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Date post: 19-May-2020
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lassen, nicht zu desertieren, er mußte von jetzt ab illegal leben und weiter arbeiten. Aber am nächsten Tage nach seiner Flucht wird sein gesamtes Hab und Gut, sogar der Wachhund Lumpi, von der Regierung konfisziert werden. Die Frau mit den beiden Kindern und mit dem dritten, das eben erst geboren war, wird man auf die Straße werfen. Außerdem nimmt die Gesundheit und Arbeitskraft seiner Frau gerade jetzt rapid ab: sie hat wieder an- gefangen, oft und lange zu beten. Und dennoch kam sie mit ihren Kindern eines Tages zu einem Genossen; die Frau erzählte diesem ihr ganzes Leben und sogar von jenem ersten Blick, den sie und ihr Mann einmal gewechselt und der über ihr Schicksal entschieden hatte. Am nächsten Tage ergriff X. die Flucht. 3. Das 18. Jahrhundert, die Freude des Lebens und der Aufstand. Im Grunde genommen gehört dies Porträt nicht zu der eigentlichen Geschichte des Aufstandes. Aber in jeder Galerie gibt es unbedingt ein "Bildnis eines Un- bekannten", und oft spricht eine solche namenlose Arbeit weit mehr von den Besonderheiten ihrer Zeit als alle gezeichneten Kunstwerke. ' Es muß ein Haus gezeichnet werden, das wie ein versunkenes Schiff irgendwo in der Tiefe einer dunklen Gasse langsam zerfällt, wo es von Zeit zu Zeit von den weißen Augen eines vorbei schwebenden Autos be- schienen wird. Die Laterne über dem Hoftor scheint so trübe, daß sie an das Leuchten des faulenden Holzes erinnert. 56 Ein übelriechender Hofeingang. die Fenster sind so tief über der Erde, daß ihre Bewohner stets belauscht werden können. Das Schlafzimmer, kalt wie der Nordpol, mit seinen verglasten Scheiben, einem Schrank und außer Gebrauch stehendem Waschtisch, wird nur von einer Wärmflasche erwärmt, die man unter das eisige Federbett steckt. Im Speisezimmer - es ist auch das Wohnzimmer und die Werkstatt zugleich - herrscht die vergängliche Glut- hitze eines kleinen Kanonenofensj auf die Lampe ist ein seidener Schirm gestülpt, der an den Unterrock einer armen Prostituierten erinnert; in der Küche - ein stinkender Ausguß, Geruch von Gas und Feuchtigkeit. Diese ganze Einrichtung zeugt von dem zweifellosen Wohlstand eines Arbeiteraristokraten, sie gehört dem Genossen Y. Er ist in einer der größten Möbel- fabriken beschäftigt, die altertümlichen Hausrat macht oder nachmacht. Seine Spezialität ist das 18. Jahrhundert, das er, ohne jemals etwas darüber ge- lesen zu haben, in seinen Fingerspitzen fühlt. Mit ge- schlossenen Augen kann der Meister tadellose Intar- sienarbeiten aus kirschrotem Holz mit Einlagen aus Metall und Perlmutter zustandebringen: aus feuchtem, schwerem Tannenholz schaffen diese schöpferischen Hände komplizierte, träg gebogene Umrisse zarter Möbel - ebenso leicht und gut, als wenn sie in den Werkstätten des vielgerühmten Boule ent- standen wären. In jedem der altmodischen Sekretäre, auf dem die Großmütter angeblich ihre Liebesbriefe zu schreiben pflegten, in jedem der L'Hombretische, auf denen die Werthers die Namen ihrer Geliebten mit Kreide zeichneten, - richtet Meister Z., um den Stil zu wahren, Geheimfächer, kleine Schubladen, verborgene
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lassen, nicht zu desertieren, er mußte von jetzt abillegal leben und weiter arbeiten.

Aber am nächsten Tage nach seiner Flucht wirdsein gesamtes Hab und Gut, sogar der WachhundLumpi, von der Regierung konfisziert werden. Die Fraumit den beiden Kindern und mit dem dritten, das ebenerst geboren war, wird man auf die Straße werfen.Außerdem nimmt die Gesundheit und Arbeitskraftseiner Frau gerade jetzt rapid ab: sie hat wieder an-gefangen, oft und lange zu beten.

Und dennoch kam sie mit ihren Kindern einesTages zu einem Genossen; die Frau erzählte diesem ihrganzes Leben und sogar von jenem ersten Blick, densie und ihr Mann einmal gewechselt und der über ihrSchicksal entschieden hatte.

Am nächsten Tage ergriff X. die Flucht.

3. Das 18. Jahrhundert, die Freude des Lebensund der Aufstand.

Im Grunde genommen gehört dies Porträt nicht zuder eigentlichen Geschichte des Aufstandes. Aber injeder Galerie gibt es unbedingt ein "Bildnis eines Un-bekannten", und oft spricht eine solche namenloseArbeit weit mehr von den Besonderheiten ihrer Zeit alsalle gezeichneten Kunstwerke. '

Es muß ein Haus gezeichnet werden, das wie einversunkenes Schiff irgendwo in der Tiefe einer dunklenGasse langsam zerfällt, wo es von Zeit zu Zeit von denweißen Augen eines vorbei schwebenden Autos be-schienen wird. Die Laterne über dem Hoftor scheint sotrübe, daß sie an das Leuchten des faulenden Holzeserinnert.56

Ein übelriechender Hofeingang. die Fenster sind sotief über der Erde, daß ihre Bewohner stets belauschtwerden können.

Das Schlafzimmer, kalt wie der Nordpol, mit seinenverglasten Scheiben, einem Schrank und außer Gebrauchstehendem Waschtisch, wird nur von einer Wärmflascheerwärmt, die man unter das eisige Federbett steckt. ImSpeisezimmer - es ist auch das Wohnzimmer und dieWerkstatt zugleich - herrscht die vergängliche Glut-hitze eines kleinen Kanonenofensj auf die Lampe ist einseidener Schirm gestülpt, der an den Unterrock einerarmen Prostituierten erinnert; in der Küche - einstinkender Ausguß, Geruch von Gas und Feuchtigkeit.Diese ganze Einrichtung zeugt von dem zweifellosenWohlstand eines Arbeiteraristokraten, sie gehört demGenossen Y. Er ist in einer der größten Möbel-fabriken beschäftigt, die altertümlichen Hausratmacht oder nachmacht. Seine Spezialität ist das18. Jahrhundert, das er, ohne jemals etwas darüber ge-lesen zu haben, in seinen Fingerspitzen fühlt. Mit ge-schlossenen Augen kann der Meister tadellose Intar-sienarbeiten aus kirschrotem Holz mit Einlagen ausMetall und Perlmutter zustandebringen: aus feuchtem,schwerem Tannenholz schaffen diese schöpferischenHände komplizierte, träg gebogene Umrisse zarterMöbel - ebenso leicht und gut, als wenn siein den Werkstätten des vielgerühmten Boule ent-standen wären. In jedem der altmodischen Sekretäre,auf dem die Großmütter angeblich ihre Liebesbriefe zuschreiben pflegten, in jedem der L'Hombretische, aufdenen die Werthers die Namen ihrer Geliebten mitKreide zeichneten, - richtet Meister Z., um den Stil zuwahren, Geheimfächer, kleine Schubladen, verborgene

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Federn ein, die, wenn zufällii! berührt, den Händeneines entzückten Bourgeois ein paar vergilbte Zettel, einBündel Vergißmeinnicht und das feine Aroma einesfremden Geheimnisses ausliefern. Meister Z. brinl!tdas alles mit ungeheurem Geschmack und sicheremMaßempfinden an.

