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Meine Seele dem Teufel

Date post: 04-Jan-2017
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Page 1: Meine Seele dem Teufel
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Mac KinseyBand 1

Jake Ross

Meine Seele dem Teufel

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Der Befehl lautete, dem Feind entgegenzufliegen und ihn anzugreifen. Es wurde ein Todeskommando.Alle Maschinen vom 19. Spitfire-Geschwader wurden abgeschossen, vergingen in Feuer und Rauch.Vierzig Jahre danach kehrte der Commodore des Ge-schwaders aus dem Reich der Toten zurück. Er wollte Rache üben. Denn damals wurden er und seine Piloten vorsätzlich in den Tod geschickt. Die Luftwaffenlei-tung hatte sie eiskalt geopfert, um dem Feind den er-warteten Großangriff vorzutäuschen…Sorgfältig rieb David Hatfield cremigen Rasierschaum auf das stachelige Kinn. Er blickte in den Spiegel und versorgte auch die stoppelbärtigen Wangen mit Schaum.Wer beim britischen Verteidigungsministerium arbeite-te, ging stets tipptopp rasiert zum Dienst, kleidete sich dezent und benahm sich unauffällig wie eine graue Maus.David Hatfield griff zum Rasiermesser und schnitt sei-nem Spiegelbild eine Grimasse.Plötzlich hatte er das Gefühl, nicht mehr allein im Ba-dezimmer zu sein. Er spürte die körperliche Nähe eines Menschen. Eine frostige, eisige Nähe.Erschrocken ließ er die Hand mit dem Messer sinken. Er hatte nicht gehört, daß sich die Tür geöffnet hatte. Sie quietschte immer. Eine Folge des Duschdampfes. Seit Wochen versprach er seiner Frau, ein paar Tropfen Öl an die Angeln zu tun. Er vergaß es immer wieder.Jetzt streifte ihn etwas. Wie ein Hauch. Er empfand es ganz deutlich.

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Aus entsetzt aufgerissenen Augen starrte er in den Spiegel. Er konnte das gesamte Badezimmer überbli-cken. Groß war es nämlich nicht.Außer ihm selber hielt sich niemand darin auf. Und die Tür war zu.»Enid?« fragte er krächzend. »Bist du es?« Er erkannte seine eigene Stimme kaum, so sehr saß ihm die Angst in der Kehle.Enid konnte es nicht sein. Durch die Decke hörte er sie im oberen Stockwerk mit dem Staubsauger rumpeln. Sie pflegte sehr früh mit der Hausarbeit zu beginnen.Ein Knistern wie von Papier, das in der Hand zerknüllt wird, ließ David Hatfield herumfahren. Da war wirk-lich jemand im Bad. Oder etwas. Abwehrbereit hob er das Rasiermesser. In letzter Zeit war das Wohnviertel mit den schmucken kleinen Landhäusern wiederholt von Einbrechern heimgesucht worden.Seine Hand mit dem scharfen Rasiermesser blieb wie festgefroren in der Luft hängen. Denn etwas stieß ihn wieder an. Etwas, das er nicht sah.Etwas Unsichtbares!Er wollte schreien, wollte aus dem Bad flüchten.Die nackte Furcht schnürte ihm die Kehle zu und na-gelte seine Füße fest. Seine Augen quollen aus den Höhlen.Er starrte auf die Wandfliesen mit dem Bambusdekor gegenüber und auf die Tür und hörte eine vertrocknete geisterhafte Stimme sagen: »Erschrick nicht, David! Ich bin dein Bruder. Heute ist der Tag mein Tag. Vierzig Jahre habe ich darauf warten müssen. Hab keine Angst, dir geschieht nichts, du bist doch immer noch mein kleiner Bruder.«

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Wieder spürte David Hatfield, wie er berührt wurde. Ir-gendwie flüchtig und scheu.Eine Halluzination! sagte er sich. Eine Einbildung! Ich sehe niemand, aber ich höre eine Stimme! Das ist ein ernstes Zeichen. Ich bin überarbeitet. Höchste Zeit, daß ich mit Enid nach Brighton fahre und ein paar Tage aus-spanne. Wir können auch die Kinder besuchen!Das lähmende Entsetzen wich von ihm. Er ließ die Hand mit dem Messer sinken. Seine Nerven waren überreizt, natürlich. Das war die ganze Erklärung.Außerdem hatte er überhaupt keinen Bruder. Und je-mand, den es nicht gab, konnte nicht zu ihm sprechen. Überhaupt kam so eine vertrocknete Reibestimme auf der ganzen Welt nicht vor.Aber wieso hatte er dann seinen Namen gehört?Wieder griff die Furcht wie mit einer eisigen Hand nach David Hatfield. Sein Herz stolperte, setzte zwei, drei Schläge aus.»Du täuschst dich, David!« sagte die reibende Stimme aus dem Unsichtbaren. »Ich bin wirklich dein Bruder. Vor vierzig Jahren bin ich gestorben. Ich bin William. Erinnerst du dich nicht?«

***

William! Es traf David wie ein Schlag.Aus der schon fast verschütteten Erinnerung tauchten bruch-

stückhafte Bilder auf, Szenen aus der Kindheit. Gesichter.Ein Gesicht erstand besonders plastisch. Damit verband sich

die Erinnerung an ein herzhaftes Lachen und an eine Uniform. Die Uniform eines Offiziers der RAF der Royal Air Force. Und an einen Sommertag.

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William war überraschend vom Flugplatz herübergekom-men. William, sein Bruder, den er abgöttisch verehrte. Ein kur-zer Besuch sollte es sein, eben so, wie man die Familie besucht, wenn man mit längerer Trennung rechnet.

Williams Geschwader verlegte an die Kanalküste. Da war der Sprung über das Wasser nur ein Hopser. Der Krieg wurde mit jedem Tag härter. Feindliche Flugzeuge tauchten immer häufi-ger über London auf und warfen ihre Bombenlast ab.

Jetzt sollten die Jagdflieger der RAF ran und den feindlichen Bombern schon über der französischen Küste Zunder geben, daß ihnen das Wiederkommen verging.

Ein neues Bild aus Davids Erinnerung. Drinnen saß die Fa-milie bei Tee und trockenem Kuchen, die Fenster waren geöff-net, es wurde vom Krieg geredet. Aber er tollte draußen mit William herum, hatte sich dessen Fliegerschirmmütze aufge-setzt. Großer Schrecken plötzlich. Das RAF-Abzeichen von der Mütze war verschwunden. Irgendwo im Gras. Und es blieb verloren. William fuhr am Abend mit einer schmucklosen Mütze zum Flugplatz.

Und noch ein Bild entstand. Männer kamen vom Flugplatz, Offiziere, ein Mann in Zivil. Sie schauten betreten, murmelten etwas von ›Schicksal‹ und ›Opfer für Großbritannien‹ und ›Pflichterfüllung‹. Das Gesicht des Vaters war wie versteinert, die Mutter weinte und schlang die Hände ineinander. William war abgeschossen worden. Seine Maschine war in Flammen aufgegangen, und er hatte bis zum Schluß dringesessen.

Seine Fliegerkameraden hatte es auch getroffen. Ein schwar-zer Tag für die RAF. Das gesamte Spitfire-Geschwader, das zur Bomberjagd aufgestiegen war, war brennend vom Himmel ge-fallen.

Die Bilder verblaßten, aber die Erinnerung war jetzt leben-dig.

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William! Er hatte wirklich vergessen gehabt, daß er je einen Bruder hatte. Vierzig Jahre waren eine lange Zeit, und er war damals ja noch ein Kind gewesen.

»Ich ich hatte einen Bruder«, sagte David Hatfield würgend. »Und er hieß William, das ist schon richtig. Aber wer sind Sie wer bist du? Du kannst nicht William sein. William ist tot.«

»Für euch bin ich tot, ja. Ich bin mit meiner Spitfire ver-brannt. Aber ich existiere in einer anderen Welt und warte dar-auf, zu euch zurückzukehren. Heute ist der Tag, heute wendet sich alles.« Die reibende Stimme kam von allen Seiten.

»Du du bist Williams Geist?« fragte David mit zuckenden Lippen und flacher Stimme.

»Sozusagen.« Die Geisterstimme kicherte. »Ich sagte dir doch, du brauchst dich nicht zu fürchten, dir geschieht nichts.«

Ein bösartiger Klang war aus den Worten herauszuhören. So sprach jemand, der von unbändigem Haß zerfressen wurde. »Wem geschieht dann etwas?« fragte David, all seinen Mut zu-sammennehmend.

Ein rasselndes Husten sprang von den Wänden zurück. Dann sagte der Unsichtbare, der sich für William ausgab: »De-nen, die uns in den Tod geschickt haben! Sie haben uns ver-heizt das ganze Geschwader. Jetzt bezahlen sie dafür. Heute ist der Tag, heute offenbart sich alles, du wirst es sehen.«

»Nach vierzig Jahren?« In hoffnungsloser Verzagtheit hob David die Achseln.

»Du glaubst mir immer noch nicht, David. Ich spüre deine Gedanken. Ich bin William, ich werde es dir beweisen.«

»Wie denn?«»Du hast dich an das verlorene Abzeichen von der Mütze er-

innert such es, David. Es liegt im Gras. Nach vierzig Jahren. Ich werde dir noch einen Beweis liefern, du mußt nur die Au-gen offen halten. Und heute im Ministerium wirst du meine

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alte Akte ausgehändigt bekommen. Lies sie, und du wirst be-greifen, daß ich nicht gelogen habe. Bringe die Akte zu Lord Chalfont, hörst du? Es ist wichtig. Tust du es nicht, werde ich vergessen, daß du mein kleiner Bruder bist. Dann werde ich dich hassen, wie ich seit vierzig Jahren die anderen hasse, und ich werde auch dich töten, David. Ich muß es einfach tun. Nie-mand wird mich aufhalten. Es ist alles so bestimmt. Vierzig Jahre habe ich dafür dem Teufel gedient, jetzt kommt meine Zeit.«

David Hatfields aufgestaute Furcht, seine Zweifel und seine Erregung entluden sich in einer Reflexhandlung. Er schleuder-te das Rasiermesser quer durch das Badezimmer.

Er hielt es für wahrscheinlich, daß es Geister gab. Mit ziemli-cher Sicherheit sogar. Aber warum sollte gerade ihm einer be-gegnen? In seinem Badezimmer auch noch? In aller Herrgotts-frühe?

Und dann auch noch Williams Geist?»Zeig dich!« rief er keuchend. »Eher glaube ich dir kein

Wort.«»Das kann ich nicht, David noch nicht. Du mußt mir glauben

und vertrauen, und du wirst die Beweise finden. Aber Gestalt annehmen kann ich noch nicht. Du mußt dich noch etwas ge-dulden. Aber bald, David bald.«

Die geisterhaften Worte hingen wie eine düstere Drohung im Raum.

*

Es ist doch keine Halluzination, dachte David Hatfield be-stürzt. Ich unterhalte mich mit einem Geist! Deshalb hat das Rasiermesser nichts ausgerichtet!

Der unsichtbare Besucher schien genau seine Gedanken le-

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sen zu können, denn er kicherte hohl und heiser und ließ ein krächzendes Husten folgen.

»Du bist sehr unbeherrscht, David«, tadelte er. »Das warst du früher nicht.«

David richtete es die Haare senkrecht auf, als er sah, wie sich das in der Zimmerecke gelandete Rasiermesser zu bewegen begann. Es klappte zu.

Und dann schwebte es langsam vom Boden hoch, beschrieb eine Schleife und kam auf ihn zu. Instinktiv griff er danach, als es in Reichweite war.

Das Rasiermesser wich seiner Hand aus. Ein dunkles rauhes Lachen aus dem Unsichtbaren begleitete das Manöver.

Bis zur Decke schwebte das Messer hinauf. Dann schien es herabzufallen. Aber unvermittelt schoß es von der Seite auf Davids Gesicht zu und schnappte auf. Der Stahl blinkte dro-hend und mörderisch im Schein der Badezimmerbeleuchtung.

»Damit du siehst, was ich kann«, begleitete die Geisterstim-me diese gefährliche Demonstration.

David verstand. Es war eine Warnung. Williams Geist konnte Gegenstände bewegen, konnte durch Mauern und Türen drin-gen, er hatte Macht über Leben und Tod.

Langsam schwebte das Messer vorbei, klappte wieder zu und landete auf der Ablage unter dem Spiegel bei den anderen Toilettenartikeln. Dort lag es und sah ganz unschuldig aus.

Ächzend griff sich David Hatfield an den Hals, als hätte er dort schon die tödliche Schneide der Klinge gespürt. »Warum?« fragte er gehetzt. »Warum kommst du in dieses Haus wenn du William bist?«

»Eine törichte Frage, Bruder«, klang es von allen Seiten. »Das ist mein Elternhaus. Es ist doch selbstverständlich, daß man sich in eine vertraute Umgebung begibt. Du hast einige Um-bauten vornehmen lassen, doch ich finde mich sehr gut zu-

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recht.«»Dann dann spionierst du schon länger hier?« stieß David

entsetzt hervor.»Spionieren ein böses Wort in deiner Welt, Bruder David. Für

mich hat es keinerlei Bedeutung. Ich bin mal hier und mal dort. Ins Ministerium habe ich dich schon begleitet, ich weiß, wo deine Kinder wohnen, und ich habe alle die Leute aufge-spürt, die damals unser Geschwader in den Tod geschickt ha-ben…«

»Das ist doch schon so lange her!« warf David dazwischen. »Wer lebt von denen noch?«

»Genügend, und sie werden meine Rache zu spüren bekom-men. Bezahlen werden sie, wie noch nie ein Mensch bezahlt hat!« Die Geisterstimme war erfüllt von Vernichtungswille und grenzenlosem Haß, der keiner Versöhnung zugänglich war.

Es ist ihm ernst, dachte David beklommen, er ist wahrhaftig gekommen, um Rache zu nehmen! Ich muß ihn davon abbrin-gen! Aber wie? Ein spöttisches Lachen folgte seinen Überle-gungen auf dem Fuß und bestätigte seine Befürchtungen, daß der unsichtbare Geist imstande war, seine Gedanken zu lesen. Auch die allergeheimsten.

»Gib dir keine Mühe, David! Ich weiß zu verhindern, daß du die verantwortlichen Männer von damals warnst. Ich habe Macht über dich, ich kann dich vernichten, wann und wo ich will. Dich, die anderen alle. Du hast doch Kinder, du hängst an ihnen, und du wirst bald Enkel haben, nicht wahr? Du hast auch eine Frau, die dich liebt. Du willst doch nicht, daß deinen Lieben etwas zustößt, oder?«

»Das wirst du nicht wagen!« begehrte David Hatfield auf.»Doch, Bruder, denn mein Haß ist grenzenlos Ich werde alles

vernichten, was sich meinen Plänen in den Weg stellt. Auch

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dich im Notfall.«»Du bist ein Ungeheuer!« stieß David gepeinigt und entsetzt

hervor.Ein gehässiges Lachen war die Antwort. Dann: »Ich bin tot,

warum also beschimpfst zu mich?«»Dann bleibe tot und laß mich in Ruhe!«»Das wäre zu billig, lieber Bruder. Ich war jung und wollte

leben, doch ein paar Männer hatten beschlossen, mich in den Tod zu schicken. Du bist mein Werkzeug.«

»Nein!«»Überlege gut, David. Denke an deine Lieben. Weißt du, wie

lange es dauert, bis ein Mensch in einer brennend abstürzen-den Maschine verkohlt ist, wie lange er noch etwas spürt und empfindet? Versuche es dir vorzustellen. Deine wildeste Phan-tasie reicht nicht annähernd an die entsetzliche Wahrheit her-an. Ich denke, du lernst mich verstehen. Tue, was ich dir ge-sagt habe. Bis bald, Bruder.«

David Hatfield empfing einen aufmunternden Klaps auf die rechte Achsel. Er riß sich zusammen. Dennoch schüttelte es ihn, und er konnte nicht sagen, ob es Ekel oder Widerwillen war oder beides zusammen.

Im nächsten Augenblick wußte er, daß sich Williams Geist fortgemacht hatte. Die eigentümliche Atmosphäre im Bade-zimmer hatte sich verflüchtigt.

Doch für ihn war es keine Beruhigung. Zu deutlich stand die fürchterliche Drohung mit dem Rasiermesser vor seinen Au-gen.

Wie von Sinnen stürzte er hinaus im Pyjama und mit einge-seiftem Gesicht.

*

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Einen Beweis würde er finden, hatte die Stimme aus dem Un-sichtbaren versprochen.

Einen Beweis dafür, daß es sich nicht bloß um einen wüsten Traum handelte.

David Hatfield war kaum zu einem klaren Gedanken fähig. Sein Unterbewußtsein und die Erinnerung lenkten seine jagen-den Schritte in die Gegend, wo damals vor vierzig Jahren die-ses Fliegerabzeichen von der Schirmmütze verloren gegangen war.

In den vier Jahrzehnten hatte der parkähnliche Garten sein Aussehen ganz beträchtlich verändert. Überalterte Bäume wa-ren entfernt, neue gepflanzt worden. Sie standen auch an an-derer Stelle.

Seltsamerweise zog es David wie an einem Faden in die Ge-gend des kleinen Wasserbeckens, das nicht einmal Goldfischen genügend Lebensraum bot.

Die Vögel hatten das Becken als Tränke annektiert.Zwei Amseln flatterten empört davon, als der Hausherr in

unüblicher Aufmachung und zu unüblicher Zeit auf dem Plan erschien.

David merkte, daß ihn etwas trieb und führte und daß er gar nicht Herr seiner Entscheidungen war. Wie in einem Kraftfeld gefangen kam er sich vor.

Und mit einem Schlag fühlte er sich befreit von den unheim-lichen Kräften, die ihn schubsten und zogen und auf nackten Füßen in den Garten drängten.

Dieser Denkzwang an das verdammte Abzeichen fiel auch von ihm ab. Er empfand es, als würde sein Kopf aus einem Schraubstock entlassen, den jemand fest zugedreht hatte.

Sein Blick richtete sich auf den Boden, auf das Gras, das er gestern erst gemäht hatte. Der Rasen war feucht vom Tau.

Da lag das Abzeichen!

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Hart neben dem kleinen Wasserbecken, das es damals noch gar nicht gegeben hatte. Oben auf dem etwas stacheligen Ra-sen. Als hätte es gerade erst jemand hingeworfen.

David Hatfield hob es auf. Er hielt es zwischen den Fingern, als fürchtete er, es könnte von einer Sekunde zur anderen glü-hend werden und ihm Brandwunden zufügen.

Es glänzte wie nagelneu. Es war aus Messing, und die vierzig Jahre hier draußen, der Regen, der Schnee, Sonne und Frost hatten ihm nichts anhaben können.

Nicht eine winzige Spur von Grünspan vermochte David zu finden.

Das war Spuk und Teufelswerk!Aber Williams Geisterstimme hatte ihm ja angekündigt, daß

er das Abzeichen finden werde. Daß es ein Beweis für seine Rückkehr aus der Totenwelt sei. Und eine Untermauerung sei-ner finsteren Drohung.

»Mein Gott!« ächzte David. »Es ist Williams Geist gewesen. Es stimmt alles. Nur er konnte von dem verlorenen Abzeichen wissen. Er hat es jetzt gefunden und mir hingelegt. Jedes Wort von ihm ist wahr.«

Unter der Erkenntnis brach er fast zusammen. Und die Angst um Enid und um seine verheirateten Kinder, die aus dem Haus waren, nahm ihn in ihre unbarmherzigen Klauen.

Rose, die älteste, war in Sheffield verheiratet und erwartete im nächsten Monat ihr erstes Baby. Diana war mit ihrem Mann nach Glasgow gezogen, sie erwartete ebenfalls Nachwuchs.

Williams Geist hatte gewußt, daß Enkel im Anmarsch waren. Demnach hatte er Rose und Diana aufgespürt.

Er weiß alles, dachte David bestürzt. Er kennt sogar Enids Namen. Lieber Himmel, und als er für immer fortging, war ich doch erst ein Junge von zehn Jahren! Er ist allwissend!

Der Mut verließ ihn. Mit einem Menschen, der seine Familie

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bedrohte, konnte er es aufnehmen. Mit einem Geist nicht. Auch nicht mit dem von William.

Er ließ die Schultern hängen und trottete zum Haus zurück.»Bist du von Sinnen, David?« sagte Enid. Ihre Stimme ließ

ihn hochschrecken. »In welchem Aufzug läufst du herum? Dazu den Schaum im Gesicht! Und was soll der Pfeil in der Tür hier bedeuten?«

Sie hatte die Haare auf Lockenwickler gedreht und hielt den flauschigen Hausmantel leicht gerafft. Wie das personifizierte Fragezeichen stand sie auf der Schwelle der Hintertür. Ihre lin-ke Hand wies auf einen Pfeil, der zitternd im Türholz steckte.

Der Pfeil!Hier war der zweite Beweis, von dem Williams Geist gespro-

chen hatte.

*

»Ich habe keine Ahnung, wie er in die Tür kommt«, log David.»Ich habe gehört, wie er eingeschlagen ist«, sagte Enid. »Und

du läufst unrasiert und halb nackt im Garten herum. Im Bad habe ich dich lachen hören. David, fühlst du dich nicht wohl? Was geschieht hier?«

Die Strenge ihres Blickes verblaßte und machte ehrlicher Be-sorgnis Platz.

»Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich müßte in den Garten her-aus«, sagte David. Er merkte, wie ungeschickt er schwindelte. »Es ist absolut nichts, ehrlich. Im Bad habe ich mit mir selber geredet. Das ist doch nicht verboten.«

»Und das da?« Unverwandt wies Enids linke Hand auf den Pfeil.

»Ich habe keinen Bogen, um einen Pfeil zu schießen, und ich habe auch keine Pfeile, du weißt es.« Davids Stimme wurde si-

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cherer. »Vielleicht hat ein Nachbarjunge gestern abend herum-geschossen. Ein nicht ungefährlicher, Sport. Ich will mal her-umhören.«

Er hoffte, Enid damit einzureden, daß sie sich getäuscht hatte und daß sie nicht den Einschlag des Pfeiles im Türholz gehört hatte.

Krampfhaft verbarg er das Abzeichen in der linken Hand.Wenn Enid das auch noch entdeckte, würde sie ganz andere

Fragen stellen. Er konnte ihr dann nicht einreden, sie hätte sich verguckt. Außerdem war er derart aus dem seelischen Gleich-gewicht, daß es ihm zweifelhaft erschien, ob ihm eine gute Antwort einfiel.

Einen Moment lang wurde er schwankend. Sollte er Enid nicht besser ins Vertrauen ziehen und ihr sagen, daß er sich mit dem verstorbenen William im Badezimmer unterhalten hatte? Und daß nicht er gelacht hatte, sondern der unsichtbare Geist!

Die ganze Unmöglichkeit der Situation ging ihm in diesem Augenblick erst richtig auf. Enid würde ihm kein Wort glau-ben, weil es einfach gegen den klaren Menschenverstand ging.

Ein Geist ha! Auch noch einer, der morgens die Leute im Ba-dezimmer heimsuchte und schallend lachte!

Enid würde sich in ihrem leisen Verdacht bestärkt sehen, daß ihm doch nicht gut war, und sein Aufzug und sein Handeln waren nur weiteres Wasser auf ihre Mühle. Wer rannte auch morgens nur mit einer Pyjamahose bekleidet auf nackten Fü-ßen und mit Rasierschaum vor dem Mund im Garten herum? Das war schon sehr verdächtig. Nein, er konnte sie nicht ein-weihen. Enid war eine herzensgute Frau, er konnte sich wirk-lich nicht über sie beklagen. Aber es mangelte ihr an Phantasie.

Außerdem stand wie eine dunkle unheilvolle Drohung die schreckliche Demonstration mit dem aufgeklappten Rasier-

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messer über ihm und dem Leben von Enid und den Kindern.»Komm ins Haus, bevor dich die Nachbarn sehen«, verlangte

Enid resolut und zog an dem Pfeil. Er war nicht tief ins Holz gefahren, der Rand der metallenen Spitze war noch zu sehen.

Der Pfeil saß fest wie eingewachsen.»Ja, was ist denn das?« wunderte sich Enid nicht wenig. Ihr

Gesicht rötete sich etwas und verriet die Anstrengung, die sie unternahm. Das verstehe ich nicht.«

»Laß mich mal!« David sah eine Chance, seine Frau ins Haus abzudrängen. Sie räumte aber nur widerwillig den Platz.

»Mach schon das Frühstück!« rief er ihr nach. Er wartete, bis er sie in der Küche mit Geschirr klappern hörte. Die ganze Zeit fürchtete er, Enid könnte das laute rasende Wummern seines Herzens hören.

Nur mit großer Mühe hatte er seine Erregung vor ihr verber-gen können. Es war des Pfeiles wegen.

Robin Hoods Lieblingspfeil hatten sie ihn damals genannt. Er erkannte ihn genau wieder.

Er hatte ihn von einem Onkel, der zu Besuch kam, geschenkt bekommen. Zu der Zeit war William noch im Haus gewesen. Zum Militär ging er später.

Der Onkel hatte mit wichtiger Miene erzählt, er hätte diesen Pfeil beim Spaziergang im Sherwood Forest gefunden, und ohne Frage hätte er einmal Robin Hood gehört.

David entsann sich genau, wie er voller Ehrfurcht und Be-wunderung das Geschenk entgegengenommen und wochen-lang in Ehren gehalten hatte. Bis William dumme Witze dar-über machte und behauptete, der Onkel hätte den Pfeil be-stimmt nicht im Sherwood Forest gefunden, sondern in einem Sportgeschäft gekauft.

David war sehr betrübt gewesen. Kurze Zeit später hatte William dann auch mal mit diesem Pfeil auf dem selbstge-

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machten Bogen schießen wollen.Und bei diesem Versuch ging der Pfeil verloren. William ver-

schoß ihn. Trotz tagelanger Suche konnten sie ihn nicht mehr finden.

Und jetzt steckte er in der Hintertür! Nach über vierzig Jah-ren!

Ohne ein Anzeichen von Verwitterung oder Beschädigung. So neu wie das Abzeichen von der RAF-Mütze!

David verstand. William hatte noch einmal seine Macht ge-zeigt. Er hatte den zweiten Beweis geliefert. Er hatte das ver-schollene Abzeichen aufgespürt und den verschossenen Pfeil gefunden und beide Gegenstände unübersehbar hinprakti-ziert.

Es war nicht nur ein Zeichen seiner Stärke, die er aus dem Geisterreich heraus wirken ließ, es war ebenso auch eine Un-terstreichung seiner düsteren Drohung.

David faßte den Pfeil am Schaft dicht hinter der ins Holz ge-grabenen Spitze. Mit einem Ruck versuchte er das Geschoß aus der Tür zu ziehen.

Er schrie vor Entsetzen auf, als der Pfeil plötzlich beweglich wie eine Schnur wurde und sich blitzschnell um seine zupa-ckende Hand schlang. Der Zug war mörderisch und schnitt ins Fleisch.

David stemmte das rechte Knie gegen die Tür und wider-setzte sich den Kräften, die seine rechte Hand an das Holz fes-selten. In seinen Ohren begann sein Blut zu rauschen.

Ihm war, als hörte er das geisterhafte Lachen von William. Aus weiter Ferne aus jener anderen unbegreiflichen Welt. Ein siegessicheres und triumphierendes Lachen.

»Was ist denn jetzt schon wieder?« fragte Enid. Sie hatte Da-vids Schreckensruf in der Küche vernommen und kam in größter Besorgnis nachsehen.

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Der Pfeil, der zu geisterhaftem schlangengleichen Leben er-wacht war, gab Davids Hand frei und streckte sich. Und ganz ohne Zutun von David bohrte er sich selbsttätig aus dem Tür-holz und fiel ihm in die Hand.

»Hast du dich verletzt?« Enid ließ ihre kritischen Blicke über ihren Mann gleiten. Sie wußte nicht, was mit ihm los war. Er benahm sich so ganz anders als sonst.

Und er bot ein wahrhaft groteskes Bild mit dem antrocknen-den Rasierschaum im Gesicht.

»Nein, ich habe mich nicht verletzt, das siehst du doch«, er-widerte David patzig. »Der Pfeil saß nur so fest.«

Er hielt das gefiederte Geschoß in der Hand. Sie betrachtete es nachdenklich und hob dann die Achseln. »Dann sieh zu, daß du fertig wirst«, sagte sie. »Das Frühstück ist gleich so-weit.«

David legte den Pfeil auf die Ablage unter der Garderobe. Seine Frau hantierte wieder in der Küche. Bevor er ins Bad zu-rückkehrte, steckte er das verschollene und auf geisterhafte Weise wieder zum Vorschein gekommene RAF-Abzeichen in seine Aktentasche. Er hielt es nicht für vorteilhaft, es herumlie-gen zu lassen. Besser, es begleitete ihn.

Vorsichtig bewegte er die rechte Hand. Sie schmerzte. Der Geisterpfeil hatte rote Striemen hinterlassen. Ein Wunder, daß Enid sie nicht entdeckt hatte.

Sie machte eine andere Entdeckung. Daß ein Pfeil in ihre Hintertür gefahren war, beunruhigte sie. Sie schaute sich die Sache deshalb noch einmal an.

Als David zehn Minuten später rasiert und fertig angezogen ihr gegenüber am Frühstückstisch Platz nahm, musterte sie ihn ganz eigenartig und sagte: »Der Pfeil hat so fest in der Tür gesteckt, daß ich ihn nicht herausgebracht habe. Ich war eben noch einmal draußen. Es müßte doch ein Loch in der Tür

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sein.«»Müßte!« bestätigte David kauend und bereute im nächsten

Moment, nicht gründlicher nachgedacht zu haben. Aber es war zu spät.

»Es ist aber kein Loch da«, sagte Enid und betonte jedes Wort. »Ich bin sogar mit dem Finger darübergefahren. Man kann nicht einmal etwas spüren. Die Farbe ist unbeschädigt. Was geht hier vor?«

David verschluckte sich. Mit hochrotem Kopf rang er nach Atem.

»Nichts!« krächzte er. »Nichts geht hier vor. Ich verstehe es auch nicht, wenn kein Loch in der Tür ist.« Er griff nach der Teetasse wie nach einem Rettungsring.

»Möchtest du es dir nicht ansehen?« Enids Brauen gingen langsam und ausdrucksstark in die Höhe. Mit David war et-was, mochte er auch noch so sehr das Gegenteil beteuern. Seit fünfundzwanzig Jahren war sie mit ihm verheiratet; sie kannte ihn in und auswendig.

David vermied es, ihr in die Augen zu sehen. »Ich habe kei-nen Grund, dir zu mißtrauen. Wenn du sagst, da ist kein Loch, dann glaube ich das. Aber wie soll ich dir erklären, daß der Pfeil kein Loch hinterlassen hat, wenn ich das selber nicht ver-stehe? Du, sei mir nicht böse, ich bin schon sehr spät dran, ich muß jetzt weg.«

Sie spürte, daß er die Unwahrheit sagte. Warum belog er sie?

