Home Treatment oder
Mobiles Krisenteam in
Bayerisch Schwaben
Psychiatrisch-psychotherapeutische Akutversorgung im häuslichen Umfeld
Karel FraschAbt. für Psychiatrie und Psychotherapie des BKH Günzburg an der Donau-Ries Klinik Donauwörth Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universität UlmÄrztlicher Direktor: Prof. Dr. T. Becker
Aachener Sozialpsychiatrischer Fortbildungstag am 20.06.2012
Mobiles Krisenteam• Multiprofessionelles Behandlungsteam (Arzt, Pflege,
Sozialpädagogin)• 24-7 Verfügbarkeit unter Einbezug der Struktur der
Gesamtklinik, „Krisenbett“• Mo-Fr von 8 -17 Uhr sowie samstags / sonntags z.B. von 9 - 14
Uhr, Flexibilität „nach hinten“ je nach klinischer Erfordernis • Wochenende, Feiertage, nachts: Station 41 II + diensthabender
Arzt / Oberarzt Psychiatrie; flexible Regelung an Weihnachten / Ostern
• Max. 14 Behandlungsplätze, hiervon i.d.R. 2-4 Patienten in „gleitender Belastungserprobung“ kurz vor Ende des HT, die niederfrequenter als der übliche Standard (3x wöchentlich) gesehen werden
Personelle Besetzung
November 2005• 0,5 Oberarzt
• 8 Pflegekräfte rotierend
• 0,5 Sozialpädagogin
• 0,2 Seelsorger
November 2010• 0,3 Oberarzt• 0,8 Assistenzärztin
• 3,25 Pflegekräfte Stammpersonal
• 5 Pflegekräfte rotierend
• 0,5 Sozialpädagogin
Zielgruppe
• Psychisch schwer und akut Kranke vorwiegend aus den LK Günzburg, Dillingen und Neu-Ulm
• Übernahme aus kurzzeitiger stationärer Behandlung• Übernahme zur „Wiedereingliederung“ nach längerer
stationärer Behandlung• Geringe räumliche Distanz zum Behandlungsteam (max.
ca. 30 km bzw. ca. 30 Min. Fahrzeit)• Kooperationsbereitschaft / -fähigkeit des Patienten und
der Angehörigen, nicht unbedingt Krankheitseinsicht im engeren Sinn
Ausschlusskriterien
• akute Selbst- / Fremdgefährdung• im Vordergrund stehender Suchtmittelkonsum• (akute / schwere chronische) körperlich begründbare
psychische Störungen, Diagnose Persönlichkeitsstörung ohne wesentliche Komorbidität
• Alter <18 Jahre• Ausgeprägt ‚chaotisches‘ oder oppositionelles / aggressives
Verhalten im Vordergrund, mangelnde Kooperationsfähigkeit• Fehlende Indikation für stationäre KH-Behandlung
Klinik P I A Nerven-ärzte
Haus-ärzte
Der Hilfe-suchende
Ange-hörige
Betreuer Komplementäre Dienste /
Einrichtungen
HT- Aufnahme-Untersuchung
Psychiatrische Akutbehandlung indiziert
Psychiatrische Akutbehandlung
indiziert, aber HT-Einschlusskriterien nicht erfüllt
Psychiatrische Akutbehandlung
nicht indiziert
HT-Option Stationäre Aufnahme
Vorschlag für (ambulante) Weiterbehandlung
Aufnahme
Arbeitsablauf, „Philosophie“
• Hausbesuche (zentrales Therapieelement, ca. 40 / Woche), Telefonate• Intensität der Kontakte individuell, ggf. auch mehrmals täglich, vor
Entlassung seltener, jedoch nicht unter 3 Kontakte / Woche• Tägliche Übergaben• Mind. wöchentliche Fallbesprechungen im Plenum• Sämtliche diagnostischen und therapeutischen Angebote der Klinik
können im individuellen Mix genutzt werden• Psychotherapie: Pragmatischer „Mix“, aber vorwiegend Systemisch
fundiert (viele Teammitglieder haben eine >500stündige nebenberufliche Ausbildung zum Systemischen Berater absolviert; eine Krankenschwester ist Systemische Familientherapeutin); Ressourcen- und Bezugspersonenorientierung; Patientenbeteiligung
• Pharmakotherapie: Zurückhaltung hinsichtlich Präparateanzahl, Dosis und Dosierungszeitpunkten in enger Absprache mit dem Patienten, insbesondere Vermeidung oder Rückführung abenteuerlich anmutender Medikamentenkombinationen
Arbeitsablauf, „Philosophie“ II
• Anbieten praktischer Alltagshilfen• „Networking“ nach innen und außen: - Es steht das Spektrum der gesamten Klinik,
insbesondere der organisatorisch zugehörigen Stationen 41I und 41II, zur Verfügung
- Vermittlung von gemeindepsychiatrischen Angeboten / enge Kooperation mit z.B. SpDis (OA ist gleichzeitig beratender Arzt der SpDis Günzburg, Neu-Ulm und Dillingen)
- Vorbereitung / Erprobung einer individualisierten vernetzten ambulanten Weiterbehandlung
Finanzierung
• ambulantes bayerisches Einzelvergütungssystem unserer PIA (>95%)
und
• in Ausnahmefällen tagklinischer Behandlungssatz bei Patienten, die sich mindestens 4 Stunden auf dem Klinikgelände befinden (Diagnostik, psychosoziale Therapien, Mittagessen)
Patientenzahlen und Verweildauern
• 2005 (nur 11/12): 19• 2006 69• 2007 96• 2008 96 durchschnittl. VD 46d• 2009 120• 2010 132 durchschnittl. VD 33d;
durchschnittl. VD der gesamten Klinik demgegenüber 30d
Home Treatment
(HT; MKT)
Stationär behandelte Patienten
313
PIA
86
Niedergelassener Psychiater / PT
Hausarzt
34
Pat., Betreuer, Angehörige,
Internet
69
BKH (Station)
106
PIA
136
Niedergelassener
Psychiater / Hausarzt
244
Aufnahmesituation (11/2005-12/2010: 502 Patienten)
EntlassungssituationSummendiskrepanz erklärt sich durch noch in HT-Behandlung befindliche Patienten und einen Suizid (n=502 vs. n=486)
Vergleich stationär-pychiatrischer Routinebehandlung mit
wohnfeldbasierter psychiatrischer Akutbehandlung („Home Treatment“)
Isolde Munz, Miriam Ott, Henriette Jahn, Annett Rauscher, Markus Jäger, Reinhold Kilian und Karel Frasch
Comparison of „Home Treatment“ with Traditional Inpatient Treatment in a Mental Hospital in Rural Southern Germany.