Und auch in ihm selbst ist der Kommunismus wiein einer Geheimschatulle verborgen, die voller Ideen,Worten und Verallgemeinerungen ist, die im praktischenLeben vollkommen unanwendbar, doch das Wertvollsteund Intimste im Menschen sind - sein politischer Stil.

Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß Z. andem Aufstand keinen aktiven Anteil nahm, - abgesehennatürlich von einer weitgehenden Gastfreundschaft, dieer den Genossen nach den Kämpfen erwiesen hat.

Z. ist ein Epikuräer. Ein echter Renaissance-Mensch in seiner unaufhaltsamen Liebe zum Leben, ja,- zu Genüssen und in dem Gefühl für die warme,menschliche Schönheit, für die er einen ebenso sicherenInstinkt hat wie für seine Kunsttisclilerei. Z. fllaubt,daß der Lebensprozeß selbst mit allen seinen physio-logischen, sehr irdischen Verrichtunllen einmal dieGrundlage für die größte und realste Schönheit ab-geben wird. Diese soziale Aesthetik macht ihn mit demBesten verwandt, was Edgar Poe über die noch nichtexistierenden Schlösser und Gärten geschrieben hat, indenen Weise und Dichter leben sollten. Z. bevölkertsie mit Arbeitern.

Wenn einmal das Reich der Zukunft zustande-kommen sollte" (Reich der Zukunft - ein echtdeutscher Ausdruck: so kann sich nur ein Utopist aus-drücken, der an seinen Traum nicht glaubt), .....:..würdeer herrliche Betten, Tische und Stühle für die Schliliiler

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der Arbeiter bauen. Das ist seine ideale, seine kommu-nistische "Schatulle".

Jetzt die Praxis. Warum hat er im Oktober nichtmitgekämpft? Warum lächelt er, wenn von Streik undVerteilung von Aufrufen gesprochen wird? Woher hater, bei dieser durchdachten Passivität, bei seiner zweifel-losen Flucht vom Felde des Bürgerkrieges, - diesenherausfordernden Hochmut und das Aussehen einesSiegers der Bourgeoisie gegenüber? Warum hat dieserMann, der geschaffen ist, große geistige und körperlicheFreuden zu genießen; der den Kommunismus für deneinzigen Weg hält, der ihn und seine Klasse zu diesenGenüssen führen kann, - warum hat er während der :ganzen Zeit des Aufstandes keine Hand gerührt, keineinziges Mal seinen Kopf riskiert?

Es stellt sich nun heraus, daß der Mann stiehlt, daßer seinen Bourgeois bestiehlt. 'Er tut es fast offen,steckt sich verhältnismäßig bedeutende Summen in dieTasche. sieht seinen' Arbeitgeber dabei herausforderndan, ohne seine ängstlichen Helfershelfer aus den Augenzu lassen.

Dann, nach Wochen der härtesten Arbeit mit einemzehnstündigen Arbeitstag und, ununterbrochene~ Nerv~n-anspannung: - einige Flaschen des besten WelOs, semekleine Frau, in schwarzer seidener Wäsche, -' undaus seiner' stinkenden Ecke, wo der Kork einerRoederer-Flasche gegen die niedrige Zimmer deckeknallt, gegen die jeder groß gewachsene Mensch ~toßenwürde durch den Dunst einer guten, starken Zigarre,durch 'den Nebel der+durchwärmten Feuchtigkeit, durchdie goldenen Illusionen, die in kleinen Bl~sen ~uf derOberfläche, des gefüllten Tonkruges aufsteigen, 10 demhundertjähriger Traubensaft zischt, - betrachtet Z.

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mit dem spöttischen Lächeln eines Siegers die von ihmso schlau und kühn betrogene Bourgeoisie.

Das sind seine besten Stunden.Die alten Hamburger Lieder sind älter und trun-

kener als unsere. Es ist in ihnen von einer Meisters-tochter die Rede, die drei wilde Gesellen liebte, vonSeerosen und Frauen, von Händeln und Hafenkneipen.Er singt sie herrlich.

Wie soll man es ihm klar machen, daß er für dasWenige, das der Arbeitgeber ihm, dem unersetzlichenMeister, von seiner reichlichen Tafel gönnt - für einenTropfen gestohlenen Weines, für einige Stunden einerseligeri Selbstvergessenheit -, er seinem Feinde ebensowie die andern den Saft seines Lebens und das Lehenselbst abgibt, das 'geheimnisvolle, schöpferische Zuckenseiner Gehirnzellen, das man Talent nennt, - daß er,ebenso wie jeder Arbeiter, - seinen Schweiß, seineMuskeln, seine Knochen dafür opfert?

WlfDm SmlffUfH

VI.

Das Polizeirevier von Schiffbek, sein Gemeinde-haus, die Post und überhaupt alle Behörden und öffent-lichen Einrichtungen, die die Staatsgewalt in diesemArbeiterstädtchen mit der internationalen Bevölkerungverkörpern, .- wurden von Kommunisten frühmorgensam 23. Oktober mit Hilfe eines Karabiners und einesJagdmessers mit einem Horngriff und stumpfer Klingein Besitz geriommen.'

Das Polizeirevier in Schiffbek wurde wie in ganzHarnburg überrascht, mit nackten Händen schnell undgeräuschlos besetzt, obwohl es mit bewaffneten Sipo-leuten vollgepfropft war.· An der Spitze des ganzenAufstandes und der militärischen Organisation, die den

.Plan ausgearbeitet und ihn durchgeführt hat, stand X.,

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gin tapferer Mensch, einer von jenen echten Arheiter-revolutionären, auf die das zeitgemäße Deutschlandstolz sein kann. Vielleicht waren es J!erade die un-J!eheure physische Kraft, das Bewußtsein, daß er miteiner einzigen Bewegung seiner metallischen Muskelnjeden Gegner zermalmen kann, die in ihm das für einenFührer äußerst wertvolle Gefühl für die Vorsicht, dieFähigkeit, die Folgen einer jeden Kraftentladung genauzu berechnen, entwickelt haben. Wie ein Dampfhammer,der auf einen Amboß niedersausen kann, ohne den Kerneiner Nuß, sondern nur ihre Schale zu zertrümmern, hater sich stets in der Gewalt.

Seine, bewaffente Abteilung, die aus den bestenKämpfern bestand, kämpfte so, wie .X. selbst ge-kämpft hätte; von der angreifenden Bande um-ringt, nur rückwärts an eine Mauer gelehnt, schlugensie sich standhaft und hieben die Knirpse nieder, dieihnen zahlenmäßig, aber keineswegs der Kraft nachüberlegen waren.

