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Pädagogische Beziehungen im Zeitalter von Facebook; Pedagogical relationships in the age of...

Date post: 23-Aug-2016
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Im BlIckpunkt Zusammenfassung: Das Internet ist in der modernen Gesellschaft zu einem der wichtigsten kommunikationsmedien unserer Zeit geworden. mit dem Web 2.0 bzw. Social Web und den damit einhergehenden neuen technologien, findet kommunikation global, frei von zeitlichen und räumlichen Beschränkungen statt und beeinflusst dadurch zunehmend die zwischenmenschlichen Interaktionen. Soziale netzwerkseiten wie Facebook sind aus dem leben von kindern und Ju- gendlichen nicht mehr wegzudenken, sie sind teil ihrer Sozialisation und ihres kulturellen Aus- tausches. Aber auch ein Großteil der Erwachsenen pflegt inzwischen kontakte sowohl real als auch virtuell und das Internet wird als erweiterter sozialer Raum angesehen. Der Beitrag greift die aktuelle Frage auf, ob lehrerInnen und SchülerInnen bzw. pädagogische Fachkräfte und Adressat- Innen sich in virtuellen Sozialen netzwerken „befreunden“ sollten, welche Risiken und welche chancen dabei entstehen. Schlüsselwörter: pädagogische Beziehungen · Soziale netzwerke · Facebook · Web 2.0 · mediatisierung Pedagogical relationships in the age of Facebook – A social network between professionalism and friendship? Abstract: In modern society the internet has become one of the most important communica- tion media of our time. Due to the web 2.0 or rather the social web and the new technologies walking along with it, communication takes place worldwide, without any temporal and spatial restrictions, and thereby increasingly influences interpersonal interactions. Social network sites like facebook are not to be imagined as not existing in the life of children and youngsters any Soz passagen (2012) 4:39–57 DOI 10.1007/s12592-012-0094-2 Pädagogische Beziehungen im Zeitalter von Facebook Ein Soziales Netzwerk zwischen Professionalität und Freundschaft? Nicole Alfert · Viola Roggenbach © VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012 n. Alfert () Fachbereich Erziehungs- und Sozialwissenschaften, Abteilung Sozialpädagogik, universität münster, Georgskommende 33, 48143 münster, Deutschland E-mail: nicole.alfert@uni-muenster.de V. Roggenbach DRk-landesverband Westfalen-lippe e.V. - Abt. II, Wohlfahrts- und Sozialarbeit, Sperlichstraße 25, 48151 münster, Deutschland E-mail: [email protected]
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Page 1: Pädagogische Beziehungen im Zeitalter von Facebook; Pedagogical relationships in the age of Facebook;

Im BlIckpunkt

Zusammenfassung: Das Internet ist in der modernen Gesellschaft zu einem der wichtigsten kommunikationsmedien unserer Zeit geworden. mit dem Web 2.0 bzw. Social Web und den damit einhergehenden neuen technologien, findet kommunikation global, frei von zeitlichen und räumlichen Beschränkungen statt und beeinflusst dadurch zunehmend die zwischenmenschlichen Interaktionen. Soziale netzwerkseiten wie Facebook sind aus dem leben von kindern und Ju-gendlichen nicht mehr wegzudenken, sie sind teil ihrer Sozialisation und ihres kulturellen Aus-tausches. Aber auch ein Großteil der Erwachsenen pflegt inzwischen kontakte sowohl real als auch virtuell und das Internet wird als erweiterter sozialer Raum angesehen. Der Beitrag greift die aktuelle Frage auf, ob lehrerInnen und SchülerInnen bzw. pädagogische Fachkräfte und Adressat-Innen sich in virtuellen Sozialen netzwerken „befreunden“ sollten, welche Risiken und welche chancen dabei entstehen.

Schlüsselwörter:  pädagogische Beziehungen · Soziale netzwerke · Facebook · Web 2.0 · mediatisierung

Pedagogical relationships in the age of Facebook – A social network between professionalism and friendship?

Abstract:  In modern society the internet has become one of the most important communica-tion media of our time. Due to the web 2.0 or rather the social web and the new technologies walking along with it, communication takes place worldwide, without any temporal and spatial restrictions, and thereby increasingly influences interpersonal interactions. Social network sites like facebook are not to be imagined as not existing in the life of children and youngsters any

Soz passagen (2012) 4:39–57DOI 10.1007/s12592-012-0094-2

Pädagogische Beziehungen im Zeitalter  von FacebookEin Soziales Netzwerk zwischen Professionalität und Freundschaft?

Nicole Alfert · Viola Roggenbach

© VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012

n. Alfert ()Fachbereich Erziehungs- und Sozialwissenschaften, Abteilung Sozialpädagogik, universität münster, Georgskommende 33, 48143 münster, DeutschlandE-mail: [email protected]

V. RoggenbachDRk-landesverband Westfalen-lippe e.V. - Abt. II, Wohlfahrts- und Sozialarbeit, Sperlichstraße 25, 48151 münster, DeutschlandE-mail: [email protected]

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more, they are part of their socialization and their cultural exchange. But meanwhile also a large part of adults maintains real as well as virtual contacts and the internet is regarded as an enlarged social space. this article picks up on the topical question whether teachers and pupils or rather educational professionals and addressees should “become friends” on virtual social networks and what risks and what chances are thereby generated.

Keywords:  pedagogical relationships · Social networks · Facebook · Web 2.0 · mediatization

1   Einleitung

lange Zeit waren die Diskurse über computervermittelte kommunikation und die ver-stärkte nutzung von virtuellen Sozialen netzwerkseiten stark von kritischen Anmerkun-gen zur Quantifizierung von Freundschaften, von negativ veränderten Strukturen sozialer Beziehungen und von verklärten Rückbezügen zu einem zeitlosen konzept der Freund-schaft geprägt (vgl. Adelmann 2011). In metasoziologischen Ansätzen wurde von einer Entmenschlichung des lebens (z. B. Eurich 1983) und von versachlichenden und ent-emotionalisierenden tendenzen sowie von einer virtuellen Entfremdung durch medien ausgegangen. Es könne zu einer Vereinsamung der Individuen kommen, denn menschen benötigten unmittelbare kommunikation, um basale Bedürfnisse nach nähe, Geborgen-heit und emotionaler Sicherheit zu befriedigen; virtuelle kommunikation könne dies nicht leisten (vgl. misoch 2006). „Die populäre these vom Beziehungsverlust basiert auf der Annahme, dass bestehende soziale Beziehungen durch computervermittelte kommu-nikation verarmen und menschen zudem reale Beziehungen zugunsten neuer virtueller Schein-Beziehungen aufgeben.“ (Döring 2007, S. 478) Inzwischen haben sich die Dis-kurse verändert und viele Studien belegen, dass Online-kontakte nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ einen Zuwachs an Sozialkapital bedeuten können. (vgl. kneidin-ger 2010) „Das Bild des sozial inkompetenten, vereinsamten computer-Freaks, der allen-falls im netz noch virtuelle kontakte pflegt, muss heute als klischee verworfen werden.“ (Döring 2007, S. 481)

Die Verbreitung der Online-technologien und die damit einhergehenden nutzungs-weisen sind in ihrer Entwicklung so rasant und schnelllebig, dass stetig neue Bereiche zur Diskussion stehen, während sich in der realen Welt bereits weitere türen geöffnet haben. Von einer grundsätzlichen Sozialunverträglichkeit des mediums Internet kann zwar nicht gesprochen werden, dennoch zeichnen sich problemfelder ab, die es zu klären gilt. Ein bislang wenig thematisierter Bereich dieser Debatte sind dabei die Beziehungen, die aus realweltlichen institutionellen Zusammenhängen entstehen und sich nun scheinbar mit der virtuellen Welt vermischen. So wird auf immer mehr lehrerInnenkonferenzen und Fachtagungen der kinder- und Jugendhilfe sowie in sämtlichen Bereichen der politik und der Jugendarbeit kontrovers die Frage diskutiert, ob sich pädagogische Fachkräfte bzw. lehrerInnen mit ihren AdressatInnen bzw. SchülerInnen in virtuellen Sozialen netzwerken verknüpfen sollten. Diese Verknüpfung bezeichnet Facebook „als FreundIn hinzufügen“, was bedeutet, dass alle kontakte aus dem realweltlichen netzwerk, also alle persönlichen kontakte auf der Beziehungsebene und alle formalen kontakte auf der Sachebene mit einem klick zu „FreundInnen“ werden – jedenfalls wenn die Aussage „Freundschaftsanfrage bestätigen“ wörtlich genommen wird.