*

Er pflegte mit dem Bus ins Verteidigungsministerium zu fah-ren. Seit Jahren verzichtete er auf den kleinen Wagen. Er über-ließ ihn Enid. Sie konnte damit ihre täglichen Besorgungen leichter erledigen.

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Das hatte außerdem noch den Vorteil, daß er nicht gezwun-gen war, stets aufs neue einen Parkplatz aufzutreiben. Viele Kollegen kamen schon geschafft zum Dienst, weil sie sich an der morgendlichen Balgerei um einen günstigen Parkplatz be-teiligt hatten.

Was dann wiederum Lord Chalfont ergrimmte. Er war David Hatfields Chef, er leitete die Geschichtsabteilung des Ministe-riums, er wünschte ausgeruhte Mitarbeiter zu sehen und hatte entschieden etwas dagegen, wenn sie auffielen. Und wenn es nur beim Gerangel um einen Parkplatz war.

Heute morgen waren die Straßen überlastet und die Busse brechend voll. David Hatfield hatte andere Sorgen, als sich Ge-danken darüber zu machen, warum der Londoner Verkehr mal wieder aus allen Nähten platzte.

Das Erlebnis daheim hatte bei ihm einen Schock ausgelöst. Williams Geist war es bitter ernst mit der Drohung. Das war schon damit bewiesen, daß ihm William zwei Beweise in die Hand gespielt hatte.

David bereute jetzt, Enid nicht ins Vertrauen gezogen zu ha-ben. Die schreckliche Drohung wäre damit zwar nicht aus der Welt geschafft gewesen, sie hätten aber zu zweit überlegen können, was zu tun war.

Noch war es nicht zu spät. Er mußte das Gespräch mit ihr führen. Heute abend gleich.

Erboste das aber nicht Williams Geist? William hatte die fa-miliären Verhältnisse ausgekundschaftet. Vielleicht hielt er das Haus unter Beobachtung und verhinderte auf eine grausame Art die Aussprache.

Womöglich befand er sich hier im Bus, unsichtbar, und fuhr mit zum Ministerium, weil er sich davon überzeugen wollte, daß seine Anordnungen befolgt wurden und Lord Chalfont die Akte William Hatfield ausgehändigt bekam.

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Rache wollte er üben!David spürte, daß es ihn überrieselte wie Fieberschauer.

Ängstlich schaute er nach rechts und links. Wenn William un-sichtbar zugegen war, wo hielt er sich dann auf?

Dort neben dem alten Mann, der ihn so eigenartig anstarrte? Oder neben der schmutzigen betrunkenen Frau, die fortwäh-rend aus einer Flasche einen undefinierbaren Fusel in sich hin-einschüttete und zwischendurch brabbelnde Selbstgespräche führte? Deshalb wohl war der Platz an ihrer Seite frei. Die Leu-te standen lieber, als sich in die Schnapswolke zu setzen.

William konnte neben der Frau Platz genommen haben. Ei-nem Geist konnte eine alkoholische Dunstwolke sicher nichts anhaben.

Oder hatte er sich zwischen die Fahrgäste im Mittelgang ge-zwängt? Er konnte auch auf der Plattform sein. Oder auf der Treppe zum Oberdeck.

Und wenn William ihn belogen hatte und doch schon menschliche Gestalt annehmen konnte? Wenn er nur das Ge-genteil behauptet hatte, um sich unerkannt bewegen zu kön-nen?

War der vierschrötige Mann, der ihm seinen schlechten Atem in den Nacken blies, etwa William?

Oder verbarg er sich in einer dieser Punker-Gestalten, die ge-rade an der Haltestelle Picadilly Circus mit Gejohle und pro-vozierenden Reden in den Bus drängten?

Der rote Doppeldeckerbus fuhr an, die Fahrgäste schwank-ten wie Schilf im Wind. Ein paar Sitzreihen weiter ereignete sich ein Zwischenfall. Eine Frau mit sandfarbenem Haar, nicht jung, nicht alt, irgendwo dazwischen, war halb vom Sitz auf-gesprungen. »O Gott, ich meinte doch nicht Sie! Sehen Sie ihn denn nicht da?« Sie sprach bestürzt zu einem Mann, der toten-bleich neben ihrem Sitz stand und den Eindruck erweckte, als

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würde er im nächsten Augenblick ohnmächtig umsinken.Die Situation war so, daß David Hatfield spürte, daß etwas

vorausgegangen war. Jetzt warf die Frau den Kopf herum und schaute aus schreckgeweiteten Augen zu ihm her.

Blödsinn! sagte sich David, sie meint mich nicht! Was habe ich mit ihr zu tun? Ich kenne sie nicht!

Sie schielte in die Runde. Er war nicht sensationslüstern. Es interessierte ihn aber schon, wen sie aufs Korn genommen hat-te. Und warum sie derart entsetzt war.

Ihm wurde unbehaglich. Ihre Blicke galten nicht irgendwem, sondern unverkennbar ihm!

Ihre Augen schienen plötzlich zu brennen. In einem unheim-lichen Feuer. Ihre Blicke schnitten auf eine unerklärliche und erschreckende Weise in sein Inneres.

Er fühlte Panik aufkommen.Meinte sie gar nicht ihn, meinte sie womöglich William? War

dessen Geist doch neben ihm?Das hieß ja, die Frau konnte ihn sehen!Er bekam Platzangst, er wollte heraus aus dem Bus. Ihm war

zumute, als müßte er schreien.Der Zwischenfall wurde auch von anderen Fahrgästen wahr-

genommen. Ein paar Gesichter wandten sich der Frau und dem immer noch taumelnden Mann zu.

Aber der schien den Schwächezustand erstaunlich schnell zu überwinden. Er schüttelte sich, als wollte er Wassertropfen los-werden, starrte die Frau an und sagte etwas. David verstand es nicht. Er registrierte nur, daß der Mann recht sympathisch wirkte und sehr salopp gekleidet war.

Geschiebe und Gedränge entstand dort plötzlich. Ein Arm schnellte hoch, eine Hand griff zu. Die Frau mit dem eigenar-tig brennenden Blick schrie auf. Und schon flog eine Handta-sche durch die Luft.

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Unweit von David riß einer der Punker die Arme hoch, fing die zugeworfene Tasche auf und boxte sich rücksichtslos zur Plattform durch. Zwei andere folgten ihm. Auch der Kerl, der der Frau die Handtasche entrissen hatte, wühlte sich durch die Fahrgäste, bevor jemand richtig begriff, was sich abspielte.

Der Bus näherte sich dem Bereich der nächsten Verkehrsam-pel, und der Fahrer ließ ihn schon langsamer rollen. Die Pun-ker hatten das sorgsam bedacht. Sie sprangen von der Platt-form. Einer hielt die erbeutete Handtasche an sich gedrückt.

Die Dreistigkeit und Routine sagten genug. Die Punker führ-ten einen derartigen Raub nicht zum erstenmal aus. Vielleicht lebten sie sogar davon.

»Haltet die Strolche auf!« rief jemand. »Warum hält sie denn niemand auf?«

Der salopp gekleidete Mann bei der so schamlos beraubten Frau kam in Bewegung. Er quetschte sich unzart an den Fahr-gästen vorbei, rief der Frau etwas zu, das für David Hatfields Ohren beruhigend klang, und sprang ebenfalls von der Platt-form.

Die Punker türmten gerade um die Ecke Panton Street. Der Mann setzte ihnen nach. Er lief wie eine frisch aufgezogene Ta-schenuhr. Ohne Frage trieb er viel Sport.

Der Bus hielt, und nun drängte auch die Frau hinaus. Ein Bobby tauchte draußen auf. Der Busfahrer kurbelte das Fens-ter herunter und rief ihm etwas zu. Ein paar Fahrgäste steuer-ten von der Plattform aus ihren Senf bei.

Der Polizist schaute zur Ecke Panton Street. Er war unent-schlossen, ob er die Verfolgung aufnehmen sollte. Dann nahm er sich der Frau an.

Wie es David Hatfield aber vorkam, war ihr das nicht recht.Der Bus bekam Grün und fuhr weiter. Die Szene blieb zu-

rück.

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David war immer noch maßlos bestürzt. Was hatte die Reak-tion der Frau zu bedeuten gehabt? Hatte sie Williams Geist ge-sehen? Oder hatte das gar nichts mit William und ihm zu tun gehabt? Hatte ihr Erschrecken, ihr Ausruf einem der Punker gegolten, der sie womöglich schon einmal beraubt hatte?

David ertappte sich dabei, daß er wünschte, daß es so war. Aber er wurde seine Angst nicht los. Sie begleitete ihn ins Mi-nisterium.

Eine starke Unruhe gesellte sich hinzu. Der Geist hatte ge-sagt, heute sei der Tag sein Tag, und es sei alles bestimmt.

David erwog, sich krank zu melden, heimzufahren und mit Enid ein paar Tage zu verreisen. Er fürchtete sich vor dem, was der Geist angekündigt hatte. William wollte Rache üben.

Das durfte doch nicht sein.»Na, Hatfield, wollen Sie nicht endlich mit der Arbeit begin-

nen?« sagte eine Stimme, und David schreckte hoch. »Oder ist Ihnen nicht gut? Sie sehen schlecht aus, mein Lieber.«

»Nichts – es ist nichts, Sir!« stotterte David, hängte den Schirm an den Kleiderständer und trug die Aktentasche zu sei-nem Schreibtisch. Sie kam ihm auf einmal schwer wie Blei vor.

Er fürchtete, daß die Ursache das nach vierzig Jahren aufge-tauchte RAF-Abzeichen war.

Sorgfältig schloß er die Tasche ein. Sein Bürochef beobachtete ihn immer noch. Der Mann stand unter der Tür zum Neben-zimmer.

»Heute quellen die Straßen wieder mal über«, sagte der Chef und blickte ungehalten auf drei noch nicht besetzte Ar-beitsplätze. Die Mitarbeiter steckten noch im Verkehrsgewühl. Oder sie stritten sich wieder um einen Parkplatz. »Holen Sie aus dem Archiv, was für heute ansteht, Hatfield.«

»Sofort, Sir.«David begab sich zum Archiv. Die Geschichtsabteilung im

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Verteidigungsministerium hatte die Aufgabe, die militärische Vergangenheit Englands zu bewältigen.

War eine angemessene Frist verstrichen, wurde geprüft, ob gewisse militärische Vorkommnisse und Ereignisse der Öffent-lichkeit bekannt gemacht wurden.

Die Fristen schwankten zwischen zwanzig und achtzig Jah-ren. Eine Veröffentlichung war in aller Regel nur noch für His-toriker bedeutsam.

Manche Dinge aber waren auch nach Achtzig Jahren noch so geheim, daß sie im sicheren Archiv verbleiben mußten. Nicht, weil ein ehemaliger militärischer Gegner noch einen Nutzen aus der Veröffentlichung hätte ziehen können, sondern weil es oft um sehr delikate persönliche oder politische Dinge ging.

Zum Beispiel wären das offizielle England und der Bucking-ham-Palast hellauf entsetzt gewesen, wenn öffentlich bekannt gemacht worden wäre, daß die als überaus sittenstreng ge-rühmte Königin Viktoria jahrelang ein heftiges Liebesverhält-nis mit ihrem Stallmeister unterhalten hatte.

Es war auch niemand gedient, wenn kundgetan wurde, wel-che horrenden Summen die englischen Vizekönige einst aus Indien herausgeholt hatten.

Oder mit welchem militärischen Druck sich Britannien da-mals in das Geschäft mit dem persischen Öl eingeschaltet hat-te.

Aber nicht nur damit gab sich die Geschichtsabteilung ab. Erst kürzlich hatte sie das Testament eines Freibeuterkapitäns veröffentlichen müssen, der vor zweihundert Jahren gestorben war. In dem Testament stand nutzloses Zeug, aber dem Willen des längst verblichenen Seeräuberkapitäns war Genüge getan. Und darauf kam es an.

»Das ist alles für heute«, sagte der alte Wilmington, als David den Ausgaberaum des Archivs betrat. Wilmington waltete seit

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undenklichen Zeiten hier; David meinte, er sei schon ein alter Mann gewesen, genau so verstaubt und zerknittert wie seine Akten, als er hier begonnen hatte.

Auf der Barriere, die den Raum in zwei Hälften teilte, hatte Wilmington die Akten des Tages aufgehäuft. Er schlurfte her-bei und schaute David an wie ein kurzsichtiger Maulwurf. Vielleicht lag's daran, daß nie Tageslicht in das Archiv fiel.

David streckte die Hände nach dem Aktenstapel aus. Eine Bewegung des verschrumpelten Wilmington ließ ihn innehal-ten. »Ist eigenartig«, brabbelte der Alte und wies auf die Ak-ten, »da heißt einer wie du. Auch Hatfield. Allerdings William. War Pilot. Sie haben ihn runtergeschossen.«

Ich weiß, wollte David sagen. Im letzten Moment besann er sich und hielt den Mund.

Wilmington wartete auf eine Reaktion. Die kam nicht.»Hätte ja sein können«, brummte er enttäuscht und überließ

David Hatfield die gestapelten Akten. »Bring mir davon nichts wieder. Ich habe genug von dem Zeug.«

Die geringschätzigen Worte ließen David zusammenzucken. In den Akten steckten Menschenschicksale. Aber die Men-schen hatten vor mehr oder weniger langer Zeit gelebt, und ihr Schicksal war jetzt nur noch ›Zeug‹.

Sein Gruß an den Alten fiel ungewöhnlich knapp aus. Wil-mington zwinkerte ihm nach.

Auf dem Flur trat David Hatfield in eine der altertümlichen Fensternischen und wühlte die empfangenen Akten durch. Wilmington hatte sie nur ungenügend vom Staub befreit.

Da Lieutenant William Hatfield!David hielt die Akte seines Bruders in der Hand. Auf dem

Deckel waren Geburts- und Sterbedatum angegeben und die letzte Einheit.

Am Datum sah er, daß William exakt vor vierzig Jahren ab-

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geschossen worden war. Auf den Tag genau.Er wollte sich nicht wundern, wenn es auch auf die Stunde

genau stimmte.Ängstlich schaute er nach rechts und links und lauschte auf

näherkommende Schritte. Am Ende des Flures klappte eine Tür, eine Stimme sagte etwas, das durch den Hall nicht zu ver-stehen war. Dann trat wieder Ruhe ein.

David löste die verschnürten Bänder. Er wollte Einsicht in die Akte nehmen und herausfinden, weshalb Williams Geist auf grausame Rache sann.

Vor Entsetzen ließ er den ganzen Stapel fallen, als die wohl-bekannte Geisterstimme neben ihm sagte: »Tu's nicht, Bruder David! Laß sie geschlossen, oder du stirbst auf der Stelle! Es ist mir ernst damit. Trage die Sachen zu Lord Chalfont, wie ich es dir aufgetragen habe.«

Die Stimme war böse und feindselig.Allmächtiger, er ist da! dachte David. Er ist in meiner Nähe.

Er war es die ganze Zeit! Er überwacht mich. Er traut mir nicht!

»Ja, ich – ich trage die Sachen sofort hin!« stotterte er und hob die Akten vom Boden auf.

Er hatte abgrundtiefe Angst. Es gelüstete ihn nicht mehr, in Williams Akten hineinzusehen. Er hielt den Tod in der Hand. Aber er wollte leben.

Er trug die Akten, als seien sie mit hochbrisantem Spreng-stoff gefüllt und könnten bei der geringsten Erschütterung de-tonieren.

Nur weg damit! Es war ihm jetzt gleichgültig, welche Rech-nung William mit Lord Chalfont und anderen zu begleichen hatte.

Lord Chalfont leitete die gesamte Geschichtsabteilung. Er war wahrscheinlich noch älter als Wilmington, aber im Gegen-

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satz zu dem war er unleidlich und erfreute sich keiner Beliebt-heit bei den Mitarbeitern.

Sein Büro lag auf dem gleichen Flur. Eine vertrocknete Sekre-tärin regierte in seinem Vorzimmer.

Die stark angejahrte Dame nahm David Hatfields Gruß gnä-dig zur Kenntnis, dankte ihm aber nicht. Sie war so unhöflich wie ihr Chef. Ihre Blicke dirigierten Hatfield zu der lederge-polsterten Tür, hinter der Lord Chalfont residierte.

Sie sah, daß er Akten brachte. Wieder dieses alte verstaubte Zeug. David Hatfield trat ein.

Lord Chalfont las in einem Journal, umgeben von Erinne-rungsstücken an seine Zeit, als er dem obersten britischen Ver-teidigungsrat angehört hatte. Er hielt es nicht einmal der Mühe wert, hochzusehen und den Besucher zu mustern.

David Hatfield bewegte sich fast auf den Außenkanten der Sohlen und legte die Akten auf einen Beistelltisch. Dort wur-den sie immer deponiert. Bis Lord Chalfont geruhte, sie zu sichten und zu bestimmen, was davon veröffentlicht werden konnte falls Bedarf bestand, und was zurück ins Archiv wan-derte und weiterhin der Geheimhaltung unterlag.

David blieb stehen und räusperte sich. Er wollte Lord Chal-font einen Wink geben, ohne Williams Geist zu reizen, der ohne Zweifel mit in den Raum gekommen war.

»Die heutige Arbeit, Sir!«Langsam faltete Lord Chalfont das Journal und hob den

Kopf. Sein eisiger Blick spießte David förmlich an die Wand.»Und warum entfernen Sie sich nicht, Hatfield?«Die Stimme drückte Mißbilligung und Geringschätzung aus.

So sprang Lord Chalfont mit allen Mitarbeitern um. David Hatfield war es gewöhnt. Dennoch trafen ihn die Worte wie eine Ohrfeige.

Er wollte doch nur Lord Chalfont eine versteckte Warnung

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zukommen lassen. Aber der Lord kanzelte ihn schnöde ab wie einen lästigen Bittsteller.

David Hatfield seufzte und zog sich aus dem Zimmer zu-rück. Er hatte es versucht. Mehr durfte er nicht riskieren, woll-te er Enid und die Kinder und die Schwiegersöhne und die un-geborenen Enkel nicht gefährden.

Er kehrte in sein Büro zurück und sank wie ein Häufchen Elend hinter seinem Schreibtisch zusammen. Das Verhängnis nahm seinen Lauf; er konnte es nicht mehr aufhalten.

*

Lord Chalfont las noch eine ganze Weile in seinem Journal. Erst als er auf dem Flur Geschirrgeklapper hörte, legte er es beiseite. Die Tee-Madam machte mit dem Servierwagen die Runde.

Aus dem Journal rutschte ein Magazin heraus. Auf dem Ti-telbild waren zwei splitternackte Mädchen abgebildet. Lord Chalfont hatte genüßlich in diesem Magazin geblättert und das Journal lediglich als Deckblatt benützt.

Hastig schob er das Magazin in das unverfängliche Versteck hinein.

Sein Blick fiel auf den Beistelltisch. Bis die Tee-Madam kam, konnte er ja noch die alten Akten sichten.

Gelangweilt las er die Beschriftung der Aktendeckel. Dann stutzte er.

Hatfield?War das nicht eben David Hatfield gewesen, der die Stücke

aus dem Archiv herbeigeschleppt hatte?Der Mann, um den es in der alten Akte ging, hieß William

Hatfield. Ein eigenartiger Zufall.Lord Chalfont löste die Verschnürung. Als er den Aktende-

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ckel hob, prallte er zurück. Zischend fuhr ihm ein heißer Luft-stoß ins Gesicht.

Im Nu roch es im Zimmer abscheulich nach verbranntem Öl und anderen undefinierbaren Sachen.

Dazu drang ein fürchterliches Krächzen aus den Wänden des Zimmers.

Entsetzt schlug Lord Chalfont den Aktendeckel zu. Was war das? Woher kamen die Geräusche? Und der entsetzliche Ge-stank?

Er riß ein Fenster auf. Der Geruch des verbrannten Öls wollte sich nicht verflüchtigen. Er nistete sich förmlich ein.

Lord Chalfont wischte sich über die Augen.Und dann sah er auf dem Schreibtisch das Papier liegen. Ein

Briefbogen seiner Abteilung. Mit Buchstaben in einer steilen Handschrift bedeckt.

Eben hatte er noch nicht da gelegen.Das war unheimlich. Er spürte, daß ihm eigenartig wurde.

Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Das grenzte an Spuk.Er kniff die Augen zu und hoffte, daß das Papier verschwun-

den war, wenn er sie öffnete.Der Bogen lag noch immer an seinem Platz.Mit zitternden Händen griff er nach dem Papier. Ein Kloß

saß in seiner Kehle. Eine unerklärliche Angst würgte ihn.Er hatte das Gefühl, das Herz würde ihm aus dem Leib geris-

sen, als er las. Da i standen nur ein paar Worte.DEINE ZEIT IST UM, LORD CHALFONT. DU STIRBST.WILLIAM HATFIELD, COMMODORE DES 19. SPITFIRE-

GESCHWADERS.

*

Lord Chalfont brach der kalte Angstschweiß aus.

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Neunzehntes Spitfire-Geschwader!Es war schon sehr lange her, eine Ewigkeit fast, aber blitzar-

tig und mit grausamer Deutlichkeit stand die Vergangenheit vor ihm auf.

Er hatte damals das 19. Spitfire-Geschwader in den Tod ge-schickt. In Absprache mit Luftmarschall Sir Arthur Harris. Es war eine militärische Notwendigkeit gewesen. Damals im Jah-re 1942. Achtundvierzig brave englische Jungens hatten sie verheizt.

Das Geschwader hatte einen Angriff auf die feindlichen U-Boot-Stützpunkte an der bretonischen Atlantikküste fliegen müssen, um den längst erwarteten englischen Gegenschlag vorzutäuschen. Erwartungsgemäß hatte der Feind alle greifba-ren Abfangjäger zusammengezogen und dem Geschwader entgegengeworfen.

Im Sperrfeuer der Flak und im Abwehrfeuer der feindlichen Jäger war das 19. Spitfire-Geschwader vergangen.

Massierte Bomberstaffeln hatten dadurch aber die Chance er-halten, weit ins Hinterland vorzustoßen. Auf einem anderen Kurs. Und die feindlichen Nachschublinien zu unterbrechen.

Es war Krieg gewesen, und niemand hatte nach den Opfern gefragt, die jede Seite bringen mußte.

Im unterirdischen Hauptquartier der britischen Bomberkom-mandos, das damals draußen in High Wycombe westlich von London lag, war beschlossen worden, das 19. Geschwader zu opfern. Um den Bombern ihren vernichtenden Angriff zu er-möglichen.

Die Namen der armen Teufel, die damals in den sicheren Tod geflogen waren, kannte er nicht. In vierzig Jahren vergaß man Namen. Nicht aber das Schicksal der Piloten. Und des Ge-schwaders.

Schon möglich, daß der Commodore Hatfield geheißen hatte.

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Ein irrwitziger Zufall, daß in seiner Abteilung ebenfalls ein Hatfield arbeitete.

Oder war es kein Zufall?Der Mann hatte vorhin die Akten hereingebracht. Hatte er

das Papier geschickt auf den Schreibtisch praktiziert?Lord Chalfont starrte auf die Schriftzüge. David Hatfields

Handschrift kannte er. Diese nicht. Sie sah nicht verstellt aus.Das Entsetzen griff ihm mit kalter Hand an die Kehle.Der heiße Luftstoß aus den alten Akten des William Hatfield,

der Gestank nach verbranntem Öl, diese unheimliche Drohung das war ein böses Omen.

Nein, David Hatfield hatte dort drüben am Beistelltisch ge-standen, er war nicht in seine Nähe gekommen, er hatte un-möglich den Zettel mit der gruseligen Drohung auf den Schreibtisch legen können.

Aber wer dann?Versuchte jemand, ihn in Angst und Schrecken zu versetzen?

Er war bei seinen Untergebenen nicht gut gelitten, er wußte das. Rieb sich jemand auf diese Weise an ihm?

»Feiges Pack!« keuchte Lord Chalfont. Seine welke Haut straffte sich, sein Gesicht bekam rote Flecken. »So nicht! Und nicht mit mir!«

Er zerknüllte die unheimliche Drohung und schleuderte die Papierkugel in seine Schreibtischschublade. Sein Blick fiel da-bei wieder auf die Akten William Hatfield.

Jemand mußte gewußt haben, daß er heute diese Akte auf den Tisch bekam. Jemand hatte den geschmacklosen Scherz gemacht und die Drohung mit William Hatfield unterzeichnet.

Seltsam nur, daß auf keinen Mitarbeiter die Handschrift paß-te.

Erbost und zugleich von geheimem Grauen geschüttelt warf Lord Chalfont das Fenster zu. Sollte der infernalische Gestank

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doch im Raum bleiben, wenn er nicht abziehen wollte. Und was kümmerte es ihn, wenn sich die Tee-Madam sanft wun-derte? Er pfiff auf ihre Meinung.

Er wandte sich nach dem Schreibtisch um, die rechte Hand ausgestreckt, um den verdammten Aktenstapel fürs erste bei-seite zu schieben. Mitten in der Bewegung verharrte er und blieb dann stocksteif stehen.

Jemand hatte krächzend gehustet! Wie eben schon.Nur kam diesmal das gräßliche Geräusch nicht von den

Wänden, sondern aus der Ecke neben dem Schreibtisch.Lord Chalfont erschrak bis in den hintersten Winkel seiner

Seele.Er hatte niemand ins Zimmer treten hören. Aber es war je-

mand da. Sofort dachte er an die Drohung, die er immer noch für einen bösartigen Scherz halten wollte.

Es war kein Scherz, in der Ecke stand eine Gestalt. Ziemlich absonderlich gekleidet. Zerlumpt regelrecht. Mit einer altmo-dischen Autofahrerhaube auf dem Kopf und einer hochge-schobenen Schutzbrille.

Lord Chalfont zog es den Magen in die Tiefe. Wie war denn dieser sonderbare Besucher an seiner Sekretärin vorbeigekom-men? Der einzige Weg in sein Büro führte durch sein Vorzim-mer. Und die unvergleichliche, wenn auch reizlose Miß Picke-ring hätte einen solchen zerrupften Besucher mit der Feuer-zange angepackt und an die frische Luft befördert, ihn aber niemals durchgelassen.

Die absonderliche Gestalt bewegte sich. Lord Chalfont hatte Zeit, sie näher zu betrachten.

Was er für abscheuliche Lumpen hielt, mit denen sich der unheimliche Besucher kleidete, sah mehr und mehr wie eine Uniform aus. Der Stoff hatte eine undefinierbare Farbe. Ir-gendwo zwischen Khaki und Olivgrün. Die Füße steckten in

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weichen halbhohen Stiefeln. Auch sie waren zerlumpt. Aber sie erinnerten ihn an Fliegerstiefel, wie sie im 2. Weltkrieg von den Piloten der Royal Air Force getragen wurden.

Sein Blick glitt tastend höher. Der Besucher hatte den Ober-körper in eine damals übliche Lederjacke gezwängt.

Jetzt erschrak Lord Chalfont bis ins Mark.Das war genau so eine Uniform, wie sie damals die Spitfire-

Piloten trugen. Und was er für zerlumpt hielt, waren in Wahr-heit Brandlöcher! Die ganze Fliegerkombination war übersät mit grauenhaften Brandlöchern. Darunter sah er Fleisch. Ro-hes Fleisch und verbranntes!

Er roch jetzt auch den widerlich süßlichen Geruch.Der Besucher hatte langsam den Kopf bewegt. Jetzt war das

Gesicht Lord Chalfont zugekehrt.Oder besser gesagt das, was einmal ein Gesicht war.Es war durch Feuer grauenhaft entstellt. Praktisch bestand es

nur noch aus Knochen und ein paar Fleischfetzen. Aber es leb-te.

Auch die Augen lebten. Sie waren nicht erloschen, nicht ver-brannt.

Gnadenlos war ihr Ausdruck. Starr blickten sie auf Lord Chalfont.

Ein Alptraum! dachte der. Meine Nerven spielen mir einen Streich!

Das Gesicht verzerrte sich auf grauenvolle Art. Der Unterkie-fer bewegte sich. Der schreckliche Gast begann zu sprechen. »Dämmert es dir jetzt, Lord Chalfont? Erinnerst du dich?«

Lord Chalfont wich angstbebend bis ans Fenster zurück. Ab-wehrend hob er einen Arm vor die Brust. »Nein, es kann nicht sein, es ist nicht wahr!« sagte er mit blutleeren Lippen. »Alle sind tot, alle. Fort mit dir!«

»Tot, ja«, bestätigte der Unheimliche. »Aber nicht vergessen.

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Und auch diejenigen sollen nicht vergessen bleiben, die uns in den Tod geschickt haben. Sie sollen bekommen, was ihnen zu-steht. Du bist der erste, Lord Chalfont. Du wirst sterben. Jetzt. Du hast meine Botschaft gelesen.«

Er kam langsam auf den Schreibtisch zu und ging daran vor-bei. Seine Bewegungen hatten etwas Schicksalhaftes, Endgülti-ges.

Lord Chalfonts Herz schlug wie rasend. Er rang nach Atem. Seine Stirn war feucht und heißt.

»Wer bist du?« würgte er hervor.»Du hast es doch gelesen. Ich bin William Hatfield.«»Und was willst du von mir?«»Dich töten, ganz einfach.« Der Besucher sagte es, als würde

er eine nebensächliche Bemerkung über das Wetter machen.»Warum denn?« Lord Chalfont spürte, wie ihm die Knie

nachgaben. Er stützte sich auf das Fensterbrett. Er machte kei-nen heroischen Eindruck.

»Der Befehl, der uns über die französische Küste schickte, trug deine Unterschrift. Ich habe diesem Befehl vertraut und habe meine Jungens genau in den Tod geführt, den ihr eiskalt geplant habt. Verraten habt ihr uns. Darum, Lord Chalfont. Verräter müssen sterben. Als ich brennend vom Himmel gefal-len bin, mitten durch Tod und Feuer und Rauch, habe ich mei-ne Seele dem Teufel versprochen, wenn er mich Rache an den niederträchtigen Männern nehmen läßt, die unser Sterben ge-plant hatten. Er hat mich erhört. Ich habe ihm vierzig Jahre treu gedient, und jetzt bin ich zurückgekehrt, um die Verant-wortlichen von damals zur Rechenschaft zu ziehen.«

Er kam immer näher. Der Geruch von Tod und Rauch und verbranntem Öl begleitete ihn.

Mit einem Schrei stieß sich Lord Chalfont von der Fenster-bank ab. So schnell ihn seine Füße trugen, lief er zur lederge-

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polsterten Tür, hinter der er Miß Pickering wußte. Zudem mußte die Tee-Madam jeden Moment hereinkommen.

Der unheimliche Besucher lachte gehässig. Der fleischlose Unterkiefer klappte auf und zu.

Wie von Sinnen rüttelte Lord Chalfont an der Tür. Sie ließ sich nicht öffnen. Dabei besaß sie überhaupt kein Schloß. Auch keinen Riegel oder einen anderen Zuhaltemechanismus.

