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SPD-Landesverband Brandenburg, Friedrich-Ebert-Straße 61, 14469 Potsdam
PVSt, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550
perspektive 21Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik
www.perspektive21.de Heft 21/22 • April 2004
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Seit 1997 erscheint
„Perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“.
Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben,
können Sie ältere Exemplare auf unserer Homepage
www.perspektive21.de als pdf herunterladen.
Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnen
gerne auch auf Wunsch kostenlos zu. Senden Sie uns bitte eine eMail an
Zur Zeit sind noch folgende Titel lieferbar:
Heft 13 Kräfteverhältnisse – brandenburgisches Parteiensystem
Heft 14 Brandenburgische Identitäten
Heft 15 Der Islam und der Westen
Heft 16 Bilanz vier Jahre sozialdemokratisch-bündnisgrünes Reformprojekt
Heft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende?
Heft 18 Der Osten und die Berliner Republik
Heft 19 Trampolin oder Hängematte? Die Modernisierung des Sozialstaates.
Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus?!
Politik, W
irtsch
aft und Innovatio
n :
Mit Beiträgen von Alexander G
auland
und Matth
ias Platze
ck.
NEUERSCHEINUNG (April 2004)
Heinz Kleger, Ireneusz Pawel Karolewski,
Matthias Munke
Europäische Verfassung.
Zum Stand der europäischen Demokratie im Zuge der Osterweiterung
3., aktualisierte und erweiterte Auflage
Lit-Verlag – Reihe Nation-Region-Europa – Band 3
616 Seiten – 29,90 Euro
ISBN 3-8258-5097-8
Aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 21. Januar 2002:
Die Autoren „hatten eingangs versprochen, große Anstrengungen zuunternehmen, zum ‚trotz einer komplizierten Materie auf die Ver-ständlichkeit der Ausführungen zu achten’. Sie haben vollauf Wortgehalten. Und je tiefer man sich in die Arbeit hinein versenkt, um soüberzeugender wird der originelle methodische Ansatz dieser Ana-lyse. Ihr Ergebnis zählt ohne Zweifel zu den wichtigen Beiträgen zueiner Debatte, die Europa noch lange beschäftigen wird.“
Das neue Deutschland
Die Zukunft als ChanceHerausgegeben von Tanja Busse und Tobias Dürr336 Seiten. Broschur. s 15,90 (D)ISBN 3-351-02553-X
Kr ise im Westen, Umbruch im Osten – wie wir gemeinsamChancen beg rei fen und Refor men durchsetzen. Mit Bei trägenvon: Frank Decker, Wolfgang Engler, Matthias Platzeck, UweRada, Landol f Scherzer, Alexander Thumfar t und vie len anderen
W W W. A U F B A U -V E R L A G . D E
aufbauV E R L A G
Das neueDeutschland
Vorwort 3
Magazin
Alexander Gauland 5Die Wunder der Streusandbüchse
Brandenburg zwischen Zukunft und Vergangenheit
Thema
Matthias Platzeck 9Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg
Jochen Röpke 19Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle. Oder: die Münchhausen-Chance
Jörg Aßmann 41Das Gespenst des Mezzogiorno
Welches Entwicklungsszenario erwartet Ostdeutschland?
Esther Schröder 71Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
Ulf Matthiesen 97Das Ende der Illusionen – Regionale Entwicklung in
Brandenburg und Konsequenzen für einen neuen Aufbruch
Tobias Dürr 115Brandenburg und das finnische Modell
Thomas Kralinski 125Wachsen wie die Sachsen? Eine kritische Bilanz der Nachwendezeit
Klaus Faber 137Innovationsinitiative und Ostdeutschland
Inhalt
Entscheidung im Osten:Innovation oder Niedriglohn?
Impressum
2
HerausgeberSPD-Landesverband Brandenburg
Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie
in Berlin, Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern e.V.
RedaktionKlaus Ness (ViSdP),
Ingo Decker, Benjamin Ehlers, Klaus Faber,
Klara Geywitz, Thomas Kralinski, Lars
Krumrey, Christian Maaß, Till Meyer, Manja
Orlowski, Tina Fischer, Raimund Kropp
Anschrift – SPD LandesverbandFriedrich-Ebert-Straße 61
14469 Potsdam
Telefon: 0331 - 200 93 – 0
Telefax: 0331 - 270 85 35
Anschrift – Wissenschaftsforumc/o Klaus Faber
An der Parforceheide 22
14480 Potsdam
Telefon: 0331 - 62 45 51
Telefax: 0331 - 600 40 35
Internethttp://www.perspektive21.de
Gesamtherstellung, VertriebWeber Medien GmbH
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14469 Potsdam
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der Osten ist zurzeit wieder in allerMunde –und zwar zur rechten Zeit. DerAufbau Ost hat gerade Halbzeit, denn imJahr 2019 läuft der Solidarpakt aus. Inso-fern ist es folgerichtig, die vergangenenJahre kritisch zu beleuchten und Konse-quenzen für die kommenden Jahre zuziehen. Mit diesem Heft wollen wir ineine solche Diskussion einsteigen. Wowurden Fehler gemacht, und vor allem:Wo liegen Zukunftschancen? Dies stehtim Mittelpunkt dieser Ausgabe.
Matthias Platzeck stellt in seinem Bei-trag vollkommen zu Recht fest, dass wirvor neuen Rahmenbedingungen stehenund es dafür keine Blaupausen gibt,genauso wenig wie uns die Ausrichtungan westdeutschen Vorbildern weiterhilft. Zusammen mit den spannendenBeiträgen von Jörg Aßmann, JochenRöpcke, Ulf Matthiesen und Klaus Faberwird deutlich, wo Innovationspotentialeliegen, welche Chancen Regionen habenund welchen Weg Brandenburg gehenkann. Die Texte zeigen, dass die Zukunftunseres Landes nur in Innovation undnicht im Niedriglohnbereich liegen kann.Daneben illustriert Esther Schröder, wel-che Fehler im Land in den letzten Jahrenvom CDU-geführten Wirtschaftsressortgemacht worden sind. Sie zeigt sehr ein-drücklich, dass es nicht um „Großinvesti-tionen“ oder „Mittelstand“ geht, son-
dern ob Unternehmen – unabhängigvon ihrer Größe – über tragfähige undhinreichend innovative Unternehmens-konzepte verfügen.
Aber auch ein Blick über die GrenzenBrandenburgs lohnt sich.Tobias Dürr undThomas Kralinski haben ihn gewagt. AmBeispiel Finnlands lässt sich sehr schönbeobachten, wie sich ein Land mit In-novation und Kreativität – zusammenmit einer „strategischen Vision“ – neuerfunden hat. Darum geht es auch inBrandenburg in den nächsten Jahren: umModernisierung und Aufbruch mit Herzund sozialer Seele.
Ab diesem Heft wird die Perspektive 21in Zusammenarbeit mit dem Wissen-schaftsforum der Sozialdemokratie inBerlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V. herausgegeben. Des-halb erhalten auch die Mitglieder undInteressenten des Wissenschaftsforumsdas Perspektive-Heft. Das Wissenschafts-forum und die Perspektive 21 haben ineinem beachtlichen Umfang vergleich-bare Themenschwerpunkte, wie auchdas neue Heft zeigt. Dies trifft ebensoauf die Zielsetzung in der Wissenschafts-und Innovationspolitik zu.
Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen
Ihr Klaus Ness
Vorwort
3
Liebe Leserinnen und Leser der „Perspektive 21“!
4
perspektive 21 im InternetDie Hefte 1-20 sind im Internet unter www.perspektive21.deals pdf-Datei zum Download verfügbar.
Nein, es ist nicht die Toskana, es sind
auch nicht die bayerischen Schlösser
und Seen. Die Landschaft ist karg, weit
und ein wenig traurig. Das Land
zwischen Elbe und Oder, das Kernland
des alten Preußen gehörte nie zu den
Sehnsuchtslandschaften der Deut-
schen. Man fuhr hindurch zu den
mondänen Ostseebädern oder in die
Weiten Ostpreußens und Masurens,
auf die Kurische Nehrung, nach
Königsberg oder Danzig. Brandenburg
war zwar schon Kolonialland „Ostel-
bien“, aber eben noch nah an Magde-
burg und Halberstadt, wo die deut-
schen Kaiser gotische Dome mit röm-
ischen Steinen gebaut hatten. „Gleich
hinter dem Rennweg beginnt Asien“
hatte einst Metternich über das alte
Österreich östlich von Wien geurteilt.
Gleich hinter Berlin beginnt die russ-
ische Weite, könnte man das Wort
abwandeln, blickt man von den See-
lower Höhen nach Osten zur Oder. Und
es waren diese letzten Ausläufer deut-
scher Mittelgebirge, die die russische
Flut 1945 aufhalten sollten – vergebens
wie wir wissen. Brandenburg liegt im
Schnittpunkt zweier Welten, der zum
Westen gehörenden mittelalterlichen
und der in den Osten reichenden
preußisch-slawischen. Irgendwo zwi-
schen Havelberg und dem Oderbruch
schlägt das Herz Brandenburgs.
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Die Wunder der StreusandbüchseBrandenburg zwischen Zukunft und Vergangenheit
Von Alexander Gauland
Dächer von Ziegel, Dächer von Schiefer,Dann und wann eine Krüppelkiefer,Ein stiller Graben die WasserscheideBirken hier und da eine Weide,Zuletzt eine Pappel am Horizont,Im Abendstrahl sie sich sonnt.Auf den Gräbern Blumen und AschenkrügeVorüber in Ferne rasseln die Züge,Still bleibt das Grab und der Schläfer drin –Der Wind, der Wind geht darüber hin. Theodor Fontane
Dass diese Landschaft aus Sand und
Kiefern heute dennoch auf eine etwas
angestrengte Weise zu den großen
europäischen Kulturlandschaften zählt,
verdanken die Brandenburger einer Dy-
nastie und einem Dichter. Die Hohen-
zollern verwandelten die Seenland-
schaft um Berlin und Potsdam in ein
Kunstwerk, ein weltliches Arkadien, des-
sen Schönheit im seltsamen Gegensatz
zu dem sandigen Boden steht, dem es
abgerungen wurde. Es ist ein Wunder
im Zentrum der Streusandbüchse des
Reiches – wie die Mark verachtungsvoll
genannt wurde – das in Europa seines-
gleichen sucht. Man muss schon die
Toskana, Venedig oder die Loire-Schlös-
ser aufsuchen, um ähnliches zu finden,
und man begreift das Staunen der vie-
len Besucher über diese Anstrengung
zur Schönheit. Und statt dass die
„Katen“ des märkischen Adels daneben
in der Bedeutungslosigkeit versanken,
hat sie Theodor Fontane in seinen
„Wanderungen durch die Mark Bran-
denburg“ auf gleiche Höhe gehoben.
Die Hohenzollern bauten sich mit
Sanssouci, Charlottenburg, Rheinsberg,
Glienicke, Babelsberg, Charlottenhof,
Paretz und dem Cecilienhof in die Her-
zen ihrer Untertanen. Fontane rettete
Ruppin, Gransee, Wustrau, den Oder-
bruch, Friedersdorf und den Barnim vor
dem Vergessen – oder besser noch – vor
dem Nichtentdecktwerden. Und noch
heute sieht man manchen Besucher
vor den Schlössern der Mark statt mit
einem ordinären Führer mit den „Wan-
derungen“ in der Hand stehen. Bran-
denburg, so kann man getrost sagen,
ist eine Schöpfung Fontanes, nachdem
es längst in Preußen aufgegangen war.
Und noch heute erfährt man über
Menschen und Landschaften mehr aus
dem „Stechlin“ als aus jedem Hand-
buch über Land und Leute.
Brandenburg hat eine lange Vor-
geschichte unter den Askaniern und
den frühen Hohenzollern, die aus Süd-
deutschland kamen und davor Burggra-
fen von Nürnberg waren, erlebte eine
kurze Epoche künstlerischer Genialität,
nachdem es politisch längst als Kern-
land der Dynastie von dem eigentlichen
Preußen abgelöst worden war und
sucht heute verzweifelt eine Zukunft in
einer veränderten Welt.
Brandenburg ist alles, was von
Preußen geblieben ist, eine Idee, die
einen Staat hatte – oder wie die Kritiker
meinen, eine Armee, die ihn besaß. Nur
einmal ist Brandenburg an der tetegeritten, nicht in den Schlachten des
großen Friedrich, sondern danach, nach
seinem Tod, von 1790 bis 1840. Der
preußische Klassizismus ist eine Bran-
denburger Schöpfung, und seine Ver-
treter sind fast ausnahmslos hier ge-
boren, Gilly und Schinkel, Schadow,
Rauch und Persius. Für ein Menschen-
Alexander Gauland
6
alter bestimmten sie den Stil der Archi-
tektur und Skulptur in ganz Europa. Alle
großen Bauten Berlins entstanden zwi-
schen 1820 und 1840 in dieser Manier,
die Neue Wache, das Schauspielhaus
und das Alte Museum. Es ist verblüf-
fend und kaum nachzuvollziehen, dass
Deutschlands geistiges Zentrum für
eine historische Sekunde nicht mehr im
Geniewinkel des Südwestens, sondern
in der Rüben- und Kartoffelwelt zwi-
schen der Prignitz und der Uckermark
lag. Nimmt man die Schreibenden
hinzu, Heinrich von Kleist, die Schwe-
rins, die Arnims, Fouqué und Chamisso,
so wird auch der romantische Impetus
aus der Mark in die Welt getragen. Fast
alle Künste wachsen plötzlich auf dem
Boden, der ganz zum Schluss mit
Blechen, Menzel und Liebermann selbst
noch in der Malerei die anderen Re-
gionen Deutschlands hinter sich lässt.
Doch es dauerte nur einen Sommer, ein
kurzes Jahrhundert, der Rest ist ein
langer Abschied, zu dem wohl Lieber-
manns Bilder am besten passen.
„Die Mark“ – so Wolf Jobst Siedler, der
beste Kenner ihrer Kultur und Ge-
schichte – „hat alles hervorgebracht,
erst das Kurfürstentum Brandenburg,
dann das Königreich Preußen, schließ-
lich das kurzlebige Deutsche Reich. Es
ist, als ob sie sich dabei verzehrt habe.
Nun ist alles von ihr abgefallen, was ihr
Bedeutung, Glanz und wohl auch
Unheimlichkeit gab. Nun ist die alte
Mark wieder auf sich selber zurück-
geworfen; Brandenburg ist alles, was
von Preußen geblieben ist. Legt man die
Karte des heutigen Deutschland neben
eine Karte aus Staufischer Zeit, so hält
man wieder da, wo man vor einem Drei-
vierteljahrtausend stand, bevor man
über die Oder ging und den Heiden und
der Wildnis Land abgewann.“ Heute hat
das Land wenig mehr als diese Ver-
gangenheit, denn 40 Jahre Sozialismus
haben hier größere Schäden hinter-
lassen als anderswo. Schon der Krieg
war grausamer, da die Mark eben direkt
auf dem Wege nach Berlin lag, und die
letzten großen Schlachten des Welt-
krieges – Seelow und Halbe – hier ge-
schlagen wurden. Die Zerstörungen
waren gründlicher als in Sachsen und
Thüringen. Und dann war der Sozialis-
mus nicht nur eine Absage an die über-
lieferten Herrschaftsverhältnisse, son-
dern an die Geschichte selbst. Vieles
wurde dem Verfall preisgegeben, und
von manchem Gutshaus ist nur noch
der Baumbestand erhalten. Erst verließ
das dem Hof und der Armee verbun-
dene Bürgertum das Land, dann folgten
die Handwerker und zuletzt die Bauern,
die die Kollektivierung fürchteten. Die
Industrie in Brandenburg, Hennigsdorf
und Eisenhüttenstadt kämpft heute
ums Überleben, und Neues ist kaum
nachgewachsen.
Die Wunder der Streusandbüchse
7
„Heute“ – so noch einmal Wolf Jobst
Siedler – „mutet die Welt zwischen dem
Barnim und der Uckermark merkwür-
dig geschichtslos an, es fehlt, was ihr so
lange Bedeutung gegeben hat: Bürger,
Bauer, Edelmann.“ An die Stelle des wie
der Fehlenden ist ein nostalgisches Hei-
matgefühl getreten, das auch die DDR-
Vergangenheit einschließt. Manfred
Stolpe und Regine Hildebrandt reprä-
sentierten den daraus erwachsenen
Politikstil. Doch was im Westen unter
den Zumutungen des Reformdrucks
manchmal belächelt wird – der Bran-
denburger Weg – enthält manches
Gute. Es gilt noch der Satz: Wer verän-
dern will, trägt die Beweislast. Man ist
näher an der Vergangenheit, an den
Wurzeln und an der Geschichte. Und
allmählich dämmert es allen, dass
diese Vergangenheit die Zukunft ist. Ein
Industrieland wird die Mark nicht, der
Garten eines erneuerten Berlins schon.
Auch deshalb liegt in der Fusion beider
die eigentliche Chance, nicht für ein
neues Preußen, aber doch für ein Bun-
desland, das der historischen Tradition
auch eine wirtschaftliche Basis zu
geben vermag. Insofern sind gerade die
adligen Rückkehrer, die es gibt, wie die
Marwitzens und die Hardenbergs, ein
Zeichen für die Zukunftsfähigkeit der
Wiege Preußens. Und in einem sind
sich alle, ob zurückgekehrter Adel,
wiedereinrichtende Bauern oder ehe-
malige Kommunisten, ob CDU, SPD
oder PDS einig:„In Staub mit allen Fein-
den Brandenburgs.“
Alexander Gauland
8
Alexander Gaulandist promovierter Jurist und Herausgeber
der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ in Potsdam.
Zuletzt erschien von ihm die „Anleitung zum Konservativsein“,
Deutsche Verlagsanstalt 2002.
Die Jahre nach der Wende waren
gekennzeichnet durch den gleichzeiti-
gen Zusammenbruch einer früheren
Gesellschaftsordnung und den Neu-
aufbau von Rechtsstaat, Unternehmen,
Arbeitsplätzen, Kommunen und Bürger-
gesellschaft. Mit großem Mitteleinsatz
wurden neue Infra- und Verwaltungs-
strukturen geschaffen sowie industrielle
Kerne entwickelt. Dabei sind viele nicht
mehr wettbewerbsfähige Arbeitsplätze
verloren gegangen. Der Neuaufbau des
Bildungs- und Verwaltungssystems ori-
entierte sich in der Regel an alten west-
deutschen Erfahrungen, die zu ihrer
schnellen Funktionstüchtigkeit führten.
Diese erste Phase des Aufbaus ist
jetzt abgeschlossen. Nun müssen wir
uns neu orientieren. Die Ausrichtung
an westdeutschen Vorbildern hilft uns
nur noch bedingt weiter. Denn am
Beginn des 21. Jahrhunderts haben wir
es in Brandenburg mit anderen, neuen
und teilweise beispiellosen Rahmen-
bedingungen zu tun.
Deshalb ist es Zeit für eine neue
Etappe – einen Weg, der Perspektiven
und Orientierung schafft für alle Bürger
im Land, für Männer und Frauen, für Kin-
der und Ältere. Brandenburg soll Heimat
zum Wohlfühlen sein. Genau deshalb
muss Brandenburg im 21. Jahrhundert
auch die Heimat für geistreiche Ideen
sein. Die Zukunft unseres Heimatlandes
entsteht nicht in großen Sprüngen: Vor
uns liegen viele kleine Schritte. Entschei-
dend ist, dass wir heute unsere Aus-
gangslage klar analysieren,wir dann den
richtigen Kurs einschlagen – und diesen
zukünftig unbeirrt beibehalten. Die
Nachwendezeit ist vorbei. Jetzt braucht
Brandenburg einen neuen Anlauf.
9
Zukunft, Arbeit und Familie –Unser Weg für Brandenburg
Von Matthias Platzeck
1. Die erste Aufbauphase ist abgeschlossen
In den letzten Jahren hat Branden-
burg viel erreicht: mit 76 % des Niveaus
der alten Bundesländer beim Bruttoin-
landsprodukt je Erwerbstätigen liegt
unser Land auf dem Spitzenplatz unter
den neuen Bundesländern. Doch trotz-
dem: Momentan erwirtschaftet Bran-
denburg nur etwa 45 % seines Haushal-
tes durch eigenes Steueraufkommen.
Mit dem Solidarpakt II sind bis 2019 die
– schrittweise sinkenden – Finanztrans-
fers nach Ostdeutschland festgeschrie-
ben. Damit ist auch der Zeitraum abge-
steckt, bis das Land auf eigenen Füßen
stehen muss.
Das bedeutet: Es bleiben uns noch 15
Jahre, um Brandenburg für die Zukunft
fit zu machen. Der Weg dorthin ist stei-
nig und verläuft unter neuen Rahmen-
bedingungen:
• Bereits heute gibt es bei uns ein gut
ausgebautes Hochschul- und For-
schungsnetzwerk. Daneben gibt es
eine Vielzahl von Industrieunterneh-
men mit guten Produkten und hohen
Wachstumsraten. Deren Wirtschafts-
kraft ist jedoch noch zu gering, was
sich unter anderem in relativ niedri-
gen Exportanteilen niederschlägt.
• Unser Land hat viele Einwohner vor
allem in den ländlichen Regionen ver-
loren – und mit ihnen kreatives und in-
tellektuelles Potential, denn die meis-
ten der Abwanderer sind jung und
überdurchschnittlich gut ausgebildet.
Die Abwanderung verschärft den
zunehmenden Fachkräftemangel.
• Der Zuzug in das Berliner Umland –
und damit die Gleichzeitigkeit von
Wachstum und Schrumpfung im Land
– vergrößert die Entwicklungsunter-
schiede innerhalb Brandenburgs. Wir
müssen zwei auseinanderdriftende
Regionen – das Berliner Umland und
die berlinfernen Regionen – einfalls-
reich miteinander verklammern.
• Unsere älter werdende Gesellschaft
birgt neue Herausforderungen für
alle gesellschaftliche Bereiche und
den Staat.
• Nach wie vor verzeichnen wir geringe
Geburtenzahlen.Brandenburg braucht
wieder mehr Kinder.Wir müssen heute
unsere Anstrengungen verstärken, ein
familienfreundliches Umfeld zu schaf-
fen – damit Frauen wieder Kinder be-
kommen (wollen) und unser Land
attraktiv wird für neu hinzuziehende
Bürger.
• Die neue Lage Brandenburgs im Zen-
trum eines zusammenwachsenden
Europa schafft neue Chancen für
Wirtschaft und Arbeitsmarkt, die wir
erkennen und nutzen müssen.
Matthias Platzeck
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2. Chancen schaffen und nutzen:Warum wir unser Land in den nächsten 15 Jahren verändern
Diese Herausforderungen sind in ihrer
Ballung neu – und sind besondere Merk-
male Brandenburgs und der übrigen
neuen Bundesländer. Es gibt keine ferti-
gen Blaupausen oder westdeutsche Er-
fahrungen, die uns helfen könnten, mit
einer solchen Situation umzugehen.
Wenn wir diese Herausforderungen
meistern wollen, muss Brandenburg
deshalb zum Land von Einfallsreichtum
und Erneuerung in Wirtschaft und Ge-
sellschaft werden. Und es muss wieder
zum Land der Kinder werden. Um neue
Perspektiven zu schaffen, brauchen wir
neue politische Spielräume. Spielräume
für eine Politik der mutigen Erneuerung.
Spielräume, um in Kinder und Familien,
in Schulen und Hochschulen und in
Fachkräfte zu investieren. Spielräume,
um Phantasie, Tatkraft und Gemeinsinn
zu fördern. Das ist unser Weg für Bran-
denburg.
Die wichtigste Voraussetzung für
eine lebens- und liebenswerte Heimat,
die Perspektiven für Familien bietet
und in der sich ältere Menschen wohl
fühlen können, sind Arbeitsplätze.
Arbeitsplätze und neue Produkte ent-
stehen heute und in Zukunft durch
„kreative Problemlöser“ – das heißt, wir
müssen verstärkt in Menschen inves-
tieren. Damit Unternehmen gute Pro-
dukte auf den Markt bringen können,
damit sie neue Märkte erschließen und
höhere Löhne erwirtschaften können,
brauchen wir eine funktionierende In-
frastruktur, eine leistungsfähige Ver-
waltung und vor allem zeitgemäß aus-
gebildete Fachkräfte. Dazu gehört eine
gute Kinderbetreuung und Bildung, die
zu Verantwortung und Gestaltungs-
kraft erzieht. Deshalb müssen wir
unser Augenmerk in Brandenburg auf
ein klar strukturiertes und qualitativ
hochwertiges Bildungssystem, auf ein
forschungsfreundliches Hochschulum-
feld, auf die Vernetzung von Unterneh-
men und Hochschulen und auf Spezia-
lisierung legen. Unsere Politik besteht
darin, Arbeit mit Bildung und For-
schung zu verschmelzen und um eine
moderne Familienpolitik zu ergänzen.
Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg
11
3. Zusammenhänge erkennen: Erfolg hat Voraussetzungen
Das ist keinesfalls ferne Zukunfts-
musik. Erfolg versprechende Branchen
in Brandenburg gibt es bereits heute.
Diese positiven Ansatzpunkte müssen
wir unterstützen und ausbauen. Zu
ihnen gehören die Luftfahrtbranche, der
Energiesektor, die Medienbranche, die
Bio- und Gesundheitstechnologie und
der Tourismus. Unser neuer Ansatz
heißt: zukunftsfähige Branchen zusam-
menführen, untereinander vernetzen
und Bedingungen schaffen, damit die
bereits vorhandene dynamische Ent-
wicklung beschleunigt werden kann.
Die Zukunft Brandenburgs liegt in hoch
produktiven Bereichen, liegt in wissens-
intensiven Arbeitsplätzen, in denen
hohe Löhne erwirtschaftet werden kön-
nen. Solche Arbeitsplätze entstehen
hauptsächlich aus der intensiven Zu-
sammenarbeit zwischen Unternehmen
und Hochschulen, Forschung und Ent-
wicklung. Erst wenn wir diese Bereiche
zusammen denken, wird sich neue wirt-
schaftliche Dynamik entfalten. Die fol-
genden Maßnahmen gehören für uns
dazu:
• Wir wollen für die verschiedenen
Branchen integrierte Entwicklungs-
strategien zusammen mit Hoch-
schulen, Forschungseinrichtungen,
Unternehmen, Schulen und den
Selbstverwaltungseinrichtungen der
Wirtschaft entwickeln. Die Politik
kann Entwicklungen nicht ver-
ordnen. Aber sie kann potentielle
Partner zusammenbringen und
ihrerseits Anreize schaffen. Das wirt-
schaftliche Erbe der DDR war eine
schwere Hypothek. Wir müssen uns
heute von der Erwartung verabschie-
den, dass allein durch staatliche
Großinvestitionen tausende Arbeits-
plätze geschaffen werden können.
Stattdessen müssen wir uns auf un-
sere eigenen Stärken konzentrieren,
uns mit einer Politik der vielen
Schritte auf die vorhandenen Stand-
orte konzentrieren und diese aus-
bauen.
• Die Forschungsausgaben der ostdeut-
schen Unternehmen sind nach wie vor
sehr gering, deshalb ist eine öffent-
liche Forschungsförderung zwingend
für unser Land. Wir brauchen heute
mehr Forschung und Entwicklung, um
morgen fit für die Zukunft zu sein. Wir
wollen helfen, die bestehenden For-
schungsstandorte weiter zu fördern
und auszubauen sowie durch aktives
Einwerben neue Forschungseinrich-
tungen gewinnen. Bereits heute ist
Brandenburg das einzige Bundesland,
das in den vergangenen Jahren seine
Haushaltsmittel für Wissenschaft und
Forschung nicht gekürzt, sondern auf-
Matthias Platzeck
12
4. Zukunft wird Gegenwart: Erste Erfolge sind schon sichtbar
gestockt hat. Diesen Kurs wollen wir
fortsetzen: Trotz der schwierigen
Haushaltslage werden wir die Aus-
gaben im Hochschul- und Forschungs-
sektor weiter stabil halten und alles
versuchen, sie weiter aufzustocken.
• Wir brauchen den Flughafen BBI, um
das Cluster im Bereich der Luftfahrt
auszubauen. Der Flughafen soll stu-
fenweise gebaut werden – die erste
Stufe soll 2010 in Betrieb gehen. Die
TFH Wildau wollen wir zu einem Zen-
trum für Luftfahrttechnik ausbauen.
• Wir wollen eine Tourismusförderung
aus einer Hand und verstärkt neue
Märkte erschließen – Gesundheits-
und Seniorentourismus sind große
Wachstumsfelder der Zukunft. Der
Bedarf an qualifizierten Fachkräften
im Bereich Tourismus wird weiter
zunehmen. Deshalb setzen wir uns
für die Schaffung eines Studiengangs
für Internationale Tourismuswirt-
schaft in Brandenburg ein. Ein solcher
Studiengang wird wirtschaftliche
Impulse auslösen, den Bildungsstan-
dort bereichern und das Tourismus-
land Brandenburg beleben.
• Unsere Unternehmen stehen vor
einem lohnpolitischen Dilemma, da
sie auf der einen Seite höhere Löhne
(noch) nicht erwirtschaften können,
ihnen aber auf der anderen Seite auf-
grund der niedrigen Löhne Fach-
kräfte abhanden kommen. In den
nächsten Jahren müssen wir neue
Wege gehen, um die nach wie vor
vorhandenen Lohndifferenzen auszu-
gleichen – damit wir in Zukunft qua-
lifizierte Fachkräfte im Land halten
können. Erste Kommunen gehen sol-
che neuen Pfade, indem sie Wohnun-
gen oder Grundstücke kostenlos
abgeben und auf diese Weise Anreize
dafür bieten, dass Menschen bleiben
oder sogar neu zuwandern. Dabei ist
es auch im Interesse der Branden-
burger Wirtschaft, die Menschen an
ihre Heimat zu binden. Ansiedlungs-
politik bezieht sich heute nicht mehr
nur auf Unternehmen, sondern – in
Zeiten ständig wachsender Mobilität
– auch auf deren Mitarbeiter. Wir
wollen es Kommunen ermöglichen,
solche neuen Wege einschlagen zu
können. Verbilligter Wohnraum kann
für viele Fachkräfte ein Anreiz sein,
hier zu bleiben oder hierher zu kom-
men. Auf diese Weise würden Löhne
durch Sachleistungen ergänzt. Sol-
che schöpferischen Initiativen müs-
sen vor Ort entstehen. Unternehmen
haben das Interesse, ihre Fachkräfte
zu halten – Kommunen wiederum
haben das Interesse, Menschen anzu-
ziehen und ihr Stadtbild zu ent-
wickeln. Gemeinsam kann es ihnen
gelingen, ihre Ziele zu erreichen.
Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg
13
Der wichtigste Rohstoff unseres Lan-
des steckt in unseren Köpfen. Dort ent-
stehen neue Ideen. Innovationen und
Kreativität lassen sich nicht verordnen,
sie müssen wachsen und in einem
fruchtbaren Umfeld gedeihen können.
Aber der Boden dafür muss bereitet sein.
Die Voraussetzungen für Forschung und
Entwicklung liegen in der guten Hoch-
schul- und Forschungslandschaft, die wir
in Brandenburg in den vergangenen Jah-
ren aufgebaut haben. Für uns ist es wich-
tig, die in unserem Heimatland entstan-
denen Potenziale optimal zu nutzen und
neue zu aktivieren. Dafür brauchen die
Hochschulen und Fachhochschulen mehr
Luft. Wir wollen ihnen Schritt für Schritt
mehr Freiheit lassen und dabei deutsch-
landweit eine Vorreiterrolle übernehmen:
• Der Hochschulsektor soll entbürokra-
tisiert und unabhängig vom Wissen-
schaftsministerium werden. Die Hoch-
schulen sollen ihre Professoren selbst
ernennen und anstellen können. Das
ist verbunden mit der Notwendigkeit,
die Verbeamtung in Deutschland neu
zu regeln. Darüber hinaus sollen die
Hochschulen auch ihre Studenten
selbst aussuchen können.
• Wir wollen Bildungschancen für alle
verbessern. Deshalb legt das Land ein
Stipendienprogramm zur Förderung
begabter, aber sozial benachteiligter
Brandenburger Studenten auf, um
innovative Leistungen zu fördern.
• Nach den Vereinbarungen zur Stär-
kung zukunftsträchtiger Branchen
(siehe Punkt 4) wollen wir die ent-
sprechenden Fachbereiche an Fach-
hochschulen und Universitäten stär-
ker fördern.
Die Schule ist die Basis für erfolg-
reiche Studenten und qualifizierte
Fachkräfte. Deshalb müssen wir die in
den vergangenen Jahren eingeleitete
Bildungsoffensive weiterentwickeln:
Wir wollen bessere und kreativere
Schulen. Neben dem Lernen muss die
Erziehung zu Selbständigkeit und Wis-
sensdurst, Partnerschaftlichkeit und
sozialer Gerechtigkeit in den Mittel-
punkt der Schulen gestellt werden:
Matthias Platzeck
14
5. Ideen brauchen Freiheit:Vorfahrt für Gestaltungskraft an unseren Hochschulen
6. Lernen und Bildung für alle:Schule muss Neugierde und Wissensdurst fördern
• Wir wollen für alle Schulanfänger
eine flexible Eingangsphase vom
Kindergarten in die Grundschule,
damit ihre individuelle Leistungs-
fähigkeit stärker berücksichtigt wer-
den kann. In dieser Eingangsphase
verbringen die Kinder zwei bis drei
Jahre und gehen dann in die 3. Klasse
über. Die Einschulung beginnt in
Zukunft mit 5 1/2 Jahren.
• Die Schüler sollen in der Regel inner-
halb von 12 Jahren bis zum Abitur
oder zum Berufsabschluss geführt
werden.
• Wir brauchen in Zukunft mehr hoch
qualifizierte Fachkräfte. Deshalb soll
die Abiturientenquote langfristig
auf 50 % steigen.Wir wollen dadurch
mehr Menschen „schlau“ machen,
ohne die Qualität der Ausbildung zu
senken. Dass dies möglich ist,
machen uns andere europäische
Länder erfolgreich vor.
• Alle einschlägigen Studien zeigen,
dass ein langes gemeinsames Lernen
und eine möglichst späte Selektion
sich positiv auf die Lernergebnisse nie-
derschlagen. Brandenburgs Schüler
sollen auch weiterhin mindestens
sechs Jahre gemeinsam lernen.
• Das Schulsystem soll übersichtlich
und klar strukturiert sein. Deshalb set-
zen wir – nach der Grundschule – auf
die beiden Schulformen Gymnasium
und Sekundarschule. Ein solches
Modell ermöglicht auch im ländlichen
Raum qualitativ gute Schulen in ak-
zeptabler Entfernung zum Wohnort.
• Wir wollen die Zusammenarbeit zwi-
schen Schulen, Hochschulen und
Wirtschaft weiter intensivieren. Un-
ternehmen sollen in die Schulen kom-
men, Schüler und Lehrer in die Unter-
nehmen gehen. Zusammen mit
Hochschulen und Unternehmen soll
ein stärkeres Augenmerk auf die
Berufs- und Studienwahl gelegt so-
wie auf zukunftsträchtige Tätigkeits-
felder orientiert werden. Dazu haben
wir in Brandenburg bereits einen bun-
desweit einmaligen Kooperations-
vertrag „Netzwerk Zukunft. Schule
und Wirtschaft für Brandenburg“ zwi-
schen Unternehmerverband, Gewerk-
schaften, IHKs, Hochschulen und
Schulen. Dieses System wollen wir
weiter ausbauen und dafür sorgen,
dass die Zusammenarbeit mit Wirt-
schaft und Hochschule in allen Schu-
len Wirklichkeit wird.
• Wirtschaftliche Zusammenhänge las-
sen sich am besten in der Praxis erler-
nen. Wir unterstützen die Gründung
von Schülerfirmen.
• Wir wollen für eine moderne Ler-
numgebung sorgen. Alle Schüler
bekommen einen E-Mail-Zugang.
Wir wollen, dass Bibliotheken zum
Mittelpunkt der Schulen und gleich-
zeitig kultureller Treffpunkt im Ort
Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg
15
oder Ortsteil werden. Für die Aus-
stattung der Bibliotheken wollen wir
die Wirtschaft als Kooperationspart-
ner gewinnen.
Familie ist die Sache aller. Unser Ziel ist
es, dass es in Brandenburg mehr Fami-
lien und mehr Kinder gibt. Familie ist
nicht nur da, wo Kinder sind. Familien
sind auch der Ort, wo Jung und Alt
zusammen leben, sich umeinander
kümmern, Verantwortung füreinander
übernehmen. Familien sind Orte der
Solidarität und der Zusammengehörig-
keit von Generationen. Familien, Kinder
und ältere Menschen sollen sich in Bran-
denburg wohl fühlen. Mehr Familien tun
unserem Land gut.Wir wollen die Bedin-
gungen – vor allem für Frauen – so ver-
bessern, dass Familie und Beruf besser
unter einen Hut gebracht werden kön-
nen. Frauen sollen stärker als bisher am
Erwerbsleben teilnehmen können, da-
mit sie ihre Schaffenskraft und Kreati-
vität nutzen können. Frauen erheben
darauf einen selbstverständlichen An-
spruch – und wir können es uns in Zu-
kunft nicht mehr leisten, Frauen zuerst
gut auszubilden und sie dann mit ihren
Kindern ohne Chancen auf Teilhabe am
Erwerbsleben zu Hause zu lassen.
Hinzu kommt: Ein Großteil unserer
derzeitigen und zukünftigen ökonom-
ischen und gesellschaftlichen Schwier-
igkeiten hat demografische Ursachen.
Nicht, dass wir immer älter werden, ist
unser Problem, sondern dass wir zu
wenig Kinder bekommen. Deshalb
brauchen wir auch in Zukunft ein gut
ausgebautes Kinderbetreuungssystem
– wie es in Brandenburg zurzeit exis-
tiert. Brandenburg hat die höchste
Angebotsdichte für Kleinkinder in ganz
Deutschland. Dabei muss es bleiben –
dieser Brandenburger Weg ist ein Vor-
bild für andere Länder. Dieses System
wollen wir in den kommenden Jahren
durch verbindliche Bildungsstandards
für die Kitas weiterentwickeln. Neben
einer modernen Kinderbetreuung
brauchen wir aber auch familien-
freundliche Unternehmen. Unser Ziel
ist es, dass wieder mehr Kinder in Bran-
denburg geboren werden. Dafür müs-
sen die Bedingungen stimmen:
• Wir wollen einen Wettbewerb auslo-
ben und damit die Familienfreundlich-
keit von Unternehmen auszeichnen.
• In Kooperation mit den Wohlfahrts-
verbänden setzen wir uns dafür ein,
dass Babysitter-, Tagesmutter- und
Matthias Platzeck
16
7. Die Kreativität der Menschen nutzen:Warum es auf Frauen und Familien ankommt
Pflege-Zentrale eingerichtet werden.
Sie soll helfen, wenn Hilfe gebraucht
wird und qualifizierte Unterstüt-
zung für Familien bieten. Gerade
auch, wenn es mal schnell gehen
muss.
• Gemeinsam mit Unternehmen, Ge-
werkschaften und Familieninitiativen
rufen wir ein „Bündnis für Familien“
ins Leben. Dort sollen konkrete Maß-
namen verabredet werden, die wir
Brandenburg kinder- und familien-
freundlicher machen können. Der
solidarische Umbau unserer Kommu-
nen, alters- und kindergerecht, soll
auf diese Weise begleitet werden.
Ideen und Innovation sind die Vor-
aussetzungen für den Erfolg Branden-
burgs. Bereits zu Zeiten der DDR be-
wiesen die Brandenburgerinnen und
Brandenburger ihren Einfallsreichtum,
wenn es darum ging, in schwieriger
Lage pragmatische Lösungen zu fin-
den. Heute wird wieder jeder Einzelne
mit seinen Ideen gebraucht, die das
Land voran bringen können. Im 21. Jahr-
hundert wollen wir wieder ein Land
der Ideen werden – ohne dabei den
Boden unter den Füßen zu verlieren.
Wir vertrauen nicht auf vermeintliche
Sofortlösungen von außen, sondern
auf die wachsenden Fertigkeiten und
Potentiale der selbstbewussten Men-
schen in unserem Land. Auch im 21.
Jahrhundert bleiben die Erfahrungen
und Kenntnisse der Brandenburgerin-
nen und Brandenburger unser wichtig-
ster Rohstoff. An ihre Traditionen und
Erfahrungen knüpfen wir an, denn
Zukunft braucht Herkunft.
Einfallsreichtum und Gestaltungs-
kraft sind Mittel zum Zweck. Gerade in
schwierigen Zeiten ist Phantasie ge-
fragt. Engagement von jedem ist not-
wendig, wenn wir erfolgreich sein wol-
len. Eine Kultur der Innovation und
Kreativität stärkt die Motivation aller
und spornt zu höheren Leistungen an.
Deshalb wollen wir die Landesverwal-
tung umbauen. Wir brauchen den
„schnellen“, hellwachen und innovati-
ven Staat, der Partner auf gleicher
Augenhöhe ist und den Menschen
hilft, ihre Ideen zu verwirklichen. Auch
deshalb soll Brandenburg zum bun-
desweiten Vorreiter bei der elektroni-
schen Verwaltung werden. Wir wollen
Bürgerterminals in erreichbarer Nähe
schaffen, an denen Behördengänge
erledigt werden können.
Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg
17
8. Ideen für Brandenburg: Wie sich eine moderneKultur der Kreativität und Innovation entwickeln wird
Bürgerliche Eigeninitiative in den
vielen Vereinen und Nachbarschaften,
in den Gemeinden und Stadtteilen
entsteht an den Graswurzeln der Ge-
sellschaft. Wir brauchen diese Gestal-
tungskraft und Autonomie der Gesell-
schaft, wir brauchen diese lebendige
Kultur des Mitmachens, die Eigen-
initiative, Verantwortung und Gemein-
sinn pflegt. Mit einem Wettbewerb
wollen wir solche Projekte für Bürge-
rengagement unterstützen. Die Bedin-
gungen für dieses Engagement müs-
sen stimmen – denn nur so können wir
die nötige Schubkraft entwickeln, die
wir brauchen, damit Brandenburg bis
2020 auf eigenen Füßen stehen kann.
Matthias Platzeck
18
Matthias PlatzeckMinisterpräsident des Landes Brandenburg und
Vorsitzender des SPD-Landesverbandes Brandenburg
„Ein anderes Mal“, so beginnt eines
der Abenteuer des Barons von Münch-
hausen, „wollte ich über einen Morast
setzen, der mir anfänglich nicht so
breit vorkam, als ich ihn fand, da ich
mitten im Sprunge war. Schwebend in
der Luft wendete ich daher wieder um,
wo ich hergekommen war, um einen
größeren Anlauf zu nehmen. Gleich-
wohl sprang ich auch zum zweiten
Male noch zu kurz, und fiel nicht weit
vom anderen Ufer bis an den Hals in
den Morast. Hier hätte ich unfehlbar
umkommen müssen, wenn nicht die
Stärke meines eigenen Armes mich an
meinem eigenen Haarzopfe, samt dem
Pferde, welches ich fest zwischen
meine Knie schloß, wieder herausgezo-
gen hätte.“ Vermag auch eine Region
sich am eigenen Zopf aus dem wirt-
schaftlichen Sumpf zu ziehen? Und
wie sollte so etwas möglich sein?
Meine These lautet: Durch kontinuier-
liche und nicht abbrechende Evolution
aus eigener Kraft. Ich sehe jedenfalls
keine überzeugende Alternative zu die-
sem „Münchhausen-Prozess“.
„ Das Praktischste was es gibt, ist eine
gute Theorie“, sagt Kant. Ich maße mir
nicht an, eine Theorie als gut oder
schlecht zu bezeichnen. Ich behaupte
allerdings, dass die Entwicklungspro-
bleme Ostdeutschlands – erst jüngst in
einem Aufsehen erregenden SPIEGEL-
Titelthema (Heft 15/04) anschaulich
illustriert – auch eine Folge theore-tischer Schieflagen sind. Denn alles, was
in der Wirtschaftspolitik passiert, hat
eine theoretische Grundlage, auch
wenn die Verantwortlichen glauben,
ausschließlich autonom und eigen-
ständig ihre Entscheidungen zu treffen.
Doch dem ist keineswegs so. Der Öko-
nom John Maynard Keynes hat dieses
Problem treffend beschrieben: „Die
Ideen der Ökonomen und Staatsphilo-
sophen, seien sie im Recht, seien sie im
Unrecht, sind einflußreicher, als ge-
meinhin angenommen wird. In der Tat,
die Welt ist durch nicht viel anderes
beherrscht. Praktiker, die sich ganz frei
von intellektuellen Einflüssen glauben,
sind gewöhnlich die Sklaven irgend-
eines verblichenen Ökonomen (defunct
19
Ostdeutschland in der EntwicklungsfalleOder: Die Münchhausen-Chance
Von Jochen Röpke
economist).“ Die theoretischen Wurzeln
bestimmter Programme und Konzep-
tionen freizulegen ist deshalb unver-
zichtbar, um Fehlentwicklungen aufzu-
zeigen und neue Handlungsmöglich-
keiten zu erschließen 1.
Stellen wir deshalb zunächst zwei
theoretische Ansätze der Wirtschafts-
theorie gegenüber: die vorherrschende
„Mainstreamtheorie“ (so genannte Neo-
klassik, vulgo „Neoliberalismus“) einer-
seits und die auf den österreichischen
Wirtschaftstheoretiker Joseph Schum-
peter (1883-1950) zurückgehende Ent-
wicklungstheorie andererseits. Die eine
läßt Münchhausens Pferd samt Reiter im
Sumpf landen, die andere dagegen er-
laubt es, sich aus eigener Kraft aus dem
Morast zu befreien. Eine für Ostdeutsch-
land nicht ganz reizlose Perspektive.
Den vorherrschenden und mit be-
trächtlicher wissenschaftlicher und in-
teressenpolitischer Verve vorgetragenen
Ansatz bezeichne ich als „Inputlogik“:
Mehr und optimal eingesetzte Ressour-
cen (Wissen, Qualifikation, Kapital, usw.)
erzeugen danach mehr Wachstum
inklusive Arbeitsplätze. Den zweiten
Ansatz bezeichne ich als „Innovations-
logik“: Entwicklung ist danach eine
Funktion der Neukombination der in
einem System jeweils verfügbaren Pro-
duktionsfaktoren. Im schumpeterschen
Paradigma erzeugen diese Neukombi-
nationen Wirtschaftswachstum; dieses
wiederum bewirkt zusätzliche Ressour-
cen („Inputwachstum“).
Kein Ansatz dominiert in reiner Form.
Wie ein chinesisches Sprichwort sagt:
Fische können in reinem Wasser nicht
leben. In der wissenschaftlichen und
wirtschaftspolitischen Debatte um die
Zukunft des „Standorts Deutschland“
und des „Aufbaus Ost“ ist allerdings
unschwer eine inputlogische Lufthoheit
auszumachen. Die Unterschiede der
zwei grundverschiedenen Ansätze zeigt
Tabelle 1 im vereinfachten Überblick:
Jochen Röpke
20
1 Zu den regionaltheoretischen und – politischen Grundlagen meiner Ausführungen möchte ich auf die Arbeit von JörgAßmann, Innovationslogik und regionales Wirtschaftswachstum, Marburg (Mafex), 2003 verweisen. Sie enthält einedetaillierte Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden und in weiten Bereichen unwirksamen Ansatz und entfalteteine auf Schumpeter gründende Alternative regionaler Entwicklung.
1. Die Quellen des Wachstums: Input- versus Innovationslogik
Alles, was in der Spalte „Neoklassik/
Mainstream“ steht, sind Aspekte des
vorherrschenden wirtschaftspolitischen
Paradigmas. Die hier verfügbaren Akti-
onsparameter sind für eine Entwick-
lungsgesellschaft jedoch funktionslos.
