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Internationaler deutschsprachiger Rundbrief der ATTAC ... file----- Sand im Getriebe Nr. 79 Seite...

Date post: 22-May-2019
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--------------------------------------------------- Sand im Getriebe Nr. 79 Seite 1 ------------------------------------------------- Internationaler deutschsprachiger Rundbrief der ATTAC-Bewegung (17.1.2010) Sand im Getriebe 79 Der Rundbrief ”Sand im Getriebe” ist ein Medium für Menschen, die eine Welt jenseits der neoliberalen Globalisierung verwirklichen wollen. Er gibt Texten von AutorInnen unterschiedlicher Gesinnung einen gemeinsamen Ort. Die enthaltenen Positionen sind nicht notwendigerweise solche der ATTAC-Bewegung. PDF-Version: www.attac.de/aktuell/attac-medien/sig/ html-Version: http://sandimgetriebe.attac.at Mail an die Redaktion: [email protected] Neue Bewegung nach dem Fiasko von Kopenhagen Fidel Castro : Die Wahrheit über die Geschehnisse auf dem Gipfel in Kopenhagen: Kein Abko mmen 3 Martin Khor : Was ist in Kopenhagen wirklich passiert 5 Kopenhagen: Interview mit Evo Morales 7 Erklärung der ALBA-Staaten zum Klimagipfel 9 Erklärung von 10 afrikanischen ATTAC: Laßt uns den Planeten retten, lasst uns Afrika retten 11 Attac Österreich: Emissionshandel: Warum die Privatisierung von Luft unser Klima nicht rettet 12 Attac Frankreich: Kopenhagen oder die von den Reichen hinterlassene Bürde 13 ca. 500 Organisationen: Systemwechsel statt Klimawandel - Die Erklärung vom Klimaforum09 14 John Pilger zum Friedensnobelpreis 2010: 2010: Willkommen in Orwells Welt 19 Walden Bello : Zehn Jahre nach Seattle: Nur durch Aktionen wird Wahrheit zu Realität 20 Attac-Verbände u. a. m. : An die Regierungen: Hört auf Euer Volk! Stellt euch der Krise! 21 Brussels Rosa Luxemburg, WFA, TNI: Für eine neue globale Solidarität (Brüsseler Erklärung) 22 Attac Frankreich zum Tod von Daniel Bensaïd 24 Petition gegen die Todesstrafe für Mumia Abu-Jamal 25 „Frauenkompetenz in der Finanzkrise“ 25 Christa Wichterich : Frauen als soziale Airbags in der Krise 26 Maurizio Coppola: Die Studierendenbewegung in Bern 28 Zum Forschungsprogramm von Jörg Huffschmid : Ka- pitalismus –Kritik heute, Kongreß in Berlin 30 Charles-Andre Udry: Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie gegen die Lohnabhängigen 31 Aufruf an die Schweizerische Regierung: Ende der Blockade des Gazastreifens 33 Das andere Davos 34 Aufruf zu Protesten gegen die NATO-„Sicherheitskonferenz36
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--------------------------------------------------- Sand im Getriebe Nr. 79 Seite 1 -------------------------------------------------

Internationaler deutschsprachiger Rundbrief der ATTAC-Bewegung (17.1.2010)

Sand im Getriebe 79 Der Rundbrief ”Sand im Getriebe” ist ein Medium für Menschen, die eine Welt jenseits der neoliberalen Globalisierung verwirklichen

wollen. Er gibt Texten von AutorInnen unterschiedlicher Gesinnung einen gemeinsamen Ort. Die enthaltenen Positionen sind nicht notwendigerweise solche der ATTAC-Bewegung.

PDF-Version: www.attac.de/aktuell/attac-medien/sig/ html-Version: http://sandimgetriebe.attac.at Mail an die Redaktion: [email protected]

Neue Bewegung

nach dem

Fiasko von

Kopenhagen

Fidel Castro: Die Wahrheit über die Geschehnisse auf dem Gipfel in Kopenhagen: Kein Abko mmen

3

Martin Khor: Was ist in Kopenhagen wirklich passiert 5

Kopenhagen: Interview mit Evo Morales 7

Erklärung der ALBA-Staaten zum Klimagipfel 9

Erklärung von 10 afrikanischen ATTAC: Laßt uns den Planeten retten, lasst uns Afrika retten

11

Attac Österreich: Emissionshandel: Warum die Privatisierung von Luft unser Klima nicht rettet

12

Attac Frankreich: Kopenhagen oder die von den Reichen hinterlassene Bürde

13

ca. 500 Organisationen: Systemwechsel statt Klimawandel - Die Erklärung vom Klimaforum09

14

John Pilger zum Friedensnobelpreis 2010: 2010: Willkommen in Orwells Welt

19

Walden Bello: Zehn Jahre nach Seattle: Nur durch Aktionen wird Wahrheit zu Realität

20

Attac-Verbände u. a. m. : An die Regierungen: Hört auf Euer Volk! Stellt euch der Krise!

