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Mephistos Glocke

Date post: 03-Jan-2017
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Gruselspannung pur!

Mephistos Glocke

von C.W. Bach

Dämonenjäger

Mark Hellmann »Hol über!« Schaurig klang der Ruf des Fährmanns durch das neblige

Halbdunkel des Morgens. Im Jahre 1348 gab es noch keine Brücke, auf der man in Hamburg die Elbe überqueren konnte. Erst recht keinen Tunnel. Viele Frauen und Kinder fürchteten sich vor dem unheimlichen alten Mann, der Tag und Nacht mit seinem flachen Boot die Passagiere über den Fluß setzte.

Melchior Hansen hatte keine Angst. Weder vor der ausgemergelten Gestalt noch vor sonst jemandem.

Eine unabhängige Wut nagte an den Eingeweiden des Handwerksgesellen. So, als ob eine Höllenkatze in seinem Bauch wüten würde. Hansen stand am Hafen herum. Beobachtete die Fähre, die langsam durch das bleigraue Wasser auf das andere Ufer der Elbe zuglitt…

Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt!

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Der junge Mann lachte höhnisch, als er an die Märchen dachte, die über den Fährmann im Umlauf waren. Ein Diener der Hölle sollte er sein! Melchior Hansen glaubte nichts davon. Für ihn war der Alte auf der Fähre eine ehrliche Haut, die von den Mitmenschen unterdrückt wurde. Genau wie er selber.

»Wenn das die gottgewollte Ordnung ist«, brummte der Handwerksgeselle, »dann muß ich wohl den Teufel anflehen, mir zu helfen!«

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, als auch schon ein heißer Windstoß herbeifegte und an seinem Wams zerrte. Eine Stimme schien ihm etwas zuzuflüstern.

Melchior blickte sich verwirrt um. Aber weit und breit war niemand zu sehen. Aus einer fernen Schenke dröhnten die Gesänge der Betrunkenen. Vor einem Speicher am anderen Ende der Straße machten sich Tagelöhner an Getreidesäcken zu schaffen.

In nächster Nähe des jungen Mannes hielt sich keine lebendige Seele auf. Und doch hatte jemand Melchior Hansens Worte gehört.

Mephisto!

* »Hier bist du also!« Magdalene Hansen war stinksauer auf ihren Bruder. Seit dem

frühen Unfalltod der Eltern war der zwanzigjährige Melchior der Mann im Haus. Es war seine Aufgabe, für seine ein Jahr jüngere Schwester und die beiden neunjährigen Zwillinge zu sorgen. Und sie zu beschützen. Aber was tat er? Er trieb sich nächtelang in der Stadt herum!

Die blonde Magdalene, die von allen nur Magda genannt wurde, hatte das Unheil förmlich gewittert. Am vorigen Abend hatte Melchior wieder mit Heinrich Behrens sprechen wollen. Dem Zunftmeister des Glockengießerhandwerks in Hamburg. Er allein hatte darüber zu bestimmen, welcher Geselle die Meisterprüfung machen durfte. Und welcher nicht. Die junge Frau konnte sich vorstellen, wie seine Entscheidung ausgefallen war. Spätestens, als sie das Gesicht ihres Bruders sah.

»Bist du besoffen?« schrie sie ihn an. Die blonde Frau konnte

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verdammt resolut sein, wenn es nötig war. Sie wußte sich ihrer Haut zu wehren. Das war auch nötig, denn das mittelalterliche Hamburg war kein sicheres Pflaster. Vor allem nicht nachts. Und schon gar nicht für eine so hübsche Deern wie die junge Magda. Ihre üppigen Formen schienen ihr Mieder fast sprengen zu wollen. Ein Anblick, der schon viele Männer in einen wahren Rausch versetzt hatte. Als ihr jedoch ein dänischer Matrose auf die Pelle rücken wollte, hatte er Bekanntschaft mit dem kleinen Beil gemacht. Sie trug es immer bei sich, wenn sie nachts ihren Bruder suchen ging. Und das kam öfter vor.

Der Seefahrer hatte komisch aus der Wäsche geguckt, als die scharfe Waffe in seine zudringliche Hand hackte. Die Beine hatte er unter den Arm genommen und sich unter unverständlichen Flüchen aus dem Staub gemacht. Das war vor ein paar Stunden gewesen.

Und dann hatte Magda ihren Bruder endlich gefunden. Erhitzt strich sie sich einige lange Haarsträhnen zurück, die unter ihrem weißen Häubchen hervorlugten.

»Besoffen?« wiederholte der Geselle. »Ja, ich bin besoffen, Schwester. Besoffen von meinem Haß.«

Seine Worte gaben ihr einen Stich ins Herz. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn er sich ein paar Krüge von dem dunklen Bier in den Rachen geschüttet hätte, das überall in den Hafenschänken verkauft wurde. Aber sein Haß machte ihr Angst, obwohl sie sonst ein tapferes Mädchen war. Dann war es immer so, als ob ein Dämon von ihrem Bruder Besitz ergriffen hätte…

Sie blickte in die dunklen Augen, die wie erloschene Vulkane in seinem mageren Gesicht drohten. Beruhigend legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm.

»Komm nach Hause, Melchior!« beschwichtigte sie ihn. »Es ist nicht sicher hier. Du hättest gepreßt werden können…«

Damit meinte sie eine im Mittelalter übliche Methode von Kapitänen, sich Matrosen zu beschaffen. Für die Drecksarbeit auf den Seelenverkäufern fanden sich oft keine Freiwilligen. Also war es üblich, kräftige Männer in Hafenkneipen betrunken zu machen und sie auf ein Schiff zu schleppen. Oder man lockte sie gleich in eine finstere Gasse und zog ihnen einen Knüppel über den Schädel. Wenn sie dann aufwachten, waren sie auf hoher See.

»Sollen sie mich doch pressen!« stieß Melchior hervor. »Ich würde mich sogar vom Satan persönlich pressen lassen. Als

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Glockengießer kann ich ja doch nicht reich werden!« Magda erschrak vor seinen Worten. Sie glaubte fest an Gott.

Wie die allermeisten Menschen in ihrer Zeit. Und sie war fest davon überzeugt, daß die Worte ihres Bruders Unheil brachten.

Damit sollte sie recht behalten… Melchior ballte die Faust. Dann drehte er sich um und erhob sie

gegen die Stadt, deren Umrisse in der Morgendämmerung immer deutlicher wurden. »Verfluchtes Hamburg! Ich werde nie Glockengießermeister werden! Nie!« Hohl klang seine Stimme durch die schmalen Gassen am Hafen. Die Bettler in der Gosse drehten sich grollend auf die andere Seite und schliefen dem nächsten hungrigen Tag entgegen.

»Du bist der beste Glockengießer in der ganzen Stadt.« Die blonde Frau schmeichelte ihrem Bruder. Aber es war kein leeres Kompliment. Sondern die Wahrheit. Er wußte es. Sie wußte es. Und vermutlich wußte es auch der Zunftmeister Heinrich Behrens.

Melchiors Lachen klang wie das Heulen eines hungrigen Wolfes. »Was nützt mir das, Schwesterherz. Was nützt das, wenn alle Meisterstühle besetzt sind – von Behrens und den anderen Fettärschen!«

»Dann gehen wir eben weg!« rief Magda aus. Wie die meisten Menschen des Mittelalters wußte sie wenig von der Welt. Sie suchte in ihrem Gehirn nach Städtenamen, die sie schon mal gehört hatte. »Nach – nach Lübeck! Oder Worms! Nach Frankfurt! Oder Stralsund. Oder…« Mehr fiel ihr nicht ein.

Aber der Handwerksgeselle ließ sowieso entmutigt die Arme sinken. »Es ist doch überall das gleiche!«

Seine Schwester schwieg. Denn sie ahnte, daß er recht hatte. Man konnte sich im Mittelalter nicht einfach in einer Stadt niederlassen und einem Handwerk nachgehen. Alle Handwerker waren in Zünften organisiert, die sogar ihre eigene Rechtssprechung hatten. Wer nicht dazugehörte, bekam keine Chance. Niemals. Und wenn die Zunft beschlossen hatte, daß ein Geselle nicht Meister werden durfte, dann hatte er Geselle zu bleiben. Bis der Sensenmann vor der Tür stand und ihn holte.

»Aber auch als Geselle kannst du glücklich sein«, sagte Magda lahm. Dabei wußte sie genau, daß es nicht stimmte. Ihr Bruder war nun mal ehrgeizig. Er würde nie zufrieden sein, bevor er nicht Meister war. Doch sie bemerkte, daß er sich nun langsam zu beruhigen schien.

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Sie kannte das Spiel. Wenn Melchior mal wieder beim Zunftmeister Behrens mit dem Kopf gegen die Mauer gerannt war, dann irrte er die ganze Nacht lang durch Hamburg und haderte mit seinem Schicksal. Irgendwann war er dann müde vor Zorn.

Doch diesmal war es anders. Aber das konnte die blonde Frau nicht wissen. Denn sie hörte nicht die Stimme, die in Melchiors Kopf verführerisch flüsterte: »Dir wird geholfen werden. Schweig nur und bleib hier. Bleib noch ein wenig, Meister Melchior. Schick die Magda weg!«

* Melchior Hansen hatte seine Schwester noch nie angelogen. Er

war ein ehrlicher Mann, der nur durch seinen Haß geblendet wurde. Und durch die Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren war.

Er lächelte und tätschelte Magdas Wange. »Ich komme gleich nach Hause, Schwesterherz. Einen Humpen will ich noch da vorne beim Friesenwirt trinken. Dann bin ich bei euch. Ganz bestimmt.«

»Na gut.« Die junge Frau grinste tapfer. Sie hatte wirklich keine Lust, ihren Bruder in eine Hafenkneipe zu begleiten, wo sich nur Huren und Seeleute aufhielten. Es war nicht ungewöhnlich, schon frühmorgens Bier zu trinken. Kaffee und Tee gab es damals noch nicht in Europa.

»Ich warte zu Hause auf dich.« Mit diesen Worten verschwand Magda. Unter dem Umhängetuch hatte sie das kleine Beil griffbereit.

Als Magda hinter einem der einstöckigen Fachwerkbauten verschwunden war, spürte Melchior plötzlich, daß wieder jemand neben ihm stand.

Auf den ersten Blick war der Fremde ein feiner Herr. Zu dem roten Samtbarett trug er ein passendes Wams, das von einem breiten Gürtel mit kostbaren Beschlägen zusammengehalten wurde. Die schwarzen Stiefel reichten bis über die Knie und waren blitzsauber poliert. Sehr ungewöhnlich in dieser dreckigen, nicht gepflasterten Hafengasse. Dann wurde Melchior Hansen klar, daß der Fremde nicht zu Fuß gekommen sein konnte.

Ein Schauer des Erschreckens rann über den Rücken des Handwerksgesellen. Nun sprach ihn der Unbekannte sogar an.

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»Ihr seid ein kluger Mann, Meister Melchior.« Das fast dreieckige Gesicht des Fremden fiel jedem sofort auf. Der rote Spitzbart kaum weniger.

»Nennt mich nicht Meister!« verwahrte sich Melchior trotzig und ein wenig gedemütigt. »Ihr wißt genau, daß ich keiner bin. Und es niemals sein werde!«

Ein breites Grinsen schien das dreieckige Gesicht des Fremden in zwei Teile zu spalten. »Mit meiner Hilfe könnt ihr schon bald Glockengießermeister sein. Noch vor der Sommersonnenwende.«

Dieses Datum kannte jeder im Mittelalter. Obwohl der christliche Kalender schon seit einigen Jahrhunderten gültig war, hielten doch viele Menschen noch die alten Traditionen lebendig. Manche feierten sogar noch Feste aus der heidnischen, vorchristlichen Zeit. Und der Fremde brachte solche Worte wie »Ostern« oder »Pfingsten« nicht über die Lippen. Dafür gab es natürlich einen Grund.

»Ha!« Melchiors Mißtrauen war erneut erwacht. »Ich soll Meister werden? Wie wollt ihr das denn schaffen? Die Zunftordnung ist so fest wie – wie…« Er suchte nach einem Vergleich, »…wie dieser Poller dort im Boden!«

Und er zeigte mit dem Finger auf einen mächtigen eisernen Pfosten, an dem die Taue von vor Anker liegenden Schiffen festgemacht werden konnten. Das Ding war wirklich massiv. Es mußte das ganze Gewicht einer Kogge oder eines Holks halten können, wenn der sich bei Sturm vom Kai loszureißen drohte.

Aber der Fremde lachte nur. Er zeigte nun ebenfalls auf den Poller. Aus seinem Finger schienen kleine Blitze zu strahlen. Melchior Hansen blieb mit offenem Mund stehen.

Wie von Geisterhand wurde das massive Eisen aus dem Kai gerissen. Es schwebte Sekundenbruchteile später über der Erde. Der Handwerksbursche fiel auf die Knie. Das war Zauberei! Hexenwerk! Und plötzlich wußte er ganz genau, wer der Fremde war.

»Der Leibhaftige!« stieß Melchior hervor und wollte sich bekreuzigen. Damit konnte man diesem Mega-Dämon nicht zuleibe rücken.

Trotzdem machte Mephisto einen Schritt rückwärts. »Laßt den Quatsch, Meister Melchior. Ist das euer Dank? Dafür, daß ich euch helfen will?«

Nicht umsonst lautet einer der Beinamen des Teufels »Mefir«.

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Dieses hebräische Wort bedeutet nichts anderes als »Lügner«. Die Hilfe von Mephisto bedeutete stets nur Qualen und ewige Verdammnis für denjenigen, der sich »helfen« ließ. Das wußte Melchior natürlich. Er hatte es oft genug in der Kirche gehört.

Doch wie jeder echte Lügner verstand es der Mega-Dämon, sein Opfer zu umgarnen.

»Wer ist der beste Glockengießer von Hamburg?« Mit diesen Worten legte er seine behandschuhte Rechte auf die

Schulter des Gesellen. Darunter hatte er schwarze Krallen. Das sah Melchior Hansen nicht. Dafür stieg ihm der Schwefelgestank von Mephisto in die Nase.

»Ich bin der beste Glockengießer von Hamburg«, antwortete er selbstbewußt.

»Und wer ist euer Zunftmeister?« »Heinrich Behrens«, zischte Melchior. »Falsch!« Mephisto war wirklich ein Meister der Verführung. In

seinen höllischen Augen blitzten lodernde Flammen auf, als er den jungen Mann leicht von sich wegstieß. »Der neue Zunftmeister der Glockengießer wird Melchior Hansen heißen!«

Das Herz des Gesellen raste. Ja, Meister werden! Davon hatte er geträumt. Aber gleich Zunftmeister aller Glockengießer in Hamburg? Das überstieg fast sein Vorstellungsvermögen. Und genau deshalb hatte Mephisto es ihm eingeredet.

Aber ganz war das Mißtrauen noch nicht aus dem Herzen des jungen Mannes verschwunden. »Und was muß ich tun, damit ihr mir helft?«

Der Mega-Dämon lachte mit seiner dunklen, unmenschlichen Stimme. Hansen war zu geblendet von der Aussicht auf Erfolg. Er bemerkte nicht, daß er soeben dabei war, seine Seele an den Teufel zu verkaufen.

»Na, was schon?« erwiderte Mephisto. »Ihr sollt für mich eine Glocke gießen!«

* Gegenwart. Schwere Stiefel schienen mitten durch den Raum zu schreiten.

Anders konnte man sich dieses Geräusch nicht erklären. Es gab für diese Deutung jedoch ein Problem. In dem leeren Zimmer

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befand sich außer mir und dem Beamten vom Gesundheitsamt Weimar kein Mensch. Aber ich glaubte auch nicht, daß ein Mensch für die Laute verantwortlich war.

»Was ist das?« fragte der Gesundheitsinspektor, der sich mir als Andreas Wegener vorgestellt hatte.

»Vermutlich ein Poltergeist«, entgegnete ich trocken. Wir befanden uns im ersten Stock eines leerstehenden Hauses

am Rande der Weimarer Innenstadt. Es hatte Gerüchte von Nachbarn gegeben. Erzählungen über unerklärliche Geräusche, die manchmal nachts aus dem Gebäude drangen. Mehrmals war die Polizei angerückt. Ohne Ergebnis. Und dann war die Sache mit dem Obdachlosen passiert. Ein noch junger Mann, der auf der Straße lebte. Als er eine Nacht in dem Haus verbracht hatte, waren seine Haare schlohweiß geworden. Obwohl er erst Mitte Zwanzig sein konnte. Grauenvolle Geschichten hatte er vom Stapel gelassen. Von Klauen, die nach ihm gegriffen hatten und ihn in die Hölle zerren wollten…

Begierig hatte sich die Boulevardpresse auf den Fall gestürzt. Kein Wunder. Schließlich nahte der Sommer. Und damit die »Saure-Gurken-Zeit« ohne weltbewegende Nachrichten. Da mußte man schon einmal eine Sensation aus dem Ärmel schütteln. Die Stadtverwaltung sah sich schließlich zum Eingreifen gezwungen.

Deshalb war ich, Mark Hellmann, an diesem sonnigen Junitag hier. In Begleitung des Beamten Andreas Wegener, der das Haus auf Rattenbefall oder ähnliche nichtmagische Störenfriede untersuchen sollte. Und der jetzt zu mir aufblickte, um mich einzuschätzen. Vielleicht war ich in seinen Augen einfach nur verrückt oder gemeingefährlich.

»Ich habe schon öfter mit unerklärlichen Dingen zu tun gehabt«, beruhigte ich ihn. »Deshalb hat mich die Stadtverwaltung wohl auch angeheuert. Als unabhängigen Gutachter für Magie oder so etwas.«

Mir kam der kleine Auftrag sehr gelegen. Nicht weil ich mal wieder fast am Hungertuch genagt hätte und auf ein paar Mark Honorar dringend angewiesen wäre, sondern weil ich eine Mission zu erfüllen hatte. Als »Kämpfer des Rings« ist es meine Bestimmung, gegen die Mächte des Bösen anzutreten. Besonders Mephisto hat es auf mich abgesehen. Und ich wiederum nutze jede Gelegenheit, um dem Mega-Dämon in sein zerstörerisches

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Handwerk zu pfuschen. Warum ich plötzlich nicht mehr ganz so arm dran war? Na ja, ich hatte mir inzwischen einen Namen als Dämonenjäger gemacht und bekam meine Einsätze bezahlt. Und dann war da noch die Publicity, die mir Störtebekers Schatz eingebracht hatte (Siehe MH 15, Ich fand Störtebekers Schatz). Die Artikel für Max Unruhs Blättchen, meine zahlreichen Interviews und meine Auftritte in diversen Talk-Shows hatten mich für eine gewisse Zeit aus dem Gröbsten rausgeholt. Und dann stand mir ja noch der Finderlohn für Störtebekers Schatz ins Haus. Ich konnte also mal zufrieden sein.

Mein Siegelring hatte sich leicht erwärmt. Ein sicheres Zeichen für dämonische Aktivität. Und im nächsten Moment kam noch ein schlagender zweiter Beweis hinzu.

Direkt vor uns schien die Luft zu explodieren. Aber da war kein Dynamit oder eine Handgranate detoniert. Dafür tauchten die Umrisse eines Gesichts aus weiter Ferne auf.

Wegener schrie vor Angst. Der Knall war so laut gewesen, daß seine Trommelfelle wohl genauso schmerzten wie meine. Außerdem hatte ihn der Schock kalt erwischt. Mich weniger, denn ich war schon oft genug in ähnlichen Situationen gewesen.

Deshalb verfiel ich nicht in Panik. Sondern konzentrierte mich lieber auf meinen Ring. Er ist zwar keine Waffe, aber mein unentbehrlicher Helfer im Kampf gegen das Böse. Woher er stammt, weiß ich nicht. Das ist ein Geheimnis, wie so vieles in meinem Leben. Als ich im Alter von zehn Jahren in Weimar gefunden wurde, hatte ich den Ring an einem Lederband um den Hals@. An das erste Jahrzehnt meines Lebens habe ich keine Erinnerung. Ich weiß nur, daß der Ring aus massivem Silber besteht. Auf ihm prangen die Buchstaben M und N, umrahmt von einem stilisierten Drachen. Man muß aber schon genau hinsehen, um ihn zu erkennen. Den Initialen M und N verdanke ich meine Vornamen Markus und Nikolaus. Gegeben wurden sie mir von meinen Adoptiveltern Lydia und Ulrich Hellmann. Ich liebe sie wie meine richtigen Eltern, die ich nie kennengelernt habe.

Unbekannte Mächte zerrten an meiner Kleidung. Wegener war nicht so standfest wie ich. Der Gesundheitsinspektor stürzte zu Boden. Er schien angesogen zu werden. Von einem Energiefeld, das sich mitten im Raum befinden mußte. Ich wußte nicht, was mit ihm passieren würde, wenn er dort hineingeriet.

Bevor es soweit war, stürzte ich mich in den Kampf!

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Natürlich hatte ich meinen Einsatzkoffer in das leere Haus mitgenommen. Es enthält neben meiner SIG Sauer mit den geweihten Silberkugeln einen Silberdolch, Weihwasser, Eichenpflöcke und einiges andere mehr. Mit flinken Fingern öffnete ich den Koffer und zog ein Holzkreuz hervor.

Die Luft schien zu glühen. Aber ich spürte, daß dieses dämonische Feuer keine wirkliche Kraft haben würde. Ich hielt das Kreuz hoch vor meine Brust. Mit der linken Hand packte ich Andreas Wegener am Kragen. Die unbekannte Macht wollte ihn immer noch in das Vakuum ziehen.

Ich hatte schon von Menschen gehört, die auf der »anderen Seite« gewesen waren. Manche konnten ihren Namen nicht mehr aussprechen. Andere verstummten für immer. Und die meisten landeten für den Rest ihres Lebens in der Nervenheilanstalt. Was immer da drüben war, es mußte schrecklich sein.

Meine Muskeln spannten sich. An meinem linken Arm traten die Adern hervor. Noch konnte ich Wegener halten. Der Mann war völlig verängstigt und schlug mit beiden Armen wild um sich. In seiner Panik war er mir keine große Hilfe, doch ich ließ ihn nicht los.

Das Gesicht tauchte nun direkt vor uns auf. Es war riesengroß! Der Inspektor verbarg seine Augen unter seiner Jacke. Der dämonische Anblick forderte wirklich starke Nerven. Das Wesen schien aus purer Energie zu bestehen. Man sah die Umrisse weniger, als daß man sie spürte. Wie rotglühende Eisenstangen. Es toste um uns herum wie bei einem Orkan.

»Neiiiin!« kreischte Wegener. »Ich will nicht!« Er war schon halb wahnsinnig vor Angst. Ich mußte dem Spuk

ein Ende bereiten, bevor Wegener ernsthaft zu Schaden kam. Mit ganzer Kraft spannte ich meinen linken Arm an. Und schleuderte dann den Beamten nach hinten. Weg von der Gefahrenquelle.

Ich starrte dabei in die widerwärtige Fratze und ging einen Schritt auf sie zu. Dann packte ich das Kreuz mit beiden Händen und hieb es mitten hinein in die Dämonenvisage. Dazu sprach ich mit sehr lauter Stimme eine alte weißmagische Beschwörungsformel.

Das Wesen unternahm noch einen letzten Versuch, mich zu sich zu holen. Aber ich spürte bereits, wie es schwächer wurde. Ich stand wie ein Fels in der Brandung. Und hörte dabei nicht auf, die schützenden Worte zu wiederholen. Das Kreuz tat ein übriges.

