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Retrospektive 1895

Date post: 28-Mar-2016
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Weil Tradition Geschichte hat!
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Liebe Fans der Fortuna,

Vor fast genau 68 Jahren, am 2.3.1945, starb Dr. Waldemar Spier, ehemaliger sportlicher Leiter der Fußballabteilung von Fortuna Düsseldorf, im Konzentrationslager Auschwitz. Für drei Jahre, von 1930 bis 1933, war er für die Mannschaft verantwortlich, die den bis heute größten Erfolg des Vereins erringen konnte. Zum Zeitpunkt der Meisterschaft, war Spier jedoch nicht mehr Mitglied des Vereins aus Flingern. Menschen jüdischer Herkunft oder abweichender politischer Meinung durften nicht mehr Teil von Fortuna Düsseldorf sein. War er zunächst durch seine nicht-jüdische Frau Gertrud geschützt, wurde er 1944 deportiert und starb an der unmenschlichen Behandlung in Auschwitz, 5 Wochen nach der Befreiung.

Wir wollen das heutige Spiel gegen Mainz 05 nutzen, um an Dr. Waldemar Spier, stell-vertretend für alle Opfer der NS-Herrschaft, zu gedenken. Wir wollen gleichzeitig darauf aufmerksam machen, dass Fortuna Düsseldorf seine Geschichte während der Gewalt-herrschaft der Nationalsozialisten bis heute nicht ausreichend aufgeklärt hat. Zu viele of-fene Fragen sind immer noch nicht geklärt. Akten und wichtige historische Unterlagen vergammeln in privaten Kellern, Zeitzeugen und ihr einmaliges Wissen sind kaum noch vorhanden. Wir fordern, dass Fortuna Düsseldorf sich zu seiner Vergangenheit bekennt und diese geschichtswissenschaftlich aufarbeitet. Es soll so eine Erinnerungskultur ent-stehen, in der nicht nur Toni Turek oder Paul Janes Platz haben, sondern auch Menschen wie Dr. Waldemar Spier und die zahlreichen namen- und gesichtslosen Opfer des faschis-tischen Terrors.

Um diese Ziele durchzusetzen haben wir die Kampagne „Retrospektive 1895“ ins Leben gerufen. Neben einer Homepage, sowie regelmäßigen Informationsveranstaltungen zu Dr. Waldemar Spier und verwandten Themen, wollen wir unseren Beitrag als Fans dazu leisten, um die Erinnerung an die Opfer fest in den Verein zu etablieren. Die Informationen, die ihr heute in den Händen haltet, sind die ersten Ergebnisse dieser Kampagne. Mit der Hilfe der Mahn-und Gedenkstätte konnten wir das Leben und Schicksal von Dr. Waldemar Spier nachzeichnen und euch heute präsentieren. Doch auch in dieser Biografie sind noch Lücken und viele Einzelheiten sind noch im Verborgenen. Neben der generellen Ausein-andersetzung mit der eigenen Geschichte fordern wir auch eine sichtbare Erinnerung in der Kultur des Vereins und im Stadtbild. Unser Ziel ist es daher, neben einem Stolperstein vor dem ehemaligen Wohnhaus Spiers, auch die Umbenennung des Arena-Vorplatzes in „Dr.-Waldemar-Spier-Platz“. Auch die überfällige Rehabilitierung aller Ausgeschlossenen Fortuna-Mitglieder während der NS-Zeit, soll ein Teil dieser Kampagne sein. Fortuna und die ganze Stadt Düsseldorf würden sich mit diesen Aktionen klar zu ihrer Geschichte be-kennen und ein klares Zeichen gegen Faschismus und Diskriminierung setzen.

Wir hoffen wir können mit diesem Heft und dem heutigen Tage dazu beitragen, dass etwas Klarheit und Verständnis in ein dunkles Kapitel der Vereinsgeschichte kommt. Helft mit, dass Dr. Waldemar Spier und alle anderen Opfer, niemals vergessen werden!

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Wer War dr. WaLdemar spier?

Waldemar Spier wurde am 16. Oktober 1889 als einziges Kind des Kaufmanns Siegfried Spier und seiner Frau Johanna in Düsseldorf geboren. Nach Schule und Studium folgt die Teilnahme am ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 als „Jüdischer Frontkämpfer“. 1921 promoviert er zum Doktor der Zahnmedizin, mit seiner Dissertation: „Für und wider die Brom- und Chloraethylnarkose mit eigener Erfahrung“. Dr. Spier wird 1930 Obmann der ersten Fußballmannschaft von Fortuna Düsseldorf. Die Fußballabteilung befindet sich zu diesem Zeitpunkt in einer Hochphase der Vereinsgeschichte. Gleichzeitig dreht sich das politische Klima in Deutschland und die Nationalsozialisten erlangen immer mehr an Stärke. Adolf Hitler wird am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt.„Am 19. April 1933 veröffentlichte der Kicker eine DFB-Erklärung, dass „Angehörige der jüdischen Rasse, ebenso auch Personen, die sich in der marxistischen Bewegung raus-gestellt haben, in führenden Positionen der Verbände und Vereine nicht (...) tragbar seien“. Einen Tag später führte der DSC 99 als erster Düsseldorfer Sportverein den sogenannten „Arierparagraphen“ ein, der am 25. April 1933 vom zukünftigen Reichs-sportführer Hans von Tschammer und Osten für verbindlich erklärt wurde.“

