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Ulrich, B. (2011). Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und Muss. Eine Streitschrift. Hamburg:...

Date post: 23-Dec-2016
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REZENSION Schwegmann, C. (Hrsg.). (2011). Bewährungsprobe einer Nation. Die Entsendung der Bundeswehr ins Ausland. Berlin: Duncker & Humblot, 243 S., ISBN: 978-3428135707, € 18,00 Robert Schütte Mit Bewährungsprobe einer Nation und Wofür Deutschland Krieg führen darf liegen zwei Werke vor, die sich aus unterschiedlichem Blickwinkel mit einer der heikelsten Fragen des deutschen außenpolitischen Establishments beschäftigen: Wann und warum soll die Bundeswehr an militärischen Auslandseinsätzen teilnehmen? Um eines vorweg zu nehmen: Beide Bücher sind wunderbar gelungen und eine Bereicherung für den allzu oft anämischen Diskurs über die militärische Rolle und Verantwortung Deutschlands in der Welt. Denn welcher Bundeswehreinsatz lässt sich von der Bundesregierung nicht mit den rhetorischen Allzweckwaffen der „Bündnissolidarität“ oder der „traditionellen deut- schen militärischen Zurückhaltung“ begründen oder ablehnen? Ein halbwegs nuancierter Umgang mit bundesrepublikanischen Werten und Interessen hat jedenfalls Seltenheits- wert, was durch die diffusen Diskussionen um die Zukunft des deutschen Afghanistan- Engagements oder die Intervention in Mali illustriert wird. Der essayistisch gehaltene Beitrag von Bernd Ulrich kommt in dieser Situation ebenso gelegen wie der thematisch breit aufgestellte Sammelband des Herausgebers Christoph Schwegmann. Bernd Ulrich hat sich dazu entschlossen, die mentalitätsgeschichtliche Entwicklung der deutschen Außenpolitik nachzuzeichnen, die von der Zeit des Kalten Kriegs bis zur Enthaltung der Bundesregierung im Libyen-Krieg reicht. Es geht ihm also nicht in erster Linie darum, was deutsche Außenpolitik im konkreten Fall war, sondern wie gesellschaftliche Diskurse zum Umgang mit der deutschen Rolle und Verantwortung in den internationalen Beziehungen aussahen. Als stellvertretender Chefredakteur und Z Außen Sicherheitspolit (2013) 6:287–289 DOI 10.1007/s12399-013-0316-5 Ulrich, B. (2011). Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und Muss. Eine Streitschrift. Hamburg: Rohwolt, 192 S., ISBN: 978-3498068905, € 14,95 Online publiziert: 20.03.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 R. Schütte () Vorsitzender Genocide Alert e. V., Chodowieckistraße 26, 10405 Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]
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Rezension

Schwegmann, C. (Hrsg.). (2011). Bewährungsprobe einer Nation. Die Entsendung der Bundeswehr ins Ausland. Berlin: Duncker & Humblot, 243 S., ISBN: 978-3428135707, € 18,00

Robert Schütte

Mit Bewährungsprobe einer Nation und Wofür Deutschland Krieg führen darf liegen zwei Werke vor, die sich aus unterschiedlichem Blickwinkel mit einer der heikelsten Fragen des deutschen außenpolitischen establishments beschäftigen: Wann und warum soll die Bundeswehr an militärischen Auslandseinsätzen teilnehmen? Um eines vorweg zu nehmen: Beide Bücher sind wunderbar gelungen und eine Bereicherung für den allzu oft anämischen Diskurs über die militärische Rolle und Verantwortung Deutschlands in der Welt. Denn welcher Bundeswehreinsatz lässt sich von der Bundesregierung nicht mit den rhetorischen Allzweckwaffen der „Bündnissolidarität“ oder der „traditionellen deut-schen militärischen zurückhaltung“ begründen oder ablehnen? ein halbwegs nuancierter Umgang mit bundesrepublikanischen Werten und interessen hat jedenfalls seltenheits-wert, was durch die diffusen Diskussionen um die zukunft des deutschen Afghanistan-engagements oder die intervention in Mali illustriert wird.