Sie optimieren das Bestehende. In einer
offenen Region bewirken sie schlei-
chende Stagnation und „effiziente Ver-
armung“; immerhin noch effizientem
Verhungern vorzuziehen. Münchhausen
im Morast. Erst in Verbindung mit dem
Schumpeter-Paradigma macht diese
Mainstream-Logik entwicklungsstrate-
gischen Sinn. Sie ist also nicht unsinnig,
nur kann sie – für sich alleine genom-
men – keine Region aus der Entwick-
lungskrise führen. Sie schafft Modelle
wirtschaftlicher Erscheinungen, ohne
den Mechanismus der Entwicklung zu
begreifen, der diese Erscheinungen
überhaupt erst hervorbringt.
Durch ein bloßes „Hineinpumpen“
von Ressourcen in die Maschine Wirt-
schaft läßt sich keine Entwicklung
erzeugen. Denn Entwicklung ist ein
qualitatives Phänomen. „Es können
noch so viele Postkutschen produziert
werden, und es werden daraus keine
Eisenbahnen entstehen.“ Mit diesen
Worten formuliert der Entwicklungs-
theoretiker Schumpeter die klassische
Kritik an dieser Logik. Und:„Es waren im
Allgemeinen nicht die Postmeister, wel-
che die Eisenbahnen gründeten“.2 Aus
einer Dampfmaschine wird keine Glüh-
Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle
21
Aspekte Neoklassik/Mainstream SchumpeterQuelle des regionalen Inputvermehrung Neukombination
Wachstums (Inputlogik) (Innovationslogik)
Träger des Wachstums Routine, „Unternehmer“
„Homo Oeconomicus“,„Wirt“ (Innovator)
Funktion von Wissenschaft/ Produzent von neuem Wissen Ohne Durchsetzung bleibt
Forschung Anwendung des Wissens in Wissen „tot“:
Form von Patenten, Lizenzen, unternehmerische Wissens
durch Transfer: gesellschaft
„Wissensgesellschaft“
Peter Drucker „Die Dinge richtig tun“ „Die richtigen Dinge tun“
Biologie des Lebens Kaltblüter (Dinosaurier) Warmblüter (Säugetiere)
Allokation der Faktoren Optimale Allokation der Neukombinationen lassen
Ressourcen „Wer optimiert sich nicht optimieren
gewinnt“ „Wer optimiert verliert“
Motivation Hedonismus, Gewinn, Leistungsmotivation, Freude
extrensisch am Gestalten, intrinsisch
Tabelle 1:
2 Joseph Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 8. Auflage, Berlin, 1964, S. 101.
birne, aus dieser kein Automobil, und
aus diesem kein Computer. Wirtschaft,
Wissenschaft und das System der In-
novation funktionieren nicht auf der
Grundlage von Input und Output. Sie
verfügen schlicht nicht über Mecha-
nismen, die dies erlauben könnten. Sie
sind daher auch nicht instruierbar. Wer
solches versucht, zerstört sie. Ost-
deutschland ist nur eine weitere Illus-
tration dieser Einsicht. Durch Transfers –
importierte Kaufkraft – zerstört. Seit der
Wiedervereinigung beläuft sich die
Kaufkraftübertragung auf 80.000 € pro
Einwohner der neuen Bundesländer.
Wo immer sich Entwicklung dem-
gegenüber tatsächlich vollzieht, ist der
Mechanismus stets der gleiche: Selbst-
erzeugung von Kaufkraft und Ressour-
cen. Diese Logik ist auf den ersten Blick
natürlich schwer zu akzeptieren. Sie
entzieht denen, die mit Außensteue-
rung, Transfers (von cash, Wissen, Egos)
und Beratung ihre Geschäfte machen,
die Geschäftsgrundlage. Auch eine
Entwicklungswirtschaft operiert na-
türlich nicht ohne Ressourcen. Was sie
von einer inputlogischen Wirtschaft
unterscheidet, ist ihre Operationswei-
se, ihr anderer Umgang mit Inputs.
Eine Innovationswirtschaft transfor-
miert nicht, weil sie über mehr Res-
sourcen verfügt und die verfügbaren
Ressourcen optimal einsetzt, sondern
weil sie die Ressourcen neu kombi-
niert. Dies ist der entscheidende und im
„Schumpetermodell“ auch einzige Un-
terschied. In den Worten Schumpeters:
„Es gäbe auch dann noch wirtschaft-
liche Entwicklung, wenn alle diese [für
neoklassisches oder inputlogisches
Wachstum notwendigen Elemente]
fehlen würden.“ 3 Aus diesem Unter-
schied läßt sich nahezu alles Weitere
ableiten – auch die erforderliche Wirt-
schaftspolitik.
Der Managementphilosoph Peter
Drucker unterscheidet zwischen dem
Tun richtiger Dinge (doing the rightthings) und dem richtigen Tun von Din-
gen (doing things right). Um die rich-
tigen Dinge zu tun (Ressourcen neu
kombinieren: Unternehmertum), muss
man die Dinge nicht richtig tun (den
Einsatz von Ressourcen optimieren:
Management). Eine Region kann das
Falsche optimieren (z.B. Güter höchst
effizient produzieren, die aber nur
noch bei niedrigen Löhnen rentabel
sind), oder das Richtige falsch machen
Jochen Röpke
22
2. „Doing the right things“
3 Joseph Schumpeter Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1. Auflage, Leipzig, 1911, S. 487.
(Innovationsgüter, unvermeidlicher-
weise, ineffizient produzieren). Die
Grundidee an einem konkreten Bei-
spiel: Eine nicht effizient hergestellte
Lokomotive wird eine effizient produ-
zierte Postkutsche immer aus dem
Markt werfen.
Niedrige Löhne seien schon lange
kein Vorteil mehr, schrieb Drucker
bereits 1988 (!), als er die Wettbewerbs-
fähigkeit neuer Branchen und Unter-
nehmen gegenüber etablierten unter-
suchte. Nicht Wettbewerb aufgrund
von Lohnunterschieden entscheidet
danach über die Zukunft eines Unter-
nehmens, sondern die Kompetenz des
Managements – die Produktivität des
Umgangs mit Wissen und Geld, Pro-
zesstechnologie, Qualität, Design, nicht
zuletzt Innovation. 4 Die in der Stagna-
tions- und Rückbildungsphase tätigen
Unternehmen sehen das naturgemäß
völlig anders. Wer nicht neukombiniert,
muß die Löhne senken. Am fiktiven,
aber realitätsnahen Beispiel: „Zur Stär-
kung unserer Wettbewerbsfähigkeit
gegenüber der Eisenbahn und dem
Automobil und zur Erhaltung der
Arbeitsplätze fordern wir eine dras-
tische Senkung der Löhne!“ (Verband
der Postkutschen- und Pferdefuhrwerk-
manufakturen e.V.). Einhundert Jahre
später ein Replay: „Die Firma Waggon-
bau Ammendorf war ein Vorzeigemo-
dells des Kanzlers, nun steht sie vor
dem Aus. Ein Lehrstück über den Auf-
bau Ost“ (DER SPIEGEL, Heft 13/2004).
Ostdeutsche Stimmungen im Jahr
2004: „Eher kommt Olympia als ein In-
vestor.“ – „Wir können es uns nicht leis-
ten, dass die Industrie weiter den Bach
runtergeht.“5 Warum auf Investoren
warten? Sie kommen, greifen ab – und
gehen. Die Beispiele sind täglich in den
neuen Bundesländern zu besichtigen.
Die Hiobsbotschaften reißen nicht ab.
Sie sind die Folgen „wurzellosen Invest-
ments“. Wie kommt eine Universitäts-
stadt wie Halle überhaupt auf die Idee,
nach „Investoren“ zu suchen, wenn die
(unternehmerische) Universität voller
potentieller „Investoren“ steckt?
Mit anderen Worten: Niedrige Löhne
sind – nicht immer, aber oft, und ins-
besondere in Ostdeutschland – ein Akti-onsparameter der Einfallslosigkeit. Ein
Zitat von Schumpeter macht deutlich,
worum es im Kern geht: „Ein System –
jedes System, nicht nur jedes Wirt-
schaftssystem, sondern auch jedes
andere –, das zu jedem gegebenen Zeit-
punkt seine Möglichkeiten möglichst
vorteilhaft ausnützt, kann dennoch auf
lange Sicht hinaus einem System unter-
legen sein, das dies zu keinem gege-
benen Zeitpunkt tut, weil diese seine
Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle
23
4 Peter Drucker, Low wages no longer an edge, The Asian Wall Street Journal, 25. März 1988.5 Zitate aus FAZ, 20. März 2004, S. 12.
Unterlassung eine Bedingung für das
Niveau oder das Tempo der langfris-
tigen Leistung sein kann.“ 6
„Wie das?“ fragt der wirtschaftstheo-
retische Laie und dem MBA und Univer-
sitätscontroller sträuben sich die Haare.
Total verrückt! Wer so was in der Prü-
fung sagt, kann sein Diplom vergessen.
Was Schumpeter hier formuliert, ist der
konfliktreiche Übergang von einer Stufe
des Funktionierens des Systems Wirt-
schaft (optimaler Ressourceneinsatz),
wie sie den neoklassisch-“neoliberalen“
Konzeptentwürfen zugrunde liegt, zu
einer „tieferen“ Ebene innovativer Re-produktion mit – zunächst – gegebenenRessourcen. Aus input- und allokations-
logischer Sicht sind Fehlallokationen
systemische Schieflagen, die der korri-
gierenden Hand des Reformers bedür-
fen. Schließlich ist Quelle des Wachs-
tums die Akkumulationsdynamik, die
jedoch nichts bringt, wenn die akkumu-
lierten Ressourcen fehlgeleitet werden.
Die ehemalige Sowjetunion und die
DDR illustrieren diese allokativen
Schieflagen. Eine hohe Akkumulations-
dynamik – die ins Leere läuft.
Die zweite Hypothese von Schum-
peter sagt demgegenüber: Entwicklung(nicht Wachstum!) bei optimaler Allo-
kation gibt es nicht, oder: eine nach der
Allokationslogik optimal wachsende
Wirtschaft wird einer neukombinieren-
den Wirtschaft unterlegen sein, weil die
„Fehlallokation“ Bedingung der Neu-
kombination ist. Doing the wrongthings right. Ergebnis: statische Effi-
zienz, dynamische Ineffizienz.
Eine solche Aussage ist in der Tat
theoretisch schwer zu schlucken. 7 Ein
Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt
andererseits ihre vollständige Norma-
lität. Kein Land auf der Erde hat sich
unter den Bedingungen eines opti-
malen Ressourceneinsatz bei freiem
Handel entwickelt. 8 Betrachten wir z.B.
den Aufstieg der westdeutschen Wirt-
schaft nach dem zweiten Weltkrieg:
hohe Innovationsleistung bei unvoll-kommener Allokation. Nur eine Illustra-
tion: Massiv unterbewerte Währung.
Demgegenüber wird Ostdeutschland
durch eine überbewerte Währung –
Umtauschverhältnis 1:1 Westmark zu
Ostmark; Überbewertung der D-Mark
im Euroverbund – rückindustrialisiert
und entinnoviert, auf passive Sanie-rungswege abgedrängt und in südital-ienische Transfermuster eingebunden:
Abbau Ost. Der ursprüngliche Sünden-
fall. Eine ostdeutsche Exportquote von
unter 20 % darf vor diesem Hinter-
grund niemand überraschen. Kein
„Solidaritätszuschlag“ vermag Fehl-
steuerungen eines solchen Ausmaßes
Jochen Röpke
24
6 Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 7. Auflage, Tübingen, 1993, S. 138.7 Zu Details Jochen Röpke, Der lernende Unternehmer, Marburg: Mafex, 2002, 2. und 3. Kapitel.8 Ha-Joon Chang, Kicking away the ladder. Development strategy in historical perspective, London, 2002.
auszugleichen. Parallel erfolgte der
Import des westdeutschen Sozialstaa-
tes; das Produkt einer Hochleistungs-
wirtschaft. In beiden Fällen Fehlallo-
kation – im westdeutschen Fall zu-
nächst Innovationen stimulierend, in
Ostdeutschland dagegen Neukom-
binationen erodierend.
Nennen wir die durch das herr-
schende Paradigma beobachtete Wirt-
schaft eine „Kaltblut-Ökonomie“. Kalt-
blüter können keinen direkten Einfluß
auf ihre Körpertemperatur nehmen.
Ihre Temperatur hängt von der Umge-
bung ab. Bleiben die Inputs aus, sei es
Kapital, Infrastruktur, Wissen, Qualifika-
tion usw., dann sinkt die „Arbeitstemp-
eratur“ der Kaltblut-Wirtschaft auf
einen Zustand ohne Wachstum. Aus
sich selbst heraus kann eine solche
Wirtschaft nicht wachsen, genau so
wenig wie ein Kaltblüter ohne Sonnen-
einstrahlung sich bewegen geschweige
denn vermehren kann. Diese Wirtschaft
funktioniert wie ein Frosch im Wasser:
steigen die Temperaturen auf die opti-
male Höhe, ist der Frosch happy. Eine
„Warmblutwirtschaft“ arbeitet anders.
Warmblüter können über den Stoff-
wechsel ihre eigene Temperatur regeln.
Sie operieren unabhängig vom Input.
Ob die Sonne scheint oder nicht, sie kön-
nen durch interne Veränderungen (Neu-
kombinationen) ihre Temperatur, also
ihr Überleben, sicherstellen. Wenn sie
überleben, sind sie auch in der Lage, sich
jene Ressourcen zu beschaffen, deren
Neukombination ihre Entwicklung vor-
antreibt. Innovationen erzeugen Nach-
frage und schließlich auch Angebot von
Ressourcen.
Innovationen gleichen damit „dem
starken Arm“ Münchhausens, welcher
die Wirtschaft ständig aus dem Sumpf
von Stagnation und „schöpferischer
Zerstörung“ (Schumpeter) zieht. Im
Grunde könnte sie daher ewig leben.
No sun no life, no inputs no growth –diese Gleichung gilt für sie nicht. Sie
operiert nach anderen Prinzipien. Rui-
nieren die chinesischen Autobauer
unsere PKW-Industrie – und früher
oder später wird das passieren – : wir
rekombinieren neu. Bodybuilding für
einen „starken Arm“ gleicht der Förde-
rung von Innovation, dem entscheiden-den, ja einzigen Aktionsparameter einer
„Warmblutökonomie“. Auch ein Warm-
blüter mag sich in der Sonne wohl
fühlen. Bekommt er aber zuviel Sonne
(Förderung, Subventionen, Protektion
usw.), schlafft er ab, wird träge, verlernt,
Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle
25
3. „Kalt- und Warmblutökonomie“
auf die eigene Kraft zu vertrauen: Die
Entwicklungsfalle der Unterforderung,
lange das Schicksal Westdeutschlands.
Kommt ein System in eine kältere
Umgebung, versucht es, durch ver-
mehrte Eigenaktivität seine Betriebs-
temperatur zur erhöhen. Innovatives
Unternehmertum wird angeregt. Aller-
dings gilt auch: Bei Überforderung ent-
weicht die Lebensenergie, das Innova-
tionssystem stirbt. Auch das lässt sich
am Beispiel Ostdeutschlands zeigen.
Die Regionen Ostdeutschlands wer-
den derzeit von zwei Seiten in die Zange
genommen. Billigimporte und Billig-
arbeit rollen den ostdeutschen Pro-
duktzyklus von hinten auf. Ost – unter-
scheidet sich nicht grundsätzlich von
Westdeutschland, was seine Innovati-
onsschwäche angeht.Was Ost und West
vereint ist Innovationsarmut. Und diese
ist immer und überall der Einstieg in
wirtschaftliche Stagnation. Der Osten
hat sich nach der Wende die struk-
turkonservierenden Stagnationsrezepte
des Westens aufdrücken lassen. Diese
Rezepte reflektieren auf Seiten von
Wissenschaft, Politik und verbandsorga-
nisierter Wirtschaft ein theoretisches
Modell der Konstruktion von Wirtschaft,
in welchem eine endogene Wirtschafts-
entwicklung überhaupt nicht möglichist. Wie will man auf der Grundlage
eines solchen Modells Entwicklung er-
zeugen? Es bleibt dann folgerichtig nur
der Weg, wenigstens die Stagnation zu
optimieren und eine passive Sanierung
„sozial gerecht“ zu begleiten, was in der
Tat das Beste ist, was sich dann noch
erreichen läßt. Auf eigenen Beinen wird
Ostdeutschland so aber niemals stehen
können.
Der Chef des ifo-Wirtschaftsfor-
schungsinstituts, Hans Werner Sinn,
meint: „Ob wir wollen oder nicht: Dem
Niedriglohnwettbewerb mit unseren
östlichen Nachbarn können wir nicht
ausweichen. Wir stehen in einer his-
torischen Phase, wo die Lohnkosten
gesenkt werden müssten, um das Mas-
sensterben von Firmen und insbeson-
dere die Verlagerung arbeitsintensiver
Produktionsprozesse nach Osteuropa
[und den Fernen Osten] zu verlang-
samen.“ 9 Frage: Wie sollen mehr Ar-
beitsplätze entstehen? Sinn: „Durch
deutlich niedrigere Steuern und Lohn-
kostensenkungen, die sich auf den Nie-
driglohnsektor konzentrieren.Wenn die
Löhne sinken und die Leute länger ar-
Jochen Röpke
26
4. In der Armutsfalle
9 Hans-Werner Sinn, Der Sozialstaat treibt die Löhne nach oben,Wirtschaftskurier, März 2004, S. 2.
beiten, schaffen die Unternehmen
neue Arbeitsplätze und lassen Men-
schen statt Maschinen in den Fabrik-
hallen arbeiten. Entscheidend ist dafür,
dass der Sozialstaat umgebaut wird.“ 10
Dies ist in der aktuellen Debatte – auch
um den „Aufbau Ost“ – die herrschende
Sicht der Dinge. Aber ist sie auch zwin-
gend? Ja, im Rahmen ihres eigenenParadigmas. Diese Sichtweise ist nicht
falsch, aber unvollständig. Sie legt, wie
jede Theorie, bestimmte Dinge auf Eis.
Die spannende Frage – auch für Ost-
deutschland – aber ist: Ist vielleicht
gerade das, was der Wirtschaftsexperte
ausblendet, der Ausweg aus der Ent-wicklungsfalle?
Empirisch ist die Sache ohnehin,
jedenfalls was Ostdeutschland angeht,
etwas komplizierter. Eine kollektive
Lohnfindung existiert dort praktisch
nicht mehr. Bezahlung unter Tarif ist
längst die Norm. Ob die ostdeutsche
Industrie wegen der Lohnkosten Pro-
bleme hat, sich gegen die osteuropä-
ische Konkurrenz zu behaupten, ist
zumindest zweifelhaft. Und Unterneh-
mensgründer sind den kollektiven Ta-
rifvereinbarungen erst gar nicht beige-
treten. 11 Eine kleine Geschichte kann
dieses, auch ostdeutsche, Lohnkosten-
problem vielleicht anschaulich illus-
trieren: Ein Bär verfolgt zwei Unterneh-
mer. Einer bleibt stehen und zieht sich
die Schuhe aus. „Warum tust du das?“,
fragt der andere.„Um schneller laufen
zu können.“ Sagt der andere: „Das
bringt doch nichts. Der Bär läuft doch
schneller als wir.“ Sagt der erste:
„Stimmt. Aber Hauptsache, ich bin
schneller als du.“ Der Hedonist läßt die
Schuhe an. Spiel mir das Lied von der
Kosten-Nutzen-Rechnung. Für eine
Handvoll Dollar (oder polnische Sløty,
chinesische Renmimbi) verkauft er sein
Leben als Innovator. Es hilft ihm nicht:
Er stirbt dennoch den Tod eines jeden
Kostenminimierers.
Wer es nicht schafft, schneller zu lau-
fen, wird gefressen („Massensterben“).
Die Lohnsenkung verzögert lediglich
einen unvermeidbaren Tod. Sich am
eigenen Schopf aus dem Morast ziehen
oder untergehen. Einen Trostpreis für
diejenigen, die auch ihren Tod noch
„effizient“ managen. Weglaufen durch
Innovation wäre die Antwort Schum-
peters auf den Niedriglohnwettbewerb.
Deutschland kann dieses lohnpolitische
race to the bottom niemals gewinnen –
auch Ostdeutschland nicht. Hinter
Polen steht China, hinter China lauert
Indien. Irgendwann, so die logische Kon-
sequenz, landen die Löhne dann auf chi-
nesischen und unser Sozialstaat auf
indischem Niveau. Herzlichen Glück-
Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle
27
10 „Die Löhne müssen sinken“ – Wie Hans-Werner Sinn Deutschland retten will.http://www.politikforum.de/forum/archive/2/2003/10/4/39974
11 Karl Brenke, Ostdeutsche Industrie:Weitgehende Abkehr von der kollektiven Lohnfindung, DIW-Wochenbericht 13/04.
wunsch, „Standort Deutschland“! Und
wir stehen erst am Beginn einer
beispiellosen Verdrängungs- und Out-sourcing-Welle. Motto: Tue nie etwas
selbst, was ein anderer für Dich (besser)
tun kann – in der Wirtschaftstheorie
auch als „Theorem der komparativen
Kosten“ (David Ricardo) bekannt. Wir
werden sehen, was dann für uns zu tun
übrig bleibt.
Vor kurzem wurde der ehemalige
Wirtschaftsminister Werner Müller im
Magazin CICERO gefragt, was denn
„nach dem Neoliberalismus“ komme.
Müllers Antwort war kurz und
schmerzhaft: „Die Chinesen.“ Tatsäch-
lich reicht die wirtschaftliche Heraus-
forderung des asiatischen powerhouseChina an die westlichen Industriestaa-
ten schon heute viel weiter, als den
meisten Deutschen bewusst ist. Im
wirtschaftlich boomenden China be-
obachten wir einen immenser Arbeits-
überschuss in Verbindung mit Lohn-
druck, der vermutlich über Jahrzehnte
anhalten wird. Die Konsequenzen sind
für uns in Deutschland schon heute
bitter. Heckscher und Ohlin schlagen
unerbittlich zu: das „Faktorpreisaus-
gleichstheorem“. 12 In China entsteht
eine labour surplus economy, eine Wirt-
schaft mit einem hoch elastischem
Angebot an Arbeitskraft. Das Angebot
drückt auf die Löhne in China und (!) –
und da liegt die Pointe – in den ent-
wickelten Volkswirtschaften. Ceterisparibus – bei freiem Handel, gegebener
Technologie und homogenen Gütern –
besteht eine Tendenz zur Angleichung
der Reallöhne zwischen den Volkswirt-
schaften. Lohndruck zunächst in den
arbeitsintensiven Branchen. Dieser
frißt sich aber durch den gesamten
Produktzyklus Schritt für Schritt bis zu
seinem Ursprung. Arbeitsmobilität
und Outsourcing verstärken diese Wir-
kungen. 13 Die Globalisierung frißt ihre
Erfinder.
Zum ersten Mal müssen nun auch die
Mitglieder der westlichen Mittelklasse,
gut qualifizierte Akademiker einge-
schlossen, dem Chinaman ihren Arbeits-
Jochen Röpke
28
5. Die Chinesen sind längst hier
12 Nach dem sog. Faktorpreisausgleichstheorem der beiden schwedischen Ökonomen Heckscher und Ohlin führtinternationaler Handel tendenziell zu einem Ausgleich der Reallöhne auch ohne internationale Mobilität derArbeitskräfte, d.h. ausschließlich durch das in den Gütern im Produktionsprozess eingelagerte Humankapital.Immer vorausgesetzt: keine Innovation. Wir importieren also über arbeitsintensive Güter auch die zu deren Her-stellung erforderliche Arbeitskraft.
13 Im Silicon Valley der USA beklagen sich nicht die Niedriglöhner, sondern vielmehr hoch qualifizierte Arbeitskräfteüber die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze ins Ausland. Outsourcing ist Wahlkampfthema, und der Ökonom antwortetmit Ricardos Theorem der komparativen Vorteile.
platz überlassen oder sich zu Einbußen
oder Stagnation ihrer Realeinkommen
bereit finden – für Deutschland seit über
einem Jahrzehnt bedrückende Norma-
lität. Auch eine Superqualifikation der
Arbeitskräfte bietet keinen Ausweg in
einer innovationsschwachen Wirtschaft.
Wir subventionieren über Investitionen
in Humankapital („Eliteuniversität“)
dann nur innovationsstarke Ökonomien,
denen es gelingt, hoch qualifiziertes
Humankapital in Prozesse der Neu-
kombination zu integrieren. Die bittere
Konsequenz:Kompetenz für die Welt,die
Stagnation bleibt hier.
Die niedrigen Löhne in Polen und
China reflektieren die am deutschen
Standard gemessen noch niedrige Inno-
vationsintensität ihre Produkte und
Technologien. Niedrige Löhne, geringe
Sozialstandards usw. – also die sprich-
wörtlichen „neoliberalen“ Aktionspara-
meter – sind Ausdruck einer geringenInnovationsleistung. Wer sich mit Polen,
China und Indien über Löhne und Sozi-
alleistungen auf Konkurrenz einläßt,
verarmt, rückentwickelt sich auf deren
Standards, wenn er sein Innovations-
system schleifen läßt. Chinesen, Inder
und Osteuropäer müssen dazu gar
nicht zu uns kommen, auf unsere Bau-
stellen, in unsere Fabriken und Büros. Sie
kommen zu uns über ihre Produkte. In
diesen stecken die Arbeitskraft, die nied-
rigen Sozialleistungen, die Ausbeutung
der Arbeitskraft, die Ausbeutung der
Umwelt, die nicht-existierenden Ge-
werkschaften. Mit China und anderen
Staaten (z.B. den EU-Beitrittsländern
Osteuropas) in innovationsarmen Pro-
dukten konkurrieren zu wollen wäre
ökonomischer Selbstmord.
Die postindustriellen Gesellschaften
des Westens und Japans befinden sich
damit also, auch ohne Zuwanderung, in
direktem Wettkampf mit anderen Na-
tionen. Nur Volkswirtschaften, die ihre
Schuhe ausziehen, sich von Steuer-,
Regulierungs- und Sozialballast be-
freien, und die frei gesetzten Ressour-
cen in die kontinuierliche Stärkung ihres
Innovationssystems investieren, sind
leicht genug, dem polnischen Bären
und dem chinesischen und indischen
Tiger davon zu laufen. Soweit ich sehe,
wird die Brutalität dieser „Logik des
Faktorpreisausgleichs“ in Prozessen auf-
holender Entwicklung wirtschaftsstra-
tegisch bei uns nicht zur Kenntnis
genommen. Branchen mit geringer
Innovationsintensität sind dem Tode
geweiht. Sie „überleben“ durch Lohn-
senkung, McJobs, Investmentbankingund Controlling – die Aktionsparameter
der einfallslosen Routine- und Arbitra-
gewirtschaft. Betrachten wir als Beispiel
unsere Universitäten: sie fahren Sinolo-
gie runter und Controlling hoch. Ihre
Zukunft leuchtet strahlend in der Mor-
genröte schöpferischer Zerstörung.
Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle
29
Schauen wir noch einmal auf China.
1000 Jahre zurück. China boomt und
unsere Zivilisation hat sich vom Unter-
gang der römischen Zivilisation noch
nicht erholt. China durchlebt die
ersten vier nachgewiesenen „Kondra-tieffs“. Als „Kondratieff-Wellen“ be-
zeichnet man nach ihrem russischen
„Entdecker“ Nikolai D. Kondratieff
lange, von Basisinnovationen getra-
gene Wellen wirtschaftlicher Dynamik.
Auf jedem Gebiet schlägt China also
Europa. Und danach: Fast 1000 Jahre
Stagnation. Bis in den Anfang des 20.
Jahrhunderts, als der Kaiser zum
Abdanken gezwungen wurde. Zu weit
hergeholt? Nicht unbedingt. Der Nie-
dergang kann jede Region treffen. In
Deutschland sind wir schon ein Jahr-
zehnt fast ohne Wachstum, ernten
stagnierende Realeinkommen. Und ein
Ende der Stagnation ist nicht in Sicht.
Kein Wunder, dass der Normalbürger
ohne Hoffnung in die Zukunft schaut.
Symptom der Krise im „Autoland
Deutschland“: Der neue VW Golf ist für
den Durchschnittsverdiener unbezahl-
bar geworden. Ein Superauto findet
keine Käufer. Warum? Die Menschen
haben zu wenig Geld in der Tasche.
Und die vorherrschende Logik tröstet
sie: Es geht euch immer noch zu gut.
Ihr verdient zu viel, ihr seid unflexibel,
ihr geht zu oft zum Arzt und macht zu
lange Urlaub. „Ist Deutschland noch zu
retten?“, fragt Hans Werner Sinn.
Löhne runter für den Fortschritt? Na-
türlich nicht. Für die Armut. Genauer:
für die effiziente Armut. Der Golf Madein Germany ist zu teuer, kaufen wir
eben das Golf-Imitat aus China. Kom-
parative Kostenvorteile. Machen wir
uns also fit für Polen und China.
Dazu noch einmal eine Geschichte
über einen „schöpferischen Zerstörer“:
Ein Jäger begegnet einem Bären. „Was
suchst du hier im Wald?“, fragt der Bär.
„Ich will mir einen warmen Pelzmantel
besorgen“, versetzt der Jäger, wobei er
den Bären prüfend ins Auge fasst. „Und
ich“, sagt der Bär, „suche etwas zum
Frühstück. Komm doch zu mir in meine
Höhle und laß uns die Lage be-
sprechen!“. Der Jäger folgt der Ein-
ladung. Nach einer Weile erscheint
Meister Petz wieder vor seinem Bau und
klopft sich auf den Bauch. „Wir haben
einen diskursethischen Kompromiß
geschlossen“, erklärt er dem Fuchs, der
Zeuge der Begegnung war. „Ich habe
inzwischen gefrühstückt, und der Jäger
trägt nun einen warmen Pelzmantel.“
Jochen Röpke
30
Die traditionelle Logik erklärt uns:
Überschüssige Arbeit, also Arbeitslosig-
keit, ist ein Allokationsproblem. Arbeits-
kraft sei zu teuer, ihre Reallokation durch
Fehlanreize erschwert. Folglich müssen
die Löhne runter und die Flexibilität stei-
gen – beides erzeugt Mehrnachfrage
nach Arbeit. Die Etablierung eines Nied-
riglohnsektors oder einer Niedriglohn-
wirtschaft im Namen der optimalen
Ressourcenallokation bei Durchhängen
von Innovation bedeutet jedoch faktisch
nur eine Optimierung des Elends. Auf
optimale Allokation setzende Maßnah-
men bringen nur etwas, wenn sie direkt
oder indirekt die Anreize zur Neukombi-nation stärken. Dies gilt für sämtliche
Vorschläge im Rahmen der Hartz-Refor-
men, der „Agenda 2010“ und der vielfäl-
tigen Vorschläge aus der Wissenschaft
(Hans-Werner Sinn, Sachverständigen-
rat) und Verbänden. Dagegen steht der
andere Weg: Innovationen erzeugen
Nachfrage nach Produktionsfaktoren,
einschließlich Arbeit. Langfristig schaf-
fen ausschließlich innovative Neugrün-
dungen von Unternehmen Netto-Ar-
beitsplätze. Dass Arbeitskräfte entlassen
werden, wenn die Produkte nicht mehr
absetzbar sind, ist normal. Man könnte
in Deutschland Schreibmaschinen zum
Lohnsatz von Null produzieren lassen
und sie würden im Computerzeitalter
dennoch keine Abnehmer mehr finden.
Ob Arbeitskräfte eingestellt werden, ist
langfristig also ausschließlich eine Frage
der Innovationskraft.
Auf Ostdeutschland übertragen:
niedrige Löhne reflektieren Inno-
vationsarmut. Wie die Ebbe der Flut
folgen Sozialabbau und Reallohnein-
bußen einer Erosion von Innovation.
Gegen diesen brutalen ökonomischen
Zusammenhang helfen auch keine
Massendemonstrationen. Nur eine
produktive und schöpferische Wirt-
schaft kann eine gute Sozialpolitik tra-
gen. Diese ist im Übrigen voll vereinbar
mit einer schumpeterschen Innova-
tionswirtschaft. Innovation und Markt-
fundamentalismus schließen sich so-
gar aus. Eine „Innovationsoffensive“ ist
geradezu eine spezifische Form
schumpeterscher Sozialpolitik.
Unternehmer erzeugen die erforder-
lichen Produktionsfaktoren, sie kon-
kurrieren sie aus bestehenden Verwen-
dungen heraus, entweder aus anderen
Unternehmen, oder aus Arbeitsamt
und Sozialhilfe. Diese Arbeit können
wir ihnen erleichtern. Hier treffen sich
Innovations- und Inputlogik. Ohne
einen flexiblen Einsatz der Produk-
tionsfaktoren ist Innovation tot. DerMehrwert der Innovation lebt von derNeukombination der Produktionsfak-
Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle
31
6. Die Optimierung des Elends und der Mehrwert der Innovation
toren. Den Einsatz der Arbeitskräfte in
bestimmten Phasen des Innovations-
prozesses auf eine bestimmte Dauer
oder Routinen festzulegen, erschwert
Neukombinationen stark. Folge: die
Nachfrage nach Arbeit sinkt – unab-hängig von der Lohnhöhe. Noch in stär-
kerem Maße als bestehende Unterneh-
men 14 verlangt das neue Unternehmen
nach flexibler Kombination der Produk-
tivkräfte. Hier liegt eine Chance desOstens. Je geringer die Flexibilität, desto
höher müssen – aus der Sicht der
Arbeitnehmer – die Löhne sein, um sie
aus den bestehenden Verwendungen
heraus zu konkurrieren. Dazu gehören
nicht zuletzt die vom Wohlfahrtsstaat
gesetzten Standards (Arbeitslosenun-
terstützung, Sozialhilfe). Der Innovator
muß dann nicht nur gegen Konkurren-
ten im Markt antreten. Er hat es auch
mit dem Staat und dem Rechtssystem
zu tun, welche die Freiheit zur Neukom-
bination bestimmen.
Ohne Neuerungen kommt Ost-
deutschland also nicht aus der Falle,
auch nicht durch polnische Löhne und
„indischen Sozialstaat“. Neukombina-
tionen im Sinne Schumpeters sind der
einzige Aktionsparameter wirtschaft-
licher Entwicklung, notwendige undhinreichende Bedingung zugleich. Eine
Wirtschaft kann Kapital akkumulieren,
so viel sie will. Eine Gesellschaft kann
Eliteuniversitäten aufbauen, 10 % des
Sozialprodukts für Forschung und Ent-
wicklung ausgeben, über hoch qualifi-
zierte Arbeitskräfte verfügen. Es gibt
immer jemanden auf der Welt, der
diese Wirtschaft und ihre Unterneh-
men nieder zu konkurrieren vermag.
Polen entlohnt seine Arbeitskräfte mit
20 % der ostdeutschen Löhne. China
mit 10 %, Indien mit 5 usw. Und diese
Länder holen auch hinsichtlich ihrer
Produktivität schneller auf, als wir die
Löhne senken könnten. Sie verfügen
über alle – in Ostdeutschland ver-
schenkten – Vorteile eines Spätstartersim nachholenden Entwicklungspro-
zeß. Die technologische Lücke und
damit auch die Produktivitätslücke
schließen sich wegen des Arbeitsüber-
schusses schneller als die Lohnlücke.
Warum aber schließt sich die Lücke,
warum sind immer mehr unserer
Unternehmen der Imitationskonkur-
renz aus Niedriglohnländern ausge-
Jochen Röpke
32
7. Strategie der Innovation
14 Obwohl auch diesen mit Flexibilität geholfen ist. „Deutsche Unternehmen suchen in Osteuropa Flexibilität“ berich-ten Vertreter der Wirtschaft. Das Lohnniveau ist bei der Standortwahl zweitrangig. Siehe FAZ, 23. März 2004, S. 15.
setzt? Weil wir uns weigern, schneller
zu laufen, die Schuhe auszuziehen. Auf
der Suche nach dem warmen Pelzman-
tel („Jeder Arbeitsplatz ist besser als
gar keiner“) lassen wir uns schöpfe-
risch und nachholend zerstören. Der
Weg nachholender Entwicklung ist für
die neuen Bundesländer verbaut. Die
Übernahme der westdeutschen D-
Mark, des Sozialstaates und eines Re-
gimes der Überregulierung machen
eine Steigerung der Wohlfahrt zu einer
Funktion von Kaufkrafttransfer, in des-
sen Folge sich „holländische Krank-
heit“, Entindustrialisierung und pas-
sive Sanierung ausbreiten.
Der Weg der „Tigerländer“ ist für die
ostdeutschen Regionen also nicht
mehr zu begehen. Deshalb: Weglaufen
durch Innovation. Der schumpetersche
Aktionsparameter: Neukombination,
schneller und besser, als es die anderen
können. Weglaufen, und nicht in die
Konkurrenz mit Bären und Tigern ein-
treten, die uns einen warmen Pelz-
mantel versprechen. Plus eine evolu-
torische Komponente. Wer schneller
laufen will, muß nicht nur Ballast
abwerfen, er muß auch seine Muskeln
trainieren, d.h. Ausbilden, Qualifizie-
ren,„Lernen zu Lernen“ und lebenslang
lernen. Innovation und Evolution
gehören also zusammen wie die Säge
und ein Werkzeug, um sie zu schärfen.
Wenn wir fragen, woher Dynamik,
Wertschöpfung, Arbeitsplätze und eine
moderne Infrastruktur kommen, bleibt
nach kritischer Durchsicht aller Theorien
und historischen Erfahrungen eigentlich
nur eine Antwort übrig: Dadurch, dass
Menschen bereit waren, neue Dinge zu
wagen, neue Ideen durch innovatives
Unternehmertum zu verwirklichen. In-
novative Neugründungen von Unter-
nehmen können wir als die Wachstums-
erzeuger überhaupt betrachten. Diese
These läßt sich sowohl empirisch be-
legen wie aus theoretischen Überle-
gungen ableiten. Auch dazu müssen wir
allerdings aus dem herrschenden Para-
digma herausspringen.
Funktioniert eine solche schumpeter-
sche Alternative? Noch nicht. Denn dort,
wo das Neue entsteht, im Ursprung des
Produktzyklus, sieht es schlecht aus. Pio-
nierprodukte und -technologien sind
Mangelware. Schon im Westen ent-
fallen gerade 10 % des Umsatzes des
verarbeitenden Gewerbes auf neue Pro-
dukte.15 Im Osten sind es noch weniger.
Was bleibt? Stagnation mit kleineren
Inseln der Innovation. Dies ist kein
Schicksal, es ist nur nur traurige Gegen-
wart. Und sie bleibt die zukünftige
Gegenwart, wenn alles so weiter läuft
wie bisher, und sich „Innovations-
offensiven“ im Einsatz von Aktions-
parametern erschöpfen, die ihre Her-
Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle
3315 Horst Penzkofer, Innovationsaktivität in der deutschen Industrie 2001/2002, ifo-Schnelldienst, 2/2003.
kunft dem neoklassischen-neoliberalen
Wachstumsparadigma verdanken.
Aus der Logik Schumpeters ist dabei
die Durchsetzung entscheidend, nicht
Wissen per se, auch nicht „geschütztes“
Wissen. Mangelndes Wissen ist für die
Innovationsdefizite durchaus nicht ver-
antwortlich zu machen. Das Trans-
ferdenken verstellt den Blick auf Inno-
vation, Unternehmertum und den
komplexen Zusammenhang zwischen
Wissen und Neukombination. Ein Bei-
spiel aus meiner Universität in Mar-
burg: Über 200 Patente aus der Nano-
Forschung. Durchsetzung: fast null.
Was die Wirtschaftsforscher gemein-
hin als „Hemmnis“ betrachten, sehe ich
eher als einen Vorteil Ostdeutschlands:
„Die kleinen und kleinsten Unterneh-
men (bilden) das Rückgrat für die in-
dustrielle FuE- und Forschungstätigkeit
in Ostdeutschland. In kaum einem
Industrieland beruht die Innovations-
tätigkeit so stark auf den Aktivitäten der
kleinen Unternehmen wie in den neuen
Bundesländern.“16 Die Förderung dieses
Potentials ist der Schlüssel für die Zu-
kunftsdynamik im Osten. Geförderte
Unternehmen zeichnen sich durch eine
höhere Innovationsintensität aus als
nicht geförderte. Auch die Wirtschafts-
forscher schließen deshalb, die „Innova-
tionsförderung (sei im Osten) in hohem
Maße erfolgreich gewesen“.
Wir erfinden daher Schumpeter und
Kondratieff neu und fassen ihre Ein-
sichten in zwei Aussagen zusammen,
einer Doppelhypothese zur Entwick-
lungsdynamik von Volkswirtschaft und
Region: 1. Wir können nur mit neuenIndustrien Wachstum erzeugen. In der
Regel heißt das auch: 2.Wir können nur
mit neuen Unternehmen Wachstum
erzeugen.
Werfen wir einen Blick auf die fol-
gende Abbildung: die Basishypothese
der Langwellenökonomik, begründet
von Kondratieff und weiterentwickelt
durch Schumpeter. Jede Basisinnovation
besteht aus einem Bündel vernetzterTechnologien, welche über Jahrzehnte
das Wirtschaftsgeschehen prägen. Im
oberen Teil der Abbildung sehen wir die
bisherigen Kondratieff-Innovationen, un-
gefähr 50jährige Auf- und Abschwung-
prozesse. Die Wachstumsraten dieser
sich wellenförmig entfaltenden Neue-
rungsschübe sind unsere Schätzungen.
Jochen Röpke
34
16 Zweiter Fortschrittsbericht wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute über die wirtschaftliche Entwicklungin Ostdeutschland, Kiel 2003, S. 15.
8. Riding the waves: Lange Wellen der Entwicklung
Dampfmaschine, Stahlproduktion, die
Automobilbranche waren einst die für
die wirtschaftliche Dynamik tonange-
benden Innovationen, heute dominiert
die Computer/Informationstechnologie;
Bio- und Nanotechnologie stehen in den
Startlöchern.
Die neuen Industrien sind die Träger
neuer langer Wellen. Basisinno-
vationen tragen aber auch dazu bei,
die alten Produktzyklen länger am
Leben zu erhalten (Elektronik und
Computer im Auto; Nanomaterialien
im Flachbildschirm). Das Überleben desAlten ist damit eine Funktion desAufbaus des Neuen. Die jüngeren Ba-
sisinnovationen sind dabei heute nicht
nur wissensintensiv, vielmehr wissen-
schaftsintensiv. Und ihre Wissen-
schaftsintensität nimmt weiter zu. Die
Erzeugung neuer Industrien durch
neue Unternehmen müsste somit auf
die Förderung wissenschaftlich fundier-ten Unternehmertums ausgerichtet
sein. Das aber reicht auch noch nicht.
Sie müsste zudem darauf zielen, die imSystem der Wissenschaft schlummern-
den unternehmerischen Potentiale zu
entfalten, ohne diejenigen Forscher,
die auch einen unternehmerischen
Weg gehen wollen, aus der Wissen-
schaft (Hochschulen, Forschungsein-
richtungen) zu vertreiben. In den USA
und in Israel geht das, ganz langsam
auch in Frankreich. Japan geht in
schnellen Schritten den amerikani-
schen Weg. Zehn Jahre Stagnation
haben Japan aufgeweckt. Hierzulande:
no way. Unternehmerische Schwarzar-
beit im Wissenschaftssystem.
Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle
35
Basisinnovationen und ihre wichtigsten Anwendungsfelder
Quelle: Nefiodow/FUNDUS Research
Dampfmaschine
Textilindustrie
Bekleidung
1. Kondratieff
Eisenbahn
Stahl
Transport
2. Kondratieff
Elektrotechnik
Chemie
Massenkonsum
3. Kondratieff
Automobil
Petrochemie
individuelleMobilität
4. Kondratieff
Informations-
technik
GlobalisierungKommunikation
5. Kondratieff
Psychosoziale
Gesundheit
GesundheitWellness-
Immobilien
6. Kondratieff
1800 1850 1900 1950 1990 20xx
Auf die fünfte, gegenwärtig lau-
fende lange Welle sind Deutschland
und die anderen EU-Staaten erst auf-
gesprungen, als die Wachstumsraten
bereits abnahmen und die „Pionierge-
winne“ und die Arbeitsplatzdynamik
von anderen (USA) eingefahren waren.
Mitte der 80er Jahre, der 5. Kondratieff
steckte noch in den Kinderschuhen,
glaubten sogar viele in Deutschland,
der „erreichte technische Entwick-
lungsstand sei soweit ausgereift, dass
es keine Chancen für Innovationen in
zukunftsorientierten Branchen gibt“.
So steht es 1983 in einer Analyse des
Ifo-Instituts. 17 Zu jener Zeit wurden die
Grundlagen für die bis heute anhal-
tende Wachstumsschwäche gelegt –
ein fünfter Kondratieff mit bescheide-
ner deutscher Beteiligung.
Wir sehen nunmehr auch, wie pro-
blematisch die inputlogische Lösung
dieser Herausforderung sich darstellt.
Innovationsdynamik, technologische
Lücke, schöpferische Zerstörung, nach-
holende Entwicklung, also die Pro-
zesse, die Wertschöpfung und Arbeits-
platzdynamik langfristig bewirken,
sucht man dort vergebens. Kaltblut-
ökonomik. Der Automobilzyklus ist
ausgelaufen; keine Flexibilisierung der
Arbeitsmärkte und keine Lohnsenkung
machen ihn wieder lebendig. Anderer-
seits sind die alten Industrien hochgra-
dig auf die neuen angewiesen: Autos
brauchen Elektronik, Software und ein
kommunikations- und empathiefähi-
ges Management („psycho-soziale
Gesundheit“) um die „innere Immigra-
tion“ ihrer Mitarbeiter aufzufangen.
Sonst sind sie gegen die aufstreben-
den Industrieländer des Fernen Ostens,
möglicherweise aber auch Osteuropas,
ohne Chance.
Worin könnten nun „Lösungen“ à la
Münchhausen und Schumpeter liegen?
Zunächst in der Überwindung des
Knowing-Doing-Gaps zwischen Wissen-
schaft und Wirtschaft. Mit der Abfolge
der Basisinnovationen geht eine zuneh-
mende Wissensintensivierung einher.
Hier setzen auch Inputlogiker an: Wis-
sensökonomie. Wissen als zentrale Res-
source, als die „Sonne“ der Wirtschaft:
Lasst uns mehr Wissen schaffen, mehrMenschen qualifizieren, damit sie hoch-
klassiges Wissen hervorbringen, For-
schung und Entwicklung fördern, mit
Jochen Röpke
36
17 Ifo-Schnelldienst, Ohne verstärkte Produktinnovationen kein Wachstum, Nr. 35-36, 1983, S. 15ff. Das Ifo-Institut wider-sprach vehement der im Text zitierten Meinung.
9. Kopplung von Wirtschaft und Wissenschaft
mehr oder weniger Verwertungsdruck.
Dies allein wäre jedoch eine Fehlthera-pie. In diese Logik eingebaut ist das
uralte Mißverständnis, Information und
Wissen werde von einem Sender (Wis-
senschaft) zu einem Empfänger (Wirt-
schaft) transportiert. Wer produziert
das neue Wissen? Die Wissenschaft,
öffentlich oder privat organisiert. Wer
setzt das Wissen durch und wie? Be-
stehende Unternehmen, neue Unter-
nehmen? Wie findet das Wissen über
radikale Innovationen Anschluß bei
bestehenden Unternehmen?
Die Erzeugung neuer Industrien durch
neue Unternehmen müßte somit auf
die Förderung wissenschaftlich fundier-
ten Unternehmertums in allen Feldern
ausgerichtet sein. Und auch das reicht
noch nicht. Sie müsste auch darauf zie-
len, die im System der Wissenschaft
selbst schlummernden unternehme-
rischen Potentiale zu entfalten. Mehr
Ressourcen für F&E!? Die Knappheit allerKnappheiten ist nicht Wissen, sondern
sind vielmehr die Menschen, die dieses
Wissen unternehmerisch nutzen kön-nen, wollen und dürfen. Wenn schon
Geld ausgeben, dann für die Förderung
innovativen Unternehmertums – von
der Schule bis ins Alter, Ich-AGs inklusive.
