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Von einer âKopfgeburtâ zu einer realisierten Vision - Nawi Graz

Date post: 10-Dec-2016
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Nachrichten aus der Chemie | 56 | September 2008 | www.gdch.de/nachrichten tersystems bot die Gelegenheit, die an den beiden Universitäten angebo- tenen Studiengänge in diesen Berei- chen nicht nur anzunähern, sondern vollkommen neu und vor allem ge- meinsam zu gestalten. Diese Chance wurde genutzt. Im Rahmen der im Jahr 2004 begründe- ten Initiative „NAWI Graz“, initiiert durch Alfred Gutschelhofer, Rektor der Karl-Franzens-Universität Graz, und Hans Sünkel, Rektor der TU Graz, wurden Kapazitäten in den naturwis- senschaftlichen Disziplinen Chemie, inklusive der technischen Chemie und der chemischen Technologien, technischen und molekularen Bio- wissenschaften, Mathematik, Geo- und Erdwissenschaften und Physik gebündelt. Trotz der sehr positiven Aussich- ten und erweiterter Möglichkeiten gab es gewisse Befürchtungen. Viele Lehrende und Studierende meinten, dass der jeweils stark ausgeprägte in- dividuelle Charakter der beiden Uni- versitäten gefährdet sei. Doch was zunächst als „eine Kopfgeburt der Rektorate, die anfangs beinahe die Aura eines Geheimprojekts umgab“ (Hochschülerschaft der TUG) emp- funden wurde, entwickelt sich präch- tig. In enger und konstruktiver Zusam- menarbeit in allen Bereichen der Che- mie, Technischen Chemie und der chemischen Technologien und der technischen und molekularen Bio- wissenschaften wurden neue Studi- enpläne erstellt. In fachspezifischen Arbeitsgrup- pen wurden Konzepte zu Bachelor- studien entwickelt und mit Inhalten gefüllt. In allen Phasen dieser Arbei- ten wurden intensiv Studierende bei- der Universitäten eingebunden. Der Startschuss für die neuen Bachelor- Graz war im Jahr 2003 Europas Kul- turhauptstadt und wurde bereits 1999 wegen des historischen Stadt- kerns zum Unesco-Weltkulturerbe er- klärt. Doch es ist nicht nur die His- torie, welche Graz zu einer Stadt mit hohem Wohnwert macht: Vier Uni- versitäten (Technische Universität (TUG), Karl-Franzens-Universität (KFU), Universität für Musik und Dar- stellende Kunst, Medizinische Univer- sität) bilden derzeit ca. 36 000 Studie- rende aus. Damit ist Graz eine junge Stadt. Jetzt gibt es noch mehr Gründe für Studierende der Naturwissen- schaften sich für Graz zu entscheiden: NAWI Graz (www.nawigraz.at) Im Bereich der Naturwissenschaf- ten gibt es an der TUG und der KFU gemeinsame Studiengänge. Hier be- richte ich insbesondere über den Be- reich der Chemie und der molekula- ren und technischen Biowissenschaf- ten, welche sich sehr gut ergänzen: Die KFU beheimatet ein Institut für Chemie, an dem die klassischen Disziplinen der analytischen, anorga- nischen, organischen/bioorgani- schen und physikalischen Chemie be- heimatet sind, und das Institut für molekulare Biowissenschaften. An der TUG findet man Institute für Ana- lytische Chemie und Radiochemie, Anorganische Chemie, Biochemie, Biotechnologie und Bioprozesstech- nik, Chemische Technologie von Ma- terialien, Lebensmittelchemie und -technologie, Molekulare Biotech- nologie, Organische Chemie und Phy- sikalische und Theoretische Chemie Beide Universitäten boten Di- plomabschlüsse an, wobei sich die Ausbildungsgänge durch die Anzahl der Semesterstunden für Vorlesun- gen und für Praktika, Prüfungsmodi und vieles andere unterschieden. Die Einführung des Bachelor- und Mas- Von einer „Kopfgeburt“ zu einer realisierten Vision – NAWI Graz Karl-Franzens-Universität Graz Technische Universität Graz Technische Universität Graz – Chemieneubau 961
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Nachrichten aus der Chemie | 56 | September 2008 | www.gdch.de/nachrichten

tersystems bot die Gelegenheit, die

an den beiden Universitäten angebo-

tenen Studiengänge in diesen Berei-

chen nicht nur anzunähern, sondern

vollkommen neu und vor allem ge-

meinsam zu gestalten.

Diese Chance wurde genutzt. Im

Rahmen der im Jahr 2004 begründe-

ten Initiative „NAWI Graz“, initiiert

durch Alfred Gutschelhofer, Rektor

der Karl-Franzens-Universität Graz,

und Hans Sünkel, Rektor der TU Graz,

wurden Kapazitäten in den naturwis-

senschaftlichen Disziplinen Chemie,

inklusive der technischen Chemie

und der chemischen Technologien,

technischen und molekularen Bio-

wissenschaften, Mathematik, Geo-

und Erdwissenschaften und Physik

gebündelt.