Der essayistisch gehaltene Beitrag von Bernd Ulrich kommt in dieser situation ebenso gelegen wie der thematisch breit aufgestellte sammelband des Herausgebers Christoph schwegmann. Bernd Ulrich hat sich dazu entschlossen, die mentalitätsgeschichtliche entwicklung der deutschen Außenpolitik nachzuzeichnen, die von der zeit des Kalten Kriegs bis zur enthaltung der Bundesregierung im Libyen-Krieg reicht. es geht ihm also nicht in erster Linie darum, was deutsche Außenpolitik im konkreten Fall war, sondern wie gesellschaftliche Diskurse zum Umgang mit der deutschen Rolle und Verantwortung in den internationalen Beziehungen aussahen. Als stellvertretender Chefredakteur und

z Außen sicherheitspolit (2013) 6:287–289Doi 10.1007/s12399-013-0316-5

Ulrich, B. (2011). Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und Muss. Eine Streitschrift. Hamburg: Rohwolt, 192 S., ISBN: 978-3498068905, € 14,95

Online publiziert: 20.03.2013 © springer Fachmedien Wiesbaden 2013

R. schütte ()Vorsitzender Genocide Alert e. V., Chodowieckistraße 26, 10405 Berlin, Deutschlande-Mail: [email protected]

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Leiter des Politik-Ressorts der Zeit greift er hierbei auf seine persönlichen Beobachtun-gen und erfahrungen mit dem Thema zurück und schreibt, wie man es von einem Autor dieses professionellen Hintergrunds erwarten darf: meinungsstark, analytisch stark, selbstkritisch, vor allem aber unterhaltsam. in seinen ersten Kapiteln beschreibt Ulrich den Übergang der stets auf Bündnistreue und absolute militärische zurückhaltung geeich-ten Bonner Republik hin zu einer sich emanzipierenden Berliner Republik, die noch immer mit ihrer stellung und Verantwortung in der Welt ringt. Deutsche Kriegseinsätze in Kosovo und Afghanistan waren hierbei ebenso transformativ wie das rot-grüne (irak) und schwarz-gelbe (Libyen) Ausscheren von Amerikas seite. Besonderen Platz räumt er zwei Aspekten ein: Der Libyen-entscheidung der Regierung Merkel sowie den Argu-mentationsmustern einer oft „proto-pazifistischen“ deutschen Gesellschaft. Bernd Ulrich seziert die oft unehrliche, parochiale und scheinheilige interventionskritik meisterlich, indem er die sachlogischen und moralischen Dilemmata einer pazifistischen Außenpolitik aufdeckt. spätestens jetzt wird klar, dass der sich selbst politisch links einstufende Autor die unzweideutige Position vertritt, dass Deutschland vor einer Beteiligung an „richtigen“ Kriegen nicht zurückschrecken sollte. Was nun genau „richtige“ und „falsche“ Kriege sind, fasst er selbst folgendermaßen zusammen:

Regime Change nur dann, wenn es in dem betreffenden Land eine opposition und eine Rebellion gibt, die man unterstützen kann; militärische interventionen nur dann, wenn ein Massaker droht oder wenn die niederschlagung einer opposi-tionsbewegung dadurch abgewendet werden kann. […] [M]ilitärische Aktionen im unmittelbaren westlichen sicherheitsinteresse dürfen keine Dynamik zum Regime-wechsel und zur Übernahme der Gesamtverantwortung für ein Land entwickeln […]. Die zustimmung des Un-sicherheitsrats sowie regionaler zusammenschlüsse ist auf jeden Fall erstrebenswert, aber nicht ausschlaggebend. (s. 138)

Bernd Ulrichs Regeln sind eine pragmatische synthese von wertbasierter sicherheits-politik und den einsatzerfahrungen seit ende der 1990er Jahre, die jedoch keine end-gültige Checkliste zur entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr liefern kann. Dass der Autor vor dem schlachten heiliger Kühe nicht zurückgeschreckt ist – sei es indem er sich gegen eine weitverbreitete idealisierung des Völkerrechts stellt, sei es indem er entgegen des Mainstreams auch einer militärisch aktiveren Rolle Deutschlands das Wort spricht – macht sein Buch zu einem mutigen, originären und meinungsstarken Debattenbeitrag.

