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Smarte Kommunikationsnetze für Energienetzbetreiber

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BERICHT Elektrotechnik & Informationstechnik (2014) 131/3: 70–78. DOI 10.1007/s00502-014-0205-1 Smarte Kommunikationsnetze für Energienetzbetreiber Statements zu Vorgehen, Konzeption und Modellierung H. Bühler OVE, T. Györgyfalvay, R. Zelenka Online publiziert am 6. Juni 2014 © The Author(s) 2014 1. Was macht Funk- und Kommunikationsnetze „smart“? Die Konzeption und Implementierung von Funk- und Kommunikati- onsnetzen ist eine anspruchsvolle Herausforderung. Die starke Wer- bepräsenz von öffentlichem Mobilfunk und WLAN erweckt das Ge- fühl, dass Funknetze kostengünstig und überall verfügbar sind. Dies bedarf allerdings einer differenzierteren Betrachtung. Moderne Kommunikationsnetze, die man auch als „smart“ be- zeichnen würde, sind komplexe Systeme mit einer Reihe von spezi- ellen Anforderungen: Optimale Erfüllung der aufgabenspezifischen Anforderungen Klarheit über den Einsatzzweck, Kapazität, Versorgungsanforde- rungen, Verfügbarkeit Flexibilität und Skalierbarkeit Funktionserhalt (z. B. bei Einzelfehlern, Reparatur, Erneuerung und Migration) Vertraulichkeit – Integrität – Verfügbarkeit Interoperabilität Energieeffizienz Unterstützung von unterschiedlichen Diensten Datensparsamkeit Frequenz- und Energieökonomie Systemüberwachung und Überwachbarkeit in Echtzeit Redundantes und modulares Systemdesign Wirtschaftlichkeit. Wenn Funk- und Kommunikationsnetze diese Anforderungen er- füllen sollen, ist ein strukturiertes „smartes“ Vorgehen – gewissen- hafte und methodisch strukturierte Dimensionierung, Planung und Technologiewahl – erforderlich. In diesem Artikel werden die zuvor dargestellten Punkte abge- handelt und Aussagen zu kontrovers diskutierten Thematiken wie Kosten, Informations- und Systemsicherheit, Internet, private und öffentliche Netze getroffen. Abschließend werden für konkrete Kommunikationsanforderun- gen von Energienetzbetreibern Modellierungsmethoden vorgestellt und Anforderungen den Technologien gegenübergestellt. 2. Strukturiertes „smartes“ Vorgehen Es ist nicht möglich, generische Systeme für noch unbekannte Anfor- derungen zu konzipieren und zu errichten. Solche Versuche führen im günstigen Fall zu unwirtschaftlichen Lösungen, im ungünstigen – gar nicht unwahrscheinlichen – Fall wird den späteren Anforderun- gen technisch nicht entsprochen. Nur ein strukturiertes Vorgehen kann garantieren, dass Systeme Aufgaben erfüllend sind und Investitionen werthaltig bleiben. Ohne strukturiertes Vorgehen ist es unmöglich, passende Kommunikati- onsnetze und -infrastrukturen zu errichten. Bei der Konzeption von Funk- und Kommunikationsnetzen ist im- mer stufenweise vorzugehen, jedenfalls wenn man zu einem trag- fähigen und wirtschaftlichen Konzept kommen möchte (Abb. 1). Begonnen wird dabei mit einer umfassenden Erhebung von Use Cases (Anwendungsfälle), deren Anforderungen bzw. deren Bedarf sowie die dafür erforderlichen Funktionalitäten. In einem zweiten Schritt werden die erhobenen Systemanforde- rungen in technische Anforderungen übersetzt. Für eine optimale Systemkonzeption und Technologiewahl muss immer transparent bleiben, aus welchen Anwendungen und Use Ca- ses diese abgeleitet wurden. Dies ist notwendig, um zu jeder Zeit feststellen zu können, ob letztendlich die zur Umsetzung gewählte Lösung noch immer die ursprünglichen Aufgabenstellungen erfüllt. Für diese Systemkonzeption und Technologiewahl kann auf vorhan- dene Architekturmodelle (IEC 61850, SGAM, NIST etc.) zurückge- griffen werden. Die Planung, Beschaffung und Errichtung kann erst nach einer vollständigen Betrachtung der Anforderungen und der Evaluierung der verfügbaren Technologien durchgeführt werden. Im Rahmen der Optimierungen, die vor der Abnahme erfolgen, können und müssen Verbesserungen und Anpassungen der Sys- temeigenschaften vorgenommen werden. Grundlegende Änderun- gen können an dieser Stelle nicht mehr wirtschaftlich durchgeführt werden. Ist ein Funk- bzw. Kommunikationsnetz Teil eines Gesamtsystems, ist besonders für kritische Anwendungen immer das Gesamtsystem im Rahmen eines strukturierten Vorgehens zu berücksichtigen. Das heißt, dass das Funk- bzw. Kommunikationssystem gegebenenfalls nicht die alleinige Verantwortung für die Erfüllung der Verfügbar- keitsanforderungen von kritischen Anwendungen hat. Unter Ge- samtsystem wird in diesem Zusammenhang die Zusammenschal- tung von Funk- und Kommunikationsnetzen einschließlich Ersatz- systeme, Redundanzen, technische und organisatorische Rückfalle- benen und Fehlerverhalten verstanden. 3. Kostenbetrachtung Die Kosten für ein Funk- und Kommunikationsnetz müssen von je- nen Anwendungen getragen werden, die dieses Funk- bzw. Kom- 70 heft 3.2014 © The Author(s) e&i elektrotechnik und informationstechnik Bühler, Hermann, Dipl.-Ing. Dr. Hermann Bühler GmbH, Hyrtlstraße 30, 2340 Mödling, Österreich (E-Mail: [email protected]); Györgyfalvay, Thomas, Dipl.-Ing. Dr. Hermann Bühler GmbH, Hyrtlstraße 30, 2340 Mödling, Österreich); Zelenka, Roman, Dipl.-Ing. Dr. Hermann Bühler GmbH, Hyrtlstraße 30, 2340 Mödling, Österreich)
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BERICHT Elektrotechnik & Informationstechnik (2014) 131/3: 70–78. DOI 10.1007/s00502-014-0205-1

