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Spiegel: Merkels Bahnhofs-Mission

Date post: 10-Apr-2018
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  • 8/8/2019 Spiegel: Merkels Bahnhofs-Mission

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    Christine Oberpaur steht an einemAbsperrgitter im Zentrum vonStuttgart, an ihrer linken Hand

    trgt sie einen Ring mit einem Familien-wappen. Sie ist 64 Jahre alt, Wirtschafts-psychologin und stammt aus einer kon-servativen Unternehmerfamilie, der vieleKaufhuser in Sddeutschland gehrt ha-ben. Sie hat immer CDU gewhlt.

    Ein Polizist in Schutzkleidung mustertsie durch das Visier seines Helms. AlsOberpaur ihn anschaut, sieht er weg.

    Heute Nacht habe ich mein Demokra-tie-Verstndnis verloren, sagt sie.Die zarte Frau hat einen Tag und eine

    Nacht im Schlossgarten gewacht, dem

    Regen und der Klte getrotzt. Sie war da,als die Polizei mit den Wasserwerfernkam, und duckte sich hinter eine Plane.Das Pfefferspray hat unbeschreiblich inden Augen und im Hals gebrannt, sagtsie. Immerzu habe sie husten mssen,dann sei sie weggerannt. Ich bin ja weiGott keine mutige Frau, geschweige denneine Berufsdemonstrantin.

    CDU? Damit ist jetzt Schluss, sagtsie.

    Der Donnerstag der vergangenen Wo-

    che ist ein Tag, der vieles verndert hat.Die CDU verliert Christine Oberpaur, dieCDU verliert wahrscheinlich noch vieleandere Whler, dazu die Grnen als mg-

    lichen Koalitionspartner. Und der Staatin Baden-Wrttemberg, das ist vielleichtdas Wichtigste, verliert Vertrauen. Dennder Staat hat sich an diesem Tag von sei-ner hsslichen Seite gezeigt.

    Der Staat war im Recht bis dahin. DasBahnhofsprojekt Stuttgart 21 ist durchalle demokratischen Instanzen gegangen,es ist voll legitimiert, wenn auch nichtakzeptiert von vielen Brgern. Aber dannstrzte sich die Polizei auf Demonstran-ten, die Bume schtzen wollten. Knp-

    pel, Pfefferspray, Wasserwerfer die Mit-tel eines grimmigen Staates, malos ein-gesetzt. Die Polizei zhlte 130 Verletzte,16 mussten ins Krankenhaus. Verantwort-

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    P R O T E S T

    Merkels Bahnhofs-MissionStuttgart 21 verndert Deutschland. Die Polizei knppelt Demonstranten nieder und heizt die

    Stimmung auf, der Staat verliert Vertrauen, und die politische Landschaft erneuert sich.

    Das schwarz-grne Projekt ist mausetot, die Kanzlerin gibt sich einen konservativen Anstrich.

    Deutschland

    Christdemokraten Mappus, Merkel, Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Demonstranten am vergangenen Donnerstag: Gefhrliche LiebschaftD

    ANIELMAURER/DAPD

    (L.)

    ;MICHAELDALDER/REUTERS(R.)

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    lich sind die Behrden in Baden-Wrt-temberg, angefhrt vom schneidigen Mi-nisterprsidenten Stefan Mappus (sieheSeite 23).

    Aber die Schlacht von Stuttgart ist auchein Problem von Bundeskanzlerin AngelaMerkel. Sie hat das Projekt zur Chefsachegemacht, stimmt sich eng mit Mappus abund verordnete in ihrer Haushaltsredevor zwei Wochen der CDU Standhaf-tigkeit. Sie ist jetzt Merkel 21.

    Und das ist eine berraschend neueMerkel. Sie, die liberale Reformerin derCDU, die aufgerumt hat mit dem ErbeHelmut Kohls, bt den Schulterschluss mitdem konservativen Raubauz Mappus, dersich als Wiedergnger des Politikers Kohlsieht. Das ist eine gefhrliche Liebschaftfr die Kanzlerin. Wenn Mappus dieLandtagswahl 2011 wegen Stuttgart 21 ver-liert, ist das auch Merkels Niederlage. Undwenn nun noch mehr Brger an der Poli-tik zweifeln, klebt das auch an ihr.

    Merkel kommuniziert mit dem Schlag-stock, sagte am vergangenen Donnerstagdie Fraktionschefin der Grnen im Bun-destag, Renate Knast. Diese harschen

    Worte markieren einen Bruch in der ge-sellschaftlichen Architektur der Bundes-republik. Im Strahl der Stuttgarter Was-serwerfer sank auch die Hoffnung

    eines fortschrittlichen Brgertums aufSchwarz-Grn dahin.

