Post on 23-Nov-2021
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Neue Arzneistoffe des Jahres 2017
Sven Siebenand,
Eschborn
Jahresbilanz
Im Jahr 2017 kamen bisher insgesamt
35 neue Arzneistoffe auf den Markt:
• 11 Sprunginnovationen
• 16 Schrittinnovationen
• 8 Analogpräparate
Analogpräparate
• Avibactam (Zavicefta®)
• Ixekizumab (Taltz®)
• Lonoctocog alfa (Afstyla®)
• Nabilon (Canemes®)
• Nonacog beta pegol (Refixia®)
• Reslizumab (Cinqaero®)
• Ribociclib (Kisqali®)
• Sarilumab (Kevzara®)
Schrittinnovationen
• Alectinib (Alecensa®)
• Atezolizumab (Tecentriq®)
• Brodalumab (Kyntheum®)
• Etelcalcetid (Parsabiv®)
• Follitropin delta (Rekovelle®)
• Glecaprevir (Maviret®)
• Guselkumab (Tremfya®)
• Ixazomib (Ninlaro®)
• Landiolol (Rapibloc®)
• Niraparib (Zejula®)
• Parathyroidhormon (Natpar®)
• Pibrentasvir (Maviret®)
• Rolapitant (Varuby®)
• Telotristatethyl (Xermelo®)
• Tivozanib (Fotivda®)
• Voxilaprevir (Vosevi®)
Sprunginnovationen
• Avelumab (Bavencio®)
• Baricitinib (Olumiant®)
• Cenegermin (Oxervate®)
• Cerliponase alfa (Brineura®)
• Dupilumab (Dupixent®)
• Inotuzumab Ozogamicin (Besponsa®)
• Midostaurin (Rydapt®)
• Nusinersen (Spinraza®)
• Obeticholsäure (Ocaliva®)
• Tofacitinib (Xeljanz®)
• Venetoclax (Venclyxto®)
Baricitinib (Olumiant®, Lilly)
Tofacitinib (Xeljanz®, Pfizer)
• Einsatzgebiet: Rheumatoide Arthritis
• Sprunginnovationen
Neue JAK-Hemmer
• Kinasen sind Enzyme, die Phospatreste übertragen
• Januskinasen gehören zu den zytoplasmatischen
Tyrosinkinasen
• an Zytokin-Rezeptoren ankommende Signale werden
in den Zellkern weitergeleitet
• vier verschiedene JAK bekannt
JAK-STAT-Signalweg
Hemmung des JAK-STAT-
Signalwegs
Wirkmechanismus
• Baricitinib und Tofacitinib konkurrieren mit ATP
um Bindungsstelle im katalytischen Zentrum der
JAK-Kinasen
• immunologische und entzündliche Prozesse blockiert
• Unterschied zu Biologika: Multizytokin-Hemmung statt
Inhibition meist nur eines Zytokins
Anwendungsgebiet
• bei mittelschwerer bis schwerer rheumatoider Arthritis,
wenn auf eine vorangegangene Behandlung mit einem
oder mehreren DMARD unzureichend angesprochen
wurde oder diese nicht vertragen wurden
• Monotherapie oder in Kombination mit
Methotrexat (MTX)
• im aktuellen Update der EULAR-Empfehlungen als
mögliche Alternative zu Biologika genannt
Anwendung
• Baricitinib einmal täglich 4 mg oral
• Tofacitinib zweimal täglich 5 mg oral
• Einnahme unabhängig von Mahlzeiten
• beide JAK-Hemmer bei Schwangeren kontraindiziert
• kein Einsatz in der Stillzeit empfohlen
Wechselwirkungen
• Vorsicht bei der Kombination mit potenten
Immunsuppressiva wie Azathioprin, Tacrolimus
und Ciclosporin
• keine Kombination von mehreren JAK-Hemmern
oder JAK-Hemmer und Biologikum empfohlen
• Tofacitinib wird durch CYP3A4 metabolisiert: starke
Hemmstoffe beziehungsweise Induktoren des Enzyms
sind als Kombinationspartner daher problematisch
Tipps für das
Beratungsgespräch
• Impfstatus prüfen vor Therapiebeginn, unter JAK-
Hemmer-Behandlung auf Lebendimpfstoffe verzichten
• Saccharomyces boulardii (cerevisiae) und JAK-Hemmer
vermeiden (generalisierte Hefeinfektionen/Fungämien)
• Kontraindikation bei Schwangeren bedenken
• wirksame Empfängnisverhütung
Dupilumab (Dupixent®, Sanofi
Genzyme)
• Einsatzgebiet: Atopische Dermatitis
• Sprunginnovation
Die Rolle von IL-4 und IL-13
• IL-4 und IL-13 sind wesentliche Bestandteile der
Typ 2-Immunantwort
• bei atopischer Dermatitis liegt Überaktivierung