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In der realweltlichen umgebung ist der zwischenmenschliche kontakt auf den ver-schiedenen Ebenen durch konventionen bestimmt. In einem virtuellen Sozialen netz-werk wie Facebook, welches ursprünglich als Freundesnetzwerk ausgelegt war, werden alle kontakte primär gleich gruppiert. Zwar ist es möglich, diese in einem weiteren Schritt in listen (enge FreundInnen, Familie, kollegInnen, Bekannte etc.) zu katego-risieren, jedoch wird dieser eigentlich zwingend erforderliche Verwaltungsakt1 von den meisten nicht vorgenommen. Folgen von fehlenden oder falsch vorgenommenen Sicher-heits- und privatsphäreneinstellungen ziehen schnell die mediale Aufmerksamkeit auf sich und werden unaufhaltsam diskutiert. „Der Freund des Freundes ist der Feind“ titelte die Frankfurter Rundschau am 19.12.2010 online (vgl. Brändle 2010) und verwies auf die Gefahr, wenn ArbeitskollegInnen und ArbeitgeberInnen in ein und demselben virtuellen netzwerk verknüpft sind. So wurde ein Beispiel angeführt, das darüber berichtete, wie ein Arbeitnehmer seinem Frust über den Job auf Facebook luft machte. Es kam zu einer Entlassung wegen Beleidigungen. Das Arbeitsgericht bestätigte die Entlassung: „Ange-stellte können ihre Vorgesetzten in der Öffentlichkeit nicht ungestraft kritisieren, diffa-mieren oder beleidigen“. Das Gericht stuft Facebook als öffentlich zugängliches Forum ein, da millionen von mitgliedern die Dialoge einsehen können (vgl. Brändle 2010).

Im Folgenden werden theoretische und empirische Grundlagen dargestellt und disku-tiert, mit Hilfe derer im Anschluss Überlegungen aufgezeigt werden, wie neue technolo-gien in den Arbeitsfeldern Schule und Jugendarbeit professionell genutzt werden können und wie mit der neuen Freundschaftskultur zwischen lehrerInnen und SchülerInnen sowie Fachkräften und AdressatInnen umgegangen werden kann. mit der richtigen nut-zung können die neuen medien wie Facebook, besonders als Informations- und kommu-nikationsmedium, eine bereichernde Ergänzung zum realweltlichen Handeln darstellen. Dies erfordert allerdings eine gründliche Auseinandersetzung mit technischen Aspek-ten und einer intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen beruflichen Rolle. nach einer 1) knappen Darstellung über soziale Beziehungen und netzwerke im Allgemeinen werden, 2) ausgehend von der Darstellung des medienhandelns von Jugendlichen und Erwachsenen, 3) die kommunikationsstrukturen auf Facebook daher aus der Sicht des privaten profils und einer unternehmensseite verglichen. 4) nach Überlegungen wie sich professionelle pädagogische Beziehungen durch das Zeitalter des Social Webs verändern können, werden daraufhin 5) thesen formuliert, die sich mit dem grundsätzlichen Einsatz der beruflichen nutzung von Facebook in der Arbeit mit Jugendlichen auseinandersetzen und mögliche Zugänge aufzeigen, wie pädagogisches Handeln in technologisierten kon-texten gelingen kann.

1 Von einem Verwaltungsakt kann gesprochen werden, da bei Facebook bis zu 5000 „Freunde“ zulässig sind. Aber selbst bei durchschnittlich 130 Freunden, mit denen FacebookuserInnen verknüpft sind, ist die nachträgliche Sortierung mühselig. Facebook hat die Funktion der listen erst nachträglich eingeführt. Bei google +, dem 2011 auf dem markt erschienenen Sozialen netzwerk von Google, war diese Option von Beginn an vorhanden. Hier können kontakte in sogenannte „circles“ kategorisiert und mit privatsphäreneinstellungen versehen werden.

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2   Soziale Beziehungen und Netzwerke

Eine soziale Beziehung zwischen zwei menschen existiert, „wenn sie wiederholt mit-einander kontakt haben, also mehrfach zeitversetzt kommunizieren oder zeitgleich interagieren. Im unterschied zum sozialen kontakt als Einzelereignis erstrecken sich soziale Beziehungen über mehrere Zeitpunkte“ (Döring 2007, S. 403), zwischen denen die Beziehung weiterbesteht. Eine gelungene Beziehungsentwicklung beinhaltet dabei eine gemeinsame Beziehungsdefinition, bei der die beiden AkteurInnen ihre Erwartungen stetig neu aushandeln. Diese Erwartungen sind davon abhängig, welche Funktion die jeweilige soziale Beziehung erfüllt. Zu unterscheiden sind formale Beziehungen auf der Sachebene und persönliche Beziehungen auf der Beziehungsebene, die wiederum hin-sichtlich ihrer subjektiven Bedeutsamkeit in schwache und starke Bindungen (weak ties und strong ties) kategorisiert werden können und durch die jeweiligen Rollen der Bezie-hungspartnerInnen bestimmt werden. Dadurch gelingt zumeist eine Zuordnung darüber, ob es sich beispielsweise um eine kollegiale, freundschaftliche oder familiäre Beziehung handelt. (vgl. Döring 2007) In formalen Beziehungen erfolgt die Beziehungsgestaltung möglichst neutral, große emotionale nähe oder übertriebene Distanz wird vermieden, wohingegen persönliche Beziehungen durch eine höhere Individualität und Gestaltungs-freiheit gekennzeichnet sind.

Bis in die 1970er Jahre pflegten die menschen eine geringere Anzahl unterschiedlicher Beziehungen mit weitaus weniger kommunikationswegen als dies heutzutage die Regel ist. (vgl. lenz 1998) Bedingt durch höhere berufliche Anforderungen an die mobilität und Flexibilität der menschen ist in der modernen Gesellschaft ein erweiterter kontaktradius zu verzeichnen, zur pflege dessen eine Vielzahl an neuen medialen möglichkeiten hinzu-gekommen sind.

Damals wie heute wird mit der Gesamtheit sozialer Beziehungen einer person ihr soziales netzwerk bezeichnet, worunter die jeweils einzelnen Zweierbeziehungen und die Beziehungen der netzwerkbeteiligten untereinander zu fassen sind. Die Größe eines sol-chen sozialen netzwerkes umfasst meist mehrere Hundert personen (vgl. Döring 2007), die je nach Beziehungsklasse (Familie, Freundschaft) oder Beziehungsinhalt (Hobby, gemeinsame Interessen) gruppiert werden. Dadurch entstehen ein engerer und ein wei-terer kreis von Bindungen sowie die sogenannte peripherie, worunter Freundesfreunde, also eher indirekte Bindungen sozialer Beziehungen einzuordnen sind (vgl. Döring 2007). All diese personen stellen potentiell Ressourcen bereit, die das soziale kapital eines men-schen erhöhen. Dabei ist zu konstatieren, dass ein Zusammenhang zwischen der Größe und Dichte des netzwerkes und der sozialen Integration einer person besteht.

