+ All Categories
Home > Documents > Patienten risikobasiert screenen

Patienten risikobasiert screenen

Date post: 23-Dec-2016
Category:
Upload: bernd
View: 218 times
Download: 1 times
Share this document with a friend
3
D as Erregerspektrum von nosokomialen Infek- tionen hat sich in den letzten Jahren verscho- ben. Zunehmend laufen Multiresistente gramnegative Erreger (MRGN) dem MRSA den Rang als gefährlichster Krankenhauskeim ab. Zu den MRGN zählen gramnegative Stäbchen, die gegen mehrere wichtige Antibiotikagruppen resistent sind. Ihre Einteilung erfolgt dabei nicht gemäß bestimm- ter Resistenzmechanismen (z.B. bei ESBL), sondern anhand der fehlenden Empfindlichkeit für bestimm- te Antibiotikagruppen. Damit steht die klinische Bedeutung der Resistenz gegen folgende Antibioti- kagruppen im Vordergrund: Penicilline Fluorchinolone Carbapeneme 3./4. Generations-Cephalosporine Besonders gefährlich sind Keime, die gegen mehr als zwei der Antibiotikagruppen Resistenzen aufweisen: 3MRGN, Resistenz gegen drei der vier Antibioti- kagruppen 4MRGN, Resistenz gegen alle vier Antibiotikagruppen Die Ursachen für diese Resistenzentwicklung sind multifaktoriell. So hat der übermäßige Einsatz weni- ger Antibiotikagruppen sowie generell der unkritische Einsatz von Breitbandantibiotika für einen erhöhten Selektionsdruck bei den Erregern gesorgt und die Entwicklung von Resistenzen begünstigt. Auch in der Tierzucht kommt es zu einem unkritischen Einsatz von Antibiotika. Nutztierbestände stellen deshalb ein wichtiges Reservoir für MRGN dar. Zu den wichtigsten Erregern der MRGN zählen Vertreter der Spezies E. coli, Klebsiella ssp., Entero- bacter ssp., Pseudomonas aeruginosa oder Acineto- bacter baumannii. Viele dieser Keime können lange in der Umwelt überdauern, was ihre Verbreitung zusätzlich fördert. So überlebt Acinetobacter mehre- re Monate auf Oberflächen. Zur Ausbreitung tragen auch subwirksame Dosierungen von Desinfektions- mitteln bei. Darüber hinaus begünstigen verschiedene Faktoren die rasche länderübergreifende, weltweite Verbreitung von MRGN: Fernreisen bergen ein erhöhtes Risiko auch ohne Kontakt zu medizinischen Einrichtungen Medizintourismus – organisierte Reisen ins Ausland zur Durchführung elektiver medizinischer Eingriffe wie Endoprothetik, Implantate, kosmetische Chi- rurgie, Stammzelltransplantation, Liposuktion Kontakt mit medizinischen Einrichtungen in Ur- laubsländern (Akutbehandlung mit Hospitalisie- rung oder Behandlung chronisch Kranker) Einwanderung aus ärmeren Ländern MRGN im Krankenhaus Patienten risikobasiert screenen Immer häufiger sorgen Infektionen mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen (MRGN) für Schlagzeilen. Die Erreger sind resistent gegen mehrere wichtige Antibiotika- gruppen, so dass Infektionen nicht selten tödlich enden. Die KRINKO empfiehlt, alle Risikopatienten bereits vorab auf die gefährlichen Keime zu screenen. Welche Patienten untersucht werden, entscheidet jede Einrichtung anhand ihres Risikoprofils selbst. © Hendrik Schmidt / dpa DOI: 10.1007/s00058-013-1209-7 57 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (12) PflegeKolleg Hygiene umsetzen
Transcript
Page 1: Patienten risikobasiert screenen

Das Erregerspektrum von nosokomialen Infek-tionen hat sich in den letzten Jahren verscho-ben. Zunehmend laufen Multiresistente

gramnegative Erreger (MRGN) dem MRSA den Rang als gefährlichster Krankenhauskeim ab. Zu den MRGN zählen gramnegative Stäbchen, die gegen mehrere wichtige Antibiotikagruppen resistent sind. Ihre Einteilung erfolgt dabei nicht gemäß bestimm-ter Resistenzmechanismen (z.B. bei ESBL), sondern anhand der fehlenden Empfindlichkeit für bestimm-te Antibiotikagruppen. Damit steht die klinische Bedeutung der Resistenz gegen folgende Antibioti-kagruppen im Vordergrund:

