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Care-Krise

Date post: 20-Jan-2017
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„Wir wenden uns mit diesem Manifest an die Öffentlichkeit, weil wir den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, der über wechselseitige Sorge (Care) gewährleistet wird, gefährdet sehen. Care in allen Facetten ist in einer umfassenden Krise. Hierzu gehören unverzichtbare Tätigkeiten wie Für- sorge, Erziehung, Pflege und Unterstützung, bezahlt und unbezahlt, in Einrichtungen und in pri- vaten Lebenszusammenhängen, bezogen auf Gesundheit, Erziehung, Betreuung u.v.m. – kurz: die Sorge für andere, für das Gemeinwohl und als Basis die Sorge für sich selbst, Tag für Tag und in den Wechselfällen des Lebens. Care ist keine Privatangelegenheit, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe. Auch wenn derzeit einzelne Themen öffentlich ver- handelt werden (Kita-Ausbau, Pflegenotstand, Burnout etc.), sind grundsätz- liche Lösungen nicht in Sicht. Das Ausmaß der Krise zeigt sich erst, wenn al- le Care-Bereiche zusammen gedacht werden.“ Mit dieser Diagnose beginnt das sog. „Care-Manifest“, dessen vollständiger Text Ende Oktober 2013 un- ter www.care-macht-mehr.com ins Netz gestellt wurde. Bis Anfang Februar 2014 haben über 1.000 Einzelpersonen und Verbände das Manifest unterschrieben. Die InitiatorInnen sind einschlägig arbeitende Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz; ihnen geht es darum, eine radikal neue gesellschaft- liche Diskussion anzuregen. Die Frage, die sie in den Raum stellen, lautet: „Wie wollen wir, wie können wir künftig gut für einander sorgen?“ Das unbescheidene Ziel ihrer Initiative „Care.Macht. Mehr“ besteht darin, die Care-Krise als drängendes gesellschaftliches Problem in absehbarer Zeit allgemein bekannt zu machen und zu grundlegenden Veränderungen aufzurufen. Das ist ambitio- niert, aber nicht unmöglich: Anfang der 1970er Jahre sprach man auch nur in Fachkreisen von der ‚Frauenfrage‘ oder vom ‚Klimawandel‘. Inzwischen hat nahezu jeder davon gehört, und die Öffent- lichkeit kennt die Komplexität und Dringlichkeit dieser Inhalte. Für das Thema Care steht man der- zeit am Anfang eines vergleichbaren Weges. Seit Jahrzehnten wird in zahlreichen Studien differenziert darauf verwiesen, dass Care, so wie es derzeit organisiert und strukturiert ist, grundlegend bedroht ist. Das Problem ist: Das zentrale Er- gebnis der Analysen - die systemische Qualität der gegenwärtigen Care-Krise - wird in der Öffent- lichkeit bisher nicht wahrgenommen. Man weiß zwar, dass es zu wenig Kita- und Krippenplätze gibt, kennt den Personalnotstand oder die Hetze in den Krankenhäusern oder hat mangelhafte Zustän- de in den Alten- und Pflegeheimen eventuell sogar aus eigener Erfahrung erlebt. Vielleicht hat man auch mal einen Zeitungsartikel über ausgebrannte pflegende Angehörige gelesen oder eine Fernseh- sendung über die Kinder migrierender Eltern oder über die Missstände in den Kliniken in Osteuro- pa gesehen. Aber außerhalb von Fachtagungen wird kaum thematisiert, dass und wie solche Punkte miteinander zusammenhängen. Wer sieht schon die Verknüpfungen in einem Gesamtsystem Care, das gut oder schlecht (oder auch nur an einzelnen Stellen gut oder schlecht) funktioniert? Auch in der Sozialen Arbeit werden häufig angrenzende Care-Bereiche ausgeblendet, statt Missstände zusammen zu denken. Es wird sicher lange dauern, bis die Zusammenhänge, um die es beim Thema Care ge- hen muss, in alle gesellschaftlichen Teilbereiche Eingang finden. Aber nicht die Länge des bevorste- henden Weges ist entscheidend; wichtiger ist, sich gemeinsam auf den Weg zu machen und ihn mu- tig und mit langem Atem zu gehen. Maria S. Rerrich, Barbara Thiessen Care-Krise 20 Sozial Extra 2 2014: 20-22 DOI 10.1007/s12054-014-0039-4 Aktuelles Schlagwort 
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Page 1: Care-Krise