21

Brussels Rosa Luxemburg, WFA, TNI: Für eine neue globale Solidarität (Brüsseler Erklärung)

22

Attac Frankreich zum Tod von Daniel Bensaïd 24

Petition gegen die Todesstrafe für Mumia Abu-Jamal

25

„Frauenkompetenz in der Finanzkrise“ 25

Christa Wichterich: Frauen als soziale Airbags in der Krise

26

Maurizio Coppola: Die Studierendenbewegung in Bern

28

Zum Forschungsprogramm von Jörg Huffschmid : Ka-pitalismus –Kritik heute, Kongreß in Berlin

30

Charles-Andre Udry: Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie gegen die Lohnabhängigen

31

Aufruf an die Schweizerische Regierung: Ende der Blockade des Gazastreifens

33

Das andere Davos 34

Aufruf zu Protesten gegen die NATO-„Sicherheitskonferenz“

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Ein solches Fiasko hatte kaum einer der AktivistInnen und ExpertInnen, die nach Kopenhagen gekommen waren, erwartet. Nicht nur Attac-Frankreich ist entsetzt: “Das größte Treffen in der Menschheitsgeschichte endete mit einem politischen Fehlschlag von historischer Tragweite, einer Verleugnung der Realität und wissenschaftlicher Erkenntnis-

se, einer moralischen Blamage und einer Beleidigung der Armen.“ Eine kleine Minderheit von Politikern einigt sich hinter verschlossenen Türen auf ein Dokument ohne verbindliche

Reduktionsziele, so dass die Mehrheit der Staaten die Zustimmung zu diesem Dokument verweigert und es lediglich „zur Kenntnis“ nimmt. Die Experten können es kaum glauben: „Wir haben die Angebote durchgerechnet,

die von den Staaten heute Nacht in Kopenhagen auf den Tisch gelegt worden sind. Danach kommen wir auf eine Temperaturerhöhung von mindestens 3,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter",

sagte der Klima-Experte Hans Joachim Schellenhuber. Fidel Castro, Martin Khor und Evo Morales beschreiben, mit welch skandalösen, undemokratischen Manipulationen

dieses „dünne Dokument“ zustande kam. Die entwickelten Länder wollten sich nicht auf klare CO2-Reduktionsziele festlegen; sie wollten auch nicht in der Frage der Finanz- und Technologietransfers konkret werden. Sie weigerten sich vor allem, anzuerkennen, dass sie es sind, die die CO2-Konzentration verursacht haben und deshalb den armen Län-dern Reparationen schuldig sind; und dass sie es sind, die die Emissionen überproportional verringern müssen, damit

der globale Süden Raum für Entwicklung bekommt. Unter diesen Bedingungen weigerten sich die Länder des globalen Südens, vor allem Afrikas, sich auf frühzeitige und faule Kompromisse einzulassen.

Die grenzenlose Enttäuschung kommt auch in der Stellungnahme von ALBA zum Ausdruck, dem südamerikanischen Staatenbund, der sich um solidarische Beziehungen zwischen Staaten bemüht: „Die Länder, die in Anhang 1 des

Kyoto-Protokolls aufgelistet sind, haben im Jahr 2008 die Summe von 1.123 Milliarden US-$ für militärische Zwecke ausgegeben. Die USA haben im Jahr 2008 711 Mrd. US-$ ausgegeben, wie aus der Beantragung von Haushaltsmitteln

für das Steuerjahr 2009 hervorgeht, darunter 170 Mrd. US-$ für laufende militärische Operationen im Irak und in Afghanistan. Deshalb weiß die Welt, dass Mittel vorhanden sind. Was fehlt, ist der politische Wille,

die internationalen Pflichten und Verbindlichkeiten im Kampf gegen den Klimawandel zu erfüllen. Stattdessen werden die Bedürfnisse der Ärmsten benutzt und ausgenutzt, um illegale Absprachen zu erzwingen.“

Zum selben Thema melden sich 10 afrikanische ATTAC-Organisationen ungeduldig zu Wort: „Wir müssen auch dafür kämpfen, dass endlich die historische ökologische Schuld anerkannt wird. Wir haben schon

