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Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni 1963 betreffend die Aussetzung der...

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Tätigkeit der Vereinten Nationen in völkerrechtlichen Fragen: (Berichtszeit: 1. 7. 1961 - 30. 6. 1962) Author(s): F. Münch Source: Archiv des Völkerrechts, 10. Bd., 4. H. (Mai 1963), pp. 416-438 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40796760 . Accessed: 12/06/2014 17:41 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Archiv des Völkerrechts. http://www.jstor.org This content downloaded from 195.78.108.199 on Thu, 12 Jun 2014 17:41:57 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions
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Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni 1963 betreffend die Aussetzung derRatifizierung eines völkerreditlidien VertragsSource: Archiv des Völkerrechts, 12. Bd., 1. H. (Oktober 1964), pp. 103-108Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40796946 .

Accessed: 12/06/2014 21:29

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ENTSCHEIDUNGEN

Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni 1963

betreffend die Aussetzung der Ratifizierung eines völkerreditlidien Vertrags *)

Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen können mit der Verfas- sungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht angefochten werden. Im Rah- men dieses Verfahrens ist eine einstweilige Anordnung, mit der die Verkün- dung des Zustimmungsgesetzes und die Ratifikation des Vertrages oder nur diese ausgesetzt werden, zulässig. Der Antrag ehemaliger deutscher Aktionäre der niederländischen Aktiengesellschaft Algemene Kunstzijde Unie Ν. V. (Aku) auf Aussetzung der Ratifizierung des Zusatzabkommens vom 14. Mai 1962 zum deutsch-niederländischen Finanzvertrag vom 8. April i960 ist jedoch abzuleh- nen. Die Nachteile, die eintreten könnten, wenn die Ratifizierung des Zusatz- abkommens ausgesetzt würde, überwiegen die Nachteile, die ehemalige deutsche Aktionäre der Aku vielleicht erleiden, wenn das Zusatzabkommen in Kraft tritt.

Aus den Gründen: I.

1. Die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich der Niederlande ha- ben am 8. April i960 einen Vertrag zur Regelung von Grenzfragen und anderen zwischen beiden Ländern bestehenden Problemen (Ausgleichsvertrag) *) unterzeich- net. Dieses Vertragswerk soll die zwischen den beiden Ländern in der Kriegs- und Nachkriegszeit entstandenen Schwierigkeiten beseitigen. Bestandteil des Aus- gleichsvertrags ist auch ein Finanzvertrag2), der unter anderen mit dem deut- schen Auslandsvermögen zusammenhängende Fragen regelt. Sein Art. 10 bestimmt:

(1) Das Königreich der Niederlande steht dafür ein, daß niederländische Ak- tiengesellschaften, deren ganzes ausgegebenes Kapital als deutsches Vermögen kraft des »Besluit Vijandelijk Vermögen« auf das Königreich der Niederlande über- gegangen und nicht bis zum Tage der Unterzeichnung dieses Vertrags dritten Per- sonen übertragen worden ist, ihre bei Inkrafttreten dieses Vertrags in der Bundes- republik Deutschland einschließlich des Landes Berlin befindlichen Vermögens- werte den vormaligen deutschen Aktionären oder ihren Rechtsnachfolgern zur freien Verfügung stellen. Dies gilt nicht, soweit das übrige Vermögen der Gesell- schaft zur Deckung ihrer Schulden nicht ausreichte.

(2) Absatz 1 soll auch dann Anwendung finden, wenn einige Aktien, die insge- samt einen geringen Prozentsatz des Kapitals darstellen, nichtdeutschen Vorstands- mitgliedern, Geschäftsführern oder sonstigen leitenden Angestellten der betreffen-

*) Abdruck nach: Ausfertigung des Bundesverfassungsgerichts (2 BvQ 1/63). 1 ) ADarucK: oben à. 66. 2) Abdruck: oben S. 91.

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den Aktiengesellschaft bei Inkrafttreten des »Besluit Vijandelijk Vermögen« zu- standen.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für alle anderen niederländischen »rechtspersonen« im Sinne des Artikels 1 Ziffer 4 des »Besluit Vijandelijk Ver- mögen«.