Was wir dadurch gewinnen? Weglaufen
lernen! Neue Wertschöpfungspotentialejenseits der alten Kondratieffs zu er-
schließen. Wenn deutsche Unterneh-
men ausländischen Niedriglöhnen nicht
widerstehen können – lassen wir sie zie-
hen. Erfreuen wir uns an chinesischen
DVDs und lernen mit ihrer Hilfe Qi Gong.
Herr Ackermann und Kollegen – die
reichsten Männer auf dem Friedhof. Gra-
tulieren wir ihnen zu einem erfüllten
Leben. Es gibt genug zu tun im eigenen
Land – auch wenn Siemens seine Han-
dys in Shanghai produzieren läßt.
Mit anderen Worten: Erst eine Kombi-nation von Humboldt und Schumpeter
schafft die Grundlagen für innovations-
politische Alternativen. Humboldt +
Schumpeter = „unternehmerische Uni-
versität“. Aus dieser Sicht kann es nicht
um Forschung und Qualifikation an sich
gehen. Forschen allein, Wissensproduk-
tion, auch auf höchstem Niveau, bringt
wenig,wenn diejenigen, die forschen, ihr
Wissen und ihre Kompetenz nicht
umsetzen dürfen, wie so oft in Deutsch-
land.Wissensproduktion ohne Kopplung
an Unternehmertum ist entwicklungs-ökonomisch Geldverschwendung.18
Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle
37
18 Ausführlicher zur Kopplung von Wissenschaft und Wirtschaft als Schlüsselprozeß einer modernen Innovationspoli-tik siehe Jochen Röpke und Elizaveta Kozlova, Die Kopplung von Wissenschaft und Innovation durch Unternehmer-tum erzeugt Wachstum. Anmerkungen zur einer „Innovationsoffensive“, Telepolis, 20. Februar2004,http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/special/eco/16758/1.html&words=Kozlova
Wie der neoklassische Ökonom
behauptet, Kapital investiere sich
selbst, pflichtet ihm der Mainstream-
Wissenschaftler – genauer: die Funk-
tionäre des Wissenschaftssystems –
bei, dass Wissen sich „irgendwie“ von
alleine durchsetzt, oder „irgendwie“
den Weg vom Wissensproduzenten
über Transferagenturen und Netzwerke
in die Wertschöpfung findet. Transfer-
hoffnungen sind unbeabsichtigte Fol-
gen blockierten Unternehmertums.
Ergebnis dieser auch in der Praxis aus-
gelebten Vorstellung ist eine Lücke zwi-
schen Wissen und Tun, eben die know-ing-doing-gap. Wie die für Forschung
und Innovation zuständige Ministerin
Edelgard Bulmahn (SPD) erkennt: „…in
der Nanotechnologie sind wir welt-
weit an der zweiten Stelle der For-
schung – exzellente Ergebnisse. Aber
leider sind diese Forschungsergebnisse
nicht immer konsequent, zügig und
schnell in Produkte, in Prozessinnova-
tionen oder in neue Organisations-
strukturen umgesetzt worden.“ 19
Wer die ostdeutschen Länder wirt-
schaftlich nachhaltig energetisieren
will, müßte daher den Forschern auch
die Freiheit geben, aus den Forschungs-
stätten heraus ihr Wissen mit Innova-
tionen durchzusetzen. Es gibt keinen
anderen Weg. Die USA laufen voraus,
weil sie diesen Weg als erste gegangen
sind.20 Wissenschaft und Wirtschaft
koppeln sich so durch akademisches
Unternehmertum bzw. unternehme-
rische Hochleistungsforscher. Jede
Hochschule verkörpert das Potenzial für
einen Entwicklungspol. Als Nebeneffekt
würde sich auch der Brain Drain umkeh-
ren: „Hast du Honig, hast du Ameisen.“
Der moderne Reformer müsste dort
weitermachen: Gewerbefreiheit für den
forschenden Unternehmer. Freiräume
schaffen, nicht nur für die Forschung,
auch für diejenigen, welche die unter-
nehmerische Energie mitbringen, in
Wertschöpfung umzusetzen, was sie
erforscht haben. Diese Lösung ist billig.
Sie kostet fast nichts – außer Mut,
Vision und Energie.
Die traditionelle Universität und das
bis heute evolvierte Wissenschafts-
system gehen unter. Davon bin ich über-
zeugt. Sie werden ein Opfer der schöpf-
erischen institutionellen Zerstörung.
Die beklagte Ressourcenarmut ist eine
Jochen Röpke
38
10. Die „unternehmerische Universität“
19 Edelgard Bulmahn in den ARD-Tagesthemen vom 6. Januar 2004.20 Henry Etzkowitz, Bridging kwowledge to commercialization: the American Way, Acreo Annual Conference 2002,
http://www.acreo.se/acreo-rd/IMAGES/PUBLICATIONS/PROCEEDINGS/ABSTRACT-ETZKOWITZ.PDF; Jochen Röpke,Der lernende Unternehmer, S. 313ff., ders.: Transforming knowledge into action, www.wiwi.uni-marburg.de/Lehr-stuehle/VWL/WITHEO3/documents/trans.doc; Nathan Rosenberg, Schumpeter and the endogenity of technology:Some American Perspectives. London/New York, 2002, 3. Kapitel.
selbstgemachte. Ohne Innovation kein
Münchhausen; statt dessen Staats-
knete als inputlogischer Lebensatem.
Ziel bislang verfehlt: Die akademische
Wissenschaft war bis heute nicht in der
Lage, eine strukturelle Kopplung auf
rekombinativer Grundlage mit der Wirt-
schaft aufzubauen.
Wenn man nicht genau weiß, wohin
man geht, kann es vorkommen, dass
man ganz woanders ankommt – auch
im Sumpf. In der folgenden Tabelle 2
habe ich wesentliche Unterschiede der
vorgestellten Entwicklungswege be-
wußt überzeichnend zusammenge-
stellt. Im Einzelnen ist sorgfältig zu
überprüfen, welche diese Merkmale im
konkreten Fall zutreffen oder nicht. Die
hier gemachten Vorschläge sind nicht
meine Erfindung. Auch innerhalb des
Mainstreams gibt es Innovationspoli-
tik. Was uns unterscheidet, ist die Wie-
Frage und ihre theoretische Fundie-
rung. Wir rücken eine intensive, durch
Unternehmertum bewirkte Kopplung
von Wissenschaft und Wirtschaft in
den Mittelpunkt. Hier sehe ich einen
ausgeprägten komparativen Entwick-lungsvorteil der neuen Bundesländer.
Die altindustrielle Basis ist weitgehend
zerstört. Die Transformation Ost-
deutschland ist – aus schumpeterscher
Logik betrachtet – bereits heute als
bemerkenswerte Innovationsleistung zu
interpretieren. Der Osten kann etwas,
was dem Westen aufgrund seiner über
Jahrzehnte aufgebauten industriellen
Struktur äußerst schwer fällt. Die Zer-
störung ist gelaufen. Die ostdeutschen
Hochschulen sind gut aufgestellt. Die
Wissenschaftsausgaben je Einwohner
übertreffen das westdeutsche Niveau.
Gleiches gilt für die staatlichen Hoch-
schulausgaben je Studierenden.
Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle
39
11. Weglaufen – nicht hinterher laufen!
Schumpeter ist nicht schwer zu ver-
stehen. Er ist nur schwer zu akzep-
tieren. Der Einsatz schumpeterscher
Aktionsparameter in Politik, Wirtschaft
und Wissenschaft schafft natürlich Ak-
zeptanzprobleme. Die Akteure in Poli-
tik,Verwaltung,Wirtschaft und Wissen-
schaft sind gehalten, Dinge zu tun, die
auch ihnen selbst Innovationen abver-
langen und ihre strukturkonservieren-
den Denk- und Handlungsmuster einer
schöpferischen Zerstörung auszuset-
zen. Angesichts der durchaus er-
nüchternden Bilanz der bisherigen Ent-
wicklung sehe ich aber für die neuen
Bundesländer keinen anderen Weg als
den hier skizzierten: Weglaufen – nicht
hinterher laufen! Schon gar nicht dem
Westen, an dem der globale Sturm der
schöpferischen Zerstörung genauso
zerrt, wie an den gebeutelten Regionen
Ostdeutschlands.
Ansatzpunkte Inkremental RadikalUnternehmen Bestehend Neu (start up)
Transfer von Wissen Möglich Schwierig
Regionaler Entwicklungsfokus Ansiedlung bestehender Förderung neuer
Unternehmen Unternehmen
Finanzierung Aus laufendem Cash flow informelle Finanzierung
Kredit Selbstfinanzierug
Venture Capital
Technologiezentren Inputorientierung Inkubatoren
(Gebäude, etc.) Wachstumspole
Wissenschaft Auftragsforschung Ausgründungen, Spin offs
Hochschulen Verbesserung des strukturelle Kopplung
Transfermanagements zwischen Wissenschaft und
Humankapitaltransfer Wirtschaft durch
Unternehmertum
Ausbildung/Training Fachqualifikation Unternehmerische
Kompetenzen
Beitrag des Staates Hilfreich in Engpaßbereichen Unverzichtbar (Anschub-
und Gärtnerfunktion)
Jochen Röpke
40
Tabelle 2:Förderungsschwerpunkte in Abhängigkeit von der Radikalität von Neuerungen
Jochen RöpkeProfessor für Volkswirtschaftslehre an der Philipps-Universität Marburg.
http://www.wiwi.uni-marburg.de/Lehrstuehle/VWL/WITHEO3/main.html
Seit einigen Wochen ist das Thema
„Aufbau Ost“ wieder auf der wirt-
schaftspolitischen Agenda von Regie-
rung und Opposition auf Bundesebene.
Auslöser der Diskussion ist ein Arbeits-
papier, das vom „Gesprächskreis Ost“
um den ehemaligen Hamburger Bür-
germeister Klaus von Dohnanyi im Auf-
trag der Bundesregierung erstellt
wurde und in dem unverblümt eine
desaströse Bilanz der Einheitspolitik
gezogen wird: Arbeitslosigkeit von fast
20 % in den neuen Bundesländern,
ungeminderte Abwanderung junger
Menschen mit den beiden Konsequen-
zen einer überalternden Bevölkerung
und dem Verlust von Humankapital
und Kreativität, ein weiter steigendes
Wohlstandsgefälle zwischen West und
Ost sowie eine gesamtdeutsche
Wachstumsschwäche als Folge der
Transferpolitik – das sind wichtige Eck-
punkte der Schlussbilanz der bisheri-
gen Einheitspolitik.1 Vor dem Hinter-
grund des massiven Kapitaltransfers
von West nach Ost seit der deutschen
Wiedervereinigung (unter Berücksich-
tigung aller finanziellen Transferleis-
tungen ca. 100 Milliarden Euro jährlich),
ist der Zustandsbericht zur wirtschaft-
lichen Lage Ostdeutschlands geradezu
verheerend. Statt der einst versproch-
enen „blühenden Landschaften“ be-
steht die ernsthafte, von nicht wenigen
Experten prognostizierte Gefahr, dass
sich Deutschland auf Jahrzehnte hin-
aus mit einem zweiten Mezzogiorno
konfrontiert sehen könnte. Wie beim
„echten“ Mezzogiorno in Süditalien
würde es sich hierbei um eine Region
handeln, die dauerhaft am finanziellen
Tropf des Westens hängt, aus sich
selbst heraus keine wirtschaftliche
Entwicklung erzeugt und aufgrund der
langfristig erforderlichen Kapital-
infusionen sogar noch die gesamt-
deutschen Wachstumsperspektiven
nachhaltig trübt.
41
Das Gespenst des MezzogiornoWelches Entwicklungsszenario erwartet Ostdeutschland?
Von Jörg Aßmann
1 Dies deckt sich weitgehend mit den Aussagen der letzten beiden „Fortschrittsberichte zum Aufbau Ost“, jeweils ver-fasst von fünf angesehenen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten.
1. Der „Aufbau Ost“ am Scheideweg
Einerseits wegen der Klarheit und
Offenheit, mit der die bisherige Förder-
politik für die neuen Länder kritisiert
wurde, andererseits wegen der wirt-
schaftspolitischen Forderung, in Ost-
deutschland eine steuerbegünstigte
Sonderwirtschaftszone nach pol-
nischem Muster zu schaffen, hat das
Arbeitspapier zu einer hitzigen De-
batte zwischen den politischen Lagern
geführt. Thema: Was zeichnet eine
effektivere Förderstrategie für Ost-
deutschland aus? Ohne die gegenwär-
tige Diskussion bereits an dieser Stelle
näher zu kommentieren, lässt sich
dennoch feststellen, dass in keiner
politischen Partei einer Strategie jen-
seits der bislang praktizierten Kapital-
transferpolitik das Wort geredet wird.
Die unterbreiteten Vorschläge zeigen
vielmehr, dass es an einer echten
wachstumstheoretischen und -poli-
tischen Alternative zur Transferpolitik
fehlt. Zwar wird die Bedeutung von
Innovationen und technischem Fort-
schritt für den wirtschaftlichen Auf-
holprozess der Neuen Länder immer
wieder (zu Recht) hervorgehoben, doch
handelt es sich bei näherer Betrach-
tung zumeist um Innovationsrhetorik.
Denn hinsichtlich der Frage, wie inno-
vationsgetragene regionale Entwick-
lungsprozesse gezielt induziert und
gefördert werden können, herrscht
weitgehende Unkenntnis. Die Erfah-
rungen der vergangenen Jahre zeigen
nur eines sehr deutlich: Eine über Ka-
pitalinfusion bewirkte Verbesserung
der Sach-, Human-, Wissenskapitalaus-
stattung transformiert Ostdeutsch-
land noch nicht automatisch in ein
zweites Silicon Valley oder eine Boston
Route 128.
Zentrale These der weiteren Aus-
führungen ist, dass ein Aufbrechen zu
neuen Ufern in Fragen der effektiveren
Förderung Ostdeutschlands nur dann
gelingt, wenn sich alle Entscheidungs-
träger in Sachen „Aufbau Ost“ vom ver-
trauten, kaum noch hinterfragten und
damit fast schon paradigmatischen
Charakter einnehmenden „Kapital-
fundamentalismus wirtschaftlichen
Wachstums“ verabschieden und einem
anderen wachstumstheoretischen Pa-
radigma folgen. Dieses neue Paradigma
wird im Folgenden als „Innovations-
logik wirtschaftlichen Wachstums“ be-
zeichnet und bezieht sich maßgeblich
auf die wegweisenden Arbeiten von
Joseph A. Schumpeter (1950, 1961, 1993).
Die faszinierende und zugleich erfreu-
liche Einsicht der Überlegungen
Schumpeters ist darin zu sehen, dass
wirtschaftlich rückständige Regionen
immer nur endogen, also ohne Hilfe vonaußen, wachsen können, somit Kapital-
infusionen weder notwendige noch
hinreichende Bedingung für regionales
Wirtschaftswachstum darstellen.
Jörg Aßmann
42
Die weiteren Ausführungen zwingen
den Leser zu einer anstrengenden
„theoretischen Reise“, die aber mit
einer neuartigen und überraschenden
Sichtweise zu den (wahren) Quellen
wirtschaftlichen Wachstums in Ost-
deutschland belohnt wird. Erst dies
aber eröffnet eine neue theoretische
Sicht auf den Weg für eine in Zukunft
hoffentlich erfolgreichere und volks-
wirtschaftlich sinnvollere regionale
Strukturpolitik. 2
Wodurch zeichnet sich die seit der
Wende praktizierte Förderpolitik in den
Neuen Ländern aus? Was ist das wesent-
liche Charakteristikum der Förderstra-
tegie in Ostdeutschland? Auf diese Fra-
gen lässt sich stark vereinfachend, aber
dennoch treffend wie folgt antworten:
Trotz der vielfältigen Facetten regionaler
Strukturpolitik in Ostdeutschland liegt
die Stoßrichtung aller Maßnahmen
darin, den Kapitalstock der ostdeutschen
Wirtschaft durch massiven Kapitaltrans-
fer von West nach Ost zu verbessern und
dadurch eine möglichst rasche An-
gleichung der Lebensbedingungen zu
erreichen.3
Ein erstes Element dieser Transfer-
politik lässt sich als „Kapitalmobilisie-
rungspolitik“ beschreiben. Es handelt
sich hierbei um die bereits seit Jahr-
zehnten in der Bundesrepublik sowie
in vielen anderen europäischen Län-
dern praktizierte Förderstrategie, nach
der mittels Investitionszuschüssen
und -zulagen, Steuererleichterungen,
zinsgünstigen Darlehen und Eigenka-
pitalhilfen eine Umlenkung privater
Investitionen von prosperierenden in
stagnierende Regionen bewirkt wer-
den soll. Die dadurch induzierte Ver-
besserung insbesondere der Sachkapi-
talausstattung führt dieser Strategie
zufolge unweigerlich dazu, dass der in
wachstumsschwachen Regionen in der
Regel bestehende Arbeitskräfteüber-
schusses verstärkt in Produktionspro-
zesse eingebunden und damit die Be-
schäftigungsproblematik maßgeblich
entschärft werden kann. Neben der
Förderung der Sachkapitalausstattung
lag (und liegt noch immer) ein beson-
deres Augenmerk der Förderpolitik in
Das Gespenst des Mezzogiorno
43
2 Die Ausführungen basieren auf der vor kurzem veröffentlichten Dissertation des Autors mit dem Titel „Inno-vationslogik und regionales Wirtschaftswachstum:Theorie und Empirie autopoietischer Innovationsdynamik“, Mar-burg (Mafex) 2003.
3 Das Geld, das über die „Leitungssysteme der Sozialversicherung in den Osten“ (Der Spiegel 2004a, S. 4) schoss,macht zwar einen Grossteil des stattgefundenen Kapitaltransfers aus, entspringt aber weniger einer aktivenFörderpolitik als vielmehr dem Umstand, dass den Ostdeutschen das westdeutsche Rechtsnormen- und Sozial-system übergestülpt wurde.
2. Ostdeutschland im Würgegriff „inputlogischen“ Wachstumsdenkens
Ostdeutschland in der Verbesserung
der wirtschaftsnahen Infrastruktur
(Straße, Schiene, Telekommunikation,
Gewerbeflächen und Technologie- und
Gründerzentren).4 Ziel ist hierbei,
durch attraktive Standortbedingungen
die Ansiedlung von innovativen Unter-
nehmen und damit hochwertigen
Arbeitsplätzen zu bewirken. Ein dritter
Anknüpfungspunkt der ostdeutschen
Transferpolitik liegt in der Verbes-
serung der Human- und Wissenska-
pitalausstattung in den neuen Län-
dern. Über die Modernisierung der be-
reits bestehenden Universitäten und
Forschungseinrichtungen sowie den
weiteren Ausbau der staatlichen Wis-
senschaftsinfrastruktur soll die unver-
zichtbare Grundlage für wissensinten-
sive Wertschöpfungsprozesse, Inno-
vationen und damit Wachstum und
Beschäftigung geschaffen werden.
Vor dem Hintergrund der skizzenhaf-
ten Ausführungen der praktizierten
Regionalförderung in Ostdeutschland,
die sich im Kern durch die angestrebte
(und zweifelsohne auch erreichte) Ver-
besserung des Sach-, Human- Infra-
struktur- und Wissenskapitalstocks
auszeichnet, wird eines deutlich: Re-
gionalförderung in Ostdeutschland ist
ein Kind neoklassischen bzw. input-
logischen Wachstumsdenkens, also
Ausfluss desjenigen wachstumstheo-
retischen Ansatzes, der die wirtschafts-
wissenschaftliche Diskussion zu den
Quellen wirtschaftlichen Wachstums
seit Jahrzehnten dominiert. Doch
wodurch zeichnet sich dieser Ansatz
aus, welches Kausalitätsdenken ver-
birgt sich hinter der neoklassischen
„Inputlogik des Wachstums“?
Vereinfacht ausgedrückt liegt tradi-
tionellen ökonomischen Wachstums-
theorien die Annahme zugrunde, dass
die wirtschaftliche Leistung eines Lan-
des, einer Region oder auch Kommune
durch den Input determiniert wird.5
„Der Output ist eine Funktion des
Inputs“, lautet demnach die einfache
Wachstumsformel der neoklassischen
Inputlogik. Die dem regionalen Wachs-
tumsprozess unterstellte Kausalität
trägt entsprechend dem Akkumula-
tionsgedanken Rechnung: Nur über die
regionale Akkumulation von zusätz-
lichen Inputs (Produktionsfaktoren)
kommt es zu einer Steigerung des Out-
puts, also zu wirtschaftlichem Wachs-
tum. Bei diesem Paradigma repräsen-
tieren somit Produktionsfaktoren und
insbesondere deren Akkumulation den
Jörg Aßmann
44
4 So haben laut Spiegel (2004a, S. 4) der Staat sowie staatsnahe Unternehmen wie bspw. Telekom bislang fast 100 Milli-arden € in infrastrukturverbessernde Maßnahmen investiert. Der Fokus auf Infrastrukturinvestitionen bleibt auch inZukunft erhalten: Der vor kurzem verabschiedete Solidarpakt II beschert dem Osten weitere Transfers in die Infrastruk-tur in Höhe von 156 Milliarden €.
5 Unter dem Begriff „Input“ sind sämtliche von der neoklassischen Wachstumstheorie für bedeutsam erachteten und zu-vor bereits erwähnten Produktionsfaktoren (u.a. Arbeit, Sach-, Human-,Wissens- und technisches Kapital) zu verstehen.
zentralen Engpassfaktor im regionalen
Entwicklungsprozess. Entsprechend
fällt der regionalen Strukturpolitik die
Aufgabe zu, die bestehenden regio-
nalen Faktorengpässe durch die zuvor
beschriebenen förderpolitischen Maß-
nahmen auszuräumen.
Neoklassisch denkende Wachstums-
ökonomen verweisen zwecks theore-
tischer Rechtfertigung der von ihnen
vertretenen Wachstumslogik zu Recht
auf den empirisch beobachtbaren
Gleichschritt zwischen Kapitalakku-
mulation und Wirtschaftswachstum.
So zeigt sich in der Tat, dass ausnahms-
los alle Wachstumsregionen der Welt
(Silicon Valley, Boston Route 128, Cam-
bridge in England, etc.) sich durch eine
immense Kapitalakkumulation aus-
zeichnen. Es stellt sich aber folgende
Frage: Inwieweit ist die empirisch
beobachtbare enge Korrelation zwi-
schen Kapitalakkumulation und Wirt-
schaftswachstum ein wirklich schlag-
kräftiger Beleg inputlogischen Wachs-
tumsdenkens?
Es gibt eine Vielzahl empirischer
Beobachtungen, gerade auch in Ost-
deutschland, die an der zentralen
Wachstumsrelevanz von Produktions-
faktoren ernsthaft zweifeln lässt. Zu
denken ist diesbezüglich bspw. an die
extrem hohe Arbeitslosigkeit unter
Akademikern. Bestes Human- und
Wissenskapital bleibt in diesem Fall
wirtschaftlich ungenutzt, trägt ver-
gleichsweise wenig oder gar nichts zur
Wertschöpfung bei .6 Ähnlich verhält es
sich mit dem Wissenschaftssystem. Im
Gegensatz zur Situation amerika-
nischer oder englischer Universitäten
ist das deutsche Wissenschaftssystem
nach wie vor weitgehend vom Wirt-
schaftssystem abgekoppelt und leistet
folglich vergleichsweise wenig für
Innovation, Wachstum und Beschäfti-
gung. Weiterhin ist zu beobachten,
dass das über die letzten Jahre in vie-
len ostdeutschen Kommunen (zumeist
über EU-Mittel) gebildete Infrastruk-
turkapital in Form von Gewerbegebie-
ten oder Technologiezentren keinen
oder nur einen geringen Beitrag zum
Wachstum leistet. Dies einfach deswe-
gen, weil es keine Unternehmen gibt,
die diese Angebote nachfragen.7
Beispiele für „tote“, d.h. wirtschaft-
liche ungenutzte Ressourcenpotentiale
gibt es in Deutschland (und anderen
Ländern) also genug. Der von der Neo-
klassik unterstellte Automatismus, nach
dem ein Mehr an Ressourcenausstat-
tung zwangsläufig zu einem Mehr an
wirtschaftlicher Leistung führt, greift
Das Gespenst des Mezzogiorno
45
6 So resümiert der Spiegel die millionenschweren Investitionen in Bildung und Qualifikation in den neuen Ländern mitdem vielsagenden Satz:„Junge Anwälte, BWLer oder Wissenschaftler jobben als Kellner oder Schreibkräfte“ (2004a, S. 10).
7 Im Hinblick auf die gravierenden Gewerbeflächenüberkapazitäten in Ostdeutschland ist in der Presse schon die Redevon „beleuchteten Schafweiden“ (Paetz 1997), die sich ostdeutsche Kommunen für sehr teures Geld zugelegt hätten.
keinesfalls immer. Andererseits ist aber
auch vom zuvor angesprochenen
Gleichschritt zwischen Kapitalakkumu-
lation und Wirtschaftswachstum aus-
zugehen. Vor dem Hintergrund dieser
empirischen Beobachtungen bedarf es
von daher eines theoretischen Ansatzes,
der den sich offenbarenden Wider-
spruch aufzulösen weiß. Obwohl die
„Inputlogik des Wachstums“ dies nicht
leistet, zeigt sich anhand der aktuellen
Maßnahmen und Vorschläge (Verab-
schiedung von Solidarpakt II, Ost-
deutschland als Sonderwirtschaftszone,
Förderung von Industrieansiedlungen
und wirtschaftsnaher Forschung, etc.),
dass Ostdeutschland auch auf längere
Sicht im Würgegriff inputlogischen
Wachstumsdenkens verbleiben wird.
Das als „Inputlogik“ bezeichnete Wachs-
tumsdenken besitzt in der heutigen
Gesellschaft und insbesondere in der
wirtschaftswissenschaftlichen und -po-
litischen Diskussion paradigmatischen
Charakter. Im Inputwachstum wird dieUrsache für wirtschaftliche Entwick-
lung gesehen. An der prinzipiellen Rich-
tigkeit der „Inputlogik des Wachstums“
wird nicht wirklich gezweifelt, Inputs
stellen in Wirtschaftstheorie und -poli-
tik die „conditio sine qua non“ wirt-
schaftlichen Wachstums dar.
Mit dem Schumpeterschen Entwick-
lungsparadigma, das – entgegen an-
ders lautender Rhetorik – in der wirt-
schaftstheoretischen und -politischen
Diskussion nach wie vor ein Schatten-
dasein fristet, wird im Folgenden ein
zur Inputlogik alternativer theore-
tischer Ansatz präsentiert. Dieser
Ansatz eröffnet eine vollkommen neue
und mit der Inputlogik nicht verein-
bare Perspektive zu den eigentlichen
Quellen wirtschaftlichen Wachstums.
Entsprechend sieht dieser Ansatz auch
andere Anknüpfungspunkte für eine in
Zukunft erfolgreichere ostdeutsche
Förderstrategie. Dabei manifestieren
sich die Überlegungen Schumpeters in
drei ergänzenden Thesen, die im Fol-
genden näher dargelegt werden.
Schumpeter-These I: SchöpferischeUnternehmer determinieren dieWachstumsrelevanz von Ressourcen
Schumpeter interessiert sich in sei-
ner Theorie der wirtschaftlichen Ent-wicklung (1993) für diejenigen Ver-
änderungen, die das ökonomische
System aus sich selbst heraus erzeugt.
Jörg Aßmann
46
3. Innovationslogik regionalen Wirtschaftswachstums:Selbsttransformation von Regionen
Wenn aber exogene, d.h. außerhalb der
Wirtschaft liegende Faktoren als Im-
pulsgeber im Entwicklungsprozess aus-
geschlossen werden, stellt sich die
Frage nach den endogenen Ursachen
wirtschaftlicher Entwicklung. Schum-
peter sieht in der „Durchsetzung neuer
Kombinationen von Produktionsmit-
teln“ (1993, S. 100) die zentrale Quelle
wirtschaftlichen Wachstums. Innova-
tionen sind für Schumpeter das
„Grundphänomen wirtschaftlicher Ent-
wicklung“ (1993, S. 100).8 Durchgesetzt
werden Innovationen durch den
schöpferischen Unternehmer, der „Trä-
ger des Veränderungsmechanismus“
(Schumpeter 1993, S. 93) ist .9
Bei Schumpeter sind es also nicht
Produktionsfaktoren, sondern deren
innovative (Anders-) Verwendung, die
Entwicklung verursachen: Wirtschaft-
liche Entwicklung resultiert nicht aus
zusätzlichen, sondern aus der Neukom-
bination gegebener Ressourcen. Damit
werden Innovationen und insbeson-
dere die sie durchsetzenden schöpfe-
rischen Unternehmer zum zentralen
Entwicklungsfaktor. Der Kapitalstock
einer Region hat nur eine nachge-
lagerte Bedeutung für wirtschaftliche
Entwicklungsprozesse, weil dessen
Wachstumswirkung durch die Qualität
seiner Einbindung in Produktionspro-
zesse, also durch den Innovationsgrad
seiner Verwendung, determiniert wird.
Oder anders formuliert: Aus innova-
tionslogischer Sicht erlangen Inputs
nur dann Entwicklungsrelevanz, wenn
deren wirtschaftliche Verwertung ge-
währleistet ist. Für den Fall, dass keine
Einbindung der Ressourcen in Produk-
tionsprozesse erfolgt, stellen Produk-
tionsfaktoren lediglich ein „totes“
Wachstumspotential dar.10
Dieser Gedanke lässt sich gut an-
hand des im Rahmen der endogenen
Wachstumstheorie (siehe dazu ins-
besondere Romer 1983, 1986) für so
überaus wichtig befundenen Produk-
tionsfaktors Humankapital veran-
Das Gespenst des Mezzogiorno
47
8 Allerdings führt, worauf Schumpeter selbst hinweist, das erfolgreiche Durchsetzen neuer Möglichkeiten gleich-zeitig zur Entwertung bzw.„schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter 1950, S. 134ff) etablierter Möglichkeiten. Dem-nach ist schöpferische Zerstörung die unverzichtbare Kehrseite innovationsgetragener Entwicklungsprozesse.
9 Unternehmer sind nach Schumpeter also nur solche Akteure, deren ökonomische Funktion in der Durchsetzungneuer Kombinationen liegt: Die Funktion des Unternehmers ist also einzig und allein die, neue Kombinationen„…lebendig, real zu machen, durchzusetzen“ (1993, S. 128). Entsprechend ist zwischen verschiedenen Typen vonUnternehmertum (Routine, Arbitrage, Innovation, Evolution; siehe dazu Röpke 2002) genauso zu differenzieren wiezwischen Innovator und Erfinder sowie Unternehmer und Kapitalist.
10 Dabei wird, so legt es uns zumindest der „frühe“ Schumpeter (1993) nahe, die Nachfrage nach Produktionsfaktorenund damit deren Entwicklungsrelevanz nicht durch etablierte Großunternehmen, sondern vor allem durch innova-tive Neugründungen determiniert. Die Einschätzung von Schumpeter zur Relevanz innovativer Neugründungen fürwirtschaftliches Wachstum wurde anhand verschiedener empirischer Studien mittlerweile bestätigt. So hat bspw.die exzellente Studie von Kirchhoff (1994) gezeigt, dass die in den USA verzeichneten positiven Wachstums- undBeschäftigungseffekte in erster Linie auf einige wenige neue und hoch innovative Firmen zurückzuführen sind(Ergebnis der Studie: ca. 80 % aller in den USA zusätzlich geschaffenen Arbeitsplätze sind auf prozentual wenige,junge und vor allem hochinnovative Unternehmen zurückzuführen). Nach Timmons (1997, S. 29) stammen 95 % allerradikalen Neuerungen seit dem 2. Weltkrieg von neuen und nicht von etablierten Unternehmen.
schaulichen.11 Es besteht kein Zweifel
daran, dass qualitative Verbesserungen
des Humankapitals in der Regel zu
höheren Arbeitsproduktivitäten und
Einkommen führen. Übersehen wird
aber die entscheidende Rolle, die dem
unternehmerischen Faktor hierbei zu-
kommt. So ist keineswegs davon aus-
zugehen, dass ein größerer Humanka-
pitalstock sich automatisch (oder durch
eine „unsichtbare Hand“ geleitet) in
Outputwachstum transformiert. Dies
ist nur dann der Fall, wenn Human-
kapital in innovative Produktionspro-
zesse „einfließt“.12 Diese Einschätzung
zur Rolle von Humankapital im Wachs-
tumsprozess bestätigen auch Englan-
der/ Gurney (1994), wenn sie nach einer
intensiven Analyse von Studien, die
allesamt die Bedeutung von Human-
und Wissenskapital als treibende Kraft
für langfristiges Produktivitätswachs-
tum herausstellen, zu folgendem Er-
gebnis kommen:„…if there is a link bet-
ween education levels and productivity
growth, it is likely be small at the mar-
gin“ (1994, S. 60).
Schumpeter-These II: Innovations-prozesse führen zum Wachstum desKapitalstocks und nicht umgekehrt
Der „Inputlogik des Wachstums“ ist
aus innovationslogischer Sicht weiter-
hin entgegenzuhalten, dass die Frage
nach den Quellen des Inputwachstums
unbeantwortet bleibt. Der immer wie-
der zu findende Verweis auf regional
divergierende Sparquoten und daraus
resultierende Unterschiede im Investi-
tionsverhalten ist deswegen unbefrie-
digend, weil die Ursachen für unter-
schiedliches Sparverhalten selbst nicht
näher thematisiert werden (können).
Schumpeter bietet diesbezüglich eine
einfache und dennoch überzeugende
Antwort, indem er nicht nur die Rolle
von Innovationen und schöpferischen
Unternehmern bei der produktiven
und wohlfahrtsfördernden Verwen-dung der in einer Region verfügbaren
Ressourcen betont, sondern zudem auf
deren unverzichtbaren Beitrag bei der
Produktion dieser Ressourcen verweist.
Mit anderen Worten unterstellt die
„Innovationslogik des Wachstums“
Jörg Aßmann
48
11 Die folgende, auf den Produktionsfaktor Humankapital bezogene Argumentation ließe sich ohne größere Schwie-rigkeiten auf alle anderen im Rahmen der endogenen Wachstumstheorie für entwicklungsrelevant erachteten Pro-duktionsfaktoren (Infrastruktur-, Sach-, Wissens- oder technisches Kapital) übertragen.
12 Wenn dies Berücksichtigung findet, dann wird nachvollziehbar, wieso etwa ein hochqualifizierter russischer Wis-senschaftler oder Ingenieur, der in seinem Heimatland ein Dasein entweder als (völlig unterbezahlter) wissen-schaftlicher Angestellter, Arbeitsloser oder Fensterputzer fristet, im Falle der Emigration in die USA ein vielfachhöheres Einkommen beziehen kann. Der Exodus russischen, indischen und zunehmend auch deutschen Humanka-pitals in die USA dokumentiert folgenden (Schumpeterschen) Zusammenhang auf sehr eindeutige Weise: Ein Feh-len innovativen Unternehmertums bedeutet ausbleibende Nachfrage nach Humankapital, geringe Produktivitätund niedrige Einkommen.
eine Kausalität, die derjenigen der neo-
klassisch-inputlogischen Wachstums-
theorie diametral entgegensteht:
Nicht das Wachstum von Produktions-
faktoren bewirkt Entwicklung, sondern
Innovationsprozesse führen zu einem
Wachstum der Produktionsfaktoren.
Inputwachstum ist dem Entwicklungs-
prozess demnach nicht vor-, sondern
nachgelagert .13
Genau genommen basiert die Kapital-
akkumulation auf zwei im Wesentlichen
durch Innovationshandeln vorangetrie-
benen Teilprozessen. Einerseits bedin-
gen schöpferische Unternehmer durch
ihre Aktivitäten eine zusätzliche Nach-
frage nach Produktionsfaktoren. Durch
die Andersverwendung von – zu einem
bestimmten Zeitpunkt – gegebenen Pro-
duktionsfaktoren resultieren Produkti-
vitätsfortschritte, Beschäftigungs- und
Einkommenszuwächse und damit zu-
sätzliche Sparpotentiale, was wiederum
einen Prozess der Kapitalakkumulation
nach sich zieht. Indem dann – gewisser-
maßen auf einem „höheren Niveau der
Faktorausstattung“ – eine Andersver-
wendung der nunmehr zur Verfügung
stehenden Ressourcenpotentiale er-
folgt, wird die Kapitalakkumulation wei-
ter vorangetrieben. Andererseits spielen
innovative Unternehmer auch beim
Angebot von innovationsfördernden
Ressourcen eine Schlüsselrolle. Dies des-
wegen, weil die Produktion der von
ihnen benötigten Ressourcen entweder
Teil ihrer unternehmerischen Aufgabe
ist oder aber von anderen innovativen
Unternehmern wahrgenommen wer-
den muss.
Hinzuweisen ist an dieser Stelle,
dass die durch die „Innovationslogik
des Wachstums“ nahe gelegte Umkeh-
rung der Entwicklungsprozessen zu-
grunde liegenden Kausalität (Innova-
tionen führen zu Inputwachstum und
nicht umgekehrt) auf eine notwendige
Umorientierung in der regionalen
Strukturpolitik verweist. Die gegen-
wärtig in Ostdeutschland praktizierte
Strukturpolitik operiert weitgehend
nach den theoretischen Vorgaben des
„Say’schen Gesetzes“. So wird, um
beim Produktionsfaktor Humankapital
zu bleiben, davon ausgegangen, dass
ein zusätzliches Angebot an gut aus-
gebildeten und qualifizierten Men-
schen immer auf eine entsprechende
Nachfrage stoßen wird (das Angebot
schafft sich seine Nachfrage). Hin-
gegen ist der Schumpeterschen Ent-
wicklungsperspektive zufolge eine
Wirtschaftspolitik, die der Maxime
eines „auf den Kopf gestellten Say’schenGesetzes“ folgt, wesentlich effektiver
und effizienter. Denn hier schafft sich
Das Gespenst des Mezzogiorno
49
13 Neuere ökonometrische und empirische Studien bestätigen das hier vertretene Kausalitätsverständnis zwischenInnovationen (Entwicklung) und Inputwachstum. Vgl. dazu Weltbank (1993) und King/Levine (1993, 1994).
die innovationsbedingte Nachfrage
nach gut qualifiziertem Humankapital
ihr eigenes Angebot.
Schumpeter-These III: Zugang zuFinanzkapital als zentraleWachstumsressource in innovations-getragenen regionalen Entwicklungs-prozessen
Dem Ansatz von Schumpeter wird
aber nur dann wirklich Rechnung getra-
gen, wenn das für seine Überlegungen
zentrale Argument zur Finanzierung
von Innovationsprozessen Berücksich-
tigung findet: Nur wenn schöpferische
Unternehmer Zugang zu Finanzkapital
erlangen, können sie die für Innovatio-
nen benötigten Produktionsfaktoren
kaufen und ihre Ideen realisieren.14 Die
vollständige Schumpetersche Wachs-
tumsgleichung lautet demnach: Out-putwachstum ist eine Funktion vonInnovationen/Unternehmertum + demZugang zu Finanzkapital.
Die von Schumpeter vorgeschlagene
Deutung von Kapital als Finanzkapital
hat erhebliche Konsequenzen für die
Beantwortung der Frage nach der
tatsächlichen Relevanz von Ressourcen
für regionale Wachstumsprozesse. Um
innovieren zu können, brauchen lokale
Unternehmer Zugang zu Finanzkapital.
Sobald letzteres gewährleistet ist, kön-
nen sämtliche der für die Umsetzung
von Innovationen erforderlichen Pro-
duktionsfaktoren auf Märkten gekauft
werden, denn Finanzkapital ermöglicht
den Entzug von verfügbaren Ressour-
cen aus anderen Verwendungen, sei es
von innerhalb oder von außerhalb der
Region. Die theoretische Aufwertung
der monetären Sphäre im Entwick-
lungsprozess stützt demnach die bis-
herige Argumentation: Eine regionale
Knappheit an innovationsrelevanten
Ressourcen ist lediglich eine „abgelei-
tete Knappheit“, d.h. diese Ressourcen
sind nur dann knapp, wenn lokale
Unternehmer aufgrund fehlenden
Finanzkapitals keine Nachfrage nach
ihnen äußern können. Fehlt aber die
Nachfrage nach Ressourcen, kann auch
kein Angebot zustande kommen.
Aus dieser Überlegung ergibt sich
zweierlei: Erstens, regionalpolitische
Maßnahmen, die ausschließlich auf
eine Verbesserung der lokalen Faktor-
ausstattung hinauslaufen, müssen wir-
kungslos verpuffen, solange nicht die
Finanzierungsproblematik von Innova-
toren behoben wird. Entwickelt eine
Region diesbezüglich keine Lösungen,
dann transformieren sich selbst beste
Standortbedingungen nicht in wirt-
Jörg Aßmann
50
14 Finanzkapital ermöglicht es Unternehmern, die für die Umsetzung ihrer Ideen benötigten Ressourcen aus ihren bis-herigen Verwendungen herauszulösen (Schumpeter 1993, S. 102f). Kredit ist der „Hebel des Güterentzugs“ (Schum-peter 1993, S. 152) und stellt eine notwendige Bedingung für das Durchsetzen neuer Kombinationen dar. Darausfolgt, dass der Unternehmer „…nur Unternehmer werden (kann; J.A.), indem er vorher Schuldner wird … Sein erstesBedürfnis ist das Kreditbedürfnis“ (Schumpeter 1993, S. 148).
schaftliches Wachstum. Zweitens, funk-
tionsfähige Finanzsysteme spielen eine
fundamentale Rolle für regionale Ent-
wicklungsprozesse. Nur wenn in einer
Region Finanzmärkte und Finanzinsti-
tutionen operieren, die ihre von Schum-
peter zugewiesene Kanalisierungs-
funktion der bereits vorhandenen bzw.
der neu geschaffenen finanziellen Mit-
tel (Ersparnisse resp. Kredite) an inno-
vative Firmen und Unternehmensgrün-
der erfolgreich wahrnehmen, können
Neukombinationen realisiert werden.
Ein solches Finanzsystem ist unver-
zichtbarer Bestandteil eines regionalen
Innovationssystems.
Die vorangegangene Argumentation
zusammenfassend lässt sich sagen,
dass regionales Wirtschaftswachstum
im Schumpeterschen Entwicklungs-
paradigma auf den Spuren von Baron
Münchhausen wandelt: So wie es sich
beim Baron Münchhausen um eine Per-
son handelt, die durch reine Selbsthilfe
und mittels höchst innovativer Lö-
sungen schwierigste Situationen zu
meistern versteht, gründet sich auch
der wirtschaftliche Erfolg von Regionen
auf innovativer Selbsthilfe. Während
aus inputlogischer Sicht die Infusion
zusätzlicher Inputs notwendige und
hinreichende Bedingung für regionales
Wirtschaftswachstum ist, deutet die
„Innovationslogik des Wachstums“ re-
gionale Wirtschaftsentwicklung als
einen Prozess der regionalen Selbst-
Transformation durch Innovationen.
Bei Schumpeter produziert die regio-
nale Wirtschaft Wachstum immer von
innen heraus und ist dabei nicht auf die
umfangreiche und kontinuierliche ex-
terne Bereitstellung von zusätzlichen
und qualitativ besseren Inputs ange-
wiesen. „Innovations-“ und „Inputlogik
des Wachstums“ schließen sich gegen-
seitig aus, sind nicht miteinander ver-
einbar. Regionale Entwicklung ist bei
Schumpeter das Ergebnis von interner
Dynamik und von internen Bedingun-
gen, nicht aber von lokaler Ressourcen-
verfügbarkeit.
Innovationen, schöpferisches Unter-
nehmertum und Finanzkapital als dieeigentlichen regionalen Wachstumsde-
terminanten identifiziert zu haben, hilft
der Förderpolitik von Regionen aber
noch nicht wirklich weiter. Erforderlich
ist ein besseres Wissen über die Quellen
regionalen Innovationsverhaltens: Was
treibt regionale Innovationsprozesse
voran, wenn es die regionale Produkti-
onsfaktorenausstattung ganz offen-
sichtlich nicht ist? Gefordert ist eine
Erweiterung des Ansatzes von Schum-
peter, denn er bietet keine wirkliche
Erklärung des Prozesses wirtschaft-
lichen Wachstums, sondern beschränkt
sich auf die Beschreibung des Funk-
tionsmechanismus einer sich entwick-
elnden Wirtschaft. Dieser Aufgabe wid-
Das Gespenst des Mezzogiorno
51
men sich die weiteren Überlegungen.
Ausgangspunkt ist dabei die knappe
Darstellung des „Systemansatzes der
Innovation“, der das regionalpolitische
Handeln auch in Ostdeutschland maß-
geblich beeinflusst hat. Wie aber deut-
lich wird, handelt es sich entgegen aller
Innovationsrhetorik ebenfalls um einen
inputlogisch-argumentierenden An-
satz. Dies macht im Anschluss daran die
Entwicklung eines neuartigen, mit der
Innovationslogik im Einklang stehen-
den Erklärungsansatzes regionalen In-
novationsverhaltens erforderlich.
Der in den letzten Jahren viel beach-
tete „Systemansatz der Innovation“
wird von seinen Vertretern als ein
neuartiger theoretischer Weg zur Er-
klärung technologischer Innovationen
und wirtschaftlichen Wachstums in
nationaler, regionaler oder auch sekto-
raler Hinsicht gesehen. Das erklärte Ziel
dieses Ansatzes ist, den systemischen
Charakter des Innovationsprozesses
herauszustellen. Ausgangspunkt ist
dabei die Überlegung, dass der Innova-
tionsprozess hoch komplex ist und
durch eine Vielzahl von Faktoren beein-
flusst wird. Demnach agieren innova-
tive Unternehmen bzw. Unternehmer
fast nie in vollständiger Isolierung, son-
dern arbeiten immer mit anderen Or-
ganisationen zum Zwecke der Aneig-
nung und Entwicklung von Ressourcen,
Informationen und Wissen zusammen.
Folglich kann die Erklärung von Innova-
tionsprozessen nicht über die Betrach-
tung einzelner Unternehmen, sondern
nur über ein Verständnis der Struktur
und Funktionsweise von Innovations-
systemen gelingen. Dabei sind zu den
Organisationen, die den Innovations-
prozess von Firmen beeinflussen, nicht
nur andere Firmen (Zulieferer, Abneh-
mer, Wettbewerber, etc.), sondern auch
staatliche Apparate, Universitäten und
Ausbildungsstätten, öffentliche und
private FuE-Labors, Forschungsinsti-
tute, Banken und Venture Capital-
Unternehmen sowie intermediäre
(halb-öffentliche) Organisationen wie
Handelskammern, Verbände, Gewerk-
schaften usw. zu zählen.
Aber auch der Systemansatz der
Innovation ist, trotz seiner als überaus
positiv zu bewertenden Fokussierung
auf Institutionen als Wachstumsfaktor,
letztlich als inputlogisch einzustufen
und unterliegt damit ähnlichen Pro-
blemen wie die neoklassische Input-
logik. Wie ist das zu begründen? Zwei
(bereits bekannte) Antworten liegen
Jörg Aßmann
52
4. „Systemansatz der Innovation“: Inputlogik auf zweiter Ebene
auf der Hand: Erstens, die institutionell-
organisatorische Vielfalt von Regionen
transformiert sich nur dann in mehr
Innovation, Wachstum und Beschäfti-
gung, wenn der mit ihr verbundene
Ressourcenreichtum auch tatsächlich
innovativ genutzt wird. Von einer
Zwangsläufigkeit ist hier jedoch kei-
nesfalls auszugehen.15 Zweitens, es
fehlt dem Systemansatz der Innovation
an einer überzeugenden Erklärung für
die Entstehung innovationsfördernder
institutioneller Bedingungen in rück-
ständigen Regionen. Aufgrund des Feh-
lens einer solchen „dynamischen Insti-
tutionentheorie“ mit schöpferischen
Unternehmern in der Hauptrolle blei-
ben aber die folgenden – gerade aus
wirtschaftspolitischer Sicht – sehr be-
deutsamen Fragen unbeantwortet:
Welche Faktoren und Prozesse sind in
Regionen für die Etablierung und Wei-
terentwicklung einer innovationsför-
dernden institutionellen Infrastruktur
verantwortlich? Wie kommen Regionen
überhaupt zu „vorteilhaften“ institu-
tionell-organisatorischen Strukturen?