    In einer Bundes-Koalition dieser Par-teien sollte sich dereinst eine neue bun-desrepublikanische Mitte treffen, Brger,die gut, aber nachhaltig leben wollen.Diese Mitte ist zerschnitten. Jetzt sinddie kulturellen Unterschiede zwischenUnion und Grnen so offensichtlich, dassdie schwarz-grne Option faktisch ver-schwindet, frohlockt der Vorsitzende derJungen Union, Philipp Mifelder, dergern als Konservativer auftritt.

    Nun gibt es kein neues Deutschland,sondern ein altes. Der Kampf in Stuttgarterinnert an die achtziger Jahre, als einegrne Bewegung gegen die Union desHelmut Kohl kmpfte.

    Wie nach den Schlachten von damalswird nun ber das Vorgehen der Polizeidiskutiert. Schauspieler Walter Sittler,Galionsfigur der Gegner im Kampf gegenStuttgart 21, ist entsetzt: Bei dem Poli-zeieinsatz wurde die Verhltnismigkeitder Mittel nicht gewahrt. Da wurdenFrauen und alte Menschen durcheinan-dergeschubst. Aber wie alles wird auch

    das Mappus einen Schei interessieren.Wenn das keine personellen Konsequen-zen hat, dann knnen wir uns gleich ein-sargen lassen.

    Rainer Wendt, Bundesvorsitzender derDeutschen Polizeigewerkschaft, vertei-digt den Einsatz seiner Beamten. Gewalt-freies Verhalten sei nicht automatischfriedliches Verhalten, sagt er. Viele Br-ger htten im Schlossgarten gegen denRechtsfrieden verstoen, weil sie sichtrotz mehrfacher Aufforderung der Poli-zeibeamten nicht entfernt htten. Wendtregt an: Es wre richtig und konsequent,ber die Vernderung des Landfriedens-bruch-Paragrafen nachzudenken. Auchdie vermeintlich Unbeteiligten mssenstrafrechtlich verfolgt werden knnen.ber den Einsatz der Wasserwerfer imSchlossgarten sagt er: Polizeiliche Ein-satzmittel mssen Waffen sein, die wehtun, nur dann wirken sie.

    Schrfere Gesetze? Mehr Vernunftwre die bessere Antwort, und mehr Ge-schick. Auch bei diesem Polizeieinsatz istberstrzt und selbstherrlich gehandeltworden, wie eine Rekonstruktion der Er-eignisse zeigt.

    Der Termin, wann die ersten Bume kip-pen sollen, wird Anfang September in einerkleinen Runde festgelegt. Vertreter von In-

    nenministerium, Umwelt- und Verkehrsbe-hrden, der Bahn und der Polizeiprsidentwollen die Sache so schnell wie mglichdurchziehen, weit vor den Wahlen im

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    Mrz. Man einigt sich auf die Nacht zum1. Oktober, den frhestmglichen Zeit-punkt, den die Naturschutzgesetze fr dieRodung zulassen. Sogar die Uhrzeit wirdausgehandelt, um 15 Uhr sollen die Poli-zisten anrcken, um den Platz rund um dieParkbume abzusperren. So weit Plan A.

    Polizeiprsident Siegfried Stumpf hataber von Anfang an einen Plan B in derTasche, weil er wei, dass er seinen eige-nen Leuten nicht trauen kann. Immerwieder sickerten im Sommer Informatio-nen an die Demonstranten durch, vieleBeamte sympathisieren inzwischen mitden Gegnern von Stuttgart 21. Einige ha-ben Angst, dass sie am Tag X auf ihreeigenen Kinder einschlagen mssen, sagtein leitender Beamter.

    Also beschlieen Polizeifhrung unddas Innenministerium in kleiner Runde,fr den Groeinsatz einige Hundertschaf-ten aus Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalzund NRW anzufordern und diese ins-geheim auf einen frheren Einsatz vor-zubereiten als die einheimische Polizei.

    24 Stunden vor dem groen Schlagwei Stumpf, dass sein Misstrauen ge-rechtfertigt war. Im Internet kursierenWarnungen der Parkschtzer, sie wsstenaus zuverlssiger Quelle, dass man sicham Donnerstag um 15 Uhr der Polizeientgegenstellen msse.

