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Tages-Anzeiger - paradis des innocents · Tages-Anzeiger – 24. September 2011 11 W enn sie...

Date post: 10-Oct-2020
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Tages-Anzeiger 24. September 2011 11 W enn sie funktio- nieren, sind sie fast unschlagbar: Designerduos. Stagnation gibt es nicht, weil der Schaffensprozess im Dialog stattfindet und Reflexion und Kritik ist immer schon inbegriffen. Die Frage ist nur, wie die kreative Dy- namik gepflegt wird. Simone Klemm und Stefania Samadelli scheinen auf den ersten Blick gegensätzlich: gross, redefreudig, mit einem offenen Gesicht die eine, klein, zurückhaltend und prä- zis im Ausdruck die andere. Seit zwan- zig Jahren bilden die beiden das Label «paradis des innocents», das heute zu den exklusivsten Adressen der hiesi- gen Modebranche gehört. Es steht für reduzierte Linien und Raffinesse in der Schnittführung, für hochwertige, hand- gearbeitete Stücke in kleiner Auflage und Sinn fürs gestalterische Detail. Angefangen haben die beiden vor zwanzig Jahren, produziert wurde da- mals noch in einem kleinen Atelier auf dem heutigen Maag-Areal. Heute resi- diert das Label in einem hellen und luf- tigen Ladenlokal in der Nähe der Bahn- hofstrasse: Kleiderständer mit nach Farben aufgereihten Stücken säumen die grob verputzten Wände im hinteren Ladenteil, vorne sind die architektoni- schen Linien elegant, kühl, modern – eine Kombination, die ganz ihrer modischen Phi- losophie entspricht. Die beinhaltet nämlich einerseits die Liebe zu Qualität und Handwerk und sucht gleichzeitig die Flucht- linien der Avantgarde: «Modetrends sind das eine, aber un- ser Stil ist langlebig» sagt Klemm. Ihre Kollektionen gehen mit der Zeit, lassen sich von schnelllebigen Trends aber nicht beeindrucken. «Unsere Kleider sind modern unmodern», sagt Sama- dellli. Man könnte auch sagen: zeitlos. Jedenfalls ist es das, was kreative und anspruchsvolle Frauen wünschen – so jedenfalls lässt sich der anhaltende Erfolg ihres 1991 gegründeten Labels erklären. «Wir haben nie grossartige Werbekampagnen gefahren», sagt Sa- madelli. Trotzdem eroberten sie sich kontinuierlich ihren Platz im gehobe- neren Segment des Schweizer Mode- himmels. Zahlreiche Preise haben sie in ih- rer Laufbahn gewonnen, und sie sind auch in einigen exklusiven Boutiquen vertreten. Ihre Priorität aber ist das eigene Ladenlokal, nach Möglichkeit bedienen sie da auch selber. Ihnen geht es nicht nur um die Mode, sondern um die Frau, die sie trägt. Die Kleidung soll ihr dienen, ihre Persönlichkeit per- fekt unterstreichen. Die Kundschaft schätzt diese Beratung und zeigt sich entsprechend treu, zumal die beiden Designerinnen auf Wunsch einzelne Stücke individuell anfertigen. Auch Kunstperformance-Star Marina Abra- movich griff schon zum Telefon, um bei «paradis des innocents» ein Kleid für einen Event zu bestellen. Ginge es nach der Vision der beiden Designerin- nen, dann wäre beim nächsten Anruf Michelle Obama an der Strippe. «Eine faszinierende Frau», sagt Samadelli. Durchaus möglich, dass sich auch diese Vision verwirklicht. Denn auch am Anfang von «paradis des inno- cents» stand nichts anderes als eine Vision – zwei Frauen, die sich während ihrer Ausbildung an der Schule für Ge- staltung in Zürich kennen lernen und merken, dass sie beide dasselbe wollen: für sich selber arbeiten. Und ahnen, dass sie das zusammen vielleicht eher erreichen können, als alleine. Die erste Kollektion nähen sie noch zu Hause im Wohnzimmer, später beziehen sie das Atelier auf dem Maag-Areal. Zwar ist der Laden kaum zu finden, Kundschaft kommt trotzdem. Denn was die beiden produzieren, beeindruckt die Fach- welt. 1996 eröffnen sie ein erstes richti- ges Ladenlokal an den Oberen Zäunen in Zürich. Und seit 2008 sind sie an der Oetenbachgasse bei der Bahnhofsstrasse zu finden. «Wir haben ein ge- sundes Wachstum erfahren, haben uns kontinuierlich weiter entwickelt, und Ge- winne werden meis- tens gleich wieder ins Geschäft gesteckt», sagt Klemm. 