300 Jahre der Sklaverei, der Kolonialisierung, des Plünderns durch die Ländern des Nordens erlebt“ Allerdings ist nicht alles düster, denn in Kopenhagen hat sich erstmals eine globale Klimabewegung bisher

unbekannter Stärke (100 000 Demonstranten) gezeigt hat. So meint Attac-Österreich: "Während die offizielle Klima-politik in einer tiefen Krise steckt, markiert Kopenhagen die Geburtsstunde einer Klimapolitik von unten, in der viele

Menschen sich Stillstand und Ungerechtigkeit nicht mehr gefallen lassen“. Und ATTAC-Frankreich sieht eine Verschiebung im Paradigma der ATTAC-Bewegung: „Die beispiellose Annähe-

rung zwischen sozialen und ökologischen Bewegungen sowie Bewegungen der internationalen Solidarität in Kopenha-gen hat eine neue Hoffnung erzeugt und stellt einen Wendepunkt für die globalisierungskritische Bewegung dar“

Es gibt auch eine Art Manifest dieser neuen Bewegung: Das von Hunderten von Organisationen, darunter vielen Attacies unterschriebene Abschlussdokument des alternativen “Klimaforums” in Kopenhagen fordert: „Systemwandel statt Klimawandel“. Es fasst die notwendigen kurz- und mittelfristigen Weichenstellungen und die

langfristigen Perspektiven zusammen. Im selben Sinne fordern Intellektuelle aus der ganzen Welt (unter ihnen Susan George und Walden Bello), zusammen-

gerufen durch die Rosa Luxemburg-Stiftung, das Forum des Alternatives und TNI, in einer „Brüsseler Erklärung“ eine neue globale Solidarität: „Die neue globale Solidarität basiert auf den Kämpfen der Opfer des herrschenden

Wirtschaftssystems, der Länder des Südens als Ziele imperialistischer Politik sowie der subalternen Klassen des Nor-dens wie des Südens, die entweder ausgebeutet oder verwundbar gemacht werden. Sie schließt die Kooperation zwi-

schen den großen Regionen der Welt ein, die sich gegenseitig ergänzen sollten. Die neue globale Solidarität erfordert die Achtung und den Schutz des Planeten und eines Dialogs zwischen den Kulturen. Sie bedeutet die Verwirklichung des allgemeinen Wohls der Menschheit. Nur globale Solidarität kann der Menschheit eine Hoffnung für die Zukunft

geben. Wir haben die Massen und wir haben die Ideen. Sie haben die Macht – noch. Lasst sie uns erobern!“

Wir bedanken uns für die Übersetzungen durch die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen von coorditrad!

Coorditrad braucht noch Unterstützung! www.coorditrad.attac.org

Wir verschicken ”Sand im Getriebe” zum Selbstkostenpreis Bezugsbedingungen: Rechnungsbetrag (inkl. Porto) einer Lieferung:1 Heft: 3 €, 2 Hefte: 4,50 €, 3 Hefte: 6 €., ab 10 Hefte: 1,50 € pro Heft

Abonnement: 15 € für 6 Ausgaben. Bestellung per Mail an [email protected] Die Redaktion dieser Nummer: Marie-D. Vernhes und Peter Strotmann (Attac Deutschland)

- Barbara Waschmann (Attac Österreich) - Maurizio Coppola (Attac Schweiz)