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Der Spuk war so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Keine Stiefeltritte mehr, jedenfalls nicht von einem zeitweise unsichtbaren Poltergeist. Ich lief einmal längs und einmal quer durch den Raum und verteilte Weihwasser auf dem Fußboden. Kreuzförmig versprühte ich es.

Andreas Wegener rappelte sich endlich auf. Er zitterte am ganzen Leib.

»Sie – Sie haben mich gerettet!« brachte er schließlich hervor. »Ich verdanke Ihnen mein Leben, Herr Hellmann.«

Ich klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. »Dann sorgen Sie bitte dafür, daß die Stadtverwaltung mein Honorar pünktlich zahlt!« witzelte ich. Versuchte dadurch, dem Grauen etwas den Stachel zu nehmen. Aber der Gesundheitsinspektor schüttelte immer noch verständnislos den Kopf und fingerte eine Zigarette aus der Packung. Bot mir auch eine an. Ich schüttelte den Kopf. Als ehemaliger Zehnkämpfer und praktizierender Kampfsportler bin ich überzeugter Nichtraucher.

Wegener nahm einen tiefen Lungenzug. »Was war das, um Gotteswillen?«

»Ein Poltergeist«, entgegnete ich. »Die werden meist nur aktiv, wenn Menschen in der Nähe sind. Es scheint, als ob sie unsere Energie von uns wegsaugen wollen. Sie existieren auf einer anderen Ebene. Aber wie Sie sehen, ist auch gegen diese Brut ein Kraut gewachsen.«

»Sie haben mich gerettet…« wiederholte der Mann vom Gesundheitsamt. Er würde seine Zeit brauchen, um das Erlebte zu verkraften. »Sie sind ein ungewöhnlicher Mensch, Herr Hellmann.«

Da konnte ich ihm nicht widersprechen. Schon während meines Studiums der Geschichte und Völkerkunde spürte ich deutlich, daß da bei mir ein unruhiger Hunger nach Wissen war. Wissen, das weit über die Bücherweisheit hinausging. Alte Weisheit über die Welt des Unerklärlichen. Die guten und bösen Mächte, die das Leben von uns Menschen bestimmen.

Wegen dieser Unrast hatte ich meinen sicheren Assistenten] ob nach der Uni aufgegeben und mich als freier Journalist durchgeschlagen. Ein Dasein, bei dem ich oft genug nicht wußte, wovon ich am nächsten Tag leben sollte.

Andreas Wegener und ich verließen das Haus. Der Mann vom Gesundheitsamt bedankte sich noch einmal überschwenglich bei

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mir. Ich versprach, einen Abschlußbericht zu schreiben. Gleichzeitig mußte ich grinsen. Sollte ich der Behörde empfehlen, das Haus wegen »Poltergeistbefall« abzureißen? Was würde wohl der Bürgermeister dazu sagen? Aber das war nicht mein Bier.

Ich ging zu meinem stahlblauen BMW hinüber. Gestern hatte ich noch einmal vollgetankt. Wer weiß, wann ich es wieder würde tun können. Dann startete ich den Wagen und fuhr in die Florian-Geyer-Straße, wo ich in einer Dachwohnung logierte.

Doch auf der Treppe fing mich der Vermieter ab. Ein kleiner Sachse mit großer Neugier.

»Herr Hellmann!« Er fuchtelte mit einem Brief vor meiner Nase herum. Dazu mußte er sich fast auf die Zehenspitzen stellen. Ich bin nun mal ein Riese für ihn. »Da ist ein Einschreiben für Sie gekommen!«

»Interessant.« Ich nahm ihm den Umschlag aus der Hand. »Seit wann dürfen Einschreiben statt dem Empfänger dessen Hausdrachen ausgehändigt werden?«

Artur Stubenrauch kriegte einen roten Kopf, daß er Werbung für vollreife Tomaten hätte machen können. Doch ein Wort kriegte er nicht mehr raus.

Ich riß den Umschlag noch auf der Treppe auf. Die Neugier meines Vermieters schien ansteckend zu sein. Jedenfalls wollte ich sofort wissen, was es mit dem Brief auf sich hatte. Per Einschreiben kommen ja meist schlechte Nachrichten: Zahlungsaufforderungen, Rechnungen, Mahnungen. Damit kannte ich mich aus. Doch dieser Brief war eine Ausnahme.

Ich stieß einen Schrei aus, der Tarzan zur Ehre gereicht hätte. »Was ist denn, Herr Hellmann?« Der Sachse schien sich selbst

in die Länge zu ziehen, während er mir über die Schulter linste. »Ach, nichts. Ich habe nur 15.000 DM gewonnen!«

* »Fünfzehn Riesen?« Meine Freundin Tessa Hayden blinzelte

mich mißtrauisch an. »Du hast doch noch nie was gewonnen, Mark. Weil du noch nie einen Tippschein abgegeben hast.«

Ich seufzte. Die gute Tessa ist zwar bestimmt das klügste Mädchen, das ich kenne. Aber bestimmt auch das argwöhnischste. Vielleicht bringt das ja ihr Beruf als Polizistin so

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mit sich. Ich griff um ihre Schultern und streichelte ihren sonnengebräunten Arm. Wir saßen in meiner kleinen Dachwohnung auf dem Sofa. Später am Abend wollte ich meine Freundin in ein neues Restaurant auf der »Kulturmeile« von Weimar einladen. Die Sache mußte gebührend gefeiert werden.

Ich zog zum x-ten Mal an diesem Tag das Einschreiben aus der Brusttasche meines weißen Sommerhemdes. »Es ist ja auch kein Lotteriegewinn, Tessa. Sondern ein Journalistenpreis.«

»Und den kriegst du?« Sie schlug ihre langen Beine übereinander. Hierbei rutschte ihr ohnehin kurzer Mini noch ein Stückchen höher. Ich bekam Probleme, mich auf meine Erklärungen zu konzentrieren. Die Polizistin mit der kecken Kurzhaarfrisur sah an diesem Abend wieder einmal zum Anbeißen aus.

»Ganz einfach. Erinnerst du dich an meine Reportage über ostdeutsche Spukhäuser? Die Geschichte, die ich vor fast einem Jahr an eine Berliner Zeitung verkaufen konnte. Ein Journalistenverband hat jetzt Preise vergeben für die ungewöhnlichsten Themen der letzten zwölf Monate. Und ich habe eine dieser Auszeichnungen erhalten!«

Tessa legte ihre Hand auf meinen Oberschenkel und machte ein besonders unschuldiges Gesicht. »Die sind bestimmt der Meinung, du hättest dir das alles ausgedacht. Wenn die wüßten…«

Ich nickte. Obwohl es mir schwerfiel, bei den Zärtlichkeiten meiner Freundin an die dämonischen Abenteuer der Vergangenheit zu denken. Anfangs hatte Tessa mein Interesse an Magie für Spinnerei gehalten. Doch inzwischen hatte sie leider schon manches Mal selbst schmerzhaft feststellen müssen, daß böse Geister und Dämonen Realität waren.

»Und was willst du jetzt machen, Mark?« »Ich ziehe schon mal mein Hemd aus.« Gesagt, getan. »Das meine ich nicht, du Idiot!« grollte Tessa scherzhaft,

während meine Hand unter ihrem leichten Seidentop auf Entdeckungsreise ging. »Ich spreche von deinem tollen Preis.«

»Oh, ich werde ihn mir natürlich abholen.« Tessa bog den Kopf zurück, als ich damit begann, ihren Oberkörper abzuküssen. »Die Preisverleihung findet in Hamburg statt. Im Hotel Atlantic. Das ist ein Nobelschuppen! Dort werde ich auch übernachten. Zahlt ebenfalls der Journalistenverband. Für mich und für eine

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Begleitperson.« Tessa horchte auf. »Wen willst du denn da mitnehmen?« Ich stellte mich dumm. »Keine Ahnung. Wer könnte mich denn

nur begleiten? Das wird bestimmt langweilig. Champagner-Empfänge, Büfetts, Musicals, lauter Prominente…«

Meine Freundin wußte nicht, ob sie lachen oder sauer reagieren sollte. Dann machte sie etwas ganz anderes. Sie öffnete meinen Gürtel.

»Ich habe noch jede Menge Überstunden, die ich abfeiern muß, Mark.«

»Heißt das, du willst mitkommen?« Sie hob den Po, damit ich den Reißverschluß an ihrem Rock herunterziehen konnte.

»Erraten, Einstein.« »Bist du denn für diese Begleiterrolle qualifiziert?« fragte ich

grinsend. »Das werde ich dir gleich zeigen…« Das tat sie wirklich. Sie umschlang mich mit ihren festen, aber

seidigen Gliedern. Gemeinsam stürzten wir in einen Strudel der Lust. Als wir uns Stunden später reichlich schlapp vom Sofa erhoben, war die Tischreservierung für das neue Restaurant längst verfallen. Aber zum Glück habe ich immer einen großen Spaghettivorrat im Haus.

Tessa sprang auf und drückte mir einen feuchten Schmatz auf den Mund. Dann schlug sie kreischend ein Rad. Wieder einmal bewunderte ich ihre Sportlichkeit.

»Ein Wochenende in Hamburg, Mark! Ganz ohne Höllengestalten! Ah, ich freue mich!«

Das tat ich auch. Doch Tessas Erwartungen wurden nicht erfüllt. Jedenfalls nicht in puncto Dämonenwelt.

* Hamburg ist die reichste Stadt Europas. Jedenfalls hatte ich das irgendwo mal gelesen. Als Tessa und ich

an diesem Freitagnachmittag das Foyer des Atlantic betraten, glaubte ich es sofort. Empfangen wurden wir von einem Portier mit Zylinder und einer Art Gehrock. Ein Page nahm von mir die Schlüssel meines BMW entgegen und fuhr ihn auf einen bewachten Parkplatz.

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Das Atlantic ist ein schneeweißes Gebäude aus dem 19. Jahrhundert…

»Herr Hellmann…?« Der Angestellte an der Rezeption wirkte so würdig, als wäre er mindestens ein Graf oder ein Baron. Zwischen seinen grauen Schläfen musterten seine blauen Augen mein Freizeit-Outfit. Ich hatte nicht auf meine gewohnten Jeans verzichtet. Immerhin hatte ich auf Tessas Drängen einen Kulturstrick für die eigentliche Preisverleihung eingepackt. Doch noch hatte ich mir die Krawatte nicht umgebunden.

Der Mann in der »Atlantic-Uniform« war viel zu wohlerzogen, um eine Bemerkung über mein Aussehen zu machen.

»Für Sie wurde reserviert und im voraus bezahlt«, stellte er nach einem Blick in seine Unterlagen fest. Letzteres fand ich beruhigend. Irgendwie hatte mich Tessa Argwohn angesteckt. Jedenfalls würde ich an den Preis erst glauben, wenn ich die Scheine in meiner Brieftasche hatte.

»Hier ist ein Brief für Sie, Herr Hellmann.« Der Angestellte übergab mir ein Schreiben mit dem Absender des Journalistenverbandes. Wieder konnte ich nicht warten und riß es sofort auf. Die Kollegen teilten mir mit freundlichen Worten mit, daß die Preisverleihung am Abend des nächsten Tages im Atlantic stattfinden würde. Also am Samstag.

»Der Page wird Sie zu Ihrer Suite begleiten. Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt in Hamburg.«

Ich schluckte trocken. An der Rezeption hatte ich nämlich eine Preisliste gesehen. Die Suiten waren megateuer. Bis knapp tausend Mark die Nacht.

Tessa war völlig aus dem Häuschen, während wir dem uniformierten Jungen durch die eleganten Gefilde des Hotels folgten. Meine Freundin sog die Eindrücke förmlich in sich auf.

»Ich will alles sehen!« tönte sie. »Die Köhlbrandbrücke, den Hafen, den Michel und…«

»…die Reeperbahn nachts um halb eins«, ergänzte ich. Sie knuffte mir scherzhaft in die Rippen. »Du Lüstling!« Als wir in unserer Suite angekommen waren, blieb uns beiden

die Spucke weg. Die mit besten Einzelstücken möblierte Suite – Schlafzimmer mit Büro und phantasievoller Badelandschaft – war größer als meine Wohnung in der Florian-Geyer-Straße. Aber dazu gehörte auch nicht viel. Die Panoramascheiben boten einen herrlichen Blick auf die blaue Alster mit den weißen Segelbooten.

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Für den Pagen war unsere Begeisterung nichts Ungewöhnliches. Er erlebte sie sicherlich jeden Tag.

»Das dort drüben ist die US-Botschaft!« Er zeigte auf ein weißes Gebäude. »Und dort links geht es zum Rathaus hinüber. Die Kunsthalle können Sie von hier aus leider nicht sehen. Aber…«

Ich unterbrach seinen Redeschwall mit einem 5-Mark-Stück, das ich ihm in die Hand drückte. Nach der langen Fahrt von Weimar aus war mir mehr nach Ruhe zumute. Aber da kannte ich Tessa schlecht.

»Jetzt erobern wir Hamburg, ja?« rief sie, nachdem wir unsere wenigen Sachen ausgepackt hatten. Also fügte ich mich.

Außerdem war da eine Unruhe in meinem Inneren. Sie hatte mich befallen, seit wir in dem 5-Sterne-Hotel angekommen waren. Etwas war nicht in Ordnung. Aber ich konnte nicht genau sagen, was.

Die Polizistin bemerkte nichts von meiner Stimmung. Mit einem kleinen Stadtplan bewaffnet zog sie mich förmlich hinunter auf die Straße. Zufrieden stemmte sie die Arme in die Hüften, als wir in den nahen Grünanlagen angekommen waren, die die Außenalster umschließen. Die Möwen kreisten über dem Wasser. Schwäne schwammen zwischen den dümpelnden Booten hin und her.

»Es ist so herrlich hier, Mark.« Ich hätte ihr nicht widersprechen können. Wäre da nicht dieses

unbestimmte Gefühl in meinem Inneren gewesen. Unauffällig schielte ich zu meinem Ring. Aber er zeigte keine magische Aktivität an, und deshalb sagte ich nichts. Ich wollte Tessa die Stimmung nicht verderben. Vielleicht bin ich ja auch nur von der Fahrt gerädert, sagte ich zu mir selbst. Aber ich wußte genau, daß ich mir etwas vormachte.

Hand in Hand gingen wir die Uferpromenade entlang. Zufrieden konnte ich feststellen, daß sich meine Freundin in ihrem leichten roten Sommerkleid vor all den hübschen Hamburgerinnen nicht zu verstecken brauchte. Ich war stolz auf Tessa.

Meine Unruhe verstärkte sich dennoch. Es war, als ob wir auf die Quelle des Unheils zugehen würden. Ich wollte es nicht wahrhaben. In diesem Moment hatte ich die Nase voll von allen übersinnlichen Schwierigkeiten. Konnte ich nicht ein einziges Mal mit meiner Freundin in einer schönen Stadt Spazierengehen? Verdammt noch mal!

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Ich ließ meine Blicke umherschweifen, um mich abzulenken. Wir kamen gerade an einem ehrwürdigen Gebäude vorbei, das laut Hinweisschild das »Literaturhaus« sein sollte.

Auf den Stufen hockte eine bemitleidenswerte Gestalt. Ein noch junger Mann in Uralt-Klamotten, mit verfilztem Bart und strähnigen Haaren. Um ihn herum leere Bierdosen. Gerade setzte er sich eine weitere an den Hals. Der arme Kerl tat mir leid.

Ich trat auf ihn zu und drückte ihm einen 10-Mark-Schein in die Hand. »Hier, Kumpel. Kauf dir mal was zu essen, okay?«

Der Verfilzte sah mich verständnislos an. Einige elegante Herrschaften, die gerade aus dem »Literaturhaus« kamen, protestierten.

»Was fällt Ihnen ein!« giftete mich eine Frau mit Designerbrille an.

»Wieso?« gab ich zurück. »Ich spende gern, wenn ich selbst was habe…«

»Das ist der berühmte Avantgarde-Dichter Konradius Mommsen!« ereiferte sie sich und deutete auf den Mann mit der Bierdose. »Er bringt sich gerade in Stimmung für die Lesung seiner neuesten Werke.«

»Bestimmt ein Kulturereignis der Extraklasse!« mischte sich Tessa ein und zog mich weg. Nachdem wir einige Schritte zurückgelegt hatten, schauten wir uns an und platzten gleichzeitig vor Lachen heraus.

»Du bist ein ungebildeter Flegel, Mark Hellmann«, zog mich meine Freundin auf. »Wie konntest du den berühmten Dichter mit einem Obdachlosen verwechseln?«

»Gib nicht so an!« konterte ich. »Ich wette, daß das Foto von Herrn Konradius Mommsen auch niemals auf den Seiten deiner Frauenzeitschriften…«

Den Rest des Satzes verschluckte ich, denn in diesem Moment stürzte ich in einen Strudel der Angst und Qualen…

* Plötzlich schien sich eine magische Trennscheibe zwischen mich

und den Rest der Welt zu schieben. Dort, wo eben noch Tessa und das frühsommerliche Hamburg gewesen waren, erschienen nun dunkle Gewitterwolken. Aber es war kein natürliches

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Phänomen wie Regen oder Sturm. Was hier mit mir passierte, war unheimlich.

Tessas Umrisse wurden immer blasser. Auch der Uferrand der Alster verschwamm. Wasser und Luft schienen eins zu werden. Gleichzeitig färbten sie sich düster.

Und dann waren da die Rufe. Zuerst leise. Aber sie wurden immer lauter. Sie verursachten mir körperliche Schmerzen. Ihre Traurigkeit war kein Gefühl, sondern fast mit Händen greifbar. Sie schnitt tief in mein Fleisch hinein.

Es mußte etwas geschehen. Mein Siegelring glomm auf angesichts der magischen Aktivität. Meinen Einsatzkoffer hatte ich in Weimar gelassen. In der sicheren Obhut meines Freundes Pit Langenbach, der mir als Hauptkommissar der Weimarer Polizei schon bei manchem Abenteuer beigestanden hat.

Ich mußte also mit bloßen Händen gegen die grauenvollen Mächte kämpfen. Zwar konnte ich mit meinem Ring Gegenstände in weißmagische Waffen verwandeln. Aber ich hatte buchstäblich nichts bei mir, was sich dafür eignen würde. Kein Messer. Keine Schere. Noch nicht mal einen verdammten Dosenöffner.

Die dunklen Mächte drohten meinen Körper zu durchdringen, ebenso meine Seele. Die Welt um mich herum hatte sich in einen Abgrund verwandelt. Eine Art Schlund, der mich zu verschlingen drohte.

Aber es war anders als in dem Poltergeist-Haus in Weimar. Hier fehlte der Angreifer. Was mit mir geschah, war nicht faßbar. Kein Dämon, der mir seine ekelhafte Fratze zukehrte.

Hier war eine Macht am Werk, die es auf mich abgesehen hatte. Die massive Traurigkeit rauschte in Wellen auf mich zu. Und jedes Mal wurde ich etwas schwächer.

Ich mußte die Gegenmacht des Guten stärken. Sonst wäre ich verloren. Ich wollte nicht wissen, was geschah, wenn ich mich in diesen Strudel fallen ließ. Und nicht mehr kämpfte. Die Düsternis durchdrang bereits meine Gedanken. Ich sah entsetzliche, unaussprechliche Dinge.

Da ließ ich mich auf die Knie fallen und faltete die Hände. Wie zum Gebet. Ich kniff die Augen fest zusammen und murmelte vor mich hin. Gedanken und Wünsche, von der Hoffnung getragen.

Bis ich spürte, daß wieder die Sonne am Himmel funkelte. Und neben mir stand Tessa. Ich schaute zu ihr hoch, denn noch kniete ich ja auf dem Kiesweg am Alsterufer. Die vorbeigehenden

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Passanten glotzten mich seltsam an. »Was ist passiert, Mark?« Meine Freundin weiß, daß ich sehr empfänglich bin für

übersinnliche Phänomene aller Art. In ihrem bleichen Gesicht war deshalb Besorgnis zu lesen.

Ich federte hoch. Abgesehen von leichten Kopfschmerzen ging es mir wieder gut. Aber das Erlebnis hatte mich ganz schön durchgeschüttelt.

»Da war etwas, Tessa. Etwas, das von mir Besitz ergreifen wollte.«

Auf ihren nackten Armen erschien eine Gänsehaut. Trotz der frühsommerlichen Wärme. Vorsichtig bewegte ich meine Hand mit dem Ring von links nach rechts. Was immer hier lauerte, es war noch da. Nur für den Moment zurückgedrängt durch meinen Willen und das »Gebet«.

Wir standen in der Nähe einer kleinen Brücke, die über einen Seitenarm der Alster führte. Hinter der Brücke verbreiterte sich der kleine Fluß zu einem Teich. Ich wandte mich an einen Grünpfleger, der in der Nähe mit einer Greifzange Müll von der Rasenfläche pickte.

»Wie heißt das hier, bitte?« Der Mann im Arbeitsoverall antwortete freundlich. »Das hier ist

der Feenteich.« »Feenteich? Woher kommt der Name?« wollte ich wissen. Der Grünpfleger massierte nachdenklich sein unrasiertes Kinn.

»Hier soll es mal eine Wasserfee gegeben haben. Die hat der Teufel geholt.« Vor vielen Jahren. Als die Stadtgrenze noch da hinten war. Und er deutete mit der Greifzange nach Norden. »Dort sind heute Parks. Wallanlagen heißen sie, weil dort früher die Stadtwälle waren, verstehen Sie?«

Ich bedankte mich. »Eine Wasserfee also«, sagte ich leise vor mich hin.

* Tessa schmollte. Ich konnte sie sogar verstehen. Sie hatte sich mit Händen und

Füßen geweigert, mich in die Staatsbibliothek zu begleiten. Auch ich hätte bei dem schönen Wetter lieber etwas anderes gemacht.

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Aber das Erlebnis am Feenteich hatte mich nicht wieder losgelassen.

Es gab ein dunkles Geheimnis dieses Ortes. Und das wollte ich unbedingt lösen. Ich glaube nicht an Zufälle. Schon als ich im Hotel Atlantic angekommen war, spürte ich dieses Unwohlsein. Und dann hatte mich unser Spaziergang dorthin geführt, wo mich die Macht des Unbekannten mit voller Wucht erwischt hatte.

Nur mich. Tessa hatte überhaupt nichts davon gespürt. Andere Leute

offenbar auch nicht. Also hatte ich in der Hamburgischen Staatsbibliothek nach

weiteren Informationen gesucht. Tessa hatte sich inzwischen im legendären Cafe »Alsterpavillon« mit einem riesigen Eisbecher getröstet.

»Hat das Wühlen in staubigen Wälzern Spaß gemacht?« fragte sie spitz.

Ich setzte mich zu ihr und bestellte einen Kaffee. »Ich bin heute nachmittag wohl in ein Gedankenfeld geraten«,

berichtete ich. Das war der beste Weg, um sie von ihrer schlechten Laune abzulenken. »Man nennt so etwas auch ‘Leichengeist’.«

»Leichengeist?« Die Polizistin klang gespannt. Immerhin. »Ja, Tessa. Der Begriff wurde von einem gewissen Mr.