Wieso tun sich wachstumsschwache
Regionen in der Regel so schwer, wenn
es um die Übernahme bzw. Imitation
„institutioneller Erfolgsfaktoren“ ande-
rer Regionen geht?
Es wird deutlich, dass auch im
Systemansatz der Innovation entgegen
anders lautender Rhetorik Innovatio-
nen und schöpferische Unternehmer
weder Ausgangspunkt noch treibende
Kraft im regionalen Entwicklungspro-
zess, sondern lediglich „Ausdruck“ von
institutionellen Gegebenheiten sind,
auf deren Entstehung und Evolution sie
selbst keinen Einfluss haben. In diesem
Sinne verfällt auch der Systemansatz
der Innovation (wenn auch auf einer
zweiten Ebene) den „Verlockungen“
inputlogischen bzw. unternehmerlosen
Wachstumsdenkens. Dieses theore-
tische Defizit zeigt sich in der förderpo-
litischen Praxis. So spielen seit einigen
Jahren verschiedene „institutionelle
Förderinstrumente“ nicht nur im Rah-
men der in Ostdeutschland praktizier-
ten Strukturpolitik eine (finanziell)
gewichtige Rolle (z.B.: Förderung von
regionalen Innovationsnetzwerken,
Wachstumskernen oder lokalen Pro-
duktionsclustern). Hier wie anderswo
in der Welt zeigt sich aber, dass eine
gezielte wirtschaftspolitische Förde-
rung von Netzwerken und Clustern sel-
ten funktioniert. Offensichtlich fehlt
das Wissen über die Faktoren und Pro-
zesse, die hinter der Entstehung und
Evolution von vernetzten Regionen ste-
Das Gespenst des Mezzogiorno
53
15 Durch eine „institutional thickness“ (Amin/Thrift 1994, S. 14) zeichnen sich gerade wirtschaftlich rückständige Orga-nisationen aus, ohne dass dadurch mehr Innovations- und Entwicklungsdynamik zu beobachten wäre. Ein beson-ders gutes und empirisch leider relevantes Beispiel dafür sind die zuvor bereits angesprochenen ungenutztenWachstumspotentiale des deutschen Hochschulsystems; siehe dazu ausführlich Aßmann (2003, Kapitel 6).
hen. Wenn dem aber so ist, dann be-
steht die Gefahr, dass „…business net-
works, intended as an instrument of
economic development, become ano-
ther fad in the tool kit of governments
con-cerned with job creation and social
welfare“ (Staber 1996, S. 23).
Für eine erfolgreichere „institutio-
nellen Förderpolitik“ ist es notwendig,
die institutionelle Bedingungen wirt-
schaftlich erfolgreicher Innovations-
systeme nicht mehr als ein in ihrer Ent-
stehung und Evolution selbst nicht
erklärten „Input“, sondern als das emer-
gente Produkt der das Innovationssys-
tem ausmachenden Akteure zu begrei-
fen. Es gilt also die regionalen Prozesse
der Etablierung, Aufrechterhaltung und
Evolution von innovationsfördernden
institutionellen Strukturen systematisch
auf die Aktivitäten schöpferischen Un-
ternehmertums zurückzuführen. Im Fol-
genden wird ein theoretisches Konzept
vorgestellt, das die geforderte Endoge-
nisierung von Institutionen (= Deutung
institutioneller Strukturen als „Produkt“
schöpferischen Unternehmerverhal-
tens) in sich trägt.
Das Autopoiese-Konzept hat seinen
Ursprung in den Arbeiten der Neurobio-
logen Maturana und Varela (1979, 1982,
1987). Die beiden Wissenschaftler haben
sich mit folgender Frage auseinanderge-
setzt: „Was ist allen lebenden Systemen
gemeinsam, und was veranlasst uns, sie
als ‘lebendig’ zu bezeichnen?“ (Matu-
rana/Varela 1982, S. 181). Ziel ihrer Arbei-
ten ist, die Organisation des Lebendigen
offen zu legen und insbesondere den
einheitlichen Charakter lebender Sys-
teme zu identifizieren. Das Ergebnis
ihrer Forschungen lautet, dass lebende
Systeme als autopoietische Systeme
(griech. autos = selbst; poiein = machen,
produzieren) zu begreifen sind. Auto-
poiese hat die fortgesetzte Produktion
und Reproduktion der Elemente eines
Systems durch das System selbst zum
Inhalt (Maturana/Varela 1982, S. 186).
In Hinblick auf die Frage, wie die
autopoietische Rekonstruktion von re-
gionalen Innovationssystemen ausse-
hen könnte, ist die Vergegenwärtigung
der von Maturana vorgeschlagenen
Definition eines autopoietischen
Systems hilfreich. Demnach ist ein
autopoietisches System „…ein Netz-
werk der Produktion von Komponen-
ten. Diese Komponenten erzeugen
durch ihre Interaktionen wiederum
Jörg Aßmann
54
5. Innovationssysteme als „autopoietische“ Systeme:Regionales Wachstum ohne Ressourcenzufuhr von außen
dasselbe Netzwerk der Produktion, das
sie selbst erzeugte und die Grenzen
des Systems festlegte. Wenn das zu-
trifft, hat man es mit einem autopoie-
tischen System zu tun“ (Maturana
1990, S. 39). In enger Anlehnung an
diese Definition lässt sich ein auto-
poietisch-operierendes regionales In-
novationssystem wie folgt definieren,
wenn
a)lokale schöpferische Unternehmer-
systeme als die Komponenten regio-
naler Innovationssysteme und
b)die institutionellen Gegebenheiten
einer Region als das „Netzwerk der
Produktion“ aufgefasst werden:
Ein regionales Innovationssystem
ist ein Netzwerk der Produktion
von lokalen schöpferischen Unter-
nehmersystemen. Diese erzeugen
durch ihre wettbewerblichen und
kooperativen Interaktionen die in-
stitutionellen Bedingungen (die
institutionelle Infrastruktur eine
Region), das sie selbst erzeugte
und die Grenzen des Systems fest-
legte. Wenn das zutrifft, hat man
es mit einem autopoietischen Sys-
tem zu tun.
Aus dieser Definition lassen sich
zumindest vier weitreichende Schluss-
folgerungen ziehen:
Erstens, das „Autopoietische“ eines re-
gionalen Innovationssystems offenbart
sich in der fortlaufenden Reproduktion
der schöpferischen Unternehmerfunk-
tion mit der folgenden zirkularen Kau-
salität: Lokale schöpferische Unterneh-
mersysteme, zu begreifen als die Be-
standteile regionaler Innovationssys-
teme, produzieren durch auf spezifische
Weise verkettete Prozesse, d.h. durch
wechselseitige Interaktionen, exakt
wieder die Bestandteile des Systems,
also sich selbst .16 Entsprechend manife-
stiert sich die Autopoiese regionaler
Innovationssysteme in ei-nem Co-Inno-vationsprozess, bei dem Innovationen
zur zentralen Quelle weiterer Innova-
tionen werden. Mit der Formel „Innova-
tionen produzieren Innovationen“
(Röpke 2002, S. 214) bzw. – wenn auf die
Träger von Innovationen abhebend –
„schöpferische Unternehmer produzie-
ren schöpferische Unternehmer“ lässt
sich folglich die autopoietische Opera-
tionsweise von regionalen Innovations-
systemen umschreiben.
Das Gespenst des Mezzogiorno
55
16 Dies impliziert aber nicht, dass es in regionalen Innovationssystemen zur Reproduktion der spezifischen Akteure,also der das System zu einem bestimmten Zeitpunkt ausmachenden lokalen Unternehmersysteme kommt. Viel-mehr leben autopoietisch-operierende Innovationssysteme von der schöpferischen Zerstörung von Innovationenund ihren Trägern, denn „…das Innovationssystem reproduziert … nicht seine spezifischen Akteure, (sondern; J.A.)erfordert vielmehr ihren Untergang, um sich zu erhalten. Gerade dadurch erhält es Unternehmertum in seiner inno-vativen Funktion“ (Röpke 2002, S. 225). Folglich ist die Gefahr der schöpferischen Zerstörung wesentliche Triebkraftfür Unternehmen, innovative Produkte und Verfahren hervorzubringen. Erst der (wirtschaftliche) Tod macht Unter-nehmen erfinderisch.
Jörg Aßmann
56
Zweitens, dieser Co-Innovationspro-
zess kommt nur dann zum Tragen, wenn
das Konzept des schöpferischen Unter-
nehmers wesentlich weiter gefasst wird
als bei Schumpeter. Diese Forderung
nach einer stärkeren Differenzierung des
schöpferischen Unternehmertyps grün-
det darauf,dass der von Schumpeter vor-
nehmlich thematisierte realwirtschaft-
liche Unternehmer zwingend auf eine
Reihe von Innovationsvorleistungen aus
anderen gesellschaftlichen Bereichen
und damit auf andere Typen schöpfe-
rischen Unternehmertums angewiesen
ist. Demnach gewinnt schöpferischesFinanz- und Netzwerkunternehmertum
genauso an Bedeutung für regionale
Innovationsprozesse wie etwa wissen-schaftliches, institutionelles, administra-tives und politisches Unternehmertum.
Drittens, es wird deutlich, dass es die
lokalen schöpferischen Unternehmer
selbst sind, die durch ihre Interaktionen
das „Netzwerk der Produktion“, sprich
die innovationsfreundlichen institutio-
nellen Kontextbedingungen, ausbilden
und erhalten und damit genau das
„produzieren“, wovon ihre eigene Re-
produktion bzw. die Reproduktion der
von ihnen eingenommenen unterneh-
merischen Funktion der Innovation
abhängt. Innovationsfördernde institu-
tionelle Bedingungen (etwa: lokale
Unternehmensnetzwerke, unterneh-
merfreundliche Verwaltung, effektive
Innovationsförderung durch bspw.Wirt-
schaftsförderung, etc.) sind mit anderen
Worten Ergebnis institutioneller Inno-
vationen, welche per definitionem wie-
derum von schöpferischen Unterneh-
mern durchzusetzen sind.
Und schließlich, viertens, verweist die
Definition darauf, dass andere Typen
von Unternehmertum, etwa der Rou-
tine-Unternehmer, der Arbitrageur oder
auch der unproduktive Rent Seeker
(siehe dazu Baumol 1987), aufgrund
ihrer andersartigen unternehmerischen
Funktionen keine Komponenten des
regionalen Innovationssystems werden
können, also vom Innovationssystem
ausgeschlossen sind.
Es lässt sich an dieser Stelle festhal-
ten: Im Rahmen der vorgeschlagenen
autopoietischen Deutung von regiona-
len Innovationssystemen verbleiben
schöpferische Unternehmer eindeutig
im Zentrum der regionalen Innova-
tions- und Entwicklungsdynamik. Es
handelt sich um ein Modell der Selbst-
organisation, das regionales Wirt-
schaftswachstum eindeutig als ein
durch lokale schöpferische und institu-
tionelle Unternehmer verursachtes
Phänomen deutet. Die zentralen As-
pekte, durch die sich autopoietisch-
operierende regionale Innovationssys-
teme auszeichnen, werden im und
durch das System selbst hergestellt. Sie
entspringen der endogenen Opera-
tionsweise dieser Systeme, wobei dies
gleichermaßen für die Komponenten
(schöpferische Unternehmer), für das
„Netzwerk der Produktion“ (institutio-
nell-organisatorische Kontextbedin-
gungen einer Region) wie auch für den
Zugang von Innovatoren zu Finanzkapi-
tal (Finanzinnovatoren finanzieren real-
wirtschaftliche Unternehmer) zutrifft.
Und schließlich sind auch die von
schöpferischen Unternehmersystemen
benötigten Produktionsfaktoren, d.h.
die im Rahmen der neoklassischen
Theorie als „Inputs“ bezeichneten Res-
sourcen, im Innovationssystem entwe-
der bereits vorhanden, oder werden
den Routine- oder Arbitragesystemen
mittels des den Innovatoren im Innova-
tionssystem zur Verfügung gestellten
Finanzkapitals entzogen: „Woher kom-
men also Inputs? Sie werden im System
durch die Struktur innovativer Prozesse
selbst erzeugt. Schöpferische Zerstö-
rung setzt Produktionsfaktoren frei“
(Röpke 2002, S. 221).
Wenn aber alles, was eine Region
zum Wachstum braucht, im regionalen
Innovationssystem selbst geschaffen
wird, dann ist Ressourcenzufuhr von
außen weder notwendige noch hin-
reichende Bedingung für regionales
Wirtschaftswachstum. Regionale Inno-
vationssysteme sind wie alle autopoie-
tischen Systeme inputlos. Was heißt
das? Während bei inputdeterminierten
Systemen äußere Einflüsse ein wesent-
liches Erklärungsmoment dafür sind,
was mit dem System geschieht, wel-
ches Verhalten bzw. welchen Output es
zeigt, zeichnen sich lebende Systeme
dadurch aus, dass ihre Systemdynamik
einzig und alleine von internen Fakto-
ren abhängt. Folglich besteht die
Gefahr, dass massive Kapitalinfusionen
zum „Wohle“ wirtschaftlich rückstän-
diger Regionen die nur in diesen Regio-
nen selbst zu entfaltende Innovations-
und Entwicklungsdynamik nachhaltig
unterminiert. Für den italienischen
Mezzogiorno sind die Zeichen einer sol-
chen Überförderungspolitik aufgrund
der vergleichsweise langen Förder-
periode bereits deutlich erkennbar und
oft thematisiert (siehe u.a Arlacchi
1989, Fadda 1992, Florio 1996).
Es drängt sich folgende Frage auf: Ist
ein ähnliches Szenario auch für Ost-
deutschland zu erwarten, wenn am
Kapitalfundamentalismus festgehalten
wird? Davon ist auszugehen, wenn keine
nachhaltige Kurskorrektur der ostdeut-
schen Förderstrategie vorgenommen
wird. Bevor am Schluss dieses Beitrags
näher auf einige Eckpunkte einer inno-
vationslogisch-konsistenten Förderstra-
tegie für die neuen Länder eingegangen
wird, gilt es im Folgenden einen in Wis-
senschaft und Politik gleichermaßen dis-
kutierten regionalen Erfolgsfall, nämlich
das so genannte „Dritte Italien“, einmal
Das Gespenst des Mezzogiorno
57
etwas genauer zu betrachten. Es gilt
dabei aufzuzeigen, dass hier (aber nicht
nur hier!) das Schumpetersche Entwick-
lungsparadigma eine überaus trag-
fähige Erklärung des wirtschaftlichen
Erfolgs von Regionen anzubieten hat.
Beim „Dritten Italien“ (Bagnasco 1977)
handelt es sich um diejenige Region Ita-
liens (Emiglia Romagna, Venetien und
bedingt die Toskana), die sich nach dem
Zweiten Weltkrieg von der ärmsten zur
wachstumsträchtigsten und damit mitt-
lerweile reichsten Region „gemausert“
hat und sich dabei als ein dritter Wirt-
schaftsraum neben dem industrialisier-
ten Nord-Westen (Mailand, Turin) und
dem unterentwickelten Süden (Mezzo-
giorno) etablieren konnte. Die in dieser
Region liegenden Industriedistrikte ha-
ben sich als ideale Brutstätten für junge
Unternehmen erwiesen, weswegen die
Arbeitslosigkeit in Richtung natürliche
Arbeitslosenquote (2-3 %) tendiert, das
Einkommensniveau der Bevölkerung
hoch und die Verschuldung der Kommu-
nen vergleichsweise sehr gering ist.
Was aber nun ist so interessant am
Phänomen „Drittes Italien“? Fünf Beob-
achtungen sind aus innovationslo-
gischer Sicht besonders von Bedeutung:
Erstens, Wachstum wurde ohne Kapi-
talinfusion realisiert. Der rasante wirt-
schaftliche Aufstieg dieser Region nach
dem Krieg ist nicht auf massive Kapital-
infusionen von außen zurückzuführen.
Eher das Gegenteil war der Fall. Auf-
grund der Tatsache, dass die Lokalregie-
rungen zumeist kommunistisch, die ver-
schiedenen Zentralregierungen in Rom
hingegen bis Anfang der neunziger
Jahre fast durchgängig christdemo-
kratisch waren, wurde den Regionen des
„Dritten Italien“ systematisch der Geld-
hahn zugedreht. Fördergelder flossen
statt dessen reichhaltig in den Mezzo-
girono, wo es Wählerstimmen zu gewin-
nen galt. Fehlende Förderung von außen
bedeutete aber zwangsläufig, dass
eigene Lösungen gefunden werden
mussten. Der Innovationsdruck war
groß. Ein Grund sicherlich dafür, dass
gerade im „Dritten Italien“ seitens Poli-
tik,Verwaltung, Gewerkschaften und Ar-
beitgeberverbände, Wissenschaft usw.
sehr effektive, besonders auf kleine und
mittlere Unternehmen fokussierende
Innovationsvorleistungen (Serviceleis-
tungen, Kollektivgüter und Produk-
tionsfaktoren wie z.B. qualifiziertes
Jörg Aßmann
58
6. Wachstumsregion „Drittes Italien“:Eine Interpretation aus innovationslogischer Sicht
Humankapital) erbracht wurden. Es
zeigt sich somit: Inputwachstum auseigener Kraft ist ein erster Erfolgsgarant
dieser Region.
Zweitens, auch ohne Spezialisierung
auf High-Tech ist wirtschaftliche Pros-
perität möglich. Im Gegensatz zu Silicon
Valley oder anderen Wachstumsregio-
nen der Welt (Boston Route 128, Mün-
chen Martinsried, Cambridge) beruht
der Erfolg nicht auf hochtechnolo-
gischen Produkten oder auf dem Wirken
von „global playern“. Vielmehr zeichnet
sich das „Dritte Italien“ durch seine Spe-
zialisierung auf „etablierte“ Produkte
aus, die aber das nachhaltige Potential
für „kleinere“ (inkrementale) Innova-
tionen in sich tragen (z.B. Keramik,
Schuhe, Textilien, Maschinenbau, etc.).
Drittens,Wachstum wurde durch „kol-
lektive Effizienz und Effektivität“ er-
möglicht. In Anbetracht der überwäl-
tigenden Dominanz von teilweise
extrem kleinen Unternehmen im Wert-
schöpfungsprozess und der gleichzei-
tigen Spezialisierung auf „etablierte“
Branchen stellt sich im Hinblick auf die
Lohnkostenvorteile von Schwellenlän-
dern die berechtigte Frage nach den
eigentlichen Wurzeln des Erfolgs. Ein-
hellige Meinung unter Wissenschaft-
lern ist, dass der wirtschaftliche Erfolg
der industriellen Distrikte nicht über die
Wettbewerbsfähigkeit einzelner Unter-
nehmen erklärt werden kann. Vielmehr
gründet er auf der räumlichen Verdich-tung kleiner und mittlerer Unterneh-
men sowie der zwischen diesen beste-
henden wettbewerblichen und vor
allem kooperativen Beziehungsmuster.
Insbesondere dieser „blend between
competition and cooperation“ (Brusco
1982, S. 169) verleiht industriellen
Distrikten insgesamt ein großes Maß an
Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Inno-
vationsdynamik und damit an kollek-
tiver Effizienz und Effektivität. Damit
aber werden institutionelle Kontext-innovationen zu einem weiteren Er-
folgsfaktor im „Dritten Italien“.
Viertens, regionales Wachstum ist
ohne institutionelles und Netzwerkun-
ternehmertum undenkbar. Die zuvor
für so wichtig befundenen institutio-
nellen Kontextinnovationen implizie-
ren, dass institutionelles und Netz-
werkunternehmertum im „Dritten Ita-
lien“ (genauso übrigens wie in allen
anderen Wachstumsregionen der Welt)
eine Schlüsselrolle gespielt haben müs-
sen. Ohne dies an dieser Stelle nach-
weisen zu können (siehe dazu Aßmann
2003, Kap. 4 bis 6), offenbart sich auch
im „Dritten Italien“ bei genauerer
Betrachtung eine Wachstumskausa-
lität, welche sich gravierend von der
Aussage des Systemansatzes der Inno-
vation unterscheidet: Nicht innova-
tionsfördernde institutionelle Struktu-
ren, sondern die Fähigkeit lokaler
Das Gespenst des Mezzogiorno
59
Akteure zur Etablierung, Aufrechterhal-
tung und Weiterentwicklung dersel-
ben, stellt die eigentliche („letzte“)
Ursache regionaler Entwicklung dar.17
Und schließlich, fünftens, wurde
Wachstum auf der Basis autopoietischer
Finanzierungskreisläufe realisiert. Inno-
vations- und Gründungsfinanzierung
stellt aufgrund der bekannten Risiko-
problematik in vielen Regionen ein
großes Problem dar. Nicht so im „Dritten
Italien“ und anderen Wachstumsregio-
nen der Welt. Diese Regionen zeichnen
sich dadurch aus, dass finanzinstitutio-
nelle Gegebenheiten existieren, die
Innovatoren den dringend benötigten
Zugang zu Finanzkapital ermöglichen.
Von einem autopoietischen Finanz-
ierungskreislauf lässt sich dabei aus
zweierlei Gründen sprechen: Erstens,
derartige finanzinstitutionelle Bedin-
gungen sind Ergebnis des Handelns von
(zumeist lokalen) schöpferischen Fin-
anzunternehmern. Zweitens, es zeigt
sich nicht nur in den industriellen
Distrikten, sondern in allen Wachstums-
regionen der Welt, dass das Innovatoren
zur Verfügung gestellte Finanzkapital
zum überwiegenden Teil in diesen
Regionen selbst „gesourct“ wird, also
nicht von außen hineinströmt.18
Die Ausführungen zum Erfolgsfall
„Drittes Italien“ haben gezeigt, dass es
durchaus einen Wachstumspfad jenseitsexterner Kapitalinfusion und High-Techgibt. Um diesen Weg allerdings gehen zu
können, bedarf es lokaler schöpferischer
Unternehmer in allen gesellschaftlichen
Subsystemen (Wirtschaft, Politik, Finan-
zierung, Verwaltung und Wissenschaft),
die durch ihre Aktivitäten eine sich selbst
tragende Innovationsdynamik in Gang
setzen und aufrechterhalten. Diesen auf
vielen Schultern verteilten regionalen
Innovations- und Entwicklungsprozess
zu induzieren, ist zentrale Aufgabe regio-
naler Strukturförderung. Wie regionale
Strukturförderung in Ostdeutschland
zukünftig ausgerichtet sein muss, um
den Selbstorganisationsprozess regiona-
len Wirtschaftswachstums auf die
Sprünge zu helfen, ist Thema des näch-
sten und zugleich letzten Abschnittes
dieses Beitrags.
Jörg Aßmann
60
17 So zeigt sich am Beispiel des von vielen rückständigen Regionen herbeigesehnten institutionellen Phänomens„regionales Innovationsnetzwerk“, dass dieses nicht wie „Manna vom Himmel fällt“, sondern immer nur dort ent-stehen kann, wo a) ein aus Innovationsaktivitäten resultierender Bedarf an Vernetzung besteht und gleichzeitig b)Akteure über die erforderlichen unternehmerischen Kompetenzen verfügen, um enge und vertrauensvolle Netz-werkbeziehungen aufzubauen. Was ist die Lehre daraus: Nicht Netzwerke bedingen Innovationen, sondern Innova-tionen bedingen Netzwerke.
18 Besonders deutlich wird dies bei einer genaueren Betrachtung der Bedeutung von Venture Capital für den Wachs-tumserfolg im Silicon Valley: In den 80er und 90er Jahren wurden fast 90% des weltweiten Venture Capitals anUnternehmen in Silicon Valley vergeben, wobei ca. 90% der investierten Mittel aus der Region selbst stammten.
Die überaus ernüchternde Zwischen-
bilanz zum Thema „Aufbau Ost“, die
die Expertengruppe um Klaus von
Dohnanyi gezogen hat, führte bereits
zu einer Reihe von wirtschaftspoli-
tischen Vorschlägen, um die Effekti-
vität und Effizienz in der Förderung der
Neuen Länder maßgeblich zu erhöhen.
Es ist jedoch fraglich, inwieweit die bis-
lang unterbreiteten Vorschläge dem
geäußerten Anspruch auf einen radi-
kalen Kurswechsel in der Förderpolitik
Ostdeutschlands tatsächlich gerecht
werden. Zweifel sind angebracht, denn
der verabschiedete Solidarpakt II mit
einem Fördervolumen von 156 Mrd. €,
die geforderte Errichtung einer
Sonderwirtschaftszone mit niedrigen
Steuersätzen, die angestrebte ziel-
genaue Förderung von Industriean-
siedlungen, die vorgeschlagene Um-
widmung von Infrastrukturmittel auf
wachstumsrelevante Investitionen
oder auch die Forderung nach mehr
Investitionen in wirtschaftsnahe For-
schung lassen deutlich erkennen, dass
die Inputlogik nach wie vor das
wirtschaftspolitische Denken aller
politischen Parteien dominiert .19
Wodurch aber zeichnet sich ein alter-
natives, der Innovationslogik des
Wachstums folgendes regionales För-
derkonzept für die Neuen Länder aus?
Eine schnelle und einfache Antwort
darauf zu geben ist an dieser Stelle
nicht möglich. Dies deswegen, weil es
im Gegensatz zur Inputlogik kein
Patentrezept (ein Mehr an Input führt
zwangsläufig zu einem Mehr an Out-
put) gibt, sondern in jeder ostdeutschen
Region und Kommune eigene Antwor-
ten auf teilweise sehr individuelle, an
den konkreten Ort gebundene Problem-
lagen gefunden werden müssen. Es gilt
also bei der Formulierung einer in-
novationslogischen Förderstrategie den
Grundsatz zu berücksichtigen, dass
effektive Innovationsförderung selbst
eine hoch innovative Angelegenheit
darstellt. Begreift man aber Innova-
tionsförderung als unternehmerische
Leistung, dann ist es zumindest mög-
lich, einige grundlegende Prinzipien zu
formulieren, denen eine „innovationslo-
Das Gespenst des Mezzogiorno
61
7. Endogene Entwicklung von Regionen:Strukturförderung in Ostdeutschland aus innovationslogischer Sicht
19 Aber auch andere Vorschläge lassen keinen wirklich neuen Denkansatz erkennen. Die Konzentration der Wirtschafts-förderung auf so genannte „Wachstumskerne“ (ein in der Wirtschaftsgeographie seit langem bekanntes, aber fürwirtschaftspolitisches Handeln bislang wenig hilfreiches Konzept) stellt genauso wenig die Inputlogik in Frage wiebspw. die vorgeschlagenen Lohnkostenzuschüsse im Niedriglohnsektor, die längerfristige Steuerbefreiung von Unter-nehmen für garantierte Arbeitsplätze oder die Nutzung von Liegenschaften des Bundes zur Firmenansiedlung. Undschließlich: Auch die Forderung, Aufbau-Milliarden nicht mehr für Toilettenhäuschen mit Reetdach, Spaßbäder, Rad-wege oder für granitbelegte Bahnsteige (Der Spiegel 2004a), sondern für „handfeste Industrieansiedlungen“ zu ver-wenden, kritisiert weniger die inputlogische Förderpolitik an sich als vielmehr die Ineffizienz ihrer Umsetzung.
gische Ostförderung“ zu gehorchen hat.
Dieser Beitrag schließt mit der näheren
Erläuterung dieser vier Prinzipien und
deren auf die Problemlage Ostdeutsch-
lands. Auf diesem Wege zeichnet sich
zumindest in Umrissen das Bild einerneuen Förderstrategie, die sich nachhal-
tig von der bisherigen unterscheidet.
a.Prinzip der endogenen FörderungWird regionale Innovations- und Ent-
wicklungsdynamik als ein sich selbst
organisierender Prozess gedeutet,
dann muss regionale Strukturpolitik
immer in der Region selbst erfolgen.
Wenn zudem davon auszugehen ist,
dass eine innovationsorientierte regio-
nale Strukturpolitik einer autopoieti-
schen Logik zu gehorchen hat („Inno-
vatoren produzieren Innovatoren“ bzw.
„Innovationsförderung ist selbst un-
ternehmerisch“), dann lässt sich auf
einer „höheren“ Ebene doch noch eine
Möglichkeit zur Fremdsteuerung von
regionalen Selbstorganisationsprozes-
sen identifizieren: Strukturpolitik in
Ostdeutschland muss bei den poli-
tisch-handlungsrechtlichen Unterneh-
mern „vor Ort“ die Bereitschaft und
Fähigkeit zur effektiven Förderung
regionalen schöpferischen Unterneh-
mertums erhöhen. Es gilt also die poli-
tisch-handlungsrechtlichen Akteure
durch wirtschaftspolitische Weichen-
stellungen einem größeren Innovati-
onsdruck auszusetzen, sie also stärker
als bislang für erfolgreiche/wenig
erfolgreiche Innovationsförderung zu
belohnen bzw. zu bestrafen.20
Im vollen Gegensatz zum derzeit
praktizierten Kapitalfundamentalis-
mus ist es dem Prinzip der endogenen
Förderung zufolge zwingend erforder-
lich, (zumindest schrittweise) die der-
zeit sehr umfangreichen Transfer-
leistungen zwischen West und Ost
zurückzufahren, um bei gleichzeitig
stärkerer finanzpolitischer Verantwor-
tung der Kommunen und Regionen den
institutionellen Wettbewerb zwischen
Gebietskörperschaften und damit die
Suche nach eigenen Problemlösungen
zu intensivieren. Nur dadurch wird
gewährleistet, dass ostdeutsche Regio-
nen und Kommunen eigene effektive
Förderansätze für regionale Innova-
tions- und Entwicklungsprozesse fin-
den. Um es nochmals zu betonen: Das
Prinzip der endogenen Förderung pro-
pagiert eine völlige Abkehr vom Kapi-
talfundamentalismus. Schade nur, dass
ein solch einschneidender Richtungs-
wechsel im „Aufbau Ost“ politisch nicht
durchsetzungsfähig sein dürfte. Wenn
er dennoch kommt, dann ist das der
desolaten Finanzlage des Bundes, der
Jörg Aßmann
62
20 Dies entspricht einem Plädoyer für die möglichst weitgehende Abkehr direkter regionalpolitischer Einflussnahmedurch Akteure, die nicht dem regionalen Innovationssystem angehören, zugunsten einer indirekten „Steuerung“bzw. Förderung von lokalen politischen Akteuren.
Länder und Kommunen sowie die EU-
Osterweiterung, die zu einer Umlen-
kung der vorhandenen Mittel in die
noch ärmeren neuen Beitrittsländer
führen wird, zu verdanken.
b. Prinzip der selektiven FörderungEin zweites, autopoietische Wirt-
schaftspolitik leitendes Prinzip ist das
der selektiven Förderung. Es ist aus
entwicklungstheoretischer Sicht un-
verzichtbar, zwischen verschiedenen
Typen von Unternehmertum und
deren jeweiligen Beiträgen zur Ent-
wicklungsdynamik von Regionen zu
unterscheiden. Wenn davon auszuge-
hen ist, dass Unternehmer nicht gleich
Unternehmer ist, dann bedeutet dies
für eine innovationsorientierte Regio-
nalpolitik folgendes: Sämtliche wirt-
schaftspolitischen Maßnahmen gilt es
dahingehend zu überprüfen, ob sie
tatsächlich schöpferisches Unterneh-
mertum und nicht andere, weniger
entwicklungsrelevante Formen unter-
nehmerischen Verhaltens fördern.
Erforderlich ist also eine eindeutige
Konzentration regionalpolitischer
Maßnahmen auf die Förderung von
innovativen Unternehmen und Neu-
gründungen. Gerade die fehlende Dif-
ferenzierung unternehmerischen Ver-
haltens zeichnet dafür verantwortlich,
dass „gängige“ Elemente regionaler
Strukturpolitik oft nur diffus, auf die
gesamte unternehmerische Popula-
tion einer Region bezogen „wirken“
und damit sogar kontraproduktive
Effekte auf innovatives Verhalten nach
sich ziehen.
Am deutlichsten wird dies anhand der
stattgefundenen Milliardensubventio-
nen in Form von Investitionszulagen
oder im Rahmen der „Gemeinschafts-
aufgabe zur Verbesserung der regiona-
len Wirtschaftsstruktur“. Das eigentliche
Problem dieser beiden Instrumente ist
aus innovationslogischer Sicht aber
nicht deren Ineffizienz, also der Um-
stand von massenhaften und den Zorn
des westdeutschen Steuerzahlers her-
aufbeschwörenden Fehlinvestitionen im
Osten (siehe dazu Spiegel 2004b), son-
dern die damit zwangsläufig einher-
gehende selektive Förderung von nicht-innovativen Investitionen. Wie ist das zu
erklären? Investitionszulagen und -zu-
schüsse werden zu Recht nur dann aus-
gereicht, wenn die Gesamtfinanzierung
eines Investitionsvorhabens steht. In An-
betracht der Finanzierungsproblematik
innovativer Gründungsvorhaben und
der eindeutigen Präferenz des Banken-
systems für scheinbar „sichere“ Investiti-
ons- und Ansiedlungsvorhaben kann
nicht verwundern, dass von den Förder-
milliarden vornehmlich Routine-Unter-
nehmen, Arbitrageure und zum Teil auch
unproduktive Unternehmer im Sinne
von Baumol (1987) profitiert haben.
Das Gespenst des Mezzogiorno
63
Ganz ähnlich verhält es sich bei
sämtlichen öffentlichen Darlehenspro-
grammen, die bekanntermaßen nur
über Hausbanken beantragt werden
können und aufgrund von deren Ein-
schätzungsproblematik innovativer In-
vestitionen zu einer Kanalisierung der
Mittel an nicht-innovative Unterneh-
men geführt hat. Aber auch die immer
wieder zu hörende Forderung nach
einer Kostenreduktion des Produktions-
faktors Arbeit, sei es durch eine Flexibi-
lisierung des Arbeitsmarktes, durch
niedrige Tarifabschlüsse oder durch
Senkung der Lohnnebenkosten, ist eine
Förderpolitik, die aus innovationslogi-
scher Sicht deswegen nicht wirklich
überzeugen kann, weil a) davon in
erster Linie diejenigen Unternehmen
profitieren, die in einem Preis- und
Kostenwettbewerb stehen und somit
wenig innovativ sind, b) in Anbetracht
der Osterweiterung der EU das Lohn-
niveau in Ostdeutschland immer wei-
ter gesenkt werden müsste, um die
internationale Wettbewerbsfähigkeit
dauerhaft zu sichern, und weil c) in
langfristiger Sicht hohe Lohnkosten
den „Druck im Innovationskessel“ er-
höhen und damit Unternehmen zu Pro-
duktinnovationen zwingen würden.
Es zeigt sich somit: Regionale Struk-
turförderung in Ostdeutschland folgt
zwar dem Prinzip der selektiven Förde-
rung, hat dabei aber die „falschen“
Unternehmertypen im Fokus vieler
Maßnahmen. Wenn aber schöpferische
Unternehmer die eigentlichen Träger
der regionalen Innovations- und Ent-
wicklungsdynamik sind, dann könnte
bereits das „Rückgängigmachen“ be-
stehender Maßnahmen als indirekte
Förderung schöpferischen Unterneh-
mertums angesehen werden. Damit
liegt allerdings noch keine „positive
Ausformulierung“ von Strategien und
Maßnahmen vor, die explizit auf die
Förderung schöpferischen Unterneh-
mertums abzielen. Um hier weiter zu
kommen, ist eine regionale Theorie
schöpferischen Unternehmerverhal-
tens erforderlich, auf die an dieser
Stelle aber nicht mehr eingegangen
werden kann.
c. Prinzip der ganzheitlichen FörderungEntsprechend der Überlegungen zur
autopoietischen Operationsweise re-
gionaler Innovationssysteme sind re-
gionale Entwicklungsprozesse das Er-
gebnis von Co-Innovationsprozessen
verschiedener Typen schöpferischenUnternehmertums. Ohne das Zusam-
menspiel realwirtschaftlichen, finanzi-
ellen, wissenschaftlichen oder auch
politisch-administrativen Unterneh-
mertums kommt kein endogenes Wirt-
schaftswachstum zustande. Folglich
muss es der regionalen Strukturpolitik
in Ostdeutschland auch um eine ganz-
Jörg Aßmann
64
heitliche Förderung lokalen Unterneh-
mertums gehen, wenn sie in Zukunft
erfolgreicher sein will. Nicht mehr
alleine investive Maßnahmen gilt es zu
fördern, sondern vor allem auch finan-
zielle und institutionelle Innovationen.
Im Hinblick auf politisch-administra-
tives Unternehmertum muss dafür
gesorgt werden, dass politischer Erfolg
sich nicht mehr am Umfang der wider-
fahrenen öffentlichen Förderung ohne
Berücksichtigung der konkreten Pro-
jektinhalte definiert. Neben der Ver-
ringerung der Kapitalinfusion ist die
Einführung von Wettbewerbsföderalis-
mus mit Sicherheit ein probates Mittel,
um die Innovationsdynamik im poli-
tisch-handlungsrechtlichem System zu
erhöhen und dadurch die Qualität des
Angebots an „öffentlichen Innova-
tionsvorleistungen“ zu verbessern. In
Anbetracht der eklatanten Schwierig-
keiten von Banken, Förderbanken und
auch formellen Beteiligungsgesell-
schaften, im Zuge der „early stage-
Finanzierung“ von innovativen Grün-
dungsvorhaben eine zentrale Rolle zu
spielen, ist nach angelsächsischen Vor-
bild etwa durch Änderungen in der
Steuergesetzgebung dafür zu sorgen,
dass Privatinvestoren sich dieses The-
mas auch in Deutschland verstärkt
annehmen und damit ihren Beitrag zur
Innovationsdynamik zu leisten vermö-
gen.21 Und schließlich gilt es auch die
Wachstumspotentiale des Wissen-
schaftssystems (nicht nur im Osten!)
zur vollen Entfaltung kommen zu las-
sen. Aber bitte nur nicht auf inputlo-
gischem Wege, denn auch die Trans-
formation in eine unternehmerische,
also gegenüber Innovationshandeln
offenen Universität lässt sich nicht
durch zusätzliche Inputs, sondern nur
durch die Entfaltung unternehme-
rischer Initiative innerhalb von Univer-
sitäten erreichen.
d.Prinzip der unternehmerischenKompetenzförderungAufgrund dessen, dass unternehme-
rische Kompetenz unverzichtbar ist, um
Zutritt zum autopoietisch-operierenden
regionalen Innovationssystem zu er-
langen (Kompetenz als „Eintrittskarte
ins Innovationssystem“), und folglich als
zentrale, für die Entwicklung regionaler
Innovationssysteme unverzichtbare En-
ergiequelle fungiert, repräsentiert unter-
nehmerische Kompetenzförderung ein
viertes grundlegendes Prinzip autopoie-
tischer Wirtschaftspolitik.Viel gäbe es zu
diesem Thema sagen (siehe dazu aber
ausführlich Röpke 2002), besonders
Das Gespenst des Mezzogiorno
65
21 Die immens wichtige Rolle, die Business Angels in der Frühphasenfinanzierung von innovativen Neugründungenund damit für wirtschaftliches Wachstum in Ländern wie den USA, England oder auch Finnland spielen (siehe zurRelevanz privaten Investitionskapitals Aßmann 2003, S. 269ff), hat auch damit etwas zu tun, dass dort Investitionenin junge Firmen steuerlich wesentlich besser behandelt werden als es in Deutschland der Fall ist.
wichtig aber erscheint eines: Da unter-
nehmerische Kompetenz weit mehr um-
fasst als reines, etwa im Studium oder in
einer anderen Berufsausbildung zu er-
werbendes Fachwissen, ist es dringend
erforderlich, in jedweder Ausbildung den
Fokus verstärkt auf die Vermittlung von
solchen Schlüsselqualifikationen zu
legen, die für die erfolgreiche Umset-
zung neuen Wissens und neuer Ideen
unverzichtbar sind (etwa Lern- und Sozi-
alkompetenz, Empathie, Kommuni-
kationsfähigkeit, Vision, Fähigkeit zur
Selbstwahrnehmung, etc.). Wenn hier
keine Umorientierung stattfindet, wird
Deutschland insgesamt, besonders aber
auch Ostdeutschland, dauerhaft im in-
ternationalen Innovationswettbewerb
hinterherhinken bzw. keine Rolle spielen.
Welches Entwicklungsszenario wartet
nun also auf Ostdeutschland? Die Aus-
führungen haben deutlich gemacht,
dass das Wirksamwerden des „Münch-
hausen-Effekts“, so wie er vom innova-
tionslogischen Wachstumsparadigma
auch für Ostdeutschland nahe gelegt
wird, in erheblichen Maße von der prak-
tizierten Förderstrategie abhängt. Nur
wenn es gelingt, die endogenen Innova-
tionskräfte zur Entfaltung kommen zu
lassen, wird sich Deutschland einen
zweiten Mezzogiorno ersparen können.
Dass das Freisetzen dieser Kräfte – wie
zuvor gezeigt wurde – eher durch
förderpolitische Bescheidenheit denn
durch Prasserei zu erreichen ist, lässt in
Anbetracht zunehmend leerer öffent-
licher Kassen für die Zukunft hoffen.
Jörg Aßmann
66
Jörg AßmannDiplom-Volkswirt,
promovierte zum Thema „Innovationslogik und regionales Wirtschaftswachstum:
Theorie und Empirie autopoietischer Innovationsdynamik“.
Referent für Existenzgründung und Innovationsförderung
bei der Wirtschafts- und Innovationsförderung Salzgitter GmbH.
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Das Gespenst des Mezzogiorno
69
Schatten und Licht, Abschwung und
Aufschwung, schrumpfende und wach-
sende Wirtschaft liegen im Land Bran-
denburg dicht beieinander. Die Entwick-
lung ist nicht frei von Widersprüchen
und schon gar nicht folgt sie einem
Modell traditioneller Wirtschaftstheorie.
Wie in den anderen ostdeutschen Bun-
desländern auch, generierten Milliar-
denbeträge aus Fördertöpfen der Euro-
päischen Union (EU) und des Bundes
oder gar ein vermeintlicher Standortvor-
teil niedriger Löhne eine insgesamt nur
unzureichende Wirtschaftskraft.
Schaut man sich einzelne Regionen
und Branchen an, ist schnell zu erken-
nen, dass die Wirtschaftspolitik des Lan-
des in den zurückliegenden dreizehn
Jahren mit Erfolgen und Misserfolgen
aufwartet. In den wirtschaftlich schwa-
chen Regionen läuft die „Abstimmung
mit den Füßen“ wieder auf Hochtouren.
Brandenburgerinnen und Brandenbur-
ger verlassen ihr Land und ziehen den
Ausbildungs- und Arbeitsplätzen hinter-
her. Zukunft bedeutet so vor allem für
die Jüngeren wieder zunehmend ein
Stück weit das Aufgeben von Herkunft.
Umso schwerer wiegen in Zeiten von
Rekordarbeitslosigkeit und angespann-
ter Haushaltslage Fehlentscheidungen
in der Wirtschaftsförderung. Das gilt für
die falsche Einschätzung über Förder-
fähigkeit eines Investitionsvorhabens
und die daraus resultierende Ver-
schwendung knapper öffentlicher Mit-
tel. Schwer wiegt jedoch auch die Nicht-
verfügbarkeit verlorener Gelder für
andere, Erfolg versprechende Projekte
oder für Investitionsvorhaben, die heute
(noch) in keine Förderrichtlinie passen.
Arbeitsmarkt-, Investitions- und In-
novationsförderung gehören auf den
Prüfstand – wie von führenden Wirt-
schaftsforschungsinstituten längst ge-
fordert. Alle Förderinstrumente müssen
„Das Vergangene können wir nicht zurückrufen; über die Zukunft sind wir eherMeister, wenn wir klug und gut sind.“ Johann Wolfgang von Goethe
71
Wirtschaftspolitik in BrandenburgProbleme und Perspektiven
Von Esther Schröder
1. Einleitung
auf Zielgenauigkeit und Wirksamkeit
überprüft werden und dies nicht nur
durch die extern verordnete Halbzeit-
bilanz der EU-Förderperiode. Nein, in
Landesverantwortung selbst muss
gehandelt werden. Wir müssen das
Bedürfnis entwickeln, den Sinn und
Unsinn jeder einzelnen Förderrichtlinie
und der darin enthaltenen Kriterien zu
hinterfragen. Eröffnen sie Spielräume
zur Gestaltung eigener, landesbezo-
gener Rahmenbedingungen, die auf die
Möglichkeiten und Erfordernisse staat-
licher Eingriffe zugeschnitten sind?
Ausgehend von diesen Überlegun-
gen seien den nachfolgenden Aus-
führungen zehn Thesen vorangestellt.
These 1:Trotz wachsender Arbeitslosigkeit
und schrumpfender Wirtschaft, trotz
geringer Finanzkraft öffentlicher Haus-
halte leben wir in Brandenburg auf
einem hohen Wohlstandsniveau. Die-
ses basiert jedoch nur zur Hälfte auf
eigener Kraft. Ohne die hohen Transfer-
zahlungen der Europäischen Union, des
Bundes und der westdeutschen Länder
ließe sich dieser Lebensstandard in
Brandenburg nicht aufrechterhalten.
These 2:Die Innovationskraft der Branden-
burger Wirtschaft ist bis heute noch
immer zu gering, um das Leistungs-
bilanzdefizit des Landes zu verringern,
geschweige denn durch Überschüsse
aufzuheben. Das heißt: wir sind bis
heute in Brandenburg noch immer
nicht in der Lage mehr zu produzieren,
als wir im Land verbrauchen.
These 3:Unser noch immer relativ hohes
Wohlstandsniveau wird in den kom-
menden Jahren sinken, wenn es uns
nicht gelingt, die Wirtschaftskraft aus
den vorhandenen landeseigenen Po-
tenzialen heraus zu entwickeln und
durch neue Produkt- und Prozessinno-
vationen erheblich zu stärken.
These 4:Die Wirtschaftspolitik des Landes hat
– trotz Subventionen in Milliardenhöhe
– in den zurückliegenden Jahren in zu
geringem Maße Innovationen in der
Wirtschaft befördert. Zu einem großen
Teil flossen Fördermittel in innovations-
arme Wirtschaftsstrukturen. Produkt-
und Prozessinnovationen sind in der
Brandenburger Wirtschaft – bei posi-
tiven Ausnahmen – bis heute nicht vor-
herrschend. Die Entwicklung einer for-
schungsintensiven Industrie steckt in
Brandenburg in den Anfängen.
These 5:Hohe Wachstumsraten sind heute
vornehmlich über die Entwicklung for-
Esther Schröder
72
schungsintensiver Industrien zu er-
reichen. Die Entwicklung innovati-
onsorientierter Unternehmen ist in
Brandenburg – trotz positiver Wachs-
tumskerne – noch nicht ausreichend.
Wir brauchen erheblich mehr Unter-
nehmensgründungen im Bereich der
Spitzentechnologien.
These 6:Wirtschaftspolitik kann in den kom-
menden Jahren nur dann Rahmen-
bedingungen als Basis für regionales
Wirtschaftswachstum setzen, wenn
sie sich in der gesamten Breite auf die
wirkungsvolle Umsetzung von Innova-
tionen in Markterfolge orientiert. Effi-
zienz, Zielgenauigkeit und Wirksam-
keit von Wirtschaftsförderung ist
daher stärker an der Innovationsfähig-
keit und an den Innovationsergebnis-
sen geförderter Wirtschaftsprojekte zu
messen. Wirtschaftsförderung ohne
Beachtung des Innovationsaspektes ist
reine Geldverschwendung.
These 7:Bildung und Ausbildung, Wissen-
schaft und Forschung sind unverzicht-
bare Standortfaktoren für regionales
Wirtschaftswachstum auf der Grund-
lage von Innovationen. Sie müssen zur
Erweiterung des vorhandenen Wissens
und für die Entwicklung neuer Anwen-
dungen, verbesserter Produkte und
Dienstleistungen, Produktionsprozesse
oder Fertigungsverfahren beitragen.