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Fidel Castro

Die Wahrheit über die Geschehnisse auf dem Gipfel in Kopenhagen: Kein Abkommen

Die Jugend hat - mehr als alle anderen - ein Interesse an der Zukunft. Bis vor kurzem drehte sich die Debatte darum, wie die Gesellschaft aussehen sollte, die wir wollen. Heute dreht sich die Debatte um die Frage, ob die menschliche Gesellschaft überhaupt überleben wird. Das sind nicht nur dramatische Phrasen. Wir müssen uns an die wahren Fakten gewöhnen. Die Hoffnung ist das Letzte, auf das die Menschen verzichten können. Männer und Frauen jeden Alters - vor allem aber die Jungen - fochten auf dem Gipfel mit echten Argumenten. Sie haben der Welt eine große Lehre erteilt. Es ist wichtig, dass Kuba und die Welt soviel wie möglich über die Geschehnisse in Kopenhagen erfahren (…). Falls in der dänischen Hauptstadt überhaupt etwas erreicht wurde, dann bezüglich der Be-richterstattung. Die Medienberichterstat-tung machte es möglich, dass die Weltöf-fentlichkeit das politische Chaos , das dort angerichtet wurde und die demüti-gende Behandlung mit ansehen konnte, die Staatsoberhäupter oder Regierungs-chefs, Minister und Tausende Repräsen-tanten der Sozialbewegungen oder Insti-tutionen widerfuhr. Diese Leute waren mit großen Erwartun-gen und Hoffnungen zum Gipfel nach Kopenhagen gereist. Die brutale Polizei-repression gegenüber friedlichen De-monstranten erinnerte an das Verhalten der Nazi-Fronttruppen, die im April 1940 in ihr Nachbarland Dänemark einmar-schierten und es besetzten. Doch keiner hätte am 18. Dezember 2009, dem letzten Gipfeltag, damit gerechnet, dass die dänische Regierung - ein Nato-Mitglied, das mit den Gräueln in Afgha-nistan assoziiert wird -, den Gipfel verta-gen und den Konferenz-Plenarsaal dem amerikanischen Präsident Obama zur Verfügung stellen würde, damit er sich dort mit einer ausgewählten Gruppe von Staaten (insgesamt 16) treffen und exklusives Rederecht genießen konnte. Obamas demagogische, zweideutige Worte der Täuschung wichen einer ver-bindlichen Verpflichtung aus und igno-

rierten das Kioto-Rahmenwerk des Tref-fens. Nachdem er einigen weiteren Red-nern zugehört hatte, verließ Obama kurz darauf die Konferenz. Zu den 16 Ländern, die ein Rederecht erhielten, gehörten mehrere der industrialisiertesten Nationen, einige der aufkommenden Ökonomien (Schwellenländer) und einige der ärmsten Länder der Welt. Die FührerInnen und VertreterInnen von mehr als 170 ande-ren Ländern durften lediglich zuhören. Nachdem die 16 Auserwählten gespro-chen hatten, verlangte Evo Morales - gestützt auf seine kürzliche Wiederwahl (mit 65%) und der Unterstützung von Zweidritteln des Bolivianischen Reprä-sentantenhauses und Senates sowie ge-stützt auf die Kraft seiner indigenen Ab-stammung von den Aymaras - ein Rede-recht. Der dänische Präsident hatte keine Wahl, als sich der Beharrlichkeit der übrigen Delegationen zu beugen. Nachdem Evo mit seinen weisen und tiefgründigen Beobachtungen zu Ende gekommen war, musste der Däne (Rasmussen) auch Hugo Chavez das Rednerpult überlassen. Beide Reden werden, als Beispiele für kurze, knappe, zeitgemäße Betrachtungen, in die Geschichte eingehen. Nachdem ihre Mission erfüllt war, reisten die bei-den Präsidenten in ihre jeweiligen He i-matländer zurück. Doch als Obama sich zurückzog, hatte er in seinem Gastland Dänemark noch eine Aufgabe zu erfüllen. Vom Abend des 17. Dezember bis in die frühen Morgenstunden des 18. Dezember hinein trafen sich der dänische Premier und hochrangige Repräsentanten der USA mit dem Chef der EU-Kommission und den Führern von 27 ausgewählten Nationen, um ihnen - im Auftrag Oba-mas - den Entwurf eines Abkommens zu unterbreiten, an dessen Ausarbeitung kein Führer der übrigen Welt beteiligt gewe-sen war. Es handelte sich um eine anti-demokratische und praktisch geheime Initiative , in die Tausende VertreterIn-nen von Sozialbewegungen, von wissen-schaftlichen und religiösen Institutionen und andere TeilnehmerInnen des Gipfels nicht miteinbezogen waren. Die Sache dauerte von der Nacht des 18. Dezember bis zum 19. Dezember - um 3