Lethbridge erfunden. Das war ein Archäologe und Völkerkundler, der sich mit unerklärlichen Magnetfeldern beschäftigt hat.«

»Und was soll ‘Leichengeist’ bedeuten? Und Gedankenfeld?« »Beides meint dasselbe. Der gute Lethbridge verstand darunter

eine bestimmte Umgebung in der Nähe eines Wasserlaufs. Er hatte die Theorie, daß ein Wasserfeld menschliche Gefühle, Gedanken und sogar Bilder bewahren kann. Wenn so etwas auftritt, sprach er von Leichengeist oder Gedankenfeld. Ich glaube, daß ich dort am Feenteich auf so etwas gestoßen bin.«

Meine Freundin legte skeptisch die Stirn in Falten. »Okay, Sherlock Holmes. Aber wenn es dort so ein Gedankenfeld gibt – warum hat es nur dich befallen und nicht mich?«

Darauf hatte ich noch keine Antwort. »Vielleicht hängt es ja mit der Wasserfee zusammen, die dort

vom Teufel geholt worden sein soll. Der Grünpfleger hatte recht. Es gibt diese Legende. Ich habe in der Staatsbibliothek in alten Sagenbüchern gestöbert. Im Jahre 1348 soll der Leibhaftige ein

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junges Mädchen verwünscht haben. Aus Rache. Mehr konnte ich bis jetzt nicht erfahren.«

Nachdenklich spielte ich mit meinem Siegelring. Tessa schien meine Gedanken zu erraten. »Mark Hellmann!« rief sie erbost. »Wir wollten zusammen ein Wochenende in Hamburg

verbringen! Du mußt deinen Preis in Empfang nehmen! Wenn du jetzt eine Zeitreise…«

»Morgen abend kann ich bequem wieder zurück sein«, warf ich schnell ein. »Es ist nicht die erste Reise in die Vergangenheit, die ich mit dem Ring mache. Das weißt du. Auch aus eigener Erfahrung.«

»Das kann man wohl sagen«, seufzte sie. »Wenn ich an diese Skelettpiraten unter Kapitän van den Duiwel denke, die mich entführt haben!«

Wir schwiegen beide. Ich war sicher, daß Tessa, ebenso wie ich, noch einmal die Zeitreise-Abenteuer im Geist erlebte, die wir schon bestanden hatten.

Endlich sagte sie: »Also gut, Mark. Ich kenne dich doch. Du mußt dieses Geheimnis lösen. Vorher gibst du keine Ruhe. Also – in Gottes Namen!«

* In unserer Suite im Hotel Atlantic trafen wir die nötigen

Vorbereitungen. Ich zog mich aus, denn auf meinen Zeitreisen kann ich außer dem Ring selber nichts mitnehmen. Weder auf der Hin- noch auf der Rückfahrt. Meine Sachen zog ich aus und legte sie ordentlich zusammen, weil ich sie für den Empfang ja noch brauchte. Zog ich mich vor einer Zeitreise nicht aus, dann lagen meine Klamotten kurz nach dem »Abflug« in einem wirren Knäuel herum. In Tessas Augen glomm es bei meinen Strip auf. Die Verlockung, jetzt hier bei ihr in diesem 5-Sterne-Hotel zu bleiben, war verdammt groß. Aber meine Ruhelosigkeit trieb mich weiter.

Ich drückte den Siegelring leicht gegen das siebenzackige, blau-rotgoldene Muttermal auf meiner Brust. Ein überirdisch strahlendes Licht erfüllte den Raum. Ein kurzer Stich in meinem Oberkörper. Und dann strahlte ein laserartig gebündeltes Licht aus dem Ring, der permanent leuchtete.

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Mit dem Lichtstrahl schrieb ich das keltische Wort für »Reise« auf den steinernen Boden vor dem Kamin unserer Suite. Zum Glück beherrsche ich alle Runen-Buchstaben des sogenannten Futhark-Alphabets. Dadurch kann ich die Kräfte meines Rings vollständig benutzen.

Das Zimmer, das Hotel, die Stadt waren plötzlich verschwunden, als hätten sie nie existiert. Ich fiel in den Zeittunnel hinein. Wieder einmal wurde mir klar, wie kurz und vergänglich unser Leben war. Es war ein Wahnsinn, wenn man darüber nachdachte.

Licht explodierte in meinem Kopf, heller als jede Sonne. Klänge wie von himmlischen Harfen tönten in den Räumen, durch die ich stürzte. Es ging so schnell, daß ich überhaupt nichts Bestimmtes erkennen konnte. Die Schallgeschwindigkeit mußte ein wahres Schneckentempo gegen die Raserei sein, mit der ich ins Jahr 1348 zurückstürzte.

Meine Gedanken hatte ich ganz auf das Ankunftsjahr konzentriert. Das Jahr, in dem der Legende nach der Teufel diese Wasserfee verflucht haben sollte. Würde ich wieder einmal gegen meinen Erzfeind Mephisto kämpfen müssen? Wenn ja, dann sah ich der Herausforderung ins Auge.

Oder steckte er hinter der ganzen Geschichte? Hatte er mich in eine Falle gelockt?

Danach sah es ganz und gar nicht aus. Denn als ich endlich ankam, landete ich nicht zwischen Höllengestein und feurigen Schwefelschwaden. Sondern im flachen Wasser!

Prustend kam ich wieder hoch. Und mußte zu meiner Erleichterung feststellen, daß die kühlen Fluten nur knietief waren. Zeitreisen sind nämlich sehr kräftezehrend. Ich hätte jetzt keinen Schwimmrekord aufstellen können.

Ich sah mich um. Dies konnte die Alster sein, wenn auch zu einer anderen Zeit. Denn die vornehmen Patrizierhäuser und Villen waren noch lange nicht gebaut worden. An den Ufern gab es auch keine gepflegten Parkanlagen. Sondern Unterholz und teilweise dichte Bewaldung.

Die Stadt Hamburg konnte ich trotzdem erkennen. Sie lag am Horizont, direkt an der Elbe. Und war viel kleiner als im Jahre 1998. Trotzdem wußte ich, daß sie es sein mußte. Wie alle mittelalterlichen Städte war sie von einer Burgmauer umgeben, die zum Schutz gegen Überfälle diente. Es ragten zwei Kirchtürme

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empor, die mir entfernt bekannt vorkamen. Es mußten St. Petri und St. Jakobi sein, die zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert gebaut worden waren. Das Wahrzeichen Hamburgs, der berühmte »Michel« am Hafen, St. Michaelis also, wurde erst im 18. Jahrhundert gebaut.

Doch im Moment wurde meine Aufmerksamkeit von den Kirchenbauten abgelenkt.

»Hilfe! Mörder!« gellte ein Verzweiflungsschrei aus der Uferböschung. Obwohl ich noch reichlich angeschlagen war, machte ich mich sofort auf die nicht vorhandenen Socken. Denn ich war ja immer noch splitternackt.

Das Wasser spritzte hoch, als ich mit langen Sätzen in Richtung des Hilfegeschreis sprang. Schon war ich am Ufer angekommen. Ich mußte nur noch wenige Meter durch das Unterholz zurücklegen. Dann sah ich, was los war.

Ein dicker Mann saß auf seinem Pferd. Seine Kleidung wies ihn als einen reichen Kaufherrn aus. Seine Wurstfinger waren mit protzigen Ringen verziert. Er rieb sie voller Freude gegeneinander. Und beobachtete, wie einige andere Männer einem Kerl mit Schellenkappe auf dem Kopf die Oberbekleidung herunterrissen.

Sie hielten ihn fest, während einer von ihnen mit einem Stock ausholte.

»Nun wirst du sehen, daß auch ich zu scherzen verstehe!« rief der Dicke auf Niederdeutsch. Ich konnte ihn problemlos verstehen. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten meines Rings, daß er mich die Sprache der jeweiligen Zeit verstehen und sprechen läßt. Trotzdem mußte ich mich konzentrieren. »Wenn meine Diener mit dir fertig sind, wirst du ein Jahr nicht mehr auf deinem Hintern sitzen können.«

»Halt!« Ich sprang aus dem Gebüsch hervor. Wenn ich etwas hasse, dann ist es Gewalt gegen einen Wehrlosen. Und es war klar, daß sich der Bursche mit der lustigen Schellenkappe nicht gegen die vier Männer wehren konnte, die ihn niederhielten.

»Ihr Feiglinge! Laßt ihn los!« donnerte ich. Der Diener mit dem Stock bekam das große Schlottern: »Ein

Riese! Weh uns! Wir sind verloren!« Wie ich so pudelnackt und mit meiner stattlichen Größe von

einsneunzig aus dem Gebüsch gestürmt war, mußte ich wirklich bedrohlich wirken. Damals waren die Menschen durchschnittlich

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viel kleiner als heute. Und Geschichten über Zwerge, Hexen, Feen, Trolle und eben auch Riesen kannte jeder. Sie wurden von niemandem angezweifelt.

Doch bevor die Panik des Stockschwingers auf seine Kameraden übergreifen konnte, mischte sich der Dicke ein.

»Ihr Narren! Seht ihr nicht, daß das ein dahergelaufener Bettler ist? Der hat ja noch nicht mal ein Hemd auf dem Leib! – Die Züchtigung findet statt!«

»Das wollen wir doch mal sehen!« protestierte ich indirekt. Der Diener mit dem Stock kämpfte innerlich mit sich. Schließlich

siegte doch die Angst vor seinem Herrn. Er hob sein Instrument, um es auf den nackten Rücken des Narren niedersausen zu lassen.

Ich fiel ihm in den Arm und packte sein Handgelenk. Mein Griff war nicht besonders fest. Trotzdem schrie er vor Schmerzen auf und ließ den Stock fallen. Mein jahrelanges Kampfsporttraining machte sich wieder einmal bezahlt.

»Ergreift den Hurensohn!« kommandierte der reiche Kaufherr auf seinem Pferd.

Die anderen vier Diener ließen den Burschen mit der Schellenkappe los und stürzten sich auf mich. Sie waren gekleidet wie die meisten armen Leute im Mittelalter. Mit einem groben Wams, das mit einem Gürtel zusammengehalten wurde. Dazu vielfach geflickte Beinkleider. Und Schuhe, aus denen mindestens zwei bis drei Zehen hervorlugten.

Ich ging wie ein Boxer in Abwehrstellung. Die Männer handelten nur auf Befehl des Dicken. Aber ich hatte trotzdem keine Lust, mich zusammenschlagen zu lassen.

Der erste ging mit den Fäusten auf mich los. Ich wich aus und schlug einen schnellen Konter auf seine Nase. Er fiel um wie ein Mehlsack. Die anderen versuchten mich einzukreisen. Einer wollte mir von hinten die Arme festhalten. Das bekam ihm schlecht. Mit einem Judo-Schulterwurf ließ ich ihn über meinen Rücken gleiten. Er fiel seinen Kameraden förmlich in die Arme.

»Ist das alles, was ihr könnt, ihr Schwächlinge?« wütete der dicke Kaufherr. »Ich lasse euch alle auspeitschen!«

Die Speckqualle ging mir wirklich auf die Nerven. Mit ihm würde ich mich noch genauer beschäftigen müssen. Aber zunächst mußte ich dem Stock ausweichen. Pfeifend sauste er durch die Luft. Auf meinen Kopf gerichtet. Im letzten Moment konnte ich

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ausweichen. Ich winkelte das Bein an und kickte dem Mann mit dem Schlaginstrument in die Knie.

Nun kamen die Diener von rechts und links gleichzeitig. Ich drehte mich um, breitete die Arme aus wie zu einem Segen. Dann kantete ich meine beiden Unterarme gleichzeitig gegen ihre Schädel. Durch die Wucht des Aufpralls gingen zwei Mann auf einmal zu Boden.

Der mit dem Stock griff wieder an. Nun reichte es mir. Ich wehrte den Holzprügel mit links ab. Während dadurch sein rechter Arm blockiert war, ließ ich meine rechte Faust mehrmals in sein Gesicht donnern. Dann hatte er genug.

Ich entriß ihm den Stock und zerbrach ihn in zwei Teile. Schleuderte sie in die Richtung des berittenen Kaufherrn.

»Nun zu uns…« grollte ich. Der Dicke erbleichte. Aber dann wurde ihm klar, daß ich keine

Waffe hatte. Im Gegensatz zu ihm selbst. Er zog sein Schwert und ließ das Pferd antraben. Ich wich zur Seite aus, als er angriff. Da stolperte ich über eine Baumwurzel. Triumphierend ließ er die Klinge niedersausen. Zum Glück traf sie mich nur mit der flachen Seite. Durch die kräftezehrende Zeitreise war ich jedoch nicht so fit, wie man es von einem begeisterten Sportler erwarten kann, und deshalb nahm mich der Treffer ganz schön mit.

Doch da kam mir der Zufall zu Hilfe. Als ich zu Boden ging, fiel ich auf einen Ast. Sofort bemerkte ich, daß dieses Stück Holz lang und dick genug war, um damit ein Schwert parieren zu können. An einer Stelle war es angekohlt. Wahrscheinlich hatte es ein Blitzschlag von einer der riesigen Eichen abgetrennt, die hier wuchsen. Hauptsache, ich konnte mich wehren.

Denn da griff der Dicke schon wieder an! Ich hebelte ihm das Schwert aus der Hand, als er damit

zuschlagen wollte. Gleichzeitig drehte ich den langen Ast um und bohrte ihm die andere Seite in seinen Wanst. Der Kaufherr blökte los, als ob ich einen Schweizer Käse aus ihm machen wollte. Aber ich hatte nicht vorgehabt, ihn ernsthaft zu verletzen. Das wäre mit meiner Attacke auch gar nicht möglich gewesen. Es reichte mir, ihn und sein Gefolge zu vertreiben.

Und genau das schien mir gelungen zu sein. Er gab dem Pferd die Sporen. Ließ sogar sein Schwert zurück.

Als der Abstand zwischen ihm und mir genügend groß war, drehte er sich schnaufend im Sattel um und schüttelte drohend die

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Faust: »Wir sprechen uns noch! Mit Erhart Waldheim legt sich niemand ungestraft an! Kein Narr und auch kein nackter Riese!«

Mit diesen Worten galoppierte er davon. Seine angeschlagene Dienerschaft lief zu Fuß hinter ihm her.

Ich holte tief Atem. Dann wanderte mein Blick hinüber zu dem Mann mit der Schellenkappe. Er saß immer noch dort auf dem Boden, wo ihn seine Peiniger hatten fallen lassen. Nur sein Wams hatte er inzwischen wieder übergestreift.

Und er grinste mich an. »Hab Dank für die Rettung, edler Riese!« schnarrte er mit lustig

klingender Stimme. »Da ich beim Kämpfen sowieso über die eigenen Füße stolpere, habe ich alle Arbeit dir überlassen. Das tu ich sowieso am liebsten – die Arbeit anderen überlassen…«

Ich lachte und nahm ihn näher in Augenschein. Der Bursche mit der Schellenkappe war klein und drahtig. Aus seinem Gesicht ragte eine große Nase, die ihn unverwechselbar machte. Auf keinen Fall durfte man ihn für dumm halten oder unterschätzen. Seinen aufmerksamen Augen schien nichts zu entgehen.

»Was wollten die Kerle denn von dir?« fragte ich. Er wieherte los. »Eins, zwei, drei – ein kleiner Streich. Der dicke

Erhart Waldheim war schon lange fällig. Ich habe bei Bremen in einer Herberge gearbeitet. Da wollte er, daß ich seine Stiefel putze. Nicht so lahm, du Faulpelz! sagte er zu mir. Außerdem mußt du das Leder mit deinem Körpersaft pflegen! Das habe ich mir zu Herzen genommen. Und ihm in seine Stiefel gepinkelt!«

Nun mußte auch ich grinsen. »Leider habe ich den dicken Kaufherrn hier wieder getroffen.

Und es wäre mir übel bekommen, wenn du mir nicht beigesprungen wärst. Hast du auch einen Namen, nackter Riese?«

»Ich bin kein Riese. Ich heiße Mark Hellmann und komme aus Thüringen. Die Stadt Hamburg ist mein Ziel.«

»Dann können wir ja zusammen gehen, mein Freund. Mein Name ist übrigens Till Eulenspiegel.«

* Und das paßte dem Höllenherrscher überhaupt nicht. »Hellmann!« brüllte der Mega-Dämon, während lodernde

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Flammen aus seinen Nasenlöchern leckten. Der Schwefelgestank um ihn herum war selbst für Unterwelt-Verhältnisse fast unerträglich. »Wenn du mir ins Handwerk pfuschen willst, dann…«

Mephisto hatte seine Diener und Kreaturen überall. In jeder Zeit hielten sie Augen und Ohren offen, um ihrem bösen Meister Informationen zu liefern. Wenn eines dieser höllischen Wesen etwas Verdächtiges bemerkte, nahm es sofort durch eine Art Telepathie Kontakt mit dem Höllenfürsten auf. Daher erfuhr der Mega-Dämon so schnell von Hellmanns Ankunft im Jahr 1348. Ein Todestroll im Unterholz am Alsterufer hatte den »Kämpfer des Rings« entdeckt.

Und nun hatte Mephisto geistigen Kontakt mit seiner Kreatur aufgenommen. Die Augen des Trolls waren nun wie Kameras für den Höllenherrscher. Zitternd vor Wut sah er, wie Hellmann die Diener des Kaufherrn vertrieb. Sich mit dem Narren anfreundete. Und von diesem sogar noch Kleider geschenkt bekam!

»Geh nur nach Hamburg, Mark Hellmann!« sagte Mephisto mehr zu sich selbst. »Aber du wirst mich nicht davon abhalten, meine Glocke gießen zu lassen. Du nicht!«

* Mephisto tobte. Obwohl er sich gerade in den tiefsten Abgründen seiner

höllischen Heimat befand, entging ihm so schnell nichts. Trotzdem hatte er nicht verhindern können, daß Mark Hellmann ins Jahr 1348 gereist war.

Till Eulenspiegel! Es hatte ihn also wirklich gegeben, den berühmtesten Narren

und Schalk der deutschen Geschichte. Im Jahre 1348 stand er leibhaftig vor mir. Ich kramte in meinem Gedächtnis. Was wußte ich über ihn?

Im Jahre 1510 war erstmals ein Volksbuch über ihn erschienen. Die Kunst des Buchdrucks war damals noch sehr jung. Und die meisten Menschen konnten nach wie vor nicht lesen und schreiben. Die Legenden über ihn wurden aber wohl schon seit Jahrhunderten von Mund zu Ohr weitergegeben. Hunderte von Geschichten waren im Umlauf. Viele wurden später in

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Eulenspiegel-Büchern festgehalten. Aber einige waren vielleicht auch für immer verlorengegangen.

Eulenspiegel war der geborene Schelm. Er zog durch die Lande und heuerte in allerlei Berufen an. Alt wurde er an keinem Ort. Immer legte er sich mit den Reichen und Mächtigen an. Und seine Waffe war ebenso scharf wie unschlagbar. Denn seine Waffe war der Witz.

»He, Mark! Träumst du von einer nackten Nixe dort auf dem Grund der Elbe?«

Eulenspiegels Worte rissen mich aus meinen Gedanken. Ich schaute in sein grinsendes Gesicht unter der Schellenkappe.

»Nein, Till. Aber ich weiß, daß du ein berühmter Mann bist. Überall erzählt man sich von deinen Streichen.«

»Papperlapapp!« Er schlug einen Purzelbaum und lachte meckernd. »Davon werde ich nicht satt. Aber ich habe wenigstens ein Hemd auf dem Hintern. Im Gegensatz zu dir.«

»Ja, ich habe in der Alster gebadet«, log ich. »Und jemand hat mir meine Kleider geklaut – oder ins Wasser geschmissen.«

Ich konnte ihm ja schlecht sagen, daß ich per Zeitreise aus dem Jahr 1998 gekommen war. Obwohl man im Mittelalter eine solche Geschichte wohl noch eher geglaubt hätte als zu meiner Zeit. Trotzdem wollte ich nicht mehr Aufsehen erregen als unbedingt nötig. Mich interessierte vor allem das Rätsel um die Wasserfee.

»Papperlapapp!« Das schien Eulenspiegels Lieblingswort zu sein. »Du hast mir geholfen, nun hilft Eulenspiegel dir. Ohne Kleider bin ich selbst auch schon oft genug gewesen. Wenn du wüßtest…«

Er griff nach einem abgewetzten Reisesack, der neben ihm auf dem Boden lag. Dann zog er eine Hose und ein löcheriges Hemd heraus. Und einen Strick als Gürtel.

»Das ist für dich, Mark Hellmann. Wollen wir hoffen, daß die Kleider einem Riesen passen. Zu einem zweiten Paar Schuhe habe ich es noch nicht gebracht. So reich wird Eulenspiegel wohl nie werden.«

Ich zwängte mich in die Hose. Zum Glück nahm man es im Mittelalter mit den Konfektionsgrößen nicht so genau. Und »Schlabberlook« war wohl schon damals in Mode. Jedenfalls paßten die Sachen. Wenn das Hemd auch etwas um die Schultern spannte.

Ich band mir noch den Strick um die Hüften und war perfekt

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ausstaffiert. Fehlte nur noch das Schwert von Erhart Waldheim, das er bei seiner eiligen Abreise verloren hatte. Ich bückte mich danach. Eine innere Stimme sagte mir, daß ich es bald brauchen würde.

Die Stimme behielt recht. Wie aus heiterem Himmel sprang mir eine kreischende Bestie

ins Genick!

* Till Eulenspiegels Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er riß den

Mund weit auf. Ich konnte die verfluchte Kreatur nicht sehen, weil sie in meinem Nacken saß. Und mir ihre messerscharfen Zähne ins Fleisch schlug.

Das Biest hatte mich kalt erwischt. Nun bemerkte ich, wie mein Ring wild aufglühend dämonische Aktivität anzeigte. Das konnte ich mir denken. Mir fiel kein Kleintier ein, das so plötzlich Menschen angreifen würde. Selbst Ratten mußten schon sehr ausgehungert sein, bevor sie das wagten.

Und es war keine Ratte, die ich am Hals hatte. Im wahrsten Sinne des Wortes. Solche irrsinnigen Laute stieß kein Nagetier aus. Die höllischen Gestankwolken konnten ebenfalls nur von einer dämonischen Kreatur stammen.

Meine rechte Faust umklammerte den Griff des Schwerts. Und dann hieb ich auf meinen unsichtbaren Gegner ein. Ich spürte, wie meine Klinge auf seinen schwarzmagischen Körper traf. Dämonenblut färbte das Metall schwarz. Wieder und wieder senkte sich die blanke Waffe in den kleinen Körper. Ein Erfolg blieb aus. Kein Wunder. Wenn ich es mit einem Höllenwesen zu tun hatte, half mir ein normales weltliches Schwert herzlich wenig.

Die Zähne der Kreatur drangen tief in meinen Körper. Ich spürte, wie meine Kraft nachließ. Schon kippte ich nach vorne. Auf die Knie. Das Biest ließ ein widerwärtiges Triumphheulen hören. Es klang, als ob jemandem bei lebendigem Leib die Haut abgezogen wurde.

Vor meinen Augen tanzten rote Kreise. Da löste sich Till Eulenspiegel aus seiner Erstarrung. Ich sah,

wie er ein christliches Kreuz in der Hand hielt. Es hing an einer

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massiven Metallkette. Er mußte es bisher um den Hals getragen haben. Daher hatte ich es nicht bemerkt. Und um den Hals schlang er es wieder.