These 8:Die Wirtschaftspolitik des Landes
war in den zurückliegenden Jahren zu
wenig auf landesweit spürbare In-
novationsergebnisse ausgerichtet, zu
wenig auf Effizienz, Zielgenauigkeit
und Wirksamkeit. Schaffung und Er-
halt von Arbeitsplätzen verkommen
als zentrale Zielstellungen ohne Be-
achtung wirtschaftlicher Innovation
mehr und mehr zur Etikette einer Kli-
entelpolitik.
These 9:Wirtschaftsförderung in Branden-
burg entzieht sich zunehmend einer
volkswirtschaftlichen Sicht. Fehlallo-
kationen und Rationalisierungseffekte
werden von der Politik bei der Berech-
nung von Arbeitsmarkteffekten durch
Wirtschaftsförderung vernachlässigt.
Vor allem mangelt es an einer Stra-
tegie, an denen Förderprogramme,
Landesrichtlinien sowie regions- und
branchenspezifische Subventionen neu
auszurichten sind.
These 10:Die Neuausrichtung von Wirt-
schaftspolitik beginnt mit der Einsicht,
dass Wirtschaftsförderung nach dem
„Gießkannenprinzip“ ein untaugliches
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
73
Instrument für die Zukunftsgestaltung
in Brandenburg ist. Unabdingbare Vor-
aussetzung einer Wirtschaftspolitik
neuen Typs, die sich auf Schwerpunkte
konzentriert, ist eine nach Regionen
gegliederte umfassende ehrliche IST-
Analyse vorhandener und förderfä-
higer Potenziale im Land.
(i) ArbeitDer Brandenburger Adler, der sich
Anfang der neunziger Jahre so stolz in
die Lüfte schwang, befindet sich im
Sinkflug und droht abzustürzen, wenn
es keinen Auftrieb gibt. Die wirtschaft-
liche Entwicklung im Bundesland
Brandenburg trägt nicht – insbeson-
dere leistet sie keinen spürbaren Bei-
trag zum Abbau der Arbeitslosigkeit.
Im Jahr 2003 verzeichneten wir im
Land die höchste Arbeitslosigkeit seit
der deutschen Wiedervereinigung. Am
Ausmaß der Arbeitslosenzahl muss
sich aber letztlich Erfolg oder Misser-
folg von Wirtschaftspolitik messen las-
sen – dies ist und bleibt der entschei-
dende Erfolgsindikator.
Bei den Brandenburger Arbeits-
ämtern wurden 2003 im Jahresdurch-
schnitt 252.918 Arbeitslose registriert,
6,4 % mehr als im bisherigen Branden-
burger Rekordjahr 2003 (237.831) und
16 % mehr als 1997, dem bundesdeut-
schen Rekordjahr (218.148).1 Nimmt
man das Bundes-Negativ-Rekordjahr
1997 als Basis und vergleicht damit die
Situation 2003, dann ist festzustellen,
dass in zehn Ländern weniger und in
sechs Ländern mehr Arbeitslose regis-
triert wurden. Bei diesen sechs Län-
dern mit negativer Entwicklung han-
delt es sich neben Brandenburg um
Bayern, Schleswig-Holstein, Sachsen,
Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.
Auch die Struktur der Arbeitslosigkeit
hat sich seit 1997 verändert. In Bran-
denburg waren vom Anstieg der
Arbeitslosigkeit Männer stärker betrof-
fen als Frauen – in keinem der anderen
fünfzehn Bundesländer stieg die Zahl
arbeitsloser Männer so stark wie in
Brandenburg. Dagegen nahm die Zahl
arbeitsloser Brandenburgerinnen leicht
ab. Seit 2003 liegt der Frauenanteil
nicht mehr über dem Männeranteil.
Deutlich über dem Schnitt der ost-
deutschen Länder liegt die Zunahme
der Zahl jugendlicher Arbeitsloser.
Trotz hoher Abwanderung junger
Esther Schröder
74
2. Arbeit, Wirtschaft, Finanzen – wo stehen wir?
1 Vgl. laufende Monatsstatistiken „Presseinformationen zum Arbeitsmarkt“ der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirek-tion Berlin-Brandenburg sowie Analysen des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V.
Menschen stieg die Zahl Arbeitsloser
unter 25 Jahren um 41 %. Dagegen liegt
Brandenburg bei der Abnahme der
Arbeitslosigkeit von Älteren ab 55 Jah-
ren leicht über dem Durchschnitt der
ostdeutschen Länder. Dass Arbeitslo-
sigkeit aber in Brandenburg zuneh-
mend ein Problem der mittleren
Altersgruppen ist, zeigt der starke An-
stieg der Zahl Arbeitsloser unter 55
Jahren, in Brandenburg um 31,1 %.
Sowohl die Absolutzahlen, als auch der
Anteil von Langzeitarbeitslosen unter
den Arbeitslosen, der die 40 %-Marke
längst überschritten hat, zeigen auch
den besorgniserregenden Anstieg der
Langzeitarbeitslosigkeit .2 Arbeitsbe-
schaffungsmaßnahmen (ABM) trugen
in den letzten Jahren auch im Land
Brandenburg immer weniger zur Ent-
lastung bei, die Rückführung von
Beschäftigung am zweiten Arbeits-
markt erfolgte in Brandenburg jedoch
weniger stark als in anderen Ländern
Ostdeutschlands.
Wenn wir über Langzeitarbeitslosig-
keit, also dauerhafte Ausgrenzung vom
Arbeitsmarkt und Beschäftigungs-
system reden, dann reden wir immer
häufiger von Menschen, die über meh-
rere Jahre hinweg ununterbrochen
erwerbslos und Arbeit suchend sind,
zum Teil seit 1990. Oder wir reden von
so genannten Maßnahmekarrieren,
Biographien, die über Jahre durch meh-
rere Phasen der Arbeitslosigkeit sowie
Phasen von beruflicher Fortbildung,
Umschulung und öffentlich geförder-
ter Beschäftigung ohne die erhoffte
(Wieder-) Eingliederung in den ersten
Arbeitsmarkt gekennzeichnet waren.
Diese Entwicklungen ziehen andere
Entwicklungen nach sich, die auch in
Brandenburg nicht mehr zu übersehen
sind: Anstieg von privater Verschul-
dung, Kinderarmut, Altersarmut .3
Diese hier exemplarisch benannten
Negativtendenzen wachsen sich zu
großen beschäftigungs-, sozial- und
finanzpolitischen Problemen aus, die
nur mit wirtschaftlichem Aufschwung
und einer beschäftigungswirksamen
Wirtschaftsförderung zu lösen sind.
(ii) WirtschaftDie beste Arbeitsmarkt-, Sozial- und
Finanzpolitik können nicht richten, was
unzureichende Wirtschaftsentwicklung
und verfehlte Wirtschaftspolitik anrich-
ten. Zwar ist auch die Brandenburger
Arbeitsmarktbilanz dem wirtschaft-
lichen Konjunkturverlauf in Deutsch-
land und der allgemeinen Strukturkrise
in Ostdeutschland geschuldet. Sie ist
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
75
2 Offizielle Definition „Langzeitarbeitslose“: Zahl der Arbeitslosen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits länger alsein Jahr arbeitslos sind.
3 Vgl. aktuellen Sozialbericht des Brandenburger Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen (MASGF) „Sozi-alpolitik im Überblick 2003“.
aber auch hausgemacht, nicht zuletzt
durch eine verfehlte und ineffiziente
Landeswirtschaftspolitik in den letzten
fünf Jahren. In der öffentlichen Wahr-
nehmung richtete sich diese vor-
dergründig auf Prestigeprojekte, die
fehlschlugen, weil die Konzepte wirt-
schaftlich und finanziell nicht tragfähig
waren und sich wirtschaftspolitisches
Wunschdenken über jede Wirtschafts-
logik hinwegsetzte.
Böses Erwachen ereilte Ende des Jah-
res 2003 eine Region, ein ganzes Land
nach dem Scheitern des Projektes einer
Chipfabrik in Frankfurt (Oder), nicht
nur, weil hier öffentliche Fördergelder
in Höhe von etwa 100 Millionen € in
den märkischen Sand gesetzt wurden,
sondern weil Brandenburg mit diesem
Scheitern eines weiteren Großprojektes
bundesweit zum Aushängeschild für
gescheiterte Wirtschaftspolitik per se
avanciert. Noch ist nicht ausgemacht,
wodurch dem Land Brandenburg ein
höherer Schaden entsteht: durch die
immensen wirtschaftspolitischen Fehl-
entscheidungen in der Vergangenheit
oder durch den negativen Ruf, der wie
ein Klotz am Bein hängt und in Zukunft
seriöse Ansiedlungsprojekte von vorn-
herein verhindern könnte.
Doch zunächst zu den Fakten:
Hier gibt es widersprüchliche Ein-
schätzungen. Die aktuelle Entwicklung
des Bruttoinlandsprodukts (BIP) scheint
das Negativimage Brandenburgs zu
bestätigen. Die brandenburgische Wirt-
schaft schrumpft, wie in den Vorjahren
auch. Laut Angaben des „Arbeitskreises
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnun-
gen der Länder“ sank das BIP 2003 preis-
bereinigt zum Vorjahr um 0,7 %. Der
Wert der wirtschaftlichen Gesamtleis-
tung lag damit bei rund 41,9 Milliarden
€. Schlechter als Brandenburg stehen
das Saarland mit minus einem und
Mecklenburg-Vorpommern mit minus
1,7 % da.
Mehr Optimismus hinsichtlich einer
in Gang gekommenen Gestaltung des
Strukturwandels in Brandenburg ver-
breitet dagegen die EU-Statistik im
Rahmen jüngster Rechnungen um För-
dergelder aus Brüssel und zur Ein-
ordnung der Fördergebiete nach dem
Jahr 2006. Die Berechnung selbst
basiert auf Daten von 2001. Danach
verzeichnet Brandenburg nach Sachsen
das zweithöchste Bruttoinlandspro-
dukt (BIP) im Vergleich der ost-
deutschen Länder. Nach diesen Daten
rangiert das Land mit 67,0 % des
europäischen Mittelwertes unter den
neuen Bundesländern hinter Sachsen
(67,3), aber vor Thüringen (66,2), Meck-
lenburg-Vorpommern (65,9) und Sach-
sen-Anhalt (65,4). Die Brandenburger
Ergebnisse werden insbesondere durch
die überdurchschnittliche Entwicklung
im Südwesten des Landes bestimmt.
Esther Schröder
76
Der Südwesten Brandenburgs bildet
neben Sachsen die wirtschaftsstärkste
Region in den ostdeutschen Ländern
mit 79,3 % der durchschnittlichen EU-
Wirtschaftskraft.
Brandenburg wird nach Auffassung
der Wissenschaftler im Ländervergleich
durch seine schwache Wachstumsdyna-
mik zurückgeworfen. Sollte das Land
nicht bald zur wirtschaftlichen Entwick-
lung anderer Länder aufschließen kön-
nen, drohe ein weiteres Zurückfallen im
Standortwettbewerb. „Noch ist es aber
nicht so weit, die Region ist nach wie vor
reich an Chancen, und eine entschlos-
sene Politik kann Brandenburg wieder
aufschließen lassen. Deutlich wahr-
nehmbare Kurskorrekturen,die zu einem
Stimmungsumschwung führen und
eine Aufbruchstimmung entstehen las-
sen, sind hierfür erforderlich.“4 Die poli-
tischen Akteure im Land müssen selbst
Kreativität und Innovation entfalten, um
zielorientierte und machbare Lösungs-
vorschläge anbieten und umsetzen zu
können. Wichtig ist, aus Fehlern der Ver-
gangenheit wirklich Schlüsse im wirt-
schaftspolitischen Denken und Handeln
zu ziehen.
(iii) FinanzenDer demographische Wandel und
seine Auswirkungen auf die gesell-
schaftliche Entwicklung haben für alle
ostdeutschen Länder große Auswir-
kungen. Das hohe Leistungsniveau des
Sozialstaates kann unter den Voraus-
setzungen eines heute schon hohen
und künftig noch wachsenden Anteils
Nichterwerbstätiger an der Bevölke-
rung nicht aufrechterhalten werden.
Die Folge ist, dass die öffentlichen
Haushalte inzwischen chronisch un-
terfinanziert sind und Politik immer
weniger agieren bzw. nur mehr noch
reagieren kann.
Der „Fortschrittsbericht Aufbau Ost“
des Landes Brandenburg, der zuletzt
für das Jahr 2002 vorgelegt wurde, ent-
hielt widersprüchliche Feststellungen
und Angaben. Einerseits hieß es, dass
die empfangenen Mittel den gesetz-
lichen Vorgaben entsprechend veraus-
gabt wurden. Andererseits gingen die
Aufwendungen für Investitionen in
den letzten Jahren kontinuierlich
zurück. Für die „Sonderbedarfs-Bun-
desergänzungszuweisungen“ (SoBez)
ergab sich in der Verwendungsrech-
nung für Brandenburg daher ein nega-
tiver Saldo mit Blick auf eine zweck-
gemäße Verwendung der Gelder.
Wurden laut Bericht bis 2000 jähr-
lich etwa 80 % der SoBez für Investitio-
nen aufgewendet, so waren es 2001
noch 71 %, 2002 noch 42 %. Der nega-
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
774 Vgl. Studie Bertelsmann Stiftung 2003: Länderanalyse Brandenburg (detaillierte Version auf CD-ROM).
tive Finanzierungssaldo sei durch Ein-
nahmeausfälle bei Steuern und steuer-
induzierten Einnahmen verursacht
worden, hieß es im Bericht. Hieraus
entstand – m.E. zu Unrecht – der Vor-
wurf, Solidarpaktmittel seien anstelle
von Investitionen zum Stopfen der
Haushaltslöcher zweckentfremdet ver-
wendet worden. Der Abbau tei-
lungsbedingter Sonderlasten und der
Ausgleich der kommunalen Finanz-
schwäche sei einer zweckgemäßen
Verwendung jedoch hinzuzurechnen,
erklärte demgegenüber das Finanz-
ministerium völlig korrekt.
Jährlich fließen rund 1,4 Milliarden €
Solidarpakt-Mittel in den 10-Milliarden
Haushalt von Brandenburg. Bis zum Jahr
2019 wird das Land 30 Milliarden € vom
Bund und von den „alten“ Ländern erhal-
ten. Wie das Geld ausgegeben wird, ent-
scheidet zwar die Regierung in Potsdam,
zugleich aber sind die Bundesmittel
zweckgebunden. Mit ihnen sollen Inves-
titionen in die zu DDR-Zeiten vernachläs-
sigte Infrastruktur finanziert werden,
um den Rückstand gegenüber dem Wes-
ten aufzuholen.
Das bereits hoch verschuldete Land
Brandenburg, das jährlich rund 800
Millionen € für Zinsen und Tilgung
zahlt, nimmt zur Zeit Kredite im Um-
fang von mehr als einer Milliarden €
auf, wodurch die Spielräume für Inves-
titionen zukünftig erheblich einge-
schränkt werden. Diese können nur
vergrößert werden, wenn es den Bran-
denburger Unternehmen, Gemeinden,
Städten und Regionen gelingt, in noch
viel stärkerem Maße als bisher Güter
und Dienstleistungen mit dem Ziel zu
„exportieren“.
Es muss im Fazit also klar gesagt wer-
den: Das Wohlstandniveau in Branden-
burg ist derzeit nur über hohe Trans-
ferleistungen der Europäischen Union,
des Bundes und der westdeutschen
Länder zu sichern. Ziel einer aktiven
Wirtschaftspolitik kann und muss es
aber sein, ein hohes Wohlstandsniveau
auf der Basis von Innovationsfähigkeit
der eigenen Wirtschaft zu gründen. Von
diesem Ziel sind wir insgesamt noch
weit entfernt. Es gibt inzwischen aber
auch eine Reihe von neuen wirtschaft-
lichen Entwicklungen in Brandenburg,
die uns – trotz einer insgesamt ungüns-
tigen Ausgangslage – mit Mut in die
Zukunft blicken lassen.
Esther Schröder
78
Der Strukturwandel, wie er seit
nunmehr 13 Jahren Brandenburgs
Wirtschaftslage charakterisiert, wird
wesentlich durch die Kräfte des Mark-
tes vorangetrieben. Zu einer aktiven
Gestaltung dieses Strukturwandels
gibt es keine Alternative. Politiker und
Planer dürfen dabei den Dialog mit der
Öffentlichkeit über die – aufgrund von
Demographie und Abwanderung –
neuen Situation nicht scheuen.
Die Dynamik negativer städtebau-
licher Entwicklungen ist mancherorts
besorgniserregend. Zunehmender Leer-
stand durch Abwanderungen und die
demographischen Folgen der Nach-
wendejahre führen zur Schließung von
Kinderbetreuungseinrichtungen, Schu-
len, Sport-, Kultur- und Freizeitein-
richtungen. Stilllegungs- und Rückbau-
maßnahmen werden dabei von vielen
Menschen oft auch als Abbau sozialer
Standards empfunden. Aktuell entzün-
den sich z.B. viele Debatten an der auf-
grund des starken Rückgangs von Schül-
erzahlen notwendigen Schließung von
Schulen. Doch die Reaktion auf den
demographischen Wandel ist unab-
dingbar und eröffnet auch Chancen zu
mehr Qualität statt Quantität.
Die durch eine negative wirtschaft-
liche Dynamik beschleunigten Bevölk-
erungsverluste haben aber nicht nur
Einfluss auf die Auslastung sozialer,
sondern auch auf die Wirtschaftlichkeit
und Funktionsfähigkeit von tech-
nischen Infrastruktursystemen, die sich
aus dem Rückgang des Verbrauchs bzw.
Anfalls von Wasser, Abwasser und Fern-
wärme ergibt. Viele der hierfür erforder-
lichen Systeme wurden Anfang der
1990er Jahre erneuert und zwar auf-
grund von Prognosen, die sich auf die
zurückliegenden Jahre stützten. Viele
Anlagen aber entsprechen heute nicht
mehr den Nachfragerealitäten und sind
überdimensioniert. Auch im öffent-
lichen Nahverkehr werden vielerorts
durch den Rückgang der beförderten
Personen die Grenzen der Wirtschaft-
lichkeit unterschritten. Die Folge nicht
nachfragegerechter und damit über-
dimensionierter Infrastruktursysteme
sind immer größer werdende und
immer schwerer beherrschbare Diffe-
renzen zwischen Einnahmen und
Kosten. Die Systemkosten steigen noch
durch die Erfordernisse erhöhter Be-
triebskosten für Instandhaltung und
des Rück- bzw. Umbaus der technischen
Infrastruktur. Hieraus ergeben sich für
die kommenden Jahre erhebliche Pro-
bleme, deren Lösungen im politischen
Raum oft nicht durchsetzbar sind.
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
79
3. Strukturwandel als Herausforderungan eine aktiv gestaltende Wirtschaftspolitik
Die Brisanz der Problemlage liegt in
den starken Interdependenzen zwischen
wirtschaftlicher Entwicklung, Bevölke-
rungsdynamik sowie regionalen und
kommunalen Handlungsspielräumen.
Der Abbau von Arbeitsplätzen sowie der
Rückgang der Bevölkerung führen zu
niedrigeren Steuereinnahmen. Diese
wiederum verringern öffentliche Investi-
tionen. Damit fällt ein Teil der Nachfrage
für die regionalen Unternehmen aus.
Die Infrastrukturentwicklung stagniert.
Es entsteht ein Teufelskreis aus nega-
tiven Treibern der Wirtschaftsentwick-
lung. Die politische Aufgabenstellung
liegt damit auf der Hand: Es gilt, diese
negative Dynamik durch eine aktive
Wirtschaftspolitik zu durchbrechen.
Die Erfahrungen der letzten Jahre zei-
gen aber auch: Betriebsschließungen,
strukturelle Arbeitslosigkeit, Rückgang
der Kaufkraft, Rückbau der Infrastruktur,
Verschlechterung der Standortqualität
können nur in einem eng begrenzten
Maße und dann auch nur für eine
begrenzte Zeit durch eine sich dagegen
stemmende Arbeitsmarktpolitik auf-
gehalten werden. Eine solche Politik
entlastet zwar, schafft aber keine aus-
reichend neuen Wachstumsquellen.
Standortnachteile können nicht weg-
diskutiert, Standortvorteile aber kön-
nen gestärkt werden. Es geht hier also
um ein Wechselspiel der Kräfte und im
Anspruch einer sozialdemokratischen
Politik vor allem um die Stärkung posi-
tiver Kräfte, um mit ihnen den negati-
ven Trends „eines blinden Marktes“
sozial ausgleichend entgegenzuwirken.
Vier Grundprozesse kennzeichnen
auch in Brandenburg die wirtschaft-
liche Entwicklung in Zeiten des Struk-
turwandels:
1. der Rückbau „alter“, von der Entwick-
lung überholter Industrien,
2. der Aufbau bzw. die Stärkung inno-
vativer „neuer“ industrieller Wachs-
tumskerne,
3. die Re-Industrialisierung altindust-
rieller Regionen sowie
4.eine Renaissance damit verbundener
mittelständischer Betriebe.
Wenn es gelingt, diese vier Prozesse
durch eine aktive Wirtschaftspolitik und
verbesserte Rahmenbedingungen pro-
Esther Schröder
80
Teufelskreis aus negativenTreibern der Wirtschaftsentwicklung
NegativeWirt-
schafts-dynamik
NegativeBevöl-
kerungs-dynamik
GeringesSteuer-
auf-kommen
Abnahmeöffentl.Inves-
titionen
duktiv miteinander zu verbinden, dann
wandelt sich der Strukturwandel in
Brandenburg von einem Schreckge-
spenst in einen ganz normalen Vorgang,
der mit Intelligenz, Verstand und Ver-
nunft auch politisch beherrschbar ist.
In einer auf Innovation und Wachstum
orientierten Wirtschaftsförderung müs-
sen wir allerdings sehr klar zwischen
Hochtechnologien, mittleren und inno-
vationsarmen Technologien unterschei-
den. Es kann in den nächsten Jahren
nicht darum gehen, Unternehmen und
Wirtschaft – egal auf welchem technolo-
gischen Niveau – zu fördern.Wirtschafts-
förderung für innovationsarme Techno-
logien führt in der Regel nicht zu den
beabsichtigten Zielen. Durch die Produk-
tion von Massengütern im Niedriglohn-
sektor können wir unseren relativen
Wohlstand für die Zukunft nicht sichern.
Nur wenn wir in einer globalisierten Welt
Waren und Dienstleistungen auf wissen-
schaftlich-technologisch hohem Niveau
herstellen, werden sich auch hohe Preise
für angebotene Produkte und Dienstlei-
stungen realisieren lassen.
Effizienz, Zielgenauigkeit und Wirk-
samkeit von Wirtschaftsförderung
müssen sich stärker als bisher auf
Innovationen, Technologien und
Wachstum richten. Alles andere führt
zu Ineffizienz, Zielverfehlung und
Unwirksamkeit von Wirtschaftsförde-
rung. Aus Fehlern der Vergangenheit
müssen wir endlich die notwendigen
Schlussfolgerungen ziehen.
Der Blick auf die Brandenburger Inno-
vationsstandorte ist jedoch ermu-
tigend. Innovationsorientierung und
Innovationsergebnisse haben sich hier
vor allem in der Industrie verbessert.
Viele Firmen leisten inzwischen im Ver-
bund mit Brandenburger Wissen-
schafts- und Forschungseinrichtungen
Spitzenforschung in wichtigen Techno-
logiefeldern und setzen die Produkte
und Ergebnisse ihrer Forschungen mit
wachsendem Erfolg auf internationalen
Märkten ab. Innovative Unternehmen
haben in Brandenburg inzwischen auch
einen wachsenden Anteil am Unterneh-
mensbestand einzelner Regionen. Sie
bilden den Kern regionaler Netzwerke
mit erheblichen Wachstumspotenz-
ialen. Doch dieser innovative Unterneh-
menssektor ist in Brandenburg ins-
gesamt noch immer viel zu klein ist, um
Motor für eine positive Wirtschaftsent-
wicklung des ganzen Landes zu sein.
Damit die forschungsintensive Indu-
strie in Brandenburg aber deutlich
stärker wächst als bisher, müssen die
hierfür notwendigen Fördermittel
auch tatsächlich in diesen Bereich ge-
leitet werden. Die diesbezügliche Bi-
lanz der zurückliegenden Jahre ist in
keiner Weise zufrieden stellend.
So lag das Investitionsvolumen für
Forschung und Technologie in Branden-
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
81
burg im Zeitraum von 1999 bis 2003 bei
lediglich 2,6 % aller Förderausgaben der
Landesinvestitionsbank. Doch zur for-
schungsintensiven Industrie zählen
Unternehmen des verarbeitenden Ge-
werbes, deren FuE-Aufwendungen
mehr als 3,5 % des Umsatzes betragen.
Nur diese Unternehmen können in der
Wertschöpfung, beim Auslands- und
Gesamtumsatz stärker zulegen als alle
anderen Unternehmen.
Die hier sichtbar unzureichenden
Förderausgaben des Landes erklären
also, warum der forschungsintensive
Industriesektor in Brandenburg noch
immer nicht zum Beschäftigungs-
motor für das ganze Land geworden
ist. Neben Großbetrieben, die aus
ihrem Vermögen dazu eher in der Lage
sind, muss ein hoher Anteil mittelstän-
discher Unternehmen in breiterem
Umfang als bisher selbst oder im Ver-
bund mit Wissenschaftseinrichtungen
Forschung und Entwicklung betreiben
und erhebliche betriebliche Ressour-
cen für Innovationen einsetzen. So
können, neben bereits existierenden,
neue regionale Innovationssysteme
entstehen, die in der Wirtschaftsförde-
rung stärkere Beachtung finden soll-
ten. Solche Kooperationen bieten die
Möglichkeit, die Kosten für die Ent-
wicklung und Einführung neuer Pro-
dukte und Verfahren zu senken,Wissen
zu bündeln und so zu neuen Ideen für
Innovationen zu kommen.
Insbesondere auch im Bereich der
Existenzgründungen ist eine Umorien-
tierung in der Wirtschaftsförderung
erforderlich. Die auch hier immer
knapper werdenden Mittel müssen auf
Gründungen mit größten Wachstums-
chancen konzentriert werden. Grün-
dungen in konsumnahen Dienstleis-
tungsbereichen oder im Baugewerbe
sind keine Wachstumsmotoren, wäh-
rend Gründungen in forschungs- und
wissensintensiven Bereichen in den
kommenden Jahren einen besonderen
Schwerpunkt der Wirtschaftsförde-
rung in der Region bilden sollten.
Wesentlich stärker ist künftig der Blick
auf Start-up-Unternehmen zu richten.
Bei der Gründungshäufigkeit von
Know-How-Unternehmen liegt Bran-
denburg aktuell nicht an führender
Stelle. Es gibt deutliche Defizite bei
den gründungsrelevanten Rahmen-
bedingungen, wie z.B. eine qualitativ
unzureichende Existenzgründungs-
beratung der Zukunftsagentur Bran-
denburg (ZAB) und anderer Anbieter.5
Doch auch Bildung und Ausbildung als
Standortfaktoren müssen berück-
sichtigt werden. Die Förderung von
Kreativität, Selbständigkeit und Eigen-
Esther Schröder
82
5 Vgl. Studie Stiftung Warentest 2003: Hier wurden im Vergleich mehrerer Bundesländer die Existenzgründerberatung derZukunftsagentur Brandenburg (ZAB) als nur mittelmäßig bis niedrig eingestuft.
initiative sollte schon im Kindesalter
beginnen, damit sich nach Schule, Aus-
bildung und Studium Gründungsideen
und -fähigkeiten entwickeln können.
Eine innovative Wirtschaftsförde-
rung sollte deshalb folgende Ziele
haben: Überwindung einer traditio-
nellen Wirtschaftsstruktur, Konzen-
tration der Investitionsausgaben auf
innovations- und wachstumsorien-
tierte Unternehmen, Umorientierung
von Bildung und Ausbildung sowie ein
kreatives Umfeld für Gründerinnen
und Gründer.
Zur Herbeiführung eines wirtschafts-
politischen Kurswechsels in Branden-
burg bedarf es nicht nur des klaren Blicks
nach vorn, sondern vor allem eines ehr-
lichen Blicks zurück auf die Fehler der
Vergangenheit. Wir haben insbesondere
in den Jahren der laufenden dritten
Legislaturperiode (1999-2004) wertvolle
Zeit verloren – konservative Klientelpoli-
tik und Prestigedenken ließen keinen
Raum für erneuerte, moderne Wirt-
schaftspolitik. Dabei sei bereits an dieser
Stelle betont, dass die Trennlinie zwi-
schen gescheiterter und erfolgreicher
Wirtschaftspolitik nicht zwangsläufig
zwischen Investitionsförderung von
Großprojekten auf der einen und Investi-
tionsförderung von klein- und mittel-
ständischen Unternehmen (KMU) auf
der anderen Seite verläuft. Die Trennlinie
verläuft nicht zwingend zwischen groß
und klein, sondern zwischen wirtschaft-
lich tragfähigen und wirtschaftlich nicht
tragfähigen Konzepten. Dass es hier
immer auch Risiken gibt, ist selbstver-
ständlich – nur muss müssen politische
Entscheidungsträger in der Lage sein,
kompetent Risiken und Chancen abzu-
wägen, um dann entsprechend der auf
Wirtschaftslogik basierenden Gewich-
tung Fördergelder zu bewilligen oder
aber auch zu versagen. Diese Prozesse
werden derzeit in Brandenburg nicht
beherrscht. Aus Fehlern der Vergangen-
heit lernen, wäre der erste Schritt einer
Politik der vielen Schritte, die sich auf
eigene Stärken und auf die Entwicklung
vorhandener Potenziale im Land Bran-
denburg konzentriert.
(i) Die Chipfabrik in Frankfurt (Oder)als Beispiel für verfehlte Subventions-politik im Großen
Am 7. Februar 2001, dem Tag, an dem
erstmals öffentlich Vertreter des Lan-
des Brandenburg und Vertreter einer
Betreiberfirma namens „Communi-
cant Semiconductor Technologies AG“
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
83
4. Die Fehler der Vergangenheit
(Communicant) den Bau einer Chip-
fabrik am Standort Frankfurt (Oder)
bekannt gaben, begann eine in der
deutschen Wirtschaftspolitik wohl ein-
malige Geschichte: reich an geschür-
ten Hoffnungen, leeren Versprechen,
politischem Wunschdenken, polit-
ischer Erpressbarkeit, Politikversagen
auf Seiten der Exekutive und Legis-
lative aber vor allem reich an auseinan-
derdriftenden und widerstreitenden
wirtschaftlichen Interessen.
Etwa drei Jahre später, am 27.
November 2003, endete dieses trau-
rige Kapitel Brandenburger Wirt-
schaftsförderung. Der Erfolg blieb aus;
das Projekt einer Chipfabrik in Frank-
furt (Oder) brach wie ein Kartenhaus
zusammen, weil es finanziell und wirt-
schaftlich zu keiner Zeit auf einem
tragfähigen Fundament stand. Dabei
begann alles sehr zuversichtlich. Die
Idee jedenfalls war gut – eine in Ost-
deutschland entwickelte Hochtechno-
logie in enger Kooperation von Wissen-
schaft und Wirtschaft zu nutzen, um
vor Ort Arbeitsplätze, wirtschaftliches
Wachstum und Wohlstand zu schaf-
fen. Warum aber funktionierte diese
Kette in der Umsetzung nicht?
Angekündigt wurde das Vorhaben
seinerzeit als das größte ostdeutsche
Investitionsprojekt mit einem Investi-
tionsvolumen von 3,15 Milliarden DM
und der Schaffung von 1.500 direkten
und nochmals „mehreren tausend“
indirekten Arbeitsplätzen. Kein Super-
lativ fehlte: „Durchbruch für die Bran-
denburger Technologiepolitik“, „ein
Investitionsvorhaben mit erheblicher
internationaler Beachtung“, „Branden-
burg spielt in der Weltliga der Hocht-
echnologie“.6 Der Produktionsstart der
Chipfabrik in Frankfurt (Oder) war für
das erste Quartal 2003 geplant.
Angesichts der dargestellten Be-
schäftigungslage brach eine durchaus
verständliche Euphorie aus. Eine Re-
gion, ein ganzes Land klammerte sich
an die Hoffnung, dass die Großinves-
tition mit einer gehörigen Portion
staatlichen Engagements auf einen
Schlag tausende Arbeitsplätze schafft.
Hinter der Geschäftsidee verbarg
sich die Herstellung von Chips für
mobile Verbindungen mit dem Inter-
net, indem zwei Chips auf einem ver-
eint wurden. Eine vom Institut für
Halbleiterphysik (IHP) Frankfurt (Oder)
patentierte Technologie sollte mit
einer von Intel bereitgestellten Techno-
logie zusammengeführt werden. Im
Februar 2001 erklärte Communicant,
das bei Bedarf „auf dem Gelände spä-
Esther Schröder
84
6 Pressestatements des damaligen Brandenburger Wirtschaftsministers, Dr. Wolfgang Fürniß (CDU), der im November2002 wegen einer Millionenzahlung für private Zwecke aus Dubai, einem Mitinvestor des Projektes, vom Amt zurück-treten musste.
ter noch zwei weitere Chipfabriken
errichtet werden“ 7 könnten. Außerdem
wurde mitgeteilt, dass die Finanzie-
rung der Drei-Milliarden-Investition
„weitgehend gesichert“ sei.„Über 50 %
würden durch private Investitionen –
unter anderem aus den Vereinigten
Arabischen Emiraten – abgedeckt. Der
Rest der Mittel komme von Land, Bund
und EU sowie über Bankkredite.“ 8
Mit dieser Finanzierungsstrategie
ging Ex-Wirtschaftsminister Fürniß
(CDU) in das Kabinett und in den Land-
tag und versprach vollmundig von
Monat zu Monat, von Quartal zu Quar-
tal die Beantwortung noch offener
Finanzierungsfragen. Doch in allen drei
Finanzierungssäulen (Eigenkapital,
Fremdkapital, Fördergelder) klafften
riesige Lücken. Dennoch: immer wie-
der dieselben optimistischen Töne in
den Landtagsausschüssen für Wirt-
schaft und Finanzen. „Weitere Techno-
logiepartner werden dem Konsortium
beitreten. Entsprechende Verhand-
lungen seien bereits relativ weit ge-
diehen“ – leere Worte, die durch nichts
gedeckt waren.
Communicant, jene künstlich ge-
schaffene Firma, die vom Landeswirt-
schaftsministerium unter Beteiligung
des Marktführers der Chipbranche
Intel und dem Frankfurter Institut für
Halbleiterphysik (IHP) gegründet
wurde, suchte mühevoll private Invest-
oren zur Schließung der Eigenkapi-
tallücke. Das Wirtschaftsressort unter-
zeichnete ein Kooperationsabkommen
mit der Regierung des Emirates Dubai,
in dem sich das Emirat verpflichtete,
„im erheblichen Umfang“ in die ge-
plante Fabrik zu investieren. Später
wurde Dubai Mitgesellschafter von
Communicant – dafür erhielt Dubai
die vertragliche Zusage eines weit-
reichenden Technologie- und Wis-
senschaftstransfers und die Geneh-
migung zum Bau einer Zweitfabrik in
den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Weitere Gesellschafter fanden sich
nicht. Intel machte den eigenen
Anspruch frühzeitig klar: „Wir werden
nicht Mehrheitsaktionäre und auch
nicht die unternehmerische Führung
übernehmen.“ 9
Banken, wie die Deutsche Bank oder
die Commerzbank, bemühten sich in
weltweiter Suche vergebens um
Fremdkapitalgeber und stiegen nach
wenigen Monaten aus dem Projekt
aus. Dies war ein deutliches Warn-
signal dafür, dass sich das Projekt
offensichtlich schlicht und einfach
nicht nach betriebswirtschaftlichem
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
85
7 Zitat des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Betreiberfirma Communicant, Dr. Klaus Wiemer.8 Aus diversen Pressemitteilungen im Februar 2001.9 Zitat Mike Splinter, Vize-Präsident von Intel.
Kalkül rechnete. Gewinnerwartungen
überstiegen offenbar bei weitem nicht
die hohen Risiken. Dafür hätte die
Frage in den Mittelpunkt rücken müs-
sen, warum die öffentliche Hand ein
Risiko eingehen sollte, wenn private
Investoren das Risiko scheuen?
Allein mit dem Argument „Schaf-
fung von Arbeitsplätzen“ wurde Politik
zunehmend erpressbar und ließ sich
auch erpressen. Über die Fördergelder
verlor schon niemand mehr ein Wort –
sie waren in Maximalhöhe nach EU-
Beihilferecht längst kalkuliert und
auch in Brüssel genehmigt worden.
Doch selbst bei dieser Finanzierungs-
säule blieb bis zum Ende unklar, aus
welchen Töpfen konkret die öffentliche
Finanzierung hätte erfolgen sollen und
welche anderen Projekte von der Wirt-
schaftsförderung dadurch vernachläs-
sigt worden wären. Eines jedoch stand
fest: Der Mittelstand des Landes wäre
in erhöhtem Maße von Mittelkür-
zungen betroffen gewesen, was sich
bereits im Laufe der Diskussion um die
Chipfabrik anhand von zurückgestell-
ten Förderbescheiden und verspäteten
Ausreichungen genehmigter Förder-
gelder an Unternehmen des Klein- und
Mittelstandes (KMU) vollzog. Nichts-
destotrotz lag zu keiner Zeit ein ge-
schlossenes Finanzierungskonzept vor.
Weder Eigenkapital noch Fremdkapital
waren beisammen.
Trotzdem beschloss das Brandenbur-
ger Parlament 2001 auf Drängen des
Wirtschaftsministers eine Landesbürg-
schaft, die 2002 in eine Landesbetei-
ligung in Höhe von 38 Millionen €
umgewandelt wurde. Damit wurde das
Land über die InvestitionsBank Land
Brandenburg (ILB) Gesellschafter der
Firma Communicant. Bereits im August
2001 bewilligte die ILB der Stadt Frank-
furt (Oder) eine staatliche Subvention
in Höhe von 34,6 Millionen € aus der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zur
Erschließung des Gewerbegebietes für
die Chipfabrik. Trotz ungeklärter Fin-
anzierung begannen vor Ort die Bau-
maßnahmen und damit der Versuch,
vollendete Tatsachen zu schaffen, die
die Politik weiter unter Druck setzen
sollten – und es auch taten.
Während sich bei völlig ungeklärter
Finanzlage das Risiko für die öffent-
liche Hand sukzessive erhöhte, wurde
bekannt, dass sich die per se schon
lächerliche Beteiligung des Markt-
führers Intel in Höhe von 40 Millionen
US Dollar als Scheininvestition erwies.
Intel übergab Communicant eine völlig
wertlose Lizenz, ein Produktionsver-
fahren, welches Intel selbst überhaupt
nicht einsetzte und erhielt dafür ver-
traglich zugesichert eben jene 40 Mil-
lionen US Dollar in mehreren Raten
von Communicant zurückerstattet.
Esther Schröder
86
Außerdem regelte eine Klausel in den
immer als Geheimsache gehandelten
Verträgen die Absicherung für Intel,
zeitlich unbefristet mit 6 % am Umsatz
(!) der Betreiberfirma Communicant
beteiligt zu sein, sollte es je zu einer
Produktion kommen. 10 Intel verfolgte
eigene Interessen in Bezug auf die
Erlangung neuester technischer Fort-
schritte im Bereich der Chipproduktion
– Dubai verfolgte eigene Interessen in
Bezug auf den Technologietransfer
und die Erwartung, selbst eine
Chipfabrik zu errichten. Die folgende
Tabelle zeigt, wie die Finanzierungs-
strategie letztlich aussah.
Dieses Konzept hatte mit der ur-
sprünglichen Ankündigung nichts mehr
zu tun. Alle Finanzierungssäulen waren
durchzogen von öffentlichen Geldern.
Im November 2003 wurde dieser unse-
riösen Finanzierungsstrategie ein Ende
gesetzt. Das Bundeswirtschaftsministe-
rium erteilte nicht die Genehmigung
für die 80%ige Bund-Land-Bürgschaft
und hat mit dieser vernünftigen Ent-
scheidung noch schlimmere Entwick-
lungen verhindert. Hätten wir die im
Bundeswirtschaftsressort vorhandenen
Kompetenzen auch nur annähernd im
Wirtschaftsressort des Landes beses-
sen, wären uns nicht nur etwa 100 Mil-
lionen € verschwendete Fördergelder
erspart geblieben, sondern auch der
beispiellose Ausverkauf wertvoller IHP-
Lizenzen. Es fehlte der starke Wirt-
schaftspartner – Land, Bund und EU
konnten diesen Part nicht übernehmen.
Politisch gilt es drei grundsätzliche
Lehren zu ziehen, um künftig Schaden
vom Land abzuwenden:
1. Regierung und Opposition müssen
sich davor hüten, bei großen Investi-
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
87
10 Vgl. Gutachten des Experten für Lizenzrecht und Kenner der Chipbranche, Prof. Dr.Wolfgang Winzer, Erlangen 2003. HerrProf. Winzer nahm Einsicht in die beim Handelsregister vorliegenden Verträge und analysierte die wirtschaftlich unsin-nigen und für das Land und das Projekt katastrophalen Vertragsgestaltungen.
Chipfabrik – ursprüngliches und verändertes Finanzierungskonzept
Eigenkapital Fremdkapital FördergelderUrsprüngliches Finanzierungskonzept
50% 25% 25%
Verändertes und gescheitertes FinanzierungskonzeptDubai 250 Mio US $ Bankenkonsortium 650 Mio Subventionen (EU, Bund,
Intel 40 Mio US $ US $, 80% Absicherung durch Land): Genehmigte Beihilfe
Land/ILB 38 Mio US $ Land-Bund-Bürgschaft 371 Mio €
tionsvorhaben die Augen vor Realität
und Marktlogik zu verschließen.
2. Wirtschaftskonzepte sind schneller
und kompetenter zu überprüfen. Ein-
deutige Entscheidungen sind ohne
langes Lavieren zu treffen.
3. Öffentliche Gelder dürfen grund-
sätzlich nicht in Projekte fließen, die
keinen privaten Investor haben.
Scheininvestitionen sind Fördermit-
tel zu versagen.
4.Das Parlament darf bei öffentlichen
Förderprojekten seine Aufgabe, die
wirksame Kontrolle der Regierung,
niemals aufgeben.
(ii) Die Firma Hesco als Beispiel für ver-fehlte Subventionspolitik im Kleinen
Auch an die Förderung von klein- und
mittelständischen Unternehmen sind
strenge Kriterien hinsichtlich Innovati-
onsförderung und Beschäftigungswirk-
samkeit anzulegen. Steuerungskraft
besitzt das Landeswirtschaftsressort
hierbei vor allem über die in Richtlinien
und den Zuwendungsbescheiden fix-
ierten Auflagen zu Wirtschaftsgütern
und Arbeitsplätzen. Politisch wirksam
sind gerade die Arbeitsplatzauflagen
aber nur dann, wenn sie zugleich Anreiz
und Sanktionskraft besitzen, wenn
wirtschaftspolitische Strategien auch
umgesetzt werden. Die immer wieder
hoch gehaltene Behauptung, Wirt-
schaftsförderung diene zuallererst der
Sicherung und Schaffung von Arbeits-
plätzen, wird am Förderfall Hesco, ad
absurdum geführt.11
Mit Bescheid vom 4. September 1997
wurde der Firma Hesco Kunststoffer-
zeugnisse Helmut Schulze & Co. GmbH
ein Investitionszuschuss nach der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in
Höhe von 931.062,52 € gewährt. Die
Fördermittel wurden als Investitions-
zuschuss für den Bau einer neuen Pro-
duktionshalle in voller Höhe ausge-
zahlt.12 Das Vorhaben war nach dem
vorgelegten Verwendungsnachweis
zum 31. März 1999 abgeschlossen.
Nach den Bestimmungen des Zuwen-
dungsbescheides hatte die Zuwen-
dungsempfängerin die Betriebsstätte
für mindestens fünf Jahre nach
Abschluss des Investitionsvorhabens
hinaus zu betreiben, mindestens bis
zum 31. März 2004 mit insgesamt 71
Arbeits- und 4 Ausbildungsplätzen.
Mitte des Jahres 2003 wurde
bekannt, dass die Firma Hesco Kunst-
stofferzeugnisse Helmut Schulze & Co.
Esther Schröder
88
11 Der Förderfall der Firma Hesco geriet in die Schlagzeilen wegen des Verdachts gezielter Verstöße gegen Insolvenz-, Sub-ventions- und Arbeitsrecht. Zudem befindet sich die Firma im Besitz einer Familie namhafter CDU-Politiker. Dieser Aspektinteressiert hier nur insoweit, als das er Transparenz ermöglicht für einen exemplarischen Förderfall mit negativen wirt-schaftspolitischen Effekten und Botschaften.
12 Insgesamt erhielt das Unternehmen in den vergangenen Jahren Fördermittel in Höhe von 1.329.154,38 €, davon640.341,95 € Landesmittel, 640.341,95 € Bundesmittel sowie EU-Gelder in Höhe von 48.470,48 €.
GmbH in HC Kunststofferzeugnisse
GmbH umbenannt wurde und allen 60
Beschäftigten zum 31.07.2003 gekün-
digt wurde. Die Betriebsstätte der HC
Kunststofferzeugnisse GmbH wurde
nach Horla in Sachsen-Anhalt verlegt,
an dem aber die geförderten Wirt-
schaftsgüter zur Aufrechterhaltung
der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht
mehr zur Verfügung standen. 13 Die HC
Kunststofferzeugnisse GmbH meldete
beim Amtsgericht Halle/Saalkreis In-
solvenz an. 14 Gleichzeitig wurde am
Brandenburger Standort Luckenwalde
eine neue Firma Hesco Kunststoffver-
arbeitung GmbH durch dieselben
Inhaber der alten Hesco gegründet.
Dort existiert seit dem Jahr 2000 eine
weitere Firma der Unternehmerfami-
lie:„Entwicklung und Service – E&S“. In
dieser Firma wurden 33 der bei der
alten Hesco entlassenen Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer wieder ein-
gestellt und per Arbeitnehmerüberlas-
sung an die neue Hesco zu niedrigeren
Löhnen verliehen.
Ziel all dieser Transaktionen war der
Arbeitsplatzabbau unter Umgehung
arbeitsrechtlicher Vorschriften,15 die
masselose Insolvenz der alten Hesco,
die Übertragung der staatlich geför-
derten Wirtschaftsgüter auf die neue
Hesco und die Abtretung arbeitsrecht-
licher Ansprüche an die Firma E&S.
Die Kündigung aller 60 in der alten
Hesco noch Beschäftigten Ende Juli 2003
zeigte, dass die Arbeitsplatzauflagen aus
dem Förderbescheid 1997 und Verwen-
dungsnachweis 1999 längst nicht mehr
eingehalten wurden. Das Unternehmen
informierte aber zu keiner Zeit die In-
vestitionsBank (ILB) über die Verände-
rungen im Arbeitskräftebestand. Auch
Kündigungen, Insolvenz und Betriebs-
verlagerung wurden nicht angezeigt.
Damit wurden eindeutig subventions-
erhebliche Mitteilungspflichten verletzt.
Hierbei handelt es sich nach geltender
Rechtslage um kein Kavaliersdelikt, son-
dern um einen Verstoß gegen §3 Sub-
ventionsgesetz i.S. §264 Strafgesetz-
buch. Die ILB leitete nach den aus den
Medien bekannt gewordenen Tatsachen
ein Anhörungsverfahren zur Prüfung
des Subventionsfalles ein. Im Prüfverfah-
ren wurde dann bekannt, dass die an die
Subvention gebundenen 71 Arbeits- und
4 Ausbildungsplätze lediglich in der Zeit
vom 1. April 1999 bis 31. August 2001 vor-
handen gewesen waren.