von Th2-Zellen vor
• vermehrtes Ausschütten von IL-4 und IL-13, was
Entzündung und die Störung der Barrierefunktion
der Haut vermittelt
Dupilumab
• erster Antikörper zur Behandlung der atopischen
Dermatitis
• bei Erwachsenen im mittelschweren bis schweren
Stadium, die für systemische Therapie in Betracht
kommen
• Antikörper hemmt die IL-4/IL-13-Signalgebung
• bindet zielgerichtet die IL-4-Rezeptor-α-Untereinheit
Anwendung und
Nebenwirkungen • Anfangsdosis 600 mg subkutan, also zwei Injektionen
• danach 300 mg subkutan alle zwei Wochen
• Injektion in den Oberschenkel oder Bauch
• Dupilumab ist im Allgemeinen gut verträglich
• Reaktionen an der Injektionsstelle, Lippenherpes,
Reaktionen an den Augen wie Rötung, Schwellung
und Trockenheit als mögliche Nebenwirkungen
Tipps für das
Beratungsgespräch • Präparat im Kühlschrank lagern; nach der Entnahme aus
dem Kühlschrank für die Injektion 45 Minuten warten,
damit die Injektion bei Raumtemperatur erfolgt
• Injektionsstellen regelmäßig wechseln
• Präparat nicht schütteln und niemals Hitze
oder direktem Sonnenlicht aussetzen
• Test auf mögliche Wurminfektion vor Therapiebeginn
und bei Bestehen diese zunächst auskurieren
Obeticholsäure (Ocalvia®, Intercept)
• Einsatzgebiet: Primäre biliäre Cholangitis
• Sprunginnovation
Primäre biliäre Cholangitis
• seltene chronische Lebererkrankung
• entzündliche Veränderung intrahepatischer Gallenwege
führen zur Cholestase
• sehr unterschiedliche Verläufe möglich
• Pruritus und Fatigue häufige Symptome, auch
Lipidflecken in den Augen, Trockenheit von Augen
und Mund sowie Gelenkbeschwerden möglich
Obeticholsäure
• zugelassen in Kombination mit Ursodesoxycholsäure bei
unzureichendem Ansprechen auf die Standardtherapie
oder als Monotherapie, wenn Ursodesoxycholsäure nicht
vertragen wird
• Wirkmechanismus von Obeticholsäure unterscheidet
sich deutlich vom Wirkmechanismus der
Ursodesoxycholsäure
• Obeticholsäure wirkt am Farnesoid-X-Rezeptor (FXR)
Farnesoid-X-Rezeptor
• FXR vor allem in Leber und Darm exprimiert
• durch Aktivierung regulieren Gallensäuren ihren
eigenen Metabolismus
• Synthese nimmt ab, Gallenabfluss aus der Leber zu
• FXR schützt die Leberzellen so vor hohen toxischen
intrazellulären Gallensäure-Konzentrationen
• Obeticholsäure hoch potenter Agonist am FXR
Anwendung
• Anfangsdosis 5 mg einmal täglich unabhängig von
den Mahlzeiten
• danach kann die Dosis auf 10 mg erhöht werden,
um ein optimales Ansprechen zu erzielen
• sehr häufig Juckreiz, Fatigue sowie Schmerzen und
Beschwerden im Bauchraum
• kontraindiziert bei totalem Gallengangsverschluss
Tipps für das
Beratungsgespräch
• eventuell Antihistaminika zur Behandlung
von Juckreiz empfehlen
• Gallensäurebinder können die Wirksamkeit von
Obeticholsäure reduzieren und sollten mit mindestens
vier bis sechs Stunden Abstand zur Anwendung
kommen
• INR überwachen bei gemeinsamer Gabe
mit Vitamin-K-Antagonisten
Nusinersen (Spinraza®, Biogen)
• Einsatzgebiet: Spinale Muskelatrophie
• Sprunginnovation
Spinale Muskelatrophie
• SMA ist eine seltene genetische Erkrankung
• Funktionsverlust des SMN1-Gens
• Motoneuronen nicht mehr arbeitsfähig
• Atrophie der Muskulatur, Lähmungen und unter
Umständen Ausfall lebenswichtiger Muskulatur
• zwei unterschiedliche Formen
Nusinersen
• zugelassen zur Behandlung der häufigsten Form
der SMA
• wirkt als Antisense-Oligonukleotid
• Exon 7 wird beim Spleißen nicht mehr entfernt
• Anteil an funktionellem SMN-Protein wird dadurch