Nachdem die Aufständischen das Polizeirevier be-setzt hatten, blieben sie nicht im Gebäude, sondern ver-ließen es mit 16 Gewehren und ebensoviel Revolvern;denn das Gebäude hätte für sie zu einer ebensolchenFalle werden können, wie für die eben erst entwaffnetePolizei.

Verborgen hinter Gestrüpp, hinter Lauben undEcken der Arbeiterkasernen, die längs der ganzenHügellinie verstreut sind - linker Hand von derChaussee, die Schiffbek mit Harnburg verbindet -,konnte ein guter Schütze die Chaussee, die Brücke, denEisenbahndamm stundenlang unter Feuer halten, denGegner - auch wenn er zehn-, hundert- und, wie es beiden letzten Attacken am Mor~en des 26. der Fall war,

tausendmal stllrker war - in einer gehörigen ~nt·femung halten. Unerreichbar hinter seiner Deckungschoß der Scharfschütze nur alle fünf, zehn, fünfzehnMinuten; er versuchte mit einer Kugel mindestens einen,oft aber auch zwei Menschen zu treffen. Die Polizeibeantwortete diese einsamen, immer tödlichen Schüssemit einem wilden Feuer, sie fegte ganze Viertel mitMaschinengewehrfeuer aus und tötete zahlreiche Frauenund Kinder, die zufällig in das Gesichtsfeld ihrer ohn-mächtigen Wut gerieten. Und trotzdem pflegte nacheiner kurzen Pause wieder ein kalter, durchdachterSchuß zu fallen, der' dann irgendeinen Chauffeur einesPanzerautos traf, der einen Augenblick unter seinerStahlkappe hervorsah. seine Fellhandschuhe auszog undeine Zigarette anzündete; oder einen Grünen, der hinterder Ecke hervorsprang und hinter einem Briefkastenniederhockte; oder einen Reichswehrsoldaten, der dieFrau eines Straßenbahnschaffners mitten auf der Straßeanhielt, weil ihr Gesicht und das unter dem Tuch ver-steckte Brot ihm verdächtig vorkamen.

Die Reichswehrsoldaten sind meistens unter unge-schickten Bauernburschen angeworben; es sind diejüngeren Söhne von reichen Bauern, - eine Generation,die erst nach dem Krieg und der Revolution groß-geworden ist. Den Vätern fallen sie zur Last, weil siezu trä~e und verwöhnt sind, weil sie, ohne inder Zukunft mit einer Erbschaft rechnen zu können, sichzu wenig um die Verbesserung der Wirtschaft kümmern.Diese Burschen lassen sich gern als Landsknechte an-werben; sie betrachten den Bürgerkrieg als eine Ge-legenheit, bei der man sich ohne viel Risiko manchesaneignen kann .. Aber statt auf schutzlose Frauen undKinder, die sie vor den Brotläden zu sehen itewohnt

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Waren, statt auf feigen Stadtpöbel. von dem der Fastotmit dem dreifachen Kinn auf dem weißen Krägelchenzu Hause so viel mit schönem Pathos zu berichtenwußte, - stießen diese satten Bauernburschen, die mitBlutwürsten und Milchklößen großgezogen sind, aufArbeiterhundertschaften. auf kaltblütige, unfehlbareSchüsse der alten, aus dem Weltkrieg mit allen Aus-zeichnungen für Scharfschießen und Sappeurarbeitenunter feindlichem Maschinengewehrfeuer hervorgegan-genen Soldaten.

Die Rollen sind vertauscht. Die Revolution inDeutschland verfügt über 'Stammtruppen von alten Sol-daten, die ihre Barrikaden nach allen Regeln der Kriegs-wissenschalt verteidigen, die Regierung aber - überzahlreiche, aber ganz unerfahrene Truppen. Nichtumsonst hat einer der Offiziere, der seine Rekruten mitdem Revolver in. der Hand zum Angriff gegen ein Haustreiben mußte, in dem ein Scharfschütze festsaß undunbarmherzig einen Soldaten nach dem andern nieder-knallte, - nicht umsonst schimpfte der Leutnant, daßman es in dem ganzen Städtchen hörte: "Ihr feiges Ge-sindel! ... Mit zwanzig solcher Leute wie die da (eineGeste nach der Richtung zum Dachfenster) würde ichmit ein paar tausend wie ihr fertig werden."

Aber auch ohne die Hilfe dieses Offiziershielten die Arbeiter Schiffbeks - insgesamt 35 Ge-wehre - dem Angriff der regulären Truppen stand.Sich den Verhältnissen der Gegend anpassend,änderten sie fortwährend ihre Taktik. Dort, wodie Stadt von Hügeln beherrscht wird, wo dieHäuser gleich Oasen inmitten offener Felder stehenhaben sie ihre Kräfte in kleine Kampfeinheiten zer-splittert, deren jede auf eigenes Risiko sich verteidigte,64

angriff, sich versteckte und ihre Deckung suchte. Aberdort, wo die öden, weißen Felder sich zu städtischenStraßen verengen, griffen sie zu der alterprobtenTechnik der Straßenbarrikaden; sie versperrten dieStraße mit starken Dämmen, gruben Schützengräben undmachten es den Panzerwagen auf diese Weise unmög-lich, in die Zentralpunkte der' Stadt einzudringen.

Um 11~ Uhr nahm die Polizei einen Stadtteil einund begann ihren ersten Angriff auf Schiffbek. EineAbteilung von 50 Mann rückte selbstbewußt in dieHauptstraße ein; sie warf einige zufällige Passanten umund näherte sich einein weißen Hause, dessen Ecke weitvorgeschoben ist. Die hübsche, braunäugige Y. ging anden Soldaten vorbei, lächelte ihnen zu und zählte siesorgfältig. Sie bemerkten nicht einmal das rote Ab-zeichen an ihrer Brust. Ihr hinten zugebundenes Tuchverschwand harmlos in einer Seitengasse. Ein Knabe,ein Schüler der Stadtschule, der neben ihr herlief, sahsich um und setzte sich auf den Bürgersteig. Die Kugeltraf ihn zwischen die Augenbrauen. .

Im Lager der Aufständischen herrschte noch immervöllig Stille, und erst in einer Entfernung von 20 Schrittnahmen sie aus der angreifenden Abteilung den Feld-webel und die Hälfte der Soldaten heraus.

Eine Stunde später marschierte die Polizei bereitsin einer Anzahl von 200 Mann auf, und nicht nur ineiner Richtung, sondern gleichzeitig von mehrerenSeiten. Die Arbeiter vertrieben sie von ihren Barri-kaden und Schützengräben; von allen auf den Hügelnverstreuten Deckungen regnete es Schnellfeuer. EinScharfschütze feuerte gegen die Polizisten hinter derEcke seiner Kaserne hervor, umringt von Frauen,die in ihren zerrissenen Schürzen Patronen bereit-

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hielten. Eine klassische Figur: eine verwegene Mützemit einem großen Schirm, ein Halstuch unters Kinngebunden, die Jacke in Fetzen, darunter das dickegraue Wams des Dockarbeiters. Einen Kopf hatte derMann, an den die hübsche Y. auch jetzt noch ohneLachen nicht denken kann, - wie ein Räuber sah derMann aus! Und nach fünf Minuten der Erwartung fälltallemal nur ein Schuß. Mit einem seiner Schüsse warfer drei Leute um.