Smarte Kommunikationsnetzefür Energienetzbetreiber

Statements zu Vorgehen, Konzeptionund ModellierungH. Bühler OVE, T. Györgyfalvay, R. Zelenka

Online publiziert am 6. Juni 2014© The Author(s) 2014

1. Was macht Funk- und Kommunikationsnetze „smart“?Die Konzeption und Implementierung von Funk- und Kommunikati-onsnetzen ist eine anspruchsvolle Herausforderung. Die starke Wer-bepräsenz von öffentlichem Mobilfunk und WLAN erweckt das Ge-fühl, dass Funknetze kostengünstig und überall verfügbar sind. Diesbedarf allerdings einer differenzierteren Betrachtung.

Moderne Kommunikationsnetze, die man auch als „smart“ be-zeichnen würde, sind komplexe Systeme mit einer Reihe von spezi-ellen Anforderungen:

• Optimale Erfüllung der aufgabenspezifischen Anforderungen• Klarheit über den Einsatzzweck, Kapazität, Versorgungsanforde-

rungen, Verfügbarkeit• Flexibilität und Skalierbarkeit• Funktionserhalt (z. B. bei Einzelfehlern, Reparatur, Erneuerung

und Migration)• Vertraulichkeit – Integrität – Verfügbarkeit• Interoperabilität• Energieeffizienz• Unterstützung von unterschiedlichen Diensten• Datensparsamkeit• Frequenz- und Energieökonomie• Systemüberwachung und Überwachbarkeit in Echtzeit• Redundantes und modulares Systemdesign• Wirtschaftlichkeit.

Wenn Funk- und Kommunikationsnetze diese Anforderungen er-füllen sollen, ist ein strukturiertes „smartes“ Vorgehen – gewissen-hafte und methodisch strukturierte Dimensionierung, Planung undTechnologiewahl – erforderlich.

In diesem Artikel werden die zuvor dargestellten Punkte abge-handelt und Aussagen zu kontrovers diskutierten Thematiken wieKosten, Informations- und Systemsicherheit, Internet, private undöffentliche Netze getroffen.

Abschließend werden für konkrete Kommunikationsanforderun-gen von Energienetzbetreibern Modellierungsmethoden vorgestelltund Anforderungen den Technologien gegenübergestellt.

2. Strukturiertes „smartes“ VorgehenEs ist nicht möglich, generische Systeme für noch unbekannte Anfor-derungen zu konzipieren und zu errichten. Solche Versuche führenim günstigen Fall zu unwirtschaftlichen Lösungen, im ungünstigen –gar nicht unwahrscheinlichen – Fall wird den späteren Anforderun-gen technisch nicht entsprochen.

Nur ein strukturiertes Vorgehen kann garantieren, dass SystemeAufgaben erfüllend sind und Investitionen werthaltig bleiben. Ohne

strukturiertes Vorgehen ist es unmöglich, passende Kommunikati-onsnetze und -infrastrukturen zu errichten.

Bei der Konzeption von Funk- und Kommunikationsnetzen ist im-mer stufenweise vorzugehen, jedenfalls wenn man zu einem trag-fähigen und wirtschaftlichen Konzept kommen möchte (Abb. 1).

Begonnen wird dabei mit einer umfassenden Erhebung von UseCases (Anwendungsfälle), deren Anforderungen bzw. deren Bedarfsowie die dafür erforderlichen Funktionalitäten.

In einem zweiten Schritt werden die erhobenen Systemanforde-rungen in technische Anforderungen übersetzt.

Für eine optimale Systemkonzeption und Technologiewahl mussimmer transparent bleiben, aus welchen Anwendungen und Use Ca-ses diese abgeleitet wurden. Dies ist notwendig, um zu jeder Zeitfeststellen zu können, ob letztendlich die zur Umsetzung gewählteLösung noch immer die ursprünglichen Aufgabenstellungen erfüllt.Für diese Systemkonzeption und Technologiewahl kann auf vorhan-dene Architekturmodelle (IEC 61850, SGAM, NIST etc.) zurückge-griffen werden.

Die Planung, Beschaffung und Errichtung kann erst nach einervollständigen Betrachtung der Anforderungen und der Evaluierungder verfügbaren Technologien durchgeführt werden.

Im Rahmen der Optimierungen, die vor der Abnahme erfolgen,können und müssen Verbesserungen und Anpassungen der Sys-temeigenschaften vorgenommen werden. Grundlegende Änderun-gen können an dieser Stelle nicht mehr wirtschaftlich durchgeführtwerden.