2002 stiess mit Ursula Schwaller ein weiteres Mitglied zum Designteam, zwei Kollektionen ent- werfen sie pro Jahr, produziert wird grösstenteils im Tessin in kleinen, um- sichtig ausgewählten Manufakturen. Solange es sie noch gibt. Denn auf klei- «UNSERE KLEIDER SIND MODERN UNMODERN» Fluchtlinien der Avantgarde Von Michèle Binswanger Seit zwanzig Jahren steht das Label «paradis des innocents» für hochwertiges Schweizer Design und zeitlosen Stil. Verantwortlich dafür sind Stefania Samadelli und Simone Klemm – ein Designerduo, das sich perfekt ergänzt. ne Stückzahlen ausgerichtete Schnei- derateliers seien kaum noch zu finden, sagen die beiden. Die Nachfrage sei in den letzten Jahren weggebrochen, viel handwerkliches Know-how gehe ver- loren. Was schade ist, schliesslich liegt wahrer Luxus in der Qualität und Wer- tigkeit von Stücken. «Das Schöne an wertigen Sachen ist, dass man anders damit umgeht, dass man sie pflegt und dazu schaut», sagt Klemm, und Sama- delli fügt an: «Luxus ist es, Dinge zu besitzen, die es wert sind, geflickt zu werden.» Umsicht, Fleiss und Konstanz ha- ben «paradis des innocents» gross ge- macht – vorangetrieben wird es aber nach wie vor aus der künstlerischen Symbiose. Beides sind Frauen mit ho- hem Anspruch, zwei eigenwillige Per- sönlichkeiten, die nicht müde werden, die kreative Einheit zu suchen. Auch nicht nach zwanzig Jahren. Beim Re- den wird viel gelacht, und zuweilen ergänzen sie angefangene Sätze wie ein Ehepaar. «Wir reiben uns nicht, wir ergänzen uns positiv. Wir haben beide starke Ideen, ähnliche Wertvorstel- lungen was den Umgang mit Dingen oder Geld betrifft und Respekt vorein- ander.» Inspiration finden die beiden überall, nicht nur auf der Strasse, auch in Büchern oder an Events, erzählt Sa- madelli. Die Kollektionen entstehen je- weils im «Ping Pong», an Entwürfen wird bis zur Perfektion gefeilt. «Sich mit jemanden so zu verstehen ist ein Glück» so Klemm. «Man muss es aber auch wollen,» ergänzt Samadelli. . paradis des innocents Oetenbachgasse 7 8001 Zürich 044 262 20 50 www.paradisdesinnocents.ch KOLLEKTION Die aktuelle Kollektion besteht aus fliessenden und weichen Stoffen in verschiedenen Blautönen, über Petrol zu Mocca, Taupe, Grau, Anthrazit und Schwarz. Wollstoffe kontrastieren mit edlen Seidendrucken, leichte Gewebe spielen mit festeren Materialien. Zu den Highlights gehört das weich fliessende Jerseykleid, das solo, zu Leggins oder Jeans getragen wer- den kann. Oder der lange Blazer mit schmalem Lederband, der zur weiten Hose kombiniert wird. Der Mantel mit dem übergrossem Kragen gehört ebenfalls zu den Vorzeigestücken der aktuellen Kollektion. Zwei Frauen, eine Vision: Stefania Samadelli (links) und Simone Klemm sind die kreativen Köpfe hintert dem Label «paradis des innocents». Fotos: Stefan Jermann
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Page 1: Tages-Anzeiger - paradis des innocents · Tages-Anzeiger – 24. September 2011 11 W enn sie funktio-nieren, sind sie fast unschlagbar: Designerduos. Stagnation gibt es nicht, weil