Es muß gesagt werden - Schiffbek ist reich undberühmt seiner Schützen wegen. Ein zweiter leitetedie Verteidigung der Barrikaden und Schützengräben.Ein untersetzter Bursch, der sich tief in die Erde gräbt,irgendwo zwischen den Ufersteinen, dem Seewind aus-gesetzt. Die Hacken zusammen, die Brust wie eineTrommel, die Hände in den Taschen, eine Schulter einwenig vorgerückt - die Schulter eines trainiertenBoxers und Athleten. Einen Pfiff hat der Mann, frecheScherze und die Fähigkeit, einer Frau oder einem Poli-zisten mit einem Blick von unten mich oben und vonoben nach unten das Blut in die Wangen zu treiben.Dieser Bursche pflegte in friedlichen Zeiten die aus-geglichenen Parteibonzen mit seinem scharfen Hafen-geruch und herausfordernden Benehmen ein wenig zuchokieren: aber während der Kämpfe vollbrachte erWunder. Er stürzte von Schützengraben zu Schützen-graben, trieb an, hielt zurück, fluchte, kommandierte,-er war jener Nervenknäuel, der die ruhige Kraft des X.mit dem fluktuierenden Häuflein der Aufständischenverband.

1Y, Uhr nachmittags zog die Regierung gegenSchiffbek mit 500 Mann und einer Abteilung Panzer-autos, Der Kampf dauerte bis 6 Uhr abends. Zwei

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ausgezeichnete Schützen können sich sehr lange halten;aber auch der größte Mut und die größte Ausdauerhaben ihre Grenzen. Um Zeit zu gewinnen, verließendie Kämpfer in aller Stille den Schützengraben, tauchtenins nächste Hoftor unter, und eine Viertelstunde spätersahen die Mündungen ihrer Gewehre aus einer anderenBarrikade hervor j so kämpften sie der Reihe nach inden gefährdetsten Rayons. Inzwischen bedeckte derverblüffte Gegner den verstummten Hinterhalt nochimmer mit einem Hagel von Kugeln. Von Zeit zu Zeitläßt der Eifer der _Angreifer nach; das blinde Feuernwird eingestellt, und ein Kundschafter kriecht auf allenVieren den Bürgersteig entlang. Aber von irgendwo her,aus dem nachbarlichen Dachboden etwa, fällt ein ein-samer Schuß, und die Kanonade gegen den leerenGraben voll leerer Patronenhülsen wird mit neuer Krafteröffnet. So hat eine Abteilung der Polizei in einerder Gassen zwei Stunden lang einen leeren Schützen-graben gestürmt. Endlich riß der Leutnant seinenRevolver heraus, fuchtelte mit ihm heroisch in der Luftherum und führte seine Leute in die Attacke. Blind indie Luft schießend und mit kriegerischem Geheul fielensie in einen leeren Graben hinein,

Es begann zu dämmern. Wie ein Wachtposten ließder Sonnenuntergang seine langen, wie Bajonette zuge-spitzten Schatten in alle Straßen fallen. An den Mauernvon Schiffbek prangte schon ein Plakat, das denGeneralstreik verkündete und die Sowjetregierung be-grüßte. Die fünfunddreißig Kommunisten, die vonTausenden von Soldaten umringt waren, waren über-zeugt, daß ganz Deutschland sich hinter ihrem Rückenerheben wird. Uebrigens unterstützte die Bevölkerungauch ohne alle Aufrufe einmütig die Kommunisten.

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Einige tausend Mann zogen durch die Straßen, undwenn sie an dem Kampf nicht aktiv teilnahmen, so dochnur deshalb, weil es vollständig an Waffen fehlte.

Und die heilige Intelligenz! Es muß hervorgehobenwerden, daß ihr· Vertreter im kleinen Schiffbek, wiebei uns, wie überall, wo die soziale Revolution endlichzu den Waffen greift, - gemeinsam mit der Polizei undden Soldaten geschossen hat. Es war kein Professor,- in Schiffbek gibt es keine Professoren! -; keinLehrer - die Lehrer sind wohlgesinnt, aber ängstlich;es war keine Hebamme - in Schiffbek gebären die'Frauen von selbst, ohne jede Spur von ärztlicher Hilfe.Nein, es war nur der alte Schul dienet, der sich für dieFrüchte der europäischen Aufklärung einsetzte. Allein,verlassen in seinem öden Gebäude, elend und kläglichmit seinen sechzig Jahren, vollgepfropft mit Schulweis-heit; ein Arbeiter, der gelernt hat, schwielige Hände,Armengeruch und junge, starke Unwissenheit ebenso zuverachten, wie sie von unerbittlichen Schultafeln,Lehrerröcken und von den Weisen aus Gips auf demBücherschrank im Rektorzimmer verachtet werden;dieser alte Diener, der konsequenter war als AlexejMaximowitsch Gorki, ergriff eine Pistole und beschloßauf die Jungen zu schießen, auf die Schüler~einerSchule, die, statt sich mit Schönschreiben und Religionzu beschäftigen, an den Straßenunruhen teilnahmen. EinKlopfen gegen die Tür. Der Schuldiener duckt sichnieder. Es klopft noch einmal, dann fährt die Tür ausihren Angeln, denn V. wurde ärgerlich. Dae-r.\lebt deralte Mann pathetisch, wie das Schillerde~a.i,.> denArm, drückt gegen die breite Brust des Arß~i~er's. ab

. und - schießt vorbei. In diesem Augenblick nahm dasPathetische ein schnelles Ende. Der Diener.;scplüpft

auf die Treppe hinaus, X.läuft .ihm nach. Der Dienerhüpft, trotz des Revolvers in seiner Hand, über dieStufen und brüllt, daß man es im ganzen Hause hört.

"Altes verrücktes Karnickel! Trägst der Wissen-schaft die Nachttöpfe nachl Wozu bist du bloß auf derWelt? Und X. nahm Onkel Paulus den Revolver ab.

Der Alte weinte bitterlich, denn die langen Jahre,in denen er die Kreidealgebra und die Ziffern derChronologie von der Schultafel wischte, haben ihn zueinem echten Intellektuellen gemacht; das zeigte sichdarin, daß der Mann anfangs einem verzweifelten Ent-schluß unterlag, um schließlich in' hilflose Tränen aus-zubrechen.

X. gab ihm einen Klaps und verzieh ihm. Es warsogar so: X hielt den Alten und seine unglückseligeWaffe in der einen Hand und wischte sich lachend undfürchterlich fluchend den Pulverrauch von dem durchden Schuß versengten Gesicht. Paulchen sah sich ge-zwungen, trotz aller Tränen sein altes, geschändetesParteibuch zu zerreißen.

Ringsherum: Jungens, Gewehrfeuer, Tod undLachen.