Ist ein Funk- bzw. Kommunikationsnetz Teil eines Gesamtsystems,ist besonders für kritische Anwendungen immer das Gesamtsystemim Rahmen eines strukturierten Vorgehens zu berücksichtigen. Dasheißt, dass das Funk- bzw. Kommunikationssystem gegebenenfallsnicht die alleinige Verantwortung für die Erfüllung der Verfügbar-keitsanforderungen von kritischen Anwendungen hat. Unter Ge-samtsystem wird in diesem Zusammenhang die Zusammenschal-tung von Funk- und Kommunikationsnetzen einschließlich Ersatz-systeme, Redundanzen, technische und organisatorische Rückfalle-benen und Fehlerverhalten verstanden.

3. KostenbetrachtungDie Kosten für ein Funk- und Kommunikationsnetz müssen von je-nen Anwendungen getragen werden, die dieses Funk- bzw. Kom-

70 heft 3.2014 © The Author(s) e&i elektrotechnik und informationstechnik

Bühler, Hermann, Dipl.-Ing. Dr. Hermann Bühler GmbH, Hyrtlstraße 30, 2340 Mödling,Österreich (E-Mail: [email protected]); Györgyfalvay, Thomas, Dipl.-Ing. Dr.Hermann Bühler GmbH, Hyrtlstraße 30, 2340 Mödling, Österreich); Zelenka, Roman,Dipl.-Ing. Dr. Hermann Bühler GmbH, Hyrtlstraße 30, 2340 Mödling, Österreich)

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H. Bühler et al. Smarte Kommunikationsnetze für Energienetzbetreiber BERICHT

Abb. 1. Stufenweises Vorgehen

munikationsnetz mit seinen spezifischen Eigenschaften (Verfügbar-keit, Bandbreite etc.) tatsächlich erfordern.

Moderne Funknetze (Kommunikationsnetze) sind aufgrund derverwendeten Protokolle (Ethernet, IP, MPLS etc.) und Schnittstellenin der Lage, verschiedenste Anwendungen in einem Netz zu bedie-nen. Für Errichtung und Betrieb von eigenen Funk- und Kommuni-kationsnetzen sind oft erhebliche Kosten zu tragen.

Auf Grund der hohen Kosten und der scheinbar universellen Ei-genschaften von Funk- und Kommunikationsnetzen wird häufig an-gestrebt, ein Funk- bzw. Kommunikationsnetz für möglichst vieleAnwendungen (aber auch Nutzer, Endgeräte, Endstellen etc.) einzu-setzen, damit es für die einzelnen Anwendungen günstiger wird.

In diesem Zusammenhang werden oft unzulässige Annahmen ge-troffen, wie zum Beispiel:

Kosten je Anwendung = Gesamtkosten /Anzahl der Anwendungen

Kosten je Endstelle = Gesamtkosten /Anzahl der Endstellen

Diese Annahmen zur Berechnung der Kosten je Einheit sind ein un-zulässig vereinfachtes Modell und verdecken die tatsächlichen Ein-flussfaktoren auf die Kostenzurechnung. Denn nicht für jede An-wendung (aber auch Nutzer, Endgeräte, Endstellen etc.) ist die Kom-munikationsleistung gleich viel wert!

Es ist nicht sachgerecht, Kosten für spezielle Anforderungen ein-zelner Anwendungen als Gemeinkosten allen Anwendungen desNetzes gleichmäßig zuzuschlagen.

Ausgehend von den definierten Use Cases sind für bestimm-te Funktionalitäten besondere technische Anforderungen zu erfül-len. Das sind z. B. Resilienzeigenschaften (lange USV-Zeiten, red-undante Anbindung von Funkstandorten, Doppelung von zentra-len Komponenten) oder spezielle Anforderungen an Versorgungs-gebiet, Versorgungstiefe, Datenraten, Kapazität, Verfügbarkeit undRedundanz. Diese technischen Anforderungen erfordern gegebe-nenfalls die Errichtung von eigenen Funk- und Kommunikationsnet-zen. Diese Use Cases und Anforderungen sind somit die Hauptan-wendungen des entsprechenden Funk- bzw. Kommunikationsnet-zes.

Wird dieses Funk- und Kommunikationsnetz auch von anderenAnwendungen genutzt, so kann man diese als Nebenanwendun-gen bezeichnen. Diese Nebenanwendungen haben keine besonde-ren technischen Anforderungen und können somit auch durch ein-fachere bzw. kostengünstigere Funk- und Kommunikationsnetze be-dient werden. Diese einfachen bzw. kostengünstigeren Funk- undKommunikationsnetze erfüllen dann aber in der Regel nicht die be-sonderen technischen Anforderungen von kritischen Use Cases.

Die Errichtung eines anwendungsintegrierenden Funk- und Kom-munikationsnetzes ist wirtschaftlich nur dann darstellbar, wenn die

Hauptanwendungen primär die Kosten tragen und auf Grund ihrerspeziellen Anforderungen rechtfertigen. Für Nebenanwendungen,die ihre Kommunikationsanforderung auch anders lösen können, istder Wert der Mitnutzung niemals höher anzusetzen, als die ausrei-chende, gegebenenfalls billigere Lösung.

Es gibt Lösungen, in welchen Nebenanwendungen einen Groß-teil der Netzkosten tragen. Diese Lösungen sollten aber nur sehrbewusst gewählt werden. Außerdem sind sie auf ihre langfristigeWirtschaftlichkeit und rechtliche Zulässigkeit eingehend zu prüfen.

Beispiel: Diese Art der Kostenzurechnung wird im Bereich der Euro-päischen Telekommunikationsregulierung in der Form des Modells„Forward Looking Long Run Incremental Costs“ angewendet.