Uhr morgens. Zu diesem Zeitpunkt waren viele Staatschefs bereits abgereist. Die VertreterInnen der Staaten warteten auf die Wiederaufnahme der Ausschüsse und den Abschluss der Konferenz. Am 18. hielt Obama mehrere Treffen und Presse-konferenzen ab. Das Gleiche taten die europäischen FührerInnen. Dann reisten auch sie ab. Doch dann geschah etwas, mit dem nie-mand gerechnet hatte: Am 19. Dezember, um 3 Uhr morgens, kündigte der dänische Premier ein Treffen an, mit dem der Gip-fel beendet werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt waren die einzelnen Länder nur noch durch Minister, Botschafter, techni-schen MitarbeiterInnen und Offizielle vertreten. Trotzdem kam es an diesem Morgen zu einer erstaunlichen Auseinandersetzung mit einer Gruppe von Vertretern aus Ländern der so genannten 'Dritten Welt'. Sie leisteten dem Versuch Obamas und der Reichsten der Welt Widerstand. Letztere hatten ein von den USA aufge-drängtes Dokument vorgelegt und be-haupteten, das Dokument sei durch einen Konsens des Gipfels abgesegnet. Die Vertreterin Venezuelas, Claudia Salerno, machte eindrucksvoll und ener-gisch auf ihre blutende rechte Hand auf-merksam: Sie hatte so vehement auf den Tisch eingeschlagen (dass sie blutete), um ihr Rederecht einzufordern. Der Ton ihrer Stimme und ihre würdevolle Argu-mentation werden niemals vergessen werden. Der kubanische Außenminister hielt eine kraftvolle Rede, aus der ich einige Absätze ausgewählt habe, um sie in me i-ner Reflektion zu zitieren: "Nun ist das Dokument aufgetaucht, das nach wiederholten Behauptungen Ihrer-seits, Herr Vorsitzender, gar nicht exis-tiert (...) wir haben gesehen, wie Entwür-fe unter der Hand kursierten und in Ge-heimtreffen diskutiert wurden..." "... Ich bin tief enttäuscht über die Art und Weise, wie Sie diese Konferenz gelei-tet haben". "... Kuba hält den Text dieses apokryphi-schen Entwurfes für extrem unangemes-sen und inakzeptabel. Das Ziel - 2 Grad -

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ist unannehmbar und würde zu unkalk u-lierbaren, katastrophalen Folgen füh-ren..." "Das Dokument, das Sie unglücklicher-weise vorlegen, ist in keiner Weise ver-bindlich, was die Reduzierung von Gas-emissionen, die zum Treibhauseffekt beitragen, angeht". "Ich kenne die Vorgängerentwürfe, die ebenfalls aus fragwürdigen, klandestinen Prozessen hervorgegangen waren - in-dem in kleinen Gruppen von Leuten verhandelt wurde..." "Aber das Dokument, das Sie jetzt vorle-gen, enthält nicht einmal die mageren, mangelhaften Schlüsselsätze dieses (Vor-gänger-)Entwurfes..." "... was Kuba angeht, so halten wir es für unvereinbar mit der universell anerkann-ten wissenschaftlichen Sicht. Diese weist kontinuierlich darauf hin, wie dringlich und unvermeidlich eine Reduzierung der Emissionen um mindestens 45% bis 2020 und um mindestens 80% bis 90% bis 2050 ist." "Jedes Argument für eine Weiterführung der Verhandlungen für ein Abkommen zur Reduzierung der Emissionen in der Zukunft muss unbedingt beinhalten, dass das Kioto-Protokoll Gültigkeit besitzt. Ihr Papier hingegen, Herr Vorsitzender, ist die Sterbeurkunde des Kioto-Protokolls. Meine Delegation kann dies nicht akzep-tieren." "Die kubanische Delegation möchte be-tonen, wie vorrangig das Prinzip der "gemeinsamen Verantwortung durch differenzierte Verantwortung" ist - als Kernstück zukünftiger Verhandlungspro-zesse. In Ihrem Papier steht kein Wort davon". "Dieser Entwurf einer Deklaration er-wähnt keine konkreten finanziellen Ver-pflichtungen und sagt nichts über einen Technologietransfer in die 'Entwicklungs-länder'. Doch das ist Teil der Verpflich-tungen, die die entwickelten Länder in der 'UN Framework Convention on Cli-mate Change' vertraglich zugesichert hatten (...) Herr Vorsitzender, indem Sie ihre Interessen - durch Ihr Dokument - durchsetzen, vermeiden die entwickelten Nationen jegliche konkrete Verpflich-tung." "... Herr Vorsitzender, was Sie als "Gruppe repräsentativer Führer" definie-ren, ist für mich ein grober Verstoß ge-gen das Prinzip der souveränen Gleich-heit, das unter dem Schutz der Charta der Vereinten Nationen steht..." "Herr Vorsitzender, ich stelle den forma-len Antrag, dieses (mein) Statement in den Schlussreport dieser schändlichen,