    Stumpf trifft die folgenschwere Ent-scheidung, Plan B in Kraft zu setzen: Erlsst die auswrtigen Polizisten am Don-nerstag bereits um 10 Uhr frh im Park

    aufmarschieren und die Baustelle sichern.Was er auer Acht lsst: Zur gleichenZeit, als die Einsatzfahrzeuge RichtungPark rollen, bewegt sich eine Schlerde-monstration durch die Stuttgarter Innen-stadt auf das gleiche Ziel zu. HunderteSchler und Lehrer fordern lautstark:Lieber mehr Bildungsausgaben stattPrestigebahnhof. Die Demonstrationwurde am 24. September per Mail beimStuttgarter Ordnungsamt beantragt undfnf Tage spter von der Behrde geneh-migt. Ein Durchschlag ging ans Innen-ministerium und die Polizei.

    Um 10.20 Uhr, kurz nach Einsatzbe-ginn, bekommen die Parkschtzer Windvom Polizeieinsatz und lsen via Mail,SMS und Twitter ihre interne Alarmketteaus. Auch die Schler sind unter denAdressaten. Alle machen sich sofort aufden Weg zu den Bumen. Mit dem Tem-po dieser multimedialen Vernetzung hatdie Polizeifhrung nicht gerechnet.

    Um Viertel vor elf klingelt bei Polizei-prsident Stumpf das Handy. Er ist aufdem Weg zu einer Pressekonferenz imLandtag, um von seinem berraschungs-coup zu berichten. Die Kids sind nochda, warnt der Anrufer. Ich wei, wim-

    melt ihn Stumpf ab. Spter wird er imkleinen Kreise sagen, er sei davon ausge-gangen, dass sich die Jugendlichen vonder geballten Staatsmacht mit Schutzhel-

    men und heruntergeklappten Visieren sobeeindruckt zeigen wrden, dass sie vonselbst den Rckzug antreten. Mit einersolchen Strategie der bloen Machtde-monstration sei man im braven Lndleber Jahrzehnte hinweg gut gefahren,sagt Stumpf, Wasserwerfer haben wir in

    den vergangenen 40 Jahren noch nie ein-setzen mssen. Um die Aktion zu stop-pen, war es seiner Ansicht nach zu spt.Die Baufahrzeuge rollten schon.

    Demonstranten blockieren die Zu-gangswege, besetzen einen Gitterwagender Polizei. Beamte versuchen sie weg-zudrngen, auch mit Schlagstcken, Zen-timeter um Zentimeter. Die Polizistenversprhen Pfefferspray, sie setzen Was-serwerfer ein. Die haben mir mit gna-denloser Hrte das Zeug direkt ins Ge-sicht gesprht, erzhlt Erhard Lippek,

    48. Die Lage konnte nur durch Anwen-dung von unmittelbaren Zwangsmanah-men beendet werden, heit es spter iminternen Lagebericht der Polizei.

    Nun haben in Stuttgart die Schuldzu-weisungen begonnen. Mappus ist dafrverantwortlich, sagt der Grnen-Frak-tionschef Winfried Kretschmann, er istauf Konfrontationskurs, offensichtlichwill er sich im Wahlkampf als Law-and-Order-Mann profilieren. Die FDP willInnenminister Heribert Rech in einerFraktionssitzung zur Rede stellen; internzeigt sich der Koalitionspartner entsetztber die Instinktlosigkeit von Polizei undInnenministerium. Da ist einiges schief-

    gelaufen, klagt ein fhrender Liberaler.Zu den Folgen gehrt auch, dass es dieBefrworter von Stuttgart 21 von nun annoch schwerer haben, mit ihren Argu-

    menten durchzudringen: Das Projekt istdemokratisch voll legitimiert. Jetzt gehtes nur noch um die Frage der Gewalt.

    Das strt vor allem die Bundeskanzle-rin. Nachdem Merkel tagsber die Mel-dungen aus Stuttgart verfolgt hatte, wolltesie abends die Bilder dazu sehen. Sie sah

    die Tagesschau und war entsetzt. DenEinsatz der Polizei fand sie zu massiv,und sie wusste, dass die Grnen ihr dieVerantwortung dafr anhngen wrden.

    Stuttgart 21 macht Merkel zum erstenMal so richtig angreifbar. Bislang war siedie Meisterin des Ungefhren. Nun bindetsie sich an einen Bahnhof. Dafr gibt eseinen Strau von Grnden.

    Merkel sitzt hufig mit auslndischen Re-gierungschefs zusammen, die ihr erzhlen,wie schnell sie ihr Land modernisieren.Zwar ist Merkel kein Fan chinesischer Bra-

    chialeffizienz, aber sie findet, dass Deutsch-land nicht noch langsamer werden darf.