Gegen Abend ließen die Kämpfe nach. Die Arbeiterwaren gezwungen, sich zurückzuziehen - X. sprichtauch jetzt noch mit der größten Verlegenheit und kind-lichem Schuldbewußtsein davon: die Arbeiter mußtensich fünfhundert Schritt weit von ihren alten Stellungenzurückziehen. Und zwar - nach der HarnburgischenSeite zu. Aber auch im Rücken gelang es den Trup-pen bis zum Hauptplatz vorzudringen, wo die reichenStadtbewohner sie mit Bockwürsten, Margarine undGratulationen überschütteten. Der Belagerungsring

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wurde immer enger, drohte zu einem Halsband zuwerden. Eine Abteilung von Aufständischen, die ausdem geschlagenen Barmbeck den Schiffbekern zu Hilfekommen wollte, war außerstande, die Polizeiblockadezu durchbrechen. Zu dieser Zeit flogen schon durchdie Straßen Hamburgs Autos des Reichswehrkom-mandos: die Offizliel'e des Generalstabs beeilten sich,das Netz der Barrikaden kennenzulernen, - sie fandenihre Anlage ausgezeichnet.

Als die Morgendämmerung einbrach, lagen die Ar-beiter wieder in ihren Schützengräben, Dachböden,hinter allen möglichen Deckungen. Aber der Tags zu-vor in drei Attacken geschlagene Gegner zeigte sichnicht. Irgendwo, in Fabriken, tönten zwecklos und an-haltend die Fabrikpfeifen. Am Ende einer jeden Gasse,-die in freies Feld hinausging, patrouillierten Soldaten.Wie einen Gefangenen im Gefängnis bewachten sie von-weitem die Barrikaden. Darauf - unheimliche Stille.Anfangs freute man sich darüber. Dann wurde esbedenklich. - Man begann eine ungeheure Gefahr zu-ahnen, die aus diesen schweigsamen, öden Feldern gegen'Schiffbek kroch. Man bereitete sich auf ihren Empfangvor.

35 gegen 5000!Gegen 1 Uhr mittags kam von Horn aus eine Ab-

teilung von vier Panzerwagen und sechs Lastautos, dieeine zahlreiche Sipoabteilung auf der Chaussee ab-luden. Von Norden her, aus Uhlenhorst, zeigen sichviele Lastautos mit Grünen. Von Eimsbüttel her -Kavallerie. Ein Flugzeug flog tief über Schiffbek hinund bestreute seine durchlöcherten Häuser mit grauemKugelregen. Die deutsche Armee - von den Alliiertengeschlagen - kämpft mutig mit ihren Proleten. Aber

das Beispiel der AlLiierten ist offenbar ansteckend ge-wesen, denn jetzt setzen auch die Proleten den Regie-rungstruppen hart zu. Kavallerie, Infanterie, Panzer-wagen, Flugzeuge, sogar eine ganze Kriegsflotte auf. derschmutzigen Bille - fünf Kutter der Wasserpolizei -und ein Häuflein von Arbeitern, das dieser ganzen Tech-nik, diesem Aufgebot einer Söldnerarmee spottend -bis vier Uhr nachmittags standhält. Sie werfen end-lich die Truppen von .den ungeschützten Stellungen zu-rück, jagen die blauen, grünen und überhaupt farbigenSoldaten vor sich her, durchbrechen den Ring der Be-lagerung und gelangen durch diese blutige Bresche indie Freiheit. Es klingt lächerlich: drei Schützen bildendie Nachhut dieser winzigen Arbeiterarmee. Sie haltendie "Seekräfte der Republik" in gehöriger Entfernung,bis X. mit seinen Leuten sich durch den schmalen Spaltzwischen Fluß und Chaussee durchgeschlagen hat.

Triumph-der Sieger. Denunziationen, Haussuchun-gen, Verhaftungen, Faust [ustiz, Dankgottesdienste.Und alles das dauert fast zwei Monate. Dutzende vonArbeitern beginnen illegal zu leben. Viele sind ver-haftet und erwarten ihr Urteil. Ihre Familien lebennoch in den stickigen Arbeiterkasernen: die Frauen derAufständischen werden eine nach der anderen entlassenund au.f die Straße geworfen. Von Zeit zu Zeit er-scheint in ihren Wohnungen ein gesprächiges Mitglied.der Verwaltungd~s Gewerkschaftsverbandes: mit einemgeschwollenen Kopf, gelb von Jodtinktur, in weißenBinden. Er wurde in den Tagen des Aufstandes irrtüm-licherweise in der Nähe der Bleihütten ergriffen undvon der Polizei zu- Hackfleisch gemacht. Jetzt läßter sich die ausgeschlagenen Zähne einsetzen, schnüffeltüberall herum und vermittelt.

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Hunger, Schnee, eisig kalte, schmutzige Betten,unerschwinglicher Mietszins, Grobheiten des Haus-verwalters und ein Winter, der jeden auf dem Wellezwischen seiner schmutzigen nach Gas und Toiletteriechenden Wohnung und dem Arbeitslosenbüro mitweißen Ruten züchtigt. Dieses Büro - ist ein grauesHaus, das stramm steht und ins leere Feld hinaussalutiert. Der ganze Rücken dieses Hauses ist mitunseren Flugblättern beklebt.

Von Zeit zu Zeit erscheint bei den jeder Willkür,Gewalt und Entbehrung ausgelieferten Frauen einPolizeitrupp zwecks Vornahme einer Haussuchung oderein "Feldgendarm" zu ihre r Vernehmung. . Dann zeigtdiese ganze hilflose Armut auf einmal ihre verborgenenStacheln und setzt der zivilen und militärischen, mitihren Säbeln über die vereisten, mit eingefrorenem Un-rat bedeckten Treppen rasselnden Gewalt einen mutigenund harten Widerstand entgegen.

Die Fäuste in die Seiten gestemmt, mit einemGesicht, rot vom Zorn, vom glühenden Herd oder vomWaschtrog, die brüllenden Kinder und den wild bellen-den zottigen Hund anschreiend, die Stimme bis zurdurchdringenden, bissigen Höhe steigernd, ~ 'weist dieFrau eines Schiffbeker Aufständischen alle Papiere zu-"rück, wie man über der Stirn hängende Haarsträhnen är-gerlich zurückstreicht; mit wütender Hartnäckigkeit leug-net sie alles, gibt ausweichende Antworten, unterschreibtkein einziges Papier. Und ihre Schimpfworte, unab-wendbar, wie ein Topf mit Unrat, prasseln auf dieKöpfe der abziehenden Beamten nieder. Diese Frauen,die nichts zu essen haben, die morgen aus, ihren Löchernhinausgeworfen werden, malträtieren d~ Polizei, ver-höhnen sie, verfolgen sie mit ihrem bissigen Spott.72

Vor dem Weihnachstfeste tun sie sich zusammen,um für die Kinder der -geflohenen Kommunisten einDutzend Puppen zu nähen. Man zimmert Puppenstub~naus alten Kisten, .beklebt sie mit Zeitungen und abgeg~lf-fenen Königen und Damen aus einem alten Kartenspiel-

Die hungrigen Nachbarn erscheinen mit Ge-schenken .:.......mit einem Stück Seife, mit einer Puppe,mit wollenen Strümpfen.

Endlich erscheint in der Nacht ein Arbeitertruppaus Harnburg - mit einem Handkarren, der mit Mehlund Margarine von den amerikanischen Genossen be-laden ist. Fünfzig Kilo Fett und fünfundz,wanzig Pfun~Zucker für siebzig Familien, deren jede mindestens dreibis fünf Münder zählt.