wieder erhöht
Anwendung
• Nusinersen wird per Lumbalpunktion in den Liquorraum
appliziert
• empfohlene Dosis sind 12 mg alle vier Monate
• zu Therapiebeginn vier Aufsättigungsdosen an
den Tagen 0,14, 28 und 63
Nebenwirkungen
• im Zusammenhang mit der Lumbalpunktion können
Kopf- und Rückenschmerzen sowie Erbrechen auftreten
• Obstipation und Atemwegsinfektionen sind weitere
Nebenwirkungen
• unter Umständen Blutgerinnung testen und Urin
auf Protein untersuchen
Venetoclax (Venclyxto®, Abbvie)
• Einsatzgebiet: Chronische lymphatische
Leukämie
• Sprunginnovation
Chronische lymphatische
Leukämie
• Überproduktion an B-Lymphozyten
• circa 5000 Patienten pro Jahr in Deutschland
• häufig Zufallsdiagnose im Rahmen einer Blutbildkontrolle
• Patienten fühlen sich matt, wenig leistungsfähig
und sind eventuell infektanfällig
• meist Erkrankung im Alter
Bisherige Therapieoptionen
• Chemotherapie oder Chemo-Immuntherapie
• Patienten mit Mutationen des Chromosoms 17
(17p-Depletion) oder des Tumorsuppressorgens 53
(TP53) sprechen darauf in der Regel schlechter an
• für diese stehen als Alternative Inhibitoren des B-Zell-
Rezeptorweges zur Verfügung: Ibrutinib (Imbruvica®)
und Idelalisib (Zydelig®)
Venetoclax
• Monotherapie bei CLL mit 17p-Depletion oder
TP53-Mutation, die für einen Inhibitor des
B-Zell-Rezeptorweges nicht geeignet sind oder darunter
Therapieversagen gezeigt haben
• auch als Monotherapie bei CLL ohne 17p-Depletion oder
TP53-Mutation, wenn unter Chemoimmuntherapie und
unter einem Inhibitor des B-Zell-Rezeptorweges ein
Therapieversagen auftrat
• Aufnahme in Leitlinien der Europäischen Gesellschaft
für medizinische Onkologie (ESMO)
Wirkmechanismus
• bei CLL ist das antiapoptotische Protein BCL-2
überexprimiert, was Zelltodmechanismus in malignen
Zellen hemmt
• Venetoclax wirkt als Inhibitor von BCL-2
• Prozesse des programmierten Zelltods laufen
wieder richtig ab
• BCL-2-Proteinen auch bei anderen Tumoren überaktiv,
daher weitere Einsatzgebiete denkbar
Anwendung
• Anfangsdosis: 20 mg einmal täglich über sieben Tage
• zweite Woche 50 mg/d, dritte Woche 100 mg/d,
vierte Woche 200 mg/d, danach jeweils 400 mg/d
• Einnahme morgens zusammen mit einer Mahlzeit
• mögliches Tumorlyse-Syndrom bedenken
• kein Einsatz bei schwerer Leberfunktionsstörung
Cave: Tumorlyse-Syndrom
• vor Therapiestart Nierenfunktion überprüfen
• Patient sollte mindestens 1,5 bis 2 Liter Wasser
pro Tag trinken
• bei hohem Risiko Allopurinol oder andere Harnsäure-
senkende Arzneimittel einsetzen
• keine starken CYP3A-Hemmer gleichzeitig einnehmen
während der Aufdosierungsphase
Neben- und Wechselwirkungen
• Neutropenie, Anämie, Infektionen der oberen Atemwege,
gastrointestinale Beschwerden
• bei gleichzeitiger Statin-Gabe die mit dem Lipidsenker
verbundene Toxizität engmaschig überwachen
• Gallensäure-Komplexbildner nicht zusammen mit
Venetoclax einnehmen
Tipps für das
Beratungsgespräch
• Kenntnis über einschleichende Dosierung abfragen
• Johanniskraut kontraindiziert
• Patienten an ausreichende Trinkmenge erinnern
• in Absprache mit dem Arzt eine potenzielle
Statin-Therapie anpassen
Midostaurin (Rydapt®, Novartis)
• Einsatzgebiet: Akute myeloische
Leukämie und systemische Mastozytose
• Sprunginnovation
Midostaurin
• bei akuter myeloischer Leukämie (AML) mit FLT3-
Mutation und fortgeschrittener systemischer
Mastozytose
• Midostaurin ist ein Multi-Kinasehemmer, der unter
anderem die FLT3- und die KIT-Kinase inhibiert