▶ Penicilline ▶ Fluorchinolone ▶ Carbapeneme ▶ 3./4. Generations-Cephalosporine

Besonders gefährlich sind Keime, die gegen mehr als zwei der Antibiotikagruppen Resistenzen aufweisen:

▶ 3MRGN, Resistenz gegen drei der vier Antibioti-kagruppen

▶4MRGN, Resistenz gegen alle vier AntibiotikagruppenDie Ursachen für diese Resistenzentwicklung sind multifaktoriell. So hat der übermäßige Einsatz weni-ger Antibiotikagruppen sowie generell der unkritische Einsatz von Breitbandantibiotika für einen erhöhten Selektionsdruck bei den Erregern gesorgt und die Entwicklung von Resistenzen begünstigt. Auch in der Tierzucht kommt es zu einem unkritischen Einsatz von Antibiotika. Nutztierbestände stellen deshalb ein wichtiges Reservoir für MRGN dar.

Zu den wichtigsten Erregern der MRGN zählen Vertreter der Spezies E. coli, Klebsiella ssp., Entero-bacter ssp., Pseudomonas aeruginosa oder Acineto-bacter baumannii. Viele dieser Keime können lange in der Umwelt überdauern, was ihre Verbreitung zusätzlich fördert. So überlebt Acinetobacter mehre-re Monate auf Oberflächen. Zur Ausbreitung tragen auch subwirksame Dosierungen von Desinfektions-mitteln bei. Darüber hinaus begünstigen verschiedene Faktoren die rasche länderübergreifende, weltweite Verbreitung von MRGN:

▶ Fernreisen bergen ein erhöhtes Risiko auch ohne Kontakt zu medizinischen Einrichtungen

▶ Medizintourismus – organisierte Reisen ins Ausland zur Durchführung elektiver medizinischer Eingriffe wie Endoprothetik, Implantate, kosmetische Chi-rurgie, Stammzelltransplantation, Liposuktion

▶ Kontakt mit medizinischen Einrichtungen in Ur-laubsländern (Akutbehandlung mit Hospitalisie-rung oder Behandlung chronisch Kranker)

▶ Einwanderung aus ärmeren Ländern

MRGN im Krankenhaus

Patienten risikobasiert screenenImmer häufiger sorgen Infektionen mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen (MRGN) für Schlagzeilen. Die Erreger sind resistent gegen mehrere wichtige Antibiotika-gruppen, so dass Infektionen nicht selten tödlich enden. Die KRINKO empfiehlt, alle Risikopatienten bereits vorab auf die gefährlichen Keime zu screenen. Welche Patienten untersucht werden, entscheidet jede Einrichtung anhand ihres Risikoprofils selbst.

© H

endr

ik S

chm

idt /

dpa

DO

I: 10

.100

7/s0

0058

-013

-120

9-7

57Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (12)

PflegeKolleg Hygiene umsetzen

Page 2: Patienten risikobasiert screenen

© M

athi

as E

rner

t, U

K H

eide

lber

g

Maßnahmen für alle Patienten (Basishygiene)

▶ Notwendig, da eine Besiedlung unerkannt vorlie-gen kann

▶ Händedesinfektion vor und nach direktem Kontakt mit dem Patienten, vor aseptischen Tätigkeiten, nach Kontamination (Kontakt mit Blut, Sekreten oder Exkreten), nach Kontakt mit der Patientenum-gebung, sowie nach Ablegen der Handschuhe

▶ Handschuhe tragen, wenn die Wahrscheinlichkeit des Kontaktes mit Blut, Sekreten, Exkreten oder sichtbar kontaminierten Flächen besteht

▶ Tragen von Mund-Nasen-Schutz und Schutzbrille, wenn Verspritzen von oder Tröpfchenbildung aus Blut, Sekreten oder Exkreten möglich ist

▶ Tragen einer Schürze, um Dienstkleidung bei Ein-griffen oder Pflegemaßnahmen vor Blut, Sekreten oder Exkreten zu schützen

▶ Einzelzimmer für Patienten, denen adäquates hygi-enisches Verhalten nicht möglich ist

