wen eigentlich? Als ich fragen möch-te, bemerke ich, dass der Polizist schon nicht mehr neben mir steht. Er flitzt hinter dem Nächsten her, der sich auf der Kreuzung unwissend in Unsicher-heit begibt. »Wer greift denn an?« frage ich den schwitzenden Mann neben mir, und es klingt so, als würde ich mich nach dem Fußballergebnis vom letzten Abend erkundigen. »Na niemand. Das ist nur eine Luftschutzübung. Niemand greift an. Aber es könnten die Chinesen angreifen, also die vom Festland. Aber das ist Politik und über Politik rede ich nicht«, und damit schweigt er. Ein weißes Blatt Papier weht über den Asphalt, wo vor kurzem noch

verzeihung,

VON DEIKE LAUTENSCHLäGER

jetzt ist mal kurz krieg!

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Busse, Autos und Mopeds dahinpreschten. So platt wie ein schlech-ter Western. Als es zehn Minuten nach zwei ist, bewegt sich nichts mehr. Alle sind am äußersten Punkt angekommen — so weit wie es geht, soweit sie dürfen, bis an die nächste Straße, die sie auf ihrem Weg überqueren müssten. Nur noch die Sonne ist draußen. Rund um die Kreuzung warten Menschen unter den Vorbauten der Häuser im Schatten wie am Rande eines Spielfeldes, an jeder Ecke ein Polizist mit Walkie-Talkie als Schiedsrichter. Wir harren der Dinge, die da kommen werden oder auch nicht, starren auf das Warnblicken der Busse und auf die anderen neben uns. Viertel nach zwei. Eine Viertelstunde gespielter Krieg. Wir sind abgeschottet und ausgeschlossen. Die Cafés und Geschäfte haben ihre Eisenjalousien an den Türen heruntergelassen und das Licht ausgeschaltet. Wer konnte, der hat sich noch zuvor hinein gerettet. Wieder versucht ein Geschäftsmann, schnell zum Bürohaus auf die andere Seite zu rennen — ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel oder Katz-und-Maus mit den Polizisten wie aus einem Charlie Chaplin Film. Wer raus ist, bezahlt nicht mit dem Leben, sondern umgerech-net 200 Euro Strafe. Fliegen laufen an meinen Beinen hoch und machen mich zappelig. »Ist ja nur einmal im Jahr«, murmelt die alte kleine Frau beruhigend mit dem Körbchen voller duftender Magnolienblüten zum Verkauf. Sie sitzt auf ihrem Klapphocker wie jeden Tag neben dem Eingang der Bank. Schulmädchen fotografieren sich gegenseitig. Die Bank-angestellten, gerade vom Mittagessen zurück, stehen in Grüppchen und ziehen an ihren klebenden Schweiß nassen Kostümen. Jeder führt seinen eigenen kleinen Kampf — gegen die Fliegen, die Hitze, die Langeweile, die Augen der Polizisten, gegen das Vergessen, dass Taiwan sich 1949 im Bürgerkrieg von China gelöst hat und jederzeit mit Gewalt zurückgeholt werden kann.

Fünf vor halb zwei. Polizeiautos fahren Patrouille. Das Walkie-Talkie des Polizisten rauscht. Wir warten. Und wie lange geht eigentlich ein Krieg? Monate, Jahre? Experten rechnen zwischen zehn Minuten und drei Tagen bis hin zu zwei Wochen, sollte China wirklich Taiwan angreifen. Vor dem Vorbau in der Sonne kreisen ein paar weiße Schmetterlinge auf und ab, keine Wolke am Himmel. Die Natur holt sich ihr Gebiet zurück. Die Frau hinter mir faltet ihre Zeitung zusammen, Schuhe scharren auf dem Gehweg. Langsam kommt Taipeh wieder zu sich, der Alltag flutet zurück. »Verzeihung!« Zum letzten Mal entschuldigt sich der Polizist bei den zögernden herumstehenden Passanten, dann läuft er auf die Kreuzung, um den anrollenden Verkehr zu regeln. Die Fußgängeram-pel wird grün und der Krieg auf Probe ist vorbei. Wo ich 30 Minuten gestanden habe, würde ich gern eine Gedenktafel anbringen: An dieser Stelle ist am 18. Mai 2011 nichts passiert.

AUSGABE 11 HEFT EINS 2012 JAHRGANG 05 UM[LAUT] JUNGE KUNST. POLITISCHE KUNST. MINDESTENS. 11

dEIKE LAUTENSCHLäGER, *1977 IN GRIMMA (SACHSEN),

LEBT ALS FREIE AUTORIN, DAF-LEHRERIN UND DOKTORAN-

DIN IN TAIPEH, TAIWAN. STUDIUM AN DER bauHaus-uni-

versität WEIMAR UND DEM art institute oF pittsburgH.