Trotz der sehr positiven Aussich-

ten und erweiterter Möglichkeiten

gab es gewisse Befürchtungen. Viele

Lehrende und Studierende meinten,

dass der jeweils stark ausgeprägte in-

dividuelle Charakter der beiden Uni-

versitäten gefährdet sei. Doch was

zunächst als „eine Kopfgeburt der

Rektorate, die anfangs beinahe die

Aura eines Geheimprojekts umgab“

(Hochschülerschaft der TUG) emp-

funden wurde, entwickelt sich präch-

tig.

In enger und konstruktiver Zusam-

menarbeit in allen Bereichen der Che-

mie, Technischen Chemie und der

chemischen Technologien und der

technischen und molekularen Bio-

wissenschaften wurden neue Studi-

enpläne erstellt.

In fachspezifischen Arbeitsgrup-

pen wurden Konzepte zu Bachelor-

studien entwickelt und mit Inhalten

gefüllt. In allen Phasen dieser Arbei-

ten wurden intensiv Studierende bei-

der Universitäten eingebunden. Der

Startschuss für die neuen Bachelor-

� Graz war im Jahr 2003 Europas Kul-

turhauptstadt und wurde bereits

1999 wegen des historischen Stadt-

kerns zum Unesco-Weltkulturerbe er-

klärt. Doch es ist nicht nur die His-

torie, welche Graz zu einer Stadt mit

hohem Wohnwert macht: Vier Uni-

versitäten (Technische Universität

(TUG), Karl-Franzens-Universität

(KFU), Universität für Musik und Dar-

stellende Kunst, Medizinische Univer-

sität) bilden derzeit ca. 36 000 Studie-

rende aus. Damit ist Graz eine junge

Stadt. Jetzt gibt es noch mehr Gründe

für Studierende der Naturwissen-

schaften sich für Graz zu entscheiden:

NAWI Graz (www.nawigraz.at)

Im Bereich der Naturwissenschaf-

ten gibt es an der TUG und der KFU

gemeinsame Studiengänge. Hier be-

richte ich insbesondere über den Be-

reich der Chemie und der molekula-

ren und technischen Biowissenschaf-

ten, welche sich sehr gut ergänzen:

Die KFU beheimatet ein Institut

für Chemie, an dem die klassischen

Disziplinen der analytischen, anorga-

nischen, organischen/bioorgani-

schen und physikalischen Chemie be-

heimatet sind, und das Institut für

molekulare Biowissenschaften. An

der TUG findet man Institute für Ana-

lytische Chemie und Radiochemie,

Anorganische Chemie, Biochemie,

Biotechnologie und Bioprozesstech-

nik, Chemische Technologie von Ma-

terialien, Lebensmittelchemie und

-technologie, Molekulare Biotech-

nologie, Organische Chemie und Phy-

sikalische und Theoretische Chemie

Beide Universitäten boten Di-

plomabschlüsse an, wobei sich die

Ausbildungsgänge durch die Anzahl

der Semesterstunden für Vorlesun-

gen und für Praktika, Prüfungsmodi

und vieles andere unterschieden. Die

Einführung des Bachelor- und Mas-

Von einer „Kopfgeburt“ zu einer realisierten Vision – NAWI Graz

Karl-Franzens-Universität Graz

Technische Universität Graz

Technische Universität Graz – Chemieneubau

961

curricula fiel zum Wintersemester

2006/7.

Die für das NAWI-Projekt zusätzlich

zur Verfügung stehenden § 141-Mit-

tel des BMWF (5,4 Mio Euro für die 1.

Stufe der Umsetzung des Projekts NA-

WI Graz) haben zu einer bedeutenden

Verbesserung der den Studenten zur

Verfügung stehenden Infrastruktur

genutzt.

Sehr erfreulich war das Engage-

ment der Studierenden, ihre Beiträge

erwiesen sich als außerordentlich

triftig und sind in großem Umfang

berücksichtigt worden. Natürlich

musste man bei der Neukonzeption

darauf achten, dass keine Überfrach-

tung stattfindet und trotzdem alle

Aspekte eines modernen Grundstudi-

ums beachtet werden. Auf jeden Fall

sollte eine ausgezeichnete praktische

Ausbildung gewährleistet werden.

Dem wurde mit entsprechenden La-

borübungen Rechnung getragen.

Auch die zunehmende Verschmel-

zung der Disziplinen soll für Studie-

rende transparent werden. So soll

den Studenten gezeigt werden, wie

sich verschiedenartige Fachgebiete

interdisziplinär entwickelt haben.

