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Wein Welten Italien - Steffen Maus und Markus Bassler

Date post: 18-Mar-2016
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Hervoragendes einzigartig aktuelles Werk mit Expertentips von Volks-Sommellier Dr. Steffen Maus und Food-Fotograf Markus Bassler. Auszüge aus dem Buch in Kapiteln je Region.
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Transcript

Wer spätnachmittags im Caffè Urbanis in Triest seinen Espresso verschüttet, tut sich damit in mehrfacher Hinsicht nichts Gutes. Nicht nur nimmt er sich den Kaffeegenuss, weil das Heißgetränk dort in bester Qualität serviert wird, sondern gefährdet auch die Business outfits seiner Nach-barn. Triest ist Hauptsitz des Kaffeerösters Illy und seiner Università del Caffè. In den Apero-Bars um die Piazza dell’Unità stehen die Gäste nach Feierabend dicht gedrängt, und dabei verhaken sich schon mal Gucci-Embleme in Bulgari-Manschettenknöpfen. Deren Träger liefen noch bis eben durch die Büroetagen von Unternehmen wie Generali.

Der Versicherungs-Multi hat sich hier schon vor 100 Jahren mit einem klassizistischen Prachtbau sein Denk-mal gesetzt und reichlich Nachahmer gefunden. Regierung und Stadt leisteten sich je einen Palazzo, ebenso der Kon-zern Lloyd Triest. Deshalb sind die Straßen um den Platz heute gesäumt von ornamentverzierten Fassaden. Während die Sonne langsam in der Adria versinkt – die vierte Seite der Piazza ist offen zum Meer –, glühen die mit Goldintar-sien verzehenen Sandsteinmauern mit ihren Skulpturen, als wollten sie das ganze Haus in Gold verwandeln.

Triest ist die Bilderbuchversion einer reichen Handels-stadt. Ab 1382 hatte es zu Österreich gehört, das es für lange Zeit zu seinem wichtigsten Handelshafen und Marinestützpunkt ausbaute. Der Kalte Krieg drängte Triest und die gesamte Region zwar in eine Randposition. Doch innerhalb der EU der 27 Mitgliedsstaaten liegt die Stadt im extremen Nordostzipfel Italiens wieder mitten-drin. Innenstadt und Canale Grande sind herausgeputzt; und nicht wenige der Bohnen für sechs Millionen Tassen Illy-Kaffee, die täglich getrunken werden, werden in dem geschäftigen Adriahafen verladen. In den letzten Jahren ist auch eine ganze Menge Wein aus Friaul dazugekommen. Viele der Frachtschiffe nehmen Kurs auf New York, wo sich die Weißweine eine gute Reputation erarbeitet haben.

im collio gibt es den feinsten schinken und den raffiniertesten weißwein italiens. da sind sich experten einig, auch wenn nur wenige den landstrich zwischen österreich, slowenien und dem mittelmeer bereist haben. die menschen im friaul kehren ihre qualitäten selten nach außen. genauso ist es mit ihren weinen. wer aber einmal mit land und leuten freundschaft geschlossen hat, gewinnt eine region italiens für sich, die sich immer treu geblieben ist.

Am Rand und obenauf

friaul

Romantischer Sonnenuntergang mitten in der City. Die Piazza dell’Unità ist offen zum Meer.

Doch anders als die Herkunftsorte anderer weltweit bekannter Weine wie des Chianti kennt kaum jemand das entlegene Grenzland, aus dem die Tropfen stammen. Wer die Hauptstraße von Triest Richtung Norden entlang der slowenischen Grenze in die Berge fährt, erlebt auch kein Klischee-Italien. Keine Zypressen, keine Oliven – wenig würde sich hier als Motiv für ein Weinetikett anbieten, mit dem Winzer die Anmut der Landschaft auf ihren Wein übertragen wollen.Wer die Weine sucht, reist in eine Welt ohne Glamour, dahin, wo Triest Trst heißt, weil die Ein-wohner zu Hause italienisch und slowenisch sprechen und wo viele finden, dass sie für die reichen Städter Menschen zweiter Klasse sind. Andererseits laufen die Städtchen wie Gorizia oder Cormòns kaum Gefahr, als der unvermeid-liche Geheimtipp im nächsten Webportal aufzutauchen, um sich dann bei näherem Hinsehen doch nur als weiteres Touristendorf zu entpuppen, in dem Leute ihr Geld mit Gipsmadonnen und Schlüsselanhängern verdienen.