Dies sieht vor, dass Nebenanwendungen nur jene Kosten zuge-rechnet werden, die ohne diese Nebenanwendungen nicht anfallenwürden. Das sind angenähert die langfristigen Grenzkosten für die-se zusätzlichen Nebenanwendungen.

Eine nicht sachgemäße Berücksichtigung dieser Zusammenhän-ge führt zu unwirtschaftlichen Lösungen und falschen Einschätzungvon Projekten.

4. InformationssicherheitDie Sicherstellung des Datenschutzes (Informationssicherheit) ist inmodernen Funk- und Kommunikationsnetzen unabhängig vom Be-sitzer, Betreiber oder der Technologie.

Informationssicherheit in der Kommunikation, also Vertraulich-keit, Integrität und Authentizität, ist eine wesentliche Anforderungan moderne Funk- und Kommunikationsnetze und speziell jener vonEnergienetzbetreibern.

Diese Anforderungen bestehen in sehr unterschiedlicher Weise fürdie verschiedenen Anwendungen.

Beispiele: Im Bereich der Smart Meter Kommunikation geht es imWesentlichen darum die persönlichen Daten der Endkunden zuschützen. Dies ist eine wichtige, datenschutzrechtliche Anforde-rung. Für den Netzbetrieb hat die Smart Meter Kommunikationbzw. haben deren Daten jedoch keine wesentlichen sicherheits-technischen Anforderungen.Bei Netzsteuerungs- und Monitoring-Systemen (SCADA) bestehtdie Anforderung an die Informationssicherheit im Wesentlichen aufGrund der sensiblen Netzsteuer- und Monitoring-Information. Un-genügende Informationssicherheit in diesem Bereich kann drama-tische betriebliche Auswirkungen haben.

In modernen Informationssystemen wird die Informationssicher-heit durch Verschlüsselungsverfahren sichergestellt, welche unab-hängig vom Besitzer bzw. Betreibers des Funk- und Kommunikati-onsnetzes sind. Diese Verschlüsselungsverfahren ermöglichen eine

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BERICHT H. Bühler et al. Smarte Kommunikationsnetze für Energienetzbetreiber

Abb. 2. Schichtenmodelle

sichere Ende-zu-Ende-Kommunikation zwischen den Teilnehmernim Netz über ungesicherte Funk- und Kommunikationsnetze. Me-thoden wie Perfect Forward Secrecy gelten derzeit als absolut si-cher.

Das Geheimhalten von Verschlüsselungsverfahren ist als Sicher-heitskonzept schon seit langem obsolet und führt regelmäßig zuSicherheitslücken. Als sicher können nur jene Verfahren angesehenwerden, deren Standards und Verfahren weltweit offengelegt sind,und für die das Brechen des Schlüssels nicht oder nur mit unverhält-nismäßig hohem Zeitaufwand möglich ist.

Veranschaulicht werden kann die Abstrahierung der Informati-onssicherheit von den Übertragungsnetzen im ISO/OSI Schichten-modell. Die Schichten 1 und 2 (PHY, MAC) werden vom Funk-/Kommunikationsnetz bereitgestellt. Auf Schicht 3 erfolgt eine netz-übergreifende Abstrahierung auf Basis von IP Protokollen. Die Infor-mationssicherheit baut auf der IP Schicht auf und erfolgt in denhöheren Schichten (Sicherungsschicht, Anwendungsschicht etc.)(Abb. 2).

5. SystemsicherheitSystemsicherheit lässt sich nur mittels redundanten Kommunikati-onsnetzen und organisatorischen Ersatzmaßnahmen wirtschaftlichsicherstellen.

Gerne wird bei Kommunikationsnetzen von kritischer Infrastruk-tur gesprochen, wenn sie für kritische Anwendungen eingesetztwerden. Kritisch ist nicht die Infrastruktur sondern, sind die Anwen-dungen, in dem Sinne, dass Personen und hohe Sachwerte gefähr-det sind, wenn die kritischen Anwendungen nicht mehr ausgeführtwerden können.

Für solche Anwendungen sind technische und organisatorischeMaßnahmen zur Sicherstellung einer hohen Verfügbarkeit (Resilienz)vorzusehen. Ein einzelnes Funk- bzw. Kommunikationsnetz kann dieerforderlichen, hohen Verfügbarkeiten von kritischen Anwendun-gen wirtschaftlich betrachtet in der Regel nicht erfüllen.

Aus diesem Grund haben sich folgende Maßnahmen zur Sicher-stellung der Systemsicherheit bewährt:

• 2 (bis 3) redundante technische Anlagen• dezentraler (Not)Betrieb (wo möglich), welcher ohne Kommuni-

kation einen sicheren Betriebszustand ermöglicht• Organisatorische Ersatzmaßnahmen.

Die hohe Systemverfügbarkeit beim Einsatz von 2 (bis 3) redun-danten technischen Anlagen mit „normaler“ Verfügbarkeit ergibtsich aus der extrem geringen Wahrscheinlichkeit, dass unabhängigeSysteme gleichzeitig versagen. Diese Annahme gilt aber nur dann,wenn die Anlagen tatsächlich weitestgehend voneinander unabhän-gig sind. Das heißt, dass die Anlagen keine gemeinsamen Risikenaufweisen dürfen.

Beispiel: Der Einsatz von ein und demselben Anbindungs-Netzwerkfür unterschiedliche Funk- und Kommunikationsnetze hat das Risi-ko, dass das Anbindungs-Netzwerk ausfällt und das Gesamtsystemversagt.