(4) Die Absätze 1 bis 3 lassen die Rechtslage hinsichtlich des in der Bundesre- publik Deutschland einschließlich des Landes Berlin befindlichen Vermögens nie- derländischer »rechtspersonen« im Sinne des Artikels 1 Ziffer 4 des »Besluit Vijan- delijk Vermögen« in den durch diese Bestimmungen nicht geregelten Fällen unbe- rührt. ω Der Ausgleichsvertrag hat schon Anfang 1961 die Zustimmung von Bundestag

und Bundesrat gefunden. Die Ratifikation des Vertragswerks hat sich verzögert, da auf niederländischer Seite Bedenken aufgetreten sind. Diesen Bedenken trägt das am 14. Mai 1962 unterzeichnete Zusatzabkommen zum Finanzvertrag8) Rech- nung. Art. 1 des Zusatzabkommens ergänzt den Art. 10 des Finanzvertrags durch folgende Bestimmungen:

(1) In den durch Artikel 10 Abs. 1 und 3 des Finanzvertrags nicht geregelten Fällen sind Ansprüche, Einwendungen, Klagen, Widerklagen und sonstige Ver- fahren vor deutschen Gerichten nicht zugelassen, sofern sie darauf gestützt wer- den, daß der auf Grund der niederländischen Maßnahmen für Zwecke der Repa- ration oder Restitution erfolgte Eigentumsübergang von Aktionärsrechten an niederländischen Aktiengesellschaften in bezug auf das Vermögen dieser Aktien- gesellschaften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin, einbegriffen die Beteiligungen dieser Aktiengesellschaften an deutschen Ge- sellschaften mit oder ohne Rechtspersönlichkeit, keine oder nur eine beschränkte Wirkung gehabt habe.

(2) In bezug auf das in Absatz 1 bezeichnete Vermögen bestehen keine unmittel- baren oder mittelbaren Rechte oder Interessen, die daraus hergeleitet werden können, daß der in Absatz 1 erwähnte Eigentumsübergang keine oder nur eine be- schränkte Wirkung in bezug auf dieses Vermögen gehabt habe.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend in bezug auf alle anderen nieder- ländischen »rechtspersonen« im Sinne des Artikels 1 Ziffer 4 des »Besluit Vijande- lijk Vermögen«.

Der Bundestag hat das Vertragsgesetz zum Zusatzabkommen am 15. Mai 1963 angenommen. Der Bundesrat hat am 31. Mai 1963 beschlossen, den Vermittlungs- ausschuß nicht anzurufen. Der Bundespräsident hat das Vertragsgesetz bereits aus- gefertigt4).

Das Auswärtige Amt hat mit den Niederlanden vereinbart, die Ratifikations- urkunden zum Ausgleichsvertrag, zum Zusatzabkommen zum Finanzvertrag und zu einem Zusatzabkommen zum Ems-Dollart- Vertrag, der ebenfalls Bestandteil des Ausgleichsvertrags ist, am 1. Juli 1963 auszutauschen6).

2. Die Antragsteller haben am 10. Juni 1963 gegen das Gesetz zum Zusatzabkom- men zum Finanzvertrag sowie gegen das Zusatzabkommen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Antragsteller waren Aktionäre der Algemene Kunstzijde Unie Ν. V. (Aku), einer niederländischen Aktiengesellschaft, deren Aktien sich teilweise in deutschen Händen befanden. Die Aktien der Antragsteller wurden im Jahre 1944 als deutsches Eigentum auf Grund der Feindvermögensgesetzgebung von den Nie-

3) Abdruck: oben S. 100. 4) Vgl. Fußnote oben S. 66. 5) Die Ratifikationen sind am 1. Juli 1963 erfolgt, die Abkommen am 1. August

1963 in Kraft getreten (vgl. Fußnote aaO).

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derlanden konfisziert. Die Antragsteller sind der Auffassung, diese Konfiskation sei für das in Deutschland belegene Vermögen der Aku ohne Wirkung geblieben. Dieses Vermögen stehe deshalb der Gesellschaft in ihrer alten, vor dem konfiskato- rischen Eingriff bestehenden Gestalt, also einer abgespaltenen Gesellschaft der bis- herigen Aktionäre zu. Sie haben deshalb beim Bundesgerichtshof den Antrag ge- stellt, er möge ein zuständiges Registergericht bestimmen, das über einen Antrag auf Bestellung eines Notvorstandes für die deutsche Aku-Spaltgesellschaft ent- scheiden könne.

Der Bundesgerichtshof6) hat den Antrag zurückgewiesen (Beschluß vom 31. Ok- tober 1962 - II AZR 2/61 - Wertpapiermitteilungen 1963 S. 81), weil das Register- gericht nach Art. 3 Abs. 3 des Sechsten Teils des Überleitungsvertrags keine Gerichts- barkeit ausüben könnte. Die deutsche Gerichtsbarkeit sei ausgeschlossen, weil die nahmen gegen die in Deutschland belegenen Vermögenswerte der Aku durch- geführt habe.