Tages-Anzeiger – 24. September 2011 11

W enn sie funktio-nieren, sind sie fast unschlagbar: D e s i g n e r d u o s . Stagnation gibt

es nicht, weil der Schaffensprozess im Dialog stattfindet und Reflexion und Kritik ist immer schon inbegriffen. Die Frage ist nur, wie die kreative Dy-namik gepflegt wird. Simone Klemm und Stefania Samadelli scheinen auf den ersten Blick gegensätzlich: gross, redefreudig, mit einem offenen Gesicht die eine, klein, zurückhaltend und prä-zis im Ausdruck die andere. Seit zwan-zig Jahren bilden die beiden das Label «paradis des innocents», das heute zu den exklusivsten Adressen der hiesi-gen Modebranche gehört. Es steht für reduzierte Linien und Raffinesse in der Schnittführung, für hochwertige, hand-gearbeitete Stücke in kleiner Auflage und Sinn fürs gestalterische Detail. Angefangen haben die beiden vor zwanzig Jahren, produziert wurde da-mals noch in einem kleinen Atelier auf dem heutigen Maag-Areal. Heute resi-diert das Label in einem hellen und luf-tigen Ladenlokal in der Nähe der Bahn-hofstrasse: Kleiderständer mit nach Farben aufgereihten Stücken säumen die grob verputzten Wände im hinteren Ladenteil, vorne sind die architektoni-schen Linien elegant, kühl, modern – eine Kombination, die ganz ihrer modischen Phi-losophie entspricht. Die beinhaltet nämlich einerseits die Liebe zu Qualität und Handwerk und sucht gleichzeitig die Flucht-linien der Avantgarde: «Modetrends sind das eine, aber un-ser Stil ist langlebig» sagt Klemm. Ihre Kollektionen gehen mit der Zeit, lassen sich von schnelllebigen Trends aber nicht beeindrucken. «Unsere Kleider sind modern unmodern», sagt Sama-dellli. Man könnte auch sagen: zeitlos. Jedenfalls ist es das, was kreative und anspruchsvolle Frauen wünschen – so jedenfalls lässt sich der anhaltende Erfolg ihres 1991 gegründeten Labels erklären. «Wir haben nie grossartige Werbekampagnen gefahren», sagt Sa-madelli. Trotzdem eroberten sie sich kontinuierlich ihren Platz im gehobe-neren Segment des Schweizer Mode-himmels. Zahlreiche Preise haben sie in ih-rer Laufbahn gewonnen, und sie sind auch in einigen exklusiven Boutiquen vertreten. Ihre Priorität aber ist das eigene Ladenlokal, nach Möglichkeit bedienen sie da auch selber. Ihnen geht es nicht nur um die Mode, sondern um die Frau, die sie trägt. Die Kleidung soll ihr dienen, ihre Persönlichkeit per-

fekt unterstreichen. Die Kundschaft schätzt diese Beratung und zeigt sich entsprechend treu, zumal die beiden Designerinnen auf Wunsch einzelne Stücke individuell anfertigen. Auch Kunstperformance-Star Marina Abra-movich griff schon zum Telefon, um bei «paradis des innocents» ein Kleid für einen Event zu bestellen. Ginge es nach der Vision der beiden Designerin-nen, dann wäre beim nächsten Anruf Michelle Obama an der Strippe. «Eine faszinierende Frau», sagt Samadelli. Durchaus möglich, dass sich auch diese Vision verwirklicht. Denn auch am Anfang von «paradis des inno-cents» stand nichts anderes als eine Vision – zwei Frauen, die sich während ihrer Ausbildung an der Schule für Ge-staltung in Zürich kennen lernen und merken, dass sie beide dasselbe wollen: für sich selber arbeiten. Und ahnen, dass sie das zusammen vielleicht eher erreichen können, als alleine. Die erste Kollektion nähen sie noch zu Hause im Wohnzimmer, später beziehen sie das Atelier auf dem Maag-Areal. Zwar ist der Laden kaum zu finden, Kundschaft kommt trotzdem. Denn was die beiden produzieren, beeindruckt die Fach-welt. 1996 eröffnen sie ein erstes richti-ges Ladenlokal an den Oberen Zäunen in Zürich. Und seit 2008 sind sie an der