Ein weiterer wesentlicher Vorteil von einem redundanten Systemmit 2 (bis 3) Anlagen ist, dass im Falle von Service- und Wartungs-arbeiten an einer Anlage der Betrieb des Gesamtsystems nicht odernur minimal beeinträchtigt ist.

Die Abschätzung der Verfügbarkeit von technischen Anlagen istschwierig. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass auch unwahrscheinlicheEreignisse irgendwann eintreten werden (Murphys-Gesetz). Somit istdie einzig sinnvolle Maßnahme zur Sicherstellung einer hohen Sys-temverfügbarkeit der Einsatz von unabhängigen redundanten Anla-gen.

Prinzipiell lassen sich also keine einzelnen Anlagen errichten dienicht ausfallen können. Somit sind für alle Anwendungen immerentsprechende Ersatzmaßnahmen (Rückfallebenen etc.) vorzusehen.Die Anforderung an die Art der Ersatzmaßnahme ist durch die erfor-derliche Verfügbarkeit der Anwendung bestimmt.

Beispiele: Wenn die Messdaten von automatischen Zählvorrichtun-gen für die Energieabrechnung nicht „in time“ übertragen werdenkönnen, ist es möglich diese unter Verwendung von Prognosen undbewährten mathematischen Modellen mit ausreichender Genauig-keit abzuschätzen. Ein technisches Redundanzsystem zur Daten-übertragung ist somit wirtschaftlich nicht sinnvoll.Bei Netzsteuerungs- und Monitoring-Systemen (SCADA) ist es fürden Netzbetrieb jedoch notwendig, auch bei Störungen von Teil-systemen unterbrechungsfrei mit den Anlagen kommunizieren zukönnen.Im Hilfs- und Rettungswesen hat sich in den letzten 15 Jahren ei-ne Best-Practice durchgesetzt. Es wird hier sehr gewissenhaft ab-gewogen, für welche Dienste selbst betriebene Netze samt den

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H. Bühler et al. Smarte Kommunikationsnetze für Energienetzbetreiber BERICHT

Tab. 1. Kritische Anwendungen im Hilfs- und Rettungswesen

Anwendung Funk- bzw. Kommunikationsnetz

Alarmierung Eigenes PagingnetzEigene SirenenÖffentlicher Mobilfunk (SMS)Eigenes Funknetz bzw. Digitalfunk (z. B. BMI)Fallweise eigene Kabel und Richtfunk zur Alarmübertragung

Sirenenansteuerung Eigenes PagingnetzEigenes Funknetz bzw. DigitalfunkÖffentlicher MobilfunkÖffentliches Internet

Sprache und Statusmeldungenzur Zentrale Eigenes Funknetz (z. B. Digitalfunk)Öffentlicher MobilfunkÖffentliches Festnetz im Zusammenwirken mit eigenem Paging

Sprache lokal zwischen Einsatzkräften Eigene Funkgeräte in direkter KommunikationEigenes FunknetzÖffentlicher Mobilfunk

dazugehörigen erheblichen Kosten notwendig sind. Kritische An-wendungen werden jeweils 2–3-fach abgesichert (Tab. 1).Alle anderen nicht kritischen Anwendungen werden über öffent-liche Dienste oder einfach abgesichert über eigene Netze abgewi-ckelt:

• Positionsdatenübertragung• Breitbandanwendungen (Datenbankabfragen etc.)• Medizinische Befund Daten.

6. Internet of Things, All IPDie Konzeption von Funk- und Kommunikationsnetzen kann nichtmit den Begriffen Internet bzw. All IP abgekürzt werden. IP ist keinKommunikationssystem, sondern ein gemeinsames Protokoll vielerunabhängiger Netze. Die Systemeigenschaften der zugrunde liegen-den Übertragungstechnologien bleiben für komplexe Anwendun-gen relevant.

Die landläufige Rede „Internet of Things, All IP und Cloud Compu-ting“ führt zum grundlegenden Missverständnis, dass sich beliebi-ge Anwendungen einheitlicher Kommunikationsnetze und Service-Plattformen bedienen können die einfach zur Verfügung stehen. Da-bei wird außer Acht gelassen, dass sich hinter diesen Begriffen kom-plexe Netze und Systeme befinden, deren Systemeigenschaften fürkomplexe Anwendungen relevant bleiben.

Das Internet ist weder EINE Infrastruktur, noch EINE universelleLösung für alle Anwendungen. Das Internet ist ein Kommunika-tionsnetz, welches einheitlich das Internetprotokoll (IP) zur Daten-übertragung verwendet. Hinter diesem IP Kommunikationsnetz gibtes aber unterschiedliche Übertragungsnetze, die unter-schiedlichsteEigenschaften, Technologien, Systemeigenschaften, Kostenstruktu-ren, Rechtsgrundlagen, Besitzverhältnisse, Geschäftsmodelle etc.besitzen und nichts oder nur sehr wenig miteinander zu tun haben,außer, dass sie gemeinsam in der Lage sind, IP Pakete zu übertragen.

Somit kann die Konzeption von Funk- und Kommunikationsnet-zen nicht abgekürzt werden mit den Aussagen

• „Die Anwendung XY kommuniziert über ein IP Netz!“,• „Das Endgerät wird einfach an das Internet angeschaltet!“ oder• „Die Anwendung wird in die Cloud gestellt!“.