»Du bemühst dich vergebens, Lord Chalfont«, höhnte der schreckliche Besucher. »Für uns gab es auch keinen Ausgang aus unserer brennenden Maschine.«

Mit diesen Worten stapfte er hinter Lord Chalfont her.Der alte Lord war unfähig, sich von der Stelle zu rühren. Das

Grauen hatte ihn gepackt und hielt ihn in seinen Krallen.Jetzt packte ihn auch William Hatfield. Eine rauhe, halbver-

brannte, nach Öl und Rauch riechende Hand legte sich auf sei-nen Mund, der sich zu einem verzweifelten Hilfeschrei öffnete.

Die Hand erstickte jeden Laut.Mit der anderen Hand strich William Hatfield über die Klei-

dung des Lords.Im Nu stand der ganze Mann in Flammen.Seine Augen weiteten sich in namenlosem Entsetzen und in

grauenvoller Pein.Die Flammen loderten und hüllten sein Gesicht ein. Seltsa-

merweise vermochten sie der ohnehin halbverbrannten Hand William Hatfields nichts anzuhaben.

Die Erscheinung aus einer anderen Welt hielt dem Lord den Mund zu, bis von dem Mann nur noch ein schwarzverkohltes krummes Gerippe vorhanden war.

Dieses schleppte er hinter den Schreibtisch und setzte es in den Sessel. Den Schädel stützte er in die rechte Skeletthand, als dächte Lord Chalfont noch immer über ein unlösbares Pro-blem nach.

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Mit einem boshaften Lachen trat William Hatfield zurück. Diese Aufgabe war erledigt, er konnte sich der nächsten zu-wenden.

Seine Gestalt löste sich auf.Zurück blieben Rauch und entsetzlicher Gestank.Und ein paar Akten auf dem Schreibtisch.

*

An diesem Morgen hatte ich einen tüchtigen Zorn im Leib.Ich wohne draußen in Stanmore, einem etwas besseren Vor-

ort von London, wo die Seelen der Hausbesitzer noch nicht von der Habgier zerfressen sind und die Mieten noch bezahlt werden können, ohne daß man gleich seine spätere Altersrente verpfänden muß.

Mein Büro liegt in der City der Stadt. In Whitehall. Im Regie-rungsviertel. Also ganz weit drinnen.

Ich arbeite nicht für unsere Premierministerin, sondern beim Secret Service, beim englischen Geheimdienst. In Downing Street residiert unser Verein nicht, aber ganz in der Nähe. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Mein Chef hat es nicht gern, wenn aus der Schule geplaudert wird.

Sonst kann ich nichts Nachteiliges über ihn vermelden. Ich lasse ihn in Ruhe, er läßt mich in Ruhe und er hat mir meine eigene Abteilung eingeräumt. Die winzigste Abteilung, die es je beim Secret Service gegeben hat. Sie besteht aus einem Mann aus mir.

Die Kollegen sehen mich mitunter scheel an, denn ich muß mich mit recht sonderbaren Dingen befassen mit okkulten Ge-schehnissen und übersinnlichen Phänomenen. Mein Verschul-den ist das nicht. Mein Chef hat das so bestimmt.

Weil ich ein Händchen für solche Sache habe, wie er sagt.

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Und die ›Gabe‹. Aber ob's wirklich eine ›Gabe‹ ist, möchte ich bezweifeln. Eher ist es eine Last.

Denn wenn man plötzlich spürt, fühlt, merkt, sogar sieht, daß Schreckliches droht, und das Unheil in den meisten Fällen doch nicht abwenden kann, dann möchte man verzweifeln. Und dann wird die ›Gabe‹ fragwürdig.

Aber meinen Chef haben solche Bedenken nie gestört. Er lobt mich als sein bestes Pferd im Stall, und wenn es irgendwo klemmt, muß ich ran.

Dann ertönt der Ruf: »Mac Kinsey, an die Front!«So heiße ich nämlich. Meine Freunde rufen mich Mac. Mein

Chef übrigens auch. Ihn rufe ich Sir. Denn er ist ein leibhafti-ger.

Sir Horatio Merriman.Der selige Horatio Nelson ist sein Namenspatron, und wie

der wäre mein Chef gerne zur See gefahren und auch ein See-held geworden. Wie man mir zutrug, ist ihm aber schon bei ei-ner vergnüglichen Bootsfahrt auf der Themse in jungen Jahren derart schlecht geworden, daß er seine seemännische Karriere erst gar nicht begann.

Heute ist er die graue Eminenz vom Geheimdienst, und sein freundliches Benehmen täuscht allenfalls Neulinge darüber hinweg, daß er ein ganz harter Brocken und ein alter Fuchs ist.

Im Augenblick hat er ein Problem. Und weil das sozusagen in meine Zuständigkeit fällt, habe ich mich erboten, ihn von diesem Problem zu befreien.

Nur hatte ich den Mund zu voll genommen. Seit drei Tagen tappte ich von einem Mißerfolg zum anderen.

Sein Problem war, daß zu Beginn der Woche seine Lieblings-tante verstorben war. Sie sollte im Erbbegräbnis der Merri-mans beigesetzt werden, wie sich das gehört.

Nun mögen gewisse Zeitgenossen sagen, es ist kein Unglück,

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wenn die Lieblingstante stirbt. Schon gar nicht, wenn sie auch die Erbtante ist.

So eine Einstellung zeugt von einer reichlich rohen Gesin-nung.

Abgesehen davon wußte ich nicht, ob die Tante meinem Chef etwas vererbt hatte. Und es ging mich auch nichts an.

Jedenfalls war sie tot und sollte in würdevoller Form beige-setzt werden.

Nun war aber ruchbar geworden, daß es auf dem betreffen-den Friedhof nicht mit rechten Dingen zuging. Ein Unhold trieb sein Wesen und fraß frische Leichen.

Das ging seit geraumer Zeit schon. Die Polizei erwies sich als machtlos. Sie konnte das makabre Treiben nicht unterbinden. Sogar Scotland Yard vermochte in der Sache nichts auszurich-ten.

Nacht für Nacht wurde der Friedhof hermetisch abgeriegelt. Nicht einmal eine Fledermaus blieb unentdeckt.

Dennoch mußte man anderntags die erschreckende Feststel-lung treffen, daß der Leichenfresser wieder einen Toten gefled-dert hatte.

Selbst in Grüfte war der Unheimliche eingedrungen.Die Angelegenheit war mehr als gruselig und unheimlich,

denn die Zugänge zu den Grüften wurden nach einer Beiset-zung gewohnheitsmäßig versiegelt, und nur aus Gründen der Gewissenhaftigkeit kam der Superintendent vom Yard auf den löblichen Gedanken, die Siegel lösen und die Grüfte überprü-fen zu lassen.

Und was stellte man fest?Der unheimliche Leichenfresser war schon dagewesen.Offensichtlich war er imstande, durch die versiegelten Zu-

gänge zu treten. Was schon einiges heißen wollte, denn die be-standen aus tonnenschweren Basalt oder Marmorplatten.

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Sir Horatio war nicht entzückt von dem Gedanken, seine ver-blichene Lieblingstante dort beisetzen zu müssen, solange der Unheimliche umging.

Er zog mich ins Vertrauen. Das hieß, er bat mich um Hilfe.Ich handelte Bedenkzeit heraus, ich mußte mich erst mit sei-

nem Problem näher vertraut machen. Während meiner Arbeit beim Service war ich schon auf unglaubliche Dinge gestoßen und hatte mit Phänomenen Bekanntschaft gemacht, die nicht einmal in einem Geheimbericht erwähnt werden durften weil sie zu phantastisch klangen.

Jedenfalls weiß ich, daß es mehr seltsame Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als sich ein Normalverbraucher träu-men läßt.

Ich kannte ein paar Mystiker. Also fragte ich sie um Rat we-gen des unheimlichen Leichenfressers.

Ich fuhr sogar aufs Land und redete mit Geistlichen in Dör-fern, von denen ich wußte, daß dort Geister umgingen. Die Geistlichen wissen da immer sehr genau Bescheid.

Mit einem Klopfgeist versuchte ich Verbindung aufzuneh-men.

In der Mühle, in der er zu rumoren pflegt, kassierte ich gleich nach Mitternacht ein paar saftige Maulschellen und wurde eine Treppe hinabgestoßen.

Der Klopfgeist hatte keine Sprechstunde.Mit einem verstauchten Knöchel kam ich nach London zu-

rück. Meine geprellten Rippen wollte ich Sir Horatio gegen-über erst gar nicht erwähnen. Ich war um eine wertvolle, wenn auch schmerzhafte Erfahrung reicher.

Sir Horatio drängte, und ich wandte mich an Leute, die ei-nem magischen Zirkel angehören.

Überall bekam ich diesen oder jenen Hinweis, nur kein Pa-tentrezept. Aber die Informationen waren Farbtupfer wie zu

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einem Ölbild. Ich sammelte die Tupfer und sah das Bild gewis-sermaßen entstehen.

Den Rest besorgte ich mir aus alten Büchern, Urkunden und halbzerfressenen Pergamentrollen.

Und vorgestern war ich nach Schottland hinaufgefahren und hatte den ganzen gestrigen Tag mit einem alten Schotten gere-det. Früher hatte der Mann in einem Steinbruch gearbeitet. Eine Sprengladung ging zu früh los und riß ihm beide Beine ab. Seitdem fand der Mann sein Auskommen als Teufelsaus-treiber. Zu seiner ›Arbeit‹ ließ er sich nicht hintragen, die erle-digte er von seinem kleinen Steinhaus aus, das sich in die her-be schottische Landschaft duckt.

Er gab mir etwas mit, das wie ein vertrockneter Rettich aus-sah und dem noch Erde anhaftete. Er sagte, das sei eine Zau-berwurzel, ich sollte sie hüten wie meine Seele.

Für die Begegnung mit dem unheimlichen Leichenfresser gab er mir einige nützliche Verhaltensmaßregeln. Ich sollte die Zauberwurzel mit einem Messer anspitzen, mit dem noch nie geschnitten worden sei.

Dann müßte ich das Messer zerbrechen, das sei wichtig.Sodann sollte ich mich mit der verstorbenen Lieblingstante

meines Chefs in der Gruft einsiegeln lassen. Ich müßte aber eine Kerze bereithalten. Und sobald ich merkte, daß der Un-heimliche erschien, hätte ich nichts anderes zu tun, als die Ker-ze anzuzünden und ihn mit der zugespitzten Zauberwurzel aufzuspießen.

Das hörte sich alles recht kurios an. Der Mann machte mir aber nicht den Eindruck, als hätte er einen Sprung im Gehirn. Seine innere Ruhe signalisierte mir, daß er wußte, wovon er re-dete.

Mit der Zauberwurzel in der Tasche fuhr ich heim. Ein gan-zes Stück nach Mitternacht erst war ich ins Bett gekommen.

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Statt ein Auge voll Schlaf zu nehmen, hatte ich noch eine Weile gegrübelt.

Die Polizei hatte nichts ausrichten können. Scotland Yard hatte seine besten Beamten zum Friedhof geschickt und war auf den Bauch gefallen. Wie es aussah, war der Fall des un-heimlichen Leichenfressers nur mit unkriminalistischen Me-thoden zu lösen. Mit anderen Worten Mac Kinsey mußte wie-der ran.

Ich war fest entschlossen, die Ratschläge des alten Schotten zu befolgen. Dazu mußte ich aber erst Sir Horatio überzeugen und für meinen Plan gewinnen.

Und deshalb war ich nach Whitehall unterwegs und hatte Wut im Bauch.

Heute morgen hatte ich nämlich erleben müssen, daß mir ein Witzbold in der Nacht die Garage zugeparkt hatte. Ich fahre einen kleinen MG. Ich liebe den Flitzer, auch wenn er nicht viel hermacht. Im Notfall bietet er immer Platz für zwei.

Für pompöse Feuerstühle und PS-Giganten, wie sie im Film von angeblichen Agenten unseres Vereins gefahren werden, verdiene ich nicht das erforderliche Kleingeld. Selbst Sir Hora-tio fährt eine klapprige Limousine, Baujahr 1938.

Wir sind alle bescheidene Leute.Wem der fremde Wagen vor meiner Garage gehörte, konnte

ich nicht in Erfahrung bringen. Als ich die Wache in Stanmore anrief und darum bat, den Schlitten wegschleppen zu lassen, sagten meine wackeren Polizeikollegen, ich sollte erst einmal abwarten, es sei noch kein Auto vergessen worden, der Besit-zer würde sich schon einfinden.

Die Jungens werden ja allgemein wegen ihrer feinen Zurück-haltung gelobt. Mir schien soviel feines Benehmen fehl am Platz. Aber sie ließen sich nicht weichkochen. Mein MG blieb im Stall eingesperrt.

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Ich pilgerte zur U-Bahn. Von Stanmore führt eine prima Stre-cke direkt zur Station Charing Gross. Das ist die Jubilee-Linie.

Von Charing Cross ist man in fünf Minuten mitten in White-hall. Zu Fuß. Dort ist mein Verein ja zu Hause.

Auf der Straße fielen mir schon die vielen Autos auf, vollbe-setzt bis unters Schiebedach. Sogar aus manchem Kofferraum guckten Köpfe. Am Straßenrand standen Anhalter zuhauf. Welche sogar mit dem Bowler auf dem Kopf und dem sorgfäl-tig gerollten Regenschirm am Arm. Ich hatte kein gutes Ge-fühl.

Aber ich war in Gedanken bei dem unheimlichen Leichen-fresser und bei der Zauberwurzel in meiner Tasche.

Als ich vor dem zugezogenen Eisengitter der Station stand, wußte ich, warum die Straßen überquollen. Unser U-Bahn-Per-sonal streikte. Was Streiks anbetrifft, sind wir Weltmeister. Wir schlagen haushoch jede Nation.

Ich trabte also zurück und hängte mich hinten an die Schlan-ge vor der nächsten Bushaltestelle. Ein roter Doppeldecker tauchte auf und fuhr vorbei. Drinnen standen die Leute so ge-drängt, daß ein abspringender Kragenknopf nicht zu Boden fallen konnte.

Wir ertrugen den vorbeisausenden Bus mit Gleichmut. Nur ein Börsenheini, erkenntlich an seiner Salz-und-Pfeffer-Hose, fluchte dem Bus hinterher.

Der nächste Doppeldecker nahm immerhin fünf Fahrgäste aus unserer Schlange mit. Und im achten Bus fand ich dann gerade noch einen Platz. Ich zwängte mich von der Plattform ins Wageninnere.

Am Picadilly Circus stürmte eine Horde Punker den Bus und tat sich mit Gejohle und obszönen Reden groß.

Jemand fluchte und sagte, daß England jetzt auf den Hund gekommen sei, wenn sich seine Bewohner so etwas bieten las-

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sen müßten.Die Burschen pöbelten Fahrgäste an. Auch eine Frau, die

einen Sitzplatz ergattert hatte und neben der ich stand. Er ge-brauchte sehr häßliche Worte gegen sie.

Ich wollte mir schon den unverschämten Tropf kaufen und ihm seine rotgefärbte Irokesenfrisur glattstreichen, als etwas Seltsames geschah. Die Frau schaute den Lümmel nur an und das Wort blieb dem im Halse stecken.

Seine Kumpane bekamen von dem Zwischenfall nichts mit. Ich ja, denn ich stand ja direkt daneben. Die Frau begann mich zu interessieren.

So eine Art Blitzhypnose nur mit der Macht der Augen, das war etwas für mich.

Ich überlegte, wie ich es anstellen sollte, um sie zu bewegen, mir vielleicht den Trick zu verraten.

Sie hatte aschblondes Haar und trug es in einer zeitlosen Fri-sur. Ich fand Anzeichen dafür, daß sie sich die Haare selber ge-schnitten hatte. Oder daß eine ungeübte Hand sich daran ver-griffen hatte. Aber das wirkte nicht störend.

Ihr Gesicht faszinierte mich. Nicht, weil es ausgesprochen hübsch war. Das war es nämlich gerade nicht. Nein, das Ge-sicht war nicht faßbar. Ich konnte es nicht beschreiben. Es ent-zog sich meiner Beurteilung.

Ich Versuchte etwas zu sondieren und setzte meine ›Gabe‹ ein, die es mir möglich macht, ein wenig in den Gedanken an-derer Leute zu kramen.

Im nächsten Augenblick bekam ich einen Schlag auf die Hör-ner sozusagen.

Auf geistigem Weg wurde mir ein Knockout verpaßt, daß ich grüne Funken vor den Augen fliegen sah. Mir verging Hören und Sehen und überhaupt alles.

Das hatte ich auch noch nicht erlebt. Ich war wie vor eine

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gläserne Mauer geprallt. Ich konnte denken, aber meine physi-kalischen Körperreaktionen waren ausgeschaltet.

Sofort wußte ich das war sie.Mein dreistes Sondieren hatte sie mit einem starken menta-

len Angriff erwidert.Meine Körperreaktionen waren lahmgelegt. Mein Kopf funk-

tionierte.Ich schätzte sie auf fünfundzwanzig, im ungünstigsten Fall

auf dreißig.Wie ich sie so anstarrte, verschob sich ihr Gesicht. Die Augen

wurden unermeßlich alt und weise. Und furchtsam. Ein stein-altes Gesicht begann durchzuschimmern. So alt wie die Au-gen. Vielleicht hundert Jahre alt. Oder auch tausend.

Ich erschrak und wollte schreien. Kein Ton kam über meine Lippen. Sie hatte ihren Bann über mich geworfen und hielt mich darin gefangen.

Sie hatte auch die ›Gabe‹. Aber viel besser und stärker als ich. Gegen sie war ich ein Waisenknabe.

Ich hörte ein geisterhaftes Wispern in meinem Kopf und empfand das Gefühl, sie wollte sich entschuldigen. Mit Sicher-heit hatte sie herausgefunden, daß ich ihr nichts Böses antun wollte.

Eine Art Unterhaltung ohne Worte begann sich zwischen uns anzubahnen. Der Kontakt riß jäh. Ich verspürte grausame Schmerzen und begann zu taumeln.

Ich verstand nicht, warum die umstehenden Fahrgäste nicht reagierten. Sahen sie denn nicht das uralte Gesicht in dem jun-gen? Oder konnte nur ich das wahrnehmen?

Plötzlich warf die Frau den Kopf herum. Der Bann fiel von mir ab. Sie starrte auf einen Mann, der mit seltsam gehetztem Blick im Bus mitfuhr und seinen gerollten Schirm wie einen Degen hielt.

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Ihre Augen schienen plötzlich zu brennen, ihr Gesicht drück-te großes Entsetzen aus. Sie sprang halb vom Sitz auf und sag-te zu mir. »O Gott, ich meinte doch nicht Sie! Sehen Sie ihn denn nicht da?«

Auf den Kopf gefallen bin ich nicht. Ich wußte sofort, was sie meinte.

Neben dem Mann mit dem Regenschirm konnte ich ein ne-belhaftes Gebilde sehen. Es änderte ständig Form und Ausse-hen. Mal war es einem Menschen sehr ähnlich, dann wieder wirkte es wie ein Klumpen.

Ein Geist! Ein Wesen aus einer anderen Welt! Hier im Bus.Ich spürte den Anprall feindlicher Gesinnung wie Meeres-

wellen. Ursprung und Quelle der geballten Feindseligkeit war der Geist. Ich wurde den Verdacht nicht los, daß es ihm miß-fiel, daß er entdeckt war.

Zudem konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß er sich um das Annehmen menschlicher Gestalt bemühte, den Dreh aber nicht heraus hatte. Er experimentierte.

Er schien sich nicht zurechtzufinden. Fahrgeld hatte er natür-lich auch keines bezahlt. Er wäre auch der erste Geist gewesen, der sich eine Fahrkarte kauft.

Ich erwartete die Reaktion der Fahrgäste. Daß jemand auf-schrie. Daß jemand in Ohnmacht fiel. Daß Tumult losbrach.

Die Leute dachten nicht daran. Sie schauten gleichgültig. Oder verbissen, wenn ihnen der Nachbar auf einem Fuß stand. Oder ihnen den Ellenbogen oder die Aktentasche in die Rip-pen drückte.

Mir ging ein Licht auf. Die Mitfahrenden konnten den Geist nicht sehen. Wie sie auch das uralte Gesicht im jungen Gesicht der Frau nicht hatten sehen können.

Nur diese Frau und ich vermochten das Wesen aus einer an-deren Welt zu erkennen.

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Ich schüttelte mir die Benommenheit und die Verblüffung aus dem Schädel und registrierte das tödliche Erschrecken der Frau. Es war echt. Zunächst hatte ich geargwöhnt, sie und der Geist gehörten womöglich zusammen.

Überhaupt drang bei mir erst jetzt durch, was sie zu mir ge-sagt hatte. Nicht mich hatte sie gemeint, und ob ich denn den Geist nicht sähe?

Wenn sie damit zart andeuten wollte, daß ihr heftiger Angriff eigentlich nicht mir gegolten hatte, dann war's zumindest eine originelle Entschuldigung für ihr Mißgeschick.

Aber Bescheid wußte sie über mich. Oder über die ›Gabe‹. Sonst hätte sie sich ihre Frage ja schenken können.

Ich beugte mich vor und hatte ihr Doppelgesicht ganz nah vor mir.

,;Klar sehe ich ihn«, raunte ich. »Was will er hier?«Ihr Blick wurde brennend. Er ließ mich an einen Feuerstoß

aus einem Flammenwerfer denken. Ich erwartete Blitze, die zu dem Geist hinüberzuckten.

Die Redensart fiel mir ein ›jemand mit Blicken verbrennen‹. Ein Spruch aus dem Volksmund.

Jetzt wußte ich, wie wahr Volkes Mund sprach. Und wie sehr in solchen Sprüchen große Geheimnisse verborgen waren.

Im Volk und in seinen Reden war das Wissen um Leute le-bendig, die andere I mit ihrem Blick verbrennen konnten.

Ich zweifelte nicht eine Sekunde, daß die Frau mit dem Dop-pelgesicht es auch konnte.

Hinter mir maulte in diesem Moment jemand. Eine andere Stimme protestierte scharf und wütend. Und ich bekam einen Stoß ins Kreuz, daß ich dachte, mir kommt die Wirbelsäule vorne beim Brustbein heraus.

Eine Hand schnappte an mir vorbei. Ich warf den Kopf nach rechts. Zu der Hand mußte schließlich auch jemand gehören.

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Ein Aufschrei ließ mich nach links blicken.Die Hand hatte der geheimnisvollen Frau mit dem Doppel-

gesicht die Handtasche entrissen. Große Reichtümer enthielt sie gewiß nicht. Sie trug unübersehbare Spuren regen Ge-brauchs. Dazu waren Handtaschen ja auch da.

Ob wertvoll oder nicht, es ging mir gegen den Strich, daß eine Frau beraubt wurde. Als Frechheit empfand ich es, daß es auch noch vor meinen Augen geschah.

Jetzt sah ich, wem die diebische Hand gehörte. Dem Kerl mit der rotgefärbten Irokesenfrisur, der vorhin schon herumgepö-belt hatte. Ich bereute es, ihm nicht vorbeugend eine geklebt zu haben.

Der Strolch warf die Handtasche im hohen Bogen einem an-deren Punker zu und wühlte sich zwischen den Leuten hin-durch. Leider begriffen die viel zu spät. Und als der Penny bei ihnen gefallen war, behinderten sie mich, statt mir Platz zu machen, damit ich den Kerl packen und ihm die Hammelbeine langziehen konnte.

Die ganze Räuberbande entwischte, an der Spitze der Kerl, der die Tasche aufgefangen hatte.

Dummerweise mußte der Bus auch noch an einer Ampel an-halten. Mit rüdem Gelächter jumpten die Strolche von der Plattform. Den Job machten sie nicht zum ersten Male. Das lief alles zu geschmiert.

Jetzt endlich zeterte ein Fahrgast los, man möge die Kerle doch aufhalten. Aber niemand rührte einen Finger oder den Fuß bis auf mich.

»Keine Sorge, die Salzknaben kaufe ich mir!« rief ich der ge-heimnisvollen Frau zu. Ich wollte sie mir geneigt machen, ich mußte unbedingt ihre Bekanntschaft machen.

Dafür schien mir ein scharfer Spurt am Morgen kein zu ho-her Preis zu sein.

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Ich gebrauchte die Ellenbogen und räumte mir eine Gasse zur Plattform frei. Mit einem meisterlichen Sprung sauste ich aus dem Bus und orientierte mich.

Die Strolche kratzten gerade die Kurve in die Panton Street hinein.

Ich drehte auf. Beim Service gehört Konditionstraining zum festen Programm. Außerdem hatte ich noch immer Wut im Leib.

Aus einem Ladeneingang trat ein Bobby. Er guckte mich scharf an. Bevor er eine Frage anbringen konnte, war ich schon an ihm vorbei und flitzte auch in die Panton Street hinein.

Die Strolche rechneten nicht mit Verfolgung. Wahrscheinlich war ihnen noch nie jemand auf den Nacken geblieben, weil's doch aussichtslos erschien. Drei Häuser weiter sah ich sie. Sie rannten nicht mehr. Die Tasche hatten sie noch.

Ich legte einen Zahn zu.Plötzlich wurde mir heiß und kalt. Ich benahm mich nicht

wie ein Mann aus Sir Horatios Truppe. Ich gab einem Gefühl nach, statt dem Verstand zu gehorchen. Ein unverzeihlicher Fehler.

Ich hätte im Bus bleiben müssen und herausfinden, was für ein Geist dort mitfuhr und was er beabsichtigte. Statt dessen machte ich Jagd auf Handtaschenräuber.

Es war zu spät, um meine spontane Handlung rückgängig zu machen. Der Bus rollte inzwischen wieder, und der nächste Stop lag ein hübsches Stück entfernt.

Was mich dennoch sicher machte, der Frau die Handtasche zurückgeben zu können, wußte ich nicht. Ich setzte das ein-fach voraus. Dabei hatte ich die Tasche noch gar nicht.

Aber ich war sicher, sie zu kriegen. Und ebenso, die Frau wieder zu treffen. Manchmal weiß man eben etwas und kann es nicht erklären.

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Meine Handtaschenräuber schienen ebenfalls über einen be-sonderen Sinn zu verfügen. Zwei schauten zurück.

Daß ein Passant im Sprint hinter ihnen herzischte, deuteten sie sehr richtig als heraufziehenden Kummer. Einer stieß einen Warnschrei aus. Die ganze Clique spritzte auseinander.

Ich war mir meiner Sache eine Winzigkeit zu sicher und griff prompt ins Leere, statt einen der Vögel zu fassen.

Welcher hatte jetzt die Handtasche?Einer trat mit Schwung nach mir und versuchte, mir die Bei-

ne wegzusäbeln.Ich pendelte in seine Richtung, stieß die Rechte heraus und

langte ihm ans Kinn, daß ihm um ein Haar die Ringe und Si-cherheitsnadeln aus den Ohrlappen flogen. Er flog rücklings zwischen einen Laternenpfahl und eine Mülltonne und über-schlug sich am Boden.

Mit einer unglaublich geschmeidigen Bewegung hatte mein Freund mit der knallroten stacheligen Irokesenfrisur ein fest-stehendes Messer in der Hand. Er wollte mich zur Ader lassen.

Ich täuschte einen Faustangriff vor. Er fightete nach meinem Bauch, weil der am wenigsten geschützt war.

Der Trick klappte. Er hatte den Arm weit genug unten. Ich trat ihm wuchtig mit der Schuhspitze gegen das Handgelenk. Seine Finger öffneten sich, das Messer flirrte im hohen Bogen davon. Und er brüllte wie am Spieß.

In Gemeinschaft mit den Kumpanen war jeder von ihnen die starke Nummer. Im Bus hatten sie sich jedenfalls so aufge-führt. Einzeln hatten sie nichts drauf.

Und es war ihr Fehler, daß sie sich geteilt hatten.Ich schmierte meinem Irokesen-Häuptling eine, daß es durch

die ganze Panton Street schallte.Mit der linken Hand hielt er seine Zähne fest, mit der rechten

suchte er einen Unterschlupf für sein geprelltes Gelenk in der

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linken Achselhöhle.Die Auseinandersetzung verlief mit der Heftigkeit einer Ex-

plosion und auch fast so schnell. Bevor die morgendlichen Passanten überhaupt mitbekamen, daß sich etwas tat, hatte ich schon zwei Räuber aus dem Verkehr gezogen.

Der dritte wollte in einen Hauseingang entwischen. Hier in der Panton Street stehen hohe Mietskasernen. Wenn er darin untertauchte, konnte ich mir in den Treppenhäusern und auf den Fluren die Hacken ablaufen.

Mit einem Hechtsprung segelte ich hinter ihm her und be-kam gerade noch sein Hosenbein zu fassen, bevor es hinter der zufallenden Tür verschwand.

Ich kriegte die Tür auf die Knöchel, daß ich in meinem Kopf den Hornisten von der Pferdewache Signale blasen hörte. Nicht schön, aber laut. Das Wasser schoß mir in die Augen.

Zwischen den Fingern aber hielt ich den Stoff. Den ließ ich nicht mehr los.

Der Kerl zog mich gegen die Tür. Ich prallte mit der Schulter an. Die Tür flog weit auf. Und drinnen haute es gerade den Kerl auf die Nase.

Wir lagen beide er drinnen, ich auf den Kanten der Stufen. Ich zog ihn zu mir heran und schleifte ihn hinaus auf den Geh-steig.

Es war aber nicht der, der die Handtasche hatte.Die Passanten versammelten sich zahlreich. Sie machten

Front. Gegen mich.Eine Frau packte mich am Arm. »Diese jungen Kerle schä-

men Sie sich nicht?« Sie blitzte mich böse an.Ich schüttelte den Kopf. »Heute nicht, Madam! Es wäre nett,

wenn Sie meinen Arm losließen!«Sie sagte noch, ich sei ein ganz besonderer Rohling, aber sie

ließ los. Das war die Hauptsache.

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Der Kerl mit der Handtasche war fort. Er hatte seine Chance genützt. Aber gerade ihn brauchte ich. Er hatte die Tasche, und die Tasche war der Schlüssel zu meiner Unbekannten mit dem Doppelgesicht und zu ihrem Geheimnis.

»Da war noch einer.« Ich wandte mich an die gaffenden Um-stehenden. »Hat ihn jemand gesehen?«

Der Kerl aus dem Flur blutete aus der Nase, mein Irokesen-Häuptling schlich wie ein verprügelter Hund davon, und der andere lag neben der umgestürzten Mülltonne am Laternen-pfahl. Die Bilanz war günstig, aber die nichtsahnenden Gaffer werteten sie gegen mich. Sie versperrten mir den Weg.

Ich reckte den Hals wie ein Gockel, der nach der Konkurrenz späht. Weit konnte der Kerl mit der Handtasche nicht sein. Auf der Straße jedenfalls sah ich ihn nicht. Und fliegen war nicht drin. Er mußte in einem Hauseingang stecken. Oder in einem Laden. Ein Stückchen weiter gab es zwei.