bedauernswerten 15. Konferenz der Par-teien (COP-15) aufzunehmen". Die VertreterInnen der einzelnen Länder bekamen nur eine Stunde Zeit, um ihre Meinungen zu äußern - was zu kompli-zierten, schändlichen und peinlichen Situationen führte. Danach diskutierten die Delegationen der entwickelten Länder lang und breit. Sie setzten den Rest der Welt massiv unter Druck: Die Konferenz sollte das oben bezeichnete Dokument - als Endergebnis ihrer eigenen Verhandlungen - akzeptie -ren. Eine kleine Gruppe Staaten blieb standhaft und betonte die ausgeprägten Zweideutigkeiten und Auslassungen des Dokumentes, das von den USA befördert wurde. Vor allem ging es um die fehlen-de Verpflichtung der entwickelten Staa-ten zur Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen und um das Thema Finanzie-rung (die in den Ländern des Südens verbesserte Maßnahmen bzw. Anpas-sungsmaßnahmen ermöglichen würde). Nach einer langen, sehr angespannten Debatte, setzte sich die Position der ALBA-Länder und des Sudan (als Vorsitzender der G-77) durch: Nein, das Dokument sei für die Konferenz inakzeptabel und könne nicht beschlossen werden. Da ein Konsens nicht zustande kam, konnte die Konferenz das Dokument lediglich "zur Kenntnis nehmen", näm-lich als die Haltung einer Gruppe von rund 25 Staaten. Nach dieser Entscheidung - morgens um 10 Uhr 30 dänischer Zeit - führten (der kubanische Repräsentant) Bruno und andere Vertreter der ALBA eine freundli-che Diskussion mit dem UNO-Generalsekretär. Sie zeigten sich bereit, weiterhin Seite an Seite mit der UNO zu kämpfen, um die schrecklichen Fol-gen eines Klimawandels zu verhindern. Nachdem diese Mission erfüllt war, kehr-te unser Außenminister und Vizepräsi-dent Esteban Lazo nach Hause zurück, um an der Sitzung der Nationalversamm-lung teilzunehmen. Einige wenige Mit-glieder unserer Delegation und der Bot-schafter blieben in Kopenhagen zurück, um den abschließenden Prozeduren bei-zuwohnen. Heute Nachmittag hatten sie Folgendes zu berichten: "... sowohl jene, die an der Erarbeitung des Dokumentes beteiligt waren, als auch

jene, wie etwa Präsident Obama aus den USA, die dessen Annahme durch die Konferenz vorausgesagt hatten, versuch-ten, ein Prozedere einzuführen (schließ-lich konnten sie die Entscheidung, das so genannte "Abkommen von Kopenhagen" lediglich "zur Kenntnis" zu nehmen, nicht missachten), das es den Ländern des Gipfels von Kopenhagen, die nicht an dem zweifelhaften Deal beteiligt waren, ermöglichen sollte, die Sache zu akzep-tieren und öffentlich bekannt zu machen. Die damit verbundene Absicht war, so zu tun, als sei ein solches Abkommen legal. Dies hätte allerdings die Ergebnisse der Verhandlungen, die weitergeführt werden sollen, schon im Vorfeld beeinflussen können". "Auch dieser nachgeschobene Versuch wurde von Kuba, Venezuela und Bolivien entschieden abgelehnt. Die drei Länder warnten: Ein Dokument, das nicht durch die Konferenz beschlossen wurde, könne nicht als legal akzeptiert werden. Es gibt kein COP-Dokument (Ab-schlussdokument der Parteien von Ko-penhagen). Daher könnten auch keine Regularien bezüglich dessen angeblicher Beschlussfassung erstellt werden..." "So also endet das Treffen von Kopenha-gen. Das in den letzten Tagen unter der Hand und unter klarer ideologischer Anleitung der US-Regierung entwickelte Dokument wurde nicht angenommen..." (…) Originalartikel: The Truth Of What Hap-pened At The Summit 22.12.2009 — ZNet Übersetzt von: Andrea Noll http://www.zmag.de/artikel/kopenhagen-die-wahrheit-ueber-die -geschehnisse-auf-dem-gipfel Mehr…. Chavez auf der Pressekonferenz der ALBA-Staaten (deren Vertreter sollten den Raum in Kopenhagen nach 15 Minu-ten räumen…): http://www.youtube.com/watch?v=Zee3jJ8elJM. Sendungen von Telesur http://www.telesurtv.net/noticias/multimedia/video.php

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Martin Khor Was ist in Kopenhagen wirklich passiert

Die Konferenz von Kopenhagen endete mit einiger Verwirrung, denn 26 Länder trafen sich

hinter verschlossenen Türen und das Ergebnis wurde von vielen als undemokratisch gesehen und daher nur zur Kenntnis genommen, aber nicht als offiziell anerkannt.