Für ein tragfähiges wirtschaftliches Systemkonzept müssenimmer die erforderlichen technischen Anforderungen von kon-

kreten Use Cases und Funktionalitäten im Detail herausgearbeitetwerden um konkrete Systeme und Technologien spezifizieren zukönnen.

7. Eigene, private oder öffentliche NetzeLandesweite Kommunikationsdienste von öffentlichen Netzen kön-nen mit privaten oder eigenen Netzen nicht wirtschaftlicher realisiertwerden.

Kommunikationsdienstleistungen von öffentlichen Netzen wer-den in sehr großem Umfang erbracht. Aufgrund des Skaleneffektessind die Kosten pro Verrechnungseinheit (z. B. pro SMS, MB) gering.Zusätzlich stehen die Anbieter zueinander im Wettbewerb.

Das heißt, wenn Standardprodukte öffentlicher Netze für eine An-wendung ausreichend sind, ist es nicht wirtschaftlich, diese Anwen-dung über ein privates Funk- bzw. Kommunikationsnetz zu realisie-ren.

Die Informationssicherheit in privaten oder eigenen Netzen istnicht zwangsläufig größer als jene von öffentlichen Netzen.

Die manchmal gehörte Behauptung, dass Netze im eigenen Be-sitz sicherer wären, ist ohne Grundlage. Die Informationssicherheitmuss in jedem Fall ohnehin Ende-zu-Ende auf Anwendungsebenebzw. durch die Endgeräte hergestellt werden, weil jedes Übertra-gungsnetz per se korrumpierbar ist.

Es gibt auch keine privaten Funknetze im Sinne von „abgekap-selt“, weil der Raum, in dem sich die Funkwellen ausbreiten, eingemeinsamer und allen offen zugänglich ist. Es besteht somit keinGrund zur Annahme, dass ein eigenes Funknetz weniger korrum-pierbar wäre als ein öffentliches. Funknetze sind immer öffentlich,nachdem jeder in der Reichweite der Basisstationen Zugang zu denFunksignalen hat.

Private oder eigene Netze erfordern entsprechende, zusätzlicheInvestitionen, um besser zu sein, als öffentliche Netze.

Eigenschaften von Funk- und Kommunikationsnetzen (Verfügbar-keit, Redundanz etc.) sind von den Besitzverhältnissen völlig unab-hängig. Diese Eigenschaften können auf sehr verschiedenem Niveaurealisiert werden. In privaten Netzen ist die Realisierung von Eigen-schaften auf höherem Niveau durch entsprechenden technischen,betrieblichen und finanziellen Aufwand möglich. Bei öffentlichenNetzen ist ein Einfluss auf Systemeigenschaften praktisch nicht mög-lich.

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Abb. 3. Interaktion von Aktoren in unterschiedlichen Smart Grid Domains über sichere Kommunikation [5, Seite 42]

Als Eigentümer eines Netzes ist es einfach möglich, die Investi-tionen für gehobene Eigenschaften zu tätigen. Das private Netz istnicht aufgrund seiner Privatheit besser, sondern nur dann, wennman den entsprechenden Aufwand treibt.

Folgende Gründe können die Errichtung und den Betrieb eineseigenen Funk- bzw. Kommunikationsnetzes erfordern:

• Systemsicherheit (Verfügbarkeit) bei höherer Gewalt. Hinweis:Im Falle von höherer Gewalt gelten vertraglich vereinbarte SLAsnicht.

• Spezielle technische Anforderungen, die verfügbare Netze nichtbieten, Beispiele: besondere Versorgungszielgebiete, punktuellehohe Kapazitäten oder Bandbreiten, Echtzeitanforderungen, lan-ge USV-Zeiten bei Stromausfall, Gruppenrufe, kurze Rufaufbau-zeiten, spezielle Notruffunktionen etc.

8. Kommunikation bei EnergienetzbetreibernDie unterschiedlichen Aufgaben von Energienetzbetreibern wer-den durch unterschiedliche Anwendungen unterstützt, welche wie-derum spezielle Anforderungen an Kommunikationsnetze stel-len.

Die unterschiedlichen Aufgaben der Energienetzbetreiber kön-nen in folgende Bereiche (Domains) gegliedert werden: Erzeugung,Transport, Verteilung, verteilte Energieressourcen (DER), Endkunde,Märkte, Betrieb/Netz, Dienstanbieter. In diesen und zwischen diesenBereichen gibt es im Smart Grid eine Vielzahl von Schnittstellen undKommunikationsaufgaben.

IEEE hat in P2030/NIST die in Abb. 3 dargestellte Gliederung derSmart Grid Domains vorgenommen und die Kommunikationsabläu-fe modelliert und beschrieben.

In Europa wurde die CEN-CENELEC-ETSI Smart Grid CoordinationGroup mit der Erstellung einer Smart Grid Reference Architecturebeauftragt. Diese Referenzarchitektur baut auf der IEEE P2030/NISTModellierung auf (Abb. 4 und 5).

In jedem dieser Bereiche haben Anwendungen sehr verschiedenetypische Anforderungen.

Als Beispiel zur Beschreibung der Kommunikationsanforderun-gen von Anwendungen können die Anforderungen an SchmalbandPower Line Communication (PLC) dienen, wie sie von der DeutschenKommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik im DINund VDE (kurz DKE) definiert wurde (Tab. 2).

Tabelle 2 ist natürlich für die gesamte Beschreibung der Kom-munikationsaufgabe unvollständig. Dazu müssen noch viele ande-re Anforderungen festgelegt werden (Versorgungsgrad, Verschlüs-selung, gleichzeitige Kapazität für Alarmmeldungen, Restfunktionbei Stromausfall etc.).