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
89
13 Verlagerung der Betriebsstätte meint hier nicht wirklich die Verlagerung der Firma. Lediglich wurde an einem alten still-gelegten Gehöft ein Pappschild mit dem umbenannten Firmennamen angebracht, auf dem als Ansprechpartner derAnwalt der Unternehmerfamilie eingetragen war.
14 Das Amtsgericht Halle/Saalkreis lehnte die Zuständigkeit ab, und Insolvenzverfahren wurde an das zuständige Amtsge-richt Potsdam verwiesen. Gleichzeitig wurde durch die Staatsanwaltschaft Halle ein Verfahren wegen Verdacht aufUntreue eingeleitet, dass ebenfalls nach Potsdam an die zuständige Staatsanwaltschaft übergeben wurde.
15 Die Firmeninhaber und ihr Anwalt ließen sich in Pressestatements dahingehend ein, dass sie dieses Firmengeflecht zurUmgehung des „starren deutschen Arbeitsrechts“ gewählt hätten.
Im Ergebnis des ILB-Prüfverfahrens
erfolgte keinerlei Rückforderung von
Fördergeldern. Stattdessen wurde der
alte Zuwendungsbescheid aus dem
Jahr 1997 auf die neue Hesco übertra-
gen, die Arbeitsplatzauflage auf 33
Arbeitsplätze reduziert mit einer Bin-
defrist bis zum 30.09.2005. Obwohl
§49 Absatz 3 Verwaltungsverfahrens-
gesetz (VwVfG) Brandenburg den
Widerruf einer Zuwendung in vollem
Umfang ausdrücklich vorsieht, wenn
Auflagen nicht erfüllt wurden, fiel die
Entscheidung zugunsten der Firma
und zu Lasten des Landes. Damit wur-
den das Umgehungsgeschäft belohnt,
Gleichbehandlungsgrundsätze ver-
letzt und das Prinzip einer sparsamen
Verwendung von Haushaltsmitteln
missachtet. 16
Auch eine Rückforderung von Teilbe-
trägen der Subvention wurde nicht dis-
kutiert. Das Wirtschaftsministerium und
die ILB begründeten ihre gemeinsam
getroffene „Ermessensentscheidung“
mit folgender Rechtfertigung: „Der Zu-
wendungsbescheid wurde nicht wider-
rufen, weil die Hesco Kunststoffverarbei-
tung GmbH den Antrag stellte, in die
Rechte und Pflichten des Bescheides bei
geänderten Auflagen einzutreten. Hier-
durch erfüllt die Hesco Kunststoffver-
arbeitung GmbH mit der Besetzung von
33 Arbeitsplätzen die Voraussetzungen,
unter denen von vornherein die Zuwen-
dung gewährt worden wäre.“17 Die Bot-
schaft ist klar: Das Argument „Erhalt des
Standortes“ rechtfertigt den Verstoß
gegen Auflagen und Gesetze. Unbe-
achtet blieben beschäftigungspolitisch
die Kündigung von 38 Arbeitskräften
und die Umwandlung von 33 Normal-
arbeitsverhältnissen in 33 prekäre Leih-
arbeitsverhältnisse sowie die eindeu-
tigen Verstöße gegen Subventionsrecht
und Arbeitsrecht.18 Es verbinden sich
aber über den Einzelfall hinaus weitere
äußerst bedenkliche und generelle wirt-
schafts- und beschäftigungspolitische
Botschaften:
1. Arbeitsplatzauflagen sind in Bran-
denburg nichts wert. Mitteilungs-
pflichten über Veränderungen von
Arbeitsplatzzahlen müssen nicht
eingehalten werden.
2. Das Interesse der Allgemeinheit an
einer wirkungsvollen staatlichen Wirt-
schaftsförderung durch Subventionen
wird nicht verfolgt.
Esther Schröder
90
16 Der rechtlichen Argumentation entsprechend Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), Subventionsrecht, Haushalts- undGleichbehandlungsgrundsatz folgte die ILB anfangs selbst. Es lag ein fertiger Widerrufsbescheid vor, der auf Anweisungdes Wirtschaftsministeriums nicht versandt wurde. Stattdessen wurden weitere Prüfungen angewiesen, die dazu führ-ten, das Land sich an die Bedingungen des Unternehmens anpasste.
17 Vgl. Landtag Brandenburg, 3.Wahlperiode, Drucksache 3/6981 - Antwort des Brandenburger Wirtschaftsministers auf dieKleine Anfrage Nr. 2598 der Abgeordneten Dr. Esther Schröder.
18 Das Arbeitsgericht Potsdam erklärte am 18.02.2004 die Kündigung eines 56jährigen Hesco-Betriebselektrikers fürunwirksam – acht weitere Kündigungsschutzklagen sind bei Gericht anhängig.
3. Quantitative und qualitative Beschäf-
tigungswirksamkeit von Wirtschafts-
förderung ist ein untergeordnetes Ziel
Brandenburger Wirtschaftsförderung.
4.Das Land hält Förderung für Unter-
nehmen auch bei Umgehung von
Gesetzen aufrecht.
Das alleinige Argument des Stand-
orterhalts ist nicht zulässig.Wieder ein-
mal spielt in Brandenburg die volks-
wirtschaftliche Perspektive keine Rolle
und auch nicht die Frage, wo die Förd-
ergelder effektiver hätten eingesetzt
werden können, um zukunftsfähige
Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhal-
ten. Statt dessen wird im Wirtschafts-
ausschuss des Landtages vom Wirt-
schaftsministeriums und der ILB
erklärt, dass Verstöße gegen Mittei-
lungspflichten in Brandenburg Gang
und Gebe sind, dass Arbeitsplatzaufla-
gen in der Bindefrist nicht kontrollier-
bar seien und die Einhaltung von
Arbeitsrecht für Wirtschaftsförderung
allemal nur eine Nebenbedingung sei,
die bei vermeintlichen Ermessensent-
scheidungen nicht berücksichtigt wer-
den müsse. Diese Aussagen beinhalten
politischen Sprengstoff und stellen
Ziele, Gesetze und Richtlinien Branden-
burger Wirtschaftspolitik grundsätzlich
in Frage.
Es stellen sich mit dem Fall Hesco aber
noch ganz andere Fragen, die wiederum
Anlass geben, Wirtschaftsförderung in
Brandenburg in Richtung Innovations-
förderung neu zu denken. Warum
konnte oder wollte Hesco die Arbeits-
platzauflagen nicht erfüllen? Bestand
Sinn und Zweck des undurchsichtigen
Firmengeflechts nicht lediglich darin,
Personalkosten bei gleich bleibenden
Subventionen radikal zu senken, weil der
Betrieb es eben nicht vermochte aus
eigener Kraft durch Innovation Mark-
teinbrüche zu kompensieren?
Die Firma fungiert als typischer
Zulieferbetrieb, als verlängerte Werk-
bank und ist damit abhängig von
Abnehmerfirmen. Hesco ist somit
eben kein Beispiel für wirtschaftliche
Innovationsträger. In den kommenden
Jahren muss ein starkes Augenmerk
darauf gerichtet werden, ob Pflanzen
Fördermittel beanspruchen können,
die nur solange leben, solange aus der
Gießkanne der Geldregen über sie
prasselt und die sofort eingehen, wenn
der Geldhahn zugedreht wird, weil sie
eben nicht aus sich heraus überlebens-
fähig sind.
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
91
Ohne Einsicht kein Ausblick. Lehren
aus den Fehlern der Vergangenheit zie-
hen, heißt für die Brandenburger Politik:
„Wir müssen uns heute von der Erwar-
tung verabschieden, dass allein durch
staatliche Großinvestitionen tausende
Arbeitsplätze geschaffen werden kön-
nen. Stattdessen müssen wir uns auf
unsere eigenen Stärken konzentrieren,
uns mit einer Politik der vielen Schritte
auf die vorhandenen Standorte konzen-
trieren und diese ausbauen.“19
Dazu gehört zuallererst die Fest-
stellung, dass Brandenburg ein Land
des Mittelstandes ist. Etwa 98 % der
brandenburgischen Unternehmen
zählen zum KMU-Bereich. Wir sprechen
also vorrangig über Probleme von
Klein- und Kleinstbetrieben, die durch
die Konzentration der Wirtschaftspo-
litik auf Großprojekte in den letzten
fünf Jahren erheblich vernachlässigt
wurden. Hier gilt es anzusetzen und
umzusteuern. Was wir dringend brau-
chen, ist eine landesweite Analyse
betriebs-, branchen- und regionsbezo-
gener Defizite, ein offenes Ohr für die
Sorgen der Unternehmen, die unsere
Wirtschaft stützen. Das klingt banal, ist
aber entscheidende Voraussetzung für
Zukunftskonzepte.
Wir haben insbesondere in der drit-
ten Legislatur, seit dem die CDU das
Wirtschaftsressort besetzt, kostbare
Zeit zur Gestaltung einer auf Zukunft
gerichteten Wirtschaftspolitik verloren.
Wenn jetzt am Ende der dritten Legis-
latur die Parole „Billiglohnland Bran-
denburg“ vom CDU-Wirtschaftsminis-
ter ausgegeben wird, dann kommt
diese Parole einem wirtschaftspoli-
tischen Offenbarungseid gleich. Der
hilflose Ruf nach Niedriglöhnen ist
letztlich ein Eingeständnis konserva-
tiver Politik, über keine tauglichen Kon-
zepte zu verfügen, mit denen sich Rah-
menbedingungen im Zuschnitt auf die
spezifischen Problemlagen in der Bran-
denburger Wirtschaft gestalten lassen.
Verstaubte neoliberale Theorien las-
sen sich in Brandenburg nicht aufpolie-
ren! Die Erfahrungen der letzten Jahre
im „Experimentierfeld Ostdeutschland“
belegen, dass die Verminderung der
Massenarbeitslosigkeit nicht durch
Lohnsenkungen, Tarifflucht und Ver-
schlechterung von Arbeitsbedingun-
gen zu erreichen ist. Stattdessen wird
durch Lohndrückerei der in Branden-
burg schwache private Verbrauch als
wichtigste Säule der gesamtwirtschaft-
lichen Nachfrage weiter untergraben.
Esther Schröder
92
5. Ausblick – was tun?
19 Vgl. in diesem Heft Matthias Platzeck:„Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg“
Wir müssen nicht lernen, mit dem
Ost-West-Gefälle im Lohnniveau offensi-
ver umzugehen. Im Gegenteil: Wir müs-
sen alles daran setzen, eine Angleichung
im Lohnniveau zwischen Ost und West
herbeizuführen. Dies wird uns nur in
Besinnung auf eigene Tatkraft und mär-
kische Potenziale gelingen. Wir müssen
endlich begreifen, dass nicht Geld-
ströme sondern Gehirnströme das Ent-
scheidende sind. Wenn wir tatsächlich
den beschriebenen Teufelskreis durch-
brechen wollen, dann mit Hilfe „krea-
tiver Problemlöser“ – unterstützt durch
öffentliche Forschungsförderung. Bei-
spiele im Land zeigen, dass sich öffent-
liche Gelder für Forschungs- und Ent-
wicklungsförderung bezahlt machen.
„Die Zukunft Brandenburgs liegt in
hoch produktiven Bereichen, liegt in
wissensintensiven Arbeitsplätzen, in
denen hohe Löhne erwirtschaftet wer-
den können. Solche Arbeitsplätze ent-
stehen hauptsächlich aus der intensi-
ven Zusammenarbeit zwischen Unter-
nehmen und Hochschulen, Forschung
und Entwicklung.“ 20 Hier muss ange-
setzt werden, müssen sich mit Hilfe
von politischer Moderation und öffent-
lich geförderten Kompetenzzentren
Netzwerke und Cluster entwickeln.
Statt Billigjobs brauchen wir Exis-
tenzgründungen im innovativen Hoch-
technologiebereich. Von Seiten der Poli-
tik und Gesetzgebung muss alles Erfor-
derliche unternommen werden, um die
Zahl der kreativitäts- und hochtechno-
logieorientierten Existenzgründungen –
vor allem aus dem Hochschulbereich
heraus – zu steigern. Eine damit verbun-
dene Anforderung ist die kontinuier-
liche Erhöhung der Qualifikation der
Arbeitskräfte. Wir brauchen für den
Kurswechsel im Land neben hoch quali-
fizierten Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftlern auch gut ausgebildete
Fachkräfte. Die demographische Ent-
wicklung zeigt uns heute, dass wir mor-
gen mit einem Fachkräftemangel zu
rechnen haben. Hier muss jetzt gegen-
gesteuert werden. Niedriglöhne werden
ein Umsteuern nicht ermöglichen.
Auch für Brandenburg gilt: Wenn
neue wissenschaftliche Erkenntnisse
eine breite Umsetzung in Produktion
erfahren, dann wachsen sowohl Real-
einkommen als auch Steuereinnahmen
des Landes. Bildung und Ausbildung,
Forschung und Innovation sind daher
die Grundvoraussetzungen unserer Zu-
kunft. Gefragt ist Kreativität in For-
schung, Wirtschaft und Politik. Staat-
liches Engagement ist künftig verstärkt
bei den in Brandenburg erbrachten For-
schungsleistungen und ihrer Umset-
zung in Wertschöpfung gefragt. Im
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
9320 ebenda.
Ergebnis werden hochwertige Produkte
entstehen, für die sich auf dem Markt
entsprechend hohe Preise realisieren
und hohe Löhne erwirtschaften lassen.
Die Herbeiführung eines Kurswechsel
in der Brandenburger Wirtschaftspolitik
setzt aber auch noch eine Erkenntnis
anderer Art voraus: Staatliche Unter-
stützung kann es nur dort geben, wo es
auch ein deutlich ausreichendes privat-
wirtschaftliches Engagement und da-
mit Umsatz- und Gewinnerwartung
gibt. Allein die Ankündigung von Ar-
beitsplätzen rechtfertigt keine Investi-
tionen in Wirtschaftsgüter.
Der Konkurrenzkampf um Höchstsub-
ventionen im Standortwettbewerb ist
ein weltweites Phänomen. Brandenburg
sollte unabhängig davon vielmehr der
Kreativität, Courage und dem Innova-
tions- und Forschergeist im Land den
roten Teppich ausrollen. Dazu braucht es
den Abbau bürokratischer Hemmnisse
und den Umbau von Förderstrukturen,
braucht es klare, transparente und vor
allem kompetente Beratungs- und Ent-
scheidungslinien, die für potenzielle In-
vestoren auch handhabbar sind. Dazu
stellte der Brandenburger Ministerpräsi-
dent in seiner Regierungserklärung am
11. Dezember 2003 klar: „Wer sich an die
Landesregierung wendet, weil er inves-
tieren, weil er Arbeitsplätze schaffen
will, hat Anspruch auf eine schnelle und
eindeutige Entscheidung, sei es Ja oder
Nein. Jede Entscheidung ist besser als
keine Entscheidung. Unbürokratisch und
kompetent soll das geschehen.“
Das Maßnahmebündel aus Be-
ratung, Darlehen, Bürgschaften und
Zuschüssen ist intelligent zum Einsatz
zu bringen, eingebunden in eine Stra-
tegie, die dem hier gezeichneten Inno-
vationsaspekt Rechnung trägt. Damit
verbunden sein muss aber auch ein
verstärktes Controlling, welches
immer wieder wirtschaftspolitische
Strategie und Wirkungen der Wirt-
schaftspolitik miteinander abgleicht.
Das erfordert wiederum eine perma-
nente Prüfung vorhandener Kompe-
tenzen im Wirtschaftsressort und in
der nachgeordneten Zukunftsagentur
Brandenburg (ZAB) sowie Kontrolle der
Geschäftsvorgänge in der Investitions-
Bank Land Brandenburg (ILB).
Offen zu diskutieren ist auch die
Zusammenlegung der Ressorts Arbeit
und Wirtschaft. Landesarbeitsmarkt-
politik erhält mit der Umsetzung der
Hartz-Reformen künftig einen völlig
neuen Gestaltungsspielraum. Auch zur
Stärkung einer notwendigen aktiven
Arbeitsmarktpolitik wäre ein engeres
Zusammenwirken von Arbeits- und
Wirtschaftsförderung sinnvoll. Mit die-
ser Zielausrichtung sollte ein gemein-
sames Ressort Arbeit und Wirtschaft in
sozialdemokratischer Verantwortung
liegen. Nur so lässt sich gewährleisten,
Esther Schröder
94
dass Wirtschaftspolitik wieder den Kri-
terien von Beschäftigungswirksamkeit
und Innovationsgeist folgt und Ar-
beitsmarktpolitik nicht länger richten
muss, was verfehlte Wirtschaftspolitik
anrichtet. Hierüber muss in Branden-
burg ein Diskussionsprozess ange-
stoßen werden. Wenn gilt: Alles, was
Arbeit schafft, ist sozial – dann gilt
aber auch umgekehrt: Alles, was
Arbeitslosigkeit verursacht und ver-
stärkt, ist unsozial – auch eine nicht
beschäftigungswirksame und ineffi-
ziente Wirtschaftspolitik. Insgesamt
gilt es, den laufenden Strukturwandel
politisch zu beherrschen und in ihm
Chancen zu sehen. Fehlende Trans-
parenz, mangelndes Risikobewusst-
sein und politisches Wunschdenken
müssen in Brandenburg überwunden
werden. Wir brauchen Innovationen
nicht nur in der Wirtschaft – wir brau-
chen Innovation vor allem in der Wirt-
schaftspolitik.
Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven
95
Esther SchröderVolkswirtin,
Mitglied der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg,
Direktkandidatin im Wahlkreis 38 Lauchhammer-Schwarzheide
In drei kurzen Schritten möchte ich
versuchen, eine brandenburgische La-
geskizze (1) mit ausgewähltem Orien-
tierungswissen (2) sowie dem Entwurf
einiger Bausteine für eine zukunfts-
fähige raumpolitische Handlungsstra-
tegie (3) zu verknüpfen. Fürwahr viel
Holz für einen kurzen Text.
Zugleich ist es aber auch die Chance,
die größeren Freiheitsgrade der kri-tischen Distanz eines Regionalfor-
schers aus einem brandenburgischen
Leibniz-Institut mit etwas anderem
zusammenzubringen: Signalen der
starken Empathie gegenüber diesem
schwierigen Flächenland, seinen Men-
schen und seinen reizvoll-asketischen
Natur- und Kultur-Landschaften. Bei-
des scheint mir für eine dringend
nötige Standortbestimmung 15 Jahre
nach 1989 unerlässlich zu sein: Em-
pathie und kritische Distanz. Nur so
auch lässt sich ein erstes, wie mir
scheint, gravierendes Manko Branden-
burgs beheben: nämlich die bislang
ungenügenden „Selbstbeschreibungs-
fähigkeiten“. Die Ära der Großprojekte
und die Verteufelung von Kritik als
Nestbeschmutzung – gehören dabei
eng zusammen.
Der „Aufbau Ost“ ist in etlichen Teil-
regionen Brandenburgs faktisch zum
Erliegen gekommen. Die tendenziöse
Rede vom „Abbau Ost“ macht die
Runde. Die sich verfestigende struktu-
relle Massenarbeitslosigkeit von über
20 % ist lediglich einer von mehreren
schmerzhaften Indikatoren für die
gegenwärtige Lage des Landes.
Und nur zur Erinnerung: Diese
schwache sozioökonomische Perfor-
manz stellt sich ein trotz einer exorbi-
97
Das Ende der IllusionenRegionale Entwicklung in Brandenburgund Konsequenzen für einen neuen Aufbruch
Von Ulf Matthiesen
„Entscheidend ist auf dem Platz!“ Addi Preißler
I. Zur Lage Brandenburgs im April 2004
tanten Förderkulisse und trotz der
Höchstförderung von EU- und Bundes-
seite. Das Jahr 2004 markiert daneben
genau die Mitte der Laufzeit des Soli-
darpaktes bis 2019: 15 Jahre sind also
um, ein selbsttragender Aufschwung
ist nicht in Sicht. Hohe Zeit also für kri-
tische Selbstbeschreibungen sowie für
einen Analyse- und Politikwechsel.
Die handfeste Fördermaxime: „Viel
hilft viel“ scheint danach grandios ge-
scheitert. Teilweise sind eher neue
Abhängigkeiten und nicht durch Leis-
tung gedeckte Anspruchsplateaus ent-
standen. Entsprechend machen sich
einerseits Ernüchterung und Ratlosig-
keit breit. Andernorts wird aber weiter-
hin geschäftiges „Tun als wäre nichts!“
gepflegt, insbesondere in den mannig-
faltigen Transfermittel-Beute-Netzen.
Das reicht – ich rede hier also prodomo
– auch in den Wissenschafts- und For-
schungsbereich hinein.
Es ist hier nicht der Ort, die (differen-
zierten!) Stagnations- und Schrump-
fungstendenzen und deren kumulative
Effekte für Ostdeutschland und Bran-
denburg im Einzelnen durchzubuchsta-
bieren (vgl. etwa Keim 2002, Matthiesen
2002). Stattdessen möchte ich die Kurz-
analyse auf fünf sich gegenseitig ver-
schärfende kritische Punkte konzentrie-
ren – die zugleich das zentrale Politik-
Thema „Krise als Chance“ vorbereiten
können.„Krise“ ist dabei immer auch als
mögliche „Geburtsstätte des Neuen“ zu
begreifen. Das allerdings setzt erstens
genaue Analysen und zweitens schwie-
rige – jedoch nicht chancenlose – gesell-
schaftliche und institutionelle Lernpro-
zesse voraus. Solche Lernprozesse rei-
chen weit über den zentralen Bereich
der Wirtschaft hinaus. Zunächst aber zu
den fünf Krisendimensionen:
1. Die Differenziertheit der Teilregionenund die weiterwirkende Mitgift „ost-fordistischer Monostrukturen“.In der Regel nach politischen Kriterien
exekutierte Fehlallokationen aus der Zeit
des real existierenden Sozialismus bilden
eine immer noch schwer zu verdauende
Randbedingung für die Entwicklung ge-
rade der kleinen und mittleren Städte
Brandenburgs. Zugleich bildet die große
Unterschiedlichkeit der brandenbur-
gischen Teilregionen aber auch einen un-
schätzbaren, weiter zu profilierenden
Wert: vom Weltkulturerbe der Potsdamer
Kulturlandschaft zu den neuerlichen in-
dustriepolitischen Schwerpunktsetzun-
gen im Raum Schwarzheide-Lauchham-
mer,von der aufblühenden Senioren- und
‘Fontanestadt Neuruppin’ zu den schwer
angeschlagenen Monostruktur-Städten
an Oder und Neiße, von den extrem dünn
besiedelten Landesteilen der Uckermark
und Prignitz in die Gewinner-“Speckwür-
fel“ des engeren Verflechtungsraumes
hinein (Kleinmachnow, Ludwigsfelde).
Ulf Matthiesen
98
Die drastische Verschärfung der Stan-
dortkonkurrenzen von Städten und Re-
gionen in Europa wird dafür sorgen, dass
die Differenzen zwischen den unter-
schiedlichen brandenburgischen Teilre-
gionen nicht ab – sondern zunehmen.
Neue Raumpolitiken müssen deshalb auf
diese wachsenden teilregionalen Diffe-
renzierungen hin justiert werden, auch
um sie neu in Wert setzen zu können.
Nicht zuletzt: auch auf EU-europäischer
Ebene nehmen Disparitäten zwischen
Gewinner- und Verlierer-Räumen wieder
zu, nach dem 1. Mai 2004 mehr denn je.
2. Wissen & Brain Drain.Wir leben zunehmend in Wissens-
gesellschaften. Diese stimulieren Inno-
vationen, aber sie verschärfen zugleich
unerbittlich regionale Konkurrenzen
und Ungleichgewichte. Neue wissens-
gesellschaftliche Peripheriebildungen
überlagern ältere teilregionale De-In-
dustrialisierungseffekte. Zwei zentrale
Mechanismen treiben diese wissens-
gesellschaftlichen Disparitäten voran:
• Die abnehmende Halbwertzeit der
Gültigkeit von Wissen. Das bedeutet
zugleich: Niemand kann sich auf sei-
nen Wissensvorsprüngen ausruhen.
Wer hier den Kontakt zur innova-
tiven Spitze verliert, hat enorme Pro-
bleme, wieder Anschluss zu finden.
• Brain Drain, also der Abfluss von
Humankapital und Wissen, ist inzwi-
schen für die Zunahme von regiona-
len Disparitäten ein Schlüsselmech-anismus geworden. Junge Gutausge-
bildete, insbesondere junge Frauen,
wandern ab. Die peripheren Regio-
nen Brandenburgs sind inzwischen
mit dem Doppelproblem von hoher
struktureller Arbeitslosigkeit bei
gleichzeitigen gravierenden Human-
kapital- und Kompetenzmängeln in
innovativen, wissensbasierten Wirt-
schaftsbereichen konfrontiert.
3. EU-Osterweiterung.Zwischen den Eckpunkten einer
abstrakten Angst vor polnischen
Arbeitskonkurrenten im Niedrigquali-
fikationsbereich auf der einen Seite
und großen Hoffnungen auf neue
Expansions- und Kopplungschancen
für die brandenburgische Wirtschaft
jenseits von Oder und Neiße am ande-
ren Ende bleibt viel prognostische
Ungewissheit in der Mitte zurück:
• Illegale Arbeitsmigrationen werden
sich während der Übergangsfristen
verstärken – unklar ist, wie stark.
• Vermutlich wird es so etwas wie
europäische Stufen-Migrationen von
Ost nach West geben: der polnische
Arzt aus Breslau wird die lange
vakante Krankenhausarztstelle in
Frankfurt (Oder) besetzen, die sein
brandenburgischer Kollege vor eini-
ger Zeit auf dem Karriereweg Rich-
Das Ende der Illusionen
99
tung Westdeutschland nach Ham-
burg verlassen hat.
• Zugleich werden Niedrigsteuer- und
Niedriglohn-Länder jenseits von Oder
und Neiße mit ihren abgesenkten
Regelungsstandards gerade größere
Industrieansiedlungen anziehen –
möglicherweise auch diejenigen, die
sich für eine gewisse Förder- und
Abschreibungsfrist in Brandenburg
angesiedelt haben. Das verweist auf
die Gefahr, dass der „florierende
Speckgürtel“ möglicherweise seinen
Entwicklungszenit schon durchschrit-ten haben könnte – und ansonsten
zunehmend von direkten oder indi-
rekten Hauptstadt- und Metropolen-
effekten profitiert.
• Eine völlig ungenügende Vorberei-
tung der brandenburgischen Unter-
nehmen auf verschärfte Konkurrenz-
bedingungen nach dem 1. Mai 2004
(etwa die fehlende Zweisprachigkeit)
erweist sich als besonderer Hinde-
rungsgrund einer wirtschaftlichen
Expansion in die Beitrittsländer hin-
ein.
• Insgesamt wächst damit die Gefahr,
dass ökonomische Entwicklungsdy-
namiken im Gefolge der EU-Oster-
weiterung nicht nur den ostbran-
denburgischen Grenzraum zu Polen,
sondern Brandenburg insgesamt
„froschartig überspringen“ (leap-frogging).
4.Lokale Akteure & überlokaleStrukturprobleme.Das Land Brandenburg kennt eine
bewunderungswürdige Fülle lokaler In-
itiativen und kreativer örtlicher Akteurs-
netze, Vereine etc. Langsam bilden sich
auch hier bürgergesellschaftliche Milieusmit lokalem Stolz auf bislang Erreichtes.
Förderpolitisch muss daher auch umge-
steuert werden auf Orte und Plätze, wo
sich „etwas tut“. Zugleich wird das mär-
kische Flächenland aber von überlokalenStrukturdynamiken und Konkurrenz-
verschärfungen heimgesucht, gegen
die lokale Netze nur bedingt handlungs-
und strategiefähig erscheinen. Hier dro-
hen Überforderungen – weil überlokale
Strukturdynamiken sich lokal nur ganz
marginal bearbeiten lassen. Eine Re-
aktion auf die hier drohende Über-
forderung sind – insbesondere unter
Schrumpfungsbedingungen – soziale
und mentale Abschottungen (vgl. Matt-
hiesen 2003, 89 ff). Auch davor sind
brandenburgische Gemeinden und ihre
Bürgerschaft keinesfalls gefeit. In eini-
gen Städten, die sich selbst inzwischen
als „sterbende Städte“ sehen (Witten-
berge, Guben, Forst u.a.), scheint das
inzwischen fast die Regel. Hier muss
eine überlokal ansetzende Raumpolitik
vor endogenen Überlastprogrammen
schützen – und zugleich dennoch die
Ebene kreativer, neugieriger lokaler Ak-
teursnetze nach Kräften stärken.
Ulf Matthiesen
100
5. Metropole Berlin.Nehmen wir die nationalen und
internationalen Konkurrenzverschär-
fungen in den Blick, dann zeigt sich,
dass die zentrale Lagegunst Branden-
burgs nicht seine lange Grenze mit
Polen ist, sondern eher die bislang
„periphere Metropole Berlin“ in seiner
Mitte. Die Verschuldungskrise beider
Staaten kann im Ernst kein Haupt-
grund sein, dieses Alleinstellungs-
merkmal des brandenburgischen Flä-
chenlandes entschlossener zu profilie-
ren. Gerade die peripheren Regions-
teile Brandenburgs können nur in
einem fusionierten Bundesland Bran-
denburg neue Funktionen und neue
Rollen finden. Zumindest auf diesem
Gebiet geht die Berlin-Brandenbur-
gische Forschungs- und Wissen-
schaftslandschaft in einigen Teilen mit
leuchtendem Beispiel voran: etwa im
Biotech-Bereich mit Berlin-Branden-
burgischen Kompetenznetzwerken, in
der zukünftigen Governance-Ausbil-
dung (HU Berlin –Viadrina Frankfurt),
oder mit neu sich formierenden Berlin-
Brandenburgischen Kompetenzzen-
tren für „Stadt und Region“ (TU Ber-
lin/IRS) sowie mit dem „Georg Simmel-
Zentrum für Metropolenforschung“
(HU Berlin /IRS).
Das Orientierungswissen der sozial-
wissenschaftlichen Raumforschung, so
wie es das IRS beispielgebend in Erkner
entwickelt, operiert bewusst auf halber
Wegstrecke zwischen der kritischen
Analyse der Lage einerseits (s. Teil I) und
konkreten Politikempfehlungen (s. Teil
III) andererseits. Ziel ist es, die Freiheit
des analytischen Blicks mit deutlichen
Anwendungsbezügen zu verkoppeln.
Dabei ist einerseits unstrittig: Natür-
lich genügt es nicht, kritisch zu analy-
sieren. Aber gerade für Brandenburg
scheinen kritische Analysen wichtiger
denn je zu sein. Zu viele und zu große
Entwicklungshypes wurden hier schon
in den märkischen Sand gesetzt – auch
aufgrund von nicht hinreichend kri-
tischen Analysen. Möglicherweise
steckt hierin eine weitere verstärkende
Ursache für den brain drain: die Ent-
täuschung junger Menschen über zu
viel unrealistische, zudem fremd-
alimentierte Opulenz in den Entwick-
lungsprojektionen, mit der Folge zu
vieler gescheiterter „Leuchtturm-Pro-
jekte“ in dieser Gegend. Die Phase der
Großprojekte und Masterpläne scheint
Das Ende der Illusionen
101
II. Orientierungswissen unter Nicht-Wachstumsbedingungenund für disparitäre Regionalentwicklungen
inzwischen vorbei – die Kassenlage
erzwingt es. Das hat auch sein Gutes.
Was aber sonst?
Eine unscheinbare, aber folgenreiche
Grundregel für die Entwicklung von zu-
kunftsfähigem Orientierungswissen
für Brandenburg soll hier zunächst
hervorgehoben werden: Genauer hin-sehen – insbesondere auf örtliche Be-
gabungen, Kompetenzen und Initiati-
ven, wobei insbesondere lokales Wissen(etwa im low tech-Bereich) einbezogen
und strategisch gestärkt werden muss.
Allerdings darf dabei nicht noch einmal
die Feier der endogenen Potentiale bis
zur Überforderung ausgereizt werden.
Ohne die Mobilisierung von über-
lokalem Wissen wird sich gerade in
Brandenburg der circulus vitiosus der
weiteren wissensgesellschaftlichen
Peripherisierung durch brain drain
nicht mehr lösen lassen.
Deshalb müssen Deutungs- und
Erklärungsangebote der avanciertesten
internationalen Theorieansätze zu
„ungleichmäßigen Regionalentwick-
lungen“ aufgegriffen, dann aber mit
einem klaren Bewusstsein der Spezifik
des ostdeutschen und brandenbur-
gischen Transformationspfades verbun-
den werden: exorbitante industrial-
istische Monostrukturen als Hypothek,
Systemkrise (Globalisierung) mit spezifi-
schen – auch mentalen – „lock-in“-Struk-
turen, passfähig zu entwickelnde raum-
politische Strategien mit lokal- und
regionalspezifisch zu profilierenden
Chancenprofilen.
Orientierungswissen für die zukunfts-
fähige Gestaltung der nächsten Etappen
eines brandenburgischen Entwicklungs-
pfades sehe ich dabei in kritischer Dif-
ferenz zu mindestens vier konkurrieren-
den Entwicklungs-“Philosophien“:
1. Nachholende Modernisierung:Diese sicherlich einflussreichste Ent-
wicklungsphilosophie bildet das – häu-
fig auch implizit bleibende – Entwick-
lungsskript des bisherigen branden-
burgischen Regierungshandelns, alle
Großprojekt-Überhebungen inklusive.
Natürlich sind international und global
operierende Beraterfirmen professio-
nelle Verstärker solch „nachholender“
Entwicklungsansätze. Danach durchlau-
fen regionale Entwicklungsdynamiken
zeitversetzt überall mehr oder minder
dieselben Stadien, benötigen also auch
dieselben Steuerungs-, Planungs- und
Implementierungsinstrumentarien.
2. Entwicklungsprinzip Transfer:Mit dem 1. Mai 2004 treten Transfor-
mationsstaaten auf, die bislang ihre
nationalen Transformationspfade knall-
hart auf eigene Rechnung implementiert
haben. Damit wird das bisherige ost-
deutsche Strukturwandel-Alimentie-
rungsprinzip („Viel bewirkt viel“) trotz der
Ulf Matthiesen
102
Übergangsfristen schlagartig zum Aus-laufmodell – mit erheblichen Spätfolgen.
3. Ost-Avantgardismus:Dem mutigen Programmansatz Wolf-
gang Englers zufolge bilden gerade die
Ostdeutschen dank ihrer Transforma-
tionserfahrungen gleichsam eine euro-
päische „Avantgarde“ für transformato-
rische Entwicklungsagenden. Von deren
Erfahrungen könne zuförderst der
Westen, aber auch der neue EU-Osten
lernen. Leider machen die tiefreichen-
den Effekte des Brain Drain in Ost-
deutschland dieses hoffende Engler-
sche Entwicklungsskript zunehmend
zur Makulatur.
4.Beschränken wir unsereGestaltungsabsichten aufdynamische Kerne – überlassen wirden Rest sich selbst:Der strukturelle Zynismus in den meli-
orisierenden Schrumpfungspolitiken a
la „shrink to fit“ unterschätzt die Lang-
zeitfolgen der ostfordistischen Mono-
struktur-Arrangements für die Regional-
entwicklung – ganz zu schweigen von
den Mentalitätsstrukturen, die sich
bekanntlich sehr viel langsamer trans-
formieren als harte Infrastruktur.
Zielführendes Orientierungswissen zu
realistischen brandenburgischen Ent-
wicklungsoptionen muss sich stattdes-
sen in den Handlungsfeldern zwischen
diesen vier einflussreichen, aber in mei-
nen Augen verfehlten Entwicklungsphi-
losophien konkretisieren. Dabei kommt,
wie ich im Teil III zeigen möchte, vieles
auf intelligente Mischungen endogener
mit exogenen Potentiale an – unter der
Zusatzmaxime „Genauer hinsehen!“
Den global induzierten neuen Dis-
paritätenbildungen und ihren schlecht
prognostizierbaren Effekten weicht
das übliche regional-wissenschaftliche
Orientierungswissen häufig in relativ
abstrakte Prozessempfehlungen aus.
Bei der umstandslosen Übertragung
auf brandenburgische Verhältnisse
geht die Differenziertheit und Singula-
rität der brandenburgischen De-In-
dustrialisierungskrise verloren. Häufig
herangezogene Vergleiche (De-Indu-
strialisierung in England, im Ruhrge-
biet; Infrastrukturerfahrungen in tradi-
tionell dünn besiedelten Regionen
Skandinaviens) verfehlen also – sowohl
was Zeit, Raum wie Funktionen angeht
– eher die Spezifik des brandenbur-
gischen Raumes. Insbesondere über
die Quereffekte kumulierender Prozes-
sdynamiken – häufig im Schrump-
fungs-, seltener im Wachstumsmodus
– liegt „verfahrensgehärtetes“ Orien-
tierungswissen bislang kaum vor.
Besonders kritisch sind in der Regel vor
allem Vorschläge für die jeweilige Inku-bationsphase von Entwicklungen,also für
Das Ende der Illusionen
103
die kritische Phase 1 regionalpolitischer
Umsteuerungen: Innovative-Milieu-An-
sätze und andere wirtschaftsgeogra-
phische Vorschläge etwa werden hier
regelmäßig tautologisch, zirkular und/oder nebulös: Danach „bedarf“ es zur
Einleitung eines lokal- oder regionalöko-
nomischen Lern- und Wachstumszyklus
immer schon einer „gewissen“ lokalen
Konzentration „relevanter“ Humankapi-
talressourcen. Umgekehrt folgt daraus
ja auch,dass für peripherisierte Teilregio-
nen Brandenburgs mit starken Brain-Drain-Effekten per se überhaupt keineEntwicklungschancen mehr bestünden,
weil hier genau solche notwendigen,
aber nicht hinreichenden „Vorausset-
zungen“ für Entwicklung fehlen (s. die
kritische Analyse bei Matthiesen 2003, S.
105). Dasselbe lässt sich für Netzwerk-
und Clusteransätze zeigen: auch sie ten-
dieren für diese kritischen Anfangs-
phasen zu Tautologien, Zirkularitäten
und wolkigen Bestimmungen. Statt-
dessen spulen sie das Programm der
nachholenden „Cluster-Moderne“ ab:
„Ein Cluster ist ein Cluster ist ein Clus-
ter!“. Auch hier wird deutlich, welch zen-
trale Rolle die kritische Analyse lokaler
und regionaler Kompetenzen spielt. Die
Grundregel bleibt also: „Näher hin-
sehen!“
Die exorbitante Krisenlage Branden-
burgs, die sich durch absehbare Degres-
sionen in den Förderkulissen ja nicht
gerade aufhellt, bedeutet immer auch:
Hoffnungen auf Standardlösungen
oder auf den „one best way“ á la Taylo-
rismus sind schon im Ansatz illusorisch.
Überlegtes und beherztes, vernetztes,
verantwortliches und gleichwohl feh-
lerfreundliches Problemlösungshan-
deln muss an deren Stelle treten.
Zudem ist immer mehr mit einem
ganzen Satz von Problemlösungsalter-
nativen zu rechnen, zwischen denen
unter den chronischen Randbedin-
gungen von Ressourcendruck und un-
vollständiger Information verantwort-
lich zu entscheiden ist. Den einen
Masterplan für Brandenburg also gibt
es nicht mehr. Stattdessen stehen lern-
fähige interdisziplinäre Ansätze, vor
allem aber auch ressortübergreifende
Zugänge und Kooperationsformen auf
der Tagesordnung.
Den raumpolitischen Neuanfang
könnte ein großer Ideen-Potlatsch bil-
den, der die besten Köpfe der Region
einlädt, sich gemeinsam „einen Kopf
Ulf Matthiesen
104
III. Raumpolitische Handlungsstrategien für Brandenburg – und die Rolle von Raumpionieren
zu machen“. Das setzt innovative Ver-
fahren der Interaktion voraus, die die
Interessengebundenheit der Stand-
punkte verflüssigt: Ziel muss es sein,
Kompetenz zu stimulieren und verant-
wortlich zu bündeln.
Brandenburg steht vor einer Be-
währungsprobe, die selbst die wilde
Phase der Vereinigungskrise zwischen
1989 bis etwa 1991 noch in den Schatten
stellt. Desillusionierung und Ratlosig-
keit drohen. Gute Chancen also und vor
allem gute Gründe für einen Wechsel
im Kooperationsstil brandenburgischer
Wissens- und Politikakteure miteinan-
der: Statt paternalistischer „kleiner
DDR“ – mit NRW-Steuerungsrezepturen
– stehen kooperative, gleichwohl in der
Hierarchie oben eingetaktete neueGovernanceformen auf der Tagesord-
nung. Die Bereitschaft im Lande, sich
einzumischen, muss jetzt als Chance
ergriffen werden.
In diesem letzten Teil möchte ich
meine bisherige Argumentation raum-politisch zuspitzen und versuchsweise
mit Personal bestücken. Den Personen-
kreis von Akteuren, den ich dabei vor
allem ins Spiel bringen möchte, nenne
ich – in Ermangelung anderer Begriffe –
„Raumpioniere“. Damit greife ich ein
Konzept auf, das mancherorts und eher
unsystematisch in den letzten Jahren ins
Spiel gebracht wurde. Hier soll es auf die
besondere Disparitäten-Lage Branden-
burgs zugespitzt werden. Das überge-
ordnete Thema dabei ist: Brandenburgzwischen differenzierten Teilregionen undneuen Disparitäten. Dabei geht es immerauch um die Neustrukturierung des Ver-hältnisses von Metropolregion und peri-pheren Teilregionen in Berlin-Branden-burg insgesamt.
Wie zu Beginn schon betont, muss
die Verschiedenartigkeit des Landes,
mit seinen atemraubenden Landschaf-
ten (etwa an der Oder) und den opu-
lenten Kulturlandschaften in und um
Potsdam, mit dramatisch peripher fal-
lenden äußeren Regionsteilen (Ucker-
mark, Prignitz) und relativ profitabel
sich entwickelnden engeren Verflech-
tungsräumen mit Berlin zunächst als
eigener Wert kodiert und dann für eine
zusammenstimmende regionale Ent-wicklungsstrategie anschaulich ge-
bündelt werden.
Zugleich aber wird die immer krasser
werdende disparitäre Entwicklung
zwischen dem so genannten äußeren
Entwicklungsraum (mit einer für 2015
prognostizierten Bevölkerungsdichte
von 40-45 Einwohnern/km2) sowie
dem sich stabilisierenden, teilweise
auch wachsenden engeren Verflech-
tungsraum um Berlin zum entschei-
denden Prüfkriterium für eine zu-
kunftsfähige regionale Entwicklungs-
politik. Lässt die Politik die „neuen Peri-
pherien in der Mitte eines größer wer-
Das Ende der Illusionen
105
denden Europa“ links liegen oder gar
weiter „abschmieren“, hat sie diese un-
ausweichliche große Herausforderung
nicht bestanden.
Gleichzeitig ist einzuräumen, dass
die alten Ausgleichsfiktionen der unter
Wachstumshoffnungen institutiona-
lisierten „dezentralen Konzentration“
an der Realität gescheitert sind. Daher
genügt es nicht mehr, dieses branden-
burgische Entwicklungsleitbild nur
weiter zu profilieren. Es ist vielmehr
neu zu denken und neu zu entwerfen.
Fünf Maximen für einen solchen Neu-
ansatz sehe ich:
1. Die schwachen Entwicklungs-
dynamiken in Brandenburg sind zu
„kritischen Massen“ zu bündeln, ohne
die Peripherie ihrem Schicksal zu über-
lassen.
2. Dazu erscheint es zwingend, die Ent-
wicklung Brandenburgs strategisch mit
der Entwicklung der bislang selber peri-pheren Metropole Berlin zu verschrän-
ken. Dieses regionalwissenschaftlich-an-
alytische Plädoyer für eine Länderfusion
gilt selbst für den Fall, dass Fusionspläne
aus wahltaktischen Gründen temporär
inopportun erscheinen mögen.
3. Die der Gleichverteilungslogik von
Entwicklungsimpulsen geschuldete „Tor-
tenstück-Doktrin“ der Kreisbildungen
und Planungsregionen in Brandenburg
muss konzeptuell ersetzt werden durch
realistischere Raumentwicklungskon-
zepte für den Gesamtraum Berlin-Bran-
denburg. Deren Basis müssen neben den
realen funktionalen insbesondere auch
Verstärkungen der regionalkulturellenVerflechtungen zwischen Berlin, dem
engeren Verflechtungsraum (nicht ganz
zutreffend: „Speckgürtel“) und dem
äußeren Entwicklungsraum („ländlicher
Raum“) sein. Dabei spielen die engere
Metropolregion Berlin und die äußeren
Regionsteile Brandenburgs komplemen-täre, aufeinander stärker zu beziehende
Rollen.
4. Für zunehmend peripher fallende
Regionsteile muss es neu konzipierte
Stabilisierungsstrategien geben. K.D.
Keim (2004), dem ich hier im wesent-
lichen folge, hat gerade eine neue Art
internen Finanzausgleichs in die peri-
pheren Räume hinein vorgeschlagen,
etwa indem Zuwächse durch gestärkte
Wachstumsdynamiken im engeren
Metropolraum zu einem bestimmten
Prozentsatz als gezielte Mittelzuwei-
sungen in die brandenburgischen Peri-
pherien weitergegeben werden.
5. Um dem Sog der Zentrumsfix-
ierung aller bisherigen Metropolraum-
politiken entgegenzuwirken, müssen
daneben besondere innovative An-
Ulf Matthiesen
106
strengungen für die weitere Profilie-
rung der Berlinferneren Regionen
unternommen werden. Diese Anstren-
gungen müssen jetzt aber über (einge-
schränkte!) fiskalische Stabilisierungs-
strategien weit hinausgehen.
Das Stimulieren und Vernetzen loka-
ler und regionaler Potenziale spielt bei
diesen fünf regionalpolitischen Maxi-men sicher eine unersetzliche Rolle.
Gleichwohl sind Feiern der Endogenitätweniger denn je angebracht. Und sie
können leicht zur Abwälzung der
neuen raumpolitischen Verantwor-
tung für die „entstehenden Periphe-
rien in der Mitte eines größeren
Europa“ instrumentalisiert werden.
Was also sonst?
Generell geht es um die gemeinsame
Entwicklung intelligenterer Mischungenexterner mit endogenen Entwicklungs-impulsen.Was heißt das konkret? Neben
den fiskalischen Stabilisierungsstrate-
gien, die besser auf die Neuformu-
lierung von „asketischeren“ Mindest-
standards für periphere Räume justiert
werden müssen, sehe ich wieder fünf
zentrale Handlungsfelder für eine neue
Regionalpolitik im Berlin-Brandenbur-
gischen Raum:
1. Wissen, Lernen, Kultur – sowie die
entschlossene Profilierung der kultur-
landschaftlichen Potenziale bleiben
zentrale Stellschrauben zur Überwin-
dung der Gefahr von weiteren Periphe-
risierungsverschärfungen (vgl. dazu
ausführlicher Matthiesen 2004).
2. Entscheidend wird zunehmend die
Stärkung der Akteursebene in peripheren
Regionen. Gerade weil es gegen die
neuen wissensgesellschaftlichen Peri-
pherisierungsdynamiken kein überallgleich anwendbares Rezeptwissen geben
kann, sind das Erfahrungswissen der
Akteure und das Milieuwissen der krea-
tiven Netzwerke vor Ort und in der
Region unverzichtbare Andockstellen für
die Entwicklung von kontextuierten
Gegenstrategien. Hinzu treten einige
Grundregeln für die Stärkung lernfähi-
ger lokaler Akteursnetze, die sich gerade
auch in ausgedünnten Teilräumen
bewähren: Hebeleffekte nutzen, Feed-
back-Kreise schaffen; Teufelskreise
unterbrechen; Engpassfaktoren erken-
nen und ausschalten; Team-Lernen:
Gemeinsames Denken im Dialog; kom-
plementäre Stärkenergänzung; Offen-
heits-, Vertrauens-, Feedback-Kompeten-
zen qualifizieren; Coaching und Lern-
Partnerschaften bilden; zirkulär ver-
netzte statt kausal-lineare Erklärungs-
muster und hierarchische Entschei-
dungswege stärken; die „Bauchkompo-nente“ Ernst nehmen; Stärkung regiona-
ler und lokaler Identitätsformen; intrins-
ische Motivationsketten mobilisieren,
„asketische“ Leistungsnormen stärken,
Das Ende der Illusionen
107
reines transfergestütztes Anspruchs-
denken hinterfragen; eine kreative Span-nung zur Vision einer regionalen Lern-
und Wissensgesellschaft aufbauen und
aufrechterhalten; transparente und
offene Kooperationsformen entwickeln
und auf Dauer stellen – und nicht zuletzt
starke und schwache Partner „proaktiv“
verkoppeln.