Ich schaufelte die Leute beiseite. Ehe ich mich versah, keilten sie mich ein. Ein Wichtigtuer, der in diesem Moment zu dem Menschenauflauf stieß, erhob aus dem Handgelenk eine schwere Anschuldigung: »Er hat die Punker überfallen! Ich kann die Kerle zwar nicht ausstehen, aber so geht es auch nicht. Ich werde bezeugen, daß er sie zusammengeschlagen hat.« Mit den Händen fuchtelte er mir vor dem Gesicht herum. »Die Polizei wird das alles untersuchen. Laufen Sie besser nicht weg, Mann!«

Er ging mir ans Hemd und hielt mich fest.Mit einem Ruck brach ich seinen Klammergriff auf. Im Grun-

de meinte es der Mann ja gut. In meiner Situation jedoch war sein Eifer eine Sache, auf die ich gern verzichtete.

Er taumelte zurück und zeterte, als hätte ich ihm weiß was angetan.

Sein Geschrei hatte aber auch einen nützlichen Effekt. Jetzt

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hielten mich die Leute für einen ganz groben Patron, mit dem nicht gut Kirschen essen war.

Mir ging man besser aus dem Weg.Sie wichen zurück.Ich sauste wieder ab und peilte in den ersten Laden. Ein

Mann mit einer Nickelbrille auf der Nase wog hingebungsvoll Obst ab und schwatzte mit einer rundlichen Frau, die seine ausgelegten Angebote prüfte.

Die zwei hätten sich anders benommen, wenn hier eben ein Punker durch den Laden geflitzt wäre.

Ich also weiter zum nächsten Laden. Niemand war drin. Nicht einmal ein Verkäufer. Dafür stand im Hintergrund eine Tür weit auf.

Ich lief hinter der Verkaufstheke her und sprang durch die Tür. Es war ein muffig riechender Hausflur, in dem ich lande-te. Stöckelabsätze klapperten eine Steintreppe herab.

Eine Blondine geriet in mein Blickfeld. Ihr Rock war ge-schlitzt bis oben hin und ihre Oberweite ungestützt. Der kra-chenge Pulli verriet es mir.

»Oh!« Ihr Erschrecken über mein Auftauchen währte keine Sekunde. Sie taxierte sofort ihre Chancen. Ihre rote Zunge glitt über die vollen Lippen. »Ich bin Bridget. Aus dem zweiten Stock. Du bist bestimmt Alberts Neffe.«

Ich kannte keinen Albert.Bevor ich ihr das klarmachen konnte, brachte sie schon ihre

Hüften in vorteilhafte Position. »Wenn du zehn Pfund locker machen kannst also, ich bin gerade frei.«

Genau das hatte ich vermutet.»Ich nicht, Süße!« Ich grinste sie an, damit sie eine kleine Ent-

schädigung für das entgangene Geschäft hatte.In diesem Augenblick hörte ich ein Geräusch wie von fallen-

den Kisten vom anderen Ende des muffigen Ganges.

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Bridget zog einen Schmollmund. Aber ich war schon in mei-nen eigenen Geschäften unterwegs.

Die Kisten waren nicht am Ende des Ganges umgefallen, sondern auf einem unglaublich schmutzigen Hof. Die Hinter-tür stand auf.

Ich schätzte, daß der ominöse Albert der Ladeninhaber war. Jedenfalls sah ich einen Mann mit einer grünen Schürze um den Leib unter einem Stapel leerer Obstkisten hervorkriechen. Er hielt sich den Kopf, er hatte was draufgekriegt.

Hinten an der Mauer rückte eine Gestalt ein blaues Kunst-stoffaß zurecht. Ich überblickte die Situation sofort.

Der Punker wollte über die Mauer türmen. Die Handtasche hatte er immer noch.

Ich sauste los. Der erschrockene Albert verkroch sich um ein Haar wieder unter den Kisten, weil er einen zweiten Kerl sah, der ihm unbekannt war.

Der Handtaschendieb machte Klimmzüge. Er hatte nur eine Hand frei und glitt immer wieder von der Mauerkrone ab. Sei-ne Füße fanden auf dem Faßrand gerade noch einen Halt.

Ich sah, daß der Deckel herausgeschnitten war. Mein Sports-freund turnte auf dem Rand herum.

Ich gab dem Faß einen Stoß. Der Bursche fiel von der Mauer wie eine reife Pflaume und mir genau in die Arme. Er haute mir sofort die Faust aufs Ohr und klatschte mir die Handta-sche ins Gesicht.

Ein wehleidiger Typ bin ich nicht. Ich brummte nur und walzte vorwärts, bis ich den schrägen Vogel in die Mauerecke gedrängt hatte. Er sprang mich an wie eine Ratte.

Ich ließ ihn kommen. Er segelte genau in meinen Aufwärts-haken hinein.

Der Treffer richtete ihn auf und hob ihn ungelogen zwei Hände hoch vom Boden weg. Dabei verdrehte er die Augen.

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Ich fing die Handtasche auf und sah zu, daß ich weg kam.Albert bewaffnete sich gerade mit einem Schaufelstiel. Ich

winkte ihm knapp. Er sollte wenigstens einen der Eindringlin-ge in angenehmer Erinnerung behalten.

Die flotte Bridget war verschwunden, Nur ihr Parfüm hing noch schwer und süß im Flur.

Vor dem Laden waren ein paar vorwitzige Leute eingetrof-fen. Sie waren mir gefolgt. Zumindest kamen mir drei oder vier Gesichter bekannt vor.

Ich ließ mich auf keine Diskussion ein. Mein Weg führte zu-rück zur Ampel, wo ich aus dem Bus gehüpft war. Die ganze Zeit verspürte ich ein Gefühl der inneren Ruhe und Sicherheit.

Wen sah ich, als ich um die Ecke bog?Meine geheimnisvolle Unbekannte. Der Bobby war bei ihr. Er

schrieb in sein Notizbuch und hatte einen roten Kopf. Die Ant-worten der Frau schienen ihm nicht zu gefallen.

*

Ich trat hinzu. Der Blick der Frau traf mich.Ich dachte, es würde sie freuen, daß ich ihr die geraubte

Handtasche zurückbrachte. Aber keine Spur davon.»Aha«, machte der Bobby. »Nun, dann erzählen Sie mal!« Er

meinte mich. An die Frau gewandt fügte er hinzu: »Und Sie se-hen nach, ob etwas fehlt.«

»Glaube ich nicht«, mischte ich mich ein. »Die Burschen hat-ten keine Zeit, sie aufzumachen. Ich habe sie in Trab gehalten.«

»Trotzdem!« verlangte der Bobby. »Und den Ausweis, bitte.«Ein unhörbarer Hilferuf erreichte mich. Meine Unbekannte

war in der Klemme. Ich wußte nicht, warum, aber ich sah mei-ne Chance, mich in ein günstiges Licht zu setzen.

»Die Sache ist erledigt«, sagte ich.

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Er schaute mich grimmig an. »Bedauere, Sir, das entscheide ich. Also?« Er hielt der Frau die Hand hin. Er wollte den Aus-weis.

Ich hatte den Verdacht, daß sie überhaupt keinen besaß. Der Verdacht wurde bestätigt, als sie zusammenzuckte.

Sie suchte in der Handtasche. »Ich muß ihn vergessen haben. Sie dürfen mir glauben, daß ich Miriam Seilers heiße.«

»Und Sie wohnen Berwick Street in Soho«, fügte der Bobby böse hinzu. »Ich würde es gerne amtlich sehen. In der Berwick Street treibt sich zu viel illegales Volk herum.«

In diesem Punkt mochte ich ihm nicht einmal widerspre-chen. Dort hausten eine Menge Leute, die illegal eingewandert waren, aber ganz ungeniert ihren Geschäften nachgingen.

Die momentane Situation berechtigte ihn aber noch lange nicht, der Frau etwas zu unterstellen.

»Hören Sie, Freund, Sie scheinen die Situation zu verkennen«, sagte ich, so, daß es gerade noch höflich klang. »Vier Strolche haben der Frau im Bus die Handtasche geraubt. Sie sollten Ihre Energie darauf verwenden, daß harmlose Fahr-gäste nicht ausgeraubt werden, statt sie zu verhören.«

Er war ein sehr gewissenhafter Bobby. Meine Worte reizten ihn auch noch. »Ihren Ausweis würde ich auch gerne sehen.« Er hielt mir die offene Hand hin.

Die Freude konnte ich ihm machen, ich hielt ihm meinen Ausweis vom Service unter die Nase.

Er schaute nicht besonders intelligent unter dem Helm her-vor.

»Oh, Sir, das konnte ich nicht wissen!«»So erlebt mancher seine Überraschung«, teilte ich ihm mit.»Die Sache ist natürlich erledigt.« Er atmete auf, als ich

nichts weiter zu sagen hatte, klappte sein Notizbuch zu und dampfte in die Panton Street ab.

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Die Kerle waren bestimmt auf und davon. Aber ich hielt ihn unter gar keinen Umständen zurück.

»Danke!« sagte die Frau leise.»Zu dumm, wenn man ohne Ausweis ausgeht. Ist der Name

wenigstens echt?«Eine Unmutsfalte bildete sich über ihrer Nasenwurzel. »Hät-

te ich einen Grund, Sie zu belügen?«»Eigentlich nicht.« Ich wurde kecker. »Ich würde unsere

flüchtige Bekanntschaft gerne vertiefen.«»Sie werden mich zu finden wissen. Wenn jemand etwas her-

ausbringen will, hat er immer Möglichkeiten. Haben Sie herzli-chen Dank für die Tasche.« Sie nickte mir leicht zu und ging in Richtung Picadilly Circus davon.

Wenn ich ihr jetzt folgte, verdarb ich alles. Ich hatte zwei In-formationen. Sie hieß Miriam Seilers, und sie wohnte in der Berwick Street in Soho. Es mußte mit dem Teufel zugehen, wenn ich sie da nicht aufspürte.

Das wollte ich. Dazu war ich fest entschlossen. Nicht jetzt al-lerdings. Ich mußte zu Sir Horatio.

Sonst sah der seine verstorbene Tante doch noch dem ge-heimnisvollen Leichenfresser zum Opfer fallen.

*

Sein Vorzimmer wurde von zwei unterschiedlichen Damen verteidigt.

Barbara Hicks war eine herbe Frau und einem Pferd nicht unähnlich. Was ihr an äußerem Charme und innerer Wärme fehlte, ersetzte sie durch eiserne Arbeitsdisziplin, ein geniales Können und ein sagenhaftes Gedächtnis.

Vor allem verstand sie es, den Chef abzuschirmen. Daß ich in letzter Zeit bei ihm ein- und ausging, als hätte er eine Imbißbu-

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de, hatte ihr Mißfallen erregt.Deshalb funkelte sie mich auch kriegerisch an.Das genaue Gegenteil von ihr war Sheila Green.Sheila war jung, ein Vollblutmädchen, schwarzhaarig, mit al-

len weiblichen Attributen trefflich ausgestattet, und hatte un-gefähr die Wirkung einer Bombe, die tickt, von der man aber nicht weiß, wann sie hochgeht.

Bei ihr hatte ich einen Stein im Brett. Das bildete ich mir je-denfalls ein.

Wenn ich sie zum Abendessen und danach in meine Woh-nung eingeladen hätte, wäre ich wahrscheinlich in eine offene Tür gerannt. Ich ließ es besser bleiben. Der Chef wünschte kei-ne Tändeleien oder handfeste Affären.

So blieb die Sache zwischen Sheila und mir eine rein platoni-sche Angelegenheit. Was Sheila aber nicht hinderte, mir auch jetzt wieder einen glutvollen Blick zuzuwerfen.

»Ich grüße die Damen meines Herzens«, sagte ich und wies auf die Tür zum Allerheiligsten. »Ist der Chef da?«

»Lockere Sitten und lockere Reden sind in diesem Hause nicht erwünscht«, versetzte Barbara Hicks nadelspitz. Noch spitzer war ihr Blick. Ich kam mir wie ein Käfer vor, den sie auf die Nadel spießt und dann in einem Kasten ausstellt. »Der Chef hat vor einer Stunde schon nach Ihnen gefragt.«

»Und wie ist die hohe Laune heute morgen?«Die dürre Barbara maß mich, als wollte sie mich treten. »Der

Chef hat keine Launen.«»Mies also«, rechnete ich aus. »Lassen Sie sich den Vormittag

nicht lang werden.« Ich grinste beide an und strebte auf die Tür zu, bevor Barbara Hicks mich anmelden konnte.

In unserem Land sind Tradition zwar großgeschrieben, aber wo sie umständlich zu werden beginnt, muß man sie zusam-menstutzen. Darum klopfte ich und trat schon ein. Zusammen

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mit dem »Herein!« von Sir Horatio.Er stand am Fenster und schaute auf Whitehall hinaus. Die

Hand hatte er vorne in seinen dezenten Zweireiher geschoben. Diese Pose ließ mich ein wenig an Napoleon denken.

Der Chef wandte den Kopf. Sein grauer Bürstenbart sträubte sich unmerklich, hinter den Brillengläsern verengten sich die Pupillen.

Ich legte mir ein paar Worte zurecht, um mein Zuspätkom-men zu erklären. Er schien es zu ahnen. Heftig winkte er ab.

»Und? Was hat Schottland gebracht, Mac?«»Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich, Sir Ho-

ratio. Ohne Ironie. Ich glaube, wir sind soweit.«»Jaja«, machte er zerfahren. »Erzählen Sie, Mac!«Ich fingerte die rettichähnliche Wurzel aus der Tasche und

gab ihm die allernotwendigsten Erläuterungen, Er unterbrach mich mit keinem Wort.

Ich hatte ihm noch nie etwas vorgeflunkert. Er wußte, daß er mir jedes Wort ungeprüft glauben durfte.

»Und Sie meinen, das klappt?«»Das weiß ich erst, wenn's schiefgegangen ist«, scherzte ich.

Er zog sofort ein saueres Gesicht. Immerhin ging es um seine Lieblingstante.

»Morgen?« Hoffnung glomm in seinen Augen. Das verstand ich. Er konnte seine Tante ja nicht bis in alle Ewigkeit auf Eis liegen lassen.

»Es würde mir passen, Sir!«Er rang mit sich. Dann nickte er. »Ich bin einverstanden, Mac.

Treffen Sie Ihre Vorbereitungen. Die Beisetzung findet morgen um drei Uhr nachmittags statt.«

»Ich kann für einen Erfolg natürlich nicht garantieren«, schränkte ich ein.

»Aber sie versuchen es, und das weiß ich zu würdigen. Im-

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merhin entschuldigen Sie!« Sein Telefon läutete aufdringlich.Ich konnte mir Barbara Hicks richtig vorstellen, wie sie sich

diebisch freute, daß sie ihm ein Gespräch durchstellen konnte und meine Unterredung mit ihm störte.

»Bitte, bitte!« machte ich und schaute angelegentlich aus ei-nem Fenster. Gespräche für den Chef gingen mich nichts an.

Natürlich hörte ich, was er sagte.»Lord Chalfont? Das ist ja furchtbar. Ein Attentat nicht aus-

zuschließen? So, sonst ist überhaupt nichts verbrannt? Doch, das ist in der Tat merkwürdig. Nein, solange kein offizielles Ersuchen vom Ministerium vorliegt, halten wir uns heraus. Ja, das ist mein voller Ernst. Dennoch danke ich für die Nach-richt.«

Sir Horatio legte auf.Ich spürte plötzlich, daß er mich anstarrte. Ich wandte den

Kopf. Seine Augen waren groß und weit und schauten auf mich.

»Eigenartig«, sagte er langsam. »Im Verteidigungsministeri-um haben sie einen geheimnisvollen Todesfall. Ein Verbrechen ist nicht auszuschließen. Vermutlich sogar ein Attentat. Ein Feuerattentat. Lord Chalfont. Er soll bis zur Unkenntlichkeit verkohlt sein.«

Verteidigungsministerium? Auf dem Ohr hörte ich. Wenn dort etwas Außergewöhnliches geschah, landete es früher oder später doch bei uns. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Einen Lord Chalfont kannte ich nicht. Was mich aber nicht wunderte und auch nicht mit Minderwertigkeitsgefühlen er-füllte. Schließlich ist das Verteidigungsministerium ein riesiger Laden:

»Tja, ich treffe dann meine Vorbereitungen, wie vereinbart, Sir«, sagte ich und hatte Miriam Seilers aus der Berwick Street

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in Soho im Sinn. Wenn ich jetzt nicht machte, daß ich weg kam, erfand Sir Horatio vielleicht Arbeit für mich.

Ich hatte richtig kalkuliert. Er war mit den Gedanken bei sei-ner Tante. »Machen Sie es so, wie Sie es für richtig halten, Mac.« Seine knappe Handbewegung bedeutete, daß ich gehen konnte.

Ich wartete nicht, bis er es sich anders überlegte. Ich steckte die Wurzel des alten Schotten ein und verließ sein schlicht ein-gerichtetes Arbeitszimmer.

Im Vorzimmer wollte mich die schwarze Sheila festnageln. »Nehmen Sie einen Tee, Mister Kinsey?« Sie sagte es in einer Art, als bekäme ich sie als Dreingabe.

Ich dachte an Sir Horatio, der mich vielleicht wegen des ge-heimnisvollen Attentats auf Lord Chalfont doch zum Verteidi-gungsministerium hinüberschicken wollte. Beim Hinausgehen hatte ich etwas in dieser Richtung gespürt.

Bis er einen fix und fertigen Auftrag für mich ausgebrütet hatte, wollte ich besser nicht warten.

»Ein andermal vielleicht.« Ich schenkte Sheila ein Lächeln, das sie hoffen ließ und mich zu nichts verpflichtete.

Barbara Hicks kniff die dürren Lippen zusammen und beug-te sich über die Schreibmaschine. Ich konnte mir nicht helfen, sie sah immer noch wie ein Pferd aus.

*

Das mit meiner ›Gabe‹ war ein ganz eigenartiges Ding.Daß ich manchmal die Gedanken anderer Menschen verste-

hen konnte, hatte ich um mein zwanzigstes Lebensjahr herum festgestellt. Es gelang mir längst nicht jeden Tag und nicht bei jedem Menschen und auch dann nur sehr ungenügend.

Ob ich auch davor schon solche Experimente gemacht hatte,

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daran entsinne ich mich nicht. Aber wahrscheinlich nicht.Ich erlebte es bewußt während meiner Zeit in Oxford.Dort hörte ich ein paar Semester Jura. Denn für unsere no-

blen Eliteschulen und für die feinen Seminare, wo unsere An-wälte gezüchtet werden, war meine Herkunft nicht fein genug.

Mein Vater war nämlich ein einfacher Arbeiter, und um mir wenigstens ein Studium in Oxford zu ermöglichen, hatte er sich noch ganz schön krummlegen müssen.

Den Rest hatte ich mir mit Nachtarbeit und Ferienjobs ver-dient.

Damals merkte ich, daß mit mir etwas los war daß etwas ein wenig anders war.

Zunächst konnte ich es nicht in Worte fassen, hatte keine Er-klärung dafür. Ich spürte einfach Dinge, von denen andere kei-nen blassen Schimmer hatten. Ich empfand auch Gedanken, die nicht von mir waren. Sie wurden mir zugestrahlt. Oder ich hatte eben eine besonders empfindliche ›Antenne‹.

In dem Lagerhaus, wo ich in den ersten Ferien jobbte, kreuz-ten eines Tages drei Männer auf. Dem Dialekt nach stammten sie aus Eastham. Das war damals schon ein ganz finsterer Win-kel.

Sie wollten Kunstdünger kaufen, sagten sie. Einen ganzen Lastwagen voll. Dabei traute ich ihnen nicht einmal zu, daß sie zusammen mehr als fünf Pfund in der Tasche hatten.

Und wo wollten sie überhaupt mit einer Lastwagenladung voller Kunstdünger in Eastham hin?

Plötzlich fing ich Gedanken und Überlegungen dieser drei Männer auf.

Sie dachten nicht im Traum daran, uns den Kunstdünger ab-zukaufen. Sie hatten es auf unsere Lohngelder abgesehen.

Beides erschreckte mich gleichermaßen ihr Vorhaben und daß ich in der Lage war, davon zu erfahren.

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Viel Zeit blieb nicht, mich darüber zu entsetzen. Ihre Gedan-ken und Absichten lagen vor mir ausgebreitet wie eine Zei-tung.

So kriegte ich auch mit, daß sie nicht unbewaffnet gekom-men waren.

Ich bildete mir sogar ein, einen Blick in ihre Taschen werfen zu können.

Natürlich war ich zu Tode erschrocken. Nicht nur über das, was ich bei den Burschen entdeckte, sondern daß ich es konn-te. Es war mir rätselhaft und fremd es war ein Spuk.

Einer der Kerle hatte einen siebenschüssigen Knaller in der Tasche.

Ein anderer schleppte ein umwickeltes Bleirohr in der Akten-tasche mit. Seine Gedanken, die sich an diese Schlagwaffe klammerten, kamen sehr gewalttätig.

Der dritte Strolch hatte zwei Dosen Tränengas in die Jacke gesteckt und war fest entschlossen, uns das Zeug in die Augen zu sprühen, falls wir Schwierigkeiten machten.

Ich wurde fast krank, so elend war mir.Die Zwangslage, in der wir steckten, schien aber nur ich zu

erkennen. Sie setzte bei mir Geisteskräfte frei, von denen ich nie gehört hatte.

Jedenfalls spürte ich, wie der Lastenaufzug herunter kam. Ich sah ihn sogar gewissermaßen mit einem inneren Auge. Er war leer.

Das gab mir die rettende Idee ein.Die Kerle wollten zu unserer Kasse, wo die Lohngelder be-

reitlagen.Das konnte sie haben. Mein Plan war schon fertig.Zwar war ich derjenige, der im Lagerhaus am wenigsten zu

sagen hatte, das hinderte mich aber nicht, am weitesten den Mund aufzumachen.

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»Dann begeben sich die Gentlemen am besten gleich in die Buchhaltung zur Regelung der finanziellen Seite«, sagte ich und spürte, wie erfreut sie über meine Einfältigkeit waren. Ich komplimentierte sie zum Lastenaufzug. Der dumme Gesichts-ausdruck meines Vorarbeiters begleitete mich.

Ich war mir meiner Sache hundertprozentig sicher. Ich erleb-te das innerliche Frohlocken unserer drei schrägen Besucher hautnah mit. Sie grinsten sich eins. Buchhaltung und Kasse das war für sie eins. So leicht hatten sie sich den Raub nicht vorgestellt.

Ich hustete ihnen etwas. Ich bugsierte sie in den Lastenauf-zug, schloß die Tür und ließ die Kerle ihre Himmelfahrt antre-ten. Unsere Kasse lag im ersten Stockwerk des Lagerhauses. Natürlich führte auch eine Eisentreppe hinauf, und oben spannte sich eine Galerie über die gesamte Länge der Halle.

Dort oben hätte ich die Männer aber nicht überlisten können.Als sich der Kabinenboden des Lastenaufzuges soweit geho-

ben hatte, daß die Burschen zwischen zwei Stockwerken steck-ten, legte ich den Hebel an der Schalttafel um und unterbrach die Stromzufuhr.

Sie saßen fest. Aus dem eisernen Käfig konnten sie sich nicht einmal mit Hilfe der Pistole befreien.

Ich rief die Polizei, und die fischte die Knaben einzeln aus dem Aufzug. Die Geständnisse an Ort und Stelle deckten auf, daß die Männer es wirklich auf unsere Lohngelder abgesehen hatten.

Ich hatte voll ins Schwarze getroffen. Nur konnte ich mein Geheimnis keinem Menschen anvertrauen. Ich mußte es für mich behalten. Es bedrückte mich sehr.

Bis ich mich damit abfand, daß ich eben meinen Mit-menschen etwas voraus hatte.

Zwei Tage später kam der Vorarbeiter und drückte mir gön-

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nerhaft eine Pfundnote in die Hand. Eine Gratifikation der Ge-schäftsleitung, weil ich den Überfall vereitelt hatte, wie er sag-te.

Ich sah die vierundzwanzig Pfund in seiner Tasche, die er für sich behalten hatte. Ich las auch in seinen Gedanken. Er mein-te, noch ein gutes Werk zu tun, indem er mich mit einem Pfund abspeiste.

Er konnte es gar nicht verstehen, daß ich nicht vor Freude aus dem Häuschen geriet. Noch weniger verstand er, daß ich auf der Stelle kündigte.

Die Fälle, in denen ich Dinge sah, hörte und spürte, wo ande-re überhaupt nichts merkten, wiederholten sich.

Ich versuchte zu verstehen, kam ins Grübeln, fand keine ein-leuchtende Erklärung und begnügte mich schließlich mit den Gegebenheiten. Ich hatte doch keinen Einfluß auf sie.

Im nächsten Wintersemester spürte ich eine gebrochene Gas-leitung auf, gerade rechtzeitig, bevor sich eine Explosion ereig-nete und es in dem vollbesetzten Gebäude zu einer Katastro-phe kam.

Einem betuchten Studienfreund verhalf ich zu seinem Auto, das ihm tags zuvor gestohlen worden war. Er fragte mich um Rat, und ich Esel beschrieb ihm die Werkstatt, wo er seinen Wagen herausholen konnte.

Er war klug, er nahm gleich die Polizei mit.Jemand, der so genau das Versteck eines gestohlenen Autos

beschreiben konnte wie ich, brauchte auf die Folgen nicht lan-ge zu warten. Die Polizei kam zu mir.

Ich mußte mir eine Menge Fragen gefallen lassen.Für die Zeit des Diebstahls und für die Stunden davor und

danach hatte ich zum Glück ein wasserdichtes Alibi. Die Poli-zisten ließen mich in Ruhe, aber sie blieben mißtrauisch.

Von diesem Tag an war ich für meine Studienfreunde der

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Mensch mit dem siebten Sinn.Sie dachten sich allerlei Spielchen aus, wenn wir uns zu ge-

mütlichen Abenden versammelten. Gedanken erraten sollte ich. Gedanken, die sie zuvor schon niedergeschrieben und in Umschlägen verschlossen hatten.

Oder sie ließen mich Gegenstände raten.Ich beging den Fehler, mich auf diese Spielchen einzulassen.

Ich war noch jung, ich genoß es, eine Attraktion zu sein. Die Folgen bedachte ich nicht.

Dabei hätte mich die Geschichte mit dem wiedergefundenen Wagen doch warnen müssen.

Eines Tages verlangten ein paar Studienfreunde, ich solle die Prüfungsaufgaben für das bevorstehende Examen ausspionie-ren. Für mich sei das doch ein Kinderspiel.

Entrüstet lehnte ich ab und sah sie nicht mehr als meine Freunde an. Aber sie setzten mir zu.

In meiner Not vertraute ich mich einem Professor an. Der analysierte meine Fähigkeit als eine Art natürliche Begabung, fraglos bei allen Menschen in der Anlage vorhanden, aber gründlich verkümmert. Nur bei wenigen bleibe sie erhalten. Ich sei so ein, Fall. Eine Art Wunderkind. Mozart sei wohl auch eines gewesen. Auch Einstein, glaube er, aber den wolle er nicht zu diesem Vergleich heranziehen, der sei ja bekannter-maßen ein Spätzünder gewesen.

In einer anderen Lage hätte es mir geschmeichelt, mit sol-chen Wunderkindern in einem Atemzug genannt zu werden. So aber waren mir die gelehrten Erklärungen kein Trost. Über-haupt ging der Professor nicht auf mein Problem ein.

Er begriff nicht, was mich bedrückte und warum ich das Ge-spräch mit ihm suchte.

Zwei Wochen später fand man den Stahlschrank im Sekreta-riat des Dekans morgens aufgebrochen. Im Schrank lagen die

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ausgearbeiteten Prüfungsaufgaben.Zwar steckten sie noch im versiegelten Umschlag, man be-

sann sich aber sehr schnell auf meine Fähigkeiten. Hatte ich nicht vor zahllosen Zeugen schon Botschaften gelesen, die in fest verschlossenen Umschlägen steckten?

Der Dekan berief einen Untersuchungsausschuß ein. Nie-mand beschuldigte mich, aber ich stand im Mittelpunkt der vielen vertraulichen Konferenzen. Ich spürte auch die Welle der Ablehnung, die sich gegen mich richtete.

Meine schreckliche Fähigkeit setzte mich an manchen Tagen in die Lage, den vertraulichen Besprechungen zu folgen. Die Mehrzahl der Professoren traute mir nicht. Oder anders her-um, sie trauten mir alles Schlechte zu.

Dabei machte ich die Erfahrung, daß ausgerechnet jene, die ich für die widerwärtigsten Dozenten hielt, meine überra-schenden Fürsprecher waren. Und daß diejenigen, in deren Gunst ich mich glaubte, mich kurzerhand in die Pfanne hauten.

Ein paar Studenten wurden gehört, die an unseren Abenden teilgenommen hatten.

Auf den Kopf gefallen war ich nicht. Die Sache zielte in letz-ter Konsequenz darauf ab, mich hinauszufeuern.

Den Rauswurf wartete ich nicht ab. Ich wußte schließlich, was sich gehört. Ich ging freiwillig.

Zufällig suchte in jenen Tagen eine Regierungsstelle talen-tierten Nachwuchs. Die Anzeige lief in allen seriösen Londo-ner Blättern.

Dem etwas vernebelten Text entnahm ich, daß es sich um einen Job im diplomatischen Dienst handeln mußte. Oder et-was in dieser Richtung.

Also meldete ich mich. Sehr energisch, sehr eigenwillig. Ich rechnete nicht damit, eine Antwort zu bekommen. Wahr-

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scheinlich fanden sie doch gleich heraus, daß ich ein abgebro-chener Oxford-Student war.

In diesem Punkt hatte ich mich geschnitten. Ich wurde zu ei-nem Eignungstest bestellt. Eine Adresse war genannt.

Was als Test angekündigt war, erwies sich als hinterlistige Prüfung mit vielen Fallstricken und Fußangeln. Meinen Lei-densgenossen, die mit mir in diesen Test gingen, hatte ich ei-nes voraus ich wußte, wo die schwachen Stellen waren und worauf ich besonders achten mußte.

Ich paßte zu gut auf. Ich machte nicht einen Fehler. Das fiel auf.

Zwar bestand ich den Test mit einer Traumnote, aber die Leute, die an geeigneten Nachwuchs interessiert waren, wur-den natürlich stutzig.

Zwei Tage später wurde ich nämlich wieder hinbestellt.Fünf Experten nahmen mich in der Luft auseinander. Inzwi-

schen hatten sie über mich Dinge zusammengetragen, von de-nen ich schon nichts mehr wußte. Ein Dossier nennt man das.

Sie lasen es mir vor. Da stand allerhand drin, was mir nicht gefiel. Aber denen schon.