Aber um den Hals des Höllenwesens! Jedenfalls dachte ich das, nachdem ich die erstickten Geräusche

aus dem Schlund des Biestes hörte. Ich konnte noch nichts erkennen, weil sich alles hinter meinem Rücken abspielte. Aber gleich darauf spürte ich noch mehr. Die Kreatur ließ meinen Körper los. Ich ließ mich nach vorne wegsacken. Mein Genick war zwar lädiert, aber der Schmerz ließ sich aushalten. Ich wirbelte herum.

Und sah, wie der tapfere kleine Till Eulenspiegel gegen einen Höllentroll kämpfte!

Der Spaßmacher hatte wirklich die Kette seines Kreuzes um den Hals des Teufelswesens geschlungen. Und zog sie unbarmherzig enger. Das Biest wehrte sich mit Vorder- und Hinterkrallen. Denn als Hände und Füße konnte man das wirklich nicht bezeichnen.

Ein Teufelstroll ist ungefähr drei Fuß hoch und hat ein kurzes, schwarzes und stinkendes Fell. Die Augen sind klein und leuchten dunkelrot. Diese dämonischen Wesen leben unter der Erde und in tiefen Wäldern. Ich wußte nicht, warum sich dieser in die Auenlandschaft der Alster verirrt hatte. Gut möglich, daß mein Erzfeind Mephisto dahintersteckte.

Darüber würde ich mir später Gedanken machen. Zuerst mußte ich Till Eulenspiegel helfen, die untote Existenz dieses Wesens zu beenden.

Okay, ich hatte nach wie vor keine weißmagische Waffe. Aber mein Ring konnte mir zu einer solchen verhelfen. Zügig, aber ohne Hast, aktivierte ich wieder meinen geheimnisvollen Siegelring an meinem Muttermal. Als der konzentrierte Strahl aus dem Silber hervorbrach, schrieb ich damit das keltische Wort für »Waffe« auf das Schwert von Erhart Waldheim.

Ich konnte förmlich spüren, wie sich das Metall mit weißmagischen Kräften auflud. Keinen Moment zu früh. Denn Eulenspiegel zog allmählich den kürzeren. Seine Unterarme waren bedeckt von den tiefen Kratzern der Satanskrallen. Lange würde er den Teufelstroll nicht mehr festhalten können.

»Zur Seite, Till!« Der Mann mit der Schellenkappe verstand sofort, was ich

vorhatte. Er brachte sich mit einem Purzelbaum rückwärts in

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Sicherheit. Ich schwang das Schwert mit beiden Händen. Mit einem einzigen Streich schlug ich dem Teufelstroll den Kopf

ab! Die untote Existenz verging innerhalb von Augenblicken. Bald

deutete nur noch eine stinkende, schwarze Masse auf das Entsetzen hin, das hier soeben getobt hatte.

Eulenspiegel starrte mich bewundernd an. »Du bist ein Zauberer, Mark!«

»Das nicht. Aber ich weiß, wie man dem Bösen beikommen kann. Dir scheint die Macht des Kreuzes ja auch nicht unbekannt zu sein.«

»Eulenspiegel überlebt!« rief Till lachend und schlug schon wieder einen Purzelbaum. »Dafür kennt er jede Menge Tricks. Und er weiß auch Rat, was unsere Kratzer angeht!«

Mit diesen Worten griff der Schelm wieder in seinen Reisesack. Und holte einige Hände voll mit seltsam duftenden Kräutern heraus. Die blutenden Wunden auf meiner Schulter waren deutlich mehr als Kratzer. Aber es war eben Eulenspiegels Art, die Dinge komisch zu sehen.

Emsig machte der Schelm ein Feuer, holte Wasser aus der Alster und kochte in einem kleinen Kessel aus den Kräutern einen pappigen Brei. Diesen schmierte er sowohl auf meine Schultern als auch auf seine eigenen Unterarme, die ja ebenfalls verletzt waren. Das Zeug stank fürchterlich. Aber es linderte die Schmerzen. Schließlich verband mich der Narr mit einem Lumpen, der nicht gerade hygienisch aussah.

Zu Lebzeiten von Till Eulenspiegel kannten viele Menschen die Heilkräfte der Natur, die Wirkungen von Pflanzen auf Körper und Geist. Es gab ja kaum Ärzte, die einem irgendwelche Pülverchen verschrieben hätten. Und wenn, dann wären sie für die meisten Leute viel zu teuer gewesen.

Als wir unsere Wunden versorgt hatten, lachte der Mann mit der Schelmenkappe meckernd und schlug schon wieder einen Purzelbaum. »Nun aber los, Mark Hellmann aus Thüringen! Die Mädchen und die Schänken von Hamburg warten auf uns!«

* Melchior Hansen, der Glockengießer, schuftete hart.

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Wie zu seiner Zeit üblich, lebte er mit seiner Schwester und den Zwillingen im Haus seines Meisters. Als Geselle hatte er keine eigene Wohnung. Das hätte er sich von seinem kargen Lohn auch gar nicht leisten können. Ein großer Teil seiner Einnahmen bestand sowieso aus Kost und Logis. Davon wurde die Brotsuppe in der Küche des Meisters zwar auch nicht dicker. Aber was konnte er schon machen?

Zusammen mit einem zweiten Gesellen und einem Lehrling machte er sich an diesem Morgen daran, die Lehmform für eine neue Glocke anzufertigen. In diese Form würde später das flüssige Metall gegossen werden, aus dem das Instrument bestand. Eine Legierung aus achtzig Prozent Kupfer und zwanzig Prozent Zinn. Melchior hatte ein goldenes Händchen für die richtige Zusammensetzung. Sein Meister wußte, was er an ihm hatte. Deshalb wollte er ja auch mit allen Mitteln verhindern, daß der junge Mann seinerseits Meister wurde. Und ihm Konkurrenz machte.

Der Schweiß lief den Männern und dem Jungen in Strömen herunter, als sie sich mit ihren Holzspateln an dem Lehm zu schaffen machten. Die sommerliche Hitze ließ das Material schnell spröde und zu trocken werden.

»Mittagessen!« Die Stimme der Meistersfrau gellte durch die Werkstatt. Das ließen sich die Handwerker nicht zweimal sagen. Der andere Geselle und der Lehrling lieferten sich ein Wettrennen, um die besten Kellen aus dem riesigen Grützetopf zu ergattern. Die Kellen, die wenig Brühe und viel Gemüse enthielten. Mit viel Glück sogar ein Stückchen Fleisch.

An anderen Tagen wäre Melchior ebenfalls sofort Richtung Küche entschwunden. Aber heute blieb er noch in der Werkstatt. Trotzdem war er nicht allein.

Denn in einer Ecke war aus dem Nichts plötzlich der fremde Herr aufgetaucht. Jene Gestalt, die man auch unter dem Namen Mephisto kannte.

»Fleißig, fleißig, Meister Melchior!« lobte der Höllenfürst mit einem wahrhaft teuflischen Grinsen.

Der Geselle wischte sich mit dem Ärmel seines Wams den Schweiß von der Stirn. Mit einigen scheuen Blicken vergewisserte er sich, daß niemand in der Nähe war.

»Behaltet euren Spott, hoher Herr! Von euren Versprechen kann ich mir nichts kaufen. Und schon gar nicht Meister werden!«

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Mephisto grinste. Er hatte eine gemeine Freude daran, mit seinem Opfer zu spielen.

»Warum so böse, Meister Melchior? Ich bin gekommen, um einen ersten Vorschuß zu leisten!«

Mit diesen Worten warf er ein Ledersäckchen hinunter zu dem Gesellen, der über und über mit Lehm beschmiert war. Geschickt fing Melchior Hansen den Beutel auf. Seine Finger zerrten an dem Band – und er erbleichte.

Mindestens fünfzig blanke Goldstücke mußte dieser kleine Schatz umfassen. Für einen Handwerksgesellen wie Melchior war das unermeßlich viel Geld. Es war mehr als genug, um das ganze Haus samt Werkstatt zu kaufen, in dem er lebte. In Samt und Seide würde er seine Schwester Magda kleiden können! Dem jungen Mann brach der Schweiß aus. Er sah, wie seine Hände zitterten. Bisher war ihm alles so unwirklich vorgekommen. Aber nun wurde ihm klar, daß es ernst wurde. Daß der Teufel nun auch eine Gegenleistung von ihm fordern würde.

Es war, als ob Mephisto seine Gedanken gelesen hätte. »Schon morgen gibt es einen neuen Auftrag für deinen Meister.

Eine große Glocke aus Bronze. Aber herstellen wirst du sie ganz allein. Dafür habe ich gesorgt.«

Melchiors Fachwissen sträubte sich gegen diese Ankündigung. »Das – geht nicht! Ein Mann allein kann eine solche Glocke nicht

gießen! Man muß die obere Öffnung nach dem Gießen mit Lehm schließen, aber gleichzeitig das Hängeeisen absenken, um…«

Mit einer barschen Handbewegung brachte ihn der Höllenfürst zum Schweigen. Details interessierten ihn nicht. Ihm kam es nur auf die Glocke an. Und auf die teuflischen Ziele, die er damit verfolgte.

»Seid unbesorgt, Meister! Ihr habt das Wissen. Das reicht mir. Für die Handlangerarbeiten werde ich euch Helfer zur Verfügung stellen…«

Wenn auch keine Menschen, fügte er im Geist hinzu. Aber vorher muß ich noch Mark Hellmann beseitigen.

* Till Eulenspiegel und ich betraten Hamburg durch das Dammtor.

Dort führte zu jener Zeit ein Damm über die Alster. Seit dem

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Anfang des 20. Jahrhundert befand sich an derselben Stelle der Dammtor-Bahnhof, einer der vier Fernbahnhöfe der Freien und Hansestadt. Man brauchte schon eine Menge Fantasie, um sich 1348 vorzustellen, wie es hier einmal aussehen würde.

Die Häuser waren schmal und standen dicht beisammen. Der Unrat wurde direkt auf die Gassen gekippt, wie im Mittelalter üblich. Entsprechend war die Geruchsbelästigung. Und Sauberkeit war damals noch ein Fremdwort. Ich würde wirklich aufpassen müssen, damit ich mir keine ansteckende Krankheit einfing.

Das mittelalterliche Hamburg war mir vertraut. Allerdings hatte ich es in unguter Erinnerung. Auf dem Grasbrook vor den Toren der Stadt wäre ich im Jahre 1401 beinahe hingerichtet worden, nachdem ich bei Klaus Störtebekers angeheuert hatte. (Siehe MH10, Ich war Störtebekers Maat). In letzter Minute war ich davongekommen. Aber meine Kameraden, die Liekedeeler, hatten trotzdem dran glauben müssen. Deshalb sah ich die Stadt mit gemischten Gefühlen.

Eulenspiegel bahnte sich neben mir einen Weg durch die Menschenmenge. Bettler hockten vor den Häusern und streckten uns ihre mageren Arme entgegen. Straßenhändler priesen Brot und frisches Obst an. Es war ja Frühsommer. Die Jahreszeit hatte sich durch den Zeitsprung nicht verändert.

»Eulenspiegel ist schon halb verdurstet, Freund«, sprach mich der Spaßmacher an. »Ein feines Bierchen wird uns munden. Oder trinkt mein Kamerad Mark nur Alsterwasser?«

Ich mußte grinsen. Im 20. Jahrhundert versteht man unter Alsterwasser bekanntlich ein Gemisch aus Bier und Zitronensprudel. Aber das konnte ich ja Eulenspiegel nicht sagen. Sonst hätte ich ihm auch erklären müssen, was Zitronenlimonade ist. Und das hätte zu weit geführt.

Auf jeden Fall stimmte ich seinem Vorschlag zu. Erstens hatte ich selber Durst. Und zweitens hoffte ich, in einer Schenke Informationen über die geheimnisvolle Wasserfee zu bekommen, wegen der ich ja hier war.

»Ich bin dabei, Till. Aber was ist mit dem Geld? Ich habe keinen roten Heller, wie du dir denken kannst.«

»Papperlapapp!« Eulenspiegel ließ einige Münzen in seiner Hosentasche klimpern. »Solange dieser Narr hier noch bezahlen kann, bist du eingeladen. Und wenn sich mein Geld verabschiedet hat, dann ist eben wieder ein Streich fällig!«

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* Mephisto sah Mark Hellmann und Till Eulenspiegel in einer

Wirtschaft verschwinden. Der Mega-Dämon rieb zufrieden seine schwarzen Klauen gegeneinander, die sich unter den Samthandschuhen verbargen. Mit weitem Abstand war er dem »Kämpfer des Rings« gefolgt. Denn er wußte inzwischen, daß Hellmann mit diesem verfluchten Ring dämonische Aktivität erkennen konnte. Er, Mephisto, konnte diese Funktion des Schmuckstücks zwar zeitweise außer Kraft setzen. Aber der Höllenfürst wollte trotzdem kein unnötiges Risiko eingehen.

Denn sein Plan stand. Und da kam auch schon der Mann, auf den er gewartet hatte. Knut Rasmus. Der Kapitän eines Handelsseglers sah aus, als ob

ihm eine ganze Schiffsladung von Läusen über die Leber gelaufen wäre. Auf seiner letzten Fahrt von Trondheim nach Hamburg hatte er fünf Matrosen verloren. Zwei waren im Sturm über Bord gegangen, einer war im Streit mit dem Messer erstochen worden und die letzten beiden hatte ein umstürzender Mastbaum erledigt.

Mit anderen Worten: Knut Rasmus brauchte neue Matrosen. Aber das war nicht einfach. Obwohl Hansestädte wie Hamburg vom Seehandel lebten, war Seemann zu dieser Zeit alles andere als ein beliebter Beruf. Mies bezahlt, gefährlich und für viele absolut tödlich. Kein Wunder, daß Kapitäne wie Rasmus zu solchen Mitteln wie dem Matrosenpressen griffen.

Mephisto fand das gut. Ihm gefielen alle bösen Aktivitäten auf der Welt. Und deshalb wollte er Knut Rasmus auch unterstützen. Natürlich nicht uneigennützig.

Mit sorgendurchfurchter Stirn wollte der Kapitän mit seinem breitbeinigen Seemannsgang an der Schänke vorbeilaufen, als ihn jemand am Ärmel festhielt. Er drehte seinen kahlen Kopf zur Seite. Die linke Hand umfaßte bereits den Dolch. Rasmus war ein Mann, der lieber zustach oder -schlug als ein paar Worte wechselte.

Neben ihm stand plötzlich ein feiner Herr mit Samtbarett, Spitzbart und glänzenden Stiefeln.

»Was willst du von mir, du Lackbübchen?« raunzte der Kahlkopf Mephisto an. Der eitle Teufel verzog sein dreieckiges Gesicht.

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Aber er wollte ja etwas von Kapitän Rasmus. Deshalb schleimte er sich bei ihm ein.

»Ich habe mich gefragt, ob ihr nicht vielleicht ein Bier trinken gehen wollt. In dieser Wirtschaft.«

»Ich habe zu tun. Mach dich weg, du Stadtratte!« »Ihr solltet dort wirklich ein Bier trinken«, fuhr Mephisto

ungerührt fort. »Denn da sitzt ein Mann, der eure Probleme lösen kann!«

Dem Kapitän ging die umständliche Art von Mephisto auf die Nerven. Er wollte schon seinen Dolch ziehen. Doch plötzlich und mit übermenschlicher Geschwindigkeit schoß die rechte Klaue des Teufels vor und umfaßte das Handgelenk von Rasmus. Der Kahlkopf glaubte, es würde zerbrechen.

»Dieser Mann dort drin«, sagte Mephisto mit tückischem Unterton, »ist so groß wie ein Baum und hat harte, kräftige Muskeln. Er ist gut genährt und kann arbeiten bis zum Umfallen. In seiner Begleitung ist nur ein kleiner Trottel mit Schelmenkappe. Niemand, der gefährlich werden kann. Außerdem: Dieser große Mann hat in Hamburg keine Familie oder Freunde. Niemand würde etwas bemerken, wenn er plötzlich verschwindet…«

Der Kapitän begann zu begreifen. Er sollte diesen Mann auf sein Schiff pressen. Liebend gerne würde er das tun. Aber dann wurde er doch noch mißtrauisch: »Warum tut ihr das, Herr? Warum helft ihr mir?«

In Mephistos rotglühenden Augen zuckte ein böser Funke. »Sagen wir, ich habe noch eine Rechnung mit ihm offen…«

Rasmus lachte dreckig. Das verstand er. »Ich hole nur einige Leute von mir. Allein werde ich mit so

einem Brocken wohl nicht fertig!«

* Als Nichtraucher freute ich mich darüber, daß im Jahre 1348 die

Zigarette in Europa noch nicht eingeführt worden war. Trotzdem war die Luft in dieser Hafenkneipe zum Schneiden. Denn die Dusche war ebenfalls noch nicht erfunden worden, und das Deodorant schon gar nicht.

Ich befahl also meiner Nase, nicht zu rebellieren. Eulenspiegel

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und ich hatten an einem der groben Tische Platz genommen, wo man auf langen Bänken saß. Der Kontakt zu unseren Tischnachbarn ergab sich also von selbst. Denn Eulenspiegel konnte es natürlich nicht lassen, gleich wieder ein paar Späße zu machen.

Der Wirt sah aus wie ein Frettchen. Kaum drehte er uns den Rücken zu, als der Schelm ihn meisterhaft imitierte. Er verzog sein hakennasiges Gesicht zu einer Fratze, die dem Mann hinter der Theke täuschend ähnlich sah. Die Zecher bogen sich vor Lachen.

Und als die vollbusige Serviererin mit ihrem tief ausgeschnittenen Mieder unsere Bierkrüge brachte, stopfte sich Eulenspiegel flugs zwei Äpfel unter sein Wams und machte ihren Hüftschwung und ihr hochnäsiges Gesicht ebenfalls perfekt nach. Wieder hatte er die Lacher auf seiner Seite.

Mir konnte das nur recht sein. Als Freund von Till Eulenspiegel strahlte die Beliebtheit des Späßemachers auch auf mich ab. Daher konnte ich mit einigen Männern problemlos ein Gespräch beginnen, ohne als Fremder Mißfallen zu erregen.

Fast alle in der Kneipe waren alteingesessene Hamburger. Wie ich erfuhr, gab es unter ihnen kaum Seeleute. Manche arbeiteten im Hafen oder in den Speichern, wo Waren aus aller Welt gelagert wurden. Einige waren auch Fischer, wie man an ihren vernarbten Händen erkennen konnte. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein gab es in Hamburg eine bedeutende Fischereiflotte, vor allem im Stadtteil Finkenwerder.

Diese Männer mußten also auch die alten Geschichten und Legenden ihrer Heimat kennen. Aber komischerweise wußte keiner von ihnen etwas von der Wasserfee, die an der Alster ihr Unwesentrieb. Je länger ich mit ihnen redete, desto entmutigter wurde ich. Sollte alles nur ein Irrtum gewesen sein? Verschwendete ich hier meine Zeit, während ich mir mit Tessa ein schönes Wochenende hätte machen können? Aussichten, die meine Stimmung nicht gerade hoben.

Außerdem war mein Bierkrug schon leer. Kaum hatte ich es bemerkt, als mir das Servier-Busenwunder

schon einen neuen Humpen hinknallte, daß der Schaum spritzte. »Danke. Aber ich – kann nicht bezahlen!« »Ist schon bezahlt!« Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf

einen glatzköpfigen, kräftigen Mann, der am Nebentisch hockte.

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Ich prostete ihm zu, nichts Böses ahnend. Und mein Ring meldete sich auch nicht.

Der Glatzkopf kam herüber und setzte sich zu mir. »Ihr seid spendabel!« sagte ich. »Und ihr seid fremd hier«, erwiderte der Mann. »Deshalb habe

ich euch eingeladen. Damit ich vielleicht wieder ein paar neue Geschichten zu hören bekomme.«

»Ich weiß eine Geschichte!« meldete sich Eulenspiegel zu Wort. »Da war ein Mann, der hat dem Teufel seine Haare verkauft…«

Der Bierspendierer zog die Augenbrauen zusammen. Er mochte es nicht, auf den Arm genommen zu werden. Doch im nächsten Moment wurde Eulenspiegel abgelenkt durch eine paar neue Gäste, die von ihm erfahren hatten und Spaße hören wollten. Und zwar gegen Bezahlung. Und das ließ sich Till natürlich nicht zweimal sagen.

Ich trank noch einen großen Schluck. Das Bier war zum Glück ziemlich dünn. Ich wollte einen klaren Kopf behalten. Im Mittelalter wurde viel mehr gezecht als heute. Kam es mir nur so vor, oder war der zweite Humpen wirklich stärker als der erste? Oder lag es daran, daß ich schon länger nichts mehr gegessen hatte?

Ich warf noch einen Blick auf das plötzlich höhnisch grinsende Gesicht des Glatzkopfs. Und dann brach ich zusammen.

* Zuerst glaubte ich, ein Zug würde mitten durch meinen Schädel

fahren. Ich kniff die Augen zusammen. Dann entpuppte sich das Geräusch als Möwengekreisch. Vermischt mit dem Gebrüll aus menschlicher Kehle.

»In die Wanten, ihr Ratten! Klar bei Vordersegel!« Der Boden unter mir schwankte. Spätestens jetzt wurde mir

klar, daß ich auf einem Schiff sein mußte. Im Hamburger Hafen? Meine Kniegelenke schienen ausgetauscht und durch

Wackelpudding ersetzt worden zu sein. Nachdem ich etwas Gymnastik gemacht hatte, konnte ich immerhin auf meinen eigenen Beinen stehen. Wenn auch nur ziemlich schwankend.

Ich befand mich in einem düsteren Loch. Die vielen Kojen mit den Lumpen darauf deuteten auf eine Matrosenunterkunft hin.

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Jedenfalls war das hier nicht das 5-Sterne-Hotel Atlantic. Eindeutig nicht.

Eine Tür wurde aufgerissen. Und das war auch nicht der Etagenkellner. Sondern der Glatzkopf. Und er hatte eine Peitsche in der Hand.

»Endlich aufgewacht, du Faulpelz? In die Wanten mit dir – oder ich mache dir Beine!«

»Was soll das? Wo bin ich hier?« stammelte ich verwirrt. »Weißt du das nicht mehr?« höhnte der ehemals so freundliche

Bierspendierer. »Du hast einen Kontrakt unterschrieben. Als Matrose für die Fahrt nach Trondheim. Warst wohl zu besoffen, was? Aber jetzt an die Arbeit! Ich bin übrigens Kapitän Knut Rasmus. Falls du das auch schon vergessen hast!«

Ich faßte mir an meinen dröhnenden Schädel. Ich hatte in der Schänke ein Bier getrunken. Nein, zwei. Daß ich von diesem dünnen Gesöff betrunken geworden wäre, konnte ich ausschließen. Aber woher dann der Blackout?

Eine zweite Erinnerung dämmerte herauf. An ein todlangweiliges Geschichtsseminar, in dem ich als Student in Weimar herumgesessen hatte. Zum Glück war es im Sommersemester gewesen, und ich hatte mich an den Miniröcken meiner Mitstudentinnen erfreuen können. Das Thema der Vorlesung war: »Alltagsleben im Mittelalter«. Unser Professor hatte uns unter anderem vom »Matrosenpressen« erzählt…

Niemals hätte ich mir träumen lassen, daß mir so etwas selbst einmal passieren würde!