Psychiat Prax 2011; 38: 123-128
Hypothese / Design
Home Treatment ist im Hinblick auf Psychopathologie, Funktionsniveau und Krankheitsschwere gegenüber TAU nicht schlechter
18 Patienten auf korrespondierender allgemeinpsychiatrischer Akutstation, die für HT geeignet gewesen wären, aber nicht dort behandelt werden konnten (Entfernung, Wunsch, Kapazität) vs. 60 HT-Patienten
Datenerhebung / statistische Analyse
• Zu Beginn und am Ende der Behandlung: PANSS, HAMD-21, HoNOS; zusätzlich soziodemographische Daten und Diagnosen aus BADO
• Erfassung des HT-Kollektivs 2006-2008• Erfassung des TAU-Kollektivs 2008• ITT-Auswertung; Mixed effect Regressions-Modelle;
Missing at random-Annahme• Kontrolle des Selektionsbias mittels Propensity score
Methode (bedingte Wsk für HT)
Ergebnisse• Berufstätige haben gegenüber nicht Berufstätigen eine
geringere Wsk, ein HT zu erhalten• Die HT-Wsk sank auch mit steigendem Funktionsniveau (GAF)• Die Werte für die Ergebnisparameter (PANSS, HAMD, HoNOS)
lagen an beiden Messzeitpunkten bei der HT-Kohorte im ungünstigeren Bereich im Vergleich zur TAU-Kohorte
• Signifikante Verbesserungen (jeweils p=0.000) für psychotische und depressive Symptomatik; ns Verbesserung der psychosozialen Beeinträchtigung (HoNOS; p=0,267),
• die in beiden Gruppen parallel verlaufen• Die durchschnittl. Behandlungsdauer im HT betrug
63,4 d (SD 28,7) und bei TAU 37,7 d (SD 22,0)
Diskussion• HT zeigt wie aufgrund Kenntnis anderer Untersuchungen
hypothetisiert auch in Günzburg keine schlechteren Behandlungsergebnisse als TAU
• HT erwies sich als über eine ganze Reihe von psychiatrischen Diagnosen hinweg machbar, auch bei allein Lebenden
• Diagnostische Schwerpunkte waren auch in unserem Kollektiv affektive und schizophrene Störungen
• Die HT-Gruppe war offenbar schwerer erkrankt als die TAU-Gruppe; niedrigerer Anteil von F20-Patienten in TAU-Gruppe (hier hoher Ablehneranteil) – „vertraute“ Patienten werden eher ins HT übernommen
• Im Gegensatz zu anderen Studien längere HT-Verweildauer; Erklärungsversuche: Höherer Anteil allein Lebender, schwerer betroffenes Kollektiv, niedrigere „Therapiedichte“ im HT
Limitationen
• Datenerhebung durch Behandlungsteam selbst
• Unterschiedliche Teilnehmerzahl in den beiden Gruppen; kleines n in TAU-Gruppe
• Unterschiedliche Erhebungszeiträume• Nur Aussagen zu kurzfristigen klinischen
Effekten möglich
Neue Daten
• den 60 HT-Pat. stehen nunmehr 58 TAU-Pat. gegenüber
• Diagnoseverteilung in beiden Gruppen ähnlich: Schizophrenie HT n=25, TAU n=21, affektive Störung HT=TAU n=26
• Liegedauer noch immer sign. länger in HT-Gruppe
Veränderung der PANSS Gesamt Rohwerte
Veränderung der HoNOS-Rohwerte
Veränderungen der HAMD Rohwerte
Zusammenfassung
• Bisherige Erfahrungen bestätigen, dass HT über viele Diagnosen hinweg (unter Betonung affektiver und schizophrener Störungen) eine gute und effektive Alternative zur Krankenhausbehandlung darstellt
• Vermehrter Einbezug von Angehörigen wird von allen Seiten als hilfreich empfunden
• Behandlungsansatz wird von zumindest einer nicht ganz kleinen Gruppe von Nutzern bevorzugt
• HT erreicht „neue“ Patientengruppe (v.a. mit Angststörungen)• Ansatz kann zur Lösung der „Schnittstellenproblematik“ stationär /
ambulant beitragen: Bessere Vorbereitung der post-HT-Integration der Betroffenen in gemeindenahe Angebote
• Nachgewiesene Wirkäquivalenz zur stationären Behandlung und längere Behandlungsdauer bei kränkerer Klientel
• Auch nach über 5 Jahren immer noch begeistertes Team
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
Thank you for listening- any questions / comments ?
Dr. Karel FraschKlinik für Psychiatrie und Psychotherapie II
der Universität UlmBezirkskrankenhaus Günzburg
Tel. 08221 962380Fax 08221 9628137