Im Vergleich zu früher erweitert sich zudem das klassische soziale netzwerk hin-sichtlich Variabilität und Heterogenität, da immer mehr individuelle und pluralisierte lebensformen hinzukommen, wodurch auch der Bereich der peripherie wächst. Durch zunehmende geografische mobilität in industriellen und postindustriellen Gesellschaften erfahren Individualmedien wie telefon, Fax und Brief zur pflege sozialer Beziehungen einen Bedeutungszuwachs, da diese unverzichtbar sind zur Überbrückung temporärer räumlicher trennungen. neben den Individualmedien haben in den letzten Jahren die sogenannten netzmedien verstärkt an Bedeutung gewonnen, wodurch ein Großteil der kommunikation und Interaktion computervermittelt stattfindet – das heißt die herkömm-

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lichen Formen werden durch neue technologien ergänzt oder teilweise ersetzt. Zu den klassischen Offline-Beziehungen können dadurch Online-Beziehungen hinzukommen oder sogenannte Hybrid-Beziehungen, „die sowohl auf Offline- als auch auf Online-kon-takten basieren“ (Döring 2007, S. 424).

mit dem Einzug des Social Webs2 und den damit verbundenen neuen Internetkom-munikationstechnologien, die in nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche eingedrungen sind, ist auch eine Veränderung in der pflege von sozialen Beziehungen zu beobachten. Das Internet wird hierbei als erweiterter sozialer Raum wahrgenommen, in dem global und fern von räumlichen und zeitlichen Einschränkungen gehandelt werden kann. Dies beeinflusst die Art und Weise zwischenmenschlicher kontakte. Besonders für kinder und Jugendliche ist das Internet zu einer zentralen Sozialisationsinstanz geworden, in dem ein großer teil ihres Identitäts-, Informations- und Beziehungsmanagements abläuft3. nicht zuletzt dadurch lässt sich das Internet als sozial etablierter Raum, als neue pädagogische Begebenheit bezeichnen, hinsichtlich derer es zunehmend einer wissenschaftlichen Aus-einandersetzung bedarf.

3   Das Medienhandeln Jugendlicher und Erwachsener

Der medienpädagogische Forschungsverbund Südwest liefert mit seiner JIm-Stu-die (Jugend, Information, (multi-) media) jährlich wertvolle Basisinformationen, die den aktuellen Stand der mediennutzung der 12- bis 19-Jährigen in der Bundesrepublik Deutschland abbilden. Die Grundgesamtheit dieser Studie umfasst ca. sieben millionen Jugendliche, aus der jeweils eine repräsentative Stichprobe von ca. 1200 Jugendlichen telefonisch befragt wird. Durch die konzeption in Form einer langzeituntersuchung ist eine Vergleichbarkeit mit den Vorgängerstudien gewährleistet. „Dabei werden notwen-dige Anpassungen an die veränderte medienwelt vorgenommen, in der Öffentlichkeit diskutierte themen und Entwicklungen aufgegriffen und aktuelle Fragestellungen beant-wortet.“ (mpfs 2010, S. 3) Diese Dokumentation der mediennutzung junger menschen versachlicht die Diskussion um den Stellenwert der medien und greift neben neuen chan-cen auch die Gefahren und Gefährdungspotentiale einiger Angebote auf. Seit der ersten Erhebung 1998 zeigt sich ein stetiger Wandel der medienwelt, in der sich jährlich ver-schiedene Schwerpunkte abzeichnen.

Hierbei ist zu verzeichnen, dass seit einigen Jahren in den Haushalten, in denen Jugendliche aufwachsen, weitestgehend eine Vollversorgung in den Bereichen computer/laptop, Handy, Fernseher und Internetzugang besteht. Auch die persönliche Besitzrate der Jugendlichen an eigenen mediengeräten nimmt weiter zu: So haben im Jahr 2011 mit 96 % fast alle Befragten ein eigenes Handy, 79 % einen eigenen computer und 45 %

2 Die Begriffe Web 2.0 und Social Web werden häufig synonym verwendet, jedoch impliziert der Begriff Web 2.0 eher technische, ökonomische und rechtliche Aspekte. Web 2.0 ist zum Schlag-wort für den Wandel des WWW geworden. Social Web hingegen stellt einen teilbereich des Web 2.0 dar, der sich auf die unterstützung sozialer Strukturen und Interaktionen der userInnen bezieht (vgl. Ebersbach et al. 2011).

3 Zur Vertiefung siehe Schmidt 2011.

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zudem einen eigenen Internetanschluss in ihrem Zimmer. (vgl. mpfs 2011) Die Ange-bote an unterschiedlichsten Geräten zur mediennutzung steigen dabei stetig an, hier ist in jüngster Zeit hauptsächlich ein Zuwachs von Smartphones und tablet-pcs zu verzeich-nen, mit Hilfe derer jederzeit der Zugriff auf das Internet und damit der kontakt zu ande-ren menschen möglich ist. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Besitzrate von Smartphones um 11 prozentpunkte gestiegen (von 2010: 14 % auf 2011: 25 %), so dass jede/r Vierte über ein solches Gerät verfügt und auch 21 % der HandybesitzerInnen sogenannte Apps4 installiert haben, die aktiv genutzt werden. Besonders interessant in der diesjährigen Stu-die des mpfs ist der Bereich Sozialer netzwerkseiten im Internet.

Auf die Frage nach der subjektiven Wichtigkeit der medien, geben 88 % der Befrag-ten an, dass sie das Internet als (sehr) wichtig empfinden. Für vier Fünftel gilt dies auch für das Handy. Besonders wenn sie alleine sind, schreiben sie diesen medien eine große Bedeutung zu. lediglich ein prozent benennt zur Überbrückung dieser Zeit keine medien-beschäftigung. Hinsichtlich der nutzungsfrequenz geben zwei Drittel der Befragten an, tagtäglich das Internet zu nutzen – dieser Anteil steigt mit zunehmendem Alter deutlich an. Eine klare präferenz, mit annähernd der Hälfte der Onlinenutzungszeit, fällt auf den Bereich kommunikation und hier vor allem auf die nutzung von Sozialen netzwerken (44 %). Weniger häufig werden messenger, chat und E-mailprogramme zum Austausch genutzt. lag die präferenz zu Beginn der Sozialen netzwerkseiten eher auf regional aus-gerichteten Diensten und auf zielgruppenspezifischen Angeboten wie schülerVz. und stu-diVz., zeichnet sich in jüngster Zeit der trend zum international genutzten netzwerk ab. Vorreiter und derzeit größter Anbieter ist inzwischen Facebook mit aktuell über 800 mio. userInnen weltweit (Stand Oktober 20115). Dem omnipräsenten Auftritt von Facebook ist wohl auch die erneut stärkere nutzung im Vergleich zum Vorjahr zuzuschreiben. So hat sich der Anteil der 12- bis 19-Jährigen Facebook-nutzerInnen annähernd verdoppelt (von 37 % in 2010 auf 72 % in 2011) und der Anteil der schülerVz.-nutzerInnen fast hal-biert (von 53 % in 2010 auf 29 % in 2011). Der Zugriff auf die Sozialen netzwerke erfolgt dabei nicht zwingend vom heimischen pc, sondern zunehmend auch mobil über Apps. Von durchschnittlich 22 installierten Apps, werden Apps von Sozialen netzwerken mit 56 % auf platz eins genannt.

Auch bei der durchschnittlichen Anzahl der „Freunde“ ist ein Zuwachs von durch-schnittlich + 47 zu verzeichnen, so dass die nutzerInnen im Schnitt mit 206 „Freunden“ verlinkt sind. mit zunehmendem Alter erweitert sich dabei das netzwerk (14–15 Jahre: 201 Freunde, 16–17 Jahre: 249 Freunde, ab 18 Jahre: 224 Freunde). Wenngleich die große Anzahl der kontakte in der Freundesliste vermuten lässt, dass es sich hierbei nicht nur um ‚echte‘ Freunde handeln kann, geben 96 % der Befragten an, diese auch persönlich zu kennen. Demnach spiegelt das Online-netzwerk die realweltliche Struktur des näheren und weiteren Bekanntenkreises wider. (vgl. mpfs 2011)

Während die Jim-Studie das mediennutzungsverhalten der bis 19-Jährigen darstellt, umfasst die ARD/ZDF-Onlinestudie als Grundgesamtheit die deutschsprachige Bevöl-kerung ab 14 Jahren. Dabei wird deutlich, dass die medien nicht nur ein phänomen der Jugend darstellen, sondern sich dieses durch alle Altersgenerationen durchzieht. So stellt

4 kurzform für engl. applications, kleine Anwendungsprogramme.5 vgl. https://www.facebook.com/press/info.php?factsheet.