»Beweg dich, du Hund!« Der glatzköpfige Kapitän holte aus und zog seine kurze Peitsche über meinen Rücken. Dabei berührte er auch die Wunden, die mir der Teufelstroll geschlagen hatte. Und die gerade zu verheilen begonnen hatten.

Bevor er mich zum zweiten Mal schlagen konnte, hatte ich mich geduckt und ihm die Beine weggetreten. Ich war immerhin ein ganzes Stück größer als er. Darum hatte ich auch eine bessere Reichweite. Rasmus polterte zu Boden. Ich setzte nach und kickte gegen die Hand, mit der er die Peitsche hielt. Das verdammte Ding segelte in die Ecke.

»Alarm!« brüllte der Glatzkopf. »Euer Kapitän wird angegriffen!«

Und schon wollte er sich auf mich stürzen. Mit einer schnellen Links-Rechts-Kombination ließ ich ihn die Sterne sehen. Polternde

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Schritte ertönten draußen. Dann drängten einige Männer in den stinkenden, schwankenden Raum. Bei meinen Abenteuern mit Klaus Störtebeker hatte ich schon einige Seeräuber kennengelernt. Aber diese Matrosen eines Handelsschiffes sahen kaum vertrauenerweckender aus. Mit dicken Tauenden und hölzernen Prügeln stürzten sie sich auf mich.

In der engen Kajüte war ich im Vorteil, obwohl ich allein gegen vier oder fünf Mann kämpfen mußte. Denn die Matrosen standen sich gegenseitig im Weg. Ich hingegen konnte meine Schläge und Tritte voll durchziehen. Und das tat ich auch. Mit Handkantenschlägen, Kopfstößen und hohen Kicks bahnte ich mir eine Gasse. Zwar mußte ich auch einiges einstecken, aber wieder half mir meine Größe. Zudem hatte ich einem der Angreifer noch sein Schlaginstrument abgenommen und hieb damit wild um mich.

Mein Schwert war spurlos verschwunden. »Macht ihn fertig, ihr Memmen!« jammerte der von mir

getroffene Kapitän. »Oder ich lasse euch alle auspeitschen!« Ich verstand nicht, warum die Männer für diesen

Menschenschinder kämpften. Aber das war mir auch egal. Ich wollte nur weg von diesem Schiff und nach Hamburg zurück. Eulenspiegel suchen. Und natürlich das Geheimnis der Wasserfee lösen!

Knut Rasmus sprang mich rasend vor Wut von hinten an. Ich wandte den Kopf halb zur Seite und sah eine Dolchklinge aufblitzen. Sofort rammte ich ihm den Ellenbogen in den Magen. Ich ließ den Prügel fallen, packte seinen linken Arm und schickte den Glatzkopf mit einem schnellen Schulterwurf über meinen Kopf hinweg zu Boden.

»Verfluchtes Rabenaas!« keuchte der Kapitän. Ich sprang über ihn hinweg. Zwei Männer stellten sich mir in den Weg. Dem einen trat ich in den Bauch, der andere bekam einen Aufwärtshaken zu schmecken.

Da packte Knut Rasmus mein Fußgelenk! Verdammt, der Kerl packte zu wie ein Schraubstock. Ich zog,

aber er ließ nicht los. Da sah ich die Peitsche auf dem Boden liegen. In meiner Reichweite. Normalerweise würde ich keinen Menschen damit schlagen. Aber wenn ich daran dachte, wie er damit vermutlich tagtäglich seine Männer quälte…

Ich ließ die Peitsche knallen. Und riß erstaunt die Augen auf.

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Denn ich hatte sie nur in die Luft geschlagen. Als Warnung sozusagen. Mit einem erstaunlichen Ergebnis. Denn Knut Rasmus zitterte plötzlich vor Angst. Obwohl ich ihn noch nicht einmal mit dem Riemen berührt hatte.

Ich grinste die Matrosen an, die hinter ihm standen und auf eine weitere Attacke lauerten. Und sie sahen dasselbe wie ich. Ihr Kapitän entpuppte sich als erbärmlicher Feigling!

Diesen Moment nutzte ich, um mich zu verabschieden. Ich stürmte die steile Holztreppe hinauf. Öffnete eine Tür. Und schon blies mir der frische Wind von der Nordsee her ins Gesicht.

Die Männer an Deck schenkten mir keine Beachtung. Ich wollte nicht wissen, wie viele von ihnen ebenfalls gepreßt worden waren. Die Kogge lag gut am Wind. Meine Kenntnisse, die ich als Störtebekers Maat gewonnen hatte, kamen mir zugute. Doch ich wollte zurück an Land. Nichts weiter.

Mit einem gewaltigen Sprung hechtete ich über Bord. Einige der Matrosen riefen hinter mir her. Aber keiner machte großartige Anstrengungen, mich zurückzuhalten. Schon tauchte mein Körper in das kalte Wasser ein. Prustend kam ich wieder hoch und verschaffte mir einen Überblick.

Zum Glück hatte die Kogge die Elbmündung und damit das offene Meer noch nicht erreicht. Sie segelte mitten auf dem breiten Strom. Die Ufer waren noch in Sicht. Ich begann, auf das nördliche Elbufer zuzuschwimmen. Da hörte ich wieder Lärm auf dem Schiff hinter mir. Ich drehte mich auf den Rücken, um zu sehen, was dort vor sich ging.

Kapitän Rasmus war inzwischen an Deck. Obwohl ich schon einigen Abstand zwischen die Kogge und mich gebracht hatte, konnte ich ihn deutlich erkennen. Und ebenso klar war, was er in den Händen hatte.

Eine Luntenflinte! Diese mittelalterlichen Schießprügel waren nicht allzu

treffsicher. Aber ich wollte mein Glück nicht unnötig auf die Probe stellen. Daher holte ich tief Luft und tauchte. Bevor ich wieder unter Wasser glitt, hörte ich noch den Schuß knallen.

Mit offenen Augen, ruhig meine Arme und Beine durch das kühle Naß ziehend, strebte ich auf das Ufer zu. Und wunderte mich darüber, wie sauber das Wasser damals war.

Immer weiter glitt ich. Auch Fische passierten meinen Weg. Damals war die Elbe noch nicht leergefischt worden. Ich spürte

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Beklemmungen auf der Brust. Lange würde ich es nicht mehr unter Wasser aushalten. Wahrscheinlich lauerte der Kapitän nur darauf, daß mein Kopf zwischen den Wellen wieder auftauchte. Um dann eine Kugel hineinzujagen.

Aber nun ging es wirklich nicht mehr. Nach Atem ringend durchstieß ich die Wasseroberfläche. Während ich gierig die Luft einsog, sah ich bereits weit entfernt die Kogge Richtung Eibmündung segeln.

Wahrscheinlich wollte sich Knut Rasmus nicht noch mit weiteren Fehlschüssen blamieren. Er würde wohl alle Hände voll zu tun haben, um den Rest der Mannschaft noch im Zaum zu halten. Nun, das war nicht mein Problem.

Eine Viertelstunde später hatte ich das Elbufer erreicht und trottete erschöpft an Land, ich legte mich hin, um mich kurz auszuruhen.

Die Diener des dicken Kaufherrn Erhart Waldheim hatten diesmal leichtes Spiel mit mir. Bevor ich wußte, wie mir geschah, hatten sie mich gefesselt und ihrem Meister vor die Füße geworfen…

* Waldheim fühlte sich stark. Vor allem, weil ich mich nicht

wehren konnte. Er stieg triumphierend und schnaufend von seinem Gaul ab und trat mir zur Begrüßung erst mal kräftig in die Rippen.

»So sieht man sich wieder, du falscher Riese, du!« Ich kippte glatt um und bekam den feinen Sand des Elbstrandes

zu schmecken. Mit beiden Händen zerrte ich an meinen Fesseln. Doch die Männer hatten ganze Arbeit geleistet. So leicht würde ich es diesmal nicht haben.

»Paßt auf, was ihr sagt, Junker Waldheim!« entgegnete ich daher in der Sprache seiner Zeit. »Es könnte euch sonst übel bekommen!«

Der Dicke fletschte die Zähne, als ob ich eine leckere Portion Schweinebraten wäre. »Willst du mir drohen, du Hurensohn? Du bist gefesselt, vergiß das nicht!«

Ich lachte ihm ins Gesicht, so laut ich konnte. »Mein Körper ist gefesselt, Junker Waldheim. Aber ein mächtiger Zauberer läßt

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sich von einem Menschen nicht anketten. Auch wenn dieser Mensch noch so reich und mächtig ist!«

Den Dienern und ihrem Herrn stockte der Atem. Es war für sie schon unheimlich genug gewesen, daß ich an der Alster splitternackt wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Aber noch gab sich der fette Kaufherr überlegen.

»Ein Zauberer willst du sein, Riese? Beweise es!« »Wie ihr wünscht.« Die Diener hatten mich zwar mit einem dicken Seil gefesselt wie

eine Roulade. Aber meine Arme waren nicht auf den Rücken gedreht, sondern vor der Brust verschränkt gebunden worden. Als Kampfsportler kann ich meine Gelenke viel besser dehnen als ein untrainierter Mensch. Das tat ich in diesem Moment. Ich drehte meine Hand so, daß ich mit dem geheimnisvollen Silberring das fünfzackige Mal an meiner Brust berühren konnte.

Der Ring begann zu strahlen! Ich biß die Zähne zusammen und schaffte es mit meiner ganzen

Kraft, meine Finger ein Stück weit am Körper nach unten zu verschieben. Nun konnte der gebündelte Strahl zwischen den Fesseln hindurch seinen Weg finden.

Die Männer schrien entsetzt auf und fielen auf die Knie. Wahrscheinlich hätte schon das Licht gereicht, um sie von meiner Zauberkraft zu überzeugen. Doch nun sollten sie auch die ganze Show sehen.

Meine Beine waren nicht gefesselt. Deshalb drehte und wendete ich mich auf den Fußballen, bis ich mit dem Lichtstrahl das keltische Wort für »Bild« auf einen großen Stein am Ufer geschrieben hatte. Innerlich konzentrierte ich mich ganz auf das Jahr, aus dem ich gekommen war.

Die Luft über dem Stein flimmerte. Es war, als ob ein Loch in die Zeit gerissen würde. Für Sekunden bekamen diese mittelalterlichen Menschen einen Eindruck vom 20. Jahrhundert. Ein Bild der Elbe, wie sie zu meinen Lebzeiten aussah.

Ein riesiger Containerfrachter dümpelte langsam die Elbe hinauf. Wir erblickten den riesigen stählernen Rumpf mit den großen Flecken der Rostfarbe. Nun ertönte auch noch das Signalhorn des Schiffes. Das Bild war so gut, daß ich sogar die Nationalflagge von Panama entdecken konnte, die am Heck im lauen Sommerwind flatterte.

Als wäre das nicht schon sensationell genug, tauchte nun ein Jet

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im Anflug auf Fuhlsbüttel auf. Der silbrige Flugzeugleib mit den blinkenden Positionslichtern verlor langsam an Höhe. Es dröhnte.

Erhart Waldheim und seine Diener jammerten, als wäre ihr letztes Stündlein gekommen.

Es konnte keine halbe Minute vergangen sein, seit ich meinen Ring aktiviert hatte. Das Bild verblaßte. Die Realität des Jahres 1348 kehrte wieder ein. Himmlische Ruhe herrschte über der Elbe. Nur zwei Fischerboote kehrten nach Finkenwerder heim.

Waldheim zitterte am ganzen Leib. »Ihr könnt mich jetzt losbinden«, sagte ich mit ruhiger Stimme. Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Der dicke Kaufherr

löste sogar eigenhändig meine Fesseln. Ich streckte die Arme und ließ die Gelenke knacken.

»Vergebt mir, edler Zauberer!« wimmerte Waldheim. »Wenn ich gewußt hätte…«

»Wage es nie mehr, meine Macht anzuzweifeln!« donnerte ich. Dann verlor ich das Interesse an der Schmierenkomödie. Nur eine Sache wollte ich noch wissen.

»Ich kann nicht glauben, daß unser erneutes Treffen Zufall war, Junker Waldheim…«

»Gewiß nicht, edler Zauberer. Ich ritt gerade von Hamburg weg, als ein fremder Herr in meinen Weg trat. Er verriet mir, daß ihr hier aus der Elbe auftauchen würdet.«

Ich horchte auf. »Wie sah er aus, dieser fremde Herr?« »Er war sehr elegant gekleidet, mit Samtbarett und teurem

Schmuck. Sein Gesicht war mager, fast dreieckig. Und er läßt einen Spitzbart sprießen…«

»Genug, genug.« Ich biß die Zähne zusammen. Die Beschreibung paßte haargenau auf eine der Lieblingserscheinungen meines Erzfeindes Mephisto.

Er wollte offenbar mit allen Mitteln verhindern, daß ich in Hamburg herumschnüffelte. Also würde ich genau das tun. Zu Fuß machte ich mich auf den Weg zurück in die Stadt.

In meiner Tasche befand sich nun ein kleiner Beutel mit Silber- und Kupfermünzen. Erhart Waldheim hatte mir das Geld förmlich aufgedrängt.

*

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»Warum vernichtest du Hellmann nicht einfach, Meister?« Der kleine Dämon zu Mephistos Füßen sah gräßlich aus. Er

schien fast nur aus glotzenden Augen und einem Maul voller Reißzähne zu bestehen. Der kleine Körper befand sich in ständiger Anspannung. Wieselte hin und her zwischen den stinkenden Schwefelseen und den Flammensäulen der Hölle, in denen die bösen Menschen auf kleiner Flamme geröstet wurden.

Mephisto hockte mißgelaunt auf seinem Höllenthron: »Weil – das geht dich nichts an.«

In Wahrheit hatte der Mega-Dämon ganz andere Pläne. Aber er ließ sich ungern in die Karten schauen. Auch nicht von seinen treuen Sklaven. Sofern man in der Hölle überhaupt von Treue sprechen konnte. Denn dort hielt man nur zu seinem Herrn, wenn man durch Angst vor Strafe oder durch Intrigen dazu gezwungen wurde. Die Dämonen lagen ständig im Clinch miteinander. Auch Mephisto mußte seine Führungsrolle ständig verteidigen.

»Ich habe Wichtigeres zu tun«, fuhr der Höllenherrscher prahlerisch fort. »Hellmann ist ein kleiner Fisch. Im Jahre 1348 gibt es genug Bastarde, die gerne die Drecksarbeit für mich erledigen.«

Dieser kleine Fisch hat dich aber schon ganz schön an der Nase herumgeführt, dachte der Dämon mit den Fangzähnen. Unmittelbar darauf quäkte er vor Schmerzen. Denn Mephisto hatte einen Felsbrocken auf seinen ekelhaften Schädel fallen lassen. Natürlich war dem Mega-Dämon der aufrührerische Gedanke seines Helfers nicht entgangen.

»Hellmann wird sterben, bevor die Sonne zweimal in seiner Welt! untergegangen ist«, brüllte Mephisto.

Seine Stimme übertönte sogar die Schmerzensschreie der verlorenen Seelen.

* Meine nackten Füße schmerzten schon, als ich die Türme von

Hamburg erneut am Horizont auftauchen sah. Diesmal kam ich von einer anderen Seite her. Und mußte durch das Tor am Hafen.

Die Büttel wollten mich zuerst nicht hineinlassen. Ihnen gefiel wohl meine abgerissene Kleidung nicht. Mit Eulenspiegel zusammen hatte ich diese Probleme nicht gehabt. Seltsam. Aber

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ich verließ mich auf das in allen Zeiten und allen Erdteilen bewährte Lösungsmittel. Nachdem jede der drei Stadtwachen eine Silbermünze von mir erhalten hatte, empfingen sie mich so fürstlich wie den Kaiser höchstpersönlich.

Obwohl auch der in Hamburg nichts zu melden hatte. Denn die Hansestadt war keinem Fürsten untertan, sondern wurde von einem gewählten Stadtrat regiert. Doch das interessierte mich jetzt nur am Rande. Ich wollte zunächst Eulenspiegel suchen.

Und wo kann sich ein solcher Schelm wohl am ehesten herumtreiben? Auf dem Marktplatz natürlich!

Ich ließ mir von einem Jungen den Weg zeigen und eilte durch die engen Gassen. Meine Nase wies mir den Weg. Und mein leerer Magen verlangte dringend nach einer Füllung. In einer offenen Garküche kaufte ich mir Bratfisch und eine Hafersuppe. Kartoffeln wären mir eigentlich lieber gewesen, aber diese Pflanze würde in Deutschland erst Jahrhunderte später angebaut.

Die Mahlzeit spülte ich mit Bier hinunter. Andere Getränke, abgesehen von saurem Wein, gab es nicht. Wasser wurde nur von den Ärmsten der Armen getrunken. Durch das Brauen wurden die Keime im Wasser abgetötet. Dadurch war es gesünder, Bier zu trinken als das oftmals bakteriell verseuchte Wasser. Obwohl die Menschen diesen Grund damals nicht kannten, waren ihnen doch die Folgen des Wassertrinkens bekannt. Nämlich Krankheit und Tod. Also tranken sie Bier.

Gut, daß in unserer Zeit das Wasser sauber ist, dachte ich, nachdem ich das letzte Dünnbier hinuntergewürgt hatte. Es schmeckte wie Laternenpfahl ganz unten.

Frisch gestärkt stürzte ich mich ins Marktgetümmel. Neben den Verkäufern von Lebensmitteln gab es hier eine Fülle von anderen Menschen, die ihren Geschäften nachgingen. Huren boten ihre Körper an. Unmittelbar neben ihnen predigten Sektierer über den bevorstehenden Weltuntergang. Schreiber warteten an ihren Pulten auf die zahlreichen Kunden, die noch nicht mal ihren eigenen Namen kritzeln konnten. Wahrsager gaben gegen bare Münze mehr oder weniger gute Ratschläge. Als Hafenstadt zog Hamburg auch Händler aus fremden Ländern an. Ein Araber hatte Seidenstoffe anzubieten. Vielleicht kam er aus Spanien, das damals noch unter maurischer Herrschaft war. Russen präsentierten Mäntel aus Bärenfell. Und ein Türke hatte die legendären Schwerter aus Damaskus auf seinem Verkaufstisch.

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Das erinnerte mich an mein Schwert, das ich mit dem Ring weißmagisch aufgeladen hatte. Wo es wohl abgeblieben war? Eulenspiegel würde vielleicht die Antwort kennen. Aber dafür mußte ich ihn zuerst finden.

Weit und breit war nichts von ihm zu sehen. Dabei herrschte an Gauklern und Narren kein Mangel. Aber keiner von ihnen hatte die vertrauten Gesichtszüge meines lustigen Reisegefährten.

Da ertönte eine Stimme hinter mir. »Du kannst dein Leben lang suchen. Wenn du es falsch anstellst, wirst du nie Erfolg haben.«

Ich drehte mich um. Ein alter Mann musterte mich aus kleinen klugen Augen. Ein langer Bart fiel auf seine Brust. Sein Hemd war so löcherig, daß ich seine Rippen zählen konnte. Er war mager, als ob er monatelang gefastet hätte. Das war im Mittelalter nichts Ungewöhnliches. Viele Menschen enthielten sich aus religiösen Gründen der Nahrung. Aber es gab noch viel mehr, die von den immer wieder auftretenden Hungersnöten betroffen wurden.

»Woher weißt du, daß ich auf der Suche bin?« fragte ich. Der Alte hatte meine Neugier geweckt.

»Ich weiß es eben.« Mit unerschütterlicher Ruhe hielt er meinem Blick stand.

»Ich bin wirklich auf der Suche, nach einem Freund. Er heißt Till Eulenspiegel und…«

»Ich werde ihn finden«, behauptete der Mann in dem Löcherhemd. »Doch in Wahrheit suchst du doch noch etwas ganz anderes, oder?«

Er verblüffte mich wirklich. Unwillkürlich hatte ich zu meinem Ring geschielt. Aber er zeigte keine dämonische Aktivität an. Der Alte schien nicht mit den Kräften des Bösen im Bunde zu stehen. Daher entschied ich mich, die Karten auf den Tisch zu legen. Was hatte ich denn schon zu verlieren?

»Ich suche nach einer Wasserfee«, erwiderte ich, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Aber im Mittelalter war eine solche Aussage nicht so seltsam wie zu unserer Zeit. Da hätte mein Gesprächspartner wahrscheinlich die Polizei alarmiert – oder eine Nervenklinik.

Der Alte nickte wissend. »Wir werden sie finden.« Dann zog er eine Holzkugel aus seinem Umhängebeutel hervor. Sie hing an einem dünnen Faden. Ein Pendel.

»Wie heißt du eigentlich?« fragte ich. »Die Leute nennen mich den armen Karl. Ich bin in Hamburg

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auch als der Finder bekannt.« Warum man ihn den armen Karl rief, war nicht schwer zu

erraten. Er sah sogar noch abgerissener aus als ich in meiner zerschlissenen Kluft.

Aber der Finder? Sein Pendel hatte meine Neugier geweckt. Aus dem Studium wußte ich, daß die Menschen schon seit

Jahrtausenden Pendel benutzten, um Mineralien, Menschen oder anderes zu finden.

Klappt das auch bei Wasserfeen? fragte ich mich. Aber ich sprach es nicht aus. Schon oft hatte ich erleben müssen, wie sich scheinbar unglaubliche Dinge als wahr herausstellten.

»Mein Name ist übrigens Mark Hellmann«, sagte ich und schüttelte die rechte Hand des Alten. Sein Pendel hielt er mit links. »Ich komme aus Thüringen.«

Er nickte, als ob er das schon gewußt hätte. »Wir finden deine Wasserfee, Mark Hellmann. Mit meinem Pendel kann ich alles aufspüren. Es ist aus Haselnußholz, wie es die Tradition verlangt. Die verborgenen Kräfte offenbaren sich mir…«

Er schien noch mehr sagen zu wollen. Aber dann verstummte er plötzlich und steckte schnell sein Pendel wieder in den Beutel.

Ein Schrei, der einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte, gellte über den Marktplatz…

* Ich fuhr herum. Aus einer der Gassen zum Hafen hinunter kam

eine seltsame Prozession. Die Käufer und die Gaffer, die Schaulustigen, die Diebe, die Huren und die braven Bürger machten ehrerbietig Platz, als sich die Gestalten näherten.

Es mochten wohl an die hundert Männer sein, die in Dreierreihen hintereinander auf den Marktplatz strömten. Einer trug ein Banner voran, auf dem ein großes christliches Kreuz zu erkennen war. Wie die übrigen hatte auch er einen schwarzen Hut auf. Sein Unterleib war von einem langen, rockartigen Stück Stoff bedeckt, das fast bis zum Boden reichte. Dafür waren die Oberkörper der Männer nackt.

Jeder von ihnen hatte einen langen Lederriemen in der rechten Hand. In die Spitzen der Riemen schienen Nägel geknotet zu sein. Und damit peitschten sich diese Burschen selber den Rücken,

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während sie laut sangen. Der Kerl mit dem Banner schien der Anführer zu sein. Mit

heiserer, fanatischer Stimme stachelte er seine Jünger an, sich noch stärker selbst zu verletzen. Und den Leuten auf dem Markt brüllte er entgegen: »Tut Buße, ihr elenden Sünder! Bevor euch der Satan zu sich holt!«

»Was sind das für Männer?« raunte ich dem armen Karl zu, der sich die Prozession genauso schweigend anschaute wie ich.