▶ Behandlung von Ausrüstung und Geräten (Medizinprodukten), Oberflächen und Einrichtung, Bettwäsche und Abfall so, dass keine Übertra-gungsgefahr davon ausgeht

▶ Desinfektion und Reinigung (Flächen: Routine-maßnahmen gemäß Reinigungs- und Desinfekti-onsplan, Instrumente: Aufbereitung aller zur Wiederverwendung bestimmter Instrumente mit geeignetem Verfahren, Geschirr: Desinfizierende Reinigung, Wäsche: Desinfizierende Waschverfah-ren für Krankenhauswäsche)

▶ Abfallentsorgung gemäß Abfallentsorgungsplan

KRINKO-Empfehlungen, Bundesgesundheitsbl 2012 55: 1345

MRGN, 3MRGN, 4MRGNResistenzentwick-lungScreeningemp-fehlungenRisikogruppen

KEYWORDS ▶ Versorgung ausländischer Patienten aus Hochrisi-ko-Ländern

Die Hauptverbreitung innerhalb des Gesundheitswe-sens findet durch unzureichende Infektionskontrol-le [2] und mangelnde Basishygiene statt. Daher stel-len gezielte Maßnahmen zur Prävention einer

MRGN-Verbreitung sowie Basishygiene-Maßnahmen entscheidende Schritte zur Eindämmung von MRGN-Infektionen dar.

Begünstigende Faktoren auf Seiten der Patienten (Wirtsfaktoren) sind die generelle Zunahme von Ri-sikopatienten (Alter, Diabetes, Multimorbidität) und von invasiven und immunsuppressiven Therapien [3].

Screening – was empfiehlt die KRINKO? Nach einer Empfehlung der Kommission für Kran-kenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) sollten alle Patienten mit dem Risiko eines 4MRGN gescreent und bis zum Vorliegen des Ergebnisses isoliert werden. Als Risi-kopatienten gelten vor allem Patienten, die kürzlich Kontakt zum Gesundheitssystem in Ländern mit endemischen Auftreten und zu 4MRGN-positiven Patienten hatten, d.h. im gleichen Zimmer gepflegt wurden [1]. Hier muss sich die Frage anschließen, ob und inwieweit sich aus einem 3MRGN durch weitere Antibiotikatherapien ein 4MRGN entwickeln kann. Des Weiteren gibt es in verschiedenen deutschen Krankenhäusern ein endemisches Auftreten von 4MRGN. Wie der EHEC-Ausbruch zeigte, ist jedoch nicht in allen Krankenhäusern klar, wie die Keimsi-tuation innerhalb der eigenen Region ist. Somit kann auch schlecht beurteilt werden, ob ein Patienten aus einer Gesundheitseinrichtung mit endemischen Auf-treten von MRGN-Patienten kommt.

In Anlehnung an die Tarragona-Strategie der an-tibiotischen Therapien [4] gibt es zwei wesentliche Punkte für ein Screening:

Auf den Patienten schauen (Look at your patient) Risiken für Multiresistenz sind:

▶ Antibiotika-Vortherapien in den letzten drei Mo-naten

▶ Krankenhausaufenthalte in den letzten drei Mona-ten

▶ Bekannte Kolonisationen in der Vorgeschichte ▶ Ambulante nosokomiale Risiken (Dialyse, Ulcus-Versorgung, Pflegeeinrichtung, Rehabilitationen, Tracheostoma etc.)

▶ Multi- bzw. spezifische Ko-Morbiditäten (Diabetes mellitus, chronische Ulzera)

▶ Langzeitbeatmung, langer stationärer Aufenthalt, devices mit langer Liegedauer etc.

Auf die Situation im eigenen Haus achten (Listen to your hospital)

▶ MRSA-Rate? ▶ VRE-Rate? ▶ 3/4MR + Enterobacteriaceae Rate? (E. coli, K. pneu-moniae)

▶ 3/4MR-Pseudomonas aeruginosa?

Die KRINKO empfiehlt ein Screening auf Basis

der Patientenstruktur

58

PflegeKolleg Hygiene umsetzen

Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (12)

Page 3: Patienten risikobasiert screenen

▶ 3/4MR-Acinetobacter baumannii? ▶ Clostridium difficile?