• zweimal täglich 50 mg zum Essen bei AML,
zweimal täglich 100 mg zum Essen bei Mastozytose
• CYP3A4-Induktoren sind kontraindiziert
Ribociclib (Kisqali®, Novartis)
• Einsatzgebiet: Brustkrebs
• Analogpräparat
Ribociclib
• Einsatz zusammen mit einem Aromatase-Hemmer
bei Hormonrezeptor-positivem Brustkrebs
• nach Palbociclib (Ibrance®) zweiter Hemmstoff der
Cyclin-abhängigen Kinasen 4 und 6
• oral verfügbar
• Dosis einmal täglich 600 mg (drei Tabletten) über
drei Wochen, dann einwöchige Therapiepause
Tipps für das
Beratungsgespräch
• mögliche QT-Zeitverlängerung, EKG und
Serumelektrolyte testen, QT-Zeit-verlängernde
Arzneimittel meiden
• CYP3A4-Induktoren und -Hemmer in Kombination
mit Ribociclib ungünstig
• an regelmäßige Leberfunktionstests denken und
zu regelmäßigen Blutuntersuchungen motivieren
Alectinib (Alecensa®, Roche)
• Einsatzgebiet: Lungenkrebs
• Schrittinnovation
Alectinib
• beim ALK-positivem Lungenkrebs, ALK-Kinasehemmung
• auch Empfehlung für Erstlinientherapie
• gute Wirksamkeit bei Hirnmetastasen, da kein Substrat
des P-Glykoprotein-Effluxtransporters
• oral bioverfügbar
• vier Kapseln à 150 mg zweimal täglich
(Tagesgesamtdosis 1200 mg)
Tipps für das
Beratungsgespräch
• Einnahme mit den Mahlzeiten
• Beeinträchtigung der Wirkung oraler Kontrazeptiva
bedenken und wirksame Empfängnisverhütung
empfehlen, keine Anwendung in der Stillzeit
• übermäßige UV-Strahlung, Sonnenbäder, Solarium
meiden und an guten Sonnenschutz erinnern
• Leberfunktion im Blick behalten
Brodalumab (Kyntheum®, Leo Pharma)
• Einsatzgebiet: Plaque-Psoriasis
• Schrittinnovation
Guselkumab (Tremfya®, Janssen-Cilag)
• Einsatzgebiet: Plaque-Psoriasis
• Schrittinnovation
Brodalumab
• Erstlinientherapie bei mittelschwerer bis
schwerer Plaque-Psoriasis
• bindet nicht an IL-17A, sondern an die
IL-17-Rezeptor-Untereinheit A
• Rezeptor spielt nicht nur bei der Signalübermittlung von
IL-17A, sondern auch bei der einiger anderer Zytokine
eine Rolle
• Erhaltungsdosis 210 mg subkutan alle zwei Wochen
Guselkumab
• Erstlinientherapie bei mittelschwerer bis
schwerer Plaque-Psoriasis
• Interleukin-23 ist bei Patienten hochreguliert
• Guselkumab ist der erste selektive IL-23-Hemmer
• verhindert die Bindung von IL-23 an dessen Rezeptor
• Erhaltungsdosis 100 mg subkutan alle acht Wochen
Tipps für das
Beratungsgespräch
• nicht in von Psoriasis betroffene Hautbereiche injizieren
• nicht schütteln
• im Kühlschrank lagern, aber rechtzeitig vor der Injektion
aus dem Kühlschrank entnehmen und bei
Raumtemperatur spritzen
• auf Anzeichen und Symptome einer Infektion achten
und Lebendimpfstoffe meiden
Die Preisträger des PZ-Innovationspreises
1995 Abciximab (ReoPro®) 2007 HPV-Impfstoff (Gardasil®)
1996 Losartan (Lorzaar®) 2008 Raltegravir (Isentress®)
1997 Saquinavir (Fortovase®) 2009 Rivaroxaban (Xarelto®)
1998 Tolcapon (Tasmar®) 2010 Mifamurtid (Mepact®)
1999 Topiramat (Topamax®) 2011 Fingolimod (Gilenya®)
2000 Infliximab (Remicade®) 2012 Vemurafenib (Zelboraf®)
2001 Trastuzumab (Herceptin®) 2013 Ivacaftor (Kalydeco®)
2002 Imatinib (Glivec®) 2014 Trastuzumab-Emtansin (Kadcyla®)
2003 Enfuvirtid (Fuzeon®) 2015 Vedolizumab (Entyvio®)
2004 Bortezomib (Velcade®) 2016 Nivolumab (Opdivo®)
2005 Bevacizumab (Avastin®) 2017 Sacubitril/Valsartan (Entresto®)
2006 Erlotinib (Tarceva®) 2018 ???
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finden Sie auf der Website der PZ unter
www.pharmazeutische-zeitung.de