    Merkel ist Fan der reprsentativen De-mokratie. Sie findet, dass sich die Brgervor allem bei den Wahlen einmischen,ansonsten aber den Politikern die Politikberlassen sollen. Und sie findet, dassSchwarz-Gelb die Wahl in Baden-Wrt-temberg nicht verlieren darf. Dann wrdeauch ihre Koalition in Berlin wackeln.Deshalb hat sie sich nun mit Mappus ver-schworen, eigentlich der Antityp zu ih-rem Modernisierungskurs und ihremWunsch nach geschmeidigem Konsens.

    Mappus hatte nur ein paar halbherzigeVersuche unternommen, die Gegner ein-

    zubinden. Selbst der katholische Stadt-dekan von Stuttgart, Michael Brock, dereines der gescheiterten Gesprche mode-rierte, warf dem Ministerprsidenten ei-

    Deutschland

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    BERNDWEISSBROD/DPA

    Baumfllarbeiten im Stuttgarter Schlossgarten: Politikstil in Rambo-Manier

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    nen Politikstil in Rambo-Manier vor.Der Regierungschef will jetzt marschie-ren, durchregieren so wie sein VorbildKohl damals bei der Nachrstung einVergleich, den er gern heranzieht.

    Fr die Gegner von Stuttgart 21 istMappus sptestens jetzt das Gesicht einer

    rcksichtslosen Staatsmacht, der Mann,dem sie alles zutrauen, auch, dass dieSchlacht im Schlossgarten khl kalkuliertwar: um den Widerstand zu spalten, indie Radikalen und die anderen, die drau-en auf dem Land, die mit den Radikalennichts zu tun haben wollen. Dort werdenbaden-wrttembergische Wahlen gewon-nen, nicht in Stuttgart.

    Mappus hlt nichts davon, die CDU frdie modernen, liberalen Eliten in den Gro-stdten attraktiv zu machen. Der Preis da-fr sei die Irritation der Kernklientel imlndlichen Raum. Merkel hat das bislangkomplett anders gesehen und Politik fr

    Stadtmenschen gemacht. Aber sie hattekeine andere Wahl, als Mappus zu sttzen,weil ihr die Partei alles andere nicht ver-ziehen htte. Merkel betreibt jetzt, was vie-le oft gefordert haben: CDU pur. Es gibtkeine impliziten Angebote an die Grnenin der Energiepolitik oder Rcksicht aufdie SPD in der Sozialpolitik mehr. Es wirdwieder in Lagern gedacht und gehandelt.

    Die Grnen, mit denen sie bislang alsBndnispartner geliebugelt hatte, sindihr nun egal. Erst brachte Merkel sie mitder massiven Laufzeitverlngerung derAtomkraftwerke gegen sich auf, und seit

    der Eskalation in Stuttgart sind die Wegezueinander wohl auf lange Zeit blockiert.Wenn einer bei den Grnen bislang fr

    Schwarz-Grn stand, dann AlexanderBonde, 35, Bundestagsmitglied und ver-heiratet mit einer ehemaligen CDU-Bun-destagsabgeordneten. Aber im Momentmacht ihn nichts so zornig wie die Union.Merkel hat Mappus faktisch das Okay ge-geben, sagt er. Jetzt wird in Stuttgart derfriedliche Widerstand kriminalisiert.

    Es ist Freitagmittag, Bonde fhrt denLaptop in seinem Bro im Bundestag her-unter. Gleich geht es zum Flieger nachStuttgart, am Abend will er demonstrie-ren. Er erzhlt, dass Bekannte ihm be-richtet haben, wie ihre 14-jhrige Tochterin Stuttgart von Polizisten geschlagenworden sei. In der Bundestagsdebatte istBonde deshalb der Kragen geplatzt: Ichschme mich wirklich dafr, dass in die-sem Land Vorgnge, wie wir sie heute inStuttgart erlebt haben, mglich sind.

    Die Unionsbank schimpfte zurck, undBonde wei nun, wie tief die Grben zuder CDU sind, der er sich so nahe fhlte.Eine schwarz-grne Koalition hlt er neu-erdings fr ausgeschlossen, zu arrogantsei die Regierungspartei: Die CDU muss

    in die Opposition, bevor mit denen wiederwas geht. MATTHIAS BARTSCH, R ALF BESTE,SIMONE KAISER, D IR K KURBJUWEIT,RALF NEUKIRCH, ANTJE WINDMANN

    Es war einmal in Baden-Wrttem-berg und was die Union angeht,in der guten alten Zeit. In jenem

    Juli, der heute schon so lange her zu seinscheint. Damals, vor der Krise, lie sichStefan Mappus also im Vollbesitz seinesSelbstbewusstseins interviewen, und derneue Ministerprsident sagte so etwaswie: Zehn Jahre im Amt, mehr msstenes nicht sein, bei diesem Verschlei heut-zutage als Regierungschef.