Dies sei am Beispiel der physika-

lischen/analytischen Chemie erläu-

tert: Während im Rahmen der Prakti-

ka in diesen Bereichen zunächst

Grundlagen der Thermodynamik und

Kinetik behandelt werden, erleben

die Studierenden in einem zweiten

Praktikumsteil im fünften Semester

die engen Zusammenhänge zwi-

schen analytischen und physiko-che-

mischen Aspekten grundsätzlicher

spektroskopischer Verfahren. Wäh-

rend hier die quantitativen Anwen-

dungen dieser Methoden vermittelt,

werden dort die Fundamente der be-

teiligten Energieniveaus, Übergänge

und Methodik ergründet. Eine solche

Kombination führt dazu, dass die Stu-

dierenden den vernetzten Charakter

des chemischen Wissens schon im

Grundstudium erfahren.

Für die Studierenden bedeutet es

einen Gewinn, innerhalb des Studi-

ums an einem Ort (Distanz zwischen

den Ausbildungsstätten ca. 1 km)

zwei „Kulturen“ kennen zu lernen.

Der individuelle Charakter von TUG

und KFU wird gewahrt. Es entstand

keine „NAWI-Universität Graz“, viel-

mehr förderte die intensivierte Zu-

sammenarbeit zwischen den beiden

Universitäten die Entwicklung zu-

kunftsträchtiger Masterstudiengän-

ge. Neben den „klassischen“ Diszipli-

nen „Chemie“ „Technische Chemie“

wurden Masterstudiengänge für

„Biochemie und Molekulare Biomedi-

zin“, „Biotechnologie“, und „Moleku-

lare Mikrobiologie“ möglich. Im Win-

tersemester 2008/09 wird ferner der

Masterstudiengang „Chemical and

Pharmazeutical Engineering“ star-

ten, welcher die Attraktivität von

NAWI Graz noch erhöhen wird.

In allen Bereichen, insbesondere in

den Masterstudiengängen, ist das

Angebot an Wahl- und Spezialvor-

lesungen stark erweitert worden. Ei-

ne höhere Anzahl von Dozenten steht

für alle Studenten zur Verfügung. Die

Studierenden können sich aus-

suchen, wo sie ihre Bachelor- oder

Masterarbeit schreiben wollen.

Natürlich ist eine Ausbildung an

zwei – wenn auch benachbarten –

Studienorten eine logistische He-

rausforderung. Grundsätzlich wurde

bei der Planung darauf geachtet, dass

keine unnötigen Wege zwischen Ver-

anstaltungsorten an der KFU und der

TUG zurückgelegt werden müssen.

Lehrveranstaltungen werden gebün-

delt und die Studenten müssen nicht

von Vorlesung zu Vorlesung weite

Strecken zurücklegen.

Prüfungstermine wurden gemein-

sam festgesetzt und die Inhalte wer-

den gemeinsam abgestimmt.

Natürlich entstehen auch im Be-

reich der Forschung bedeutende sy-

nergetische Effekte. Dies bezieht sich

auf eine verbesserte Koordination na-

turwissenschaftlicher Arbeitsfelder,

effizienterer Nutzung von Ressour-

cen und chancenreicherer Aquisition

von Großinvestitionen. Die For-

schungsaktivitäten werden in der die

„Graz Advanced School of Science“

(GASS) gebündelt. Hier entsteht im Be-

reich der Chemie und der molekula-

ren und technischen Biowissenschaf-

ten die Grazer Antwort auf die ge-

plante Eliteuniversität, ein Grazer

Center of Excellence der Naturwis-

senschaften für mehr als 250 Dokto-

ratsstudierende.

Erste Meilensteine auf diesem

Weg waren die Schaffung von Dokto-

ratskollegs wie beispielsweise das

FWF-DK „Molekulare Enzymologie“

oder das fForte-Wissenschafterin-

nenkolleg „FreChe Materie“ (BM:WF),

die eine interdisziplinäre Ausbildung

zwischen Chemie, Biochemie und

Biologie bieten.

Ein weiteres Beispiel bildet das am

6. Juni gestartete „Central Polymer

Laboratory“ (CePoL), eine Forschungs-

initiative von KFU und TUG. Hier ent-

stand ein gut ausgestattetes Zen-

trum zur Polymercharakterisierung,

welches es den Forschern beider Uni-

versitäten ermöglicht, auf Methodik

zurückzugreifen die einer einzelnen

Einrichtung bisher nicht zugänglich

war (www.cepol.nawigraz.at).

Die Organisation von NAWI Graz

wird im NAWI Graz-Dekanat abge-

wickelt. Hier laufen die Fäden aller an

NAWI Graz beteiligten Fachbereiche

zusammen und auf der Homapage

findet man alle Informationen von

Studienplänen bis zu neuesten Ent-

wicklungen (www.nawigraz.at).

Statt einer „Long and Winding

Road“ entstand also ein effizientes

und konstruktives „Come Together“.

Ein stetiger Dialog zwischen den be-

teiligten Fachbereichen von TUG und

KFU trägt zur permanenten Weiter-

entwicklung dieses dynamischen

Projektes bei. Dies sichert für den

Wissenschaftsstandort Graz nach-

haltig Exzellenz und stärkt ihn für die

Zukunft.

Georg Gescheidt, Graz

Nachrichten aus der Chemie | 56 | September 2008 | www.gdch.de/nachrichten

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