3. Um die endogenen Akteursnetze
nicht zu überlasten, wird gerade in peri-
pheren Regionsteilen die Anziehung
externer Innovationskompetenzen zu
einem zentralen Punkt. Für die leer lau-
fenden Teilregionen müssen ja neue
Nutzungen und Funktionen regelrecht
erst wieder erfunden werden. Hier sehe
ich die erfolgversprechende Rolle von
„Raumpionieren“ aus den neuen Über-
gangsfeldern zwischen Wissen, Ökono-
mie, Kultur und Kunst. Solche Raumpio-
niere können hier eine wichtige Rolle als
Inkubatoren und Anreger spielen – etwa
um in der Verbindung mit lokalen Kom-
petenzen kreatives Wissen und neue
Ideen für die und in den peripheren
Räume zu entwickeln. Sie können zei-
gen, dass vor Ort kreative Prozesse und
Handlungsmuster nicht nur möglich
sind, sondern auch erfolgreich sein kön-
nen. Der raumpolitische Effekt von
Raumpionier-Netzen gründet auf dem
gemeinsamen Prozess der Konstruktionund Erprobung neuer Raumnutzungsfor-
men. Gerade die dünn besiedelten
Regionsteile mit ihrem eher asketischen
Charme können auf diese Weise neuer-
lich attraktiv gemacht werden – und
damit weitere Akteursmilieus aus den
überregelten Metropolregionen anzie-
hen. Für die durch Entleerung und
Humankapital-Abwanderung struktu-
rell und räumlich ausgedünnten Teilre-
gionen wird es insofern entscheidend,
Regelungsdichten, die Initiativen ab-
schnüren, vor Ort oder in den peripheren
Teilregionen abzusenken, um neue
Räume für innovatives selbstverant-
wortliches Probehandeln zu schaffen.
Das Konzept der Raumpioniere für die
neuen mitteleuropäisch-brandenbur-
gischen Peripherien führen wir zu-
nächst eher als Suchbegriff ein. Dieser
ist bewusst weit zu fassen: er reicht von
artisanalen, also kunsthandwerklichen
Kompetenznetzen über die Stärkung
lokaler und regionaler Kreisläufe im
ökologischen Landbau, über sanfte Tou-
rismusformen sowie – dem Terroir-Prin-
zip verpflichtete – Formen der regiona-
len Küche bis hin zu neuen, Mobilität
mit Sässigkeit mischenden Stadt-Land-
Existenzformen im Bereich von Design-
Graphik-IuK-Medien. Dieses Konzept
reicht von high-tech-vernetzten In-
genieurbüros in umgebauten Scheunen
mit regionalen Zuliefernetzen (Prignitz)
über die Wiederentdeckung high-tech-transformierter Manufakturformen
Ulf Matthiesen
108
(Holzbearbeitung Beeskow, Enten-
daunen-Fabrikationen im Oderbruch,
Schlupfwespen-Zucht in Baruth), über
polnische Künstler-Handwerker-Teams
bis zum starken persönlichen Engage-
ment „rückgekehrter“ Mitglieder ost-
elbischer Adelsfamilien – etwa in der
Uckermark. Genauere regionalwissen-
schaftliche wie regionalpolitische Be-
obachtungen dieser bislang „natur-
wüchsig“ sich bildenden Netze in den
peripheren Regionsteilen sind über-
fällig. Schon jetzt zeigen sich aber eine
Fülle von pionierhaften „Neuerobe-
rungen“ für aus der Nutzung gefallene
Räume. Sie belegen einmal die Erfin-
dung neuer Raumfunktionen, zugleich
aber auch die selbstbewusste Formulie-
rung leistungsorientierter Kooperati-
onsansprüche, die immer auch interes-
sante bau- und landschaftskulturelle
Rückwirkungen auf den peripheren
Raum selbst haben. Diese bislang natur-
wüchsigen Tendenzen sind nachdrück-lich zu stärken – etwa indem intelligente
Formen der Lockerung innovationsbe-
hindernder Handlungsnormierungen
vor Ort gefunden werden.
4. Eine weitere, bislang weitgehend
übersehene Chance der Stärkung peri-
pherer Regionsteile hängt mit der För-
derung der Innovationsdynamik dieser
neuen Raumpionier-Netze direkt zu-
sammen: Ich nenne sie die Gummi-
band-Strategie. Damit lassen sich Ge-
genstrategien gegen die fatalen Folgen
der weiterlaufenden Brain Drain-Pro-
zesse entwickeln (Die Gummiband-
Metapher ist den Wissensmilieuanaly-
sen von Bruno Hildenbrand und Marcel
Schmidt zur Entwicklung der Stadtre-
gion Jena entnommen. Vgl. Marcel
Schmidt 2004). Bislang wandern Gut-
ausgebildete, insbesondere die jungen
Frauen ab, ohne jemals wiederzukeh-
ren. Die Chancen einer Rückkehr der
jungen Gutausgebildeten, die sich
außerhalb der Region weiter qualifizie-
ren, lassen sich erheblich steigern,
wenn für sie selbst erkennbar wird, wie
und wo sich gerade in den entleerten
Räumen ihrer Heimatregionen neue
Handlungsoptionen auftun – mit selbstzu profilierenden attraktiven Karrie-
rechancen und Tätigkeitsformen. Erste
Fallanalysen zeigen, dass es nicht in
erster Linie die absolute Höhe der in der
westdeutschen Ökonomie zu verdien-
enden Löhne und Gehälter ist, die zum
Brain Drain führt, sondern ein Gemisch
von sich überlagernden Schrumpfungs-
charakteristika: also die Überlagerung
der Chancenlosigkeit auf lokalen und
regionalen Arbeitsmärkten mit Inno-
vationsbarrieren, selbstmarginalisie-
renden Abschottungsprozesse und Ver-
sorgungsmentalitäten vor Ort – nicht
zuletzt ist es eine tiefe Skepsis gegen-
über neuen Lösungen und neu/alten
Das Ende der Illusionen
109
Berufsprofilen, wobei avancierte Hoch-
technologien versuchsweise an ältere
lokale Kompetenzformen angeschlos-
sen werden. Positiv gewendet formu-
lieren diese Schrumpfungsdynamiken
genau die Ausgangskonstellationen für
das Einsickern von Raumpionieren in
solche auf neue Weise attraktiv und
leer werdenden Chancenräume. Das
„Inwertsetzen“ dieser Räume durch
innovative Netze erhöht also zugleich
die Chance, dass diese peripheren Orte
wieder zu attraktiven Zielräumen für
andernorts weiter qualifizierte „Lan-
deskinder“ werden können. Die Strate-
gie der Kontextförderung für Raumpio-
niere und die Förderung einer regiona-
len bzw. lokalen Gummiband-Strategiefür Junge und Gutausgebildete ge-
hören also zusammen.
5. Beratungsformen und Governance-strukturen in Berlin-Brandenburg. Die
systematische Förderung von Bildung,
Wissen und Kultur erhöht zunächst
immer auch die Fähigkeit einer realis-
tischen Selbstbeschreibung und die
Chancen für zukunftsfähige Strategie-
entwicklungen. Die erste Konsequenz
daraus ist: Die brandenburgischen For-schungs-, Wissenschafts- und Bildungs-institutionen sind durch die gravie-
rende Strukturkrise des Landes in
besonderer Weise gefordert, einen ver-
antwortlichen Beitrag zur Lösung der
neuen sozioökonomischen, kulturellen
und mentalen Wissenslagen zu leisten.
Eine zweite Konsequenz: Dazu sind
Verfahren, Lernprozesse und institutio-
nelle Arrangements nötig, die sich
nicht von selbst einstellen und die mit
Sicherheit über Lernprozesse weiter
optimiert werden müssen. Dabei sind
drittens ganz unterschiedliche Formen
der Entscheidungsberatung im Um-
lauf. Um drei Formen zu nennen:
• Sachsen hat in der Ära Biedenkopf
unter der Ägide von Meinhard Mie-
gel ein stark zentralistisch orien-
tiertes Strategieentwicklungsmodell
verfolgt, diskursiv eher schwächelnd,
aber umsetzungsstark.
• Berlin erprobt gerade eine große
Zukunftskommission – diskursiv stark,
mit bislang undeutlichen Umset-
zungsbindungen in die Senatspolitik
hinein, der immer noch das Label
„beratungsresistent" anhaftet. Man
erinnere sich an die „Lokale Agenda
2010“ von 1999 sowie die BerlinStudie
von 2001, die folgenlos zunächst in
den Schubläden der Verwaltung ent-
schwanden.
• Brandenburg hat unter der Leitung des
„regionsfremden“ Koordinators Chris-
toph Zöpel das Brandenburg 2025-
Zukunftsgremium erprobt: diskursiv
stark, zentrale Themen richtig platzie-
rend, aber doch implementationsfernund angesichts der kumulierenden
Ulf Matthiesen
110
Schrumpfungsdynamiken zu abstrakt
bleibend. Auch diese Vorschläge sind
größtenteils in den computerisierten
Schubläden verschwunden.
Es liegt daher nahe, für einen bran-
denburgischen Weg aus der Gegen-
wartskrise heraus Nachteile dieser drei
Beratungs- und Entwicklungsarran-
gements auszutarieren und deren je-
weilige Vorteile zu bündeln. Für
Strategieüberlegungen des Landes zur
differenziellen Profilierung seiner zu-
nehmend disparitären Regionalent-
wicklung schlagen wir deshalb vor:
1. Die Beratungsressourcen der Groß-
region Brandenburg systematischer
zu nutzen und im Sinne „Lernender
Regionen“ weiterzuentwickeln,
2. Unabhängige Strategiegutachten in
Auftrag zu geben, dabei von Beginn
an interdisziplinär und ressortüber-
greifend vorzugehen,
3. Mittelfristig angelegte Arbeitsge-
meinschaften zwischen wissenschaft-
lichen Experten und der Verwaltung
einzurichten,
4.den Diskurs, das Orientierungs-
wissen und den Koordinationspro-
zess von der Spitze aus anzuschieben
und zu begleiten,
5. lokale und teilregionale Problem-
lösungen stärker mit den Strategie-
fragen zu verschränken, und nicht
zuletzt
6.neue Prozessformen der lernenden
Strategiefindung zu erproben (open
space, task forces).
Bei der anstehenden schwierigen Stra-
tegieentwicklung für ein größeres Bran-
denburg bis zum Ende des Solidarpakts
im Jahr 2019 – mit einer peripheren 3,4
Millionen-Metropole in seiner Mitte und
einer langen gemeinsamen Grenze mit
dem EU-Vollmitglied Polen – scheinen
uns daneben einige Dinge unerlässlich:
unkonventionelle Verfahrenswege bei
einem größeren Orientierungswissen-
Ratschlag, die institutionelle Anbindung
der Strategieentwicklung als Chefsache,
eine verantwortliche Einbeziehung regi-
onaler wie transregionaler Forschungs-
ressourcen und nicht zuletzt die ent-
schlossene weitere Profilierung der
Unterschiedlichkeit brandenburgischer
Regionsteile. Auch hier also öffnen sich
gute Chancen für Raumpioniere!
Das Ende der Illusionen
111
Ulf MatthiesenAbteilungsleiter am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner,
außerordentlicher Professor an der Humboldt-Universität Berlin.
[email protected], www.irs-net.de
Ulf Matthiesen
112
Entwicklungsregion Brandenburg 2019: Elf Entwicklungsetappen
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Das Ende der Illusionen
113
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und Wissen, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. 2004, im Erscheinen
Ob eine Region pulsiert, hängt auch
davon ab, ob sie weiß, was sie will und
worin ihr besonderes Profil bestehen
soll. In diesem Sinne benötigt Branden-
burg eine neue orientierende Idee für
seine Zukunft. Gebeutelt von krisen-
haften Entwicklungen und einander
wechselseitig verstärkenden negativen
langfristigen Trends in Ökonomie,
Demografie, Gesellschaft und öffent-
lichen Finanzen wird sich die Politik des
Landes in den kommenden Jahren
nicht darauf beschränken können, bloß
sehenden Auges den wachsenden
Mangel zu verwalten. Die Folgen wären
unweigerlich fortgesetzter und be-
schleunigter Niedergang – sowie der
Machtverlust derjenigen politischen
Formationen, die diesen Niedergang
federführend administrieren. Ange-
sichts aller erkennbarer Makrotrends
ist völlig ausgeschlossen, dass eine
grundlegende Umkehrung der Rah-
menbedingungen sich gleichsam im
Selbstlauf ereignen wird. Wie andere
Regionen des klassischen Industrialis-
mus auch, aber strukturell besonders
benachteiligt, tritt Brandenburg in eine
ganz neue Etappe seiner Geschichte
ein. Damit wächst die Wahrscheinlich-
keit gesellschaftlicher Verdrossenheit.
Benötigt wird daher umso mehr eine
zu Brandenburg passende, aber klar
über seine derzeitigen Verhältnisse hin-
aus weisende strategische Vision – also
das plausible Bild einer erstrebens-
werten, machbaren Zukunft für das
Land (beziehungsweise die Region).
Nur vor dem Hintergrund einer solchen
von allen wesentlichen Akteuren verin-
nerlichten, konsequent verfolgten und
offensiv kommunizierten langfristigen
strategischen Vision werden sich die
unweigerlich bevorstehenden Rück-
schläge und Durststrecken der kom-
menden Jahre überstehen lassen. Und
überhaupt nur langer Atem und eine
geeignete strategische Vision für Bran-
denburg werden dazu führen, dass sich
am Ende jener Rückschläge und Durst-
strecken eine lebbare und wünschens-
werte Zukunft für Brandenburg mög-
115
Brandenburg und das finnische Modell
Von Tobias Dürr
I. Eine strategische Vision für Brandenburg
lich wird. Ob es dazu kommen wird, ist
offen; als absolut sicher kann dagegen
gelten, dass das Land Brandenburg
(beziehungsweise die gesamte Region
Berlin-Brandenburg) ohne eine strate-
gische Vision für das 21. Jahrhundert
schweren Zeiten entgegen sieht.
Es ist offensichtlich, dass Branden-
burg nicht in der Lage sein wird, aus
eigener Kraft ein ganz eigenes ökono-
misches und gesellschaftliches Modell
zu entwickeln. Das Land braucht Leitbil-
der, es kann von den Ideen und Erfolgen
anderer profitieren, die sich in vergleich-
bar schwierigen Konstellationen „neu
erfunden“ haben. Dabei geht es nicht
darum, fremde Erfahrungen unreflek-
tiert zu kopieren; es geht darum, die
richtigen eigenen Schlüsse zu ziehen.
Ebenso wichtig bei der Auseinander-
setzung mit Erfolgsgeschichten anders-
wo ist der psychologische Aha-Effekt,
der sich mit der Einsicht verbinden
kann, dass so etwas überhaupt möglich
ist. Es kommt deshalb auch nicht darauf
an, ob sich ein anhand der Erfolge ande-
rer gewonnenes Leitbild in Branden-
burg maßstabsgetreu „anwenden“ lässt
– dies wird angesichts unterschiedlicher
Voraussetzungen ohnehin niemals der
Fall sein. Entscheidend ist die anschau-
liche Konkretion, die am geeigneten Bei-
spiel gewonnene Erkenntnis der Mach-
barkeit von Aufbruch und Wandel. Aber
an welchen Vorbildern, Modellen, Ideen,
Prinzipien könnte sich Brandenburg
überhaupt orientieren? Klar ist, dass
jede ernst gemeinte strategische Aus-
richtung – mindestens – den folgenden
Anforderungen genügen muss:
Anschlussfähigkeit. Langfristig ent-
standene und traditionsreiche Sozial-
modelle lassen sich aller Erfahrung nach
nicht im Handumdrehen austauschen;
es gilt das „Gesetz“ der Pfadabhängig-
keit allen gesellschaftlichen Wandels.
Jede noch so transformativ und radikal
gemeinte Strategie muss daher – zu-
mindest langfristig – zugleich doch an-
schlussfähig sein an die Vorstellungen,
Mentalitäten, Einstellungen der Bevölke-
rung. Die Fragen lauten also: Ist diese
strategische Vision öffentlich vermittel-
bar? Verspricht sie – paradox gesprochen
– Veränderungen im Dienste der Bewah-
rung dessen, was den Menschen vor
allem wichtig ist?
Folgerichtigkeit. Auch Parteien und
Politiker können sich nicht ohne weite-
res neu erfinden. Plötzliche Traditions-
brüche und ansatzlos aus dem Hut ge-
zauberte Identitätswechsel sind von
vornherein zum Scheitern verurteilt.
Die Fragen lauten: Ist die strategische
Vision vereinbar mit den grundlegen-
den normativen Orientierungen der
politischen Parteien und ihrer Reprä-
sentanten, die sich für diesen Weg ent-
Tobias Dürr
116
scheiden (sollen)? Ist sie vereinbar mit
den über lange Zeiträume entstande-
nen Erwartungshaltungen der Wähler
und Aktivisten gegenüber diesen Par-
teien und Repräsentanten?
Erfolgsaussichten. Eröffnet die in Be-
tracht gezogene strategische Vision
tatsächlich eine motivierende und
sinnstiftende Perspektive? Bietet sie
einen gangbaren Weg? Oder bedeutet
der großspurige Begriff „strategische
Vision“, bei Licht betrachtet, nicht doch
nur ein Synonym für „Wolkenkuck-
ucksheim“ und „Phantasterei“?
Was macht bei Berücksichtigung die-
ser Gesichtspunkte aus Brandenburger
Sicht den Fall Finnland so interessant?
Was lässt sich von Finnland lernen? In-
wiefern kann eine strategische Vision für
Brandenburg eher von finnischen Erfah-
rungen profitieren als von anderen?
In den vergangenen Jahren ist Finn-
land im Kontext der Aufregung um die
PISA-Studie vor allem aufgrund seines
im internationalen Vergleich heraus-
ragenden Schul- und Bildungswesens
auf dem deutschen Radarschirm aufge-
taucht. Auf diesem Gebiet lässt sich in
der Tat viel abschauen und nacheifern.
Dies ist allerdings umso sinnvoller, je
weniger die eindrucksvollen finnischen
Erfolge im Bildungssektor isoliert be-
trachtet werden. Die eigentliche „finn-
ische Lehre“ ist weit umfassender. Finn-
land ist dasjenige Land, das wie kein
anderes auf der Welt demonstriert, dass
und wie sich ökonomische Dynamik,
Informationsgesellschaft und modern
verstandene Sozialstaatlichkeit wech-
selseitig bedingen, ja beflügeln können.
Finnland kann heute gemeinsam mit
den Vereinigten Staaten und Singapur
als eine der wettbewerbsfähigsten
und dynamischsten wissensintensiven
Volkswirtschaften weltweit gelten. In
den Jahren 1996 bis 2000 erzielte Finn-
land ein jährliches Durchschnitts-
wachstum von 5,1 % gegenüber 4,3 %
in den USA und 2,6 % in den EU-Staa-
ten insgesamt. Die wirklich bemer-
kenswerte Erkenntnis lautet aber, dass
Finnland diese Leistung auf völligandere Weise erbringt als etwa die USA
mit ihrem marktliberalen Modell Sili-
con Valley oder Singapur mit seinem
Modell einer autoritär gesteuerten
Informationsgesellschaft. Unter allen
relevanten Gesichtspunkten sozialer
Gerechtigkeit (etwa Einkommensun-
gleichheit, Exklusion, Armut, Bildungs-
Brandenburg und das finnische Modell
117
II. Wissensökonomie und Sozialstaat: Das finnische Modell
niveau, Gesundheitsversorgung, staat-
liche Ausgaben für Forschung und Ent-
wicklung, Gewährleistung öffentlicher
Infrastruktur) steht Finnland heute im
internationalen Vergleich heraus-
ragend da. Das Land führt exem-
plarisch vor, dass für erfolgreiche tech-
nologisch-ökonomische Entwicklung
nicht der Preis steigender gesellschaft-
licher Ungleichheit und Ungerechtig-
keit entrichtet werden muss, sondern
dass im Gegenteil einerseits soziale
Gerechtigkeit sehr wohl eine entschei-
dende Ressource wirtschaftlichen Er-
folgs sein kann, wie auch andererseitsdie notwendigen Mittel zur Gewähr-
leistung sozialer Gerechtigkeit mittels
herausragender ökonomischer Perfor-
manz erwirtschaftet werden.
In ihrem Buch The Information Societyand the Welfare State:The Finnish Modell(Oxford 2002) beschreiben Manuel
Castells und Pekka Himanen genau die-
sen Zusammenhang als den „virtous
circle“, der das finnische Entwicklungs-
modell so interessant für bislang weni-
ger erfolgreiche und entwickelte Länder
und Regionen mache. Dies gilt vor allem
auch deshalb, weil Finnland selbst (an-
ders als die anderen nordischen Länder)
vor noch nicht langer Zeit selbst ein bit-
terarmes, ja geradezu unterentwickeltes
Agrarland war. Bis vor drei Generationen
lebte der überwiegende Teil der Bevölke-
rung in technologischer Rückständigkeit
von den mageren Erträgen der Forst-
und Landwirtschaft. Und selbst Ende der
achtziger Jahre noch beschäftigte sich
die 1865 als Sägewerk und Papiermühle
gegründete Firma Nokia mit der Produk-
tion von Toilettenpapier, Gummistiefeln,
Autoreifen und Fernsehern; heute ist
Nokia das Unternehmen mit der höchs-
ten Börsenkapitalisierung in ganz Euro-
pa. Und – aus ostdeutscher und bran-
denburgischer Perspektive ebenfalls be-
sonders aufschlussreich – noch Anfang
der neunziger Jahre, nach dem Zu-
sammenbruch des benachbarten Han-
delspartners Sowjetunion und des ge-
samten Ostblocks, musste Finnland eine
schwere Wirtschaftskrise überstehen:
Innerhalb des Jahres 1994 schrumpfte
das finnische Bruttosozialprodukt um
volle 13 %, während zugleich die Arbeits-
losenquote von 3,5 auf 17 % stieg.
Es dürfte ohne weiteres auf der Hand
liegen, dass die produktive finnische Ver-
bindung von Sozialstaat und hoch dyna-
mischer Informationsgesellschaft aus
deutscher (und erst recht ostdeutscher)
wie zugleich auch aus sozialdemokra-
tischer Perspektive deshalb besondere
Attraktivität besitzt, weil hier offensicht-
lich ein spezifisches Innovations- und
Entwicklungsmodell vorliegt, das im Ein-
klang steht mit dem sozialstaatlichen,
Gleichheit und Gerechtigkeit betonen-
den deutschen Sozialmodell sowie mit
den fundamentalen Wertvorstellungen
Tobias Dürr
118
der sozialen Demokratie. Als Brüche mit
diesen Traditionslinien empfundene
Modernisierungspfade in die wissensin-
tensive Wirtschaft (die Modelle „Silicon
Valley“ oder „Singapur“) wären nach
Lage der Dinge gesellschaftlich nicht
vermittelbar.
Aus der spezifischen Sicht Branden-
burgs treten indes noch weitere Fakto-
ren hinzu, die den Fall Finnland beson-
ders interessant machen. Dies gilt in
besonderem Maße unter sozialräum-
lichen Gesichtspunkten. Wie das deut-
sche Flächenland Brandenburg (tat-
sächlich noch in weitaus höherem
Maße als Brandenburg) hat es Finn-
land mit den Schwierigkeiten zu tun,
die sich im ökonomischen Modernisie-
rungsprozess aus geringer Bevölke-
rungsdichte sowie der zunehmenden
sozialökonomischen Abkoppelung und
demografischen Überalterung peri-
pherer Regionen ergeben. Ähnlich wie
Brandenburg sucht Finnland nach Ant-
worten auf das Problem des wachsen-
den Widerspruchs zwischen ökono-
misch und demografisch boomenden
metropolennahen Regionen einerseits
und zurückfallenden Randlagen. Dies
ist die räumliche Dimension der über-
geordneten Frage, auf welche Weise
soziale Inklusion unter den Bedingun-
gen einer zunehmend wissensbasier-
ten Ökonomie überhaupt noch mög-
lich sein kann.
Das Problem ist bekannt: „Je mehr
die Informationsgesellschaft das
große Leitmotiv des Landes insgesamt
ist“, schreiben Castells und Himanen,
„desto mehr fühlen sich diejenigen
vom Fortschritt abgehängt, die nicht
die Fähigkeiten besitzen, an diesem
Leitmotiv teilzuhaben – am Ende könn-
ten sie im innerhalb der finnischen
Informationsgesellschaft in einer Art
innerer Exil leben.“ Genau dies zu ver-
hindern ist ein zentrales Anliegen der
finnischen Politik. Im Einklang mit dem
expliziten Leitmotiv des finnischen
Innovationsmodells, unter allen Um-
ständen die gesamte Bevölkerung auf
dem Weg in die Informationsgesell-
schaft mitzunehmen, sind in Finnland
große Anstrengungen unternommen
worden, auch abgelegenere Regionen
technologisch und infrastrukturell auf
das neue wissensökonomische Para-
digma einzustellen.
Aber auch die positive Kehrseite die-
ser Herausforderung teilt das rund um
die deutsche Metropole Berlin gelegene
Brandenburg mit Finnland. Denn das
Korrelat zur Entvölkerung peripherer
Regionen ist die Entstehung neuartiger
Formen urbaner Agglomerationen. Im
Übergang von den sozialräumlichen
Strukturen der Industriegesellschaft zu
jenen der Informationsgesellschaft erle-
ben wir die größte Urbanisierungswelle
aller Zeiten. In den neuartigen ausge-
Brandenburg und das finnische Modell
119
dehnten, verkehrstechnisch und kom-
munikativ miteinander vernetzten Me-
tropolenregionen konzentrieren sich
heute und in Zukunft die Orte der Inno-
vation, der Wertschöpfung, der Kultur
und der Kommunikation. Damit sind
diese Städte neuen Typs zugleich die
Motoren von Wachstum und Kreativität
in ihrem jeweiligen Hinterland – der Er-
folg lokaler und regionaler Strukturen
hängt ab von deren Einbindung in glo-
bale Netzwerke.
Wie die südfinnische Region von
Groß-Helsinki (und im Übrigen viele
andere Metropolenregionen weltweit)
befindet sich auch die Großregion von
Berlin und Brandenburg mitten in einem
Prozess der „konzentrierten Dezentra-lisation“ (Castells/Himanen) von Bevöl-
kerung und ökonomischer Aktivität. Das
bedeutet, dass wir einerseits überall die
fortschreitende Ausdehnung und Domi-
nanz urbaner Siedlungsgebiete vis à vis
ländlichen Regionen erleben, dass die
dabei entstehenden und wachsenden
urbanen Strukturen aber andererseitsimmer weniger dem industriegesell-
schaftlichen Muster von Zentrum und
Vororten entsprechen. Zusammen-
genommen bilden diese neuartigen
Agglomerationen der Informations-
gesellschaft je eigene regionale Inno-
vationsmilieus: integrierte Wertschöp-
fungs- und Wissenschaftscluster fortge-
schrittener Produktion, Dienstleistung,
Forschung und Kultur. Diese untereinan-
der vernetzten Mega-Regionen bieten
mehr und bessere Arbeitsplätze, Bil-
dungschance und sonstige städtische
Angebote. Damit üben die enorme Sog-
wirkung auf die sie umgebenden Regio-
nen aus. Der finnische Weg besteht
darin, die großen Chancen dieser
Entwicklung entschlossen und ohne
schlechtes Gewissen zu nutzen – geradeum jene ökonomische Dynamik und
Ressourcen hervorbringen zu können,
die notwendig sind, um peripherer ge-
legene Regionen überhaupt an Wachs-
tum,Wertschöpfung und Fortschritt teil-
haben zu lassen. Castells und Himanen
beschreiben vielversprechende Stra-
tegien (etwa im abgelegenen Nord-
karelien), „der Informationsgesellschaft
eine lokale und regionale Dimension zu
geben.“ Hier könnten aus Branden-
burger Sicht womöglich spannende
Anknüpfungspunkte vorliegen.
Tobias Dürr
120
III. Warum also Finnland?
Zugegeben, für die höchst erfolg-
reiche Bewältigung des Weges von der
Agrar- oder Industriegesellschaft in die
moderne Wissensökonomie gibt es in
Europa noch andere Beispiele. Oft wird
voller Bewunderung der „keltische
Tiger“ Irland genannt. Irland gehörte
noch in den sechziger Jahren zu den
Armenhäusern Europas; die irische
Pro-Kopf-Produktion betrug unter 50 %
des westdeutschen Wertes. Heute liegt
Irland beim Sozialprodukt pro Kopf
nicht nur über dem europäischen
Durchschnitt, sondern hat auch
Deutschland hinter sich zurückgelas-
sen. „Irland ist heute das Wirtschafts-
wunderland Europas“, schreibt des-
halb voller Bewunderung der liberale
Ökonom Hans-Werner Sinn in seinem
Buch Ist Deutschland noch zu retten?(München 2003). Und ebenso begei-
stert nennt Sinn zugleich die Faktoren,
die den Aufstieg Irlands ermöglicht
haben. Zu diesen Faktoren gehört die
irische Niedrigsteuerpolitik mit einem
Einkommensteuersatz von nur 10 %
für große Unternehmen, ganz bewusst
darauf ausgerichtet, internationales
mobiles Kapital anzulocken; zu diesen
Faktoren gehören daneben, so Sinn,
„eine extrem liberale Wirtschaftspoli-
tik nach amerikanischem Muster“
sowie „ein weit gehender Verzicht auf
sozialstaatliche Einrichtungen“. Auf
diese Weise, durch niedrige Steuern,
niedrige Löhne und eine niedrige
Staatsquote, habe Irland massive Kapi-
talimporte angelockt. „Aber das ist es
eben, was eine hohe Standortqualität
ausmacht“, resümiert Sinn: „Wir Deut-
schen könnten uns im Hinblick auf die
Entwicklung in den neuen Ländern
vom irischen Beispiel eine Scheibe
abschneiden.“
Tatsächlich? Ist,ausgehend vom Status
quo, wirklich eine erfolgversprechende
strategische Vision für Ostdeutschland
und besonders Brandenburg vorstellbar,
die dezidiert auf niedrige Löhne und den
weit gehenden Verzicht auf Sozialleis-
tungen setzt? Und erst recht: Handelt es
sich hier tatsächlich um ein Modell, dem
Ostdeutsche sinnvoller Weise nacheifern
sollten? Wohl eher nicht. Es ist ziemlich
offensichtlich, dass jeder Versuch, Bran-
denburg „durch eine extrem liberale
Wirtschaftspolitik nach amerikanischem
Muster“ auf Vordermann zu bringen, mit
Grundüberzeugungen sozialer Demo-
kratie ganz unvereinbar wäre.
Als Vorbild für ein Brandenburg unter
sozialdemokratischer Regie erscheint
Irland also angesichts der Ursachen sei-
nes ökonomischen Erfolgs ziemlich
unbrauchbar. Das Gegenteil gilt für
Finnland. Das Beispiel Finnland de-
monstriert so eindringlich wie kein
zweites in Europa, wie ein vormals
rückständiges Land mit Hilfe einer zu
ihm passenden strategischen Vision zu
Modernität und Wohlstand gelangen
kann, ohne darüber seine Traditionen,
seine Kultur und gesellschaftliche Iden-
tität aufzugeben – vor allem aber: ohne
Brandenburg und das finnische Modell
121
eine Wirtschafts- und Gesellschaftspo-
litik zu betreiben, die auf Niedriglöhne
und Sozialdumping setzt.
Auch Hans-Werner Sinn zählt Finn-
land zu den vorbildhaften Staaten in
Europa, die heute „die Nase vorn“ haben.
Das Land habe sich in den neunziger
Jahren „aufgerappelt und zu einem soli-
den Wachstum gefunden“. Dass Finn-
land auf dem Weg zu diesem Erfolg
einen geradezu diametral anderen Kurs
eingeschlagen hat als Irland, also eine
gänzlich andere strategische Vision ver-
folgt und auf völlig andere Instrumente
setzt, bleibt dabei ganz und gar
unberücksichtigt. Doch eben auf diesen
Unterschied kommt es an. Unter den –
oben genannten – Gesichtspunkten der
Anschlussfähigkeit und der Folgerichtig-keit sozialer und ökonomischer Inno-
vationsprozesse hat Finnland die für
Brandenburg zweifellos weit aufschluss-
reichere Strategie gewählt.
In ihrer Studie zum finnischen Modell
legen Castells und Himanen wert auf
den Hinweis, dass ihre Absicht natürlich
nicht darin bestehe, Finnland schlecht-
hin als Blaupause für andere Gesell-
schaften und Regionen zu beschreiben.
Unmittelbar nachahmen lässt sich der
singuläre Aufstieg Finnlands sicherlich
nirgendwo, und bekanntlich ist ein bran-
denburgisches Nokia derzeit nirgendwo
auch nur am Horizont zu erkennen.
Sofern der Fall Finnland eine zentrale
ermutigende Lehre enthält, dann dieje-
nige, dass eine benachteiligte Gesell-
schaft oder Region auch unter den
Bedingungen von Globalisierung und
Wissensökonomie nicht bloß vor der
Alternative zwischen trostlosem Weiter-
so und rasender Anpassung an marktra-
dikale Lehren steht. Die Kombination
von inklusiver Gesellschaft, kultureller
Identität, moderner Sozialstaatlichkeit
und rundum wettbewerbsfähiger Öko-
nomie – „information technology with asoul“ (Castells/Himanen) – erscheint
nicht nur möglich, sondern bedeutet
langfristig zweifellos auch die erfolgver-
sprechendere Option. Das Unterfangen,
eine strategische Vision für Brandenburg
zu entwickeln, sollte aus dieser Zuver-
sicht heraus begonnen werden.
Tobias Dürr
122
Tobias DürrPolitikwissenschaftler und Publizist,
Chefredakteur der Zeitschrift „Berliner Republik“
Anschrift: Redaktion „Berliner Republik“, Stresemannstraße 30, 10963 Berlin.
E-Mail: [email protected]
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Brandenburg und das finnische Modell
123
Literaturangaben
Die neuen Bundesländer sind 1990
mit unterschiedlichen Voraussetzungen
gestartet – wirtschaftlich, gesellschaft-
lich, kulturell. In Sachsen und Thüringen
sind zwei Länder mit großem Re-
gionalbewusstsein wieder entstanden.
Sachsen-Anhalt hat eine verbindende
Identität bis heute nicht aufgebaut.
Auch die wirtschaftlichen Voraus-
setzungen waren sehr verschieden:
Thüringen mit einer verhältnismäßig
kleinteiligen und breiten Wirtschafts-
struktur, Sachsen-Anhalt mit landwirt-
schaftlicher Dominanz im Norden und
gewaltigen industriellen Monostruktu-
ren und Kombinaten im Süden, Meck-
lenburg-Vorpommern hingegen als
Land, das die DDR-Jahre eher als Moder-
nisierung wahrgenommen hat.
Sachsen erlebte seinen ersten wirt-
schaftlichen Modernisierungsschub im
Mittelalter durch den Silberbergbau. Im
19. Jahrhundert setzte die Industriali-
sierung früher als in anderen Ländern
ein, so dass Sachsen schnell zur wirt-
schaftlich modernsten Region Deutsch-
lands wurde – noch vor dem Ruhrgebiet
war es die größte deutsche Industrie-
landschaft. In den 1920er und 1930er
Jahren war Sachsen das am höchsten
industrialisierte Land der Welt. Dem
Wiederaufbau nach dem Zweiten Welt-
krieg folgte dann eine nachhaltige öko-
nomische Auszehrung – Sachsen er-
lebte die DDR-Jahre als relativen ökono-
mischen Niedergang.
Gleichwohl war die Ausgangslage für
die wirtschaftliche Transformation nach
1990 in Sachsen vergleichsweise gut.
Das Land war zwar nicht ganz von ge-
waltigen Industriekomplexen verschont
worden – das Erbe der Braunkohlein-
125
Wachsen wie die Sachsen? Eine kritische Bilanz der Nachwendezeit
Von Thomas Kralinski
Am 19. September 2004 wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Der Freistaatist das einzige neue Bundesland, in dem seit der Wende nur eine Partei, die CDU, mitabsoluter Mehrheit regierte. Bis 2002 herrschte Kurt Biedenkopf, seitdem Georg Mil-bradt. Wie weit sind die Sachsen seit der Wende gekommen? Was hat Sachsen ausseinen Voraussetzungen gemacht? Wie ist es auf die Zukunft vorbereitet? Und wel-chen Anteil hat die Landespolitik an all dem?
dustrie in der Lausitz und südlich von
Leipzig zeugen noch heute davon. Doch
im Gegensatz zu anderen Bundeslän-
dern verfügte Sachsen zum Ende der
DDR über eine stark ausdifferenzierte
Wirtschafts- und Forschungsstruktur
und, am wichtigsten, über entsprechend
gut ausgebildete Fachkräfte.
Das waren auch die beiden zentralen
Ressourcen für den Transformations-
prozess der 1990er Jahre. Die Wirt-
schaftspolitik des Landes setzte in
erster Linie auf industrielle Anker. Dabei
nutzte sie die vorhandenen Potenziale:
vor dem Zweiten Weltkrieg war Sach-
sen das bedeutendste Zentrum der
Automobilindustrie, eine Rolle, die vor
allem der Raum Chemnitz-Zwickau
auch für die DDR nicht verlor. Insofern
war es folgerichtig, in der Nachwende-
zeit auf die Ansiedlung von wichtigen
Automobil- und Maschinenbauunter-
nehmen zu setzen. Heute nennt sich
Sachsen wieder selbstbewusst „Auto-
land“. Die Werke von VW, BMW und
Porsche mit ihren vielen Zulieferern
legen dies nahe.
Doch Vorsicht. In der Gläsernen Fabrikin Dresdens Zentrum setzen ein paar
hundert Beschäftigte lediglich anders-
wo hergestellte Teile zu einem Auto zu-
sammen. BMW wird in seinem neuen
Leipziger Werk kein neues Auto produ-
zieren, sondern die vorhandene Produk-
tionskette aus einem süddeutschen
Werk verlagern, um dort ein neues Mo-
dell zu produzieren. Was also fehlt sind
nachhaltige Arbeitsplätze, die mit zen-
traler Forschung und Entwicklung ver-
knüpft sind. Arbeitsplätze, die mehr sind
als „verlängerte Werkbänke“. Dies ist der
zentrale Webfehler der sächsischen
Wirtschaftspolitik: Sie hat zu wenig dar-
auf geachtet, dass – bei aller Freude über
die gelungenen Ansiedlungen – auch die
nötigen Innovationsketten nach Sach-
sen kamen. Fördergelder flossen in
Milliardenhöhe – die verschiedenen
Streitigkeiten zwischen der sächsischen
Landesregierung und der EU-Kommis-
sion sind ein Ausdruck dessen. Doch
wurden die Fördermittel zu wenig ziel-
gerichtet in wissens- und knowhow-
basierte Wirtschaftszweige gesteckt.
Thomas Kralinski
126
Back to the Roots? – Sachsens industrieller Wiederaufstieg
Das zentrale Argument der sächs-
ischen Wirtschaftspolitik sind bisher
stets die niedrigen Löhne gewesen.
Doch hat sich dieser Vorteil mittler-
weile in sein Gegenteil verkehrt. Denn
die niedrigen Löhne verschärfen seit
einigen Jahren die Abwanderung – vor
allem aus den peripheren Regionen
Sachsens. Dabei gehen die besonders
gut Ausgebildeten zuerst. In der Folge
haben die kleinen und mittleren Unter-
nehmen – gerade in den boomenden
Zweigen der sächsischen Industrie –
Nachwuchssorgen, die sich in den kom-
menden Jahren weiter verschärfen
werden, wenn die geburtenschwachen
Jahrgänge der Nachwendezeit in die
Ausbildung und die Unternehmen
tröpfeln. Heute ist eine politische Stra-
tegie der Landesregierung, die die pro-duktionsorientierte Wirtschaftspolitik
in eine arbeitskräfteorientierte um-
steuern würde, nicht zu erkennen. Der
bisherige Kurs schlägt sich auch in den
Zahlen nieder: Das Bruttoinlandspro-
dukt pro Erwerbstätigen ist eines der
niedrigsten der neuen Länder, bei der
Angleichung an das Niveau der alten
Länder liegt Sachsen mittlerweile auf
dem vorletzten Platz.
Die produktionsorientierte Wirt-
schaftspolitik hat in den vergangenen
Jahren aus den sächsischen Zentren
wieder vorzeigbare Industriestandorte
Wachsen wie die Sachsen?
127
Die Niedriglohnstrategie ist am Ende
Mecklenburg-Vorpommern
Sachsen-Anhalt
Sachsen
Brandenburg
Thüringen
Wachstumsratedes Bruttoinlandsprodukts 1991-2002
3,5 %
3,6 %
3,9 %
4,4 %
4,5 %
0 % 1 % 2 % 3 % 4 % 5 %
Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, SMWA
gemacht. Die Zahl der Industriearbeits-
plätze ist beachtlich. Vor allem der
Raum Chemnitz-Zwickau ist wieder ein
Zentrum des Maschinen- und Anlagen-
baus. Die Exportquote der Industrie ist
in den vergangenen Jahren beständig
gewachsen – wenngleich man auch
nicht darüber hinwegsehen darf, dass
die Hälfte des sächsischen Exports von
einer Handvoll Firmen erbracht wird.
Die Herausforderung der kommenden
Jahre liegt nun darin, diese Arbeits-
plätze dauerhaft zu sichern und sie mit
innovativen Ansätzen zu verknüpfen.
Ein Teil der Automobil-Zulieferer muss
zu Kosten produzieren, die denen in
Tschechien oder Mexiko nicht unüblich
sind. Dies ist auf Dauer nicht durch-
zuhalten und beeinträchtigt vor allem
die Innovationskraft dieser Unterneh-
men. Daneben ist nicht zu übersehen,
dass die bisherige Strategie einzig in
einigen wenigen Zentren erfolgreich
war und sich zu stark auf die großen
Unternehmen konzentriert hat. Darü-
ber hat die Landesregierung bisher eine
kohärente Mittelstandspolitik verges-
sen. So sind auch die Großansied-
lungen nicht nur ein Segen für die
sächsische Wirtschaft. Der neue BMW-
Standort in Leipzig saugt vor allem
Fachkräfte aus den kleinen und mittle-
ren Unternehmen der Region ab. Die
Beschäftigten erwarten von BMW eine
höhere Arbeitsplatzsicherheit und bes-
sere Löhne. Die kleinen Unternehmen
jedoch stellt diese Flucht nun vor neue
– nicht nur personalwirtschaftliche –
Probleme im ohnehin schwierigen Kon-
solidierungsprozess.
Thomas Kralinski
128
BIP je Erwerbstätiger 2002
im Vergleich zu alten Ländern
67,3
68,9
71,6
73,6
75,9
100
0 25 50 75 100
Thüringen
Sachsen
Mecklenburg-Vorpommern
Sachsen-Anhalt
Brandenburg
alte Länder
Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, SMWA
Durch das Primat der produktions-
orientierten Politik der vergangenen
Jahre wurden in den vergangenen Jah-
ren innovative und wissensbasierte Ele-
mente vernachlässigt. Zwar ist die Lan-
desregierung zu Beginn der 1990er Jahre
mutige Schritte gegangen. Für die Beibe-
haltung des 12-jährigen Abiturs hat das
Land bis vor wenigen Jahren noch erheb-
liche Prügel einstecken müssen – vor-
nehmlich von Ländern, die das Zwölfer-
Abitur heute nicht schnell genug ein-
So ist die „Leuchtturmpolitik“ der
vergangenen Jahre für die Regionen
um Dresden, Leipzig und Chemnitz-
Zwickau erfolgreich verlaufen – in den
restlichen Regionen blieb es jedoch
weitgehend dunkel. Das lässt sich sehr
gut an der Entwicklung der Wande-
rungszahlen illustrieren: Während die
sächsischen Großstädte die Abwande-
rung abgebremst und teilweise sogar
in Zuzug verwandelt haben, laufen die
peripheren Regionen zunehmend leer.
Bisher ist keine politische Strategie zu
erkennen, wie diese Regionen in Zu-
kunft entwickelt werden können. Ein
Leitbild für sie fehlt. Die Landesregie-
rung nennt diese Regionen verbrämt
„Gebiete mit besonderen Entwick-
lungsaufgaben“ – der etwas hilflose
Begriff soll augenscheinlich darüber
hinwegtäuschen, dass ein Konzept für
die Zukunft von Lausitz, Nordsachsen
und Erzgebirge bisher fehlt.
Nun liegen die peripheren Regionen
Sachsens fast ausschließlich an der Gren-
ze zu Polen und Tschechien. Doch auch
hier mangelt es an Vorstellungen, wie
diese Regionen zu wahren Brücken wer-
den können: wirtschaftlich, kulturell und
sozial. Erste Ansätze gibt es vor Ort. Das
Görlitzer Theater spielt mit polnischen
„Übertiteln“ oder gleich komplette Stü-
cke auf Polnisch; im Vogtland gibt es
einen wegweisenden deutsch-tschech-
ischen Verkehrsverbund, der Züge und Ta-
rife miteinander vernetzt hat. Doch weit-
gehend fehlt die Infrastruktur: Aus der
am dichtesten besiedelten ostdeutschen
Region Chemnitz gibt es keine leistungs-
fähige Straße oder Schiene Richtung
Prag, nicht viel anders sieht es mit den
Verbindungen nach Polen aus. Es fehlen
vor allem die sprichwörtlichen kleinen
Brücken. Vor dem Krieg existierten etwa
100 Brücken über die Neiße, heute sind es
noch nicht einmal ein Dutzend.
Wachsen wie die Sachsen?
129
Perspektiven für die Peripherie fehlen
Neue Anfänge in der Bildungspolitik
führen können. Auch die Fusion der Real-
und Hauptschulen zur Mittelschulen ist
ein konsequenter Schritt gewesen –
wäre er nicht mit ihrer kontinuierlichen
Unterausstattung einher gegangen, der
diesen Schulen mancherorts nun doch
den Geruch der „Restschule“ gibt, ein
Merkmal, das man mit diesem Schritt
eigentlich vermeiden wollte. Die extrem
frühe Selektion zwischen Mittelschule
und Gymnasium bereits in der vierten
Klasse führt zu einem ungewöhnlich
starken Leistungsdruck auf die Kindern.
Nicht zuletzt deshalb ist die Unzufrie-
denheit mit dem sächsischen Schul-
system unter Schülern, Eltern und Leh-
rern in den vergangenen Jahren stark
angestiegen. Formal hat das Land zwar
bei der deutschlandinternen PISA-Studie
mit einem 3. Platz gut abgeschnitten –
wenngleich dieser Platz auch darüber
hinweg täuscht, dass Sachsen damit
trotzdem unter dem OECD-Durchschnitt
liegt. Dennoch, die Ablehnung des ge-
genwärtigen Schulsystems ist enorm. In
2003 wurden über 400.000 Unterschrif-
ten für ein Referendum über ein neues
Schulgesetz gesammelt – das nötige
Quorum wurde damit nur haarscharf
verfehlt und der Landesregierung blieb
eine schwere Niederlage erspart.
Aus guten Anfängen in der Bildungs-
politik ist in den letzten Jahren ein
zunehmend ideologisch aufgeladener
Konflikt zwischen Landesregierung
und CDU auf der einen Seite und
Eltern, Schülern, Lehrern und Kommu-
nalpolitikern auf der anderen Seite
geworden. Obwohl Thüringen und
Brandenburg zeigen, dass „kleine Schu-
len“ sowohl pädagogisch als auch
wirtschaftlich sinnvoll sind, sucht man
diese in Sachsen bisher vergeblich.