Sie gratulierten mir und wollten wissen, mit welchem Trick ich mich so fabelhaft durch den Test gemogelt hätte.

Ich brauchte dringend einen Job. Meine Lage war alles ande-re als rosig. Mein Vater war gestorben, ich mußte für mich sel-ber sorgen und etwas für meine Mutter übrig machen.

Also sagte ich den Leuten die Wahrheit. Ich mußte davon ausgehen, daß sie die längst kannten und mir nur noch etwas auf den Zahn fühlten. Um festzustellen, wie es mit meiner Ehr-lichkeit bestellt war.

Der Vorfall mit den Prüfungsaufgaben in Oxford stand in ih-rem Dossier, und was sonst noch in diesem Zusammenhang festgehalten war, konnte leicht den Verdacht nähren, ich sei

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ein Schlitzohr.Ich spielte mit einem hohen Einsatz. Der ist die Wahrheit im-

mer. Ich sagte ihnen, daß ich die Testaufgaben mit den einge-arbeiteten Fallstricken ›gesehen‹ hätte.

Die Gesichter waren sehenswert. Jedes eine Studie für sich. Dann steckten die Leute die Köpfe zusammen.

Ich dachte nichts anderes, als daß sie mich auf der Stelle zum Teufel jagten.

Weit gefehlt. Sie gratulierten mir, waren mächtig entzückt und doch etwas zurückhaltend, sagten mir, ich sei der richtige Bursche, so etwas könnten sie gebrauchen.

Den Zahn, ich käme in den diplomatischen Dienst, zogen sie mir schnell.

Ich war an einen anderen Dienst geraten an den Geheim-dienst.

Man verpaßte mir eine Ausbildung, bei der keines meiner Augen trocken blieb. Nach vier Jahren war ich zwar nicht Ja-mes Bond, aber mein Name hatte einen ebenso markanten Klang.

Wenn ein dubioser Fall dem Geheimdienst auf den Magen drückte, wurde der Ruf nach Mac Kinsey laut. Ich mußte wie-der mal ran.

Mir blieb dann meist gar nichts anderes übrig, als in den Ap-fel zu beißen.

Anfangs wurde ich in der Gegenspionage eingesetzt. Ich kam in der Welt herum und fast in ein russisches Gefängnis. Meine ›Gabe‹ bewahrte mich davor, in eine raffinierte Falle zu tappen. Buchstäblich im letzten Moment roch ich den Braten und verschwand.

Meinem Chef blies ich für fünfzig Pennies der Marsch. Er steckte mich in die Spionageabwehr. Innerhalb von zwei Jah-ren enttarnte ich fünf Spitzenagenten. Einer saß in der Admi-

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ralität.Der Skandal rüttelte auch ein paar so sorglos gebliebene ein-

flußreiche Leute vom Stuhl, so daß ich bekennen muß, daß ich nicht überall und bei jedermann gut gelitten bin. Aber wer hat schließlich nur Freunde?

Sir Horatio gab mir meine eigene Abteilung eben meine Ein-Mann-Abteilung. Da redet mir außer dem Chef niemand hin-ein. Und selbst das geschieht nur selten.

Nur wenn er mir einen sensationellen Fall andreht, wird er heftig und temperamentvoll.

Einem hohen Tier gegenüber hatte er sich unlängst damit ge-brüstet, unlösbare Fälle gäbe es für den Geheimdienst nicht, schließlich hätte man mich.

Er hatte übertrieben. Ich war sein Spezialist für ganz beson-dere Fälle. Wenn Magie mitspielte, zum Bespiel. Wenn zu ver-muten war, daß dunkle Mächte ihre Hand im Spiel hatten.

Es stimmte, ich konnte eine schöne Erfolgsbilanz vorweisen. Aber ich habe längst nicht jeden Fall klären können, auf den er mich ansetzte. Wiederholt war ich an die Grenzen meines Könnens gestoßen.

Und mit der ›Gabe‹ funktionierte es auch nicht immer. Ich konnte Gedanken nur empfangen, wenn sie besonders bösar-tig, besonders intensiv oder völlig fremdartig waren.

Sonst wäre es mir ja ein leichtes gewesen, ein reiches und faules Leben zu führen. Ich hätte einfach die besten Börsenleu-te ›angezapft‹, hätte spekuliert und nur die besten Tips beher-zigt und wäre in kurzer Zeit ein steinreicher Mann gewesen.

So jedenfalls ging das nicht.Miriam Seilers hatte fremdartige Gedanken. Deren Muster

kannte ich aus dem Bus. Ich hoffte, sie in der Berwick Street aufspüren zu können. Denn dorthin war ich unterwegs.

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*

Die Geschichtsabteilung im Verteidigungsministerium befand sich in heller Aufregung.

Gerüchte schwirrten, die Polizei sperrte Flure und sicherte Türen. Es sollten auch schon die besten Kriminalisten von Scotland Yard eingetroffen sein.

Auf Lord Chalfont war ein Attentat verübt worden. Mehr wußten die meisten Mitarbeiter nicht.

David Hatfield war von Entsetzen wie gelähmt. William, sein toter Bruder, hatte also seine schreckliche Drohung wahrge-macht. Er hatte Rache genommen und er hatte getötet.

Lord Chalfont war nur das erste Opfer. Williams Geist hatte gesagt, alle müßten büßen, die noch am Leben seien und da-mals Mitverantwortung getragen hatten.

Jeder würde ausgelöscht, der sich ihm dabei in den Weg stel-len würde.

David Hatfield hatte Angst. Er überlegte, ob er den Beamten vom Yard etwas sagen sollte. Er dachte an Enid und seine ver-heirateten Kinder.

Nein, beschloß er, ich darf sie nicht der Gefahr aussetzen. Williams Rache trifft sonst auch noch sie!

Nach einer Stunde wurde er zur Vernehmung gerufen. Die Pickering hatte ausgesagt, daß er der letzte Besucher von Lord Chalfont war.

Auf dem Weg hörte er wieder dieses grauenhafte Kichern, das er jetzt haßte. William war bei ihm. Er überwachte ihn.

»Überlege, was du ihnen sagen wirst, Bruder David«, mahn-te die Geisterstimme. »Ich hoffe, du bist klug.«

David schwieg trotzig. Aber das Grauen schüttelte ihn.Die Beamten zeigten ihm Lord Chalfont. Oder das, was von

seinem Chef übrig war.

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David Hatfield riß es fast die Beine weg. Er wandte den Kopf, er konnte den Anblick des verkohlten Körpers nicht län-ger ertragen.

»Nun?« fragte ein Beamter streng. »Immerhin waren Sie sein letzter Besucher.«

»Ich ich weiß doch nichts«, stammelte David Hatfield. »Es war niemand bei ihm, als ich hereinkam. Miß Pickering wird das doch bestätigen können. Es gibt doch nur diese eine Tür.« Ganz verzweifelt wies er auf die ledergepolsterte Tür zum Vorzimmer.

»Eben. Nur Sie waren bei ihm. Und danach hat ihn die Tee-Madam so vorgefunden.« Der Beamte blickte ihn lauernd an.

»Ich habe nur ein paar Akten hereingebracht. Wie jeden Mor-gen.« David zwang sich, nicht in Panik zu verfallen. Ahnten die Beamten etwas? Hatten sie einen Verdacht? Waren sie Wil-liam schon auf der Spur?

»Diese?« Eine Hand wies auf die alten Akten.Jemand deckte wieder ein Tuch über das verkohlte Skelett.David Hatfield warf einen flüchtigen Blick auf den Schreib-

tisch. Es waren die Akten, die ihm der alte Wilmington im Ar-chiv ausgehändigt hatte. Er schluckte und nickte. »Diese sind es.«

Die Beamten wechselten Blicke.Einer fragte: »Hatten Sie Streit mit Lord Chalfont? Immerhin

soll er kein sehr bequemer Vorgesetzter gewesen sein.«»Sie denken, ich –?« David schüttelte den Kopf, seine Beine

begannen zu zittern.Die Leute hielten ihn für den Urheber des entsetzlichen To-

des von Lord Chalfont!Er kam sich in die Ecke gedrängt vor. Die Leute suchten

einen Schuldigen, und er bot sich nach dem Augenschein auf dem Präsentierteller dar!

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»Wollen Sie sich setzen?« fragte ein Beamter.»Nicht nötig. Was ich zu sagen habe, kann ich auch im Ste-

hen aussprechen. Sie verdächtigen mich, nicht wahr? Jetzt hö-ren Sie mir zu: ich hatte keinen Streit mit Lord Chalfont, ich brachte nur Akten und war höchstens zwei Minuten in diesem Raum, und womit hätte ich diese diese entsetzliche Untat ver-üben sollen? Er tut mir leid.«

Die Beamten schauten ihn durchbohrend an. Er hatte den Eindruck, daß Miß Pickering schon genau das ausgesagt hatte, was er nun im Verhör erklärte. Er war mit leeren Händen ge-gangen.

David Hatfield erwartete, daß nun wieder Fragen auf ihn niederprasselten. Die Beamten jedoch schwiegen. Vielleicht wollten sie ihn verunsichern. Wollten, daß er die Nerven ver-lor.

Er dachte an Enid. Das half ihm. Er war auch wieder zu einer klaren Überlegung fähig. Er zeigte auf die verhüllte Gestalt hinter dem Schreibtisch.

»Ich verstehe nichts davon, aber ich schaue mir Filme an. So etwas ist doch nur mit einem Flammenwerfer oder so möglich« Er stockte, seine Ausführungen erschienen ihm plötzlich ungenügend. »Es müßte aber doch alles verbrannt sein.«

Mit erwachendem Interesse schaute er sich im Raum um. Nirgendwo zeigten sich Brandspuren. Es war nichts ver-schmort und nichts angekohlt.

Die Yard-Beamten schauten giftig. Er war darauf gestoßen, was ihnen auch schon als glatte Unmöglichkeit erschienen war.

Niemand verbrannte in einem Flammenstoß, ohne daß Spu-ren an Möbeln und Wänden und auf dem Boden fehlten.

»Wurde er bedroht, wissen Sie etwas darüber?«

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David schüttelte den Kopf.»Bekam er einen Anruf?«David verneinte wieder.»Sie heißen Hatfield, nicht wahr?«Sie wissen doch etwas, warnte eine innere Stimme. David, sei

klug, verrate dich nicht!»Das ist richtig David Hatfield, und ich arbeite schon seit…«»Das interessiert hier nicht«, unterbrach ihn ein Beamter. Er

griff die oberste Akte vom Stapel auf dem Schreibtisch. »Hier heißt jemand William Hatfield. Können Sie uns dazu etwas sa-gen?«

David riß sich zusammen. Er hoffte, daß seine Stimme nicht schwankte.

»Das ist die Akte meines Bruders. Ich hatte keine Ahnung, daß es eine gibt. Ich erhielt sie heute früh. Mein Bruder Wil-liam ist im Krieg gefallen.«

»Heute vor vierzig Jahren. Ist das nicht ein bemerkenswerter Zufall?«

»Ganz und gar nicht.« Davids Stimme klang fest. »Es ist die Aufgabe dieser Abteilung, nach Ablauf einer gewissen Frist Akten zu sichten und zu prüfen. Danach wird entschieden, ob sie veröffentlicht werden können. Haben Sie sich denn nicht informiert?«

Seine Frage ging ihnen an die Ehre.»Wir stellen hier Fragen, nicht Sie.Was wissen Sie über Ihren Bruder?«»Wenig. Als er fiel, war ich zehn. Vierzig Jahre sind eine sehr

lange Zeit.«David ging davon aus, daß Williams Geist im Raum anwe-

send war. Er hoffte, William war mit ihm zufrieden und ließ Enid und die Kinder in Ruhe.

Die Beamten kamen zu einem Ende. »Es kann sein, daß wir

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Sie noch einmal hören wollen. Sie verlassen die Stadt nicht.«»Bitte? Ich arbeite hier, wieso soll ich die Stadt verlassen?«»Sie sind belehrt, Sie können gehen«, sagte der Beamte kühl.David Hatfield ging hinaus. Die Pikkering schaute ihn an, als

hätte er Vater und Mutter erschlagen.Auf dem Flur wisperte wieder Williams krachende Geister-

stimme aus dem Unsichtbaren: »Du hast dich brav geschlagen, Bruder David. Bleibe dabei, was du gesagt hat.«

»William laß ab von deinem Plan, gib deine Rache auf! Ich bitte dich darum.« Davids Stimme drohte zu versagen.

William lachte roh. »Du einfältiger Tropf! Habe ich deshalb meine Seele dem Teufel verpfändet, daß ich jetzt aufgeben soll? Halte dich heraus, es ist meine Rache, sie geht dich nichts an.«

»Gott, wie er ausgesehen hat völlig verkohlt!«»Wie jemand, der bei lebendigem Leib verbrennt«, sagte die

Stimme haßerfüllt.Dann ließ sie sich nicht mehr hören.David spürte auch nicht mehr die beklemmende Nähe des

Geistes von William. Er war fort. Sein Rachefeldzug hatte erst begonnen.

*

Ein Teil der Berwick Street ist für den Verkehr gesperrt. Dort ist jeden Tag Jahrmarkt. Händler halten Nützliches und Über-flüssiges, Kurioses und Altes feil.

Ich warf mich in das Gewimmel und ließ mich an den Stän-den vorbeitreiben.

Vorsorglich hatte ich im Telefonbuch geblättert. Miriam Sei-lers hatte kein Telefon.

Ich fragte einen Obsthändler, ob er sie kannte. Wenn sie hier

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wohnte, war es ja möglich, daß sie für ihren kleinen Haushalt gelegentlich bei ihm kaufte.

Er schaute mich böse an, als hätte ich probehalber in seine sämtlichen Äpfel und Pfirsiche gebissen. »Wollen Sie kaufen oder reden? Das Kaufen können Sie hier erledigen, das Reden in der Meckerecke vom Hyde-Park.«

Ich hatte nicht seinen guten Tag erwischt.Vielleicht kaufte sie nicht an den Ständen, sondern in den

Geschäften hinter den Marktständen. Brot benötigt jeder Haushalt. Fleisch und Wurst auch. Also nahm ich mir die Bä-ckereien und Fleischereien vor.

Ganz unten, schon fast an der Ecke Peter Street, bekam ich nach zwei mühsamen Stunden endlich einen Hinweis. Ein Bä-cker meinte, eine Miriam wohne schräg gegenüber. Aber wie sie sonst noch heiße, könne er nicht sagen.

Ich gab ihm eine Beschreibung. Er strahlte mich an. »Das ist sie.« Dann grinste er mit einem Blick auf meine Kleidung. »Hätte ich ihr gar nicht zugetraut, daß sie einen Liebhaber aus besseren Kreisen aufreißt.«

»Guter Mann, ich bin nicht ihr Liebhaber, sondern ein Freund«, sagte ich in einem Ton, der ihn bleich werden ließ. »Es ist schnell etwas behauptet, das hinten und vorne nicht stimmt.«

Ich ließ ihn darüber nachdenken und ging in das Haus ge-genüber.

Es war ein alter schäbiger Kasten, und ich schätzte, er hatte den letzten großen Brand von London überstanden, was im-merhin schon eineinhalb Jahrhunderte her ist.

Farbige Kinder spielten vor der Tür, eine betrunkene alte Frau bettelte mich um Geld an. Ich hielt ihr eine Pfundnote hin. So, daß sie sie nicht greifen konnte.

»Miriam Seilers, ist sie oben?«

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»Vergelt's Gott, der Herr, gesegnet seien Ihre Kinder, ich habe Miriam nicht weggehen sehen geben Sie schon her!« Ihre mageren Finger schossen vor und wollten mir den Geldschein entreißen.

Ich zog die Hand etwas zurück. »Welches Stockwerk, welche Tür?«

»Vierter Stock, Steht angeschrieben. Neben der Treppe gleich.« Sie schüttete in Gedanken schon einen weiteren Drink auf ihren Rausch, der Speichel floß ihr aus den Mundwinkeln.

Ich überließ ihr die Pfundnote und sah zu, daß ich hinauf kam.

Miriam wohnte ja in einer lieblichen Umgebung!Hinter einer Tür verprügelte ein Mann seine Frau und die

Kinder. Ich zögerte, an der Tür vorbeizugehen. Immerhin war ich so eine Art Polizist. Aber es war so eine Sache, sich einzu-mischen, wo man nicht gerufen war.

Sekunden später wurde die Tür aufgerissen. Einträchtig mar-schierte eine ganze Familie an mir vorbei und die Treppe hin-unter.

Wenn ich hier eingeschritten wäre, hätte ich mich böse in die Nesseln gesetzt.

Auf der schmutzigen, mit Unrat übersäten Treppe langte ich endlich im vierten Stock an. Gleich neben der Treppe, hatte die betrunkene Frau gesagt.

An der Tür standen zwei Buchstaben. M. und S.Ich spürte, daß ich richtig war. Eine Klingel gab es nicht. Ich

hob die Hand, um zu klopfen.Im selben Moment wurde die Tür aufgezogen. Miriam Sei-

lers stand mir gegenüber, nicht eine Spur überrascht. »Ich wußte, daß Sie kommen«, sagte sie. »Treten Sie ein.«

»Nur wenn ich Ihnen keine Umstände bereite«, sagte ich. »Auch möchte ich nicht als aufdringlich erscheinen.«

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Sie hörte mir gar nicht zu. Sie ging vor mir her. Also trat ich ein.

Ehe ich mich versah, schloß sich die Tür selbsttätig. Und ich konnte keinen Mechanismus entdecken, der das bewirkt hätte.

Ich schätzte, es war Miriams Werk. Ich hatte so eine dumpfe Ahnung, daß es nicht die einzige Überraschung blieb.

Das schäbige Haus, die schmutzige Treppe ich war auf eini-ges gefaßt.

Nicht, daß ich Miriam für unsauber gehalten hätte aber blen-dend ging es mir nicht. Am Morgen hatte ich ihre abgeschabte Handtasche in den Fingern gehalten, ich hatte ihre Kleidung und die Schuhe gesehen und die Frisur, die wie selbst ge-schnitten wirkte.

Ich erlebte eine angenehme Überraschung. Sie hatte ihre klei-ne Wohnung nett hergerichtet und hielt sie sauber, überall standen Gestecke und Figuren herum. An den Wänden hingen sogar Bilder. Ganz moderne Sachen.

Jedenfalls sahen sie auf den ersten Blick so aus. Dann stutzte ich.

Das waren keine modernen Bilder, das waren magische Sym-bole!

Auch die Gestecke sah ich jetzt mit anderen Augen. Sie be-standen aus seltenen Kräutern und Pflanzen, die bei Beschwö-rungen und schweren Ritualen eine enorm wichtige Rolle spielten.

Und die Figuren es waren Dämonenbildnisse mit schreckli-chen Fratzen, eine war mit einem Stahlstift durchstoßen.

Ich war bei einer Hexe zu Besuch!Miriam schaute mich prüfend an. Ich hatte mich gehütet,

nach ihren Gedanken zu tasten. Ich wollte nicht wieder was auf die Hörner bekommen, und schon gar nicht wollte ich ih-ren Unwillen herausfordern.

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Aber sie nahm sich die Freiheit, meine Gedanken zu lesen.Sie nickte. »Nehmen Sie Platz. Sie haben es erraten, ich bin

eine Hexe, erschreckt es Sie?«»Überhaupt nicht. Hexen habe ich mir anders vorgestellt.«»Böse, nicht wahr? Es gibt nur wenige weiße Hexen. Leider

haben sie die guten in Verruf gebracht.«»Dann sind Sie eine gute Hexe?«»Weder noch. Ich stehe dazwischen, ich bin zu alt, um mich

auf eine Seite zu schlagen. Trinken Sie Tee mit mir?«»Es wird mir ein Vergnügen sein«, versicherte ich.Sie hatte den Tee schon vorbereitet, sie mußte wirklich ge-

wußt haben, daß ich kam. Zwei Gedecke standen auch schon bereit.

Ich schaute ihr zu, wie sie den Tee ein goß.»Wie alt sind Sie, Miriam? Es ist keine Unhöflichkeit, daß ich

das frage. Ich habe heute Ihr zweites Gesicht gesehen. Nur ich obwohl der Bus voller Fahrgäste war.«

»Sie haben den Blick. Und Sie tragen etwas bei sich, das mir zu verstehen gegeben hat, daß Sie einer von uns sind.«

Ich trug etwas bei mir? Mir fiel nichts ein. Oder meinte sie am Ende den vertrockneten Rettich aus Schottland?

Sie kontrollierte immer noch meine Gedanken. »Es ist eine sehr starke Wurzel eine gute Waffe. Aber Sie müssen auf der Hut sein. Ihr Gegner ist gefährlich. Er ist nicht von dieser Welt.«

»Was wissen Sie über ihn?«»Ich kann es Ihnen nicht sagen ich darf es nicht. Finden Sie es

selber heraus. Auch für mich gelten Gesetze, und sie sind strenger als die, die sich die Menschen geben.«

»Aber Sie sind doch ein Mensch!«Sie lächelte. »Eine uralte Frau. Tausend Jahre und älter.«Damit hatte sie meine Frage nach ihrem Alter recht diploma-

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tisch beantwortet. Ich konnte mir vieles darunter vorstellen.»Ich bin keiner von Ihnen und Ihren Freunden, ich kann

nicht hexen«, sagte ich und probierte den Tee. Er schien gera-dewegs aus dem Paradies zu stammen. Einen köstlicheren Tee hatte ich nie zuvor getrunken.

»Sie sind kein Hexer, das ist richtig, dennoch gehören Sie zu uns, denn Sie kämpfen ebenso gegen die Mächte der Finster-nis, gegen die Wesen des Schattenreiches, die Dämonen der Schwarzwelt und gegen Satan und seine Horde. Wir tun es auch.«

»Ich denke, Sie stehen dazwischen?« Ich war ehrlich über-rascht. Vor allem, weil ich sehr wenig vom Schattenreich wuß-te und eine Schwarzwelt gar nicht kannte.

»Ich bin eine Freundin des Guten, doch ich kämpfe nicht. Kämpfen heißt vernichten und töten. Ich habe geschworen, es nicht zu tun. Vor langer Zeit. Der Schwur bindet mich bis in alle Ewigkeit.«

Das akzeptierte ich. Und in diesem Moment fiel mir ein un-verzeihlicher Fehler ein. Ich hatte mich ihr nicht vorgestellt. Ich kam zu Besuch und benahm mich wie ein Stoffel.

»Der Name ist Mac Kinsey«, sagte ich.Sie lächelte. »Ich weiß.«»Seit wann?«»Seit der Bobby Ihren Ausweis las.«Klar, sie hatte seine Gedanken kontrolliert. Und sie kontrol-

lierte meine noch immer. Das konnte ich ihr nicht verdenken. Sie wußte natürlich auch, daß ich beim Secret Service bin. Sie konnte sich denken, daß jeder Geheimdienst der Welt sich die Finger nach jemand leckte, der die Gedanken seiner Mit-menschen perfekt lesen konnte. Mit mir schien sie ein paar Schwierigkeiten zu haben. War ich dem Service bedingungslos hörig, verriet ich Miriam? Oder bewahrte ich ihr Geheimnis?

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Sie schien auf eine Blockade zu stoßen. Sonst hätte sie meine Entscheidung schon gekannt. Es konnte natürlich auch sein, daß sie die Antwort aus meinem Mund hören wollte.

»Ich werde Ihr Geheimnis nie aufdecken«, versprach ich. Dann machte ich eine Bewegung, die das Zimmer und zu-gleich die Umgebung umfaßte. »Fühlen Sie sich hier wohl? Sie könnten in eine bessere Gegend ziehen.«

»Ich wohne schon sehr, sehr lange hier. Und hier gibt es im-mer wieder Menschen, die Miriam brauchen. Warum soll ich fortziehen? Ich habe alles, was ich benötige.«

»Nur keinen Ausweis.«»Ich hatte nie einen. Es hätte Schwierigkeiten gemacht, weil

mein Name in keinem Register steht. Genau genommen gibt es mich gar nicht.«

Das war logisch. »Wie sind Sie denn durch die Zeiten ge-kommen, als es noch Lebensmittelkarten gab? Sie haben doch keine bekommen.«

»Ich habe Freunde«, sagte sie ausweichend.Dann tranken wir Tee. Wir schwiegen. Ich merkte, wie sie

sich aus meinen Gedanken zurückzog. Sie war nun über zeugt, daß ihr von mir keine Gefahr drohte.

Ich fragte, ob ich rauchen dürfte. Sie lachte und sagte, sie würde selber gelegentlich eine Zigarette rauchen. Ich bot ihr eine an und gab ihr Feuer.

Sie rauchte nicht wie eine Anfängerin mit gespitzten Lippen und mit einem Hustenanfall nach jedem Zug. »Was war das heute im Bus?« fragte ich nach einer Weile. »Ein Geist, das ist mir klar. Aber was wollte er? Warum war er so bösartig?«

»Er ist mit dem Bus weitergefahren«, sagte Miriam. »Ich habe gespürt, daß er mit dem Mann verbunden ist, der dort stand und so gehetzt schaute.«

»Der mit dem Schirm?«

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»Ja. Sie gehören zusammen. Ich konnte die Gedanken des Mannes nicht lesen, ich mußte mich zurückziehen. Sie waren voller Furcht und gräßlicher Vorstellungen. Der Geist quälte ihn. Ich spürte etwas von einer schrecklichen Drohung.«

Ich überlegte. »Sie können den Geist nicht aufspüren?«»Niemand kann das.« Ein weises Lächeln lag um ihren

Mund. »Und es ist gut so.«Ich verstand. Sonst hätten ja auch die ›anderen‹ aus dem

Schattenreich und der Schwarzwelt sie längst aufgespürt.Nach einer Stunde schien mir der rechte Augenblick zu sein,

mich zu verabschieden. Ich wollte meinen Besuch nicht unge-bührlich lange ausdehnen. Ich wußte ja jetzt, Woran ich mit Miriam war.

Ich hatte obendrein das Gefühl, eine Freundin gefunden zu haben.

Beim Abschied sagte Miriam: »Sie haben morgen eine schwe-re Aufgabe vor sich, Sie können dabei sterben. Glauben Sie an das Gute, das wird Ihnen helfen.«

Ich hatte fast Sir Horatio und seine unbestattete Lieblingstan-te vergessen. Gut, daß Miriam mich daran erinnerte.

Ihre Hand lag wie ein Herbstblatt in meiner Hand. »Ich bin glücklich, Sie kennengelernt zu haben, Miriam. Ihr Tee war ausgezeichnet.«

»Danke, es freut mich, Mac.«Wir verabredeten uns nicht. Ich spürte, daß wir uns wieder-

sehen würden. Irgendwann. Und ich glaube, Miriam erging es ebenso.

Als ich durch die Berwick Street ging, dachte ich, daß es be-stimmt keinen Mann außer mir in London gab, der behaupten konnte, eben vom Tee mit einer Hexe zu kommen.

*

Page 83: Meine Seele dem Teufel

Avery Pierson Baker kontrollierte die Liste seiner Kunden. Er war Goldhändler, er hatte es zu etwas gebracht. Aber nur, weil er die Nase immer ein wenig weiter vorn hatte als die Konkur-renz. Und weil er seine Kunden teilhaben ließ, genoß er ihr Vertrauen und einen erstklassigen Ruf.

Baker ließ sich den aktuellen japanischen Goldkurs geben. Die Börse in Tokio hatte längst geschlossen, jetzt waren Zürich und London am Zug.

Auf dem Goldmark bewegte sich etwas. Vielleicht steckten die Russen dahinter. Jemand warf gelbes Metall auf den Markt. Noch war nicht heraus, wer es war.

Das hieß, der Preis gab nach.Also mußte man jetzt noch zum hohen Preis verkaufen und

dann, wenn der Kurs gefallen war, neu einkaufen. Das war das ganze Prinzip. Wer schnell und entschlossen handelte, machte seinen Profit, wer zögerte, verlor. Die Gesetze des Goldhandels waren unerbittlich.

Ein Fernschreiben wurde Baker auf den Tisch geschoben. Er las. Das Goldangebot erfolgte in Zürich. Mit dem Abrutschen des Preises war stündlich zu rechnen.

Er griff zum Telefon und gab Verkaufsorder. Zwei Tonnen Gold verkaufte er zum aktuellen Preis.

Zehn Minuten später rief die Bank von England zurück und bestätigte die Transaktion.

Baker rieb sich die Hände. Der goldene Schnitt war ihm wie-der einmal geglückt.

Jetzt hieß es, in Zürich die Hintergründe des Goldangebotes zu erfragen. Das erforderte Fingerspitzengefühl. Das ließ sich nicht per Telefon oder Fernschreiber erledigen. Leitungen wa-ren anzapfbar.

Er gab seiner Sekretärin den Auftrag, in Gatwick anzurufen

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und das Geschäftsflugzeug startklar machen zu lassen.Sie wußte, was in einem solchen Falle zu tun war. Sie ver-

ständigte den Piloten, den Zoll, die Flugplatzverwaltung Gat-wick und den Chauffeur, der Baker hinausfahren mußte.

Baker legte wichtige Unterlagen zurecht, die er mit nach Zü-rich nehmen mußte. Er schob sie in eine flache Tasche.

Seine Brauen gingen in die Höhe, als er auf seinem Tisch ein Stück Papier liegen sah. Es mußte irgendwo herausgerutscht sein. Er nahm es auf und hielt es ins Licht. Mit seinen Augen war es nicht mehr zum besten bestellt.

Verdutzt zog er die Brauen hoch.DEINE ZEIT IST UM, AVERY BAKER. DU STIRBST.WILLIAM HATFIELD, COMMODORE DES 19. SPITFIRE-

GESCHWADERS.Baker las es noch einmal. Er verstand nicht. Er war bei dem

Gold in Zürich.Dann endlich dämmerte es ihm. Das 19. Spitfire-Geschwader.

Das war doch damals im Krieg und mithin eine kleine Ewig-keit her. Was sollte dieser geschmacklose Scherz? Wer bedroh-te ihn?

Das Spitfire-Geschwader hatten sie damals in die Hölle kom-mandiert. Nicht einer der Piloten war zurückgekehrt. Der Commodore hatte Hatfield geheißen, das hatte seine Richtig-keit. Aber der war auch abgeschossen worden.

Wer also wollte ihn mit dieser alten Sache ängstigen?Wer wußte überhaupt noch davon?Er faltete den Zettel und barg ihn in der Brieftasche. Er dach-

te nach, wer heute in seinem Zimmer gewesen war.Außer dreien seiner Angestellten niemand. Die Sekretärin

noch. Keine Fremden. Keine Besucher.Er war nicht beunruhigt, er fühlte sich nur in gewisser Weise

genötigt, sich mit der Zeit damals zu befassen. Das mochte er

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nicht. Er ließ sich ungern zu etwas zwingen, und wer ihn dazu brachte, bekam es bald sehr schmerzhaft zu spüren.

Die Sache mußte aufgeklärt werden. Wenn er aus Zürich zu-rück war. Der Zettel war ja nicht von allein auf seinen Schreib-tisch geflattert. Und geschrieben hatte ihn auch jemand. Die Handschrift allerdings sagte ihm nichts.