    Klang das nicht irgendwie gengsam,bescheiden, angemessen? Schon, aber esklang nur so. Denn in Wahrheit war derSatz weniger angemessen als anmaend,er stand fr die Macht, die Kraft und dieHerrlichkeit der CDU im Lndle, undStefan Mappus verkrperte das alles indiesem Moment: Ich muss mir Gedankenmachen, wann es genug ist. Nicht derWhler. Denn der Whler in Baden-Wrt-temberg whlt doch sowieso Schwarz.

    In diesem Selbstverstndnis, mit dieserSelbstverstndlichkeit ist Mappus in derheimischen CDU gro geworden: Wirsind das Land, das Land, das sind wir.Eine Gleichung, die 57 Jahre aufging unddie Mappus auch im Mai bei seiner erstenAuslandsreise nach Wien wieder auf-

    machte: Baden-Wrttemberg, das Land,in dem nie ein Roter Regierungschef war.Dann aber kam der Sommer, und aus

    dem Sommeranfang im Juli wurde das

    Sommerloch im August, und aus demSommerloch stieg etwas auf, was bei ei-nem Parteiprimus wie Mappus fr denWeg nach oben nie entscheidend war: einSachthema. Stuttgart 21, der umstritteneUmbau des Stuttgarter Bahnhofs. Und jemehr das Thema hochkam, ohne dassMappus aus seinem Urlaub dazu etwassagte; je mehr die Brger fragten und inFrage stellten, protestierten und demon-strierten, whrend er so tat, als knneman die Sache zu Tode schweigen. Umsotiefer versank die CDU im Loch.

    Nur noch 35 Prozent schaffte sie in derjngsten Infratest-dimap-Umfrage. So we-nig, dass Mappus sich nun ber etwas an-deres Sorgen machen muss als ber seineAmtsmdigkeit in zehn Jahren. In sechsMonaten, bei der Landtagswahl, knnteer zum Ministerprsidenten mit der kr-zesten Amtszeit in der Geschichte Baden-Wrttembergs werden. Zum ersten Re-gierungschef, der das Land nicht fr dieCDU halten konnte. Sogar zum erstenRegierungschef in der Republik, der seinAmt an einen Grnen verliert. Traut mander Umfrage, liegen die kos, die gegenden neuen Bahnhof kmpfen, mit 27 Pro-zent klar vor der SPD.

    Es sind also merkwrdige Zeiten imLndle, und die knappste Begrndung,warum die Zeit ber Mappus hinwegge-hen knnte, hat vier Wrter. Sie stehen

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    Der da obenDer CDU droht im Mrz der Machtverlust in Baden-Wrttemberg.

    Das liegt auch an Stefan Mappus. Der Minister-prsident ist zwar jung, aber ein Parteipolitiker vom alten Schlag.

    BERNDW

    EISSBROD/DPA

    Ministerprsident Mappus: Krzeste Amtszeit in der Geschichte des Landes?

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    auf einem Zettel an einem der fast 300Bume, die jetzt im Stuttgarter Schloss-garten fr den neuen Bahnhof fallen sol-len: Wir sind das Volk. Wir, nicht ihr.Wir, nicht Mappus. Denn Mappus war indiesem Sinne immer ihr. Ein Mann desMachtapparats, der seinen Weg ging, wo

    schon ein Weg war. Durch die Partei, dankder Partei, bis an die Spitze der Regierung.Mappus ist ein Musterbeispiel dafr,

    wie weit es einer auf der Hauptstraenach oben bringen kann, der nicht bril-lant ist, aber uerst begabt darin, Macht-chancen zu erkennen, zu nutzen. Soschaffte er es mit 32 Jahren zum Staats-sekretr, mit 38 zum Minister, mit 39 zumFraktionschef, mit 43 zum Ministerprsi-denten, und normalerweise stnden ihmdamit seine zehn Jahre im Amt zu. Aberwas ist schon noch normal? Erst kam dieFinanzkrise, und auch in Baden-Wrttem-berg verloren die Menschen den Glauben

    an die Unfehlbarkeit von Eliten. Dannrckten die Bagger an, die im August denNordflgel des historischen Bahnhofs fal-len lieen und am vergangenen Freitagdie ersten Bume im Schlossgarten.