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Waldemar Spier wird zum Rücktritt gezwungen und letzlich aus dem Verein ausge-schlossen. Er kann so am 11. Juni 1933 nicht am größten Erfolg der Vereinsgeschichte teilnehmen, auf den er drei Jahre lang aktiv mit hingearbeitet hatte. Vor 60.000 Zu-schauern besiegt die Fortuna aus Düsseldorf die damals übermächtigen Schalker mit 3:0 und wird erster Deutscher Meister unter der NSDAP-Herrschaft. Hieraus ergeben sich bis heute offene Fragen. Wie wurde dieser „Rücktritt“ damals kommuniziert? Gab es keine Fragen der Mannschaft oder der Zuschauer, wo einer der Hauptverantwortli-chen der Fußballabteilung verblieben ist? Gerade in diesen Bereichen wollen wir unsere Forschung intensivieren und vor allem den Verein mit diesen schwerwiegenden Fragen konfrontieren. Spier heiratet am 28. Juni 1934 seine damalige Lebensgefährtin Gertrud (1895–1978). Sie ist katholisch und verschafft Waldemar durch diese im nationalsozi-

alistischen Jargon genannte „Mischehe“ zunächst eine gewisse Form von Schutz. Bis zum Novemberpogrom 1938 betreibt Dr. Waldemar Spier an der Kölner Stra-ße 248 seine Zahnarztpraxis. Neben den Praxisräumen befindet sich dort auch die Wohnung von Waldemar und Gertrud. Während des Novemberpogroms 1938 werden die Praxis und Wohnräume der Famlie Spier zerstört: „Hier [Kölner Straße 248] befand sich die Zahnarzt-Praxis und ein Zimmer, in dem Johanna Spier [Mut-ter von Waldemar], geborene Kupfer, bis zu ihrem Tod im Oktober 1938 gewohnt hatte. Aus diesem Zimmer warf man die ganze Einrichtung bis auf das Unterteil ei-nes schweren „Büffets“ aus dem Fenster. Alle anderen Räume wurden fast restlos zerstört.“

Gleichzeitig wird Waldemar Spier verhaftet. „Am 10.11.1938 ins Polizeigefängnis ge-bracht, wurde er am 16.11.1938 auf „Transport“ ins Konzentrationslager Dachau ge-schickt. Dort blieb Dr. Spier bis zum 7.12.1938 (Häftlingsnummer 27979).“ In diesem ersten Abschnitt der Inhaftierung in Konzentrationslagern wird versucht Druck auf die jüdische Bevölkerung auszuüben, mit dem Ziel die „freiwillige“ Emigration aus dem deut-schen Reichsgebieten zu erzwingen. Gleichzeitig wird ihr Besitz „arisiert“, also enteig-net. Dies geschieht auch im Falle von Waldemar Spier. Am 26.12.1938 schreibt Trude einen Brief an die Gestapo: „Hierdurch bitte ich höflich um Beurlaubung meines Mannes, da die Praxis arisiert wird.“ Waldemar und Getrud ziehen am 13. Dezember 1938 nach

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dem zerstörischen Novemberpogrom an die Rochusstraße 75. Spier selbst ist vorläufig durch seine nicht-jüdische Ehefrau vor weiteren Deportationen nach seiner Entlassung aus Dachau geschützt. Er erhält 1940 eine Ausnahmegenehmigung der Gestapo als „jü-discher Krankenbehandler“ und kann so die verbliebene jüdische Bevölkerung notdürftig zahnmedizinisch versorgen. Mittlerweile wohnt das Ehepaar an der Sonderburgstraße. Spier wird in diesem Zeitraum wohl auch in Düsseldorf zur Zwangsarbeit verpflichtet. 1943 wird er neben Willi Katzenberg, Rudolf Braunschweig und Kurt Frank gezwungen die „Angelegenheiten“ der jüdischen Gemeinde fortzuführen. Alle vier Männer sind Ju-den, die mit einer Nichtjüdin verheiratet sind. Einige, der noch bis 1944 verbliebenen Juden in Düsseldorf gehen in den Untergrund, um ihr Überleben zu sichern. Anhand einiger Zeugenaussagen wird ersichtlich, dass sich auch Waldemar Spier zeitweise ver-steckte.