Er schloß seine Reisevorbereitungen ab und läutete nach der Sekretärin. »Haben Sie alles veranlaßt, Bernice?«

Er behielt sie scharf im Auge. Vielleicht hatte sie –?Unsinn, sagte er sich, sie kann davon überhaupt nichts wis-

sen. Damals war sie ja noch nicht einmal auf der Welt. Sie ist zu jung, und ich bin zu alt.

»Es ist alles vorbereitet«, sagte Bernice. »Der Wagen ist vor-gefahren.«

»Gut. Sie erreichen mich unter der üblichen Züricher Num-mer. Aber nur in Notfällen.« Er griff die Tasche vom Tisch.

»Einen guten Flug wünsche ich Ihnen.« Bernice hielt ihm die Türe auf.

Er knurrte etwas, das freundlich klang. Oder jedenfalls so klingen sollte.

Unten wartete der Fahrer. Er hielt den Schlag auf.»Nach Gatwick«, sagte Baker und ließ sich in die Polster fal-

len. Gewohnheitsmäßig griff er nach der Zeitung. Wenn er mit dem Wagen ausfuhr, legte man ihm immer die Nachmittags-ausgabe einer Zeitung hin.

Da war keine Zeitung. Er schaute nach.Jemand saß neben ihm.Avery Baker hörte draußen seinen Chauffeur einen fürchter-

lichen Schrei ausstoßen. Das Gesicht des Mannes war unbe-schreiblich verzerrt und drückte das Grauen aus, das er emp-fand. Der Mann warf sich herum und rannte schreiend ins Ge-bäude, in dem Baker zwei Stockwerke besaß.

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Baker schaute die Gestalt an, die sich neben ihm im Fond be-fand. Er hatte niemand im Wagen sitzen sehen, als er einstieg. Und nach ihm war niemand hereingeklettert.

»Was fällt Ihnen ein?« fuhr er den unerwünschten Fahrgast an. Das Wort gefror ihm in der Kehle.

Sein Fahrgast war der Tod!Unter einer Lederhaube grinste ihn ein Totenschädel mit le-

bendigen Augen an. Von den Knochen hingen da und dort noch Fleischreste. Muskelbündel, die wie verbrannt wirkten.

Avery Baker merkte, wie ihm der Schweiß am ganzen Körper ausbrach und sich über dem Gürtel sammelte. Das salzige Wasser schien sogar förmlich aus seinen Handflächen zu sprit-zen.

Er konnte sich nicht rühren vor Entsetzen. Jetzt wußte er, warum sein Chauffeur geflohen war.

Heißer brandiger Geruch breitete sich beklemmend im Wa-gen aus und legte sich Baker auf die Lungen.

Die unheimliche Drohung auf dem Zettel in seiner Briefta-sche fiel ihm ein. Er hatte sie für einen abgeschmackten Scherz gehalten. Oder für eine Bösartigkeit eines Unbekannten, den er noch in Erfahrung bringen wollte.

»Du hast die Nachricht gelesen«, sagte der Tod neben Baker. »Es ist soweit.« Er hob die Hand. Eine grauenhafte Hand. Halb Skelett und halb verbrannt.

»Wer bist du?« brüllte Baker. Er löste sich aus der Erstarrung und dem Entsetzen. Der knochenharte und ausgebuffte Ge-schäftsmann brach bei ihm durch. Er hatte im Goldgeschäft schon haarsträubende Situationen durchgestanden.

»Dann hast du die Nachricht nicht richtig gelesen«, sagte der Tod geduldig. »Ich bin William Hatfield. Ich bin wiederge-kommen, um euch Hunde zu bestrafen. Ich bin es meinen Jun-gens schuldig. Keiner von euch wird mir entgehen. Ich bekom-

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me euch alle. Einen nach dem anderen. Lord Chalfont ist vor dir zur Hölle gefahren. Du befindest dich also in bester Gesell-schaft.«

Der Totenschädel verzerrte sich zu einem höhnischen La-chen.

Dann quoll Rauch auf. Er stieg aus dem Boden des Wagens. In einer stinkenden rußigen Wolke hüllte er Avery Baker ein.

Der Goldhändler schrie entsetzt auf. Er warf sich zur Seite und rüttelte am anderen Wagenschlag. Die Tür ließ sich nicht öffnen. Sie saß fest wie zugeschweißt.

»Nein nicht. Ich will nicht sterben! Hilfe! So helft mir doch!« brüllte Avery Baker.

Rauch drang in seine Lungen und ließ ihn würgend husten. Im Krampf beugte er sich nach vorn. Jetzt sah er bereits Flam-men, die vom Wagenboden hochschlugen. Das Feuer fraß sich in seine Hosenbeine und ließ sie auflodern wie Papier.

In seiner Panik stieß Baker nach dem unheimlichen William Hatfield, der doch seit vierzig Jahren tot war. Seine Fäuste tra-fen das Wesen, als sei es aus Fleisch und Blut. Dennoch rührte sich der grausige Fahrgast nicht von der Stelle. Der Qualm, die Flammen und die immer schrecklicher werdende Hitze schie-nen ihm nichts anzuhaben.

Der quellende Rauch wurde fettig und stank nach Öl. Dazu roch es nach verbranntem Pulver und verschmortem Haar.

Irrsinnige Schmerzen ließen Baker herumschnellen und die Beine hochreißen. Dabei brüllte er in grauenhaften Tönen. Das Feuer hatte sich bereits in seine Füße und Beine gefressen und begann sie zu verzehren.

Lachend saß der unheimliche Fahrgast dabei.»Stirb, Avery Baker, stirb, wie wir gestorben sind!« dröhnte

es dem Goldhändler schaurig in die Ohren. »Du hast den Tod dutzendfach verdient.«

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Baker war durch die Schmerzen, die Atemnot und die ent-setzliche Angst schon fast tot. Er sah und spürte zugleich, wie sich das Feuer an und in seinem Körper höher fraß, wie es sei-nen Leib ergriff und ihn zu verbrennen begann.

Mit einem letzten staunenden Gedanken wunderte er sich noch, wieso die Scheiben nicht berußten, weshalb sie nicht in der Hitze platzten und warum das lederne Wagenpolster nicht in Flammen aufging.

Bakers Kopf sank zur Seite. Er war tot.Aber die Flammen fraßen weiter an ihm.Der unheimliche Fahrgast lachte schallend und schlug die

Skeletthände zusammen. Es gab ein seltsam hölzernes Ge-räusch.

»Nummer zwei ist erledigt«, sagte William Hatfield, und im nächsten Moment war er aus dem qualmerfüllten Wagen ver-schwunden.

Nur ein brennender menschlicher Körper lag noch klein und verkrümmt darin.

Eine halbe Minute später kehrte der Chauffeur zurück. Er zog einen bewaffneten Wachmann hinter sich her. Im Gebäude waren Tag und Nacht zwei Posten stationiert, seitdem es einen Überfall mit Millionenbeute gegeben hatte.

»So, und in dem Wagen soll also ein Ungeheuer hocken?« meinte der Wachmann noch unwillig. Dann fluchte er erschro-cken.

In dem Auto brannte es lichterloh. Hinter den verrußten Scheiben loderten rote Flammen. Aus ein paar Ritzen des Wa-gens drang dicker schwerer Qualm.

»Mister Baker er muß noch drin sein!« schrie der Chauffeur.Gemeinsam näherten sie sich dem Wagen. Sie versuchten die

Türen zu öffnen. Die Griffe waren mörderisch heiß und ließen sich nicht betätigen.

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»Einen Feuerlöscher!« brüllte der Wachmann.Der Chauffeur spurtete ins Haus und kehrte mit einem Feu-

erlöscher zurück. Der Wachmann hämmerte mit dem Kolben seiner Waffe gegen eine Seitenscheibe, bis sie platzte. Hitze, Rauch und Feuer schossen heraus.

Zischend ergoß sich Schaum aus dem Löscher über heißes Blech und zerborstenes Glas und unterdrückte drinnen die Flammen auf dem Rücksitz.

Langsam zog der stinkende ölige Qualm ab. Das Blech war noch immer so heiß, daß die beiden Männer keine Wagenteile anfassen konnten.

Immerhin konnte der Wachmann aber den Kopf ein kleines Stück ins Wageninnere stecken. Er erschrak bis ins Mark.

Zwar waren alle Scheiben berußt, aber seltsamerweise hatte sich auf der kostbaren Innenverkleidung des Wagens kein Ruß niedergeschlagen.

Überhaupt war die Innenausstattung völlig unversehrt. Bei dem gewaltigen Feuer hätte die aber völlig zerstört gewesen sein müssen.

Das verstand er nicht.Seine Blicke tasteten die Polster im Fond ab. Die Polster wa-

ren ebenfalls unversehrt. Auf ihnen jedoch lag etwas, das ent-fernte Ähnlichkeit mit einem menschlichen Körper hatte.

Er schluckte, zog den Kopf zurück und hustete, weil ihn der Brandqualm im Hals reizte.

»Das verstehe ich nicht«, sagte er tonlos. »Das grenzt an Geisterspuk. Alles ist unversehrt. Auf dem Rücksitz liegt was Verbranntes es könnte ihr Monster sein.«

Der Chauffeur wischte sich den Schweiß vom Gesicht, Er hatte Angst. So etwas hatte er noch nicht erlebt.

Er schaute beklommen in den Wagen.Der verkohlte Körper hatte keine Ähnlichkeit mit dem glotz-

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äugigen Totenschädelmonster, das er neben dem Chef gesehen hatte. Eine grauenhafte Ahnung schlich sich in seine Seele.

Er überwand den Ekel und musterte das verkohlte etwas. Der Löschschaum hatte das Feuer erstickt, ein Teil der Klei-dung war erhalten geblieben. Das Jackett kam ihm bekannt vor, auch wenn es nur noch in Teilen erhalten war.

Der Chef hatte es eben getragen, als er zum Wagen gekom-men war.

Ächzend taumelte er zurück und sagte würgend, weil ihm schlecht wurde: »Ich fürchte, das ist Mister Baker.«

*

In der Nähe der Paddington Station kannte ich eine kleine Fa-brik, die Scheren und Messer und chirurgisches Besteck her-stellte. Die schien mir geeignet.

In einem Kaufhaus in der Innenstadt hätte ich um ein Haar ein Messer erstanden. Rechtzeitig fiel mir die Ermahnung des alten Schotten ein. Das Messer, das ich brauchte, durfte noch nie zu einem Schnitt benützt worden sein.

Unter normalen Umständen hätte ich über eine solche Bedin-gung gelacht. Aber seit ich mich mit okkulten Dingen und übersinnlichen Phänomenen beruflich abgab, war mir das La-chen vergangen.

Der Verkäufer, den ich befragte, erklärte mir, die Schleifer in den Werkstätten und Messerfabriken würden in jedem Falle einen Probeschnitt machen. Allein, um schon festzustellen, ob die Schärfe genügte und ob die Klinge nicht verschliffen war. Danach würde die Ware dann in Kunststoff verpackt und sähe aus, als käme sie ganz und gar aus der Maschine.

Genau das war es, was ich nicht brauchte.Deshalb fuhr ich zu der kleinen Fabrik.

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Der Inhaber war ein spinnenfingriger Mann, der mich unent-wegt anzwinkerte, als wüßte er über mich und meine Wün-sche bestens Bescheid. Bis ich schließlich dahinter kam, daß dieses Zwinkern Ausdruck eines nervösen Leidens war.

Aber er war bereit, mir meinen Wunsch zu erfüllen.Er brachte mich in den Betrieb.Das war alles sehr eindrucksvoll, und er erklärte langatmig,

wo und wie seine Instrumente entstanden. Er redete von ih-nen, als seien es seine Kinder.

Ich entschied mich für eine Klinge, die frisch aus dem Tauch-bad kam.

Auf ihrem weiteren Verarbeitungsweg wich ich nicht von ih-rer Seite. Sie wurde gebohrt, der Griff wurde geheftet und dann genietet, und dann ging es ab in die Schleiferei.

Dem Schleifer schaute ich scharf auf die Finger. Dem Mann hatten wir erklärt, worauf es mir ankam.

Möglich, daß er mich für einen Kauz hielt. Oder er hatte nicht zugehört. Vielleicht war es auch einfach die Macht der Gewohnheit. Als er mit dem Schleifen fertig war, setzte er den Daumen an, um die Qualität der Schärfe zu prüfen.

»Bitte nicht!« sagte ich erschrocken. »Ich nehme das Messer so, wie es ist.«

Mich noch einmal diesem Höllenlärm in der Fabrik auszuset-zen, um eine Klinge auf ihrem langen Weg zu begleiten, das hielten meine Ohren nicht aus.

Der Schleifer schaute mich an, als hätte ich einen Sprung in der Scheibe. »Soll mir auch recht sein«, brummte er. »Aber re-klamieren können Sie nicht, damit Sie es wissen.«

Auf seinem Arbeitsplatz hatte er einen Stapel Papier. An den Schnipseln und den Schnitten sah ich, daß nicht nur mit dem Daumen die Schärfe der Klingen geprüft wurde. Sie wurde auch an Papier ausprobiert.

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Jetzt wußte ich, was der Verkäufer im Warenhaus gemeint hatte.

Ich ließ mir das Messer einpacken, bezahlte dem Besitzer ein-einhalb Pfund und fuhr mit dem Bus heim. Das U-Bahn-Perso-nal streikte weiter.

Der fremde Wagen vor meiner Garage war fort. Ich deutete es als gutes Zeichen. Vor allem hoffte ich, daß der Besitzer nicht wieder auf die Idee kam, sich einen schnellen Parkplatz vor anderer Leute Garagen zu besorgen.

In der Wohnung fingerte ich die vertrocknete Wurzel aus der Hosentasche. Die letzten Erdkrümel waren abgefallen und be-fanden sich in meiner Tasche.

Die Wurzel sah ganz harmlos aus. Runzelig, braun und un-ansehnlich. Hätte ich sie auf der Straße liegen sehen, hätte ich sie für wertlosen Abfall gehalten.

Offensichtlich verhielt es sich bei ihr ebenso wie bei vielen Dingen des Lebens sie hatte verborgene Qualitäten.

Ich packte das Messer aus und spitzte die Wurzel an, wie der alte Schotte mich geheißen hatte.

Die Wurzel war hart und trocken, das sah und das spürte ich.Und doch quoll ein Tropfen Flüssigkeit aus der entstandenen

Spitze, so rot wie Blut. Davon hatte der Schotte nichts gesagt.Ich hütete mich, den Tropfen anzufassen.Sorgsam schüttelte ich ihn in die Spüle meiner kleinen Jung-

gesellenküche und ließ gallonenweise Wasser nachlaufen. Schaden konnte es auf keinen Fall.

Ich wollte mir nichts in die Wohnung holen, das ich später zu bereuen hatte.

Argwöhnisch beobachtete ich die Wurzel. Es sickerte keine rote Flüssigkeit nach. Das beruhigte mich. Die Schnittstellen zeigten sich glatt und sauber.

Sorgsam schloß ich die Wurzel weg, die soviel magische

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Kraft besitzen sollte. Vielleicht kamen Freunde vorbei. Ich wollte mir keine dummen Fragen anhören müssen.

Oder Kathleen schaute herein.Mit ihr bin ich befreundet. So, wie man eben befreundet ist.

Sie ist Geschäftsfrau. In Covent Garden hat sie eine Boutique, die sich zur Goldgrube gemausert hatte. Demnächst wollte Kathleen noch eine Filiale eröffnen. Sie hatte etwas Günstiges an der Hand. Ein Ladenlokal in Spitzenlage.

Später machte ich mir mein Abendbrot. Dabei hörte ich Nachrichten.

Das übliche. Wirtschaftskram. Der Dollar war stark, das Pfund auch, die Spritpreise kletterten. Ich war nicht interes-siert und wollte abschalten. Da verlas die Sprecherin eine Mel-dung, die mich aufhorchen ließ.

Im Verteidigungsministerium hatte sich ein geheimnisvoller Todesfall ereignet. Ein Mord nach ersten Ermittlungen. Die Hintergründe waren völlig unklar. Das Opfer entstammte der Aristokratie. Scotland Yard tappte noch im dunkeln.

Wie meistens, fügte ich in Gedanken hinzu.Ich wußte, wer gemeint war. Ich war beim Chef gewesen, als

der den Anruf entgegengenommen hatte. Lord Chalfont war einem Attentat zum Opfer gefallen.

Das war verwerflich, es berührte mich aber nicht weiter. Ich kannte den Lord nur dem Namen nach.

In dieser Nacht dachte ich oft an Miriam, die Hexe aus Soho. Ich kam einfach nicht in den Schlaf.

Vielleicht lag es an der neuen Bekanntschaft. Oder an der Ungewißheit, wie meine Jagd auf den mysteriösen Leichen-fresser ausging. Ich konnte dabei auch sterben, hatte Miriam gesagt.

Ich glaubte ihr.

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*

Schwere Schritte ließen Fitzpatrick Usherwood aus dem Schlaf hochschrecken.

Vor den Fenstern stand grau der neue Tag. Die erste Amsel stimmte in einem Baum zaghaft ihren Gesang an. Die harten Schritte störten sie. Mitten im Lied verstummte sie.

Fitzpatrick Usherwood setzte sich auf. Sein Blick ging zur Uhr. Die Leuchtanzeige sagte ihm, daß es wenige Minuten nach fünf Uhr früh war.

Zum Teufel, wer trabte denn ungebeten auf seinem Grund-stück herum?

Für den Milchmann war es viel zu früh. Die Zeitung kam auch erst später, und außerdem wurde sie vorne am Tor in den Kasten geschoben.

Einbrecher!Klar, diese Kerle versuchten ihr Glück, wenn sie annahmen,

daß die Bewohner eines ausgeguckten Hauses im letzten und tiefsten Schlaf lagen.

Im Nebenbett rührte sich Mandy. Sie blinzelte ihren Mann an. »Was ist denn?« nuschelte sie und packte einen Locken-wickler aus dem Bett, der ihr aus der Frisur gefallen war.

»Draußen ist jemand!« stieß Fitzpatrick hervor.Seine Frau Mandy lauschte. Die Schritte waren verstummt.

»Was du auch hörst! Ich höre nichts.« Mandy drehte sich auf die andere Seite und schlief leise schnarchend weiter.

Fitzpatrick Usherwood glaubte genau zu wissen, wo der Ein-brecher sich jetzt befand. Vor der Haustür! Die Schritte waren vom Tor über den Plattenweg gekommen.

Jetzt! Knirschte da nicht ein Nachschlüssel? Oder war's ein Werkzeug?

Fitzpatrick Usherwood wünschte, eine Waffe zur Hand zu

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haben. Aber seit er aus dem aktiven Dienst bei der Royal Air Force ausgeschieden war, weil sie dort keine alten Knaben ge-brauchen konnten, besaß er nicht einmal mehr eine Pistole.

Er dachte daran, sich auf den Balkon zu schleichen und dem Einbrecher einen schweren Blumenkübel auf den Schädel zu werfen, solange er noch vor der Tür war.

Plötzlich tackten die Schritte wieder. Der Kerl ging!Fitzpatrick frohlockte.Das Schloß ist ihm zu schwierig, dachte er. Das kriegt er

ohne Krach nicht auf! Er läßt unser Haus aus. Ich hätte ihm doch was auf die Birne werfen sollen!

Er schwang die Beine aus dem Bett und tappte zum Fenster. Vorsichtig schob er die hauchdünne Gardine ein Stück beiseite.

Tatsächlich eine dunkle Gestalt bewegte sich etwas ge-krümmt zum Tor zurück.

Fitzpatrick versuchte sich Einzelheiten einzuprägen, um der Polizei später wertvolle Hinweise geben zu können.

Es war jedoch noch zu dunkel. Nur die etwas krumme Ge-stalt fiel ihm auf. Und daß sie eine Haube oder einen Helm über den Kopf gestülpt hatte.

Am Tor wandte sich die Gestalt ruckartig um. Gerade, als hätte sie gespürt, daß sie beobachtet wurde. Sie schaute genau zum mittleren Schlafzimmerfenster herauf.

Fitzpatrick Usherwood zuckte zurück.Nicht, weil er sich entdeckt sah. Sondern weil ihn das Ge-

sicht der Gestalt entsetzte. Das war ein Totenschädel, in dem zwei Augen unheimlich leuchteten!

Im nächsten Augenblick war der Platz leer, wo die Gestalt gestanden hatte. Das Tor war aber nicht gegangen. Und über die Mauer konnte ein Eindringling niemals so schlitzschnell verschwinden.

Fitzpatrick fand das recht sonderbar. Er atmete scharf und

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schwer, der Schreck wich nur langsam von ihm.Er tappte zum Bett zurück. Aber eine unerklärliche Unruhe

verhinderte, daß er einschlief.Nachdem er sich eine Stunde lang im Bett gewälzt hatte,

stand er wieder auf. Eine weitere Stunde wanderte er im Haus herum. Dann wollte er sich die Haustür ansehen. Vielleicht hatte der Kerl doch am Schloß herumgefummelt.

Das Totenschädelgesicht beunruhigte ihn. Er redete sich ein, daß es eine Täuschung war, daß das Licht zu ungewiß gewe-sen war, aber er traute seinen eigenen Beschwichtigungen nicht.

Unten im Flur stockte sein Schritt.Unter der Haustür war ein Blatt Papier hergeschoben.Irritiert betrachtete es Fitzpatrick Usherwood.Es war inzwischen nach sieben Uhr früh und hell genug, um

ihn eine unbekannte Handschrift erkennen zu lassen. Er las.Und dann hatte er das Gefühl, sein Herz würde von einer

eiskalten Faust umklammert und unerbittlich zusammenge-drückt.

Auf dem Papier stand:

DEINE ZEIT IST UM, FITZPATRICK USHER-WOOD. DU STIRBST.WILLIAM HATFIELD, COMMODORE DES 19. SPITFIRE-GESCHWADERS.

Das Grauen schüttelte den Mann wie der Herbststurm einen Busch. Er hatte die Sache damals verdrängt, wollte nie mehr an sie denken müssen.

Und jetzt, mit einem Schlag, stand die Vergangenheit vor ihm auf.

Sie hatten die Jungens vom 19. Spitfire-Geschwader damals

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verheizen müssen. Das hatte der grausame Zwang des Krieges verlangt.

Sie hatten sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, aber sie hatten schließlich doch den Befehl gegeben, der die Piloten in den Tod schickte.

Warum wurde er jetzt, vierzig Jahre danach, auf so makabre Art daran erinnert?

Die unheimliche Gestalt hatte das Papier unter der Tür her-geschoben! Jetzt verstand er. Das war kein Einbrecher gewe-sen.

Aber was wurde mit der Drohung bezweckt? Und wer hatte sie sich ausgedacht? Es war ein ganz übler Streich.

Er starrte auf das Papier. Die Handschrift verschwamm vor seinen Augen.

Keiner der Piloten war damals zurückgekehrt. Die Unter-schrift war eine Fälschung. Eine Anmaßung. Auch Hatfield, der Commodore, war damals abgeschossen worden.

Jemand, der schon vierzig Jahre tot war, konnte keine Dro-hungen schreiben und unter Haustüren herschieben.

Fitzpatrick Usherwood nahm den Vorfall nicht auf die leichte Schulter. Er überlegte, zögerte, knisterte mit dem Papier, auf dem die Todesdrohung stand, dann schritt er zum Telefon und rief die Polizei an.

Wofür hatte man die schließlich?Noch vor dem Frühstück erschienen zwei Polizisten vom Re-

vier. Sie hörten Fitzpatrick Usherwood aufmerksam zu, tauschten Blicke, untersuchten die Haustür, die keinerlei Spu-ren einer Beschädigung aufwies, und betrachteten die unheim-liche Drohung auf dem Papier.

Einer bildete sich schließlich eine Meinung: »Ein übler Scherz, Oberst Usherwood. Sie sollten sich nicht beunruhigen. Wir können die Sache weiterverfolgen, aber ich glaube nicht,

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daß wir zu einem Ergebnis kommen. Wenn Sie eine bessere Beschreibung geben könnten, wäre es einfacher. Halten Sie die Augen auf, vielleicht kommt der Kerl noch mal. Rufen Sie uns dann gleich an. Unternehmen Sie nichts auf eigene Faust. Sol-che Leute werden manchmal äußerst rabiat, wenn sie sich ent-deckt sehen.«

Sein Kollege nickte und segnete die Worte ab.Dann gingen die Bobbies.Fitzpatrick Usherwood war damit nicht zufrieden. Warten,

bis der Kerl womöglich wieder vor dem Haus auftauchte! Das ging ihm gegen den Strich. Er war noch immer ein Tatmensch, der energisch zupackte.

Mandy kam herunter, sie hatte vom Besuch der Polizei über-haupt nichts mitbekommen.

Fitzpatrick verschwieg ihr die unheimliche Todesdrohung und erwähnte beim Frühstück nebenbei, er hätte heute in Lon-don zu tun und würde nachher mit dem Wagen reinfahren.

»Dann bring mir von Harrods den neuen Katalog mit«, trug ihm Mandy auf.

Das paßte Fitzpatrick nicht besonders in den Plan. Er wollte zum Verteidigungsministerium. Vielleicht auch noch zu Scot-land Yard. Harrods lag nicht an seinem Weg.

Aber er versprach, den Katalog zu besorgen.Mandy winkte ihm nach, als er später aus der Garage fuhr

und langsam in die Straße einbog. Sie sah ihn zum letzten Male lebend.

*

Seit Heathrow zum Großflughafen ausgebaut war, erfuhr Gat-wick eine längst nötige Entlastung. Die ganz großen Jets ka-men nicht mehr her wenn nicht gerade Nebel dazu zwang,

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Heathrow zu schließen.Bevorzugt wurde Gatwick von kleineren Maschinen angeflo-

gen. Und vor allem hatten dort die Sportflieger ihr Hauptquar-tier aufgeschlagen.

Der Platz war auch Basis für die unzähligen Geschäftsma-schinen. Und ein böses Wort der Fluglotsen sagte, daß es über Gatwick mehr schwirre als in einem Bienenstock.

So viele Flugzeuge waren gut fürs Geschäft. Die Hangars wa-ren restlos vermietet, für einen Stellplatz wurden unter der Hand sogar hohe Summen geboten, die Schmiergelder gar nicht gerechnet.

Wo so viele Maschinen auf engem Raum beisammen stan-den, war die Verlockung für Langfinger groß. Manchmal ka-men sie gar nicht aus der Unterwelt, sondern aus der Schar der Piloten. Mal wurde dort ein Höhenmesser ausgebaut, mal fehl-te da eine Funkanlage.

Jedenfalls war der Ärger hinterher immer groß.Dem Wachpersonal war eingeschärft worden, besonders auf

Fremde zu achten. Und auf Leute, die durch Hangars strichen, wo sie gar nichts verloren hatten.

Thomas Orwin ortete an diesem Morgen so einen Kerl.Plötzlich stand er zwischen Hangar drei und fünf wie vom

Himmel gefallen, sah sich um, als müßte er erst sehen, ob je-mand hinter ihm her war, und latschte dann mit eigentümli-chem Gang über die Betonfläche zu Hangar fünf.

Dort waren nur Geschäftsmaschinen abgestellt, die Halle war pickepacke voll und das Tor zugerollt und verschlossen.

Wachmann Thomas Orwin grinste. Da konnte der Kerl lange sein Glück versuchen. Auf die Finger klopfen mußte er ihm dennoch. Erstens sprach sich das dann herum, und zweitens war der Kerl vielleicht ein Vogel, der schon öfter die Hangars aufgesucht und mit gefüllten Taschen verlassen hatte.

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Und wichtig war vor allem, wie er hereingekommen war. Der Flugplatz war streng gesichert. Da konnte niemand ein-fach so hereinspazieren wie in den Hyde-Park.

Orwin drückte die Ruftaste an seinem Sprechgerät. Er mel-dete sich und sagte: »Verdächtige Person nähert sich Hangar fünf. Offensichtlich männlich. Ich versuche, den Kerl wegzu-fangen.«

Die Sicherheitszentrale hatte verstanden und gab ihm freie Hand.

Thomas Orwin setzte das Fernglas an die Augen, um die ver-dächtige Gestalt näher heranzuholen.

Er schluckte aufgeregt. Die Gestalt trug eine Art Fliegerkom-bination, die man bei Oldtimerflügen noch zu sehen bekam. Sie sah aber böse mitgenommen aus zerrissen und zerfetzt. Ei-gentlich bestand sie nur noch aus Löchern.

Wie der Kerl.Blödsinn, schalt sich Thomas Orwin, wie kann denn ein

Mensch aus Löchern bestehen?Er stellte das Fernglas schärfer ein.Der Kerl trug eine lederne Fliegerhaube. Die Brille hatte er

auf die Stirn geschoben. Von der Haube baumelte der Kinn-schutz, und vor dem Gesicht, das nicht zu sehen war, hüpfte im Takt der Schritte eine vorsintflutliche Atemmaske.

Die Gestalt sah aus wie vom Maskenball entsprungen. Aber sie hatte ein Ziel. Den Hangar fünf.

Orwin verließ den Beobachtungsplatz und schwang sich in den Jeep.

Als der Motor auf röhrte, war der seltsame Kerl in seiner al-ten Fliegerkluft wie vom Erdboden verschwunden.

Orwin fluchte. Der Bursche hatte irgendwie das Kunststück geschafft, das Schloß am Rolltor des Hangars zu knacken und in die Halle zu schlüpfen. Denn wo sollte er denn sonst ste-

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cken?Der Wachmann brauste mit dem Jeep hinüber. Unterwegs in-

formierte er die Sicherheitszentrale.Orwin war höchstens noch hundert Jeeplängen vom Hangar

entfernt, als wie von Geisterhand bewegt, das gewaltige Tor beiseite rollte. Der dunkle Spalt wurde immer größer, immer breiter.

Donnerwetter, dachte der Wachmann, er hat nicht nur Schlüssel zum Tor, sondern auch zu den Motoren, die das Tor antreiben! Na, das wird was geben! Hoppla der Kerl wird doch kein Flugzeug klauen wollen?

Durch den Lärm des Jeepmotors glaubte er ein hartes Rum-peln und Spucken eines anderen Motors zu hören.

Er nahm das Gas weg, den Gang heraus und drehte die Zün-dung aus.

Tatsächlich, aus dem Hangar scholl ohrenbetäubender Flug-motorenlärm. Und in der gewaltigen Halle schallte der Krach besonders laut.

Eine Bewegung fesselte Orwins Aufmerksamkeit, gerade, als er die Zentrale über den aktuellen Stand informieren wollte. Aus dem Halbdunkel des Hangars rollte eine Maschine!

Es war ein Kriegsflugzeug! Es trug auf Rumpf und Oberseite der Tragfläche Tarnfarbe.

Mit Flugzeugen kannte sich Thomas Orwin aus. Das war eine Spitfire! Ein alter Jäger, reif fürs Museum. Soweit ihm be-kannt war, flogen von den Dingern überhaupt keine mehr.