VERÖFFENTLICHUNGEN MIT KURZGESCHICHTEN UND RE-

PORTAGEN U.A. IN DER SCHWEIZER LITERATURZEITSCHRIFT

entwürFe, IN parapluie UND IN DER ANTHOLOGIE über

grenzen DES meike-scHneiDer-literaturpreis 2011.

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foreign bodiesFOTOMALEREI VON ANTONY CROSSFIELD

»die begrenzungen des körpers

werden hinterfragt und die ge-

schlossenheit und integrität des

selbst bezweifelt, ebenso wie die

stabilität der fotografie als digita-

les medium. der körper ist nicht

länger der raum, der die idee des

selbst absichert, er ist die do-

mäne, in der das selbst in frage

gestellt wird und sich beweisen

muss.« antony crossfield

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keine einzeltitel

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AUSGABE 11 HEFT EINS 2012 JAHRGANG 05 UM[LAUT] JUNGE KUNST. POLITISCHE KUNST. MINDESTENS. 23

»mich faszinieren zeitungs-

bilder von menschen- und

naturkatastrophen, weil sie so

viel leid und ohnmacht zeigen,

aber dennoch, nicht selten, so

wenig in uns auslösen. durch

zeichnerische neuinszenierung

versuche ich, solchen bildern

und dem, was sie aussagen,

näher zu kommen.« simon prades

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vALERIj PAbST, *1981 AN DER GRENZE ZWISCHEN RUSSLAND UND DER MONGOLEI,

LEBT SEIT 10 JAHREN IN KÖLN, WO ER KUNSTPäDAGOGIK STUDIERTE. ZAHLREICHE

EINZEL- UND GEMEINSCHAFTSAUSSTELLUNGEN IN KÖLN, BONN, BERLIN, MüNCHEN

UND BARNAUL (RUSSLAND), U.A. EINZELAUSSTELLUNG IM RAHMEN DER 4. bonner

aiDs- gala, 2009, brückenForum, BONN, UND TEILNAHME AN DER GEMEINSCHAFTS-

AUSSTELLUNG artsprung, 2008, colourblinD-gallery U.A., KÖLN.

→ VALERIJ-PABST.DE

super size me, 2009

90 x 90 cm

öl und tusche auf leinwand

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jANA STRIEWE, *1980 IN HANNOVER,

WO SIE LEBT UND ALS FREIE FOTO-

GRAFIN ARBEITET. SIE STUDIERTE FO-

TOGRAFIE AN DER FACHHOCHSCHU-

LE HANNOVER. ZU IHREM PORTFOLIO

ZäHLEN U.A. REPORTAGEN AUS DEM

lee county jail, USA, UND DIE REIHE

menscHen.

→ JANASTRIEWE.DE

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AUSGABE 11 HEFT EINS 2012 JAHRGANG 05 UM[LAUT] JUNGE KUNST. POLITISCHE KUNST. MINDESTENS. 47

kanonischesVON TOBIAS PAGEL

ziehende landschaften/ mir wühlenim flatternden haare/ hallt eswie geschrei/ über allen gipfeln/fliegt in herbstesnacht vorbei/ das schöne und berückende/ ein tanz von kraft um eine mitte/ schlug mein herz/ mein löwe/ wirdmein flügel/ als ein wehendieses schattens/ scheuchtenseine tritte/ meine seele/um den uralten turm

TObIAS PAGEL, *1981 IN SIGMARINGEN, LEBT UND ARBEITET IN WINTERLINGEN

(BADEN-WüRTTEMBERG). STUDIUM AN DER eberHarD-karls-universität Tü-

BINGEN. ER SCHREIBT VOR ALLEM LIEDER UND GEDICHTE UND IST AM tübinger

stuDio Für literatur unD tHeater aktiv. 2009 GEWANN ER DEN 1. PREIS BEIM

LYRIKWETTBEWERB Dem scHönen zuliebe DES SCHWEIZER govinDa-verlages.

zur sache

aus liebe zum spiel/ sitzen wirin der ersten reihe/ lebenautos/ gehören zur familie/ lieben technik& hassenteuer/ sind die guten/geben unserer zukunftein zuhause/ machenunser ding/ heutesind wir könig&deutschland/ entdeckendie möglichkeiten/ nehmen unsdie freiheit/ aktivierenabwehrkräfte/ machen es fertigbevor es uns fertig macht

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GALERIE STEPHAN STUMPFGALERIE FÜR GEGENWARTSKUNST – CONTEMPORARY ART

www.galerie-stephanstumpf.comSchweigerstrasse 8 · 81541 München · fon +49 (0) 89 21 96 90 88 · mobil +49 (0) 171 420 75 39

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