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der Besitz eines computers für alle unter 50-Jährigen eine Selbstverständlichkeit dar. Im Vergleich zum Vorjahr sind weitere 2,7 mio. Deutsche InternetnutzerInnen hinzu-gekommen, „so dass inzwischen 51,7 mio. Erwachsene [73,3 % der Bevölkerung] in Deutschland zumindest gelegentlich das Internet nutzen. […] mit der jetzigen Internet-durchdringung von 73,3 % hat sich die Zahl der Onliner[Innen] in Deutschland in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt“ (media perspektiven 2011, S. 332). Dabei liegt der Anteil der OnlinerInnen bei den unter 50-Jährigen inzwischen bei 95 %; das Durch-schnittsalter bei rund 40 Jahren. In der Gruppe der ab 50-Jährigen sind 47 % online, wobei in diesem Alterssegment nach wie vor ein stetiger Zuwachs zu verzeichnen ist. „unter den 40- bis 59-Jährigen stieg der Anteil der Onliner[Innen] von 18,5 mio. [28,2 %] in 2010 auf 20 mio. [34,5 %], unter den ab 60-Jährigen entdeckten im letzten Jahr 1,3 mio. das netz, so dass inzwischen sieben millionen ab 60-Jährige in Deutschland online sind.“ (media perspektiven 2011, S. 335)

Allmählich nähert sich auch das mediennutzungsverhalten zwischen den Generatio-nen an6: So verdeutlichen die Ergebnisse der ARD/ZDF-Studie, dass für die 51,7 mio. deutschen OnlinerInnen kommunikation und Information die dominierenden Internetan-wendungen sind, jedoch auch die Bereiche der multimedialen Anwendungen und Sozia-ler netzwerke an Attraktivität gewinnen. „71 % der unter 30-Jährigen suchen regelmäßig ihre community auf. Im mittleren Alterssegment der 30- bis 49-Jährigen sind es 28 %, noch einmal deutlich weniger bei den 50- bis 69-Jährigen. In diesem Alterssegment sind 14 % in einem Sozialen netzwerk registriert. Bei den ab 70-Jährigen Onliner[Inne]n nutzt inzwischen jede[/]r Zehnte ein Soziales netzwerk.“ (media perspektiven 2011, S. 340)

4   „Facebook me“

unter dem motto „Facebook ermöglicht es dir, mit den menschen in deinem leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen“ (www.facebook.com) wurde das unternehmen Facebook im Jahr 2004 von mark Zuckerberg gegründet. ursprünglich war es nur für Harvard StudentInnen gedacht, wurde jedoch kurze Zeit später für StudentIn-nen der Vereinigten Staaten und danach für alle StudentenInnen von ausländischen Hoch-schulen und unternehmensmitarbeitern erweitert. Ende 2006 war Facebook schließlich für jede/n nutzerIn freigegeben und revolutioniert seither zunehmend die kommunika-tionsstrukturen und die Informationsbeschaffung der ganzen Welt. Inzwischen wurde die plattform in 75 Sprachversionen übersetzt und hat weltweit über 800 mio. mitglie-der. Dabei sind lediglich ein Drittel der nutzerInnen der ursprünglichen studentischen nutzerklientel zuzuordnen, was die enorme Breitenwirkung des Sozialen netzwerkes verdeutlicht. mittlerweile sind alle Altersgruppen vertreten, wobei der Beitritt der über 30-Jährigen zu den stärksten Wachstumsraten führt. „Eine tendenz, die dafür spricht, das Facebook in immer breiteren Bevölkerungskreisen an Bedeutung gewinnt, was die Annahme zulässt, dass sich auch die nutzungsformen und damit die Auswirkungen auf

6 Auf die Diskussion zum „Digital Divide“ bzw. „Digital Inequality“ wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Eine ausführliche Darstellung findet sich bei Gehrke (2004) und Rößner (2010).

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bestehende soziale Beziehungen in der breiten Bevölkerung zunehmend ausdifferenzie-ren werden.“ (kneidinger 2010, S. 60)

Die Funktionen und Anwendungen7 von bzw. auf Facebook nehmen ebenfalls rasant zu und können hier im Einzelnen nicht alle aufgeführt werden8. Die plattform wird längst nicht mehr nur von privatpersonen genutzt, sondern ist fester Bestandteil des Social media marketings bzw. der public-Relations-Aktivitäten. Daher werden mittlerweile neben dem privatkonto verschiedene Seitenkategorien wie „lokales unternehmen oder Ort“, „unternehmen, Organisation oder Institution“, „marke oder produkt“, „künst-ler, Band oder öffentliche person“, „unterhaltung“ und „Anliegen oder Gemeinschaft“ angeboten9, die jeweils leicht veränderte kommunikationskanäle und unterschiedliche netzwerkstrukturen aufweisen. Die unterschiede zwischen einem privat- und einem unternehmenskonto (sogenannte Fanseiten) werden im Folgenden kurz dargestellt:

Der Standardfall der Facebook-nutzung ist das privatkonto, dass der Verwaltung aller Aktivitäten auf der plattform dient und untrennbar mit dem persönlichen profil verbun-den ist. Auf diesem profil kann sich jedes mitglied selbst vorstellen und private Daten verknüpfen, die über den Weg der privatsphäre-Einstellung individuell in ihrer Sicht-barkeit für die Freunde und Freundinnen einstellbar sind. mit Hilfe der Statusmeldung können nutzerInnen zudem ihre derzeitige Befindlichkeit bzw. Aktivität posten. Ziel des privatprofils ist es, sich mit FreundInnen zu vernetzen, weshalb Facebook zahlreiche personen vorschlägt, die der/die nutzerIn kennen könnte. Dies ergibt sich aus Algorith-men, nach denen das System arbeitet, das heißt es werden Wahrscheinlichkeiten gesucht, die sich aus den Verbindungen, der Wohngegend, den Interessen, den kommunikations-strukturen usw. ergeben. Die Freundschaft muss dabei auf Gegenseitigkeit beruhen, also von beiden parteien bestätigt werden. Die Obergrenze beträgt hierbei 5000 FreundInnen. kommuniziert werden kann entweder öffentlich oder privat. Je nach Einstellungen kön-nen FreundInnen auf der pinnwand einsehbare nachrichten hinterlassen oder bestehende Einträge kommentieren. Damit soll den nutzerInnen Aufschluss über die soziale Qualität einer Handlung oder einer Entscheidung gegeben werden. (vgl. Von der Hagen 2011) um nicht ständig zwischen verschiedenen profilen hin und her klicken zu müssen, werden alle neuen Beiträge auf der Startseite, ähnlich eines newsstreams, aufgelistet, die von hier aus auch unmittelbar kommentiert werden können.

Der „Gefällt-mir-Button“, mit dem unmittelbar auf ein posting reagiert werden kann, ist dabei zum markenzeichen von Facebook geworden und zieht immer weitere kreise im Web (etwa auf youtube oder kommerziellen Anbieterseiten, die inzwischen den „Gefällt-mir-Button“ zum Qualitätsmarkenzeichen erhoben haben). Alternativ zu öffent-lichen Einträgen gibt es geschlossene kommunikationskanäle wie ein E-mail-ähnliches nachrichtenportal bzw. einen internen chat. nachrichten können dabei auch an personen gesendet werden, zu denen keine Freundschaft im Sinne von Facebook besteht.

Daneben besteht die möglichkeit Gruppen- und Fanseiten über die verschiedensten themen, anzulegen, denen je nach Interesse beigetreten werden kann und über die ein

7 Seit der Öffnung des unternehmens 2007 für Anwendungen von DrittanbieterInnen gibt es nach unternehmensangaben mehr als 350.000 Applikationen.