„Wir wenden uns mit diesem Manifest an die Öffentlichkeit, weil wir den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, der über wechselseitige Sorge (Care) gewährleistet wird, gefährdet sehen. Care in allen Facetten ist in einer umfassenden Krise. Hierzu gehören unverzichtbare Tätigkeiten wie Für-sorge, Erziehung, P�ege und Unterstützung, bezahlt und unbezahlt, in Einrichtungen und in pri-vaten Lebenszusammenhängen, bezogen auf Gesundheit, Erziehung, Betreuung u.v.m. – kurz: die Sorge für andere, für das Gemeinwohl und als Basis die Sorge für sich selbst, Tag für Tag und in den

Wechselfällen des Lebens. Care ist keine Privatangelegenheit, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe. Auch wenn derzeit einzelne Themen ö�entlich ver-handelt werden (Kita-Ausbau, P�egenotstand, Burnout etc.), sind grundsätz-liche Lösungen nicht in Sicht. Das Ausmaß der Krise zeigt sich erst, wenn al-le Care-Bereiche zusammen gedacht werden.“ Mit dieser Diagnose beginnt das sog. „Care-Manifest“, dessen vollständiger Text Ende Oktober 2013 un-

ter www.care-macht-mehr.com ins Netz gestellt wurde. Bis Anfang Februar 2014 haben über 1.000 Einzelpersonen und Verbände das Manifest unterschrieben. Die InitiatorInnen sind einschlägig arbeitende Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler

aus Deutschland, Österreich und der Schweiz; ihnen geht es darum, eine radikal neue gesellschaft-liche Diskussion anzuregen. Die Frage, die sie in den Raum stellen, lautet: „Wie wollen wir, wie können wir künftig gut für einander sorgen?“ Das unbescheidene Ziel ihrer Initiative „Care.Macht.Mehr“ besteht darin, die Care-Krise als drängendes gesellschaftliches Problem in absehbarer Zeit allgemein bekannt zu machen und zu grundlegenden Veränderungen aufzurufen. Das ist ambitio-niert, aber nicht unmöglich: Anfang der 1970er Jahre sprach man auch nur in Fachkreisen von der ‚Frauenfrage‘ oder vom ‚Klimawandel‘. Inzwischen hat nahezu jeder davon gehört, und die Ö�ent-lichkeit kennt die Komplexität und Dringlichkeit dieser Inhalte. Für das Thema Care steht man der-zeit am Anfang eines vergleichbaren Weges. Seit Jahrzehnten wird in zahlreichen Studien di�erenziert darauf verwiesen, dass Care, so wie es

derzeit organisiert und strukturiert ist, grundlegend bedroht ist. Das Problem ist: Das zentrale Er-gebnis der Analysen - die systemische Qualität der gegenwärtigen Care-Krise - wird in der Ö�ent-lichkeit bisher nicht wahrgenommen. Man weiß zwar, dass es zu wenig Kita- und Krippenplätze gibt, kennt den Personalnotstand oder die Hetze in den Krankenhäusern oder hat mangelhafte Zustän-de in den Alten- und P�egeheimen eventuell sogar aus eigener Erfahrung erlebt. Vielleicht hat man auch mal einen Zeitungsartikel über ausgebrannte p�egende Angehörige gelesen oder eine Fernseh-sendung über die Kinder migrierender Eltern oder über die Missstände in den Kliniken in Osteuro-pa gesehen. Aber außerhalb von Fachtagungen wird kaum thematisiert, dass und wie solche Punkte miteinander zusammenhängen. Wer sieht schon die Verknüpfungen in einem Gesamtsystem Care, das gut oder schlecht (oder auch nur an einzelnen Stellen gut oder schlecht) funktioniert? Auch in der Sozialen Arbeit werden häu¬g angrenzende Care-Bereiche ausgeblendet, statt Missstände zusammen zu denken. Es wird sicher lange dauern, bis die Zusammenhänge, um die es beim Thema Care ge-hen muss, in alle gesellschaftlichen Teilbereiche Eingang ¬nden. Aber nicht die Länge des bevorste-henden Weges ist entscheidend; wichtiger ist, sich gemeinsam auf den Weg zu machen und ihn mu-tig und mit langem Atem zu gehen. Maria S. Rerrich, Barbara Thiessen

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