Einige Tage vor Weihnachten erreicht der Hungerseinen Höhepunkt. Auf das Anerbieten der holländi-schen Gruppe der Internationalen Arbeiter-Hilfe schic~tSchiffbek fünfzig seiner Kinder nach Holland, wo S1ebei holländischen Genossen untergebracht werden.

Es klopft an der Tür - es erscheinen Arbeitermit verlegenen Gesichtern, die keinen ansehen.höchstens die Wäsche, die über dem kalten Herd hängt,oder die Wand, die grün wie Syphilis ist; sie sprechenvom Wetter, von Gesundheit, von Kleini"gkeiten.

Mit in sich gekehrten Augen erkundigt sich die Mut-ter - wen sie nun eigentlich nehmen wollten: einenKnaben oder ein Mädchen und von welchem Alter?Die Reisevorbereitungen dauern eine Viertelstunde.Gepäck gibts nicht. Dann -einige Minuten ver-zweifeltes Heulen auf den zitternden Knien der Mutter.Aber die Strümpfe sind schon mit Bindfaden fest zuge-bunden, alle Knöpfe sind sachlich zugeknöpft, und dieMutter kä""mmt ihrer Tochter mit schroffen, keinen

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Widerspruch duldenden und doch verlangsamten, ins-lleheim in die länge gezogenen Bewegungen den zer-zausten Zopf aus. So wird das Kind in einem Zeitraumvon fünfzehn Minuten oft für immer von seiner Wurzelund von dem verwüsteten Schiffbek losgerissen.

Zwei Mütter weigerten sich ihre KindJr nach,Holland zu geben.

Die eine - mit vier Knaben und zwei Mädchen be-lastet (der Mann verhaftet. die Fabrik hat sie entlassen,ein Fenster ist mit Zeitungen verklebt) - bringt es aufirgendeine unerfindliche Weise fertig, sechs Mifuderüber Wasser zu halten. Eine andere --.: ganz Sorg-losigkeit, Munterkeit, Schmutz und .physische Zer-störung, Kinder von allen Schattierungen: - von denvielen heiß, aber nur' kurz geliebten Vätern. Mädchen,die ungebeten zur Welt kamen, wie eine erstaunliche,goldgelbe Sonnenblumenblüte, irgendwo an der Müll-grube, aus einem zufällig auf dem beschmutzten Bodenniedergefallenen Samen. Die Jungens - gesund.munter und sich selbst überlassen. die sich fest an dieschimmlige, alte Fabrikmauer klammern und ihrenLebenssaft .aus ihr saugen. Unter Tränen, Flüchenüber die ungebetene Fruchtbarkeit, unter Kindergebrüll,nach links und nach rechts Klapse austeilend, mit einemBrustkind im Zug vor der Tür stehend; das ent-weder an einem Zipfel der schmutzigen Bluse oder ander abgemagerten nackten Brust saugt, - - dieseMutter weigerte sich. auch nur ein einziges Exemplarihrer lebensfrohen, hungrigen Kinderschar in die Ver-bannung zu geben.

Unter diesen Familien, die in dem unterdrücktenSchiffbek den Todeskampf kämpfen, gibt es eine, die74

dermaßen glücklich ist, daß die Nachbarinnen desAbends hingehen, um der ungewöhnlichen, dortherrschenden Stille zu lauschen. Die kleine, schwarze,früh gealterte Frau - mit den schwärzesten Augen,die es gibt, mit dem braunsten Gesicht der Welt undmit einem Knistern in der Stimme, das an etwas Süd-liches erinnert - an das Knistern der in Wärme undAsche bratenden Kastanien. Ihre vier Kinder sind- als wenn es abgemacht'wäre - entweder ganz weißmit Blau. oder olivbraun mit Schwarz. Nach der Reihe:kleine Tschechen und kleine Deutsche. Ihr Mann.ein alter Kommunist, wurde in der Arinee fürseine polnische Familie und unheimliche Schweig-samkeit, hinter der der Feldwebel den Pazifistenwitterte, öfters verprügelt. Mitglied des Spartakus-bundes, einer der ältesten Kämpfer der KPD.. ver-wundet während des Kapp-Putsches.

Im Leben eines jeden Menschen gibt es Perioden,wo der EHer anfängt, sich zu sammeln und zu reifen.Jede kleinste Unannehmlichkeit: leichte Erkrankungdes Kindes, ein unangenehmes Gespräch mit demMeister, die Begegnung eines Spitzels nach dem Ver-lassen einer illegalen Versammlung, :- nimmt einenbösartigen Charakter an. Der Genosse - ein Aus-länder, belastet mit Familie, die Hälfte der Wocheohne Arbeit. längst als Kommunist bekannt, - er fühltedeutlich, daß er jeden Augenblick mit seinen sechsGören unters Rad geraten kann. Sie sind alle furcht-bar ermüdet, entsetzlich ausgehungert, wie erkaltet.

Es waren schwere Kämpfe. Aber der Oktober hatden Sieg nicht gegeben, an den Schiffbek, dieses Verdundes Hamburger Aufstandes, so fanatisch geglaubt hat.Der Polizei ist es nicht gelungen, den Genossen,

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der an der Bewegung den regsten Anteil nahm, zu er-'f Igre18n. : .

Er schickte seiner Frau aus dem Auslande einenBrief.

Alles in seiner Wohnung atmete auf, wurde stillund ruhig, sprach mit leiser Stimme.

Der Brief aus dem Auslande - war wie das Auf-schlagen einer fernen Schaufel, die diese fünf Menschen,die wie von einem Bergsturz verschüttet waren, her-ausgrub.

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DAPIPI

VII.Das Stadtviertel Hamm, Der Lage seiner geraden,

breiten Straße nach, eignet sich diese Vorstadt sehrwenig für Straßenkämpfe.

Seine öden Alleen lassen sich sehr schwer miteinem Barrikadengürtel zusammenziehen: Glatte, nackteFassaden der Arbeiterkasernen fallen steil ab auf den.spiegelglatten Asphalt. Die Mauern geben einzelnen'Schützen keinerlei Deckung; die Kämpfer brauchenNischen, Vorsprünge, vorstehende Treppen, altmo-dische Häuser. Spaten und Spitzhacke würden sich dieZähne brechen, wenn sie versuchen wollten, den fest-gewalzten Mörtel aufzureißen." Um eine solche Straßezu verschließen, muß man einige große Bäume fällen,aber es .gibt nicht viel Bäume in diesem Viertel der

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Armut. Außerdem lassen sich die Straßen von Hammsehr leicht 'mit einem Maschinengewehr beherrschen.das an einer Straßenkreuzung aufgestellt ist: die ent-blÖßte Flucht der Steinkorridore gibt .dem Feldstecherjede zusammengekauerte Figur preis. die im kaltenSchatten dieser unmenschlichen Fassaden Deckungsuchen wollte, jede Gestalt mit einer auf die Augen ge-schobenen Mütze. mit einem wollenen um den Hals ge-wickelten Tuch und einem Gewehr in der Hand wärehier ausgeliefert." Alle diese ungünstigen Besonderheiten konntennicht verhindern. daß Hamm zum Schauplatz vonkurzen· aber sehr gespannten Kämpfen wurde. Sogarder gemischte kleinbürgerliche Charakter der Bevölke-rung vermochte. sie nicht zu 'schwächen. Die vor-wiegend hier wohnenden Studenten boten ihre Dienstegeschlossen der Polizei an. - aber nicht hier, bei sichzu Hause. sondern in anderen, sichereren Stadtteilen.