Was ihm aber restlos den Nerv raubte, war die Tatsache, daß in Hangar fünf überhaupt keine Spitfire abgestellt war. »Er kommt mit 'ner Spitfire raus!« schrie Orwin ins Sprechfunkge-rät. »Glaubt mir, ich spinne nicht! Es ist 'ne Spitfire Sie qualmt und spuckt, aber sie rollt.«

»Sie täuschen sich, Orwin!« wurde er belehrt. »Auf ganz Gat-

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wick steht keine Spitfire…«»Dann schaut mal hier runter und überzeugt euch vom Ge-

genteil!« wetterte Orwin. »Sieht aus, als wollte er von hier aus starten. Was soll ich tun?«

Die Zentrale hatte Schaltpause. Dann kam die Anweisung: »Stoppen Sie ihn, Orwin, wir können ihn jetzt sehen. Es ist ein Spitfire-Jäger. Halten Sie ihn irgendwie auf. Er kann von der Betonfläche zwischen den Hallen starten, er benötigt keine Pis-te. Können Sie den Piloten erkennen?«

Der Wachmann sah nur die altertümliche Lederhaube in der Kanzel. Die Kuppel war schon geschlossen, die Verglasung re-flektierte Sonnenlicht und blendete.

»Es ist der Kerl, hinter dem ich her bin.«»Blockieren Sie die Maschine, Orwin!«»Will's versuchen.« Der Wachmann startete den Jeep wieder.

Es war allerhöchste Zeit, denn die Spitfire schien wahrhaftig gestartet zu werden. Der Propeller flirrte einen Kreis in die Luft, der Sogwind zerwehte den blauen Qualm aus den Aus-puffstutzen.

Orwin lenkte den Jeep in den Weg des Jägers.Aber der Pilot zog das Flugzeug in einem wahnwitzig engen

Bogen herum. Orwin mußte eine Kurve ausfahren, um wieder von vorn zu kommen.

Drohend sah er die Maschinengewehrläufe aus der gedrun-genen Schnauze der Maschine ragen. Sogar den dünnen Draht entdeckte er, der von der Kanzel zum Seitenleitwerk gespannt war. Das war die Antenne der Bordfunkanlage.

Damit flog doch kein Mensch mehr. Das war eine viel zu un-sichere Sache.

Orwin hob den rechten Arm und lenkte den Jeep dem Jäger entgegen. Er winkte aus Leibeskräften, wollte die Maschine stoppen.

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Der Pilot mußte übergeschnappt sein. Er gab Gas, der Motor der Spitfire dröhnte lauter, der flirrende Kreis des Propellers war kaum noch zu erkennen. Der Jäger nahm Fahrt auf.

Der Kerl geht aufs Ganze! staunte Orwin. Der will mich ram-men!

Er bewegte mit der linken Hand das Lenkrad. Haarscharf brachte er den Jeep an der Spitfire vorbei. Sofort setzte er zum nächsten Stoppversuch an. Er brauste von der Seite auf die alte Maschine los.

Der Pilot in der Kanzel hob plötzlich die Hand. Er grüßte! Und dann sah Orwin das Gesicht.

Er schrie auf. In der Spitfire saß der Tod.Unter der Haube grinste ihn ein Totenschädel an.Orwin kniff die Augen zu und riß sie wieder auf. Er wollte

den Spuk vertreiben. Aber das Bild blieb.Er war unfähig, den Jeep unter Kontrolle zu halten. Hart

stieß er gegen das Heck der Spitfire. Der Jeep sprang, drohte für bange Sekunden umzustürzen und landete bockend wie-der auf allen vier Rädern.

Die Spitfire hatte nicht einen Kratzer abbekommen.Sie rollte schneller. Auspuffgase wurden Orwin um die Oh-

ren gepeitscht, der Jäger rollte bis zur Hangarecke und wurde immer schneller. Jetzt hielt er genau auf Hangar drei zu. Und dann machte er einen Hopser, setzte noch einmal kurz auf und war in der Luft.

»Er ist oben!« brüllte Orwin ins Sprechgerät. »Der Wahnsin-nige ist oben. Ich habe einen Totenkopf gesehen!«

»Was?«»Totenkopf! Da sitzt der Tod drin.«Dazu schwieg die Zentrale.Thomas Orwin stoppte den Jeep und starrte hinter der Spitfi-

re her.

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Sie drehte eine Schleife. So dicht über dem Boden, daß er sie schon abschmieren sah. Sie kam zurück, flog genau auf ihn zu.

Wo die Maschinengewehrstützen aus der Schnauze ragten, flammte es plötzlich in dichter Folge auf.

Bevor der Wachmann Thomas Orwin begriff, daß der Jäger feuerte, zerfetzte ihm die Garbe aus den Bordwaffen Brust und Gesicht.

Er starb einen gnädigen Tod, gemessen an den anderen Op-fern von William Hatfield, denn sein Leben erlosch augen-blicklich.

Die Spitfire aber zog steil in den Himmel hoch und dröhnte über die Rollbahnen von Gatwick hinweg. Hunderte Men-schen sahen sie.

Doch auf den Radarschirmen konnte sie nicht geortet wer-den.

*

Fitzpatrick Usherwood verspürte eine seltsame Unruhe. Er war versucht, schneller zu fahren und dem Wagen den Knüp-pel zu geben.

Rechtzeitig besann er sich, daß auf dieser Strecke fleißig Ra-darkontrollen durchgeführt wurden und die Strafbescheide für Geschwindigkeitsüberschreitungen gepfeffert waren.

Seine Augen verengten sich, als er in der Ferne zwischen Chausseebäumen hindurch ein Flugzeug entdeckte, das un-verschämt tief flog.

Sein Herz tat einen Hüpfer, als er die Silhouette der Maschi-ne besser in den Blick bekam. Die Kiste sah doch gerade wie ja, es war eine Spitfire.

Er zuckte zusammen. Er dachte an die Todesdrohung. An Spitfire-Jäger wollte er nicht erinnert werden.

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Bäume schoben sich vor den Anblick.Bei der Brücke sah Fitzpatrick Usherwood die Maschine wie-

der. Sie kurbelte über den Feldern herum und kam dann die schnurgerade Chaussee entlang direkt auf ihn zu.

Für einen Moment verdrängte er seine Unruhe und wischte seine Sorgen beiseite. So wurden Angriffe geflogen damals. Die Spitfire waren hervorragende Jäger. Er fühlte sich in Kriegszeiten zurückversetzt.

Er erschrak bis in die letzte Nervenfaser, als er voraus graue Staubfontänen aus dem Straßenbelag springen sah. Sie beweg-ten sich in riesigem Tempo auf ihn zu.

Dann hörte er auch das aufpeitschende Hämmern der Bord-waffen.

Ja, genau so hatte es damals geklungen.Rote Flammenstöße zuckten aus der Schnauze der Spitfire.Es dauerte den Bruchteil einer Sekunde, bis Fitzpatrick Us-

herwood begriff, daß es kein Bild aus der Erinnerung war, son-dern ein wirklicher Angriff. Die Spitfire feuerte aus allen Roh-ren. Auf ihn! Er war das Ziel!

Raus! hämmerte es in seinem Schädel. Raus aus dem Wagen, sonst erwischt er dich!

Er stieg auf die Bremse. Der Wagen schleuderte, wurde lang-samer, stand endlich.

Und genau in diesem Augenblick erreichte die Geschoßbahn das Auto.

Die Windschutzscheibe zerplatzte unter Einschlägen, Kugeln hämmerten in Blech, öliger Brandgeruch füllte im Nu das Wa-geninnere.

Fitzpatrick Usherwood hatte die Tür zwar noch aufgestoßen, er konnte sich aber nicht auf dem Sicherheitsgurt befreien. Der Ausklinkmechanismus rührte sich nicht.

Qualm und Feuer schossen unter dem Armaturenbrett her-

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vor. Die Flammen griffen nach Usherwood.Er schrie ganz entsetzlich. Der Gurt fesselte ihn in den Wa-

gen. Er kam nicht frei, er begriff, daß er bei lebendigem Leib verbrennen mußte.

Seine Schreie wurden leiser, je höher die Flammen schlugen.Die ersten Autos trafen ein, wurden gestoppt, Fahrer und

Passagiere stiegen aus und umstanden in Hilflosigkeit und Re-signation das qualmende Auto.

Als die Flammen verlöschten, fanden sie darin einen bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Menschen. Das Grauen schüttel-te sie, als sie sahen, daß Polster und Innenverkleidung vom Feuer überhaupt nicht angegriffen waren.

Außer zwei Einschüssen im Blech und der zerschossenen Windschutzscheibe hatte der Wagen nichts abbekommen.

*

Ich traf meine letzten Vorbereitungen.Zuerst kam das Messer dran. Ich setzte den Schuh auf die

Klinge und brach sie ab. Sie war nicht mehr zu verwenden.Dann steckte ich die Zauberwurzel zu mir, eine Kerze und

Streichhölzer. Für den Fall, daß es mein Feuerzeug nicht tat.Die U-Bahn verkehrte wieder, und auch meine Garage war

nicht zugeparkt. Ich kam relativ leicht nach London hinein.Sir Horatio machte einen höchst nervösen Eindruck auf

mich. Ich schob es dem bevorstehenden Begräbnis zu. Am Rande bekam ich zwar mit, daß eine ungewohnte Hektik im Hause herrschte, ich wollte mich aber nicht ablenken lassen und stellte darum keine Fragen.

Nichts ist tödlicher, als wenn man nicht bei der Sache ist, wenn's um den Kopf geht. Mir brannten Miriams warnende Worte im Gedächtnis.

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Sir Horatio hatte die erforderlichen Vorbereitungen getrof-fen, die auf seiner Seite anfielen.

Er fuhr um zwölf Uhr weg, ich folgte ihm mit dem MG.Seine Verwandtschaft war zahlreich erschienen, ich konnte

mich bedenkenlos darunter mischen. Ich fiel kaum auf.Mit den Sargträgern schleuste ich mich in die Gruft des Mer-

riman-Erbbegräbnisses ein und verschwand hinter einem Pa-ravent, für dessen Aufstellung Sir Horatio Sorge getragen hat-te.

Das Abschiednehmen geriet zu einer umständlichen Proze-dur, aber endlich wurde die schwere Steinplatte vor den Ein-gang gerückt. Ich wurde mit dem neuen Sarg und mit acht-zehn bereits vorhandenen eingesiegelt. Wohl war mir nicht, wobei das Problem der Atemluft mir die wenigste Sorge berei-tete. Eine Berechnung hatte ergeben, daß die Atemluft für vier-undzwanzig Stunden ausreichte.

Der Modergeruch setzte mir wesentlich mehr zu. Und das Unbekannte, von dem ich keine Vorstellung hatte. Wenn der Leichenfresser seiner grausigen Gewohnheit treu blieb, mußte er in dieser Gruft erscheinen.

Sir Horatio hatte darauf gedrängt, daß ich ein Sprechfunkge-rät einsteckte. Eines von den kleinen leistungsstarken Dingern, das noch durch dicken Beton funktioniert. Allerdings nicht weiter als fünfzig Schritte. Das war der Haken.

Draußen wollte er ein paar Leute vom Service postieren, so-bald die Dunkelheit kam. Mir war das eine Beruhigung. Ich wußte ja nicht, was in der Schwärze der Gruft alles passieren mochte.

Acht Stunden später wurde mir meine ›Gabe‹ nützlich. Ich spürte etwas unsagbar Fremdes. Es war ohne den geringsten Laut zu verursachen in die Gruft gelangt. Die Steinplatte vor dem Eingang hatte sich nicht bewegt. Ich war sogar überzeugt,

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daß das Siegel vor dem Eingang unversehrt war.Ein herabpolternder Sargdeckel ließ mich fast zu Tode er-

schrecken.Der Leichenfresser war gekommen!Ein widerliches Schmatzen peinigte meine Ohren. Der Un-

hold hielt schon seine schauerliche Mahlzeit.Ich bewegte mich hinter dem Paravent hervor. Ich hatte mir

die Örtlichkeit genauestens eingeprägt. Das lernt man beim Geheimdienst. Das Leben kann davon abhängen.

Dabei schaltete ich das kleine Sprechfunkgerät ein. Draußen sollten sie jede Phase mithören können. Dann entzündete ich die Kerze und hielt die Zauberwurzel bereit.

Ich weiß, daß ich einen Entsetzensschrei ausstieß. Der An-blick war auch zu schrecklich.

Ein entsetzlich aussehendes Wesen, das unmöglich von die-ser Welt stammte, hatte den frischen Sarg aufgebrochen und war dabei, die Tote zu verspeisen.

Zwei trübsinnig blickende Augen glotzten mich an. Lederne Haut spannte sich über Knochen und versuchte, einen Kopf vorzutäuschen. Wo die Nase sitzen mußte, senkte sich ein Trichter in das grauenhafte Gesicht. Der Mund sah aus wie ein Haimaul mit seinen vielen Reihen messerscharfer Zähne.

Die Greifwerkzeuge waren im Sarg und rissen dort etwas ab. Ich bezweifelte, daß es Hände in unserem Sinne waren. Ich wollte es auch gar nicht erfahren, denn ich wußte jetzt, wen und was ich vor mir hatte.

Einen Ghoul!Eines von diesen dämonischen Wesen aus grauer Vorzeit,

das zwischen den Schattenwelten wandert, weil es zur ewigen Unrast verurteilt ist. Und das sich in unserer Welt seine Speise holt, um Kraft für seine weitere Wanderung zu sammeln.

Mein Kerzenlicht gefiel dem Ghoul überhaupt nicht. Er starr-

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te mich an. Dann brüllte er und griff mich an.Von einem Poltergeist war ich verprügelt und eine Treppe

hinabgestürzt worden. Geister hielt ich nicht für eine Erfin-dung schwachsinniger Leute. Diesen Ghoul hielt ich logischer-weise nicht für eine Einbildung, die augenblicklich ver-schwand, wenn ich nur die Augen fest zukniff.

Nein, das war ein dämonisches Geschöpf und so wirklich wie der Sarg vor mir und ich in der Gruft.

Ich sah schreckliche Krallen durch die Luft fahren, scharf ge-nug, um mich beim ersten Treffer in Stücke zu reißen.

Ich brüllte auch und wich zurück. Mit Getöse stürzte der Pa-ravent um. Und ich hinterher. Zum Glück verlöschte die Kerze nicht. Die hielt ich krampfhaft in der linken Hand.

Ich merkte, daß dem Ghoul das Licht lästig war. Vor der klei-nen Flamme hatte er sogar erkennbare Angst. Ich lag auf dem Rücken, er schlug nach mir, hütete sich aber, der Flamme zu nahe zu kommen.

Mit der Kerze wehrte ich die vorschnellenden Krallen ab, stieß nach der grauenhaften Fratze und erlebte die Freude, das Wesen zurückprallen zu sehen. Dabei stürzte auch noch der aufgebrochene Sarg um.

In der engen Gruft dröhnte es wie der Glockenschlag vom Jüngsten Gericht.

Sofort griff der Ghoul wieder an. Aber inzwischen stand ich wieder auf den Füßen. Mit der Kerze hielt ich ihn mir mühsam vom Leib, bis ich mir eine Taktik zurechtgelegt hatte.

Ich mußte ihn in Bedrängnis bringen, dann plötzlich den Rückzug antreten und wenn er mir zornig nachsetzte, ließ ich ihn in die Zauberwurzel rennen.

Der Plan hörte sich einfach an. Der Ghoul spielte nicht so mit, wie er sollte.

Statt sich von mir in eine Ecke drängen zu lassen, nagelte er

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mich in einer Nische fest, in der Särge übereinander gestapelt waren.

Ich berührte sie mit dem Rücken. Sie gerieten ins Wanken und stürzten, und ich wurde fast unter ihnen begraben.

Der Ghoul schoß auf mich los. Er glaubte mich eingeklemmt und hilflos. Seine Klauen fetzten mir den Jackenärmel vom Leib und das halbe Hemd und gruben tiefe Rillen in den lin-ken Oberarm. Blut spritzte hervor.

Er mochte kein Blut, er schnellte zurück. Blut bedeutet Le-ben, Tote waren ihm lieber.

Die Verschnaufpause, die er mir gönnte, war nur kurz. Sofort war er wieder da. Ich spürte seine Absicht. Er wollte mich tö-ten. Erst als Toter war ich wertvoll für ihn. Dann konnte er mich auch auffressen.

Ich bekam ihn nicht in eine Ecke gedrängt. Also griff ich ihn zwischen den herabgestürzten Särgen an und mußte achtge-ben, daß ich nicht wieder zu Fall kam.

Diesmal würde ich mich nicht wieder vom Boden erheben, soviel war sicher. Er lauerte nur auf eine solche Chance.

Mit einem Satz sprang ich rückwärts über einen zerbroche-nen Sarg und drückte mich in die Nische. Ich gaukelte ihm meinen Rückzug vor.

Irgendwo hörte ich ein Hämmern und Klopfen und Kratzen. Ich hatte keine Zeit, mich darum zu kümmern, denn der Ghoul wollte kurzen Prozeß mit mir machen. Er fiel auf meine Finte herein und schoß auf mich los.

In der rechten Hand hielt ich die Zauberwurzel. Die ganze Zeit hatte ich sie vor seinen Blicken verborgen, weil ich meine Chance noch nicht sah.

Jetzt hatte ich sie. Er schleuderte die entsetzlichen Krallen nach mir. Ich stieß mich ab, flog ihm entgegen und stieß ihm die Zauberwurzel in die Brust. Oder das, was seine Brust dar-

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stellen sollte.Er stieß einen schaurigen Schrei aus und erstarrte auf der

Stelle. Seine Krallen verharrten weniger als handbreit vor mei-nem Gesicht. Mir brach der Schweiß aus.

Wenn die Zauberwurzel des Schotten nur ein wirkungsloses Stück Holz gewesen wäre nicht auszudenken, was der Ghoul mit mir und aus mir gemacht hätte.

Die eben gehörten Geräusche drangen wieder an meine Oh-ren. Sie kamen vom Eingang. Ich verstand, der Kampf, die Schreie, mein Keuchen, das gräßliche Poltern der Särge der ganze Lärm war von meinem Sprechfunkgerät nach draußen gesendet worden, und jetzt eilten mir Kollegen zu Hilfe. Sie mühten sich noch mit der schweren Steinplatte vor dem Ein-gang ab.

Der Ghoul war tot. Seine trübsinnig blickenden Augen waren erloschen, das Gesicht erinnerte mich an ein riesengroßes aus der Art geschlagenes Insekt.

Der alte Schotte hatte mir nicht gesagt, was ich weiter mit der Zauberwurzel anstellen sollte. Es konnte nicht schaden, wenn ich sie rettete. Also versuchte ich, sie aus dem Körper des toten Ghouls zu ziehen. Sie saß fest, als hätte sie in dem dämoni-schen Wesen Wurzeln geschlagen. Ich bekam sie nicht heraus.

Aber der Ghoul bewegte sich plötzlich wieder.Ich sprang entsetzt zurück und hatte einen Warnschrei für

die Kollegen auf den Lippen, die jeden Moment in die Gruft eindringen mußten.

Ich war einer Täuschung zum Opfer gefallen. Der Ghoul be-wegte sich nicht, er schrumpfte. Ich konnte das Knistern der ledernen Haut hören.

Unvermittelt stürzte die kleiner und dünner werdende Ge-stalt nach vorn genau in meine Kerze.

Zwar riß ich noch die Hand beiseite, aber der lederne zun-

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dertrockene Körper des Wesens hatte schon Feuer gefangen. Die Flammen fraßen sich von der rechten Kralle zum Körper und breiteten sich blitzschnell aus.

Im Nu war die ganze Schreckgestalt in Feuer gehüllt.Sie schrumpfte noch schneller und zerfiel. Der Anblick war

grauenhaft.Genau in diesem Moment drängten die Kollegen herein. Sie

hatten die Steinplatte bezwungen.Sie blieben wie erstarrt stehen und starrten aus hervorquel-

lenden Augen auf das makabre Schauspiel des sich auflösen-den Ghouls. Die sprühenden Flammen übergössen die Gesich-ter mit einem fahlen Schein, der sie wie tot aussehen ließ.

Gebannt verfolgte ich den Prozeß der Auflösung und gleich-zeitig die Reaktion der Kollegen. Mir war, als würde ich das verzerrte Gesicht meines Chefs zwischen den fahlen Gestalten sehen. Meine Aufmerksamkeit war aber von dem Feuerschau-spiel mehr in Anspruch genommen.

Während er verglühte, schrumpfte der Ghoul immer mehr. Er war schon kleiner als eine Zigarrenkiste. Die Flammen sprühten am Boden. Auf eine wissenschaftlich völlig unerklär-bare Art waren sie transparent. Sie entstanden auch nicht aus der Energie der verbrennenden Körpermaterie, sondern ir-gendwie aus dem Nichts und griffen den Ghoulkörper an, um ihn aufzulösen.

Mit einem letzten Aufsprühen schafften sie das. Der bis zur Winzigkeit geschrumpfte Ghoul war verschwunden. Die Flam-men erloschen.

Jemand knipste eine starke Handlampe an.»Mein Gott, was war denn das? Mac, haben Sie einen Geist

zur Strecke gebracht?« Es war wahrhaftig die Stimme von Sir Horatio.

»Einen Ghoul, Sir. Das ist etwas anderes als ein Geist. Ich

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denke, die Toten haben vor dem geheimnisvollen Leichenfres-ser künftig Ruhe«, sagte ich.

Sir Horatio und die Kollegen waren stark beeindruckt. Auch davon, daß der Ghoul durch eine dicke Steinplatte gegangen war, ohne das Siegel draußen zu zerbrechen.

Natürlich wollte man von mir eine Menge Auskünfte und Er-klärungen haben. Aber ich schwieg, das hatte ich dem alten Schotten versprechen müssen.

Ich beschloß, ihm eine Kiste vom feinsten Whisky zu schi-cken zwölf Flaschen. Wenn er den Absender las, würde er Be-scheid wissen.

Bedauerlich war, daß ich die Zauberwurzel nicht hatte retten können. Das war vielleicht aber so beabsichtigt.

Schottland war nicht aus der Welt. Falls ich wieder mal eine Wurzel benötigte.

Jedenfalls hatte ich Sir Horatio einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Außerdem war Scotland Yard blamiert, was meinen Chef mit grimmiger Freude erfüllte, denn es bestand eine scharfe Rivalität.

Die vom Yard zierten sich auch nicht, wenn sie uns was rein würgen konnten.

Sir Horatio knöpfte uns allen das Versprechen ab, über die Vorgänge auf dem Friedhof Stillschweigen zu bewahren. Wäre allgemein bekannt geworden, daß wir ein Schattenwesen zur Strecke gebracht hatten, hätte sich ganz England den Bauch gehalten vor Lachen. Es genügte, daß der schreckliche Lei-chenfresser nicht mehr zuschlug.

Wir rückten die schwere Steinplatte vor den Zugang. Sir Ho-ratio wollte dafür sorgen, daß morgen das Siegel erneuert wurde.

Er drückte mir lange und heftig die Hand. Die Worte fehlten ihm.

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Auf dem Parkplatz außerhalb wurde er wieder dienstlich. »Mac, kommen Sie morgen pünktlich zum Dienst. Da hat sich eine schlimme Sache zusammengebraut.«

Ich schwieg. Er sollte reden, er hatte Informationen.»Lord Chalfont«, fuhr er fort, »vielleicht hilft Ihnen das auf

die Sprünge.«»Nicht sehr. Er ist Opfer eines Attentats geworden.«»Er und andere. Ich fürchte, Sie müssen ran.«»Schon wieder?« seufzte ich. »Attentate halte ich für höchst

verwerflich, sie sind aber doch nicht übernatürlich oder haben gar eine magische Ursache.«

»Wer weiß!« meinte der Chef andeutungsweise. »Wenn je-mand seit vierzig Jahren tot ist und jetzt plötzlich damit be-ginnt, Leute umzubringen, wie würden Sie es anders nennen als magisch und rätselhaft und unheimlich?«

»Kriminell«, rutschte es mir heraus.Der Chef lächelte dünn. Ein Zeichen dafür, wie unfroh er

war.»Nichts zu machen, Mac. Alle Kriminalabteilungen, die sich

mit der Sache befassen könnten und müßten, haben den Fall abgewimmelt, kaum daß sie in die Ermittlungen hineinge-schnuppert hatten. Was wollen Sie auch anfangen, wenn der Täter mit Sicherheit jemand ist, der vor vierzig Jahren starb?

Was zu machen war, wußte ich in diesem Moment noch nicht. Etwas anderes schon nämlich, daß mich der Mörder aus der Vergangenheit brennend interessierte.

Sir Horatio hatte den richtigen Köder in die Falle gelegt, um mich anzulocken. Ein modernder Toter begegnete einem auch nicht alle Tage.

Ich ließ Sir Horatio und die Kollegen abfahren.Um mich herum standen dunkel die Bäume. Ein Stück ent-

fernt rumorte das nächtliche London. Vom Friedhof rief ein

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Käuzchen. Ich wandte mich langsam um.Der Mond verbarg sich hinter Wolken, ich konnte nicht ein-

mal die Mauer sehen. Der Totenacker hinter der Mauer erschi-en mir wie ein einziges schwarzes schweigendes Grab.

Fröstelnd zog ich die Achseln hoch.Ich schwang mich in den MG. Eine andere Gegend war mir

als Aufenthaltsort lieber.Auf der Heimfahrt drehte ich einen gewaltigen Bogen über

Soho und stellte in der Peter Street den Wagen ab. Dunkle Ge-stalten waren unterwegs, ich klemmte meine Brieftasche in den Hosenbund.

Das Haus war verschlossen, und droben bei Miriam war es dunkel.

Dann nicht, dachte ich und kehrte achselzuckend um.Ich hätte der Hexe gerne vorgeführt, daß ich am Leben war.

Aber vielleicht wußte sie es längst.

*

Was mir Sir Horatio am nächsten Morgen mit der Leidensmie-ne eines magenkranken Managers vorlegte, entwarf wahrhaf-tig ein sehr unkonventionelles Bild eines Mörders.

Darüber zerbrach ich mir jedoch noch nicht den Kopf. Ich vertiefte mich erst einmal in die Berichte der Mordkommissio-nen und der Kriminalabteilungen.

Lord Chalfont war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt wor-den. In seinem Büro im Ministerium. Ohne daß auch nur ein Möbelstück oder sein Sessel, in dem er kauerte, angesengt wa-ren.

Die Spurensicherungsexperten hatten gepaßt. Sie fanden nur Fingerabdrücke von Leuten aus dem Mitarbeiterkreis von Lord Chalfont und von ihm selber.

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In der Schublade des Schreibtisches war indes eine zerknüllte Morddrohung gefunden worden.

Die Handschriftanalyse sagte, daß ein gewisser William Hat-field die Drohung geschrieben hatte. Der war aber seit vierzig Jahren tot. Ein Jagdflieger, der abgeschossen worden war.

Die Analyse der Schrift jedoch hatte erbracht, daß sie tau-frisch war.

Der nächste Ermordete war ein gewisser Avery Baker, ein Goldhändler.

Er war auf dem Rücksitz seines Wagens verbrannt. Bevor er eine Geschäftsreise hatte antreten können. In seinem fast ver-kohlten Jackett hatte die Brieftasche gesteckt, und diese ent-hielt auch eine Todesdrohung durch diesen William Hatfield.

Die Aussage des Chauffeurs von Baker fesselte mich. Der Mann wollte den Tod neben seinem Chef sitzen gesehen haben und hatte daraufhin vor lauter Entsetzen erst einmal Fersen-geld gegeben.

Gestern erst war ein ehemaliger Oberst der RAF, Fitzpatrick Usherwood, jämmerlich in seinem Wagen auf dem Weg nach London verbrannt, nachdem ihn ein Spitfire-Jäger angegriffen und beschossen hatte.

Ich mußte wohl etwas eigenartig gucken, denn Sir Horatio wedelte mit der Hand. »Die Spitfire ist keine Einbildung, Mac. Lesen Sie pur weiter. Sie ist von Gatwick gestartet, hat einen Wachmann erschossen und wurde von vielen Zeugen gesehen. Auf dem Radarschirm war sie aber nicht.«

Ich pfiff leise durch die Zähne.Gespannt las ich, was die Kollegen von der Kriminalabtei-

lung darüber herausgefunden hatten.Auf ganz Gatwick gab es keine Spitfire, und doch war sie aus

einem Hangar gerollt. Ganz früher hatten dort Spitfire-Jäger gestanden. Seit Kriegsende nicht mehr.

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Der Wachmann hatte Über Funk mit seiner Zentrale in Ver-bindung gestanden. Dort hatten sie reichlich seltsame Beob-achtungsberichte aufgefangen.

Ein Unbekannter war plötzlich zwischen den Hangars aufge-taucht, ein Mann in einer alten Fliegermontur, die schlimm zerrissen wirkte. Dann war das Rolltor geöffnet und bewegt worden, ohne daß die entsprechenden Schlüssel eingesetzt wurden.

Und in der herausrollenden Spitfire hatte der Wachmann schließlich den Tod sitzen sehen. Der Pilot hatte einen Toten-schädel gehabt.

Tod?Ich blätterte zurück. Der Chauffeur von Baker hatte auch den

Tod im Wagen seines Chefs gesehen.Nachdenklich klopfte ich mir eine Zigarette aus der Packung.

Da gab es Zusammenhänge, klar. Ich konnte nur nicht sehen, wie die Fäden geknüpft waren.

Usherwood hatte übrigens auch eine Todesdrohung erhalten, stand da. Jemand hatte sie ihm unter der Haustüre hergescho-ben, und er hatte die Polizei alarmiert, weil er an einen Einbre-cher geglaubt hatte.

Scotland Yard hatte die Polizisten zu dem Vorgang vernom-men. Usherwood hatte ihnen die Morddrohung gezeigt. Lei-der war sie mit ihm verbrannt. Aber man hatte den Bobbies die Drohungen gezeigt, die Baker und Lord Chalfont erhalten hat-ten, und sie bestätigten, daß so die Handschrift auf dem Zettel ausgesehen hatte.

Dreimal hatte William Hatfield den Tod eines Opfers ange-droht. In allen drei Fällen waren die Männer dann auch unter spektakulären Begleitumständen umgebracht worden.

Der Wachmann hatte offensichtlich keine erhalten. Es sah so aus, als sei er dem geheimnisvollen Mörder mehr zu fällig in

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den Weg geraten und deswegen umgebracht worden.Ich las mir den Bericht der Mordkommission gerade in sei-

nem Fall noch einmal durch. Etwas störte mich.Da war es schon. Thomas Orwin, so hieß der arme Kerl, war

nicht verbrannt wie die anderen Opfer. Er war von Kugeln zer-fetzt worden, die die Bordwaffen der Spitfire ausgespuckt hat-ten.