Ganztagsschulen gibt es in Sachsen
zurzeit lediglich vier. Warum sich das
Land nicht um die Millionen aus dem
Ganztagsschulprogramm des Bundes
bemüht, bleibt das Geheimnis der Lan-
desregierung. Bisher ist in Berlin jeden-
falls noch kein sächsischer Förderan-
trag eingegangen. Und dass die CDU
im mehrheitlich unchristlichen Sach-
sen den christlichen Bezug der Schule
erst vor einigen Monaten in das Schul-
gesetz geschrieben hat, verstärkt den
Eindruck einer ideologisch ausgerich-
teten Bildungspolitik. Wenig moti-
vierte Lehrer, ein überalterter Lehrkör-
per, der blockierte Einstieg für junge
Lehrer und ein noch häufig schlechter
baulicher Zustand vieler Schulen kom-
men hinzu.
Thomas Kralinski
130
In der Hochschulpolitik konnte Sach-
sen auf eine gute Ausgangsbasis
zurückgreifen: 22 Hochschulen und
Universitäten übernahm das Land aus
der DDR-Zeit. Drei davon wurden
geschlossen, etliche Einrichtungen
fusioniert. Heute verfügt Sachsen über
die umfangreichste Hochschulland-
schaft in den neuen Ländern. Hinzu
kommen zahllose mit öffentlichen
Mitteln unterstützte Forschungsein-
richtungen, die helfen sollen, die
Schwäche der industriellen Forschung
auszugleichen. Zu den renommierte-
sten Hochschulen gehören heute die
Universität Leipzig, die TU Chemnitz,
die FH Mittweida und die zur Volluni-
versität ausgebaute Technische Uni-
versität Dresden.
Doch der Ausbauschub Anfang der
1990er Jahre wurde unvermittelt abge-
brochen. Nach kräftigem Schub trat die
Landesregierung jäh auf die Bremse. So
muss die TU Dresden heute neue Fach-
bereiche, gerade zehn Jahre nach ihrer
Einrichtung, wieder schließen. Jetzt
rächt sich, dass der Ausbau der Univer-
sitäten nicht überlegt betrieben wurde,
sondern eher Tonnenideologie und Pre-
stigedenken folgte. Folgerichtig hat der
ausgesprochen gute Ruf der sächs-
ischen Universitäten in den vergang-
enen Jahren erheblich gelitten und die
Motivation von Lehrenden und Studie-
renden „auf den Nullpunkt“ gebracht.
In einer universitätsinternen Umfrage
gab ein Drittel der Dresdner Profes-
soren an, ihren Fortzug zu planen. In
wohl keinem Bundesland hat es in den
letzten Jahren so viele Proteste und
Demonstrationen gegen die Hoch-
schulpolitik gegeben. Als wesentlichen
Grund für das Zurechtstutzen der säch-
sischen Hochschulen gibt die Landesre-
gierung einen linear übertragenen
Rückgang der Studenten in Folge der
Bevölkerungsentwicklung an. Von
neuen Konzepten, etwa einer stärkeren
Internationalisierung, aktivem „Anwer-
ben“ neuer Studenten und Ausweitung
neuer Bildungsgänge keine Spur. Dabei
wäre genau dies der Weg, den ein Tech-
nologieland Sachsen einschlagen müs-
ste. Denn in der Tat: Die Demographie
verändert das Land – und wird Fach-
kräfte in Zukunft rar machen.
Wachsen wie die Sachsen?
131
Hochschulen ausgebremst
Die Demographie verändert Sachsen
bereits seit langer Zeit. In den 1950er
Jahre hatte Sachsen noch fast 5,7 Millio-
nen Einwohner, zurzeit der Wende
waren es noch 4,9 Millionen. Seitdem
hat sich der Bevölkerungsrückgang be-
schleunigt, kein ostdeutsches Bundes-
land hat einen ähnlichen Aderlass an
Menschen zu beklagen. Zurzeit leben in
Sachsen 4,3 Millionen Menschen, für das
Jahr 2020 werden 3,7 Millionen ge-
schätzt. Demographisch befindet sich
das Land heute auf dem Stand der
1890er Jahre. Mit einem Unterschied:
Sachsen ist mittlerweile das „älteste“
Land Deutschlands. Kein anderes Bun-
desland hat einen höheren Altersdurch-
schnitt als der Freistaat. Das Problem ist
nicht, dass die Lebenserwartung steigt.
Vielmehr fehlen dem Land die Kinder.
Der Einbruch der Geburtenrate nach
1989 um fast zwei Drittel wirkt nach und
setzt sich fort.So hat die Geburtenrate in
den Ballungszentren wie Dresden zwar
mittlerweile wieder fast drei Viertel des
Wertes von 1990 erreicht, in Regionen
wie der Lausitz verharrt sie jedoch nach
wie vor bei der Hälfte des 1990er Wertes.
Hinzu kommt die bereits erwähnte
Abwanderung vor allem der jungen und
gut ausgebildeten Menschen. Und
gerade deren Bereitschaft, nach Sachsen
zurückzukehren, ist ausgesprochen
niedrig. Nur 12 % der abgewanderten
jungen Abiturienten können sich vor-
stellen, zurück zu kommen.
Die demographischen Veränderungen
stellen Sachsen in den kommenden
Jahren vor vollkommen neue Fragen. In
immerhin elf von 29 Kreisen wird die
Thomas Kralinski
132
Sachsen ohne Kinder?
Bevölkerungsveränderung 1989-2020 (1989=100)
98
95
91
9898989897
979696969696
98
100
77
83
89909191
929393
93949495
97
98100
75
80
85
90
95
100
105
1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2010* 2020*
BrandenburgSachsen
Quelle: Statistische Landesämter, eigene Berechnungen; * = Prognose
Bevölkerungszahl bis 2020 noch einmal
um mehr als 18 % zurückgehen, nur Leip-
zig und Dresden werden nach dieser Pro-
gnose ihre Einwohnerzahl halten kön-
nen. Eine politische Antwort auf diese
Prognosen, die die gegenwärtigen Rah-
menbedingungen lediglich fortschrei-
ben, gibt es bisher nicht. Eine langfristig
und strategisch ausgerichtete Bevölke-
rungs- und Familienpolitik? Fehlanzeige.
Stattdessen hat Sachsen heute die
geringste Angebotsdichte in der Klein-
kinderbetreuung in Ostdeutschland.
Nach einer Studie des DIW kommen auf
100 Kleinkinder in Sachsen ganze 24
Krippenplätze, in Mecklenburg-Vorpom-
mern immerhin 30, in Brandenburg
dagegen 52. So ist es auch nicht verwun-
derlich, dass die Erwerbsquote der
Frauen – vom ehemaligen Ministerpräsi-
denten Biedenkopf immer als „zu hoch“
beklagt – in Sachsen bei nur 52,6 % liegt,
in Brandenburg immerhin bei 56,1 %. Bei
der in beiden Ländern etwa gleich hohen
Arbeitslosigkeit heißt dies, dass in Bran-
denburg letztlich mehr Menschen be-
schäftigt sind.
Die sächsische Landesregierung ist bis-
her nicht durch Gedanken zu der Frage
aufgefallen, wie die Zahl der Kinder in
Zukunft steigen, wie die Bedingungen
für Kinder und Familien im Land verbes-
sert werden können. Auch Konzepte zum
Erhalt der öffentlichen Infrastruktur vor
allem in den dünn besiedelten periphe-
ren Regionen gibt es bisher keine.
Wachsen wie die Sachsen?
133
Krippenplätze pro 100 Kinder
52
24
12
1
Brandenburg Sachsen Hamburg Bayern0
10
20
30
40
50
60
Quelle: DIW 2001
Zwar ist der öffentliche Dienst in
Sachsen in den vergangenen Jahren
bereits erheblich reduziert worden.
Doch einige qualitative Veränderun-
gen stehen noch an. So hat es das Land
Anfang der 1990er Jahre versäumt,
seine Verwaltung durchgreifend und in
einem Guss zu erneuern. Stattdessen
leistet sich das Land weiterhin drei
Regierungsbezirke. Die Zahl der kreis-
freien Städte wurde 1994 sogar erhöht,
sechs Landkreise haben weniger als
100.000 Einwohner. Die einseitige par-
teipolitische Durchwirkung des Frei-
staates – bis 2001 regierte die CDU alle
Landkreise – hat eher zum Konservie-
ren der eroberten Pfründe geführt und
eine Diskussion um sinnvolle Kreis-
grenzen und Aufgabenverteilungen
zwischen Land und kommunaler
Ebene verhindert. Das selbst bei der
Ernennung und Beförderung von Rich-
tern in Sachsen der Justizminister das
letzte Wort hat, ist beispielsweise in
Brandenburg undenkbar.
Die 2002 mit viel Tamtam eingelei-
tete enge Zusammenarbeit zwischen
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thürin-
gen kam zwar spät, wurde nun aber
bereits wieder kleinlaut beerdigt. „Zu
unterschiedlich“ seien die Verwal-
tungskulturen der drei Länder, verlau-
tet aus den Staatskanzleien. Dabei
kann die umfassende Zusammenar-
beit ein zentraler Schlüssel bei der
Bewältigung der anstehenden Pro-
bleme sein. Eine Fusion der drei Länder
scheint in absehbarer Zeit illusorisch –
vor allem die heimatbewussten Thü-
ringer und Sachsen würden der Län-
derhochzeit in Volksabstimmungen
wohl kaum zustimmen. Über einen
weitgehenden – und zweifelsohne
innovativen – „Drei-Länder-Bund“ wird
bisher jedoch nicht nachgedacht.
Sachsen muss in den kommenden Jah-
ren seine politischen Spielräume aktiver
nutzen. Die fiskalischen Voraussetzun-
gen dafür sind gut: Der Freistaat ist nach
Bayern das am niedrigsten verschuldete
Bundesland Deutschlands (wenngleich
dies in der Vergangenheit vor allem zu
Lasten der Kommunen ging, deren Ver-
schuldung beispielsweise deutlich höher
ist als in Brandenburg). Sachsen hat
dafür heute fiskalische Spielräume, die
andere Bundesländer nicht (mehr)
Thomas Kralinski
134
Zweite Verwaltungsreform steht auf der Tagesordnung
Investitionen in Menschen müssen in den Vordergrund treten
Schulden pro Einwohner 2002
2.446
5.666
5.068
6.111
4.955
Sachsen Brandenburg Thüringen Sachsen-Anhalt Mecklenburg-Vorpommern
in €
pro
Ein
woh
ner
0
1.000
2.000
3.000
4.000
5.000
6.000
7.000
Quelle: SMF
haben und könnte eine innovationsgelei-
tete Strategie verfolgen, die in erster
Linie in Menschen und deren Bildung
und Lebensräume investiert.
Der Freistaat Sachsen steht heute –
wie alle neuen Länder – am Ende der
Nachwendezeit. Erstaunlich ist die
deutliche Einebnung der Niveauunter-
schiede zwischen den neuen Bundes-
ländern. Lag 1996 das Land mit der
höchsten Arbeitslosigkeit um 6 bis 7 %
über dem Land mit der niedrigsten
Quote, so ist dieser Abstand heute auf
nur noch 3 bis 4 % gesunken. Wurde
der Freistaat Sachsen Anfang der
1990er Jahre als Musterknabe bezeich-
net – und dieser Begriff stieß bei den
selbstbewussten Sachsen auf postiven
Widerhall –, so rangiert das Land heute
im Mittelfeld der neuen Länder. Und
sieht sich heute neuen Fragestellun-
gen gegenüber:
• Mit welcher Strategie und auf wel-
chen Feldern lässt sich eine innova-
tionszentrierte Wirtschafts- und Bil-
dungsstruktur aufbauen?
• Wie kann der demographische Wan-
del aktiv gestaltet werden?
• Wie können sich die Menschen mit-
nehmen lassen in diesem Moderni-
sierungsprozess, der das Ziel haben
muss, dass Sachsen bis zum Ende
des Solidarpaktes im Jahr 2019 auf
eigenen Füßen steht?
Die Fragen sind gestellt, die Antwor-
ten (noch) offen.
Wachsen wie die Sachsen?
135
Thomas KralinskiPolitikwissenschaftler,
Referent beim SPD-Landesverband Brandenburg.
Am 6. Januar dieses Jahres hat die
Bundes-SPD in Weimar eine neue
Initiative zur Innovationspolitik be-
schlossen (Weimarer Leitlinien 2004).
Die „Weimarer Innovationsleitlinien“
sind vor allem dadurch bekannt ge-
worden, dass ihre Vorstellung gegen-
über der Öffentlichkeit und der Presse
mit der Idee verbunden wurde, die Ent-
wicklung von deutschen „Elite-Univer-
sitäten“ zu fördern.
Die neue Initiative befaßt sich mit
verschiedenen Innovationssektoren,
z.B. mit der Verbesserung der Ganz-
tagsbetreuung im Bildungswesen, der
Sicherung der Sozialsysteme, der Kon-
solidierung der Staatsfinanzen oder
der Förderung neuer Technologien
auch im Rahmen der Europäischen
Union. Besondere Bedeutung kommt
aber dem Wissenschafts- und Bil-
dungsausbau zu.
„Der Wettbewerb hoch entwickelter
Volkswirtschaften“, so der Weimarer
Beschluß, „vollzieht sich über Innova-
tionen. Beschäftigung können wir nur
sichern und neu schaffen, wenn wir
Zukunftsmärkte gezielt und schnell
erschließen. Darin liegen große Chan-
cen gerade auch für strukturschwache
Regionen z.B. in Ostdeutschland. Des-
halb wollen wir“, so die Weimarer
Initiative, „dass Ostdeutschland Inno-
vationsregion in Deutschland wird.“
Im Mittelpunkt steht für die SPD das
Ziel, durch eine „Modernisierung von
Gesellschaft und Staat mehr Chancen
auf ein gutes Leben für möglichst viele
Menschen zu erreichen.“ Wirtschaft-
liches Wachstum ist für die Weimarer
Initiative kein Selbstzweck, sondern
muß gesellschaftlichen Zielen dienen
und ökologisch nachhaltig sein. Bil-
dung, Wissenschaft und Forschung
müssen ein „Anliegen der gesamten
Gesellschaft werden“, so eine zentrale
Forderung.
Im Wissenschaftsbereich fordern die
Leitlinien im einzelnen:„Der Zugang zu
unseren Hochschulen muß offen blei-
ben“, was wahrscheinlich die Ableh-
nung von Studiengebühren für das
137
Innovationsinitiative und OstdeutschlandRegionale Probleme und Chancen der deutschen Strukturreform
Von Klaus Faber
Weimarer Innovationsleitlinien
Erststudium einbezieht, wie sie auch
ein SPD-Parteitagsbeschluß fordert.
„Wir brauchen nicht weniger, sondern
mehr und besser ausgebildetete Hoch-
schulabsolventen“, so wörtlich der
Weimarer Beschluß. Die Leitlinien spre-
chen sich dafür aus, die Universitäten
und Fachhochschulen für die beruf-
liche Weiterbildung zu öffnen. Ein
wichtiger Teil der Leistungsbilanz wird
in der Weimarer Initiative erwähnt:
„Als wir 1998 die Regierungsverant-
wortung übernahmen, lag der Anteil
der Studienanfänger bei 28,5 %, in-
zwischen beträgt er 35,6 % eines Jahr-
gangs. Dazu hat vor allem die Ver-
besserung der Ausbildungsförderung
beigetragen. Unser Ziel bleibt, die Stu-
dierendenquote in den kommenden
Jahren auf 40 % zu erhöhen.“
Die Konsequenz aus diesen Grund-
forderungen beschreiben die Weima-
rer Leitlinien im einzelnen: „Wir wollen
die Struktur der Hochschullandschaft
so verändern, dass sich Spitzenhoch-
schulen und Forschungszentren eta-
blieren, die auch weltweit in der ersten
Liga mitspielen und mit internatio-
nalen Spitzenhochschulen wie Harvard
und Stanford konkurrieren können.“ –
Die Stanford/Harvard-Erwähnung ent-
hält übrigens Vergleichsbeispiele, die
angesichts der Struktur- und Finanz-
unterschiede (Stanfords Jahresausga-
ben z.B. rund 2,5 Milliarden Dollar)
kaum zur deutschen Hochschulland-
schaft passen – was nicht gegen die
Forderung spricht, „Spitzenleistungen“
an „Spitzenhochschulen“ zu fördern.
„Wir wollen“, so weiter der Weimarer
Beschluß, „bis spätestens 2010 den
Anteil der Forschungs- und Ent-
wicklungsaufwendungen am Brutto-
inlandsprodukt (BIP) von heute 2,5 %
(2001) auf 3 % steigern. Wir erwarten
von der Wirtschaft, dass sie ihren
Anteil auf 2 % des BIP erhöht. … Wir
werden in diesem Rahmen auch prü-
fen, ob eine Stiftung ‘Bildung, For-
schung und Entwicklung’ einen Beitrag
zur Finanzierung zentraler Innovati-
onsprojekte leisten kann.“
In Zielrichtung und Argumentation
zeigen die Weimarer Leitlinien Paralle-
len zur sozialdemokratischen Innen-
politik in Schweden. Auch dort war der
Umbau der mit viel Finanzaufwand
unterhaltenen Sozialsysteme notwen-
dig – nicht nur mit Rücksicht auf die glo-
balisierte Wirtschaftskonkurrenz. In
Schweden gelang es wohl besser als in
Deutschland, auch die positiven Zu-
Klaus Faber
138
Fragen zum sozialdemokratischen Politikprofil
kunftsperspektiven des Erneuerungs-
wegs deutlich zu machen. Durch höhere
Wissenschafts- und Bildungsinvestit-
ionen sollten das Ausbildungsniveau
gehoben, allen Schweden mehr Bil-
dungschancen eröffnet und damit mit-
tel- und langfristig die internationale
Wettbewerbsposition Schwedens ver-
bessert werden. Die Studienanfänger-
anteile am jeweiligen Altersjahrgang
sind in Schweden schon seit längerer
Zeit deutlich höher als die entsprech-
enden deutschen Durchschnittszahlen.
Das gleiche gilt für die Jahrgangsanteile
der Studierenden oder der Hochschul-
absolvententen und ebenso für die
Anteile der öffentlichen und privaten
Ausgaben für Forschung und Entwick-
lung am Bruttoinlandsprodukt.
Auch Finnland ist, neben anderen
skandinavischen Staaten (sowie den
USA, Südkorea, Japan und anderen), bei
diesen Vergleichszahlen in die Vorbild-
Liste einzureihen. Finnland hatte sich in
den Jahrzehnten vor 1990 wirtschaftlich
stark auf die Sowjetunion ausgerichtet.
Die Modernisierungs- und Erneuerungs-
initiative dieses Landes hat den Folgen
entgegengewirkt, die sich aus dem Zu-
sammenbruch des Ostblockwirtschafts-
systems ergaben. Ein nationaler Kon-
sens, der auch die Sozialdemokraten ein-
schloß, war die Grundlage für ein Inve-
stitionsprogramm zur Förderung von
Wissenschaft, Technologie und Bildung.
Der Jahrgangsanteil der Studienan-
fänger übersteigt in Finnland deutlich
die 60 %-Marke; für den Hochschul-
bereich gibt Finnland, wie Schweden
oder die USA, pro Kopf der Bevölkerung
ungefähr doppelt so viel aus wie
Deutschland. Finnlands Wirtschaft hat
sich nicht nur im Bereich der Informa-
tionstechnologie auf die neuen Welt-
marktbedingungen eingestellt. Das
finnische Staatskonzept wurde erneu-
ert, aber im Kern nicht in Frage gestellt.
Das wird z.B. in der Infrastrukturpolitik
sichtbar, die für große Teile der finn-
ischen Regionen entscheidende Be-
deutung hat. Finnland ist auf diesem
Sektor in gewisser Weise ein Gegen-
modell zu dem eher „neoliberalen“
Ansatz, dem Irland folgt, wie dies in
diesem Heft Thomas Dürr in seinem
Artikel deutlich macht.
In der öffentlichen Debatte Deutsch-
lands spielen die mit den Strukturre-
formen vorhandenen Belastungen eine
größere Rolle als künftige Vorzüge der
Umgestaltung. Die negative Seite der zu
lösenden Aufgaben beherrschen die po-
litische Diskussion, und zwar sowohl bei
den Regierungsparteien wie im Opposi-
tionslager. Dass die Opposition ein Inter-
esse daran haben könnte,Grau-Schwarz-
Szenarien für die Zukunft zu entwerfen,
ist vorstellbar. Weshalb gelingt es aber
den Regierungsparteien, dort vor allem
der SPD, nicht, die Innovationspers-
Innovationsinitiative und Ostdeutschland
139
pektive in der künftigen Entwicklung mit
ausreichendem Gewicht in den öffent-
lichen Diskurs einzubringen – mit einem
Gewicht, das den Anstrengungen und
Verzichtleistungen beim Umbau der
Sozialsysteme Ziel gibt und sie damit
rechtfertigt?
Renten- und Gesundheitsfragen,
Landwirtschafts- oder Arbeitsmarktpo-
litik haben ihre spezifischen „Lobby“-
Formationen, auf die auch die tägliche
Politik vor und nach Wahlen zu achten
hat, Investitionen in Wissenschaft, For-
schung, Innovation, kurz: in die Zukunft,
dagegen nicht, weil ihre Auswirkungen
erst langfristig zu spüren sind – so lau-
tet oft die Antwort auf die damit auf-
geworfene Frage. Wenn dem so wäre,
müßte freilich erklärt werden, weshalb
es anderen Ländern gelingt, über Zu-
kunftsinvestitionen eine öffentliche
Debatte zu führen und die richtigen
Entscheidungen zu fällen. Die Weima-
rer Leitlinien schildern die deutschen
Defizite, z.B. bei den Hochschulabsol-
venten oder den Forschungs- und Ent-
wicklungsinvestitionen, und, zu Recht,
die Leistungen der Bundesregierung
seit 1998. Beide Aspekte spielen aber in
der Wahrnehmung von Medien und
Bürgern keine oder jedenfalls nur eine
untergeordnete Rolle.
Dieser Sachverhalt gibt Anlaß zu ver-
schiedenen Fragen. Eine davon betrifft
die Schwerpunktsetzung für das sozial-
demokratische Politikprofil und seine
Vermittlung (vgl. dazu Schröder 2004),
eine andere das Entscheidungssystem
im deutschen Bundesstaat. Beide Ele-
mente hängen miteinander zusammen.
Ein Blick auf einige in den Innovati-
onsleitlinien sowie im Schweden-Finn-
land-Vergleich angedeuteten Defizite
Deutschland und in Ostdeutschland
macht in diesem Zusammenhang die
zugrunde liegenden Strukturprobleme
deutlich.
Immer mehr junge Menschen neh-
men nach einem im letzten Jahr ver-
öffentlichten OECD-Vergleich unter 27
wichtigen Industrienationen ein Stu-
dium auf. Im Schnitt der OECD-Unter-
suchung waren es 47% eines Alters-
jahrgangs. Nicht nur Finnland und
Schweden sondern auch Norwegen,
Polen, Australien und Island haben bei
der Studienanfängerquote am Alters-
jahrgang bereits die 60 %-Grenze
überschritten. In Deutschland beträgt,
wie dies die Weimarer Leitlinien schil-
dern, die Quote zuletzt 35,6 %.
Klaus Faber
140
Deutsche und ostdeutsche Innovationsdefizite
Im innerdeutschen Vergleich hatten
die ostdeutschen Länder gegenüber
Westdeutschland bis vor kurzem ihren
Studienquotenrückstand Schritt für
Schritt aufgeholt. In der DDR-Zeit lag die
Quote bei 10 % bis 15 % am Altersjahr-
gang. Neuerdings stagniert diese Auf-
holbewegung. Der Abstand zwischen
Ost- und Westdeutschland hat sich in
der letzten Zeit auf diesem Gebiet sogar
wieder vergrößert. Die ostdeutschen
Durchschnittszahlen liegen bei der Stu-
dienanfängerquote bei 25 %.
Die deutschen Defizite setzen sich
bei anderen Vergleichsdaten fort. Bei
den Bildungsinvestitionen, gemessen
am Bruttoinlandsprodukt, liegen die
USA mit 7 %, Schweden mit 6,5 % und
Korea mit 6,3 % vorne. Deutschland
erreicht mit 5,3 % nicht den OECD-
Schnitt von 5,9 % (zur Defizitbeschrei-
bung vgl. Deutsche Presse-Agentur
2003, Faber 2002a, S. 114 f., ders. 2003, S.
58, Wissenschaftsrat 2000, S. 51 f.,
Zukunft der Wissenschaft 2001, S. 6).
Der Hochschulsektor hat, wie bereits
angeführt, bei den Ausgaben pro Kopf
ebenfalls Rückstände. Auf diesem Ge-
biet gibt es zudem erhebliche Unter-
schiede zwischen den Bundesländern.
Gemessen an den Hochschulausgaben
pro Kopf der Bevölkerung belegen
einige der fünf ostdeutschen Flächen-
staaten einen Platz am Ende der deut-
schen Leistungsskala. Aber auch west-
deutsche Länder liegen bei den Hoch-
schulausgaben zum Teil beträchtlich
unter dem Bundesdurchschnitt.
Defizite weist Ostdeutschland eben-
so in der Industrieforschung auf. 1990
waren in der ostdeutschen Industrie-
forschung etwa 86.000 Personen be-
schäftigt, in der zweiten Hälfte der
90er Jahre dagegen nur noch 16.000.
Die Kapazitäten in der DDR-Industrie-
forschung gingen nach 1990 noch stär-
ker als das übrige Arbeitsplatzpotential
in der Industrie zurück. Das war auch
darauf zurückzuführen, dass die west-
lichen Firmen, die Betriebe im Osten
kauften, an ihren Herkunftsstandorten
in Westdeutschland häufig bereits über
ausreichende Kapazitäten in der For-
schung und Entwicklung verfügten.
Staatliche Förderprogramme des Bun-
des und der Länder für die Forschung
und Entwicklung in der ostdeutschen
Wirtschaft versuchten, dem Rückgang
entgegenzuwirken, zum Teil mit Erfolg.
Sie haben inzwischen den Auflösungs-
prozeß aufgehalten und dadurch in je-
dem Fall verhindert, dass noch mehr Po-
tentiale verloren gingen. In Ostdeutsch-
land ist der Anteil der nicht öffentlich
geförderten Forschung und Entwicklung
aber immer noch viel geringer als in den
westdeutschen Bundesländern. Ein
Grund dafür ist, dass kleine und mittlere
Unternehmen wirtschaftlich oft noch
nicht gesichert sind und sich daher keine
Innovationsinitiative und Ostdeutschland
141
eigenen Personalkapazitäten für For-
schung und Entwicklung leisten können.
Vor diesem Hintergrund kam und
kommt als Ausgleichselement dem Aus-
bau der öffentlich getragenen und ge-
förderten Wissenschaftseinrichtungen –
der Hochschulen und der außerhoch-
schulischen Forschungseinrichtungen –
eine entscheidende Rolle beim Wieder-
aufbau der ostdeutschen Infrastruktur
zu. Nicht alle beteiligten Regierungen im
Bund und in den ostdeutschen Ländern
haben dies nach 1990 rechtzeitig erkannt
und danach gehandelt.
Um das auch von der Weimarer Initia-
tive proklamierte Ziel, den Anteil der Stu-
dienanfänger am Altersjahrgang in
Deutschland auf 40 % zu erhöhen, müs-
sen die Infrastrukturbedingungen für
eine deutliche Erhöhung der zu niedri-
gen Studienanfängeranteile in den ost-
deutschen Ländern geschaffen werden.
Dazu gehört vor allem eine Beschleuni-
gung des Hochschulausbaus und des
Ausbaus anderer Wissenschaftskapa-
zitäten. Das gilt vermehrt dann,wenn,so
die Weimarer Leitlinien, Ostdeutschland
„Innovationsregion“ werden soll.
An diesem Punkt kommt das deutsche
System der politischen Willensbildung
ins Spiel – mit all seinen auffälligen
Besonderheiten und Problemen (zu den
Auffälligkeiten im Bundesstaatenver-
gleich s. Faber 2002a, S. 108 ff.;
Glotz/Faber 1995, S. 1415). Wer hat im
deutschen Bundesstaat was zu tun, um
Deutschlands Innovationsrückstand
aufzuholen und eine ostdeutsche In-
novationsregion aufzubauen? Welchen
Lösungsbeitrag kann die 2003 auf den
Weg gebrachte Initiative zur „Föderalis-
musreform“ leisten?
Die Föderalismusinitiative geht im
wesentlichen auf die Regierungsposi-
tionen in großen oder finanzstarken
Bundesländern wie Nordrhein-West-
falen, Bayern, Baden-Württemberg und
Hessen zurück. Sie steht bislang unter
dem Leitziel der „Entflechtung“ von
Bundes- und Landeskompetenzen, auch
im Bundesrat-Bundestag-Verhältnis. Die
ersten gemeinsamen Vorschläge aller
Landesregierungschefs sehen – mit dem
Vorbehalt eines ostdeutschen Bundes-
landes – neben einer Reduzierung von
Gesetzgebungskompetenzen des Bun-
des auch einen Verzicht auf Gemein-
schaftsaufgaben z.B. im Hochschulbau
oder für die Bildungsplanung vor. Soweit
damit eine Bundesmitfinanzierung ent-
fällt, sollen, so die Ministerpräsidenten,
höhere Steueranteile auf die Länder
Klaus Faber
142
Entscheidung im Bundesstaat: Föderalismusreform durch Entflechtung
übertragen werden. Die Stellungnahme
der Bundesregierung zur Position der
Länderregierungschefs läßt in Teilbe-
reichen Übereinstimmung, aber auch
Dissens in entscheidenden Fragen er-
kennen. Wichtig ist für die Bundesregie-
rung die Notwendigkeit, für Bundesge-
setze die Zustimmung des Bundesrats
zu erhalten bzw. auf Fälle zu begrenzen,
die „Länderbelange unzweifelhaft tan-
gieren“ – eine Position, für die aus dem
Länderbereich im Grundsatz Verständ-
nis signalisiert worden ist.
Überraschenderweise erklärte sich
die Bundesregierung dazu bereit, auf
Gemeinschaftsaufgaben zu verzichten.
Im Hochschulbereich, so Bundesvor-
schläge aus diesem Jahr, soll statt des-
sen eine neue Bundesförderkompetenz
für Spitzenleistungen in Forschung und
Lehre eingeführt und die Forschungs-
förderung im übrigen zwischen Bund
und Ländern aufgeteilt werden (vgl.
Bulmahn 2004). Für den übrigen Wis-
senschaftsbereich, also auch für den
Hochschulbau in alleiniger Landes-
zuständigkeit, erhalten nach diesem
Konzept die Länder höhere Steueran-
teile. Vor allem aus finanzschwachen,
darunter auch ostdeutschen Ländern,
kommen Stimmen, die den Verzicht auf
die wissenschaftsbezogenen Gemein-
schaftsaufgaben ablehnen. Eine Reihe
von Landesregierungen (z.B. diejenige
Brandenburgs) hat die ursprünglich ge-
meinsam vertretene Ausgangsposition
zur Föderalismusreform inzwischen in
diesem Punkt verlassen. Höhere Steuer-
anteile für die einzelnen Länder, so die
damit verbundene Argumentation,
sind, wie Haushaltserfahrungen nicht
nur in Ostdeutschland zeigen, kein
geeigneter Ersatz für die Wissen-
schaftsförderung durch den Bund.
Innovationsinitiative und Ostdeutschland
143
„Wettbewerbsföderalismus“: Lösung oder Problem?
Auch mit dem neuerdings vor allem
von süddeutschen Ländern vertretenen
Konzept eines auf strenge Aufgaben-
abgrenzung ausgerichteten „Wettbe-
werbsföderalismus“ sind die beschrie-
benen deutschen und ostdeutschen
Defizite nicht aufzuholen. Wettbewerb
zwischen den deutschen Ländern setzt
zunächst einmal voraus, dass ein un-
gefähr vergleichbarer Ausgangsstand
vorliegt. Das ist aber nicht der Fall, wie
ein Blick auf Ostdeutschland und die
Folgen von 45 Jahren deutscher Teilung
bestätigt. Zonenrandförderung, hori-
zontaler und vertikaler Finanzausgleich
und weitere Förderinstrumente für den
Regionalaufbau haben in der Zeit der
deutschen Teilung die Infrastrukturent-
wicklung etwa in Bayern vorangebracht.
Die deutsche Teilung hat die süddeut-
schen Länder von der Konkurrenz der
mitteldeutschen Industrie befreit. Auch
landespolitische Entscheidungen für
den Infrastrukturausbau haben damals
positive Signale gesetzt. Aus westdeut-
schen Regionen mit Infrastruktur- und
Wirtschaftsproblemen sind auf diese
Weise in den vergangenen Jahrzehnten
allmählich finanzstarke, leistungsfähige
Länder geworden.
Es ist kein Zeichen für Wettbewerbs-
orientierung, sondern für das Gegen-
teil, nämlich Besitzstandswahrung,
wenn jetzt einige Länder den Ausstieg
aus dem föderativen Finanzausgleichs-
und Förderverbund vorschlagen, der sie
in den vergangenen Jahrzehnten
begünstigt hat. Baden-Württembergs
oder Hamburgs Rückstand bei den Wis-
senschaftsinvestitionen ist, gemessen
an den OECD-Zahlen, viel geringer als
derjenige der meisten ostdeutschen
Länder. Nach den Entwicklungslinien
der DDR- und Nach-DDR-Zeit kann die-
ses Ergebnis auch kaum überraschen.
Wer das Schlagwort vom „Wett-
bewerbsföderalismus“ im hier be-
schriebenen Sinne größtmöglicher Ab-
koppelung aus der gesamtstaatlichen
Solidargemeinschaft ernst meint,
müßte nicht nur als Vorbedingung die
materielle Ausgangslage der Wettbe-
werber ändern, sondern darüber hin-
aus konsequenterweise den territoria-
len Zuschnitt der Länder neu ordnen,
um auf diese Weise einen vergleich-
baren Stand in der Leistungsfähigkeit
zu erreichen. Besitzstandswahrung ist
aber auch auf diesem Gebiet ein wich-
tiges Motiv.
Die neue Initiative für die Föderalis-
musreform hat aus nachvollziehbaren
Gründen auf territoriale Neugliede-
rungsaspekte verzichtet. Ein Blick auf
andere Bundesstaaten, wie etwa die
USA oder Kanada, zeigt übrigens, dass
das Nebeneinander von großen und
kleinen Mitgliedsländern in einem Bun-
desstaat einen Sinn machen kann. Die
nach der Bevölkerungszahl, aber keines-
falls nach dem Gebietsumfang kleinste
Territorialeinheit Kanadas – Nunavut –
hat etwa 27.000 Einwohner. Dass dieses
Territorium in einem „Wettbewerbs-
föderalismus“ nach dem süddeutschen
Modell in der nächsten Zeit wohl keine
großen Entwicklungschancen hätte,
muß nicht ausgeführt werden.
Klaus Faber
144
Das Ziel der im Prinzip von allen Sei-
ten geforderten Entflechtung bei den
Bund-Länder-Zuständigkeiten kann in
bestimmten Bereichen auch dadurch
erreicht werden, dass der Bund eine
eindeutige Verantwortung für struk-
turelle und normative Regelungen
sowie für die finanzielle Förderung
erhält. Dazu ist, neben anderen Gebie-
ten, auch der Wissenschafts- und
Innovationssektor zu rechnen. Ein
Kernbereich von Landeskompetenzen,
zu denen z.B. das Schulwesen und die-
sem eng verbundene Gebiete gehören,
Die Debatte über den „Wettbewerbs-
föderalismus“ führt zu aktuellen Über-
legungen für die Kompromißbildung in
der von Bundesrat und Bundestag
eingesetzten Föderalismuskommis-
sion. Die Politikverflechtung zwischen
Bundestag und Bundesrat aufzulösen
oder sie zumindest zu reduzieren und
damit die deutsche Politik entschei-
dungsfähiger zu machen, ist ein richti-
ger Ansatzpunkt für die Reform.
Im Bund-Länder-Verhältnis, sollte,
soweit dies möglich und sinnvoll ist,
ebenso das Entflechtungsprinzip zum
Erneuerungsmaßstab gemacht wer-
den. Ein verfassungspolitisches Pro-
blem stellt sich allerdings dann, wenn
sich, wie das die Stellungnahmen von
Bund und Ländern erkennen lassen,
ein politsches Tauschgeschäft zwi-
schen einer Einschränkung der Bun-
desratszustimmung und der Aufgabe
von Bundeskompetenzen abzeichnet.
Eine Aufgabe von Bundeszustän-
digkeiten in für den Gesamtstaat wichti-
gen Gebieten, z.B. in der Wissenschafts-,
Forschungs- und Innovationsförderung,
und der Verzicht auf Finanzausgleichs-
systeme, die für diese Felder Bedeutung
haben, ist kein geeigneter Beitrag zur
Föderalismusreform. Einzelne Lander,
wie Baden-Württemberg, Bayern oder
Nordrhein-Westfalen, könnten mit der-
artigen Konstruktionen vielleicht eine
Zeitlang leben, die Mehrheit der Länder
und vor allem der Gesamtstaat aber
nicht, wenn und soweit die Zielsetzung
verfolgt werden soll, Reform- und Struk-
turdefizite in Deutschland aufzulösen.
Innovationsinitiative und Ostdeutschland
145
Ein problematischer Tauschhandel:Verzicht auf Bundesratszustimmunggegen Abbau von Innovationskompetenzen des Bundes
Entflechtung und gesamtstaatliche Strukturreform
sollte im übrigen von wesentlichem
Bundeseinfluss frei bleiben, nicht nur
und nicht in erster Linie mit Rücksicht
auf die Föderalismusgarantie des Arti-
kels 79 Abs. 3 des Grundgesetzes.
Auch im Schulbereich gibt es, wie
PISA zeigt, deutsche Rückstände (vgl.
dazu Klemm 2001, Lernen für das Leben
2001). Eine sinnvolle Aufgabenvertei-
lung sollte aber unter den deutschen
Ausgangsbedingungen den Ländern
deutlich abgrenzbare Gebiete der
Eigenverantwortung, u.a. eben im
Schulbereich, sichern. Der Bund könnte
nach einer Verfassungsneuordnung
mit einer erweiterten Wissenschafts-
förderung die Länder entlasten, um
diese in den Stand zu setzen, mehr für
ihre Schulen zu leisten. Das Ziel der Ent-
flechtung und eine gesamtstaatlich
sinnvolle Schwerpunksetzung bei der
Aufgabenwahrnehmung wären auf
diese Weise miteinander verbunden.
Ob die „Föderalismusreform“, wenn
sie denn stattfindet, einen Beitrag zur
Förderung von Innovation und Wissen-
schaft – mit einem Schwerpunkt in
Ostdeutschland – leistet, ist demnach
eine offene Frage. Viel wird davon
abhängen, was aus Ostdeutschland in
die verfassungspolitische Debatte ein-
gebracht wird.
Die Bilanz des Überblicks zur Innova-
tions- und Föderalismusdebatte, im
ganzen: zur deutschen Strukturreform-
diskussion, ergibt kein einheitliches
Bild. Es fällt auf, dass die Verbindung
von Föderalismus- und gesamtstaat-
licher Strukturreform in der politischen
Auseinandersetzung kaum thema-
tisiert wird – und zwar auf allen Seiten
des politischen Spektrums.
Die Weimarer Innovationsleitlinien
nennen gesamtstaatliche Innovations-
ziele und entsprechende Bundeslei-
stungen, die bereits erbracht wurden.
Dass auch von den Ländern erhebliche
Anstrengungen erwartet werden müs-
sen, wenn man diese Ziele Ernst nimmt,
wird kaum angesprochen; noch weniger
wird eine eindeutige Antwort auf die
Frage gegeben, wie ein derartiges Ver-
halten der Länder erreicht werden soll.
Der nach den Weimarer Richtlinien zu
„prüfende“ Vorschlag, eine nationale
Stiftung „Bildung, Forschung und Ent-
wicklung“ einzurichten, kommt auch
für die Zeit vor einer Verfassungsände-
rung einem Lösungsvorschlag noch am
nächsten. Eine derartige Stiftung, die
Klaus Faber
146
Innovationsinitiative für Ostdeutschland:Weichenstellung und Chance
Bund, Länder und nicht-öffentliche
Geldgeber umfassen müßte, wäre dem
Ansatz nach in der Lage, z.B. Vorhaben
und Institutionen im Wissenschafts-
bereich zu fördern und damit auch
Struktur- und Finanzschwächen in ein-
zelnen Regionen auszugleichen (vgl.
Faber 2002b). Die Stiftungsgründung
wäre damit die erste Weichenstellung
für eine gesamtstaatlich wichtige
Strukturreform.
„Politikverflechtung“, die durch die
Bundesratskonstruktion und den „ko-
operativen Föderalismus“ ausgelöste
Neigung zu verdeckten Allparteien-
koalitionen, die damit verbundene
Einschränkung der Durchschaubarkeit
von Entscheidungsprozessen sowie
des Parlaments- und Wählereinflusses,
des Parteienwettbewerbs als Innovati-
onsmotor und letztlich auch der demo-
kratischen Legitimation – das alles sind
akzeptierte Kritikpunkte der ver-
fassungspolitischen Diskussion. Wenn
es konkret wird, fehlt allerdings der
Konsens.
Die Länder denken z.B. kaum daran,
Politikverflechtung in der „Länder-
selbstkoordination“, wie der Kultusmi-
nisterkonferenz, abzubauen. Die Bun-
despolitik formuliert, zum Teil durch-
aus im Konsens, Innovationsziele für
den Gesamtstaat. Keine der Bundes-
parteien tritt aber bislang unmißver-
ständlich für eine deutliche Erhöhung
der Wissenschaftsinvestitionen des
Bundes und für eine Erweiterung der
Bundeszuständigkeiten ein. Ohne eine
derartige Erhöhung können jedoch die
deutschen Innovationsrückstände
nicht überwunden werden. Keine Bun-
despartei kritisiert, dass zur Zeit in den
meisten Ländern, quer über die Partei-
enformationen, die im internationalen
Vergleich viel zu niedrigen Haushalts-
anteile für das Hochschulwesen
gekürzt werden. Das Land Branden-
burg stellt auf diesem Gebiet übrigens
eine rühmliche Ausnahme dar, weil
dort die entsprechenden Mittel-
ansätze nicht reduziert werden (zur
Wirtschafts- und Wissenschaftsent-
wicklung Brandenburgs vgl. Platzeck
2003, zur Position des Landes im ost-
deutschen Wissenschaftsvergleich s.
Sternagel 2002 und Vogelsang 2002);
ähnliches gilt für Nordrhein-West-
falen. Die großen Unterschiede bei den
Haushaltsansätzen für die Wissen-
schaft sowohl innerhalb der Gruppe
der finanzschwachen als auch im La-
ger der finanzstarken Länder machen
deutlich, dass nicht nur das Ausmaß
der Finanzknappheit über die Schwer-
punktsetzung entscheidet. Parteipoli-
tisch sind diese Differenzen ebenso-
wenig zu erklären.
Ein Wechsel in der Debattenrichtung
ist wohl nur zu erreichen, wenn die
politischen Eliten und die Öffentlich-
Innovationsinitiative und Ostdeutschland
147
keit die Problemdimension des deut-
schen Rückstands nicht nur kurzfristig-
aktuell, etwa in der Diskussion über
PISA- und sonstige OECD-Studien, son-
dern auch mit ihren strukturellen
Aspekten, nämlich im Zusammenhang
mit unserer Föderalismuskonstruktion,
wahrnehmen. Das ist bislang nur in
geringem Umfang der Fall, wie dies vor
nicht allzu langer Zeit Klaus von
Dohnanyi, früher Bundesminister für
Bildung und Wissenschaft und Bürger-
meister in Hamburg, festgestellt hat
(von Dohnanyi 2002; s. dazu auch
Faber 2002a, S. 124 f.). Nicht der Föde-
ralismus als solcher sei das Problem;
vielmehr sei, so seine Auffassung,
seine praktische Ausgestaltung in
Deutschland „die Hauptursache der
deutschen Misere“.
Auf der Bundes- und der Landes-
ebene wird die SPD auf Dauer nicht
darum herumkommen, die sich daraus
ergebenden Schlußfolgerungen aktiv
aufzunehmen. Das Innovationsthema
muß inhaltlich mit der Föderalismus-
debatte verbunden werden, auch dann,
wenn es in der dafür eingesetzten
Kommission in diesem Jahr noch nicht
zu einer tragfähigen Einigung kommen
sollte. Die Föderalismusargumentation
muß eine Erweiterung der Bundes-
verantwortung für Innovation und
Wissenschaft anstreben, was, wie
geschildert, unter bestimmten Voraus-
setzungen auch dem Entflechtungsziel
dienen kann. Die gesamtstaatliche
Kooperation mit den Ländern ist auf
diesem Gebiet durch Bundesangebote
– nicht nur für die Finanzierung – zu
fördern. Dazu gehört die Gründung
einer nationalen Stiftung für Wissen-
schaft und Innovation.
Ähnliche Diskussions- und Aktions-
perspektiven ergeben sich auf längere
Sicht ebenso für die anderen Parteien,
selbstverständlich in der Richtungs-
färbung und im Maßnahmenprofil mit
jeweils unterschiedlichen Akzenten.
Die Forderung der Weimarer Innova-
tionsleitlinien, in Ostdeutschland eine
Innovationsregion zu schaffen, sollte
von der ostdeutschen Politik ange-
nommen werden. Dafür sind von den
ostdeutschen Ländern Eigenleis-
tungen zu erbringen. Vom Bund ist
aber ebenso eine ausreichende Wis-
senschaftsförderung zu erwarten, die
auch dem Ausgleich von innerdeut-
schen Entwicklungsdefiziten dient.
Diese Defizite belasten nach der lan-
gen Zeit der deutschen Teilung die öst-
lichen und westlichen Regionen
Deutschlands immer noch in sehr
unterschiedlichem Umfang. Höhere
Innovations- und Wissenschaftsinve-
stitionen für Ostdeutschland sind, wie
internationale Beispiele zeigen, ein
geeigneter und wichtiger Beitrag zur
deutschen Strukturreform.
Klaus Faber
148
Innovationsinitiative und Ostdeutschland
149
Klaus FaberStaatssekretär a.D., Rechtsanwalt und Publizist in Potsdam;
Geschäftsführender Vorsitzender des Wissenschaftsforums
der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V..
Klaus Faber
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NEUERSCHEINUNG (April 2004)
Heinz Kleger, Ireneusz Pawel Karolewski,
Matthias Munke
Europäische Verfassung.
Zum Stand der europäischen Demokratie im Zuge der Osterweiterung
3., aktualisierte und erweiterte Auflage
Lit-Verlag – Reihe Nation-Region-Europa – Band 3
616 Seiten – 29,90 Euro
ISBN 3-8258-5097-8
Aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 21. Januar 2002:
Die Autoren „hatten eingangs versprochen, große Anstrengungen zuunternehmen, zum ‚trotz einer komplizierten Materie auf die Ver-ständlichkeit der Ausführungen zu achten’. Sie haben vollauf Wortgehalten. Und je tiefer man sich in die Arbeit hinein versenkt, um soüberzeugender wird der originelle methodische Ansatz dieser Ana-lyse. Ihr Ergebnis zählt ohne Zweifel zu den wichtigen Beiträgen zueiner Debatte, die Europa noch lange beschäftigen wird.“
Das neue Deutschland
Die Zukunft als ChanceHerausgegeben von Tanja Busse und Tobias Dürr336 Seiten. Broschur. s 15,90 (D)ISBN 3-351-02553-X
Kr ise im Westen, Umbruch im Osten – wie wir gemeinsamChancen beg rei fen und Refor men durchsetzen. Mit Bei trägenvon: Frank Decker, Wolfgang Engler, Matthias Platzeck, UweRada, Landol f Scherzer, Alexander Thumfar t und vie len anderen
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Heft 19 Trampolin oder Hängematte? Die Modernisierung des Sozialstaates.
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