Ein bewaffneter Aufstand setzt das Vorhandenseinvon Menschen voraus. die über Waffen verfügen. DerHamburger Aufstand war ein Aufstand von unbewaff-neten Arbeitern. die vor allem die Aufgabe hatten. sichauf Kosten ihres Gegners zu bewaffnen.

Im Bezirk Hamm gibt es fünf Polizeireviere, diestets von Sipo-Abteilungen besetzt sind; außer denWaffen, die die Schutzleute in der Hand haben, hofftendie Arbeiter in jedem dieser Reviere kleine Arsenalevorzufinden.

Also in Hamm, wie in allen anderen Stadtteilen.begann der Kampf mit dem Angriff der Arbeiter auf diekleinen Polizeifestangen, die von Posten bewacht undmit Personal und Munition aller Art überfüllt waren,

,Eines der schwierigsten Reviere wurde von zwölf

Arbeitern. die nur über eine altmodische Pistole ver-fügten. genommen.

Dicht vor der Tür des Polizeibüros schien der Ar-beitertrupp ein wenig unsicher zu werden. Da riefeiner der Genossen • ..,- seinen Leuten zu:

"Nun man los!" Und ohne hinzusehen. ob dieanderen ihm folgten. mit großen Sätzen über die Treppefliegend. brach er ins Revier ein. Hinter ihm - seinFreund, ein junger Mensch - sonst niemand. Der ein-zige und nicht einmal geladene Revolver richtete sichauf den Sipohaufen. Er bemerkte die Unentschlossen-heit der Gegner, brüllte wild auf und schlug nicht miß-zuverstehend.jnit der Faust auf den Tisch. Die Papiereflogen auf den Boden. das heilige Naß der TintenfässerergoB sich über den Tisch. - die Staatsgewalt be-gann zu wanken.

••Man los. hier wird nicht lange gefackelt'"Die Polizei ergab sich. hob die Hände. wurde ent-

waffnet und von den hinzueilenden Genossen in ein Zim-mer eingeschlossen. Was sollte jetzt geschehen? Sollteman sich in dem besetzten Revier verschanzen. oderhinausgehen. Schützengräben graben,. Barmbek zuHilfe eilen, von wo unaufhörliches Gewehrgeknatterherübertönte? Man hatte indes keinerlei Verbindungmit der Leitung.

Y.pflegte in den Parteiversammlungen in irgend-einer Ecke schweigend an seiner Pfeife zu saugen. imSchatten seiner wasserdichten. höckrigen Kleidung desLöscharbeiters. Er schwatzte niemals. er haßte diePhrasen mit einem Schwall blitzender Worte, mitpathetischen AufiufenzumKampf. - wie sie diePartei-Intellektuellen zum Besten geben. Er stellte sich

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den Aufstand als etwas Einfaches, Gradllnlges, ohnedie geringste Abweichung und ohne jede Schwankungvor. _ wie den Aufschwung eines Hebekrans, d~r s~meBeute erfaßt hat, wie die untadelhafte GeradheIt einesKompaßpfeils, - Und da er keinerlei Dire~tiven er-hielt lud er sein 'Gewehr, legte die Patronenin bequemerreichbaren Häuflein zurecht und bereitete sich vor,am Fenster, dessen Vorsprung ihm eine gewisseDeckung gewährte, zu kämpfen und zu sterben.

Vergeblich. suchten ihn die Ge~osse~ zu ü?erreden,das Haus zu verlassen, - sie bewiesen Ihm die Gefahrseiner Stellung, die jeden Augenblick umringt ~nd ab-geschnitten werden konnte. Er beschloß zu bleiben ..

, "Dat 1S Befehl, ick bliewl" und er blieb. - Eine; Stunde später begann' der Zweikampf dieses Mannesmit der Polizei, die das ganze Viertel. überschwemmte.Nachdem er seinen letzten Schuß abgegeben hatte,brach er endlich zusammen, - verwundet am Ko~f, anBrust und Bauch; der furchtbare Schlag eines Stiefel-absatzes nahm ihm das Bewußtsein.

Er starb nicht im Krankenhaus, wo man aus seinemKörper sechs Kugeln herausholte. Von dem schnellenSieg der Revolution überzeugt, lehnte er es ab. zufliehen und akzeptierte lächelnd die zehn Jahre Zucht-haus zu denen ihn Scheidemann "begnadigt" hatte. Alser den Gerichtssal verließ, wandte er sich zu der Mengeum und rief seinen Freunden zu, die unter dem bürger-lichen Publikum verstreut saßen:':

Haltet meinen Revolver in Ordnung, ich werde ihnmir bald holenl"

So verlief die Einnahme des Poliz~irevie~$ in derFestun~straß,e. '

Gegen 7 Uhr morgens begann es hell zu werden.Der Straßenverkehr ruhte (in diesem Stadtteil ruhter allerdings nur wenige Stunden), Abteilungen von be-waffneten Arbeitern hielten ihre Kameraden, die nichts-ahnend zur Arbeit gingen, an und schickten sie nachHause zurück.

"Was ist geschehen?""Die Diktatur des Proletariats ist erklärt.""Dat kun ja ook nich' so wieder gohn.""Denn got wi werra nochus".Nicht 'auf die Barrikaden, nicht den Arbeiter-

Hundertschaften zu Hilfe, sondern nach Hause.Auch das ist charakteristisch.Die meisten Aufständischen ließen trotz des

Fehlens aller Befehle seitens des Stabes, die ausge-plünderten Reviere im Stich und rückten nach Barm-beck aus, wo die wilde Schießerei keine Sekunde auf-hörte. Sie haben instinktiv die einzig vernünftigeTaktik gewählt. Der Asphalt läßt sich nicht heben.Bäume gibt es fast gar nicht. Zu wenig Waffen, umbreitere Massen in Bewegung zu setzen, - deshalbzerstreuten sich bewaffnete Gruppen nach allen Seiten,um einzeln in die kämpfenden Stadtviertel zu gelangen.Die Abteilung Y:, Z.'s [insgesamf neun Gewehreund zwölf Revolver), schlug die Richtung nachdem schärfsten Kampfe ein: In einem der Stein-korridore begegneten sie dem Maschinengewehr-feuer eines Lastautos. Die Schützen fielen zuBoden, um dann unter dem sich nähernden Feuer ineiner Seitengasse Deckung zu suchen. Einer der Ge-nossen erhob sich aufs' Knie, hob das Gewehr an dieSchulter - in der nächsten Sekunde entfiel es seinenHänden. Y. erinnert sich, wie eine Blutrinne vom