Sir Horatio trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Schreibtischplatte. Das Geräusch irritierte mich. Vielleicht wollte der Chef mich zu größerer Eile antreiben. Ich ließ mich aber nicht hetzen. Wenn ich etwas übersah, war es nachher mein Schaden.

Zigarettenrauch biß mir in die Augen. Ich stäubte die Asche in die Schale und ging die bemerkenswerte Schriftstücksamm-lung noch einmal durch.

Wer sagte es denn? Natürlich hatte ich etwas überblättert.Ironie oder nicht auf dem Schreibtisch von Lord Chalfont

hatte die Akte des Commodore William Hatfield gelegen. Sie war ihm zusammen mit anderen aus, dem Archiv gebracht worden, damit er entschied, ob sie freigegeben wurde oder weiter der Geheimhaltung unterlag.

Es kam noch besser. Ein Bruder dieses William Hatfield, Da-vid mit Namen, hatte diese Akte aus dem Archiv geholt und Lord Chalfont auf den Tisch gepackt. Darüber hinaus war Da-vid Hatfield auch der letzte Besucher des Lords.

Ich wühlte wie besessen in der Sammlung. Einen Hinweis darauf, daß dieser David Hatfield sich in der Nähe der beiden anderen bedrohten Opfer aufgehalten hatte, fand ich nicht.

Ich griff sofort zum Telefon und ließ überprüfen, wo er wirk-lich gewesen war. Nicht der winzigste Hinweis durfte überse-hen werden.

Dann vermißte ich weiter die Akte dieses vor vierzig Jahren

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abgeschossenen Commodore William Hatfield. Sie befand sich nicht bei den Unterlagen. Ich forderte sie sofort an.

Und dann fixierte ich Sir Horatio, der knurrend wie ein hungriger Löwe um mich herumstrich, noch nicht ganz ent-schlossen, ob er mich verspeisen sollte.

»Sir, bestanden irgendwelche Verbindungen der Opfer unter-einander? Oder zu diesem William Hatfield? Es waren mit Ausnahme des Wachmannes alles ältere Männer. Theoretisch könnten sie William Hatfield gekannt haben.«

»Das muß Ihnen der Teufel eingegeben haben«, ächzte der Chef. Er hatte plötzlich ein Taschentuch in der Hand und be-tupfte die Stirn. »Ich habe auch vermißt, daß in dieser Rich-tung nicht ermittelt worden ist. Darum habe ich mir erlaubt, ein wenig unsere Archive zu befragen. Die Opfer kannten sich. Zumindest waren sie früher in einem Stab. Beim Kommando der RAF in High Wycombe.«

Seine Stimme riß mit einem Mißklang, als sei Glas zerbro-chen.

»Also Flieger wie William Hatfield«, faßte ich zusammen. »Was taten sie im Stab?«

Der Chef wischte sich über die Augen. Ich sah, daß seine Hand zitterte. Das machte ihn mir menschlicher und brachte ihn näher.

»Ich habe über das Schicksal des neunzehnten Spitfire-Ge-schwaders nachgeforscht, Mac«, sagte er langsam; er schaute aus dem Fenster. »Das Geschwader wurde verheizt. Es wurde dem Feind damals in den Rachen geworfen, um einen Großan-griff vorzutäuschen und Abfangjäger zu binden. Dadurch ge-langte ein Bombergeschwader unangefochten bis tief nach Frankreich und konnte wichtige Nachschublinien unterbre-chen. Die Bomber kehrten zurück, die Spitfire-Jäger kamen in die Hölle. Hinterher fragt man sich, ob es das wert war, Über

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fünfzig lebensfrohe junge Männer in den Tod geschickt zu ha-ben. Vorsätzlich.«

»Hatten sie eine Chance, Sir?«»Keine, und das wußten die Leute, die den Befehl zum An-

griff gaben. Der Befehl wurde einstimmig vom Stab gefaßt.«»Und dem gehörten Lord Chalfont, Baker und Usherwood

an, ich verstehe. Wer noch?«»Die meisten sind tot, ich habe das ermitteln lassen. Lord

Chalfont, Baker und Usherwood sind nun auf gräßliche Weise umgekommen. Das hat die Zahl der Überlebenden auf vier re-duziert. Drei leben in der Nähe von London, einer im Aus-land.«

»Die Namen, Sir. Und die Adressen. Man muß die Leute warnen. Sobald sie eine Todesdrohung erhalten, sollen sie so-fort hier anrufen.« Ich drückte die Zigarette aus. Und dabei fiel mir etwas ein. ,Sir, wie ist William Hatfield vor vierzig Jahren gefallen? Er wurde abgeschossen, sagen Sie. Aber wie? Ist er ins Meer gestürzt oder auf dem Feld zerschellt? Konnte er ab-springen und starb am Schirm?«

»Verbrannt ist er wie die meisten seiner Piloten«, sagte Sir Horatio. »Die Maschinen waren erst ein paar Minuten in der Luft. Sind von einem Platz an der Küste gestartet, mit Sprit und Munition vollgepackt bis oben hin.«

Jetzt war ich meiner Sache sicher, daß wirklich William Hat-field der grausame Mörder war. Auch wenn er seit vierzig Jah-ren tot war. Er war aus dem Jenseits zurückgekehrt und rächte sich an den Männern, die damals den Todesbefehl für das 19. Geschwader getragen und verantwortet hatten.

Was mich in diesem Punkt so sicher machte, war die schreck-liche Tatsache, daß Lord Chalfont, Baker und Usherwood ebenso verbrannten wie ein in seiner brennend abstürzenden Maschine eingeklemmter Pilot von Feuer eingehüllt, den si-

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cheren Tod vor Augen, unfähig, daran etwas zu ändern.

*

Die Akte William Hatfield wurde mir gebracht.Sie enthielt das übliche Herkunft, Daten, Ausbildung, Beur-

teilungen, eine Kopie des Schreibens, das nach der Katastro-phe an die Eltern gegangen war ,Das britische Kriegsministeri-um bedauert, Ihnen mitteilen zu müssen…

So fingen sie alle an, diese Schreiben der Hoffnungslosigkeit, in denen gesagt werde, daß wieder einer gefallen war.

In der Akte wurde wenig über die Familie gesagt.Ein junger Bruder mit Namen David wurde erwähnt. Auch

von dem waren Daten gesammelt. Der Junge war damals gera-de zehn gewesen.

Ich glaubte nicht, daß er David Hatfield etwas mit den ent-setzlichen Morden zu schaffen hatte. Ich mußte jedoch auch diese Möglichkeit in Betracht ziehen.

Es konnte auch durchaus sein, daß er etwas über seinen toten Bruder wußte, das uns nicht bekannt war. Oder daß sein aus dem Totenreich zurückgekehrter Bruder mit ihm in Verbin-dung getreten war.

Wenn es so war, würde er das bestimmt nicht zugeben.Ich nahm mir vor, mich näher mit ihm zu befassen.Wenige Minuten später hatte ich schon das Ergebnis der

Nachforschungen über David Hatfileds zeitweiligen Aufent-halt in Händen.

Sowohl mit dem Mord an Baker als auch an Usherwood war er nicht in Verbindung zu bringen. Auch nicht mit dem an dem Wachmann Orwin auf dem Flughafen Gatwick.

Doch ein unglückseliger Zufall, daß er ausgerechnet die Akte seines Bruders zu Lord Chalfont gebracht hat, dachte ich.

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Von der schwarzhaarigen Sheila ließ ich mir den Namen und Adressen der überlebenden Stabsangehörigen aus dem Com-puterspeicher ziehen. Über die Stelle, die den Männern die Rente ausbezahlte, ging das glatt und reibungslos.

Bill Camden lebte inzwischen in Australien. Ich mußte ihn warnen, aber direkt gefährdet war er wohl nicht.

Murph Hatcher wohnte hinter Luton im Norden. Er hatte Te-lefon, meldete sich aber nicht. Ich verabredete mit Sheila, daß sie es immer wieder bei ihm versuchte.

Auch der nächste meldete sich nicht Jones Wark. Für den spannte ich Barbara Hicks ein. Sie war nicht erbaut von dem Job, sie zeigte mir ihr Pferdegebiß. Aber sie hielt den Mund.

Solange sie tat, was ich wollte, durfte sie mir auch die Zähne zeigen.

Der letzte Mann war Kevin Holderman. Er wohnte auf dem anderen Themse-Ufer, gleich hinter dem Waterloo-Bahnhof.

Ich dachte schon, er sei ebenfalls ausgeflogen, als doch der Hörer abgenommen wurde. Mir richtete es die Nackenhaare auf, als ich eine gehetzte Stimme keuchend sagen hörte: »Um Gottes willen, wer immer Sie sind, helfen Sie mir! Er bringt mich um, er – neeiiiin –« Die Stimme steigerte sich zu gellen-dem Schreien.

Der Mörder aus dem Totenreich! Er war bei Holderman, er schlug wieder zu! Und ich wohnte dem Drama am Telefon bei und konnte nichts tun.

»Hallo?« brüllte ich in den Apparat.Die Antwort waren nur ein unheimliches Brausen und Knis-

tern, wie von Flammen und dann Kevin Holdermans schon nicht mehr menschliche Schreie.

Ich warf den Hörer auf und raste hinaus.Vielleicht konnte ich doch noch etwas für den Mann tun.Auf den Aufzug zu warten dauerte mir zu lang. Ich spurtete

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die Treppen hinab, schwang mich in den MG und legte einen Kavaliersstart hin. Die Reifen schmierten wenigstens zwei Pfund Gummi auf den Asphalt.

Obwohl ich voll aufdrehte und auf der Westminster-Brücke glatt einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellte, brauchte ich doch gute zehn Minuten, bis ich bei dem Haus anlangte, in dem Kevin Holderman wohnte.

Ich stürzte durch den Flur, las die Namen dritter Stock und hetzte eine Steintreppe hinauf.

Vor Holdermans Tür stach mir der Gestank von heißem Öl unangenehm in die Nase. Ich nahm einen Anlauf, als auf mein Klopfen sich nichts in der Wohnung rührte, und rannte die Tür ein.

Ich war zu spät gekommen.Fettiger ruß trieb herum, verschwand aber, sobald er sich

setzte. Rauch quoll unter der Decke.Ich sah am Ende vom Flur eine schwarzverkohlte Gestalt am

Boden liegen. In der Nähe baumelte der Telefonhörer von ei-ner Vitrine.

Mit einem Blick sah ich, daß für Kevin Holderman jede Hilfe zu spät kam. Der Mörder aus dem Totenreich hatte sein nächs-tes Opfer gefunden.

Eine undeutliche Bewegung ließ mich herumwirbeln.Nur ein paar Armlängen entfernt sah ich jemand stehen, der

eben nicht dagewesen war. Darauf wollte ich einen Schwur ab-legen.

Ich erschrak bis ins Mark.Ich war dem Tod begegnet!Auf einem fast verbrannten Körper, um den eine zerfetzte

Fliegerkluft mit mächtigen Brandlöchern schlotterte, saß ein Totenschädel und grinste mich an. Der Schädel besaß zwei le-bende Augen. Sie funkelten zornig.

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Der Tod hatte einen Namen.»William Hatfield!« stieß ich heiser hervor.Ein geisterhaftes Lachen drang aus dem Schädel. »Er sieht

lieblich aus, nicht wahr? So werden sie alle aussehen, wenn ich mit ihnen fertig bin.«

»Halten Sie mit Ihrem Rachewerk ein, Hatfield!« sagte ich, allen Mut zusammennehmend. »Kehren Sie ins Totenreich zu-rück!«

»Nein!« Seine Stimme hatte etwas Endgültiges. »Als ich run-terfiel, habe ich meine Seele dem Teufel versprochen, wenn er mich Rache nehmen läßt. Er hat meine Seele genommen, und ich habe jetzt meine Rache bekommen. Ich werde sie alle aus-löschen. Auch dich, wenn du noch einmal meinen Weg kreu-zen wirst.«

»Halt!« schrie ich, als ich merkte, daß sich seine Konturen aufzulösen begannen.

»Du kannst mir nicht befehlen!« Er lachte mich aus, seine Ge-stalt wurde durchscheinend.

»Doch, ich werde es versuchen!« brüllte ich ihm hinterher.Er verflüchtigte sich ins Reich des Unsichtbaren. Ich war si-

cher, daß er meine Worte noch gehört hatte. Ich hoffte nur, daß er sich jetzt auf mich konzentrierte.

Dieses flimmernde wallende Gebilde ließ mich in jähem Ent-setzen an die Geistererscheinung im Bus denken als ich meine Bekanntschaft mit Miriam machte.

Genau so hatte die ausgesehen.Sollte sie der Geist von William Hatfield gewesen sein? Ich

war mir ziemlich sicher.Ich verständigte von Holdermans Apparat aus die Mord-

kommission. Mehr konnte ich hier nicht mehr tun.

*

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Die Vorzimmerprinzessinnen von Sir Horatio hatten Wark und Hatcher immer noch nicht erreicht. Ich ahnte Schlimmes und veranlaßte, daß Polizei zu den beiden Adressen fuhr.

Eine halbe Stunde später kam der erste Anruf. Hatcher hatte tot in seinem Garten gelegen. Total verkohlt. Jedenfalls nah-men die Polizisten an, daß es Hatcher war. Seine Frau hatte einen Schock erlitten und befand sich im Hospital. Ihr Zustand wurde mir als lebensbedrohlich geschildert.

Ich fragte, ob die Polizisten eine Todesdrohung gefunden hatten.

Hatten sie. Die Mordkommission hatte sie bereits kassiert. Der Wortlaut war mir geläufig.

Der zweite Anruf kam wenig später. Jones Wark war unauf-findbar. Er machte eine Reise, hatte seine Nachbarin Auskunft gegeben. Wohin ihn diese Reise führte, wußte sie nicht.

Ich hoffte, daß Wark sich dadurch einer relativen Sicherheit erfreute. Im höchsten Maße gefährdet war er erst, wenn er nach London zurückkehrte. Leider wußte die Nachbarin nicht, wann das sein sollte.

Ich veranlaßte, daß ständig ein Posten vor Warks Wohnung stationiert wurde. Wenn der Mann zurückkehrte, sollte er so-fort aus dem Haus gebracht werden.

Aber wohin mit ihm?»In eine Kirche«, sagte ich.»Bitte?« fragte der Polizist. »Da ist was in der Leitung, Sir.

Oder sagen Sie wirklich so komische Sachen?«»Was ist an einer Kirche komisch, Sergeant? Bringen Sie ihn

in eine Kirche und verständigen Sie mich sofort.«»Ja«, knurrte er widerwillig.Ich hoffte, daß er sich strikt an die Anordnung hielt.Als ich auflegte, dachte ich wieder an William Hatfields

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Geist. Die Szene im Bus und bei Holderman in Flur ähnelten sich verblüffend.

»Zum Teufel, gibt es denn kein Bild Von diesem David Hat-field?« fuhr ich Barbara Hicks an, die atemlos meinem Ge-spräch mit dem Sergeant zugehört hatte. Als ich von der Kir-che sprach, hatte es in ihren Augen hoffnungsvoll gefunkelt. Ich machte ihre stille Freude zunichte, indem ich hinzufügte: »Freuen Sie sich nicht, ich habe nicht die Absicht, in ein Klos-ter einzutreten.«

»Schade«, meinte sie trocken. Und dann drückte sie Tasten und zauberte ein Männerbildnis auf den Bildschirm.

Ich starrte die Wiedergabe an, als könnte ich den Teufel se-hen. Dieses Gesicht kannte ich doch! Das hatte ich doch im Bus gesehen. Der Mann, der gehetzt um sich geblickt und seinen Schirm wie einen Degen gehalten hatte.

Und neben ihm hatte diese Geistererscheinung um eine Kör-perform gekämpft!

»Barbara, sind Sie sicher, daß das David Hatfield ist?« fragte ich.

Sie warf schnippisch den Kopf hoch, als hätte ich an ihrer Jungfräulichkeit gezweifelt.

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen.Deshalb der gehetzte Ausdruck von David Hatfield. Er hatte

gewußt, daß sein Bruder William aus dem Totenreich zurück-gekehrt war, möglicherweise sogar gespürt, daß der Geist ne-ben ihm im Bus fuhr.

Er hatte Angst. Mir wäre es auch so gegangen.Darum waren seine Aussagen zum Tod von Lord Chalfont so

wässrig ausgefallen. Ich vermutete, daß William ihn bedroht, vielleicht sogar gezwungen hatte, sich an dem Mord in irgend-einer Form zu beteiligen.

Ich war so mit Kombinationen beschäftigt, daß ich zwei Ziga-

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retten hintereinander anmachte und im Aschenbecher qual-men ließ. Sheila machte mich darauf aufmerksam.

Ich dachte mit voller Konzentration und ließ die Zigaretten, wo sie waren. An Camden kam William Hatfield nicht so bald heran, und Wark war auf Reisen Diese beiden fehlten noch in Williams Racheplan.

Auf diese beiden Opfer würde er nicht verzichten. Er hatte vierzig Jahre gewartet, er konnte weiter warten.

Aber wo wartete er?Daß er Kontakt zu David aufgenommen hatte, war mir klar.

Hatte er sich bei dem zuhause eingenistet?Je länger ich darüber nachdachte, desto überzeugter wurde

ich, daß ich ihn dort aufspüren konnte.Mit Aufspüren allein war es nicht getan.Ich mußte ihn unschädlich machen.Mit Weihwasser und Kruzifix würde ich nicht weit kommen.

Als Flieger war William bestimmt ein unheiliger Kerl gewesen, und die vierzig Jahre beim Teufel hatten ihn gegen solche Ab-schreckungsmittel wie Kreuz und Geweihtes Wasser abge-stumpft.

Was aber war, wenn ich ihn mit seiner eigenen Waffe be-kämpfte? Mit Feuer?

Ich flitzte zu Sir Horatio hinein.»Sir, ich benötige aus unserer Werkstatt einen Flammenwer-

fer und Schwefelbrandsätze.«Seine Brauen gingen hoch, als hätte ich geäußert, ich würde

jetzt eben losspazieren und die Bank von England ausrauben. »Und wofür, Mac?«

»William Hatfield. Ich glaube, ich weiß, wo ich ihn finde.«Sir Horatio schluckte zweimal. Er stellte keine Fragen. Er

drückte die Ruftaste und gab unserer Klempnerabteilung, wie unsere Spezialisten für Waffen und Feuerwerke heißen, den

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Auftrag, mich mit Flammenwerfer und Schwefelbomben und allem auszustatten, was ich brauchte.

*

Mein Plan war, David Hatfield mitzunehmen. Er kannte sich in seinem Haus am besten aus.

Er war nicht im Ministerium. Kurz zuvor hatte er sich krank gemeldet und war heimgefahren. Das gefiel mir nicht. Ich heg-te den starken Verdacht, daß William dahintersteckte.

Er konnte gespürt haben, daß sich etwas gegen ihn zusam-menbraute. Ich wußte nicht, was Wesen aus dem unsichtbaren Reich alles vermochten, aber ich traute ihnen eine Menge zu.

Besonders William Hatfield in seinem blinden Racherausch.Vielleicht hatte er seinen Bruder David als Faustpfand ge-

nommen, um sich zu schützen, bis er alle Opfer gefunden hat-te.

Ich mußte meinen Plan umstellen. Ich konnte nicht in das Haus von David Hatfield trampeln wie ein Elefant in den Por-zellanladen.

Zudem war er verheiratet. Das hatte ich auf dem Bildschirm gelesen. Kinder hatte er auch. Sie wohnten auswärts. Dafür war ich dankbar.

Ich brauste durch den Londoner Verkehr, der mir noch nie so dicht und zäh vorgekommen war.

Weiter draußen wurde es besser, ich konnte aufdrehen und die Maschine des MG spielen lassen.

Die Häuser wurden kleiner und traten zurück, Grün über-wog. Die Gegend wurde schon richtig ländlich. Und bekam einen Stich ins noble. Diese Landhäuser kosteten ein Heiden-geld.

Ich sah in der Ferne über einem Wald ein kleines Flugzeug

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herumtrudeln. Es sah eigenwillig aus. Gedrungen, ein Kraft-bolzen. So etwas flogen die Piloten heute kaum noch.

Ich kitzelte dem MG noch etwas Leistung aus den Kolben und riß erschreckt den Kopf hoch, als ein riesiger Schatten über mich hinweghuschte. Er kam von hinten.

Dröhnender Motorenlärm erreichte meine Ohren.In knapper Höhe donnerte das Flugzeug, das ich über dem

Wald gesehen hatte, über mich hinweg und jagte die Straße entlang.

Eine Spitfire!Mir wurde es heiß und kalt, als ich die Tarnfarbe sah. Es war

das Geisterflugzeug, und am Knüppel saß William Hatfield! Ich brauchte sein Totenschädelgesicht gar nicht erst zu sehen, ich wußte es auch so.

Er hatte gespürt, daß ich kam. Er unternahm etwas dagegen. Ein Glück für mich, daß er nicht schon beim ersten Anflug von hinten das Feuer eröffnet hatte wie bei Orwin oder Fitzpatrick Usherwood.

Er zog die Spitfire in einem scharfen Bogen herum und jagte mir von vorn entgegen.

Ich schaute verzweifelt nach einer Deckung. Es gab hier Bäu-me, aber zwischen ihnen und der Straße befand sich der Gra-ben. Und bei der Geschwindigkeit, die ich drauf hatte, brach ich mir das Genick.

Voraus sah ich eine Einfahrt.Wenn mir alle Schutzengel beistanden, konnte ich sie mit

knapper Not und auf zwei Rädern nehmen. Aber ich durfte die Geschwindigkeit nicht verringern.

Dort vorn war ungefähr der Ort, wo William Hatfield das Feuer eröffnete, wenn er gegen mich Krieg führte.

Ich riskierte auch noch einen Blick zur Seite. Ich mußte doch bald da sein.

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Die Nummern näherten sich immer mehr jener von David Hatfields Haus.

Zehn Landhäuser lagen ungefähr noch dazwischen.Ich spürte den Anprall von Haß und Wut. Wie im Bus. Jetzt

waren alle Zweifel beseitigt Hinter dem Knüppel in der Spitfi-re saß William. Er wollte mich vernichten. Ich wurde zu einer großen Gefahr für ihn.

Die Einfahrt, kam rasend schnell näher. Das geländerlose Brückchen über den Graben war schmaler, als ich dachte. Ich konnte nichts mehr aufhalten. Ich mußte es riskieren.

Ein ohrenbetäubendes Rasseln schreckte mich auf.Die Spitfire feuerte aus allen Rohren!Graue Einschlagfontänen sprangen mir auf der Straße entge-

gen. Ich zog sanft das Lenkrad nach links. Der MG gehorchte bewundernswert trotz der hohen Geschwindigkeit.

Ich zischte über das Brückchen, sah neben mir den Graben gähnen, spürte einen harten Aufschlag und wurde kräftig ge-schüttelt. Aber ich war drüben und zischte eine schmale Wohnstraße entlang, die parallel zur Verkehrsstraße verlief.

Das hämmernde Rasseln der Bordwaffen verstummte. Der Angriff der Spitfire war fehlgeschlagen. Ich atmete auf. Aber ausruhen auf meinen Lorbeeren konnte ich mich nicht. Ich sah den Jäger steil in den Himmel schießen und eine Kurve flie-gen.

Ich wußte, was es hieß er griff wieder an. Diesmal von hin-ten. Damit ich keine Chance hatte, ihm auszuweichen.

Ich fieberte, ob ich schneller war. Salziger Schweiß lief mir in die Augen. Ich sah schlecht.

Aber die Nummer erkannte ich. Hier wohnten die Hatfields.Ich bremste mit Gefühl und stotternd, damit der MG sich

nicht überschlug und mich unter sich begrub.Auf der Straße lag Sand. Ich rutschte noch weiter als bis zum

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nächsten Haus. Hundebellen begleitete das Radieren meiner Reifen.

Ich haute den Rückwärtsgang rein und trieb den Flitzer zu-rück.

Das Dröhnen der zurückkehrenden Spitfire steigerte sich zu einem Winseln. Sie tauchte über den Baumwipfeln auf. Sie flog unverkennbar den nächsten Angriff.

Ich brauste rückwärts durch eine dünne Hecke, durch Blu-menbeete und über ein Stück Rasen und stoppte im Schutz der Giebelmauer.

Ein Augenzwinkern später donnerte der Jäger über das Haus hinweg, daß ich im Geiste schon die Ziegel vom Dach fallen sah. Gerade noch einmal geschafft!

Ich warf die Schwefelbomben aus dem Wagen und den Flam-menwerfer und rannte, weil die Spitfire schon aus der anderen Richtung kam.

Diesmal würde mein MG nicht davonkommen. William Hat-field würde ihn zum Sieb machen.

Ich hörte einen Mann rufen.Ich warf den Kopf herum. Es war David Hatfield. Er stand

unter einer Tür, hatte eine Frau fest in seine Arme geschlossen und rief wieder etwas. Der Motorenlärm machte es unmöglich, etwas zu verstehen.

Jetzt winkte er. Ich sollte ins Haus kommen.Die Verlockung war groß, aber dort saß ich auch in der Falle.

Solange William Hatfield mit der Spitfire in der Luft herum-kurbelte, war ich draußen besser aufgehoben.

Über den entfernten Dächern tauchte die Maschine auf.Hämmernde Salven krachten in das Haus der Hatfields. Die

Frau schrie gellend. Ich sah, daß sie nicht getroffen war, sie und ihr Mann standen noch geschützt. Es war die nackte Furcht, die sie schrien ließ.

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Scheiben platzten, Ziegelbrocken spritzten von oben herab.Ich zog den Kopf ein. Knapp brauste die Spitfire mit brüllen-

dem Motor über das Haus hinweg.Sie wendete zum nächsten Angriff.Ich hatte keine Wahl. Das Haus war verzweifelt nah, aber ich

mußte das Risiko eingehen, es in Brand zu setzen.Ich lief ein Stück in den parkähnlichen Garten, hängte mir

den Tank um, zündete die Lanze und drehte die Druckluftfla-sche auf. Für einen Flammenstoß von zehn Sekunden Dauer und auf vierzig bis fünfzig Meter reichte die Kapazität.

Der Motorenlärm wurde wieder winselnd. Da die Spitfire tauchte schon auf.

Sie griff nicht das Haus an, sondern mich.Ich wartete. Plötzlich war ich eiskalt bis ins Herz. Ruhe, Jun-

ge, sagte ich mir, nur Ruhe, auch Geister kochen am Ende nur mit Wasser!

Als die Bordwaffen losratterten, sprang ich mit zwei Panther-sätzen aus der tödlichen Geschoßbahn.

So rasch konnte William Hatfield die Richtung nicht korri-gieren.

Ich richtete die Lanze der Maschine entgegen und löste den Flammenstoß aus.

Der fauchende Feuerstrahl schoß hinauf und hüllte sofort die Spitfire ein. Ich hoffte, daß ich sie zwei oder drei Sekunden im Feuer halten konnte. Ich ging mit der Lanze mit.

Die Wirkung war unerwartet.Der Geisterjäger geriet in Brand. Aus dem Motor schlugen

lange Flammenbündel und wurden vom rasenden Flugwind nach hinten gerissen.

Die Kanzel platzte ab. Drinnen schossen Feuersäulen auf.Ich glaubte einen gellenden Schrei von oben zu hören.Offensichtlich führerlos raste die Spitfire nieder und grub

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sich zwei Häuser entfernt in einen Garten.Schwarzer Qualm stieg wie ein giftiger Pilz auf.Ich rannte, was meine Beine hergaben. Ich mußte William

Hatfield vernichten, sonst vernichtete er weiter Menschenle-ben.

Leute riefen. Ich hörte Türen schlagen. Darum konnte ich mich jetzt nicht kümmern. Die Rauchsäule war mein Ziel. Sie wies mir den Weg.

Keuchend und ausgepumpt erreichte ich den Absturzort.Die Spitfire brannte von der Schnauze bis zum Heck. Sie hat-

te sich etwas in den Boden gegraben, seltsamerweise aber kei-ne Trümmer herumgestreut.

In der Kanzel rührte sich etwas.Aus den Flammen tauchte eine Knochenhand auf, dann er-

schien der grauenhafte Totenschädel. William Hatfield wider-stand noch dem Feuer.

Ich zögerte, als ich die Lanze auf ihn richtete.Ich hatte Skrupel. Jetzt. Plötzlich.Der Mann William Hatfield war vor vierzig Jahren schon ge-

storben. Auch in den Flammen. Auch in seiner Spitfire.Das hier war nur sein Geist aus dem Totenreich.Ich drückte auf die Taste.Der Flammenstrahl fraß die Gestalt auf.Zur Sicherheit warf ich noch eine Schwefelbombe in die Kan-

zel und zog mich zurück, weil sich eine höllische Hitze entwi-ckelte.

Unter den Bäumen stieß ich auf Menschen, die zusammenlie-fen.

David Hatfield befand sich bei ihnen. Seine Frau nicht. Er war bleich wie der Tod.

Ich zog ihn beiseite und sagte leise: »Reden Sie nicht. Es könnte Sie die Freundschaft der Nachbarn kosten. Ich werde

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mir schon eine Erklärung einfallen lassen.«»Wer sind Sie?«»Spielt keine Rolle. Getauft hat man mich auf den Namen

Mac Kinsey. Das war William, nicht wahr?«»Woher –?« Sein Mund blieb offen.»Ich weiß es, das sollte Ihnen genügen. Beruhigen Sie Ihre

Frau. Und wenn es Ihnen ein Trost ist, Ihr Bruder hat nicht alle Männer seine Rache auskosten lassen können.« Ich wollte ihm nicht das Wort Geist an den Kopf werfen.

Die brennende Spitfire zischte, angstvoll wichen die Leute zurück. Sie betrachteten argwöhnisch meinen umgehängten Flammenwerfer mit allem Zubehör. So allmählich dämmerte ihnen, daß ich die Maschine vom Himmel geholt hatte.

»Er hat mich bedroht«, würgte David Hatfield hervor. »Er hat gesagt, er würde sich an meine Frau und die Kinder hal-ten, wenn ich mich ihm in den Weg stellen würde.«

Ich hatte keinen Grund, ihm nicht zu trauen und zu glauben. So hatte ich mir die Sache nämlich auch gedacht.

»Sie hätten sich jemand anvertrauen sollen«, sagte ich.Er schüttelte den Kopf. Ich merkte, jetzt zeigte sich die

Schockwirkung bei ihm. »Er war immer in der Nähe immer sprach die Stimme aus dem Unsichtbaren immer…«

Ich führte ihn weg. Es ging die Leute nichts an, daß es schlimm in seinem Kopf herging und daß sein Bruder aus dem Reich der Toten ein entsetzliches Gastspiel auf der Erde gege-ben hatte.

Für David Hatfield konnten Ärzte sorgen.Für das andere hatte ich gesorgt.William Hatfield kam nie wieder. Darauf wollte ich Sir Hora-

tios goldene Sprungdeckeluhr wetten.

ENDE


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