Oetenbachgasse bei der Bahnhofsstrasse zu finden. «Wir haben ein ge-sundes Wachstum erfahren, haben uns kontinuierlich weiter entwickelt, und Ge-winne werden meis-tens gleich wieder ins Geschäft gesteckt»,

sagt Klemm. 2002 stiess mit Ursula Schwaller ein weiteres Mitglied zum Designteam, zwei Kollektionen ent-werfen sie pro Jahr, produziert wird grösstenteils im Tessin in kleinen, um-sichtig ausgewählten Manufakturen. Solange es sie noch gibt. Denn auf klei-

«Unsere Kleider sind

modern unmodern»

Fluchtlinien der AvantgardeVon Michèle Binswanger

Seit zwanzig Jahren steht das Label «paradis des innocents» für hochwertiges Schweizer Design

und zeitlosen Stil. Verantwortlich dafür sind Stefania Samadelli und Simone Klemm – ein Designerduo,

das sich perfekt ergänzt.

ne Stückzahlen ausgerichtete Schnei-derateliers seien kaum noch zu finden, sagen die beiden. Die Nachfrage sei in den letzten Jahren weggebrochen, viel handwerkliches Know-how gehe ver-loren. Was schade ist, schliesslich liegt wahrer Luxus in der Qualität und Wer-tigkeit von Stücken. «Das Schöne an wertigen Sachen ist, dass man anders damit umgeht, dass man sie pflegt und dazu schaut», sagt Klemm, und Sama-delli fügt an: «Luxus ist es, Dinge zu besitzen, die es wert sind, geflickt zu werden.» Umsicht, Fleiss und Konstanz ha-ben «paradis des innocents» gross ge-

macht – vorangetrieben wird es aber nach wie vor aus der künstlerischen Symbiose. Beides sind Frauen mit ho-hem Anspruch, zwei eigenwillige Per-sönlichkeiten, die nicht müde werden, die kreative Einheit zu suchen. Auch nicht nach zwanzig Jahren. Beim Re-den wird viel gelacht, und zuweilen ergänzen sie angefangene Sätze wie ein Ehepaar. «Wir reiben uns nicht, wir ergänzen uns positiv. Wir haben beide starke Ideen, ähnliche Wertvorstel-lungen was den Umgang mit Dingen oder Geld betrifft und Respekt vorein-ander.» Inspiration finden die beiden überall, nicht nur auf der Strasse, auch

in Büchern oder an Events, erzählt Sa-madelli. Die Kollektionen entstehen je- weils im «Ping Pong», an Entwürfen wird bis zur Perfektion gefeilt. «Sich mit jemanden so zu verstehen ist ein Glück» so Klemm. «Man muss es aber auch wollen,» ergänzt Samadelli. . paradis des innocentsOetenbachgasse 78001 Zürich044 262 20 50www.paradisdesinnocents.ch

KOLLEKTION

Die aktuelle Kollektion besteht aus fliessenden und weichen Stoffen in verschiedenen Blautönen, über Petrol zu Mocca, Taupe, Grau, Anthrazit und Schwarz. Wollstoffe kontrastieren mit edlen Seidendrucken, leichte Gewebe spielen mit festeren Materialien. Zu den Highlights gehört das weich fliessende Jerseykleid, das solo, zu Leggins oder Jeans getragen wer-den kann. Oder der lange Blazer mit schmalem Lederband, der zur weiten Hose kombiniert wird. Der Mantel mit dem übergrossem Kragen gehört ebenfalls zu den Vorzeigestücken der aktuellen Kollektion.

Zwei Frauen, eine Vision: Stefania Samadelli (links) und Simone Klemm sind die kreativen Köpfe hintert dem Label «paradis des innocents».

Fotos: Stefan Jermann

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