Mit der Verfassungsbeschwerde machen die Antragsteller geltend, das Zusatz- abkommen nehme ihnen - über den Oberleitungsvertrag hinausgehend - jede Möglichkeit, etwaige Rechte an dem in Deutschland belegenen Vermögen der Aku vor deutschen Gerichten geltend zu machen. Art. 1 Abs. 1 des Zusatzabkommens schließe den Rechtsweg zu den deutschen Gerichten ohne Rücksicht darauf aus, ob die Besatzungsmächte Maßnahmen gegen in Deutschland belegene Vermögens- werte vor dem Inkrafttreten des Überleitungsvertrags durchgeführt hätten. Das Zusatzabkommen richte sich praktisch ausschließlich gegen die ehemaligen deut- schen Aku-Aktionäre, da andere Fälle von auch nur annähernd gleicher Bedeu- tung nicht vorhanden seien.

Die Antragsteller rügen als verletzt die Grundrechte aus Art. 3, 19 Abs. 4, 14 Abs. 3, 101 Abs. 1 Satz 2 und 103 Abs. 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG). Das Vertragsgesetz zum Zusatzabkommen sei auch mit der rechtsstaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, die unter anderem durch Art. 19, 20 und 92 GG gewährleistet sei, nicht vereinbar. Das Vertragsgesetz verstoße schließlich gegen Art. 1 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952 (Gesetz vom 20. De- zember 1956, BGBl. II S. 1879), das sowohl für die Bundesrepublik Deutschland als auch für die Niederlande verbindlich sei. Das Zusatzprotokoll gehe gemäß Art. 25 GG den Gesetzen vor. Das Bundesverfassungsgericht könne im Rahmen einer zulässigen Verfassungsbeschwerde auch prüfen, ob das Vertragsgesetz zum Zusatzabkommen gegen andere als die in § 90 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichts- gesetz (BVerfGG) genannten Bestimmungen des Grundgesetzes verstoße.

3. Die Antragsteller haben am 11. Juni 1963 beantragt, eine einstweilige Anord- nung dahin zu erlassen, daß die Verkündung des Vertragsgesetzes und die Rati- fikation des Zusatzabkommens - oder der Austausch der Ratifikationsurkunden - bis zur Entscheidung über ihre Verfassungsbeschwerde ausgesetzt werde.

Mit der Verkündung des Vertragsgesetzes und dem Austausch der Ratifikations- urkunden trete für die Bundesrepublik Deutschland möglicherweise eine völker- rechtliche Bindung ein, die nicht beeinträchtigt werden würde, wenn das Bundesver- fassungsgericht das Vertragsgesetz zum Zusatzabkommen später für nichtig erklären sollte. Diese Bindung würde zu Unzuträglichkeiten führen, wenn sich her-

6) Zum Problem und zu früheren Urteilen des Bundesgerichtshofes: /. von Manch, Aku-Fall, Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 1 i960, S. 18 ff. sowie H. Schneider, Die Liquidation deutschen Auslandsvermögens und ihre vertragliche Hinnahme durch die Bundesrepublik. Rechtsgutachten zur verfassungs- rechtlichen Problematik der deutsch-niederländischen Abkommen von i960 und 1962, 1964.

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ausstellen sollte, daß das Vertragsgesetz zum Zusatzabkommen verfassungswidrig sei. Der Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung sei daher nicht nur zur Abwendung schwerer Nachteile für die betroffenen Bürger, sondern auch aus an- deren wichtigen Gründen des Gemeinwohls geboten.

4. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung und die Verfassungs- beschwerde sind dem Bundespräsidenten, dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung zugestellt worden.

Namens der Bundesregierung ist der Bundesminister des Auswärtigen dem An- trag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung entgegengetreten. Er hält den An- trag für unzulässig, weil die Antragsteller durch das noch nicht verkündete Ver- tragsgesetz nicht beschwert sein könnten. Der Antrag sei ferner auch deshalb un- zulässig, weil den Antragstellern schon nach ihrem eigenen Vortrag keine Nachteile drohten, die den Erlaß einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen könnten. Ent- gegen ihrer Auffassung stelle das Zusatzabkommen lediglich einen bereits einge- tretenen Rechtsverlust fest. Selbst wenn aber das Zusatzabkommen Rechte der An- tragsteller beeinträchtigen sollte, so hätte das lediglich zur Folge, daß das Ver- tragsgesetz wegen fehlender Entschädigungsregelung nichtig wäre. Diese Auffas- sung könnten die Antragsteller im Rechtsweg vertreten.