    Pltzlich bekommt die Wut auf die daoben eine Kulisse, vor der sie sich entladenkann. Ein Symbol fr alles, was vermeint-lich schiefluft zwischen Entscheidern undBeschiedenen, nicht nur in Stuttgart. Undso ungerecht das auch sein mag, nach Jah-ren, in denen der neue Bahnhof alle Gre-mien passiert hat, ohne dass damals jedenTag ordentliche Schwabenbrger in den zi-

    vilen Ungehorsam getreten wren: Mappusist nun der Mann, der die Krise lsen muss.So wie die Dinge liegen hier die re-

    bellischen Brger, dort der Musterschlerdes Apparats , knnte es keine schlech-tere Besetzung fr die Rolle geben. Erwollte Imperator sein, nun ist er verlassenund allein steht an einem anderen Baumim Schlossgarten. Der junge Mappus istselbst zum Symbol geworden fr denPolitiker des alten Typs.

    Mappus kommt aus Mhlacker an derEnz. Der Vater Schuhmacher, die MutterArbeiterin, beide interessierten sich nichtsehr fr Politik, aber umso mehr dafr,dass ihr Sohn sich mhte, etwas aus sichmachte. Er tat es auf die Art, wie man siein diesem Milieu lernt: nie zu viel riskieren;lieber bei allem, was man probiert, nochetwas im Rcken haben. Nach dem Abiturwar ihm schon klar, dass er studieren wr-de, aber erst mal machte er eine Lehre,sicher ist sicher. Dann Wirtschaftswissen-schaften in Stuttgart-Hohenheim, heimat-nahe Universitt, sicher ist sicher. Danachverkaufte er Telefonanlagen fr Siemens,blieb aber als Assistent an der Uni, dennsicher ist sicher. Und selbst heute hat Map-pus noch einen ruhenden Arbeitsvertrag

    bei Siemens, von 1996, man wei ja nie.Es war also nur natrlich, dass Mappusseinen politischen Ehrgeiz in die CDUinvestierte. Macht ist ein entscheidender

    Teil von Politik, davon ist er berzeugt,warum also htte er bei einer Partei lan-den sollen, die in Baden-Wrttembergkeinen Weg zur Macht geboten htte?

    Die CDU bot ihm den sichersten Weg,er bot ihr sein bestes Kapital: Flei, Wille,politischen Instinkt. Er lebte fr den An-

    griff, schlug seinen Gegenkandidaten umden Kreisvorsitz, drei bei der Landtags-kandidatenkr, den SPD-Mann bei derWahl; in der Disziplin Ich oder der ister bis heute ungeschlagen. Wenn sichStefan ein Ziel gesetzt hat, erreicht ersauch, sagt Gnter Bchle, Frderer ausGemeinderatszeiten in Mhlacker.

    Auch gegen Ute Vogt, die SPD-Spit-zenkandidatin, die 2001 im Landtagswahl-kampf gegen ihn um den Wahlkreis Pforz-heim kmpfte. Er kannte keine Grenzen,das war unanstndig, erinnert sie sichheute andere wrden sagen, er wareben Profi und sie zu ehrlich, zu naiv.

    Mappus, so erzhlt Vogt das, hatte siein einem privaten Geplauder gefragt, wiees ihr denn in Berlin gehe, dort, wo Vogtals Bundestagsabgeordnete dem Innen-ausschuss vorsa. Na ja, antwortete Vogt,die Arbeit in Berlin mache schon Spa,aber sie koste natrlich auch viel Zeit, daknne sie nicht so oft in Pforzheim sein,

    wie sie wolle. Und kurz danach sei ber-all in der CDU die Parole umgegangen:Vogt nicht mehr im Wahlkreis prsent.

    Mappus gewann damals einer seinerwichtigsten Siege. Denn Vogt, die Heraus-forderin von Amtsinhaber Erwin Teufel,schaffte es nicht mal in den Landtag. UndMappus schaffte Teufel so die Konkurren-tin vom Hals. Wie es seine Pflicht war.

    Mappus half Teufel, Teufel half Map-pus; schon Jahre vorher hatte Teufel indem jungen Aufsteiger so etwas wie einAlter Ego erkannt, zumindest einen Ver-

    bndeten, und Mappus war schlau genug,die Rolle zu erfllen und sich unverzicht-bar zu machen fr den alternden, immermisstrauischer, immer einsamer werden-den Regierungschef. Wie Teufel, so standauch er fr die lndliche, traditionelle,konservative CDU. Fr Familie, Glaube,

    Heimat. Gegen die Spth-CDU, Oettin-ger-CDU, mit ihren politischen Visionen,kosmopolitischen Attitden, ihrer Leich-tigkeit und manchmal auch persnlichenLeichtlebigkeit. Mappus wre nie derMensch, der sich wie Oettinger aus Juxzwei Teesiebe auf die Augen drckt unddann auch noch fotografieren lsst.