Stattdessen bekommt man in den hübschen Orten das, was man so selten bekommt, wenn man es sucht: authen-tisches Leben. Die Leute trinken ihren Espresso in uralten Bars mit dunkler Holzvertäfelung. Und wer sich für eine Stunde vor das Longobardo am Marktplatz von Cividale del Friuli setzt, bekommt 60 Minuten echten italienischen

Seite 134 − 135: Im Friaul helfen noch die alten Leute aus dem Dorf bei der Lese, andernorts heutzutage eine Seltenheit.

Seite 136: Klassizistische Fassaden an der Piazza dell’Unità.

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Lifestyle vorgeführt. In aller Regel ohne Digitalkameras und Stadtplan wälzende Kulturtouristen.

Dabei hätten die genug zu sehen, so wie das über 1.000 Jahre alte dreieckige Kloster Santa Maria in Valle südlich des Marktplatzes. Von dessen ebenfalls dreiecki-gem Innenhof mit dem zauberhaften Säulengang und dem Brunnen tritt man in die kleine Kapelle. Darin wölbt sich ein romanischer Fries, auf dem rankende Reben und dicke reife Trauben aus dem Stein gearbeitet sind. Das gibt es kein zweites Mal auf der Welt. Um das Jahr 1200 entstand in Cividale ein silberner Altaraufsatz mit lateinischer Inschrift. Die Buchstaben wurden mit vorgefertigten Werkzeugen eingeschlagen, mehr als 200 Jahre bevor Johannes Guten-berg den Buchdruck erfand. Palazzi, Kirchen und Klöster machen aus vielen Plätzen historische Schmuckstücke.

Nicht nur Triest, erst recht das Anbaugebiet Collio ist nicht ohne Wenn und Aber italienisch. Die rätselhaft erscheinenden Begriffe auf vielen Weinetiketten wie Klin, Col Disôre, Pomédes oder Segrè sind Furlan, die lokale Sprache, die dem Katalanischen fast mehr ähnelt als dem Italienischen. Auf den Straßen sind die Ortsnamen zwei-sprachig angegeben. Und der größere Teil des Collio liegt

in Slowenien. Der Austausch unter den Winzern diesseits und jenseits der Grenze ist lebhaft.

Wechselnde Herrschaften und Einflüsse gab es in fast allen europäischen Regionen. Allzu oft sind die histori-schen Beschreibungen nicht viel mehr als Allgemeinplätze. Im Collio standen sich nicht nur Römer und Barbaren, Katholiken und Protestanten gegenüber. Mindestens seit der Antike ist die Region an der Grenze zwischen Alpen und Adria begehrt. Eroberer aus dem Norden suchten den Mittelmeerzugang; wer aus dem Süden kam, wollte sich die Passage auf den Balkan sichern. Deshalb waren hier nicht nur Julius Caesar und Karl der Große. Zu den Invasoren zählten bereits der Patriarch von Aquileia oder der König von Illyrien, die längst niemand mehr kennt.

Unvergleichbar heftig trafen die Region aber die Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts. Im I. Welt-krieg tobten hier zwölf der blutigsten Materialschlachten. Mehrere 100.000 Soldaten starben bei den Kämpfen zwischen Italien und Österreich-Ungarn im Trommelfeuer, bei Giftgasangriffen, durch Minenwerfer und an Typhus. Knochen, verrostete Koppeln und Bajonette dieser armen Teufel findet man noch heute an einigen Stellen. In diesen

Das Ristorante Aquila D’Oro im Castello di Trussio führt einen der begehrten Michelin-Sterne.

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Isonzo-Schlachten, die am Ende nicht kriegsentscheidend waren, wurden Bergen die Gipfel abgesprengt und das prächtige Gorizia schwer zerstört.