»Sie nennen sich Flagellanten«, erwiderte er. »Sie wollen für die Sünden der Menschheit büßen, sagen sie. Deshalb hauen sie sich selbst auch die Jacke voll. Außerdem haben sie jeden auf dem Kieker, der Sachen macht, die ihnen nicht in den Kram passen. Wenn die mich mit dem Pendel gesehen hätten…«

Er ließ den Satz unvollendet. Ich konnte mir auch so denken, was er meinte. Dieser Typ mit dem Banner sah aus wie ein Halsabschneider. Die christliche Botschaft der Nächstenliebe würde man ihm sicher nicht abnehmen. Der arme Karl hatte bemerkt, daß ich mir den finster dreinblickenden Bannerträger aufs’ Korn genommen hatte.

»Das ist ihr Anführer. Er nennt sich Blasius. Dem sollte man besser nicht in die Quere kommen. Für den gibt es nur einen guten Christenmenschen. Nämlich ihn selber.«

Ich nickte. Die Sorte kannte ich auch aus meiner Zeit. Leider würde es immer solche Typen geben. In meinem Gedächtnis kramte ich nach weiteren Informationen über die Flagellanten. Vielleicht hätte ich damals im Studium doch weniger mit den Studentinnen flirten, als dem Professor zuhören sollen… Aber dann fiel es mir wieder ein.

Die Sekte der Flagellanten war 1348 in ganz Deutschland verbreitet. Sie sahen die damals um sich greifenden Pest-Epidemien als Strafe Gottes an. Die Kirche ging schon bald gegen sie vor. Denn sehr schnell hatte sich herausgestellt, daß solche Anführer wie dieser Blasius unter dem Deckmantel der Frömmigkeit ihr eigenes trübes Süppchen kochten. Der Papst belegte sie mit einem Kirchenbann. Schon 1349 krähte kein Hahn mehr nach ihnen.

Das war zwar für Geschichtsstudenten sehr interessant, aber ich wollte endlich mit der Suche nach meiner Wasserfee weiterkommen. Daher war ich erleichtert, als ich die letzten blutüberströmten Rücken auf der anderen Seite des Marktplatzes

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verschwinden sah. Eine Weile hörte man noch das Klatschen der Riemen und die Gesänge der Flagellanten. Dann hatten sich die Marktbesucher beruhigt und widmeten sich wieder ihren Geschäften.

Der arme Karl zog zufrieden grinsend sein Pendel hervor. »Ich habe dir was versprochen, Mark Hellmann. Wird Zeit, daß ich es einlöse. Komm mit! Deine Wasserfee wartet sicher schon auf uns!«

* Blasius heulte wie ein Wolf. Der bleiche Mann mit dem dunklen

Bart verstand es bestens, aus seinen Anhängern das letzte herauszuholen. Sie folgten ihm noch treu auf dem Fuß, wenn sie von ihren eigenen Schlägen schon ganz kirre waren.

Ja, Blasius war ein eifriger Kämpfer. Allerdings nicht für Gott, sondern für seinen eigenen Vorteil. Schon so manchen reichen Kaufmann hatte er der Zauberei bezichtigt. Wenn der Flagellanten-Führer mit seiner aufgehetzten Meute erschien, war das Opfer nur allzu gerne bereit, sich loszukaufen. Meist reichte es schon, wenn Blasius ihm die Höllenqualen schilderte, die sonst auf ihn zukommen würden.

Wenn gerade kein wohlhabender Geldsack in der Nähe war, entlarvte Blasius auch sehr gerne junge, gutaussehende Frauen als Hexen. Wenn sie nicht auf dem Scheiterhaufen enden wollten, mußten sie sich seinen Gelüsten unterwerfen. O ja, Blasius war wirklich ein eifriger Kämpfer!

Bisher schien keiner seiner Anhänger gemerkt zu haben, was für ein Heuchler der Ober-Flagellant war. Es war Blasius’ Glück, daß sein Körper nicht zum Fettansatz neigte. Sonst hätte man ihm vielleicht den guten Wein, den Schinken und die fetten Würste angesehen, die er Nacht für Nacht vertilgte. Während sich die übrigen Sektenmitglieder mit Brotsuppe und fauligem Wasser zufriedengeben mußten.

Die unheimliche Prozession hatte kaum den Marktplatz hinter sich gelassen, als sich eine rotgekleidete Gestalt den Männern in den Weg stellte.

»Platz da, du elender Sünder!« donnerte Blasius. Doch Mephisto ließ sich davon nicht beeindrucken. Noch nicht

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mal das Banner mit dem Kreuz störte ihn besonders. Erstens konnte er als Mega-Dämon dieses Symbol des Guten besser ertragen als niedrigere Schwarzblüter. Und zweitens spürte er genau, daß Blasius das Kreuz nicht mit reinem Herzen vor sich hertrug. Das war ja auch der Grund, weshalb der Höllenfürst ihn auf seine Seite zu ziehen hoffte.

»Ich habe mit euch zu reden, Blasius«, sagte Mephisto mit einem bösen Funkeln in seinen dunklen Augen. Er zeigte dem Sektenführer einen Beutel mit Goldstücken. Aber so, daß es die anderen Flagellanten nicht sehen konnten.

»Über Glaubensfragen, vermute ich«, erwiderte der Mann mit dem dunklen Bart. Er konnte die Gier in seiner Stimme nur schwer verbergen. Mephisto nickte höhnisch. Blasius übergab sein Banner an einen Getreuen. Dann wandte er sich an die übrige Mannschaft.

»Ihr kniet hier auf der Straße nieder und betet, bis ich zurück bin!«

Wie eine Schar Lemminge gehorchten sie seinen Worten. Er ging an der Seite des Höllenfürsten ein Stück weit den Meßberg hinauf, bis niemand sie mehr hören konnte.

»Ich habe eine Neuigkeit für euch, Blasius«, eröffnete Mephisto das Gespräch. »Es geht um die Pest.«

»Ah, die Pest! Gottlose Unholde und Sünder sind schuld an dieser Geißel Gottes…« Der Flagellant redete sich in Rage.

»Es gibt einen Mann, der die Pest nach Hamburg bringt. Es ist eure Pflicht als Anführer der edlen Flagellanten, diesen Mann auszuschalten. Wenn ihr es tut, gehören diese Münzen euch!« Und er ließ den Beutel vor der Nase des gierigen Sektenführers klimpern.

»Was denkt ihr von mir! Ich arbeite nur für Gottes Lohn!« Für einen Moment versuchte Blasius noch, den Schein zu wahren.

»Natürlich«, erwiderte Mephisto heimtückisch. »Das Geld ist nur eine Spende für eure edlen Zwecke.«

Für deine edlen Huren und deine edlen Würste und deine edlen Weinfässer, fügte er in Gedanken zynisch hinzu.

»So sei es!« Schnell hatte sich Blasius den Beutel gegriffen und in seinem bodenlangen Schurz versteckt. »Wie heißt dieser Mann? Wo finden wir ihn?«

»Sein Name ist Mark Hellmann«, antwortete Mephisto. »Ich führe euch zu ihm.«

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* Der arme Karl stakste durch die schmutzigen Gassen wie ein

Storch. Genau wie ich hatte er keine Schuhe an den Füßen. Doch er war diese Art des Laufens gewöhnt und hatte dicke Hornhaut. Das konnte ich von mir nicht behaupten. Fluchend war ich auf so manchen spitzen Stein getreten. Doch ich tröstete mich damit, daß Hamburg im Mittelalter längst nicht so groß wie zu meinen Zeiten gewesen war. Also konnte es nicht mehr weit sein.

Das stimmte auch. In den engen Gassen fiel es mir schwer, die Orientierung zu behalten. Aber jetzt mußten wir uns ungefähr dort befinden, wo im 20. Jahrhundert der Hauptbahnhof war. Sogar der Name von einer der großen Straßen in dieser Gegend fiel mir wieder ein.

Glockengießerwall. Der arme Karl hielt sein Pendel mit gestrecktem rechten Arm

vor sich in die Höhe. Ich beobachtete, wie es immer wieder andere Drehungen vollführte. Mal schlug es wild in eine Richtung, dann kreiste es wie ein Lasso. Der Alte folgte ganz selbstverständlich den Ausschlägen seines Pendels.

»Wovon lebst du so, armer Karl?« wollte ich wissen. »Ich pendle. Ich pendle für die Menschen.« »Und das ernährt seinen Mann?« »Manche geben was, andere nicht. Keiner gibt wirklich viel.« Kein Wunder, daß er armer Karl genannt wurde. Aber im

Grunde ging es mir nicht viel anders. Wenn ich von einem Rätsel erfuhr, wollte ich es auch unbedingt lösen. Und fragte nicht danach, wie viele Scheinchen mir das einbringen würde. Ich mochte diesen seltsamen alten Knaben jedenfalls.

Nun blieb er plötzlich vor einem Haus stehen. »Hier ist es?« »Hier lebt die Wasserfee?« fragte ich ungläubig. »Hierher hat uns mein Pendel geführt«, sagte Karl stolz. »Das

Pendel irrt sich nicht.« Vielleicht aber doch, dachte ich. Es war ein ganz normales

Handwerkerhaus, wie es sie im Mittelalter in allen deutschen Städten gab. Hier lebte der Meister unter einem Dach mit den Gesellen und Lehrlingen. Im Hof des niedrigen Gebäudes scharrten einige Hühner. Damals war es auch in der Stadt nichts

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Ungewöhnliches, daß man Kleinvieh hielt. Und mitten zwischen dem Federvieh fegte eine junge Frau mit einem Reisigbesen. Ein Bild des Friedens.

Nun hatte das Mädchen bemerkt, daß wir vor dem Haus stehengeblieben waren. Sie sah uns an. Mißtrauisch, aber nicht unfreundlich. Stützte sich dabei auf ihren Besen. »Wollt ihr zu Meister Vogelpohl?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Die Fegerin war wirklich bildhübsch. Ihr Haar konnte man unter der Haube nicht erkennen. Aber sie hatte eine tolle Figur und ein schönes, offenes Gesicht.

»Hier leben der Glockengießermeister Vogelpohl und seine Familie. Außerdem die Gesellen Dierks, Brander, Hansen…«

»Und du«, unterbrach ich ihren Redeschwall. »Und ich.« Sie hielt meinem Blick stand. »Ich bin Magdalene

Hansen. Die Schwester vom Gesellen Melchior Hansen. Meine Freunde sagen Magda zu mir.«

»Also Magda«, erwiderte ich hocherfreut. »Ich bin Mark Hellmann, ein Fremder aus Thüringen. Das ist der arme Karl.«

»Den kennt wohl jeder in Hamburg. Aber jetzt weiß ich immer noch nicht, was ihr wollt.«

»Mark sucht eine Wasserfee!« platzte der »Finder« heraus. Das Mädchen lachte hell auf. »Bei uns? Nein, so was gibt es bei

uns nicht!« Aber gleich darauf verfinsterte sich ihre Miene. »Obwohl hier in letzter Zeit manches nicht geheuer ist.«

»Wieso?« wollte Karl wissen. Magda sah sich um, ob jemand in der Nähe wäre. Sie schien

spontan beschlossen zu haben, sich uns anzuvertrauen. »Hier schleicht dieser feine Herr herum, der meinen Bruder eingewickelt hat. Und seitdem ist der Melchior wie ausgewechselt.«

»Wie meinst du das?« fragte ich. »Ich glaube, er hat Angst vor sich selbst. Anders kann ich das

nicht erklären. Plötzlich taucht dieser feine Herr auf, wie aus dem Nichts. Und dann hat er diese Gehilfen für meinen Bruder geschickt, um die Glocke zu machen…«

»Wieso Gehilfen?« wunderte sich der arme Karl. »Ihr habt doch noch andere Gesellen und Lehrlinge.«

»Aber die dürfen nicht in die Werkstatt!« flüsterte Magda aufgeregt. »Nur mein Bruder darf rein. Und diese Kerle, die der feine Herr schickt.«

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»Wie sehen die aus? Und wie sieht der feine Herr aus?« Mein Interesse war geweckt. Ich hatte einen schlimmen Verdacht.

»Ich habe noch keinen der Gehilfen erblickt. Die kommen nämlich nur nachts. Aber ich höre sie rumoren. Und dann kann ich nicht schlafen vor Angst. Diese Geräusche klingen so unmenschlich. Und der feine Herr? Der hat ein rotes Samtbarett auf dem Kopf. Sein Wams ist auch rot. Seine Hände habe ich noch nie gesehen. Die stecken immer in Handschuhen.«

Kein Wunder, dachte ich. Mephisto zeigt seine Klauen erst, wenn man ihm nicht mehr entkommen kann. Für mich gab es keinen Zweifel, daß der Höllenherrscher hier in diese harmlose Handwerker-Idylle eingebrochen war. Aber was wollte er von Melchior Hansen, von Magdas Bruder? Es mußte mit dieser Glocke zusammenhängen.

Ich trat ein paar Schritte näher auf das Haus zu. Eigentlich war ich nicht überrascht, daß mein Ring zu glühen begann und schwarzmagische Aktivität anzeigte.

* »Ich muß diese Glocke sehen!« Eindringlich nahm ich Magda

beiseite. »Ich will dir keine unnötige Angst machen. Aber ich glaube, daß dein Bruder in Gefahr ist. Vielleicht kann ich helfen. Aber dazu muß ich wissen, woran ich bin.«

Das Mädchen sah zu mir auf. Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich weiß nicht, was richtig ist, Mark! Mein Bruder läßt keinen in die Werkstatt. Noch nicht mal der Meister selbst darf hinein. Das hat der feine Herr gefordert. Und er hat dem Meister einen guten Preis bezahlt. Einen fürstlichen Lohn. Dabei ist die Glocke noch gar nicht fertig. Aber es geht nicht. Ich glaube nicht, daß Melchior dich die Glocke sehen läßt.«

»Abwarten.« Ich schritt an ihr vorbei auf das Haus zu. Der arme Karl blieb unschlüssig auf der Gasse stehen. Das Mädchen lief hinter mir her. Sie hielt meinen Oberarm. Ihre prallen Brüste streiften mich. Magda sah wirklich zum Anbeißen aus. Aber ich dachte an Tessa, die in meiner Zeit auf mich wartete. Außerdem hatte ich das Gefühl, kurz vor der Lösung des Rätsels um die Wasserfee zu stehen.

»Mark, du fremder Mann!« Verliebt blinzelte mich die Schwester

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des Glockengießers an. »Ich kann nicht glauben, daß du durch Zufall hier bist. Eine höhere Macht hat dich hergeführt. Zu mir.«

Ich war verwirrt. Wollte sie mich nur davon abhalten, die Werkstatt zu betreten? Oder hatte sie sich wirklich in mich verknallt? Vielleicht beides. Ich lächelte ihr beruhigend zu. »Ich muß deinen Bruder sprechen, Magda. Es ist sehr wichtig. Für uns alle.«

Da war es wieder, dieses ängstliche Flackern in ihren Augen. »Also gut. Es ist die Tür dort.«

Und sie deutete auf eine massive Holztür. Links daneben schien es in den Wohntrakt zu gehen. Ich konnte die Stimmen von Kindern aus dem Inneren des Hauses hören. Doch die Tür zur Werkstatt war verschlossen und anscheinend von innen verriegelt. Die winzigen Fensterscheiben des Fachwerkgebäudes waren so gut wie blind. Jedenfalls konnte ich durch sie nicht ins hineinspähen.

Ich ballte die rechte Faust und donnerte damit gegen die Tür. Magda blieb neben mir stehen und rang nervös die Hände. Ihr mächtiger Busen hob und senkte sich mit den Atemzügen. Ich konnte regelmäßige Geräusche hören. Das Klirren von Metall. Klänge, wie sie von arbeitenden Menschen verursacht werden. Das heißt – wenn es Menschen waren, die dem Gesellen Melchior Hansen halfen.

Ich versuchte es noch einmal. Laut klang mein Klopfen. »Mach die Tür auf, Melchior! Es ist sehr wichtig!«

Nach einer endlos erscheinenden Zeitspanne hörte ich endlich eine brüchige Stimme. »Wer ist da?«

»Du kennst mich nicht«, erwiderte ich so eindringlich wie möglich. »Mein Name ist Mark Hellmann. Ich bin ein Fremder. Aber ich glaube, daß ich dir helfen kann.«

»Mir kann keiner mehr helfen.« Dieser Satz klang verzweifelt. Er zeugte von unendlicher Erschöpfung.

»Es gibt immer einen Ausweg, Melchior. Auch Mephisto ist nicht allmächtig!« Meine Bemerkung war ein Schuß ins Blaue gewesen. Aber er schien sein Ziel voll getroffen zu haben.

»Was weißt du von Mephisto? Was weißt du von unserem Abkommen?«

»Mach die Tür auf, Melchior. Dann können wir über alles reden.«

Stille. Ich hörte nur mein eigenes Herz, das in der Brust klopfte.

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Endlich wurde ein Riegel weggeschoben. Zentimeter für Zentimeter öffnete sich die Tür.

Magda schlug sich entsetzt eine Hand vor den Mund, als sie ihren Bruder sah. Melchior Hansen wirkte auf mich wie ein lebender Leichnam. Wirr stand das Haar von seinem Kopf ab. Sein Gesicht war von nacktem Entsetzen gezeichnet. Er schien nur noch durch die Angst vor dem Tod auf den Beinen gehalten zu werden.

»Melchior!« rief das Mädchen aus. »Was haben sie mit dir gemacht?«

Mit zitternder Hand winkte er uns herein. »Kommt! Kommt in meine Glockenhölle!«

Wir betraten die Werkstatt, die im Halbdunkel lag. Eine unerträgliche Hitze herrschte in dem Raum. Es war noch um etliche Grade wärmer als draußen an diesem Frühsommertag.

»Was passiert hier?« fragte ich. Melchior schien froh, durch seine Erklärungen für einen Moment

von der drückenden Last auf seiner Seele abgelenkt zu werden. »Das dort hinten ist der Flammofen. Dort schmelzen wir die Metall-Legierung, aus der die Glocke gegossen wird:« Er deutete auf ein riesiges Loch im Erdboden. »Das ist die Dammgrube. Dort steht die Lehmform der Glocke. Durch die Gußrinne leiten wir das flüssige Metall hinein. Dann…«

Ein Entsetzensschrei seiner Schwester unterbrach ihn. Sie hatte ein Wesen aus der Grube klettern sehen, das ich niemandem für seine Alpträume wünschen möchte.

Mein Ring erwärmte sich immer stärker! Aber auch ohne seine Warnung hätte ich gewußt, daß eine Höllenkreatur vor mir stand.

Das Monstrum war größer als ein Teufelstroll. Es hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Schimpansen. Nur waren die Beine etwas länger. Und der Kopf ähnelte eher dem Totenschädel eines Wildschweins. Die Augen bestanden nur aus roten Schlitzen. Und an den klauenähnlichen Händen und Füßen hatte es gebogene, scharfe Krallen.

»Was soll das?« Sprechen konnte es auch. Es klang wie ein heiseres Bellen. »Niemand darf die Glocke sehen! Du weißt, was unser Herrscher gesagt hat!«

Melchior machte eine hilflose Geste. Das Höllenwesen gab einen durchdringenden Laut von sich. Sofort krochen weitere Untiere aus der Grube und kamen auf Magda und mich zu. Der

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Glockengießergeselle stand mit hängenden Armen hilflos daneben. Er war durch seine Erlebnisse so geschockt, daß er noch nicht mal seine Schwester verteidigen konnte.

Fieberhaft sah ich mich nach einer Waffe um. In der Ecke neben dem Eingang lag auf einer Werkbank ein schwerer Hammer. Ich sprang hin, aktivierte meinen Ring an meinem Muttermal. Der Lichtstrahl blitzte auf. Die Monstren kamen näher. Zum Glück bewegten sie sich recht langsam. Ich schrieb das Wort für »Waffe« aus dem Futhark-Runenalphabet auf das Werkzeug.

Keine Sekunde zu früh! Denn da streckte schon die erste Kreatur ihre dämonischen

Klauen nach Magda aus. Das Mädchen hatte sich aus ihrer Erstarrung gelöst. Plötzlich hatte sie ein kleines Beil in der Hand, das sie unter ihrem Umhang aufbewahrt haben mußte. Sie hieb es mit voller Wucht in den widerwärtigen Schädel.

Bei einem Menschen oder einem Tier wäre die Wunde sehr schwer gewesen. Doch einem Dämon konnte man so nicht beikommen.

Ich packte den Hammer. Er war so, schwer, daß ich ihn mit beiden Händen führen mußte. »Zur Seite, Magda!«

Mit einem weiten Schwung holte ich aus und ließ das weißmagisch aufgeladene Werkzeug auf die Bestie niedersausen. Ich spürte, wie Knochen splitterten. Dann wurde der Körper des Wesens in gleißendes Licht getaucht. Und seine untote Existenz verging augenblicklich.

Die anderen Kreaturen rückten näher. Sie waren etwas vorsichtiger. Denn sie hatten ja gerade erlebt, was mein Hammer mit ihresgleichen anrichten konnte. Aber ich las in ihren tückischen Gesichtern nichts anderes als den Trieb, das Gute zu vernichten. Wie man es von Höllenwesen erwarten konnte.

Melchior Hansen stand immer noch unbeweglich an seinem Platz. Er kam mir vor wie ein Zombie. Inzwischen blickte ich etwas durch. Er mußte wohl Mephisto versprochen haben, für ihn eine Glocke zu gießen. Im Gegenzug würde der Mega-Dämon ihm eines seiner großartigen Lockangebote gemacht haben. O ja, Mephisto war wirklich der König der Verführer. Alles konnte man von ihm bekommen. Nur daß man dafür in alle Ewigkeit im Fegefeuer schmoren würde – das sagte er einem natürlich nicht.

Die Monstren griffen an. Sie wollten mich in die Zange nehmen. Mit dem magischen Werkzeug mähte ich einen weiten Halbkreis

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um mich herum. Ein Höllenwesen sprang nicht schnell genug zurück. Ich erwischte es am Bein. Selbst diese leichte Berührung reichte aus, um es sich in Nichts auflösen zu lassen.

Aber es waren immer noch drei Kreaturen gegen mich allein. Magda konnte mir ja nicht helfen, weil sie keine weißmagische Waffe hatte. Sie stand an meiner Seite, ihr Beil schlagbereit.

»Soll ich Hilfe holen, Mark?« fragte sie: Aber ich wußte nicht, wer uns in dieser Situation beistehen konnte. Vielleicht der arme Karl? Er schien sich mit übersinnlichen Dingen auszukennen.

In diesem Moment hörte ich Rufe von vielen Menschen draußen auf dem Hof. Und das verzweifelte Gebrüll eines einzelnen.

Ich machte noch einen Vorstoß und ließ den Hammer auf den Schädel einer dritten Höllenausgeburt krachen.

Auch sie konnte der magischen Kraft des Guten nicht widerstehen. Die beiden verbliebenen Monster machten sich unter entsetzlichem Gekreisch aus dem Staub. Ich wollte diese Glocke sehen. Aber zuerst mußte ich erfahren, was vor der Tür los war. Ich zog mich rückwärtsgehend aus der Affäre. Magda wich nicht von meiner Seite.

Wir öffneten die Tür und traten hinaus in den sonnendurchfluteten Hof.

Das erste, was ich sah, war eine grausam entstellte Fratze. »Die Pest!« rief jemand.

* Viel ist über die Pest geschrieben worden. Diese ansteckende

Krankheit, die im Mittelalter »Der Schwarze Tod« genannt wurde, breitete sich damals in der ganzen Welt aus. Innerhalb von sechs Jahren kam ungefähr ein Drittel der europäischen Bevölkerung durch diese Epidemie ums Leben.