    So gingen Teufel und Mappus eineSymbiose ein. Schon 1998 hatte ihn Teufelzum Staatssekretr fr Umwelt und Ver-kehr befrdert ohne dass er vorher mitirgendwelchen politischen Vorsten be-sonders aufgefallen wre, wie heuteselbst ein fhrender CDU-Mann spitz

    bemerkt. Und daran nderte sich auchnichts bis 2004, als Teufel ihn noch grermachte, zum Verkehrsminister. Die Emp-fehlung frs Amt? Er hatte als Staatsse-kretr viele Straenabschnitte erffnet.Bei Stuttgart 21, dem wichtigsten Ver-kehrsprojekt, blieb er dagegen eher blass.Mappus-Qualitten waren andere: Hal-tung, nicht Inhalte.

    Erfolg in der politischen Karriere desStefan Mappus bestand nicht darin, einThema zu besetzen, sondern einen Posten,und am Ende den Posten des Fraktions-vorsitzenden. Nicht weil die Fraktion eine

    bestimmte Politik machen sollte. Sondernum sich eine Hausmacht zu verschaffen,ein Gegengewicht zum regierenden Mi-nisterprsidenten. Der CDU-Fraktions-vorsitz ist Platz eins in der baden-wrt-tembergischen Erbfolge, der Fraktions-chef wird der nchste Ministerprsident.So steht es zwar nicht in der Verfassung,aber so sind die Verhltnisse. So folgteSpth auf Filbinger, mit ein paar Monatendazwischen als Innenminister, dann Teu-fel auf Spth, Oettinger auf Teufel undim Februar Mappus auf Oettinger.

    Deutschland

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    UWEANSPACH/DPA

    Protestbanner im Stuttgarter Schlossgarten: Den Fehdehandschuh hingeworfen

    Erfolg bestand fr Mappusnicht darin, ein Thema zu

    besetzen, sondern einen Posten.

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    LotharSpth

    ErwinTeufel

    GntherOettinger

    Stefan

    Mappus

    HansFilbinger

    AKTUELLEUMFRAGE

    56,7

    53,451,9

    49,0

    39,641,3

    44,8 44,2

    35%

    1976

    19801984

    1988

    19921996

    20012006

    MINISTER-

    PRSIDENTEN

    Landtagswahlergebnisse der CDU in Baden-Wrttemberg in Prozent

    zum Vergleich:

    Grne: 27%

    SPD: 21%

    FDP:5%

    Linke: 5%

    Quelle Umfrage: Infratest dimap, vom 8. September 2010

    Er hat sicher angestrebt, Oettinger ir-

    gendwann zu beerben, sagt Hans-UlrichRlke, FDP-Fraktionschef, Freund aus ge-meinsamen Pforzheimer Tagen. Anderesagen: je frher, desto lieber. Und als Oet-tinger nach dem Wahlsieg 2006 mit denGrnen liebugelte, war es Mappus, derreingrtschte, in die ffentlichkeit gingund Schwarz-Grn kategorisch aus-schloss. Und als die Kanzlerin entschied,dass Oettinger zur EU gehen sollte, wares Mappus, der sofort erklrte, er sei be-reit, bevor ein anderer es tun konnte.

    Mappus hatte also erneut gewonnen.Die Frage ist seitdem nur: Wofr hat ergewonnen? Seine Regierungserklrung im

    Mrz blieb fade, ohne Thema, program-matische Zuspitzung, hinterher fragtensich selbst Parteifreunde, woran sie sichnoch erinnern konnten. Richtig, dass mansparen msse. Stuttgart 21? Sechs Stze,auf der viertletzten von 27 Seiten. Dernchste Versuch im Juli: Stuttgart 21, im-mer noch auf der viertletzten Seite. WerZweckinfrastrukturen von vor hundertJahren zu Heiligtmern verklrt, der wirftden Standort Baden-Wrttemberg zurck.

    Schon als Fraktionschef hatte er ganzgern andere ans Pult geschickt, wenn esum Sachdebatten ging. Mappus warf sich

    dagegen immer dann mit Lust in die Rede-schlacht, wenn er politisch punkten konnte,poltern konnte. Etwa wenn seine Gegner-beobachtung funktioniert und er in seinem

    bestens gefhrten Archiv et-

    was gefunden hatte, womit erdie SPD oder die Grnenvorfhren konnte. Alte Aus-sagen, die man ihnen vorhal-ten konnte, da war Mappus reflexsicher,schlagfertig, schlagkrftig. Instinktpolitiker.