Auch der II. Weltkrieg brachte verheerende Kämpfe. Und am Ende verlief die Grenze zwischen Italien und Jugoslawien mitten durch Gorizia. Am Bahnhofsplatz, der Piazza Transalpina, grenzte jahrelang Nato-Territorium an das des Warschauer Pakts. Erst seit 2004 mit Sloweniens EU-Beitritt ist die Teilung endlich Vergangenheit.

Die Menschen im Collio haben sich mit der Geschichte arrangiert. In Cividale steht eine Statue Julius Caesars, der aus der keltischen Siedlung eine Stadt machte, in Cormòns ziert Kaiser Maximilian I. von Habsburg den Dorfplatz. Das Collio hat dem Rest der Welt verziehen – und vertraut vor allem auf sich selbst. „Mein Weingut ist im italie-nischen Katasteramt aufgeführt“, sagt etwa Edi Keber, Winzer in dritter Generation. Sein Vater musste sich mit österreichischen Behörden herumschlagen. Den Großvater schikanierten slowenische Verwaltungsangestellte. Wenn man ihn nach seiner Nationalität fragt, nimmt er seine Gäste manchmal mit in den Keller, den sein Großvater in den Berg getrieben hat. Die stabile Struktur hat sich be-währt, und ganz hinten, vorbei an uralten Fuderfässern und modernen Stahltanks, hat er in einer Nische ein kleines Regal. Dort zieht er eine Flasche Bianco aus dem Jahr 1968

hervor. Das war der erste Jahrgang mit der offiziellen DOC-Bezeichnung, an der Umsetzung hatte sein Vater großen Anteil. Edi zeigt auf die Banderole mit der Abfüll-nummer 001. Den würde er nicht für einen Diplomaten-pass tauschen.

Auf dem Weg von Gorizia nach Udine kommt man an Ara Pacis Mundis vorbei und findet die eigene Antwort der Menschen hier auf die Fragen der Geschichte. Das gravi-tätische Mahnmal steht auf dem Hügel Medea und ist den Opfern aller Kriege in aller Welt gewidmet.

Weiß-rosa Gotik

Udine, die zweitgrößte Stadt Friaul-Julisch Venetiens, bildet einen krassen Kontrast zum Klassizismus von Triest. Wer vor der Stadtmauer parkt, kann direkt zum Schloss ge-hen und über den parkartigen Vorplatz schlendern, die alte Steintreppe hinunter auf die Piazza della Libertà und in ein kleines Zauberland eintauchen. Durch den Ortskern führen Gassen mit Kopfsteinpflaster, in denen sich die üblichen Palazzi finden. Der schönste unter ihnen ist jedoch wie zum Trotz gotisch, gewagt gestaltet für einen Venezianer in rosa-weiß gestreift. Von den prächtigen Brüstungen der Loggia del Lionello kann man zusehen, was die Udinenser

In Udine gibt es immer etwas zu feiern: die Piazza della Libertà am Abend des Weinfests Friuli DOC im September.

auf der Piazza mit der großen Freiheitsstatue so treiben. Oder man lässt sich weiter mitziehen auf der Via Rialto bis zur Piazza Matteotti, wo die Bauern des Umlands schon vor über 1.000 Jahren ihre Waren auf dem Markt verkauf-ten. Zwischen Gotik- und Renaissancebauten drängen sich nicht nur die für jeden Italiener unentbehrlichen Beklei-dungsgeschäfte, sondern auch Bars, die nicht über man-gelnden Zulauf klagen können. An den Theken und unter den Arkaden fließt der vino in Strömen. Kaum jemand bestellt Softdrinks. Ältere Damen und Studenten, auch Barflies unter zwanzig nippen glücklich an ihrem Spritz, Friulano oder Collio und diskutieren darüber. In Udine beobachtet man im Konzentrat, was für die ganze Region gilt: Hier leben Leute mit Wein – und nicht erst, wenn sie über fünfzig sind. Am liebsten auf einem der vielen Märkte oder Feste. Dann bummeln Gott und die Welt umher, Menschen mit slawischem Gesichtsschnitt beäugen Antiquitäten, luftgetrocknete Schinken oder die Band des Festivals. Meistens hallen dann Polka-Rhythmen durch die Straßen.