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Trottoir dem Gully zufloß und einen von irgend jemandhingeworfenen Zigerettenstummel mit sich forttrug.Seitwärts ertönte das Dröhnen eines zweiten Wagens.Ohne die Aufständischen zu bemerken, nahm er amEnde der Gasse eine bequeme Stellung ein und drehteihnen seine ungeschützte Seite zu. Die Aufständischenleerten den Wagen buchstäblich mit ihrem Feuer. Danahm die kleine Abteilung die Form eines beweglichenKarrees an, das während vieler Stunden sich kämpfendvorschob und endlich eine wirkliche Schlacht auf derBrücke des Mittelkanals lieferte. Das war ein elasti-sches Quadrat, das im nötigen Augenblick sich zu-sammenrollte und verschwand, wie Wasser im Sande.In seiner Mitte -drei, vier erstklassige Scharfschützen.Sie besetzten einen Kreuzweg - das zentrale Glied voneinigen größeren Straßen. An allen nächsten Ecken,geschützt von Litfaßsäulen, Baumstämmen, Telephon-häuschen placieren sich die mit Revolver bewaffnetenPosten. Sie schießen nur aus nächster Entfernung, nurbei einem Handgemenge und sie warnen die Scharf-schützen, wenn ihnen eine Umzüngelung droht. Sichvon Straße zu Straße weiterschiebend, immer neueKnotenpunkte verteidigend und autgebend, setzte sichdie Abteihing endlich an der Brücke des Mittelkanalsfest, dem, einem breiten Fächer gleich, die steinernenFalten der umliegenden Straßen zustreben. Die Brückekrümmt ein wenig ihren breiten Rücken, um wie ange-ekelt den Strom des trübe schimmernden Fabrikwasserszu überschreiten. Die Schützen legen sich so nieder,daß nur die Mündung ihrer Gewehre über ihre Krüm-mung hervor sehen. Einige aus einem viel zu weitenKorsett aus Eisenstäben hervorgewachsene elendeBäume, die diesen öden Platz nur deshalb nicht ver-

lassen haben, weil der Beton ihre unmündigen Wurzelngepackt hält, -bilden nebst einem schwi~dsüchtig~nLaternenpfahl die einzige Deckung der Kampfer, dielinks und rechts von den drei besten ScharfschützenAufstellung nehmen.

Längs des ganzen Ufers ziehen ~ich ~nb~w~hntefinstere Gebäude hin. Nur selten zeIgt Sich 10 Ihrerfeuchten Mauer ein KeUerfenster. Es erscheint wie einkrampfhaft aufgesperrtes Maul, das aus dem Wasseraufgetaucht ist, um einen Atemzug zu machen und so-fort wieder zu verschwinden.

Es ist ein Arbeits-Venedig. Aber seine Baumwolle,Fett und Eisen bergenden Paläste kennen keirie breitenMarmortreppen und Kais; Ziegelsteine und Beton, vomgiftigen Abflußwasser bespült, sind mit einem Anflugfürstlicher Schönheit bedeckt, mit blaßgrünem,grauemund rosa-rostigem Schimmer, der vielfältiger undwundersamer ist als Porphyr, Marmor und Malachit desgroßen .Quattro~ento. Funkelnde Kohle veredelt diegraue Stumpfheit der Steinschluchten. Diese, ~asindustrielle Harnburg umspülende Lagune kennt keineGondeln, keine romantischen Nächte. Sie trägt denUnrat der Fabriken, Feuchtigkeit, Kälte.und alle Krank-heiten in das Meer, die durch ihre Mauem in das Leben,in den Schlaf, in die Arbeit und:lh,~.Blut von MillionenArbeitern sickern. Wie die Doggen blicken Fabrik-schornsteine in die trüben Spiegel, Rauch flutet vonihren Schultern, majestätischen Mänteln gleich, und esist nicht der goldene Ring der Adria, der sie mit ihremgrauen, kalten und beschmutzten Meer vermählt, son-dern - das Geheul der' Schiffssirenen, die die Ankunftder kostbaren Rohstoffe verkünden. Die Nereiden sindim kalten Schmutz der Kanäle schon längst ausge-

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sterben. Zuweilen finden Straßenjungen im Wasserihren weißen Fischleichnam, der mit dem weißen Bauchnach oben, mit qualvoll aufgesperrten Kiemen umher-schwimmt.

An diesem Kanal wurde gekämpft. Auf einmalmelden die Vorposten: Automobile. Man mußte dieStellung wieder ändern. Wieder - Scharfschützen imZentrum des Karrees, Posten an den Ecken. Ein Last-auto, vollgepfropft mit Soldaten springt unerwartethinter der Ecke hervor. Mit einem Schuß gelingt es Y.den Motor zu verletzen. Die Sipo läßt das Auto imStich, trägt ihre Verwundeten fort. Der Trupp machtwieder, einen verzweifelten Sprung und besetzt denKnoten des Nachbarviertels. Dieses Mal wird er voneinem Panzerwagen attackiert, unter dessen Deckungsich eine Kette von Grünen 'aufrollt. Die Aufstän-dischen schießen den Leutnant nieder - einen tapferen,aber dummen Leutnant, der mutig hervorspringt und mitlauter Stimme seine Leute zum Angriff anfeuert. Unterder Sipo verbreitet sich eine Panik. Dann tritt Toten-stille ein, eine Stille, die dem gespenstischen Reich derunbewohnten, von Bannern des Fabrikrauchs und ent-fernten Salven des Aufstandes umwehten Kanälenüberhaupt eigentümlich ist. Durch menschenleereStraßen, an stillstehenden, glasigen Flü:ssEm vorbei, anregungslosen, wie Klöster versperrten Fabriken undHäusern mit feindselig verschlossenem Munde entlang- fuhren die Aufständischen fort, sich weiterau-bewegen, ihre Kampfordnung an den Kreuzungen um-zuformen. Wieder ein Dröhnen der Räder auf dem aus-gestorbenen Pflaster. Diesmal nur ein Wagen, beladenmit Zeitungen. Die Gefahr vergessend, in den festge-bundeneu Zeitungsbündeln, dann in den frischen

Blättern des "Fremdenblattes" wühlend - suchten sieund konnten nicht finden, jene einzigen Worte, auf diesie den ganzen Tag über gewartet, qualvoller gewartethaben, als.auf die Nachricht ihres eigenen Sieges: - aufdie Nachricht von einer deutschen Revolution, von einerSowjet-Republik in Deutschland. Y. warf fluchend dieZeitung beiseite und ergriff eine neue. Z. las und wurdeweiß im Gesicht. Einer weigerte sich, dem gedrucktenWorte zu glauben und verband seinen verwundetenUnterarm mit dem schmutzigen Papier; er schüttelteverächtlich den Kopf: versteht sich, die Zeitung' log.Sie verschwieg absichtlich den sieghaften Aufstand inBerlin, Sachsen und überall. Es war ja gar nicht andersmöglich I

Dann warf man die Zeitungsbündel auf den Asphaltund zündete sie an. Der Wind ergriff die flammendenBlätter und trug sie in die Kanäle. Dort schwammensie wie brennende Vögel, wie flammende Schwäne.

Aus den Nachbarstraßen knallten Salven. ImSchein des riesigen Feuers, das die Soldaten vergeblichzu löschen versuchten, zog sich der Trupp Aufstän-discher langsam zurück.

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IN H ALT S -V ERZ EIe H N I SSeile

Vorwort , :............... 3Die Barrikade 5Harnburg -......................... 17Barmbeck 25Schiffbek 4.5Porträts .-... 53Wieder Schiffbek 61Ramm : 77


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