Man sieht an dem Beispiel, dass sehr unterschiedliche Anforde-rungen gestellt werden, die teilweise nicht mit einem Netz tech-nisch und wirtschaftlich erfüllbar sind. Zum Beispiel sind Latenzzei-ten < 10 s nicht in allen PLC Lösungen für alle Teilnehmer mög-lich (vgl. „Sonstige Datenbeschaffung von der Messeinrichtung“ inTab. 2).

Als weiteres Beispiel zur Beschreibung der Kommunikationsan-forderungen von Anwendungen können die Anforderungen an dieAutomatisierungssysteme von Umspannwerken dienen, die im Stan-dard IEC 61850 definiert wurden (Tab. 3).

Im Grunde kann dieser Standard auch auf die Mittel- und Nie-derspannungsebene angewandt werden. Man sieht deutlich, dassim Bereich des Verteilnetzes (Automatisierungssysteme von Um-spannwerken, Distribution Domain) wesentlich höhere Anforderun-gen an die Kommunikation gestellt werden, als dies zum Beispielfür Smart Meter Anwendungen (Customer Premises Domain) derFall ist.

Wie die folgende Aufzählung zeigt, vernetzen Energienetzbetrei-ber verschiedenste Einrichtungen (Teilsysteme und Komponenten)mit jeweils unterschiedlich ausgeprägten Risiken und somit unter-schiedlichem Anforderungsniveau:

(1) Einrichtungen zur Sicherstellung der Energieverfügbarkeit, -stabilität und -qualität:

• Schnelles Zeitverhalten• Hohe Verfügbarkeit• Umfangreiche Auswirkungen und Schadenspotenzial bei Aus-

fall• Hoher Bedarf an Authentifizierung und Sicherheit• Funktion bei höherer Gewalt wesentlich, daher Betrieb in ei-

gener Verantwortung• Kritische Anwendungen/Infrastruktur• Getrennt von Infrastruktur für kommerzielle und administrati-

ve Prozesse

(2) Einrichtungen für die Infrastrukturerhaltung und- wartung:

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H. Bühler et al. Smarte Kommunikationsnetze für Energienetzbetreiber BERICHT

Abb. 4. Smart-Grid-Ebene – Domains und hierarchische Zonen [1, Seite 19]

Abb. 5. SGAM Framework [1, Seite 20]

• Hohe Abdeckung der Netzversorgung in allen betrieblich rele-vanten Gebieten/Bereichen

• Verfügbarkeit auch und gerade bei Stromausfall• Geringe Vertraulichkeit

(3) Einrichtungen für die Verrechnung und Energiezähler:

• Kein Bedarf an Echtzeit, provisorische Ersatzwertbildung beiVerzögerungen möglich (außer wenn durch Verträge erzwun-gen)

• Ersatzwertbildung bei Ausfall weitestgehend möglich, d.h.Schadenspotenzial begrenzt (außer durch inadäquate Verträ-ge erzwungen)

• Hohe wirtschaftliche Bedeutung• Hoher Bedarf an Vertraulichkeit und Sicherheit

• Funktionsunterbrechung bei höherer Gewalt akzeptabel• Nicht kritische Anwendungen/Infrastruktur

(4) Einrichtungen der Administration:

• Normale Anforderungen des Bürobetriebs• Hoher Bedarf an Vertraulichkeit und Sicherheit• Funktionsunterbrechung bei höherer Gewalt akzeptabel

Es ist augenscheinlich, dass es keine einzelne Kommunikations-technologie gibt, die von ihren technischen Eigenschaften und ihrerKostenstruktur geeignet ist um alle Anwendungen (Use Cases) ab-zudecken. Es ist daher in Zukunft wichtig, diese Anwendungen mitunterschiedlichen Technologien wirtschaftlich zu bedienen und dieNetze an definierten Schnittstellen in dem gewünschten Umfang zueinem „Seamless Network“ zusammenzuführen.

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BERICHT H. Bühler et al. Smarte Kommunikationsnetze für Energienetzbetreiber

Tab. 2. Auflistung abzudeckender Applikationen mit zentralen Merkmalen [3, Seite 3ff]

9. Smart Matrix

Um die optimalen Funk- und Kommunikationsnetztechnologien für

konkrete Anwendungen im Smart Grid „smart“ zu wählen, müssen

die Technologien basierend auf den Anforderungen der Anwendun-

gen gewählt werden.

Unterschiedliche Funk- und Kommunikationsnetztechnologien

besitzen unterschiedliche Eigenschaften. Dieser Abgleich kann an-

schaulich durch eine Matrix erfolgen. So kann ermittelt werden,

welche Technologien für welche Teilsysteme in Frage kommen. Dies

ist z. B. in der Smart Grid Reference Architecture [2, Seite 55] aus-

geführt (Tab. 4).

Diesen Ansatz kann man in vielfältiger Weise ausbauen, um Funk-

und Kommunikationsnetze für konkrete Anwendungen smart zu

wählen und die Eigenschaften verschiedener Netze mit den Anfor-derungen in Beziehung zu setzen.

Veranschaulicht ist dies in Tab. 5. Im oberen Teil sind die Anforde-rungen für konkrete Anwendungen dargestellt. Im unteren Teil sinddie Eigenschaften verfügbarer Technologien/Netzkonzepte darge-stellt. Die unten dargestellten Tabellen enthalten beispielhafte Wertezur Veranschaulichung.