Der Antrag sei auch unbegründet. Die von ihnen beantragten Maßnahmen seien nicht zum gemeinen Wohl dringend geboten. Es sei damit zu rechnen, daß die ge- setzgebenden Körperschaften ein Vertragsgesetz mit einer dem Art. 14 Abs. 3 GG entsprechenden Entschädigungsregelung erlassen würden, wenn später festgestellt werden sollte, daß das Vertragsgesetz mit Art. 14 Abs. 3 GG nicht vereinbar sei. Die Verzögerung des Austausches der Ratifikationsurkunden und damit des In- krafttretens des nach langjährigen, schwierigen Verhandlungen zustande gekom- menen Vertragswerks würde unabsehbare nachteilige Folgen für die deutsch- niederländischen Beziehungen haben.

II. 1. Eine einstweilige Anordnung ist auch im Verfahren der Verfassungsbe-

schwerde zulässig (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts [BVerfGE] 11, 102 [103]) und die Verfassungsbeschwerde kann auch gegen Vertragsgesetze erhoben werden (BVerfGE 6, 290 [295]). Der Umstand, daß nicht feststeht, ob die Verfassungsbeschwerde zur Zeit zulässig ist, steht dem Erlaß einer einstweili- gen Anordnung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht entgegen (BVerfGE 1, 281 [282]; 8, 42 [44]; 12, 36 [39]).

Auch sonst bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags. Die Entscheidung über die anhängige Hauptsache fällt in die Zuständigkeit des Bun- desverfassungsgerichts; diese Entscheidung kann nicht vor dem 1. Juli 1963, dem für den Austausch der Ratifikationsurkunden für das Zusatzabkommen in Aus- sicht genommenen Tag, ergehen. Die beantragte einstweilige Anordnung würde auch der Entscheidung in der Hauptsache nicht vorgreifen oder etwas anordnen, was nicht implicite Inhalt dieser Entscheidung sein könnte. Die Verfassungsbe- schwerde ist schließlich auch nicht offensichtlich unbegründet (vgl. zu diesen Zuläs- sigkeitsvoraussetzungen BVerfGE 7, 99 [105]; 7, 367 [371]; 11, 306 [308]; 12, 3« [39 /])· . 2. Eine einstweilige

. Anordnung kann nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nur dann er-

lassen werden, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung dro- hender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Die meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung des Bundes- verfassungsgericht auslöst, machen es nach dessen ständiger Rechtsprechung not- wendig, bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG vor-

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liegen, einen strengen Maßstab anzulegen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht ergeht, die angegriffenen Maßnahmen in dem späteren Verfahren zur Hauptsache jedoch für verfassungswidrig erklärt werden, gegen die Nachteile, die entstehen würden, wenn die angegriffenen Maßnahmen vorläufig verhindert werden wür- den (vgl. BVerfGE 12, 276 [279]).

Diese Abwägung ergibt, daß die Nachteile überwiegen, die eintreten würden, wenn der Austausch der Ratifikationsurkunden für das Zusatzabkommen bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch eine einstweilige Anordnung verhindert wird.

Wird eine einstweilige Anordnung nicht erlassen, so werden die Ratifikations- urkunden für das Zusatzabkommen am 1. Juli 1963 ausgetauscht; das Abkommen wird sodann gemäß seinem Art. 4 am 1. August 1963 in Kraft treten. Obwohl die niederländische Regierung Kenntnis von den Zweifeln haben dürfte, die hinsicht- lich der Verfassungsmäßigkeit des Vertragsgesetzes und der Bestimmungen des Zu- satzabkommens geltend gemacht worden sind, kann nach dem gegenwärtigen Stand des Völkerrechts nicht ausgeschlossen werden, daß die völkerrechtliche Bindung der Bundesrepublik Deutschland an das Zusatzabkommen auch dann einträte und be- stehen bliebe, wenn das Bundesverfassungsgericht später die Verfassungswidrigkeit des Vertragsgesetzes feststellen sollte (vgl. BVerfGE 1, 396 [412 f]). Unterstellt man, daß die Bundesrepublik Deutschland den Niederlanden gegenüber völker- rechtlich verpflichtet bliebe oder es für untunlich hielte, den Mangel der völker- rechtlichen Bindung den Niederlanden gegenüber geltend zu machen, so könnte sie Art. 1 Abs. 2 des Abkommens nur dadurch erfüllen, daß sie die etwaigen Rechte der Antragsteller gemäß Art. 14 Abs. 3 GG gegen Entschädigung enteignet. Das könnte zum Wohle der Allgemeinheit - um nämlich die Bundesrepublik Deutsch- land in die Lage zu versetzen, einen sie bindenden völkerrechtlichen Vertrag zu er- füllen - geboten sein. Die Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland - falls die Nichtigkeit des Vertragsgesetzes festgestellt wird - der prozessualen Bestim- mung des Art. 1 Abs. 1 des Zusatzabkommens nicht gerecht werden könnte, ver- löre an Bedeutung, wenn sie die entscheidende materielle Bestimmung des Art. 1 Abs. 2 erfüllt.