    Aber die inhaltliche Diskussion bestim-men, die Debatte anfhren, moderieren?Das Einzige, womit er sich in den vergan-genen Monaten profiliert hat, ist seinstrikter Kurs fr lngere Atomlaufzeitengewesen und gegen UmweltministerNorbert Rttgen. Aber selbst hier ist nichtklar: War Mappus fr lngere Laufzeiten,weil er von deren Sinn berzeugt ist?Oder wollte er das Thema schnell weg-haben, damit es nicht in seinen Landtags-wahlkampf hineinluft? Oder watschte erRttgen so hart ab, weil der mal VolkerKauder den Fraktionsvorsitz in Berlinstreitig machen wollte, und Kauder istnun mal aus Baden-Wrttemberg, undnoch dazu ein Freund von Mappus, Pa-tenonkel eines seiner Shne?

    Vielleicht war es von jedem etwas, aberweil Loyalitten im Machtsystem Mappusber alles gehen, kann die Loyalitt zuKauder tatschlich den Ausschlag gege-ben haben. Mappus erwartet unbedingte

    Loyalitt. So hat er es bei Erwin Teufelerlebt, der sich auf einen kleinen KreisGetreuer verlie, so war es bei HelmutKohl, den Mappus bewundert.

    Glaubt man Weggefhrten aus den ver-gangenen Jahren, ist Mappus allerdingsschon heute, mit 44, an einem gefhrli-chen Punkt angelangt, an den Teufel und

    Kohl erst spter kamen, nach zu vielenEnttuschungen: Er teilt Leute nur in sol-che ein, die fr ihn sind oder gegen ihn,sagt einer, der ihn lange kennt. Und werden Sinn einer Entscheidung hinterfragt,wer gegen ihn argumentiert, der soll an-geblich schnell den Argwohn erregen,dass er gegen den Ministerprsidenten ar-beite. berhaupt gegen ihn sei. Illoyal.

    Es soll deshalb, glaubt man einem FDP-Mann, nur noch wenige Berater geben,die sich trauen, Mappus ungeschminktihre Meinung zu sagen. Berchtigt ist seinHopp-hopp-Stil, seine Abneigung gegenGelaber, und unter Gelaber-Verdachtkann schon geraten, wer nur mal durch-spielt, welche Gegenpositionen drohen.Weil Mappus nicht gerade als Aktenfres-ser gilt, liegen ihm inhaltliche Diskussio-nen bis ins Detail nicht. Er kommt dannin die Defensive, und darauf reagiert er,so heit es, ziemlich unwirsch.

    Es gehrt allerdings auch zur Wahrheit,dass alle Verantwortlichen Stuttgart 21

    unterschtzt haben, nicht nurMappus. Niemand rechnete da-mit, dass eine zementstaubtrocke-ne Sache wie der Bahnhofsum-bau, dass Verkehrstakte und Ge-

    steinsarten im Untergrund zumVentil fr alles Mgliche werden.Zuerst hat Mappus das Themakleingehalten, von sich weggehal-

    ten; sollte doch der Name von Stuttgart-21-Sprecher Wolfgang Drexler, einemSPD-Genossen, am Problemprojekt kle-ben. Nun aber ist Drexler gegangen. Statt-dessen muss Mappus reden, um Stuttgart21 werben. Er msste es tun mit Argu-menten, als Landesvater, Integrations-figur, als glaubwrdiger Moderator allerInteressen. Aber wie soll man ausgerech-net ihm das abnehmen? Ihm, den allenoch als Parteimann kennen, als par-teiischen Mann.

    Es ist eine Rolle, die ihm nicht liegt,die er vielleicht auch nicht kann. Und sohat Mappus getan, womit er authentischist: gepoltert. Er nehme jetzt den Feh-dehandschuh auf, sagte er vor der Jun-gen Union. Ich oder die. Kampfmodus.

    Auf seiner Seite hat er Recht und Ord-nung, fr einen konservativen Politikstilwie aus den siebziger und achtziger Jah-ren. Wasserwerfer und Trnengas. Gegensich groe Teile des brgerlichen Lagers.Er werde Stuttgart 21 durchsetzen, stellteer schon klar selbst wenn es ihn das

    Amt koste. Es klang nach starkem Mann,aber nie waren die Zeiten in Baden-Wrt-temberg fr starke Mnner schlechter.

    J D, S K

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    PATRICKS

    EEGER

    /PICTURE-ALLIANCE

    /DPA

    Vorbild Teufel, Ziehsohn Mappus 2004

    Fr Familie, Glaube, Heimat


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