Für eine konkrete Systementscheidung werden die Anforderun-gen den Eigenschaften gegenübergestellt. Dabei sind einerseits An-forderungen bzw. Eigenschaften zu gewichten und andererseitssind manche Anforderungen über Schwellwerte (ausreichend erfüllt)bzw. binär (ja/nein) zu bewerten.

In dieser Methodik können verschiedenste Varianten weiterdisku-tiert werden, z. B. öffentliche Mobilfunknetze mit National Roaming,

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Tab. 3. Message Type and Performance Class from IEC 61850 [4, Seite 4]

Tab. 4. Statement zur Anwendbarkeit der Kommunikationstechnologien in Smart-Grid-Teilnetzen [2, Seite 55]

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Tab. 5. Gegenüberstellung Anforderungen und Eigenschaften; beispielhafte Darstellung

hybride Architekturen mit Mobilfunk und Short Range Radio Devi-ces, private Netze mit Zusatzinvestitionen (USV, Standortdichte) etc.

Eine solche Diskussion wird insbesondere auch Wirtschaftlich-keitsberechnungen über die gesamte Systemnutzungsdauer vonmehreren Jahrzehnten als ein ganz zentrales Entscheidungselementmiteinbeziehen. Solche Berechnungen sind in diesem Dokumentnicht diskutiert (z. B. ist ein eigenes 450 MHz Netz erheblich teu-rer bei gleicher Versorgungstiefe).

Weiters sind auch Fragen der praktischen Umsetzbarkeit zu dis-kutieren. So ist zu untersuchen, ob z. B. ausreichend Platz auf Funk-standorten für Antennenanlagen für 450 MHz oder für WiMax vor-handen ist, bzw. mit welchen technischen und kommerziellen Rand-bedingungen ein Netzrollout verbunden wäre.

10. Zusammenfassung der Statements(1) Es ist nicht möglich, generische Systeme für noch unbekannte

Anforderungen zu konzipieren und zu errichten. Solche Versu-che führen im günstigen Fall zu unwirtschaftlichen Lösungen,im ungünstigen – gar nicht unwahrscheinlichen – Fall wird denspäteren Anforderungen technisch nicht entsprochen.

(2) Die Kosten für ein Funk- und Kommunikationsnetz müssenvon jenen Anwendungen getragen werden, die dieses Funk-bzw. Kommunikationsnetz mit seinen spezifischen Eigenschaf-ten (Verfügbarkeit, Bandbreite etc.) tatsächlich erfordern.

(3) Nicht sachgerecht ist es, Kosten für spezielle Anforderungeneinzelner Anwendungen als Gemeinkosten allen Anwendun-gen des Netzes gleichmäßig zuzuschlagen.

(4) Die Sicherstellung des Datenschutzes (Informationssicherheit)ist in modernen Funk- und Kommunikationsnetzen unabhän-gig vom Besitzer, Betreiber oder der Technologie.

(5) Systemsicherheit lässt sich nur mittels redundanten Kommuni-kationsnetzen und organisatorischen Ersatzmaßnahmen wirt-schaftlich sicherstellen.

(6) Die Konzeption von Funk- und Kommunikationsnetzen kannnicht mit den Begriffen Internet bzw. All IP abgekürzt werden.

IP ist kein Kommunikationssystem, sondern ein gemeinsamesProtokoll vieler unabhängiger Netze. Die Systemeigenschaften

der zugrunde liegenden Übertragungstechnologien bleiben fürkomplexe Anwendungen relevant.

(7) Landesweite Kommunikationsdienste von öffentlichen Netzenkönnen mit privaten oder eigenen Netzen nicht wirtschaftlicherrealisiert werden.

(8) Die Informationssicherheit in privaten oder eigenen Netzen istnicht zwangsläufig größer als jene von öffentlichen Netzen.

(9) Private oder eigene Netze erfordern entsprechende, zusätzlicheInvestitionen, um besser zu sein, als öffentliche Netze.

(10) Die unterschiedlichen Aufgaben von Energienetzbetreibernwerden durch unterschiedliche Anwendungen unterstützt,welche wiederum spezielle Anforderungen an Kommunikati-onsnetze stellen.

(11) Um die optimalen Funk- und Kommunikationsnetztechnologi-en für konkrete Anwendungen im Smart Grid „smart“ zu wäh-len, müssen die Technologien basierend auf den Anforderun-gen der Anwendungen gewählt werden.

Literatur

1. CEN-CENECLEC-ETSI (2012): First set of standards. CEN-CENELEC-ETSI Smart GridCoordination Group, November 2012.

2. CEN-CENECLEC-ETSI (2012): Smart grid reference architecture. CEN-CENELEC-ETSISmart Grid Coordination Group, November 2012.

3. DKE (2010): Nationale Anforderungen an Schmalband-PLC. DKE1 AK 0.141 „PLC“ imK461, Oktober. 2010.

4. Ericsson (2013): LTE for utilities. Ericsson white paper, Uen 285 23-3208, September2013 [Original aus IEC 61850-5 ed2. Communication networks and systems in substa-tions – Part 5: Communication requirements for functions and device models. 2003-07,61850-5 IEC:2003(E).

5. NIST (2012): NIST framework and roadmap for Smart Grid interoperability standards,Release 2.0. NIST special publication 1108R2, NIST National Institute of Standards andTechnology, Februar 2012.

78 heft 3.2014 © The Author(s) e&i elektrotechnik und informationstechnik


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