Es muß jedoch berücksichtigt werden, daß nicht feststeht, ob den Antragstellern Rechte an einer abgespaltenen Aku-Gesellschaft zustehen und ob ihnen also durch Art. 1 Abs. 2 des Zusatzabkommens solche Rechte genommen werden. Sollte später festgestellt werden, daß das Vertragsgesetz, soweit es sich auf Art. 1 Abs. 1 des Zusatzabkommens bezieht, verfassungswidrig und deshalb nichtig ist, so könnten die Antragsteller den ihnen dann - in den durch den Überleitungsvertrag gezo- genen Grenzen - offenstehenden Rechtsweg beschreiten, um die Rechte zu klären, die sie geltend machen. Nur wenn sich herausstellen würde, daß ihnen Rechte zu- stehen, käme eine Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG in Frage.

Es ist nicht zu verkennen, daß die Rechtsposition der Antragsteller verschieden ist, je nachdem, ob ihnen Rechte als Mitglieder einer abgespaltenen Aku-Gesell- schaft oder Entschädigungsansprüche wegen Enteignung zustehen. Das müßte aber in Kauf genommen werden. Für die Frage, ob die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegeben sind, muß dieser Nachteil, den die Antrag- steller vielleicht erleiden würden, den Nachteilen gegenübergestellt werden, die eintreten könnten, wenn der Austausch der Ratifikationsurkunden bis zur Entschei- dung über die Hauptsache verhindert werden würde. Letztere überwiegen ein- deutig.

Das Zusatzabkommen zum Finanzvertrag ist Teil eines umfangreichen Vertrags- werks, durch das u. a. der Verlauf der deutsch-niederländischen Grenze (Grenz-

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vertrag), die deutsch-niederländische Zusammenarbeit in der Emsmündung (Ems- Dollart- Vertrag nebst Zusatzabkommen) und Fragen der niederländischen Kriegs- gräber in der Bundesrepublik Deutschland (Kriegsgräberabkommen) geregelt wer- den sollen. Nach dem Grenzvertrag sollen der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit noch unter niederländischer Verwaltung stehende Gebiete mit einer Bevölke- rung von etwa 7700 Deutschen zurückgegeben werden. Der Finanzvertrag sieht die Zahlung eines Betrags von 280 Millionen DM an die Niederlande vor allem zu- gunsten niederländischer Opfer nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen vor. Das Vertragswerk regelt darüber hinaus zahlreiche weitere Fragen. Es sieht im Wege des gegenseitigen Ausgleichs eine Art Generalbereinigung der zwischen den beiden Ländern bestehenden Meinungsverschiedenheiten vor, die vornehmlich durch den zweiten Weltkrieg und die Verhältnisse der Nachkriegszeit entstanden sind.

Die Verzögerung dieses umfassenden Ausgleichs und der Bereinigung zahlreicher noch offener Fragen, die erst nach langwierigen Verhandlungen erreicht werden konnten, würde, auch abgesehen von einer zu befürchtenden Trübung der deutsch- niederländischen Beziehungen, einen schwerwiegenden Nachteil darstellen. Das Vertragswerk würde - wie der Bundesminister des Auswärtigen mitgeteilt hat - von den Niederlanden nur als Ganzes ratifiziert werden. Die Nachteile, die eine Verzögerung des Inkrafttretens der Bestimmungen der Verträge zur Folge haben würde, überwiegen hiernach die Nachteile, die eintreten würden, wenn eine einst- weilige Anordnung nicht ergeht, die Entscheidung im Hauptverfahren aber die Verfassungswidrigkeit des Vertragsgesetzes feststellt.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung war daher abzulehnen.

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