Auch die KRINKO empfiehlt ein Screening auf Basis der Patientenstruktur sowie eine Anpassung des Screenings an aktuelle Entwicklungen [1]. Daher muss jedes Krankenhaus auf der dargestellten Grund-lage entsprechend einer Checkliste für sich klären, welcher Patient, wann und wo auf MRGN gescreent werden soll. Hierzu empfiehlt sich eine Grundsatz-entscheidung, die jedes einzelne Haus in Absprache mit dem Krankenhaushygieniker, dem Mikrobiolo-gen, dem Ärztlichen Direktor und der Krankenhaus-leitung trifft. Dabei ist es maßgeblich, ob und wie eine Surveillance innerhalb der Institution durchgeführt wird. Nur wenn eine lückenlose Aufzeichnung und Bewertung der Erreger nach Infektionsschutzgesetz §23 umgesetzt wird, kann beurteilt werden, ob die Screening-Maßnahmen ausreichend sind. Die Be-wertung, ob es sich um eine nosokomiale Kolonisa-tion oder Infektion handelt, erfolgt über das Hy-gieneteam.

Es hat sich bewährt, die mikrobiologischen und hygienischen Befunde zeitnah durch die Kranken-haushygieniker analysieren zu lassen und gegebenen-falls adäquate Maßnahmen einzuleiten. Es wäre über-zogen, plötzlich durchgängig alle Patienten auf 4MRGN zu screenen.

Risikobasiertes Aufnahmescreening allein nicht ausreichendBeim Vorgehen gegen MRSA hat es sich bereits be-währt – gemäß den Netzwerkempfehlungen – im Rahmen der Anamnese einen Screening-Bogen ein-zusetzen. In jedem Haus kann mit den Patienten-Faktoren der Tarragona-Strategie ein vergleichbarer Bogen für das MRGN-Screening entwickelt werden. Danach sind auf jeden Fall die Risikobereiche wie

Intensivstationen, neonatologische Bereiche, häma-tologisch-onkologische Stationen zu berücksichtigen. Auch innerhalb der Dialyseeinrichtungen ist ver-mehrt mit einer Verbreitung von MRGN zu rechnen.

Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass es keinen Goldstandard für das MRGN-Screening in Einrich-tungen des Gesundheitswesens gibt. Jedes Haus muss ein risikobasiertes Aufnahmescreening entwickeln und einführen. Allerdings erlaubt es kein Screening, Hygienemängel innerhalb eines Hauses zu identifi-zieren. Selektiert sich ein MRGN erst im Verlauf des Aufenthaltes, kann jeder Patient zum unerkannten Träger werden. Daher muss innerhalb der Kranken-häuser klar sein, dass die Basishygienemaßnahmen die allerwichtigsten Grundlagen für die Vermeidung von nosokomialen Kolonisationen und Infektionen sind.

Bernd GruberDipl. Pflegewirt, Fachkrankenpfleger für Anästhesie/Intensiv Hygiene/Infektions-prävention RbP Niels-Stensen-Kliniken Marienhospital Osnabrück Bischofsstr. 1, 49074 Osnabrück

[email protected] Literatur beim Verfasser

Einen Goldstandard für das MRGN-Screening gibt es nicht.

▶ Multiresistente gramnegative Stäbchen werden zu einer immer größeren Gefahr im Gesundheits-wesen. Die Mortalität bei Infektionen ist hoch, weil bei der Behandlung wichtige Therapieoptionen ausscheiden.

▶ Die KRINKO empfiehlt allen Krankenhäusern, anhand der Patientenstruktur zu entscheiden, welche Patienten auf MRGN gescreent werden.

▶ Nur aufgrund einer lückenlosen Surveillence, kann ein Krankenhaus beurteilen, ob die Screening-Maßnahmen ausreichend sind oder erweitert wer-den müssen.

FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E

Prävention einer MRGN-Verbreitung im Krankenhaus

▶ Risikoanalyse und schriftliche Festlegung der Maßnahmen im Hygieneplan

▶ Maßnahmen zur Verbesserung der Compliance der Mitarbeiter wie Schulung, Information und Surveillance der Compliance

▶ Surveillance und Screeningmaßnahmen

▶ Durchführung von Isolierungsmaßnahmen

▶ Festlegung zur Informationsweitergabe

▶ Antibiotikamanagement

KRINKO-Empfehlungen, Bundesgesundheitsbl 2012 55: 1344-1345

59Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (12)


Recommended