Als ich auf dem Hof der Glockengießerei diesem Pestkranken gegenüberstand, mußte ich wieder an meine Geschichtsseminare und die verschiedenen Formen der Pest denken. Dieses arme Opfer hier litt offenbar an der Beulenpest. Gesicht, Hals und Unterarme waren übersät von eiförmigen Beulen. Er stand mitten auf dem Hof und starrte mich aus seinem entstellten Gesicht ungläubig an.

Magda schien den armen Kerl zu kennen. »Dierks!« rief sie mit

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ihrer hellen Stimme. Also war der Pestkranke einer der anderen Glockengießergesellen. »Was ist mit dir passiert, Mann?«

Plötzlich donnerte die fanatische Predigerstimme von Blasius los. »Er war es!«

Wir hatten ihn und die anderen Flagellanten zuerst gar nicht bemerkt. Dabei füllten sie den ganzen Hof und noch einen großen Teil der Gasse.

Der Sektenführer deutete mit seinem nackten Arm auf mich. »Er war es! Mark Hellmann hat die Pest nach Hamburg gebracht!«

Die Flagellanten ließen ihre Lederriemen mit den eingeknoteten Nägeln kreisen. Aber diesmal nicht, um sich den eigenen Rücken blutig zu schlagen. Diesmal wollten sie mich damit erschlagen.

Die Menschen des Mittelalters wußten nicht, wie sie die Pest behandeln sollten. Sie wußten auch nicht, daß sie durch Ratten übertragen wurde. Und Ratten leben im Dreck. Manche deutschen Städte taten damals unbewußt das Richtige. Nürnberg sorgte zum Beispiel für saubere Straßen und sogar eine Art Müllabfuhr. Die Einwohner wurden zum regelmäßigen Waschen und Baden aufgerufen. Deshalb blieb diese fränkische Stadt vom »Schwarzen Tod« größtenteils verschont.

Das und noch viel mehr hätte ich den Flagellanten erzählen können. Aber sie hätten mir nicht geglaubt. Daß es so etwas wie kleine Pestbazillen geben sollte, war für die mittelalterlichen Menschen unvorstellbar. Für sie war die Epidemie eine Strafe Gottes. Eingeschleppt durch Fremde. So wie mich, Mark Hellmann aus Thüringen.

Trotzdem versuchte ich es noch im Guten. »Das stimmt nicht!« brüllte ich. »Ich habe diesen Mann noch nie gesehen. Wie kann ich jemandem die Pest bringen, dem ich nie auch nur nahe gekommen bin?«

»Zauberei! Hexerei!« grölte Blasius. Damit schien er alles erklären zu können. Und dann fügte er hinzu: »Ergreift ihn!«

Ich hatte keine Chance. Die Flagellanten waren zwar durch ihr Fasten und ihre Selbstverstümmelung ziemlich schwach. Doch es waren einfach zu viele. Ich hieb mit dem Hammer wild um mich. Mindestens ein Dutzend konnte ich zu Boden schicken. Doch für jeden, den mein Werkzeug traf, schienen zehn andere aus dem Boden zu wachsen. Hinzu kamen die langen Riemen, mit denen sie mich peitschten. Ich konnte unmöglich alle abwehren. Sie

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rissen mir das Hemd in Fetzen. Und lange Striemen in meine Haut. Es schmerzte. Kaum zu glauben, daß sich die Flagellanten selbst freiwillig solchen Qualen aussetzten!

Wo war eigentlich Magda? Ich konnte sie nicht sehen, denn die Sektierer schlossen ihren Ring um mich immer enger. Mit beiden Händen hielt ich immer noch den Hammer und schlug Breschen in ihre Reihen. Zusätzlich verteilte ich mit dem linken Bein gezielte Fußtritte. Innerlich schlug ich mir auf die Schulter für jede Stunde Karatetraining. Dort hatte ich gelernt, effektive Fußtritte auszuteilen. Doch jetzt hingen mindestens ein halbes Dutzend Flagellanten an meinem rechten und linken Arm. Sie entwanden mir den Hammer. Zerrten mich zu Boden. Dann fühlte ich noch ihre Füße auf meinem Körper.

Seltsam, dachte ich mit bitterem Humor, der Steptanz wird doch erst in einigen Jahrhunderten erfunden!

Dann wurde es Nacht um mich.

* Die Schmerzen waren überall. Na ja, außer vielleicht auf

meinem linken Augenlid. Stöhnend zwinkerte ich. Und nahm das Halbdunkel um mich

herum wahr. Ich lag in einem steinernen Verlies. Das Loch war so niedrig, daß sich hier ein hochgewachsener Mann wie ich nicht aufrichten konnte. Aber das wäre auch sonst nicht gegangen. Denn mein rechtes Handgelenk war mit einer kurzen Kette an einem Haken in der Wand befestigt. Unter mir eine Handvoll dreckiges Stroh. Sogar den Ratten schien es hier zu schmutzig zu sein. Dadurch blieben sie auf Distanz zu mir. Wenigstens etwas.

Das Fenster an der gegenüberliegenden Wand war so klein wie ein normales Schulheft. In der Mitte ein Eisengitter. Selbst wenn ich hier nichts zu essen bekam, würde ich nie schmal genug werden, um durch diese Öffnung in die Freiheit kriechen zu können. Die Tür machte einen sehr massiven Eindruck.

Aber immerhin schien ich Gesellschaft zu haben. Jedenfalls hörte ich ein höhnisches Gelächter aus der anderen Ecke des Kerkers.

Mephisto saß mitten in der Luft. Kunststück. Ihn, den Mega-Dämon, konnten Menschen nicht einsperren. Er war offenbar nur

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hier, um sich an meinem hilflosen Zustand zu weiden. Und meine Lage konnte diesmal nicht anders als beschissen

genannt werden. Mein Körper war über und über mit Schnittwunden bedeckt, die mir die Sektierer mit ihren Lederriemen zugefügt hatten. Blutergüsse und Prellungen zierten Arme, Beine und Brust. Immerhin schien nichts gebrochen zu sein. Aber das war auch das einzige. Mein Ring war natürlich weg.

Dem Höllenherrscher war mein suchender Blick nicht entgangen. »Dein schöner Ring ziert jetzt den Finger von Blasius«, informierte er mich mit ironischer Freundlichkeit. »Soll sich dieser verrückte Flagellant damit vergnügen, bis ich ihm das Schmuckstück endgültig abnehme.«

»Du hast dich schon oft zu früh gefreut, Mefir«, forderte ich ihn heraus. Denn Mephisto schätzte es überhaupt nicht, mit diesem Spitznamen angeredet zu werden.

Mühsam unterdrückte er seinen Groll. »Ich wüßte nicht, wer dir diesmal helfen soll, Hellmann. Daß du dich selbst aus der Affäre ziehst, halte ich für ausgeschlossen. Also wird meine Glocke läuten!«

Ich tat, als könnte ich mir nur mühsam das Gähnen verkneifen. »Leg mal eine andere Platte auf, Mefir. Eine Glocke mehr oder weniger – was soll’s?«

»Du hast offenbar noch nicht kapiert, worum es hier geht, Hellmann!« Ein übles Glitzern erschien in seinen bösen Augen. »Meine Glocke ist nämlich ein ganz besonderes Stück.«

»Wieso?« »Weil ich sie mit einem Höllenzauber einweihen werde. Und

dann…« »Komm zur Sache, du gehörnter Langweiler!« »Dann«, fuhr Mephisto unbeirrt fort, »wird ihr Klang ertönen.

Und jeder Mensch, der diese Töne vernimmt, wird sofort zu meinem Diener!«

Ich erstarrte. Alles an Schurkereien hätte ich mir vorstellen können, aber das nicht.

Dem Mega-Dämon gefiel es, mich so schockiert zu sehen. »Schon bald werden Tausende von Menschen zu Höllensklaven werden. Ist das nicht lustig, Hellmännchen? Schade, daß du es wohl nicht erleben wirst. Denn dann werden dich diese nützlichen Idioten, diese Flagellanten, schon als Pestbringer auf dem Scheiterhaufen verbrannt haben!«

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* Der arme Karl war ein vorsichtiger Mann. Deshalb war er auch

schon über sechzig Jahre alt geworden. Im Mittelalter galt er damit schon als Greis. Viele Menschen kamen schon im Kindesalter durch Krankheiten ums Leben, die man im 20. Jahrhundert mit Medikamenten leicht bekämpfen kann. Viele Menschen starben aber auch durch Hunger und Kriege.

Der arme Karl hatte bisher überlebt. Und er wollte es auch weiterhin. Deshalb hatte er sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht, als die Flagellanten auf den Hof der Glockengießerei gestürmt waren. Aus sicherer Entfernung hatte der Finder beobachtet, wie sie Mark Hellmann niedergerungen hatten. Der alte Mann wußte genau, daß er seinem Freund aus Thüringen in diesem Moment nicht helfen konnte.

Er schlich den Sektierern nach und bekam mit, wie sie den großen Fremden in den Stadtkerker von Hamburg schafften. Auch einige Ratsherren gehörten zu den Flagellanten. Es war klar, daß Blasius großen Einfluß in der Stadt hatte. Wenn er von jemandem behauptete, daß er ein Pestbringer sei, dann tat jeder Hamburger gut daran, das nicht anzuzweifeln.

Der arme Karl hatte deutlich gespürt, daß Mark Hellmann ein guter und aufrechter Mensch war. Schon lange machte sich der Pendler Sorgen über den Terror, mit dem die Flagellanten unschuldige Menschen überzogen. Und das alles unter dem Deckmantel des Glaubens. Der Alte entschloß sich, dem Thüringer zu helfen. Aber allein würde er das nicht schaffen.

Sein treues Pendel führte den Finder innerhalb einer Stunde zu Till Eulenspiegel. Der Schelm saß in einem Wirtshaus. Neben sich hatte er ein rothaariges Mädchen, das ihn anhimmelte. Und die begeisterten Zuhörer um ihn herum sorgten dafür, daß der Biernachschub nie abriß. Denn der Mann mit der Schellenkappe erzählte die besten Episoden aus seinem bewegten Leben. Die Kneipe dröhnte vom Lachen der fröhlichen Zecher.

Doch als Eulenspiegel den Namen Mark Hellmann hörte, ließ er sich vom armen Karl sofort nach draußen zerren.

»Ich hatte ihn schon aufgegeben!« gestand der Narr, als sie auf der Gasse standen. »In dieser Hafenkneipe lernte ich die Maid mit

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dem Feuerschopf kennen. Du hast sie wohl dort neben mir gesehen, Alter. Jedenfalls landete ich in ihrem Mägdegemach. Du verstehst schon, hehehe. Als ich zurückkehrte, war Hellmann verschwunden. Jemand sprach vom Matrosenpressen…«

»Davon weiß ich nichts«, entgegnete der Pendler. Doch er berichtete Eulenspiegel mit knappen Worten, was in der Glockengießerei geschehen war. Das lustige Gesicht des Schelms verzerrte sich vor Abscheu.

»Diese Flagellanten-Brut!« fluchte der Narr. »Die haben schon lange eine Lektion verdient!«

Plötzlich hellte sich sein Gesicht wieder auf. »Und die sollen sie auch bekommen. Armer Karl, bist du zu jeder Schandtat bereit?«

»Zu jeder Schandtat!« erklärte der Pendler grinsend.

* Die beiden Büttel dösten im Vorraum des Kerkers vor sich hin.

Ihre Helme hatten sie an Wandhaken aufgehängt. Ihre Köpfe waren nur mit den Kettenkapuzen bedeckt, die zu ihrer Dienstkleidung gehörten. An einem breiten Tisch saßen die Männer nebeneinander. Als ständige Geräuschkulisse hörten sie das Stöhnen ihrer Gefangenen. Das merkten die Wärter jedoch überhaupt nicht mehr. Wenn mal einer der Unglücklichen dort drinnen verhungerte oder an einer Krankheit starb, holten sie halt den Totengräber. Die meisten Gefangenen wurde sowieso früher oder später hingerichtet. Neuerdings hatten sie sogar einen Pestbringer im Loch.

»Bald Zeit zum Mittagessen, Heinrich«, sagte der eine Büttel, nur um etwas zu sagen. Dann trat er eine Küchenschabe tot, die über den gemauerten Boden kroch. Nur, um etwas zu tun.

Der andere machte sich noch nicht mal die Mühe zu antworten. Nun waren plötzlich Schritte zu hören. Zwei Flagellanten

erschienen in dem Vorraum. Jeder hätte sie auf den ersten Blick als Mitglieder dieser Sekte erkannt. Ihre Oberkörper waren nackt. Auf den Köpfen trugen sie die dunklen Hüte. Und ihre Beine wurden von den langen Röcken verdeckt.

Die Büttel standen respektvoll auf. Sie hatten schon längst gelernt, daß man sich mit diesen Fanatikern gutstellen mußte. Wenn man nicht selbst in Todesgefahr geraten wollte.

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»Was ist das?« brüllte der Kleinere der Flagellanten aus Leibeskräften. Er hatte eine Nase, die an den Schnabel eines Raubvogels erinnerte. »Warum tut ihr noch keine Buße?«

»Hä?« Der Büttel, der Heinrich hieß, glotzte dümmlich in die Gegend. »Wie meint ihr das, Herr?«

»Wißt ihr nicht, was draußen los ist?« grollte der hakennasige Flagellant.

Wie auf Kommando schüttelten die beiden Gefangenenwärter gleichzeitig die Köpfe.

»Die Pest wütet!« Der heisere Schrei aus der Kehle des Kleinen hätte es glatt mit Blasius’ fanatischem Gebrüll aufnehmen können. Die Büttel zuckten zusammen. »Nur wer sich ständig züchtigt, bleibt verschont!«

Die Männer mit den Kettenkapuzen hatten Angst vor der Krankheit. Das sah man ihnen ganz deutlich an.

»Aber wir sind keine Flagellanten«, warf Heinrich schüchtern ein. Dabei merkte man ihm an, daß er alles tun würde, um von der Pest verschont zu bleiben. Genau wie sein Kumpan.

»Alle sind jetzt Flagellanten!« behauptete der ältere Sektierer. »Jedenfalls alle, die überleben wollen!«

»Was sollen wir tun?« »Tut Buße!« kommandierte der Hakennasige. »Runter mit den

Kleidern!« Zitternd gehorchten die beiden Büttel. Kurze Zeit später

standen sie nackt da. »Und nun legt euch über den Tisch!« Widerspruchslos taten sie

es. »Bedeckt die Augen mit dem linken Arm! Wenn ihr den Satan

nicht erblickt, kann er euch auch nichts tun.« Auch dieser Anordnung kamen die Wächter nach.

Der Hakennasige drückte nun jedem von ihnen einen Lederriemen in die Hand. »Jetzt schlagt ihr auf das feiste Fleisch ein. Und bereut bei jedem Hieb eure Sünden.«

Und die Büttel begannen wirklich, die Riemen auf ihre hoch emporragenden Hintern niedersausen zu lassen.

Der kleinere Flagellant holte sich auf Zehenspitzen den Schlüsselbund, der an einem Haken an der Wand hing. Dann schlossen er und sein Freund die Kerker auf.

Das Klatschen der Riemen schluckte jedes andere Geräusch. Aber es war gut, daß die Büttel ihre Augen geschlossen hielten.

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Sonst hätten sie gesehen, daß keiner der beiden Flagellanten blutige Striemen auf dem Rücken hatte.

* Als sich die Kerkertür öffnete, schmerzte der plötzliche

Lichteinfall meinen Augen. Doch nach einigen Momenten hatte ich mich daran gewöhnt. Mein Herz machte einen Hüpfer. Denn in der Kleidung von Flagellanten stand niemand anders vor mir als Till Eulenspiegel und der arme Karl!

Der Schelm legte grinsend den Zeigefinger an die Lippen, während er mit einem kleinen Schlüssel meine Kette aufschloß.

»Wir haben einfach alle Kerker geöffnet«, wisperte er. »Vielleicht entkommt ja auch ein Dieb – aber sei es drum. Jetzt nur schnell raus hier! Sonst kriegen Karl und ich einen Ehrenplatz auf dem Scheiterhaufen neben dir.«

»Ich danke euch!« krächzte ich. »Aber wie…?« »Alles weitere später!« entschied Eulenspiegel. »Kannst du

gehen?« Ich nickte, und dabei tat mir schon alles weh. Aber die Aussicht

auf Freiheit weckte die letzten Kräfte in meinem wunden Körper. Eulenspiegel ging voran, dann folgte ich. Den Schluß bildete der arme Karl.

Im Vorraum des Kerkers sahen wir einige andere abgerissene Gestalten, die ebenfalls auf dem Weg nach draußen waren. Einige waren schon so geschwächt, daß sie nur noch kriechen konnten.

Auf einem Tisch lagen zwei nackte Wachen, die sich selbst den Hintern versohlten. Da gab es für mich keinen Zweifel, das mußte Eulenspiegels Werk sein! Trotz meines üblen Zustandes grinste ich.

Offenbar hatte der Schelm denselben Trick schon öfter angewandt. Jedenfalls begegneten uns auf dem Weg nach draußen noch einige weitere Stadtbüttel, die mit geschlossenen Augen eifrig ihre Sitzfläche gerbten.

Ein echter Eulenspiegel-Streich! Unbehelligt gelangten wir in den Hof. Dort wartete ein

Ochsenkarren mit einem Fuhrmann, der offenbar eingeweiht war. Jedenfalls forderte er mich auf, mich auf den Wagen zu legen. Kaum hatte ich das getan, als er Schichten von Heu über mich

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warf. Ich mußte niesen. Dann schwanden mir erneut die Sinne. Die

wenigen Schritte vom Kerker bis hinaus aus der Festung waren zuviel für mich gewesen.

* Diesmal erwachte ich unter angenehmeren Umständen. Ich lag

in einem sauberen Bett. Um mich herum war ein schlichter, aber heller Raum. Eine Mönchszelle offenbar. Der einzige Wandschmuck bestand aus einem einfachen Kreuz. Am Kopfende meines Bettes saß ein Mönch in einer dunkelbraunen Kutte. Er lächelte mir zu, als ich mich verwirrt umsah.

»Wo bin ich?« »Im Kloster des Heiligen St. Georg, Mark. Deine Gefährten

brachten dich her.« Die Flagellanten! schoß es mir durch den Kopf. War ich vom

Regen in die Traufe geraten? Es war, als ob der Mann in der Kutte meine Gedanken gelesen hätte.

»Mit der Flagellanten-Sekte haben wir nichts zu tun«, beruhigte er mich. »Im Gegenteil. Ihr Anführer Blasius ist ein böser Mensch. Es wird Zeit, daß ihm jemand das Handwerk legt.«

»Das würde ich gerne tun«, sagte ich. »Dafür muß ich aber erst wieder fit werden!«

Der Mönch blickte mich entgeistert an. Der Grund dafür fiel mir bald ein. Das Wort »fit« konnte er nicht verstanden haben.

»Ich muß zu Kräften kommen«, wiederholte ich indirekt. Wieder lächelte er. »Ich will sehen, was die Klosterküche zu

bieten hat. Ich bin übrigens Bruder Michael.« Er entfernte sich mit würdevollen Schritten. Gleich darauf

kamen Eulenspiegel und der arme Karl in meine Zelle. »Hier werden dich die Flagellanten niemals suchen«, meinte der

Schelm. »Die Sektierer sind zwar frech. Aber ein Kloster auf den Kopf stellen – das trauen sie sich dann wohl doch nicht.«

»Hoffen wir es«, brummte ich. Mein Kopf dröhnte immer noch. Aber die Ruhe hatte mir gutgetan. »Wenn ich wenigstens mein magisches Schwert hätte…«

»Ach das«, beruhigte mich Eulenspiegel. »Das habe ich. Als du aus der Hafenkneipe verschwunden warst, habe ich es an mich

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genommen. Es liegt nebenan.« Eine Sorge weniger. Blieb noch mein geheimnisvoller Siegelring.

Laut Mephisto hatte ihn momentan dieser Blasius. Bevor ich darüber berichten konnte, kehrte Bruder Michael mit einer riesigen Schüssel Suppe zurück. Daneben legte er einen halben Brotlaib. Es duftete köstlich. Ich begann, die heiße Flüssigkeit in meinen leeren Magen zu löffeln.

Danach ging es mir besser. Ich berichtete den Freunden von Mephistos Glocke, mit der er die Menschen zu seinen Höllensklaven machen wollte.

»Das müssen wir verhindern!« rief Eulenspiegel aufgeregt. Der arme Karl nickte.

»Wenn es noch nicht zu spät ist!« bemerkte ich zähneknirschend.

* Blasius keuchte auf. Die üppigen Brüste des Schankmädchens

baumelten zum Greifen nah vor seinen schmierigen Händen. Der heuchlerische Sektenführer hatte die junge Frau in seine Privatgemächer kommen lassen. Sie hätte den Teufel im Leib, hatte er seinen leichtgläubigen Anhängern weisgemacht. Und er, der große Blasius, würde sie von ihren Sünden erlösen. Das würde jedoch nur klappen, wenn sie sich nackt auszog.

Aber bevor er das tat, ließ er sich bei Tisch von ihr bedienen. Wieder hatte er reichlich auffahren lassen. Eine kleine Entschädigung für die anstrengenden Predigten und die Schläge, die er sich tagsüber verpassen mußte. Aber heute war Blasius ganz besonders zufrieden mit sich. Daß er diesen Pestbringer Hellmann in den Kerker hatte werfen lassen, hatte ihn zu einem reichen Mann gemacht.

Grinsend schlug er seine Zähne in den fetten Schweinebraten, den er mit den Fingern aß. Die nackte Schankmaid mußte ihm immer wieder den goldenen Pokal mit Rheinwein füllen. Dabei grabschte der Sektenführer immer wieder nach den Brüsten des Mädchens. So, als wolle er sich Appetit für die Fleischeslust machen, die er für später am Abend eingeplant hatte…

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn in seiner Schlemmerei. Ungehalten brüllte er los: »Wer ist denn da?«

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Keine Antwort. Fluchend sprang der Flagellant auf, marschierte zur Tür und

drückte die schmiedeeiserne Klinke herunter. Niemand da. »Da soll doch der Satan…« murmelte Blasius. Aber er hielt sich zurück mit Fluchen. Wenn er nicht aufpaßte, rutschte ihm sonst vielleicht sogar eine Lästerung heraus, wenn er tagsüber vor seinen Anhängern den gottesfürchtigen Büßer spielte. Und das konnte peinlich werden.

Wieder war der Pokal leer. Pflichtschuldig näherte sich das Mädchen mit dem Weinschlauch. Der schwarzbärtige Sektierer spürte die Wärme ihres Körpers in nächster Nähe. Erregt packte er sie am Arm. »Komm her, du…«

Die Schankmaid schrie auf und ließ vor Schreck den Weinschlauch fallen.

In diesem Moment wurden die Fensterläden von außen eingeschlagen!

* Ich kam über diesen heuchlerischen Blasius wie ein Racheengel.

Der arme Karl hatte das Versteck des Flagellanten ausgependelt. Im Schutz der Dunkelheit lenkte Eulenspiegel ihn an der Tür ab, während ich mich über die Außenmauer zum Angriff rüstete.