Christoph schwegmanns sammelband Bewährungsprobe einer Nation beschreibt ent-stehung und Beschluss von Auslandseinsätzen sowie die hierbei zum Tragen kommenden normativen und interessengeleiteten Rahmenbedingungen. Das Buch gliedert sich in die drei oberkapitel „Warum Auslandseinsätze?“, „Der Weg in den einsatz“ und „Der ein-satz“ und bietet ein interessantes line-up von Autoren aus Politikwissenschaft, Völker-recht, Militär, Medien und aktiver Politik. so etwas kann, abhängig von den jeweiligen Autoren, Vor- und nachteile haben. im vorliegenden Fall ist das Vorhaben aber gelungen, weil sich Bewährungsprobe einer Nation auf 20 anerkannte Autoritäten in ihrem Feld stützt, wenngleich es schade ist, dass mit elke Hoff (MdB) nur eine einzige Frau darunter ist. Mehr weibliche Autoren hätten dem inhaltlichen spektrum des Bandes – nicht wegen

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der Political Correctness, sondern gerade weil die Außen- und sicherheitspolitik eine maskuline Domäne ist – vielleicht einen innovativeren Anstrich geben können.

Die grundsätzliche Frage nach notwendigkeit und sinn sowie Werten und interes-sen militärischer Auslandseinsätze werden im ersten Teil des Buchs treffend bearbeitet, wobei die Leserinnen keine Furcht vor einer wie auch immer gearteten Militär-Apologie haben müssen. stattdessen zeichnen die Autoren ein Bild der Berliner Republik, die sich ihrer gestiegenen Verantwortung in einer veränderten Welt bewusst werden muss und in der ein einsatz von Militär sinnvoll und sachdienlich sein kann. Der zweite Teil beschäf-tigt sich mit Vorbereitung und Umgang von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Beson-ders gefällt, dass hier auch Platz für die von der Politikwissenschaft oft stiefmütterlich behandelte Disziplin des Konfliktvölkerrechts gefunden und von Claus Kreß prägnant dargestellt wird. Das zweite Kapitel lässt ebenfalls erfahrene Bundestagsabgeordnete aller fünf im Parlament vertretenen Parteien zu Wort kommen, deren Ausführungen zwar interessant sind, die jedoch keinen wirklichen neuigkeitswert haben und straffer hätten gehandhabt werden können. Das dritte Kapitel gibt einen einblick in die Umsetzung von Auslandseinsätzen und profitiert spürbar davon, dass hier Praktiker mit Einsatzerfahrung und eigener ortskenntnis ihren input geben konnten. Die Beiträge illustrieren zudem, dass die operativen Rahmenbedingungen und Herausforderungen von Militäreinsätzen größere wissenschaftliche Aufmerksamkeit verdienen, als dies in der zumeist journalis-tisch geprägten Literatur der Fall ist. es ist deswegen zu begrüßen, dass Bewährungs-probe einer Nation diesem Themenbereich ein eigenes, wenn auch eher kurzes Kapitel eingeräumt hat. Dank des umfassenden und teils innovativen Themenspektrums kann resümierend festgehalten werden, dass Christoph schwegmanns sammelband dem selbstgesetzten Anspruch vollauf gerecht wird, zu erklären, warum und wie deutsche sol-daten im 21. Jahrhundert in Auslandseinsätze geschickt werden, und dass sich dies unter dem strich nicht als eine negative entwicklung herausgestellt hat.


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