8 Zur ausführlicheren Übersicht siehe Schwindt 2011.9 Vgl. www.facebook.com/pages/create.php.

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Austausch stattfindet. Verwaltungstechnisch gehören diese dann auch zum ErstellerIn-nenkonto. Die Einstellungsoptionen erlauben, Gruppenseiten offen, geschlossen oder geheim einzurichten. Zudem können Veranstaltungen erstellt und andere mitglieder dazu eingeladen werden. Facebook kann auch als „Web im Web“ genutzt werden, das heißt andere Dienste wie twitter, youtube, FlickR etc. können in das eigene profil eingebunden werden. Über Anwendungen wie tinychat oder chatvibes besteht zudem die möglichkeit des Videochattens.10

Ein unternehmenskonto hat im unterschied zum privatkonto kein persönliches profil, sondern dient lediglich dem Erstellen einer Fanseite und damit der Verknüpfung mit Fans statt mit FreundInnen. Fan wird man, indem der „Gefällt-mir-Button“gedrückt wird. Über diesen Vorgang wird die person, die die Seite erstellt hat, zwar benachrichtigt, es bedarf aber keiner weiteren Bestätigung. Die auf der Fanseite erstellten meldungen werden von nun an in den eigenen meldungen angezeigt. neben diesen strukturellen unterschieden gibt es unterschiede in der Vernetzung und damit einhergehend in den kommunikations-möglichkeiten. Im Gegensatz zu der beidseitigen Vernetzung unter Freunden, durch die beide Seiten das profil des anderen einsehen und nutzen können, sind die Vernetzungen zwischen profilen und Seiten als Fans einseitig. FanseitenadministratorInnen können von den profilen ihrer Fans nur die öffentliche Ansicht einsehen und somit dort nichts posten. private nachrichten können ebenfalls nicht versendet werden, die kommunika-tion läuft rein öffentlich über die pinnwand ab. Im newsstream der Fanseite tauchen die posts der Fans grundsätzlich nicht auf, dass heißt andere sehen diese Beträge erst, wenn sie auf die Fanseite klicken. Die AdministratorInnen werden per E-mail über neue Beiträge informiert und können diese ggf. wieder löschen. Je nach Einstellung der pinn-wand-Reiter kann die möglichkeit zum posten sogar ganz ausgeschaltet werden. Damit ähneln Fanseiten den normalen Webseiten oder Homepages im Internet, denn sie sind über Suchmaschinen zu finden und darüber auch einsehbar – auch für diejenigen, die keine Facebookmitglieder sind. Die Anzahl der Fans ist im Vergleich zu FreundInnen nicht begrenzt.

Facebook ‚wächst und gedeiht‘ und lässt sich weder durch unsensibles management noch durch negative Schlagzeilen aufhalten. Anfang 2011 bezifferte die Investmentbank Goldman Sachs das unternehmen mit 50 mrd. Dollar. pro minute werden rund 100.000 Freundschaften weltweit geknüpft, 230.000 nachrichten versendet und 82.000 Status-meldungen gepostet. täglich wird die Datenbank um 100 mio. Fotos seiner userInnen reicher. „[J]eder wird durch Facebook verändert, vor allem was sein Selbstverständnis und Sozialverhalten betrifft, sowie natürlich seine Freizeitgestaltung. Facebook hinter-lässt Spuren. Denn Facebook ist mehr als nur ein medium, mehr als telefon oder Fern-sehen, weil Facebook eben nicht nur kommunikation und konsum ermöglicht, sondern auch eine ganz eigene Art der Selbstdarstellung und -vermarktung. man ist in Facebook und man ist durch Facebook. Das soziale netzwerk wird zum leitmedium“ (Hofer 2011, S. 2). Facebook ist jedoch gleichzeitig durch eine gewisse Form der unverbindlichkeit gekennzeichnet. Inwiefern kommentare ernst gemeint sind, tatsächliches Interesse an Inhalten besteht und ob Freundschaften gepflegt werden oder nicht, liegt im Ermessen

10 Wie Facebook als Spiel- und/oder als Werbeplattform genutzt werden kann, wird hier bewusst nicht weiter thematisiert.

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jeder/s Einzelnen. Dadurch verschwimmen persönlichkeiten und Beziehungskonstella-tionen. „Das macht in erster linie Spaß, gibt in zweiter linie aber auch Anlass zur Sorge.“ (vgl. Hofer 2011)

5   Pädagogische Beziehungen im Zeitalter des Social Web

Festgehalten werden kann an dieser Stelle daher die notwendigkeit von Sicherheits- und privatsphäreneinstellungen, ganz besonders dann, wenn Facebook nicht nur privat, son-dern auch beruflich genutzt wird – wie dies zunehmend der Fall ist. Durch den trend, alle netzwerke bzw. alle realweltlichen kontakte, also sowohl strong ties als auch weak ties, in einem virtuellen netzwerk zu bündeln, stellt sich die Frage, ob Facebook dadurch nicht seinen charakter des Freundesnetzwerkes verliert, ob der Begriff „Freundschaft“ von Facebook genauso verstanden wird wie außerhalb des netzwerkes und ob durch den inflationären Gebrauch die eigentliche Bedeutung verloren geht bzw. sich dessen Bedeu-tung in einem Wandel befindet. Denn Facebook-Beziehungen sind gekennzeichnet durch eine eigenwillige Form der Gleichgültigkeit. So ist man beispielsweise mit seinem Onkel auf dieselbe Weise befreundet wie mit seinem/r Vorgesetzten oder mit seiner Schwester genauso wie mit seiner besten Freundin. Die Facebook-Verhältnisse beruhen zudem häu-fig nur auf binären Entscheidungen – „Gefällt mir“ oder nicht (vgl. Haque 2010). mit tausenden von menschen nur wegen eines gemeinsamen Faibles „befreundet“ zu sein, ist nicht mehr als ein einziges geteiltes Interesse und keine echte Freundschaft im tradi-tionellen Sinn. Diese Aspekte sollen an dieser Stelle nicht vertieft werden, vielmehr soll beleuchtet werden, wie es sich mit Beziehungen verhält, bei denen die jeweiligen kom-munikationspartnerInnen in einem asymmetrischen Verhältnis zueinander stehen. Vor dieser Frage stehen zunehmend lehrerInnen und pädagogische Fachkräfte, die auf Face-book von ihren SchülerInnen bzw. AdressatInnen Freundschaftsanfragen bekommen. Spätestens durch den Erhalt einer solchen Anfrage bedarf es einer eigenen Reflexion, wie sich hier ein professioneller umgang gestaltet – soll die Freundschaftsanfrage akzeptiert oder abgelehnt werden? Welche tatsächlichen konsequenzen können entstehen, wenn personen, die im realen leben in einem asymmetrischen Verhältnis zueinander stehen, sich auf Sozialen netzwerkseiten anfreunden und damit eine vermeintlich „gleichwer-tige“ Beziehung auf Freundschaftsebene eingehen? und bildet der Begriff Freundschaft allein dabei nicht schon ein kuriosum? Die meinungen dazu gehen weit auseinander, es gibt BefürworterInnen auf der einen, kritische GegnerInnen auf der anderen Seite. Weitestgehend Einigkeit dürfte jedoch darin bestehen, dass diese Freundschaft eher eine andere Art von Freundschaft ist und nicht konform mit dem eigentlichen Freundschafts-begriff geht. Die begriffliche Verwendung ist dabei das eine, die viel wichtigere Frage dahinter ist jedoch, von welchem nutzen diese Verknüpfung im netzwerk ist und welche Argumente dafür und welche dagegen sprechen.

Eine kritische Auseinandersetzung über die pädagogische Beziehung11 im Zeitalter des Social Web scheint daher mehr denn je von Belang, da bisher uneinigkeit herrscht,

11 Verstanden als Interaktion zwischen lehrerInnen und SchülerInnen bzw. Fachkraft und Adres-satIn.

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49pädagogische Beziehungen im Zeitalter von Facebook

ob damit nicht eine Gefährdung oder aber eine neue chance des professionellen Han-delns einhergeht. „Wenn die Internetkommunikation ermöglicht, dass eine neue An-näherungsweise an den Anderen entsteht und somit der kreis des annäherbaren Anderen erweitert wird, dann liegt die pädagogische Aufgabe darin, nach einer für die Internet-kommunikation geeigneten Art und Weise des Antwortens auf den Anderen zu suchen, mit der die pädagogische Beziehung auch im Internetkommunikationsraum grundsätzlich auf ethischem Verhalten beruhen kann.“ (kim 2008, S. 9) pädagogInnen sollen mit der lebenswelt ihrer AdressatInnen vertraut sein. Im Gegensatz zu den meisten Erwachsenen unterscheiden Jugendliche nicht mehr zwischen einer realen und einer virtuellen Welt. Durch die mediatisierung aller gesellschaftlichen Bereiche muss besonders in der Arbeit mit Jugendlichen umgedacht werden. Denn die Aufenthaltsorte und die damit verbundene Sozialraumaneignung Jugendlicher sind vielfältiger als vor dem Internetzeitalter. Das Social Web und besonders die virtuellen Sozialen netzwerke zählen zum Handlungs- und Erfahrungsraum, in denen die Jugendlichen wichtigen Entwicklungsaufgaben nachkom-men. „In Anbetracht der mediatisierten Gesellschaft ist die trennung der parallelwelten in ‚real‘ und ‚virtuell‘ aufzuheben, da Virtualität die Realwelt ergänzt und nicht ersetzt oder multipliziert. um das konglomerat der Welten und eine neue Daseinskategorie zu charakterisieren, ist das Attribut ‚vireal‘ notwendig.“ (ketter 2011, S. 2) Damit sind die Sozialen netzwerkseiten fester integraler Bestandteil der lebenswelt und die medien-technologischen Entwicklungen führen dazu, dass „Jugendliche heutzutage Raum als fragmentär, gestaltbar, bewegt und punktuell verknüpft wie ein ‚fließendes netzwerk‘ [erleben]“ (löw 2001, S. 266).