Mit einem Regen aus Holzsplittern landete ich in dem Zimmer. Das nackte Mädchen drückte sich in eine Ecke und versuchte, ihre Blößen zu bedecken, doch sie hatte dafür Hände zuwenig. Ich interessierte mich im Augenblick sowieso nur für meinen Siegelring. Und diesen sauberen Herrn Blasius!

Ich hatte mein Schwert dabei. Nachdem sich der Flagellant von seiner ersten Überraschung erholt hatte, packte er seinen Weinbecher und warf ihn nach mir. Ich duckte mich und stieß den Tisch mit meinem Fuß um. Dann verpaßte ich Blasius mit der flachen Seite meines Schwertes einen kräftigen Hieb über den Schädel. Ich wollte ihn nicht töten oder schwer verletzen, nur außer Gefecht setzen.

Leicht benommen torkelte er zurück. Doch noch hatte ich nicht gewonnen. Ich warf das Schwert zur Seite und setzte ihm nach. Packte ihn am Wams. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, um seine Leute herbeizurufen. Schon hatte ich ihn an der Kehle und

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drückte zu. Die Augen quollen ihm hervor. Wahrscheinlich mehr aus Angst.

Denn so hart war mein Griff nun wirklich nicht. Er dachte wohl, sein letztes Stündlein hätte geschlagen.

»Du weißt, was ich will!« zischte ich ihm ins Ohr. Er nickte. Der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht.

Blasius hob seine linke Hand hoch, an der mein Siegelring steckte. Ich dachte, er würde aufgeben. Und machte mich daran, ihm den Ring abzuziehen. Doch ich hatte ihn unterschätzt. Im letzten Moment ballte er die Faust und ließ sie auf mein rechtes Auge krachen. Der Aufprall warf mich zurück. Aber so leicht würde er mir nicht davonkommen. Ich drehte mich auf dem rechten Standbein und säbelte mit dem linken einen weiten Halbkreis. Mein nackter Fuß krachte unsanft gegen seine Schläfe.

Das schickte ihn endgültig ins Land der bösen Träume. Ich kniete nieder und zog ihm den Ring ab. Endlich konnte ich

mein persönliches Kleinod wieder überstreifen. Es war ein gutes Gefühl, die Macht und Sicherheit des Siegelrings von neuem zu spüren. Mit ihm würde ich in meine Zeit zurückkehren können. Aber vorher hatte ich hier noch etwas zu erledigen.

Das Mädchen stand immer noch zitternd in der Ecke. Ich lächelte ihr beruhigend zu und legte den Zeigefinger an meine Lippen. Dann griff ich mir das Schwert und war so schnell verschwunden, wie ich gekommen war.

* Melchior Hansen arbeitete wie ein Roboter. Vergessen war sein

Handwerkerstolz. Er führte nur noch automatisch die Bewegungen aus, um die Glocke fertigzustellen. Tief in seinem Inneren wußte er, daß er sich an den Teufel verkauft hatte. Und das gefiel ihm überhaupt nicht mehr. Aber es gab keinen Ausweg.

Dieser Mark Hellmann, der ihm hatte helfen wollen, war von den Flagellanten verschleppt worden und sollte als Pestbringer verbrannt werden. Magda war seit diesen Ereignissen spurlos verschwunden. Sonst fiel Melchior niemand ein, der ihm den Strick vom Hals hätte nehmen können.

Die höllischen Monster folgten Melchiors Anweisungen. Mephisto hatte ihm einige neue »Helfer« geschickt, nachdem Hellmann ein

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paar von den Bestien beseitigt hatte. Als der Geselle sah, daß Hellmann gegen die Mächte des Bösen sogar einen Sieg davontragen konnte, hatte er dem Mann aus Thüringen vertraut. Aber nun war es zu spät. Hellmann würde sterben. Etwas anderes konnte sich der unglückliche Melchior nicht vorstellen.

»Hiev an!« kommandierte er den Ausgeburten der Hölle. Nach dem Gießen war die Glocke gut abgekühlt. Nun hatten die

ekelhaften Wesen die Dammgrube geleert. Vorsichtig entfernte Melchior den Mantel der Glocke. Die Kreaturen drehten eine Seilwinde. Langsam, Zentimeter für Zentimeter kam Mephistos Glocke hoch.

Wie stolz wäre Hansen normalerweise gewesen! Diese Glocke hatte er ganz allein gegossen. Sie war sein Meisterstück. Aber in seinen trüben Augen gab es keinen Glanz mehr. Er hatte sich selbst aufgegeben.

Er griff zu einer kurzen Metallsäge und machte sich lustlos daran, die Angüsse zu entfernen. Dann hängte er den Klöppel ein.

»Fertig?« zischte eine der höllischen Gestalten. »Fertig!« bestätigte Melchior. Mit vereinten Kräften hievten sie

die Glocke auf ein Holzgestell. Dort wurde sie ähnlich einer Kirchenglocke im Geläut eines Turmes aufgehängt.

»Hier drinnen kommt ihr Klang natürlich noch nicht so zur Geltung«, erklärte der Glockengießergeselle.

»Macht nichts!« kreischte das Höllenwesen und packte den Klöppel. »Probieren wir sie aus!«

Und die Glocke ertönte. Dumpf dröhnten ihr böses Geläut durch die Werkstatt und durch die schmale Gasse, in der das Haus stand. Melchior hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Sorgfältig hatte er sich an die Anweisungen des Höllenfürsten gehalten. Mephistos Glocke funktionierte. Wer immer ihren Schlag hörte, verwandelte sich sofort in eine dämonische Bestie!

Melchior Hansen war der erste.

* Ich hatte Eulenspiegel und dem armen Karl verboten, mich noch

einmal in die Werkstatt zu begleiten. Auch die Hilfe der Mönche wollte ich nicht in Anspruch nehmen. Denn das Risiko war zu groß. Wir wußten alle nicht, ob Mephistos Glocke schon fertig

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war. Wenn sie funktionierte, würde jeder sofort zum Dämon, der ihren Klang hörte. Also auch ich. Doch mich schützte als einzigen die weißmagische Kraft des Rings. Jedenfalls hoffte ich das. Einen Versuch hatte ich nicht frei. Denn wenn ich die Glocke hörte und der Ring versagte, dann war ich verloren. Für alle Ewigkeit. Mephisto würde mich nicht mehr aus seinen schwarzen Klauen lassen.

Im Laufschritt hetzte ich durch die engen Gassen Hamburgs. Zum Glück habe ich einen guten Orientierungssinn. Außerdem half mir mein Ring. Schon auf größere Entfernung zeigte er sich empfindlich für schwarzmagisches Unheil. Wie ein Radargerät wies er mir meinen Weg zurück zu der Glockengießerwerkstatt.

Das Schwert von Erhart Waldheim steckte in meinem Gürtel. Als ich um die letzte Ecke vor dem Ziel bog, zückte ich es. Mir war klar, daß ich es gleich brauchen würde. Denn ich hörte deutlich das Schlagen von Mephistos Glocke!

Die Schallwellen brandeten heran. Führten Bosheit, Brutalität, Lüge, Verrat und alle anderen Gefühle mit sich, die der Höllenherrscher so schätzte. Aber mich konnten sie nicht erreichen. Mein magischer Ring schien einen unsichtbaren Panzer um mich gelegt zu haben.

Dafür aber waren andere Menschen von dem dämonischen Zauberklang voll erwischt worden!

Ding, dong, ding, dong, ding, dong! machte Mephistos Glocke. Mit Erschrecken sah ich, daß sich schon einige Männer und

Frauen verwandelt hatten. Ihre Augen waren blutrot geworden und begannen zu glimmen. Aus ihren weit aufgerissenen Mündern drang Schwefelgeruch. Und ihre Hände hatten sich in höllische Krallen verwandelt. Damit würden sie töten, um der puren Lust an der Zerstörung willen. Ich kannte mich aus. Dämonen hatte ich leider schon genug gesehen.

Und auch diese Kreaturen schienen instinktiv zu spüren, was sie von mir zu halten hatten. Menschen waren sie jedenfalls nicht mehr. Obwohl sie Kleider trugen und bis vor kurzem ein ganz normales Leben gehabt hatten. Aber der Klang der Teufelsglocke hatte sie zu Dienern Mephistos gemacht!

Mit gräßlichen Schreien stürzten sie sich auf mich. Ich durfte nicht lange fackeln, wenn ich überleben wollte. Einen

rasenden Dämon streckte ich mit einem Schwerthieb nieder. Wenn er ein Mensch gewesen wäre, hätte ihm der Treffer nur

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eine leichte Fleischwunde zugefügt. So aber verglühte er sofort und ließ nur eine Pfütze mit zähflüssigem Schleim zurück. Das war für mich der letzte Beweis, daß ich es mit Schwarzblütern zu tun hatte.

Durch einen furchtbaren Stoß wurde ich nach hinten geworfen. Ein weiblicher Dämon hatte mich mit einem Krallenhieb erwischt. Natürlich waren diese Bestien auch unendlich viel stärker als Menschen.

Ich strauchelte, konnte mich aber fangen. Und dann drang ich mit einem Gewitter aus Schwertstreichen auf sie ein. Ich mußte die Glocke zerstören. Nicht auszudenken, wenn der Klang von weiteren Menschen gehört würde. Von tausenden, vielleicht sogar von der ganzen Stadt Hamburg…

Die Dämonen hatten übermenschliche Kräfte. Das mußte ich durch Schnelligkeit wettmachen. Ich kämpfte mich durch ihre Reihen. Einer nach dem anderen sank unter meinem Schwert nieder und wurde von seiner unnatürlichen Existenz erlöst.

Ich kämpfte wie ein Berserker. Schritt für Schritt kam ich der Werkstatt näher. Durch die offene Tür drang das Geläut dieser Teufelsglocke auf die Gasse. Ein Dämon sprang mich von hinten an. Seine Krallen fuhren über meine Stirn, blutige Striemen hinterlassend. Ich drehte den Oberkörper zur Seite und stach mein Schwert dorthin, wo ich ihn vermutete. Dann war ich ihn los.

Ich stürmte in die Werkstatt. Da trat mir jemand in den Weg. An der Kleidung sah ich, daß diese Kreatur noch vor kurzem Melchior Hansen gewesen sein mußte. Aber von seiner menschlichen Existenz war nichts mehr übrig. Der Glockengießer war wohl als erster das Opfer dieser verfluchten Glocke geworden. Was immer Mephisto ihm im Gegenzug für das Glockengießen versprochen hatte, es war gelogen gewesen. Außer, daß dieser Mann zur Hölle fahren würde. Ich konnte nichts mehr für ihn tun. Denn das dämonische Gift wirkte schon zu stark in ihm. Deshalb griff er mich auch mit ausgestreckten Krallen an.

Seine Arme fuhren durch die Luft. Ich durfte mich von ihnen nicht erwischen lassen. Ich hatte schon genug einstecken müssen. Mit einer Seitendrehung wich ich ihm aus. Ließ ihn vorbeistürmen. Und erledigte ihn mit einem gewaltigen Schwerthieb.

Er endete, wie alle enden, die sich mit dem Teufel einlassen. In

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ewiger finsterer Nacht. Ich sah Mephistos Glocke auf einem Holzgerüst hängen. Und

eine Höllenausgeburt schlug ununterbrochen den Klöppel. Schrille Laute ertönten. Einige weitere dämonische Gestalten kamen aus der Dammgrube und griffen mich an.

Mit einem Fußtritt beförderte ich den ersten dorthin, wo er hergekommen war. Der zweite und der dritte kamen nicht mehr nahe genug an mich heran. Mein Schwert gab ihnen vorher den Rest.

Mit einem riesigen Satz sprang ich zu dem Glockengerüst. Der schwarz-blutige Glöckner wollte seine Krallen in meinen Körper schlagen. Ich hielt ihm die Spitze des Schwertes entgegen. Er konnte nicht mehr ausweichen und stürzte hinein.

Ich packte den Klöppel und hielt ihn fest. Endlich herrschte Ruhe. Mephistos Glocke schwieg. Für den Moment. Aber ich war fest entschlossen, sie für immer zum Schweigen zu bringen.

Vorsichtig säbelte ich an den Seilen herum, mit denen das Teufelsinstrument in seiner Verankerung hing. Die Glocke war groß und schwer. Ich legte das Schwert zur Seite und hängte mich mit beiden Armen an die Glocke. Nichts. Ich versuchte es noch einmal. Zog mit aller Kraft.

Die Glocke gab nach! Ich spannte meine Oberschenkelmuskeln an und gab ihr im

Fallen einen kräftigen Stoß. Mephistos Glocke stürzte hinunter in die Grube. Und zersprang in tausend Stücke!

* Magda Hansen hatte die Nerven verloren. Als die dämonischen

Geschöpfe sie und Mark Hellmann in der Werkstatt angegriffen hatten, war sie geflohen. Zwar hatte sie noch die Flagellanten auf dem Hof gesehen. Aber was danach geschehen war, hatte sie nicht mehr mitbekommen, denn das blonde Mädchen lief und lief. Es zog sie dorthin, wo sie sich sicher fühlte. In die freie Natur. Erst vor den Toren von Hamburg kam sie wieder zu Atem. Und dann wanderte sie langsamer an den Ufern der Alster entlang in Richtung Quelle. Hierher kam sie oft, wenn sie mit ihren Gedanken allein sein wollte.

Einen oder zwei Tage und Nächte verbrachte sie unter freiem

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Himmel. Aß die Beeren des Waldes und trank das klare Wasser des Flusses Alster. Eine innere Sperre verbot ihr, in die Stadt zurückzukehren. Insgeheim hoffte sie, daß Mark Hellmann sie suchen und finden würde. Der Mann, den sie als tapferen Ritter ansah. Von dem sie hoffte, daß er sie und ihren Bruder vor dem dämonischen Einfluß retten würde. Doch Mark Hellmann kam nicht.

Statt dessen tauchte nach zwei Tagen wie aus dem Nichts plötzlich der feine Herr auf. Die Gestalt, von der Magda schon längst wußte, daß es der Leibhaftige sein mußte.

Verzweifelt bekreuzigte sich das Mädchen. »Laß den Quatsch!« zischte Mephisto, der als Mega-Dämon

durch die Kreuzesgeste nicht nachhaltig zu vertreiben war. Man merkte ihm aber an, daß er vor Wut zitterte. »Was hängst du hier herum? Ich wette, du hoffst auf Mark Hellmann. Darauf, daß er dich holen kommt. Stimmt’s?«

»Jawohl!« Magda richtete sich stolz auf, obwohl sie vor Angst fast verging. »Er ist ein guter Mensch. Er kann euch die Stirn bieten!«

»Hellmann hat einfach Glück gehabt. Meine Glocke hat dieser Hurensohn zerstört, aber lassen wir das.« Mephistos Gesichtsausdruck wurde noch ein wenig heimtückischer. »Du liebst doch diesen Hellmann, oder?«

»Jawohl!« sagte das Mädchen. Sie ahnte nicht, daß sie damit ihr Todesurteil gesprochen hatte. Aber die Intrigen eines Höllenfürsten fragten nicht nach unschuldigen Opfern.

»So, du liebst ihn also!« höhnte Mephisto. Sein ausgestreckter rechter Arm zeigte auf einen Teich, der sich an einem Seitenarm der Alster breitmachte. Durch Zauberkraft gelenkt mußte Magda plötzlich aufstehen. Ihre Beine trugen sie in das tiefe Wasser. Obwohl sie es überhaupt nicht wollte.

»Ich hätte liebend gerne Hellmann selbst in Stücke gerissen!« bemerkte Mephisto, während sein Opfer immer tiefer in das Wasser watete. »Aber mit dem habe ich noch andere Pläne. Trotzdem will ich Rache für meine Glocke. Da muß dann wenigstens jemand sterben, der Hellmann liebt! Nämlich du!«

Dieser teuflischen Logik konnte Magda in ihrer Todesangst nicht folgen. Aber das spielte jetzt auch keine Rolle mehr.

Mephisto wartete geduldig am Ufer, bis sie ertrunken war, dann schwang er sich mit einem satanischen Grinsen auf einen

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Kometenschweif und kehrte in die Hölle zurück.

* Ich hätte eigentlich zufrieden sein müssen. Mephistos Glocke

war zerstört, und die Pest-Epidemie in Hamburg schien sich in Grenzen zu halten. Wahrscheinlich hatte der Höllenfürst nur einige wenige Menschen infiziert, um es mir in die Schuhe schieben zu können. Außerdem war die Pest eine geschichtliche Tatsache, die ich nicht verändern konnte und durfte. Es war mir auf meinen Zeitreisen nicht möglich, in den Ablauf der Ereignisse einzugreifen.

Und doch spürte ich, daß meine Mission noch nicht ganz erfüllt war. Die Frage nach der Wasserfee war nach wie vor offen. Doch sie wurde schneller beantwortet, als mir lieb war.

Nachdem ich die Glocke vernichtet hatte, spürte ich plötzlich einen fast magnetischen Sog. Eine Kraft wollte, daß ich an einen anderen Ort kam. Und ich gab diesem Drängen nach.

Mein Weg führte mich vor die Tore der Stadt. Ich war nicht sehr überrascht, daß ich an den Ufern der Alster landete. Nachdem ich einige Zeit gelaufen war, erreichte ich die Stelle, die im 20. Jahrhundert Feenteich hieß. Der Platz, wo mich auf dem Spaziergang mit Tessa diese starken Energien getroffen hatten.

Leichengeist. Gedankenfelder. Daran mußte ich denken. Da hörte ich eine Stimme: »Mark! Mark!«

Ich sah auf. Ein Wesen schwebte über dem Wasser. Ich erschrak. Es war Magda Hansen, die Schwester des unglücklichen Glockengießers. Aber sie war kein Mensch mehr. Sondern ein Geist. Ein feinstoffliches Wesen.

»Was ist passiert, Magda?« fragte ich. Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals.

»Mephisto war es, Mark. Er hat mich dazu gebracht, ins Wasser zu gehen. Aus Rache, sagte er. Wegen der Glocke.«

Ich biß die Zähne zusammen. Das sah diesem größten Schurken aller Zeiten ähnlich.

»Ich habe dich gerufen, Mark«, sagte der Geist mit einem traurigen Lächeln. »All die Jahre habe ich gehofft, daß du zurückkehrst. Ich kann nicht sterben, Mark.«

Die Legende hatte also einen wahren Kern. Es gab diese

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Wasserfee wirklich. Sie war der Geist dieses armen Mädchens. Von ihr stammten die traurigen Gedankenfelder, die mich noch viele Jahrhunderte später so aus der Bahn geworfen hatten.

Magda mußte erlöst werden. Ich hatte ihrem Bruder nicht helfen können. Nun wollte ich wenigstens sie davon befreien, für alle Zeit in dieser Zwischenwelt zwischen Leben und Tod zu schweben. Aber wie?

Ich dachte lange nach, während der Geist vor mir über dem Wasser schwebte. Gedankenfelder sind immer an Wasserflächen geknüpft, erinnerte ich mich. Das hatte ich in der Hamburgischen Staatsbibliothek nachgelesen. Und dann hatte ich plötzlich die Lösung.

Mit dem Muttermal auf meiner Brust aktivierte ich den Ring. Der Lichtstrahl flammte auf. Und ich schrieb mit dem Strahl das keltische Wort für »Ruhe«. Und zwar auf die Wasserfläche. Damit Magda Hansen ihre ewige Ruhe fand.

Einen Moment lang schien nichts zu passieren. Dann schillerte das Gewässer wie unter einem unglaublich schönen Regenbogen.

Die feinstoffliche Gestalt des Mädchens verblaßte in der Sommerbrise. »Ich danke dir, Mark«, ertönte ihre leiser werdende Stimme. »Ich danke dir, Geliebter!« Dann flüsterte nur noch der Wind in den Zweigen.

Ich ging zurück in die Stadt und verabschiedete mich von Eulenspiegel und dem armen Karl. Beide waren nicht besonders überrascht, daß ich mich wenig später in Luft auflöste. Sie waren Menschen des Mittelalters. Magisches sahen sie als selbstverständlich an. Und sie hatten wohl beide schnell begriffen, daß ich kein gewöhnlicher Mensch war.

* Es gab einen lauten Platsch, als ich wieder im Jahr 1998 ankam. Um Himmels willen, dachte ich. Bin ich nackt in der Alster

gelandet? Dann wird mich Tessa wohl auf dem Polizeirevier abholen müssen…

Aber Alsterwasser ist doch nicht so warm! Und hat auch keinen duftenden Badezusatz. Ich blinzelte und wischte mir die Tropfen aus den Augen. Das hier war kein Fluß oder Teich, sondern eine luxuriöse Badewanne. Und dort lag inmitten des Schaums meine

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Freundin Tessa Hayden. Sie schien nur mäßig überrascht, mich plötzlich in ihrem

Badewasser zu sehen. Von mir war sie ja einiges gewöhnt. »Mark!« rief sie aus. »Du bist keine Minute zu früh!« »Wieso?« Ich strich mir das nasse Haar nach hinten. »Welchen

Tag haben wir?« »Heute ist Samstag. In einer Stunde beginnt die

Preisverleihung.« »Ach ja. Die hätte ich fast vergessen. Viel wichtiger war die

Freude, wieder heil bei Tessa gelandet zu sein. Wie üblich, waren meine Wunden durch den Zeitsprung verheilt. Ich konnte absolut nichts mitnehmen von meinen Reisen in die Vergangenheit.«

Tessa grinste schelmisch, als meine Hände ihre Brüste streichelten. »Das ist mal wieder typisch! Kaum bist du angekommen, denkst du nur an das eine!«

»Na klar!« erwiderte ich unschuldig und griff nach einem Stück Seife. »Ich will dich einseifen. Schließlich komme ich aus dem schmutzigen Mittelalter.«

Meine Freundin ließ es sich gefallen, jedenfalls schloß ich das aus ihrem lauter werdenden Atem und ihren verzückt verdrehten Augen.

Ich tauchte und küßte sie zwischen ihren Brüsten, glitt dann tiefer ihren flachen Bauch entlang. Bald hatten wir in der prächtigen Badelandschaft der Suite eine Überschwemmungskatastrophe angerichtet. Tessa und ich stachen in See, ins Meer der Lust. Dort trieben wir einem gemeinsamen Höhepunkt entgegen.

Das Badewasser war schon fast kalt, als wir uns endlich gegenseitig abfrottierten.

In diesem Moment ertönte eine Glocke. Ich fuhr zusammen. »Das ist das Signal, daß die Preisverleihung beginnt«,

informierte mich Tessa. »Was hast du, Mark?« Ich seufzte. »Das ist eine lange Geschichte.« Dann zogen wir

uns rasch an…

ENDE Die Theaterbesucher strömten aus der Vorstellung. Im

Deutschen Nationaltheater in Weimar war Goethes Drama >Iphigenie< aufgeführt worden, wie immer mit großem Erfolg.

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Tessa, meine Freundin, hatte mal wieder Lust auf Kultur gehabt, und da hatte ich mitgehen müssen. »Besonders beeindruckend fand ich den Drachen, von dem Iphigenie entführt wurde«, schwärmte Tessa. »Das war ein phantastischer Trick. – Halt, da ist er ja wieder!« Es sauste und brauste in der trüben Novemberluft. Über dem Theaterplatz erschien ein riesiger, feuerspeiender Drache. Und er raste auf uns herab…

Ich, der Drachentöter

nannte C.W.“ Bach diesen 25. Hellmann Roman, und er möchte

damit alle Leser genauso spannend unterhalten wie bisher.


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