Am 2. März 1944 werden Gertrud und Waldemar Spier dennoch in ihrer Woh-nung verhaftet und zunächst ins Ge-richtgefängnis Düsseldorf, später ins Gefängnis Ulmenstraße gebracht. Tru-de gibt in einem späteren Prozess nach 1945 folgendes zu Protokoll: „Wir hatten erkannt, daß zunächst die jüdische In-telligenz ausgerottet werden sollte...Zur Beleuchtung des Pütz [Gestapo-Beam-ter in Düsseldorf] möchte ich betonen, daß er in den jüdischen Kreisen als der Henker bekannt war und alles zitter-te, wenn sein Name nur fiel. Über die Greueltaten in den KZ-Lagern und dass die einmal in die Lager eingewiesenen Personen nicht zurückkommen, hatte er genaueste Kenntnis. Wie mir bekannt wurde, hat er gegenüber auch anderen Personen diesbezügliche Äußerungen gemacht...Am 2.3.1944 wurden mein Mann und ich von Pütz und Waldbillig [ebenfalls Gestapo-Beamter] in unserer Woh-nung festgenommen... Bei meiner Vernehmung erkannte ich, daß man meinen Mann beschuldigte, von der Flucht des Braunschweigs [gemeint ist Rudolph Braunschweig, der im Untergrund lebte] Kenntnis gehabt zu haben...Nach fünfwöchiger Haft im Gefäng-nis Ulmenstraße wurde ich wieder entlassen, während mein Mann in strenge Einzelhaft genommen wurde...Nach vier Wochen erhielt ich die erste Besuchserlaubnis. Bei dem

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zweiten Besuch nach acht Wochen fand ich meinen Mann seelisch und körperlich in sehr schlechter Verfassung...Am 9.9.1944 erfuhr ich, als ich meinem Mann...Wäsche bringen wollte, daß mein Mann in zwei Tagen nach Auschwitz abtransportiert würde...Ich fand mich auf dem Bahnhof ein, wo ich ihn nur von der Ferne sehen konnte. Es wurde von der Gestapo nicht zugelassen, daß die Deportierten sich von ihren Angehörigen verabschieden Konnten.“ Zu Frau Spier äußerte sich der Gestapo-Beamte Waldbillig an läßlich einer Vernehmung: „Ich weiß, daß Ihr Mann nichts getan hat, aber er ist Jude.“ Am 11. September 1944 wird Waldemar Spier zusammen mit Rudolph Braunschweig und der verbliebenen jüdischen Bevölkerung in der letzten Deporation aus Düsseldorf nach Ausschwitz gebracht. Er wird auf der Rampe nicht für die Gaskammern selektiert, sondern kommt ins Lager zur Zwangsarbeit. Durch die schweren Arbeits- und Haftbe-dingungen stirbt er am 2. März 1945 im Block 20 an Hungertyphus in den Armen seines Mithäftlings Julius Loeb. Fünf Wochen nach der Befreiung durch die Rote Armee.

1952 stellt Gertrud Spier einen Antrag auf Anerkennung ihres Mannes als „rassisch Ver-folgter“. 1954 wird das Ehepaar Spier als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt. Trude Spier erhält eine Witwenrente und eine Entschädigungszahlung, eine Entschul-digung durch die Fortuna blieb bis zu ihrem Tode aus. Bekanntermaßen ist der Um-gang mit den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und entsprechenden Entschädigungszahlungen im Nachkriegsdeutschland alles andere als transparent und nachvollziehbar geregelt. Die Überlebenden gelten meist als Nestbeschmutzer. Trude Spier bleibt bis zu ihrem Tod 1978, durch die Ereignisse und den Verlust ihres Eheman-nes nachweislich gesundheitlich stark angeschlagen. Dies geht aus entsprechenden Attesten in den Entschädigungsakten hervor.

Viele Fragen sind weiterhin offen.

Die Recherchearbeiten haben gerade erst begonnen. Was uns aber über den Fall hi-naus interessiert: Wer waren die anderen ausgeschlossenen Mitglieder und Aktiven? Was lässt sich von den Gerüchten rund um die damalige Rugbymannschaft belegen? Und wie verhielt sich der Verein Fortuna Düsseldorf damals intern und offiziell zu den Ausschlüssen?

meHr inFormationen Findet iHr unter:

WWW.retrospektive1895.de

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dieses HeFt konnte mit der HiLFe FoLgender gruppen reaLisiert Werden:

Retrospektive 1895 / Hypers 2001 / Kopfball Düsseldorf

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ASTA FH Düsseldorf / Und viele hilfsbereite Einzelpersonen

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