Den harten Dialekt, den die Friulaner ihrem Italienisch geben, versteht allerdings nicht jeder, zumal er von Dorf zu Dorf anders ist. Viele Leute sprechen ohnehin lieber friula-no oder slowenisch oder zimbrisch oder uralte Varianten des Deutschen. Diese verschiedenen Brocken der Vergan-genheit tauchen auch in der Küche auf. Wie fast immer in bergigen Regionen ist das Essen nahrhaft wie Lasagne mit geräuchertem Käse oder Eintopf mit Sauerkraut: Dazu gibt es in manchen Bergdörfern kartuffla. Fricos, Käse-Kartoffelkuchen aus der Pfanne, passen hier nicht nur zu jeder Tageszeit, sondern auch zu jedem Wein. San-Daniele-Schinken, sicher das feinste Produkt der Region, harmo-niert bestens mit der bodenständigen Rebsorte Friulano.

Insgesamt changiert die Speisekarte oft zwischen italienisch und deftig österreichisch wie beim Gulasch mit Polenta oder Schweinenacken in salsa bechamela. Vieles könnte tatsächlich auch in Tschechien oder Deutschland auf der Karte stehen, manches sogar in der Schinkenstraße auf Mallorca. Doch aus der Rustikalität der Hausmanns-kost zu folgern, dass es in den Restaurants des Collio

Landwirtschaft und frico sind Tradition im Friaul. Zumindest bei den köstlichen Käseplätzchen wird daran niemand etwas ändern.

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friaul

ebenso deftig zugeht, bleibt zum Glück ein Trugschluss. Tatsächlich schaffen Friauler Köche das, was Köche auf der weiten Welt immer gern für sich zum Leitsatz erklären und so selten einlösen. In den Restaurants spielen sie souverän mit den lokalen Zutaten, indem sie mit Asino-Käse einen Touch von Wacholderrauch an einen Kürbisflan zaubern. Am Tisch trifft das Gericht dann auf einen blumigen Sekt, und beide gehen eine geniale Verbindung ein. Solches Können zahlt sich aus. Acht Restaurants im Friaul führen den begehrten Michelin-Stern, der für italienische Köche besonders schwer zu erkochen ist. Auch Tonino Venica kocht auf hohem Niveau, indem er traditionelle Lebens-mittel mit neuen Zubereitungsmethoden variiert. In seinem Restaurant Tavernetta Al Castello, das als Gas tronomie am Rande eines Golfplatzes nicht so richtig ins Auge fällt, nascht man schon zum Apero einen Frico. Doch wo sonst-eine Käsebombe im Magen detoniert, sind die Aromen des deftigen Snacks hier auf einen dünnen Chip aufgebracht. So gebändigt, flirten die Fettprotze mit einem Ribolla Gialla mit dem feinen Duft von Mandarinenschalen.

Wie viele Menschen im Collio ist diese ländliche Rebsorte oft verschlossen und unzugänglich für einige Zeit, doch dann offenbart sie eine charakterliche Fülle, die man selten findet. Es folgen Risotto mit Todestrompeten und Speck, in dem sich die intensiven Aromen umkreisen wie Gold-fische im Glas, und ein Schmortopf vom Kaninchen mit Pflaumen-Zimt-Sauce. Solche gebürtigen Landeier, die oft kaum für steigerungsfähig gehalten werden, katapultiert Tonino ins Universum der Haut Cuisine. Die Friulaner haben dem Rest der Welt nicht nur verziehen, sie stecken ihn auch in die Tasche. zig

f r i a u l

ö s t e r r e i c h

s l o v e n i e n

v e n e t i e n

Trieste

GoriziaCormons

Palmanova

Aquileia

Gradisca d’Isonzo

Cividale del FriuliSan Daniele

del Friuli

Pordenone

Tarvisio

Udine

Grado

s ü d t i r o l

Anbaugebiete 1 Friuli Grave 2 Colli Orientali del Friuli 3 Collio 4 Friuli Isonzo 5 Friuli Aquileia 6 Carso Friulano − in allen Anbaugebieten

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Isonzo

10 20 30 40 50 km

5 10 15 20 25 mi

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Tagliamento

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