Die Kopenhagener Konferenz endete wohl mit Verwirrung aber doch nicht als kompletter Misserfolg. Es ist nun drin-gend notwendig, die Scherben einzu-sammeln und die globalen Gespräche im Jahr 2010 wieder in Gang zu brin-gen, denn es steht zu viel auf dem Spiel. Die Konferenz scheiterte in den letzten Stunden am Thema „internationale De-mokratie und globale Zusammenarbeit der Regierungen“. Die Frage war: Können 26 Staatschefs in einem vertraulichen Meeting, das eigent-lich nicht hätte stattfinden sollen, in der Sterbestunde der Konferenz, die als die wichtigste internationale Konferenz aller Zeiten bezeichnet wurde, einen “Deal” aushandeln und ihn dann 193 Staaten ohne die Möglichkeit von Modifizierun-gen zum Beschluss vorlegen. Die Antwort folgte am Samstag in den frühen Morgenstunden, nach vielen dra-matischen Stunden im Plenarsaal und sie war „Nein“. Als der dänische Premierminister Lars Rasmussen, der in den letzten Tagen den Vorsitz über die Konferenz führte, am Freitag spät am Abend die abschließende Plenarsitzung eröffnete, gab er zum ers-ten Mal offiziell bekannt, dass ein Tref-fen von 26 Staatschefs stattgefunden hatte (er nannte aber keine Namen) und dass dabei ein Kopenhagener Abkommen entworfen wurde, das die Konferenz beschließen sollte. Als er das Podium verlassen wollte, nachdem er eine Unter-brechung der Sitzung für eine Stunde angekündigt hatte, hielt ihn die Delegie r-te von Venezuela Claudia Caldera mit einem Antrag zur Geschäftsordnung zurück. Sie sagte: “Nachdem Sie uns mehrere Stunden haben warten lassen und nach-dem einige Staatschefs von Industrienati-onen die Medien informierten, dass ein Übereinkommen geschlossen worden sei, von dem wir nicht einmal den Text ken-nen, knallen Sie uns ein Papier auf den Tisch und wollen den Saal verlassen.” „Ein solches Verhalten widerspricht der Praxis der Vereinten Nationen und selbst der UN Charta“, stellte sie fest. Sie fuhr fort: „Solange Sie uns nicht sa-gen, woher dieser Text kommt und wir

über ihn beraten können, sollten wir die Sitzung nicht unterbrechen. Auch wenn wir uns die Hand abhacken lassen müs-sen und unser Blut hier vergießen müssen, werden Sie uns zu Wort kommen lassen müssen.“ Sie verwies auch darauf, dass sie minutenlang auf den Tisch klopfen musste, bis Rasmussen sie beachtete, bevor er das Podium verließ. Einige Industrieländer meldeten sich zu Wort und verteidigten das Ergebnis, das von den führenden Politikern in der klei-nen Gruppe erzielt wurde. Es sollte res-pektiert und nicht schlecht gemacht wer-den. Sie drängten darauf, dieses Kopen-hagener Abkommen anzunehmen. Das war die Position einiger Entwic k-lungsländer, darunter die Malediven, Äthiopien, Grenada und Lesotho. Bemer-kenswert ist, dass sich China und Indien, jene Schwellenländer, die sich in der kleinen Gruppe am meisten engagiert hatten, nicht dafür aussprachen, dass die anderen Länder dieses Abkommen an-nehmen sollten. Als klar wurde, dass es zu keinem Kon-sens kommen würde, dieses Dokument zu beschließen, schlugen einige Indust-riestaaten, angeführt von Großbritannien und Slowenien, vor, darüber abstimmen zu lassen. Andernfalls sollte es ange-nommen werden mit einer Fußnote, die jene Länder aufführt, die nicht zustim-men wollten. Diese “Annahme ohne Übereinstim-mung” wurde von anderen abgelehnt, weil das gegen die Geschäftsordnung verstoße. Nach stundenlangen Debatten und einer Unterbrechung für Konsultationen konnte ein Kompromiss gefunden werden: „Die Konferenzteilnehmer nehmen das Kopen-hagener Abkommen vom 18. Dezember 2009 zur Kenntnis“ Die Namen der Teilnehmer an der Sit-zung der kleinen Gruppe würden dem Abkommen als Anhang beigefügt. Im Sprachgebrauch der UNO bedeutet “zur Kenntnis nehmen”, dass das betref-fende Dokument einen niedrigen oder neutralen Status besitzt. Das bedeutet, dass das Dokument von der Konferenz nicht bestätigt wurde, sonst würde es als “angenommen” bezeichnet.