Aber sollen oder vielmehr müssen daher pädagogInnen in den virtuellen netzwerken über ein privates profil präsent sein und dies für berufliche Zwecke nutzen? Was deckt in der professionellen pädagogischen Beziehung das private profil ab, was die unter-nehmensseite nicht leisten kann? Oder ist es gerade durch das konglomerat von sozialer und medialer Wirklichkeit unumgänglich, dass sich beide parteien dort privat bewegen? Diese Fragen richten sich sowohl an die pädagogInnen als auch an die Jugendlichen.

Ein Beispiel veranschaulicht die Schwierigkeiten, bei diesen Fragen zu eindeutigen Antworten zu gelangen. Im uS-Bundesstaat missouri sollte am 28. August 2011 ein Gesetz in kraft treten, dass die kontaktaufnahme zwischen lehrerInnen und Schüler-Innen über Soziale netzwerke untersagt. Das Gesetz sei teil des „Amy Hestir Student protection Act“, bei dem es insgesamt um die Verbesserung des allgemeinen Schutzes von SchülerInnen vor sexuellem missbrauch und Belästigung durch lehrerInnen geht. Die uS-lehrerInnenvereinigung missouri State teachers Association zog daraufhin vor Gericht – der paragraph, der die nutzung von Facebook betrifft, sei verfassungswidrig und verstoße gegen die Redefreiheit. Weitere Begründungen waren, dass die netzwerke aus dem Schulalltag nicht mehr wegzudenken seien, lehrerInnen wie SchülerInnen wür-den diese tagtäglich nutzen, um in kontakt zu treten, um probleme mit den Schulaufga-ben zu lösen oder um mobbingfälle aufzudecken. Durch eine Eilentscheidung stoppte das zuständige Gericht vorläufig das Gesetz und gab dem lehrerInnenverband Recht. Auf-grund der vorgelegten Beweise sah der Richter es als gegeben an, dass mit dem Inkraft-treten des Gesetzes ein wichtiges kommunikationsmittel aus dem Schulalltag genommen und zudem das Recht auf kommunikation zwischen kindern und Eltern eingeschränkt würde, wenn diese lehrerInnen seien. Die einstweilige Verfügung soll 180 tage Bestand

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haben. In den nächsten monaten soll das Gesetz nun auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüft werden, am 20. Februar 2012 wird neu verhandelt. (vgl. krüger 2011)

6   Mutig oder übermütig? – Die berufliche Nutzung von Facebook  in pädagogischen Kontexten

Die wenigsten Schulen setzen sich bislang mit solchen problematiken ernsthaft ausein-ander, dabei könnten klare Vorschriften auf Seiten der Schule probleme oder zumindest Irritationen und unsicherheiten auf beiden Seiten mindern. Eine Hauptschule in Hamm (nRW) hat beispielsweise die Regel aufgestellt, dass lehrerInnen, die mit ihren Schüler-Innen über das Soziale netzwerk interagieren möchten, dies über ein gesondertes profil tun dürfen, nicht jedoch über ihr privates. und sie dürfen auf Anfragen reagieren, soll-ten aber nicht selbst aktiv werden, da die SchülerInnen dadurch in eine missliche lage gebracht werden können (vgl. Böhm 2011). Aber ist das die lösung? Sollte jede/r von uns künftig zwei profile pflegen und damit noch mehr Zeit im netz verbringen, da die traditionelleren medien wie telefon oder E-mail nicht mehr ausreichen? Ist das konform mit den Forderungen nach mehr realweltlicher Orientierung für kinder? und wo kann die Grenze gesetzt werden, die früher am Ende des Schultages symbolisch mit der Schul-glocke eingeläutet wurde?

Wie in den uSA auch entschieden wird, Fakt ist, dass bereits unzählige von diesen Verknüpfungen bestehen, sowohl zwischen zwei privaten profilen, als auch zwischen der privaten Seite eines Schülers/einer Schülerin oder AdressatIn und der unternehmenssei-te12 einer Schule oder Institution. Festgehalten wird, dass das Social Web im Allgemeinen und Facebook im Besonderen einen erheblichen Einfluss auf die menschheit hat. Du bist im netz jemand, je mehr Freunde, Fans oder Follower du hast. Da virtuelle Soziale netzwerke noch ein relativ neues phänomen sind, was erst zunehmend wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfährt, über das es noch keine langzeitstudien gibt und aus dessen Bereich auch erst vereinzelt dokumentierte praxiserfahrungen vorliegen, ist es schwierig allgemeingültige Aussagen zu treffen. So viel wie in dieser Zeit wurde offenbar noch nie online kommuniziert, wenngleich Interaktionen hinsichtlich ihrer subjektiven Bedeut-samkeit zu unterscheiden sind. Insgesamt jedoch stellt Facebook, als Informations- und kommunikationsmedium, in den Bereichen Jugendarbeit und Schule eine Bereicherung dar. Im Folgenden werden thesen formuliert, die sich mit dem grundsätzlichen Einsatz der beruflichen nutzung von Facebook in der Arbeit mit Jugendlichen auseinander-setzen und zudem aufzeigen, weshalb es u. E. besser ist, sich nur über eine unterneh-mensseite zu verknüpfen anstatt über die privaten profile13 der jeweils asymmetrischen BeziehungspartnerInnen.

12 Da die von Facebook eingeführten Begrifflichkeiten zu den verschiedenen Seitenkategorien oft irreführend sind, soll an dieser Stelle noch einmal deutlich darauf hingewiesen werden, dass mit der unternehmensseite alle öffentlichen Seiten von Organisationen, Institutionen und unter-nehmen gemeint sind.

13 Grundsätzlich besteht die möglichkeit eines privaten profils, eines unternehmensprofils und eine mischung beider – in Form von einem privat-institutionellen profil. Auf die letzte möglich-

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51pädagogische Beziehungen im Zeitalter von Facebook

1. Der Einsatz von Facebook erfordert technisches Wissen und die Bereitschaft neue technologien in den Berufsalltag zu integrieren.

Wie durch die JIm- und ARD/ZDF-Studie dargelegt, besteht in den Haushalten, in denen Jugendliche aufwachsen, weitestgehend eine Vollversorgung im Bereich computer/lap-top und Internetzugang. Das reine Vorhandensein dieser technologien impliziert dabei allerdings noch kein gleichermaßen vorhandenes und ausreichendes Wissen über die kor-rekte Bedienung sowie den kritischen und reflektierten umgang mit der technik an sich. Zahlreiche Angebote im Internet werden kommerziell betrieben und über Werbung finan-ziert. Wie sich am Beispiel Facebook gezeigt hat, differenzieren sich die nutzungsmög-lichkeiten zunehmend aus. Der/Die nutzerIn hat es mit einem hochkomplexen System zu tun, dessen Bedienbarkeit nur scheinbar einfach ist. Insbesondere dann, wenn Face-book im beruflichen kontext eingesetzt wird, bedarf es einer intensiven Auseinander-setzung mit den verschiedenen Funktionen. Vor allem Aspekte der Datenspeicherung und -sicherheit gilt es zu verstehen, da durch die nutzung sensible Daten der Jugendlichen in umlauf geraten und folglich der Datenschutz hinreichend gewährleistet sein muss. Daher ist es zwingend notwendig, sowohl die Jugendlichen als auch die pädagogInnen in diesen Bereichen zu schulen. Besonders viele ältere lehrerInnen und Fachkräfte müssen mit den chancen und Risiken der neuen technologien vertraut gemacht werden – nicht zuletzt um die generelle Bereitschaft zum Einsatz zu erhöhen. Dieser Aspekt ist unabhängig davon, ob die nutzung über das private profil oder die unternehmensseite erfolgt.

2. Der Einsatz von Facebook kann das realweltliche professionelle pädagogische Handeln lediglich ergänzen.

Die berufliche nutzung neuer medien weist neben vielen chancen auch Grenzen in der computervermittelten kommunikation auf. Zwar hat sich das Feld der Online-Beratung in den letzten Jahren teilweise als sehr erfolgsversprechend abgezeichnet, Grenzen wer-den jedoch deutlich, wenn der/die zu Beratende ein physisches Gegenüber benötigt. Wei-terhin ist durch einige Besonderheiten schriftsprachlicher kommunikation (z. B. fehlende mimik und Gestik) die Gefahr von missverständnissen und das Risiko von plötzlichen kontaktabbrüchen hoch. Da alle gesellschaftlichen Bereiche von Wandlungsprozessen durch die neuen medien durchdrungen werden, muss sich auch Jugendarbeit und Schule reflexiv mit diesen Wandlungsprozessen und deren Auswirkungen auf die eigenen Hand-lungsweisen auseinandersetzen, um auf die medialen Veränderungen der lebenswelten von Jugendlichen reagieren zu können. konzepte, methoden und Organisationsformen müssen überdacht und ggf. modifiziert und den veränderten Gegebenheiten angepasst werden. Die damit einhergehenden chancen gilt es zu nutzen, vor Risiken gilt es zu schützen und für dieselben zu sensibilisieren. Die einseitige Betrachtung auf die Risiken Sozialer netzwerkseiten wird der Forderung nach einem professionellen pädagogischen Handeln daher nicht gerecht. Grundsätzlich bedarf es eines guten Zusammenspiels zwi-schen den Online- und Offline-praxiswelten. Demnach kann die Verwendung von Face-

keit wird hier nicht eingegangen, da diese Form bei Facebook eigentlich nicht vorgesehen ist und es bereits vermehrt zur löschung solcher profile kommt.

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book nicht als gänzlich neue Form des Handelns angesehen werden, sondern lediglich als weiteres hilfreiches Werkzeug in der Arbeit mit Jugendlichen.

3. Der Einsatz von Facebook kann teilhabemöglichkeiten eröffnen, aber auch zu (ungewollter) Ausgrenzung führen.

In der richtigen umsetzung bieten medial geführte Diskussionen über Facebook durch-aus das potential neuer bzw. anderer möglichkeiten der teilnahme und teilhabe. So ist es jederzeit möglich, der eigenen Stimme Ausdruck zu verleihen und die Aufmerksamkeit auf die eigene meinung zu lenken. Da nicht vorhersagbar ist, inwieweit eine Reaktion erfolgt bzw. ob die eigene Stimme tatsächlich wahrgenommen wird, ist es Aufgabe der lehrerInnen und pädagogischen Fachkräfte, die möglichkeiten von ungewollten oder gänzlich ausbleibenden Resonanzen im Vorfeld zu thematisieren und entsprechende umgangsformen zu erarbeiten. Eine gelungene partizipative nutzung Sozialer netz-werke beinhaltet eben auch die Entwicklung von medienkompetenz, da nur so die eigenen Anliegen tatsächlich eine Öffentlichkeit erreichen. Hier könnte die pädagogische praxis einen Beitrag leisten, indem sie möglichkeiten zur teilhabe nicht nur im virtuellen Raum, sondern auch realweltlich schafft und beide Bereiche miteinander verbindet. Im Bereich der Schule könnte dies über ein unterrichtsmodul zum thema neue medien umgesetzt werden. Da zudem die mitgliedschaft bei Facebook kein verpflichtender Bestandteil der Schule und der Jugendarbeit ist, ist es Aufgabe der professionellen, sich mit dem Span-nungsfeld mitgliedschaft versus Erreichbarkeit auseinanderzusetzen und sicherzustellen, dass es zu keiner Ausgrenzung einzelner Jugendlicher kommt. So gilt es beispielsweise zu vermeiden, dass die Fragen nach einem geeigneten Zielort für eine anstehende klas-senfahrt bzw. Ferienfreizeit lediglich auf Facebook zur Diskussion gestellt werden. Die Gefahr, dass das Gefühl einer ungleichbehandlung entsteht, ist bei der beruflichen nut-zung über das private profil deutlich höher einzustufen als über das unternehmensprofil. Denn zum einen besteht bei letzterem lediglich die möglichkeit der rein öffentlichen kommunikation über die pinnwand, private nachrichten können nicht versandt wer-den. Zum anderen sind unternehmensseiten über die Googlesuchfunktion im Internet für jedermann auffind- und einsehbar, so dass die gesamten kommunikationsverläufe sowohl für Facebook-mitglieder als auch für nicht-mitglieder zumindest gleichermaßen transparent sind. Das problem der fehlenden möglichkeit der aktiven Beteiligung besteht damit jedoch weiterhin. Demzufolge ist es notwendig dies mit allen Beteiligten realwelt-lich zu thematisieren und nach individuellen lösungen zu suchen.

4. Der Einsatz von Facebook bedarf erweiterter Strategien, um die Balance von nähe und Distanz in der professionellen pädagogischen Beziehung zu wahren.

mit der viel diskutierten Öffentlichkeit auf Facebook gehen zahlreiche relevante prozesse einher, die nicht nur Auswirkungen auf berufliche Aspekte, sondern auch auf das pri-vate leben der einzelnen nutzerInnen haben können. Zum einen wird die pädagogische Arbeit an sich öffentlicher, besonders wenn prozesse und Ergebnisse der Arbeit virtu-ell dokumentiert werden. Zum anderen werden die beteiligten personen je nach Sicher-heits- und privatsphäre-einstellung zunehmend öffentlich. Sind für den Jugendlichen zu viele persönliche Informationen des Erwachsenen zugänglich, besteht die Gefahr, dass aus der professionellen Rolle zunehmend eine private wird und sich infolgedessen das

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pädagogische Verhältnis noch virulenter darstellt. umgekehrt stellt sich die Frage, ob es dem professionellen umgang tatsächlich dienlich ist, wenn ein/e lehrerIn oder eine pädagogische Fachkraft Einblick in zu viele private Informationen seiner/ihrer Schüler-Innen bzw. AdressatInnen erhält. Grundsätzlich besteht also auf beiden Seiten das Risiko eines unüberschaubaren publikums, welches Einblicke in für sie nicht bestimmte Inhalte erhalten kann. An dieser Stelle muss betont werden, dass die preisgabe privater Infor-mationen und realer Daten der eigentliche Zweck virtueller Sozialer netzwerke ist und kein unerwünschtes nebenprodukt, wie dies häufig medial dargestellt wird. Dies macht Facebook erst interessant und lebendig, verstärkt jedoch auch die paradoxie pädagogi-scher professionalität im virtuellen Raum. Dadurch wird deutlich, dass sowohl in einer offline als auch in einer online eingegangenen professionellen pädagogischen Beziehung die intensive Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld nähe vs. Distanz unumgäng-lich ist. Die tatsache, dass Facebook von Jugendlichen auch als Raum zur Identitäts-entwicklung genutzt wird, wirft zudem die Frage auf, ob die präsenz Erwachsener dort den Heranwachsenden nicht möglicherweise den Raum zur freien Entfaltung nimmt oder zumindest einschränkt. Auch dieses Argument spricht dafür, die Interaktion nicht über die privaten profile laufen zu lassen.

5. Der Einsatz von Facebook kann zu einem Ineinanderfließen von Arbeitszeit und Freizeit führen.

Reizvoll an Facebook ist u. a., jederzeit mit anderen personen in kontakt treten zu können. Diese situations- und ortsunabhängige möglichkeit der kommunikation, fernab von fest-gelegten Öffnungszeiten, scheint die Hemmschwelle zu senken, den/die lehrerIn bzw. die pädagogische Fachkraft auch in seiner/ihrer Freizeit kontaktieren zu können. Dabei impliziert die möglichkeit, jederzeit kontakt aufnehmen zu können, auch die Erwartung einer schnellen oder zumindest sehr zeitnahen Reaktion (vgl. Brüggen und Ertelt 2011). Dieser Aspekt verdeutlicht wohl am ehesten wie wichtig es ist, sich im Vorfeld gründ-lich damit auseinanderzusetzen, ob die SchülerInnen und AdressatInnen über das private profil zu „Freunden“ hinzugefügt werden. Denn durch die Zustimmung wird ein teil der privatsphäre und der möglichkeit, sich frei im netz bewegen zu können, aufgege-ben. Da der Zugriff auf Facebook verstärkt in den Abendstunden stattfindet, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, zeitgleich mit den Jugendlichen online zu sein und vornehmlich dann von ihnen angeschrieben zu werden, wenn die plattform selbst für private Zwecke genutzt wird14. Wird der Freundschaftsanfrage jedoch einmal zugestimmt, sollte auch auf die Interaktion eingegangen werden, da es ansonsten zu missverständnissen kommen kann, die möglicherweise einen negativen Einfluss auf die professionelle pädagogische Beziehung haben.15

14 Im Februar 2012 erweiterte Facebook die chat-Einstellungen. Es ist nun möglich sich nicht nur pro liste ein- und abzumelden, sondern gezielt nur für einige personen, mit denen eine kom-munikation augenblicklich erwünscht oder unerwünscht ist.

15 Es sei noch angemerkt, dass beim Einsatz von Facebook grundsätzlich über flexiblere Arbeits-zeitmodelle und eine Anerkennung der netzzeit als Arbeitszeit nachgedacht werden muss.

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6. Der Einsatz von Facebook kann im schulischen kontext eine Gefahr für die Objektivität der lehrkraft darstellen.

Über die private Verknüpfung zwischen lehrerInnen und SchülerInnen erfahren beide Seiten, je nach privats- und Sicherheitseinstellung, persönliche Informationen, die weit über den schulischen kontext hinaus gehen können. Die kürzlich im Schulspiegel getä-tigte Aussage einer Schülerin „Außerdem vertraue ich meinen lehrern, dass sie nicht alles weitererzählen, was sie auf Facebook über mich erfahren“ (Böhm 2011, S. 2) verdeutlicht die oft fehlende Auseinandersetzung über die konsequenzen des medialen Handelns und die sorglose Veröffentlichung der Daten. Ein gutes Beispiel sind in diesem Zusammen-hang auf Facebook hochgeladene partyfotos, die den/die SchülerIn alkoholisiert am Vor-abend einer klausur zeigen, was zu einer möglichen negativen Voreingenommenheit der lehrkraft führen könnte. An anderer Stelle berichtete ein lehrer über angebliche Vorteile und beschrieb wie hilfreich es sei, dass nicht nur SchülerInnen, sondern auch Eltern über Facebook zu ihm kontakt aufnehmen, wodurch er auch Informationen über diese erhält (vgl. Böhm 2011). u.E. besteht dadurch die Gefahr eines konstruierten meinungsbildes über die gesamte Familie, da auf Facebook eingestellte Informationen nicht zwingend der Wahrheit entsprechen müssen und die Gefahr von Fehlinterpretationen bei postings hoch ist.

7. Der Einsatz von Facebook kann kommunikations- und kooperationsprozesse im Arbeitsalltag erleichtern.

Für die nutzung von Facebook im Bereich der Jugendarbeit sprechen die niedrigschwel-ligkeit des Angebotes und die gute und zeitnahe Erreichbarkeit der Jugendlichen. Die einfache und direkte sowie situations- und ortsunabhängige möglichkeit der beiderseiti-gen kontaktaufnahme stellt hier einen klaren Vorteil dar. Weiterhin kann die Aufmerk-samkeit ganz gezielt auf themen und Angebote gelenkt werden, die in der angemessenen umsetzung einem breiteren publikum zugänglich gemacht werden können. Dabei bedarf es keines hohen bürokratischen Aufwandes auf Seiten der Fachkräfte, da sich die Infor-mationen über den „Gefällt-mir-Button“ sowie die kommentar- und teilfunktion gemäß des Schneeballprinzips nahezu von selbst verbreiten. Damit wird deutlich, dass Facebook auch ein geeignetes Werkzeug für die Öffentlichkeitsarbeit darstellt, da dies den klassi-schen Flyer als Werbemittel zunehmend ersetzt und so Zeit und Geld anderweitig genutzt werden kann. Schließlich kann eine höhere Anzahl Jugendlicher auf das Angebot zugrei-fen, auch solche, die außerhalb des regional begrenzten Sozialraums leben, was die große Reichweite verdeutlicht. Facebook als weltweite plattform ermöglicht die Zusammen-führung lokaler und translokaler sowie nationaler und internationaler Zielgruppen, was besonders im Hinblick auf kooperationsprojekte16 von Vorteil sein kann. Aber auch die Verknüpfung von pädagogInnen untereinander kann Arbeitsabläufe und den Austausch erleichtern17. Hier ist besonders die möglichkeit von Gruppengründungen hervorzuhe-

16 Im schulischen kontext kann Facebook den Beziehungsaufbau und die -pflege von Austausch-programmen und bestehenden Schulpartnerschaften begünstigen.

17 läuft die kommunikation über das private profil, stellen sich natürlich ähnliche Fragen hin-sichtlich der Öffentlichkeit persönlicher Daten, also ob zu viel privates Wissen über den/die

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ben, die in einem geschlossenen modus einen geschützten kommunikationsraum der mitglieder untereinander bietet. Zuletzt besteht die Verknüpfung von kontakten meist über einen längeren Zeitraum, so dass im Bereich der Jugendarbeit bereits bestehende kontakte für neue projekte angesprochen werden können. Ein unternehmensprofil bietet im Vergleich zu einem privaten profil den deutlichen Vorteil der besseren Übergabe bei einem personalwechsel.

7   Ausblick

Facebook versteht und erlebt man letztlich erst, wenn man sich auf die Begegnungen dort einlässt, es zu kommunikationszwecken nutzt und offen für eine neue Art der Bezie-hungspflege ist. Wie lange diese plattform ihre Vorreiterstellung behaupten kann, ist nicht einzuschätzen. Was aber Bestand haben wird, ist das prinzip virtueller Sozialer netz-werkseiten, deren Bedeutung mit Sicherheit in den nächsten Jahren noch weiter steigen wird. Für kinder und Jugendliche sind sie bereits jetzt schon nicht mehr aus ihrem All-tag wegzudenken. Durch die unaufhaltsame Dynamik technologischer Entwicklungen18 sowie die dargestellten oft differierenden und kontextabhängigen nutzungsweisen der userInnen, stehen pädagogInnen vor den Herausforderungen einer kontinuierlichen Reflexion ihres eigenen virtuellen Handelns und ihrer institutionellen positionierung zu den neuen medien.

Dabei müssen die potentiale genauso ernst genommen werden wie die Risiken. Es gilt, für diesen Bereich personelle wie finanzielle Ressourcen bereitzustellen. Schulun-gen zur allgemeinen medienkompetenzförderung sind für Fachkräfte genauso wichtig wie für kinder und Jugendliche. nicht nur damit sie selbst im eigenen umgang sicherer werden, sie verstehen die kinder und Jugendlichen auch eher und können die Faszina-tion der medien möglicherweise besser nachvollziehen. Die intensive Aneignung von Wissen über die technologien solcher plattformen, vor allem aber der offene Austausch über das jeweilige Rollenverständnis kann zu einer gelungenen Beziehungsgestaltung im realen und virtuellen Raum beitragen. Aufgabe der Schulen und Institutionen ist es daher, eindeutige Handreichungen für einen adäquaten umgang mit Sozialen netzwerkseiten bereit zu stellen und die thematik in den unterricht und die tägliche, praktische Arbeit zu integrieren. Denn eines ist unverkennbar, ein klick bei Facebook scheint oft belanglos, ist aber selten folgenlos.

andere/n förderlich für einen effektiven Arbeitsablauf ist.18 Als wir mit dem Erstellen des Artikels begonnen haben, wurde die Idee der Einführung der neue

Facebook-chronik gerade präsentiert. Inzwischen sind viele private profile umgestellt. unter-dessen ist sogar die umstellung von unternehmensseiten angedacht.

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