„Kenntnisnahme“ sagt nichts darüber aus, ob das Dokument positiv (dann spräche man von „willkommen“) oder negativ (dann hieße es „abgelehnt“ oder „missbil-ligt“) bewertet wird. Nach der Annahme der Entscheidung „das Dokument zur Kenntnis zu nehmen” wurde in mehreren Stunden von den Industriestaaten versucht, diese „Kennt-nisnahme” möglichst weit offen zu in -terpretieren. Die USA mit Unterstützung anderer In-dustrienationen, versuchten diese Ent-scheidung als ein Arrangement zu inter-pretieren, das ein “opt in” (einen späteren Beitritt) weiterer Länder ermöglicht, wenn sie diese ihre Absicht bekannt ge-ben. Sie suchten Unterstützung für eine Erweiterung der Entscheidung für eine „Kenntnisnahme“ zu einem System ähn-lich einem multilateralen Abkommen. Sie versuchten durch ein Junktim mit dem Finanzierungsthema Unterstützung durch Entwicklungsländer zu bekommen. Der britische Klimaminister Ed Mi-librand forderte ganz plump von den Entwicklungsländern, das Abkommen anzunehmen, wenn sie finanzielle Unter-stützung erhalten wollten. Wer das Abkommen akzeptiert, hat dies zu dokumentieren. Die Einwände, die er brachte, sind es wert, festgehalten zu werden: “Sonst machen wir kein Geld locker”. Die USA wollten ein Arrangement, so dass Beteiligte dem Abkommen beitreten können. Sie stellten fest, im Abkommen sind Finanzmittel enthalten, und es ist „offen für alle interessierte Parteien“. Das impliziert, dass Parteien, die ihre Zustimmung zum Abkommen nicht do-kumentieren, kein Anrecht auf Finanz-mittel haben. Das versuchte Junktim zwischen Finanzierung und Zustimmung zum Abkommen entspricht auf keinen Fall den Regeln der Klima-Konvention. Darin haben sich die Industriestaaten verpflichtet, den Entwicklungsländern Mittel zur Verfügung zu stellen, mit de-nen sie Klima -Schutz-Maßnahmen finan-zieren können. Die Finanzierung von Klima-Schutz-Maßnahmen in den Entwicklungsländern bedarf keines neuen Abkommens oder Vertrages. Das aktuelle Kopenhagener

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Abkommen umfasst nur drei Seiten. Wahrscheinlich ist das Weggelassene wichtiger als das, was drinnen steht. 1. Das Abkommen enthält keine Zahlen über die Reduktion von Emissionen durch die Industrienationen nach dem Jahr 2012, weder als gemeinsames Ziel noch als Ziele einzelner Länder. Dieser Mangel an Zusagen über Reduktionen ist der größte Mangel des Dokuments und der ganzen Konferenz. Damit zeigt sich eklatant die Führungs-Schwäche der Industrienationen, ehrgei-zige Emissionsziele zu definieren, ob-wohl sie die Hauptverantwortung für die in unserer Atmosphäre vorhandenen Treibhausgase tragen. 2. Die Entwicklungsländer forderten ein akkumuliertes Reduktions-Ziel von 40% bis 2020 auf Basis der Emissionswerte von 1990. Die Zusagen einzelner Indust-rienationen ergeben bis heute nur 13 bis

19%. Dieses wenig ambitionierte Ziel ist vermutlich der Grund, warum im Ab-kommen davon keine Rede ist. 3. Das Abkommen anerkennt die allge-meine wissenschaftliche Ansicht, dass der globale Temperatur-Anstieg weniger als zwei Grad Celsius betragen soll und stimmt darin überein, dass gemeinsame Anstrengungen auf gleichberechtigter Basis unternommen werden müssen. Das gibt auch die kürzlich von Indien bestä-tigte Zusage wieder, eine Temperatur-Grenze von 2 oder 1,5 Grad zu akzeptie-ren, wenn ein Lastenausgleich auf glei-cher Augenhöhe stattfindet. Im Abkommen verpflichten sich die Industriestaaten in den Jahren von 2010 bis 2012 neue und zusätzliche Mittel in der Höhe von 30 Milliarden US$ (103 Milliarden RM) über internationale Insti-tutionen zur Verfügung zu stellen. Unklar ist, wie neu diese Mittel sein werden,

denn die Industriestaaten haben sich bereits verpflichtet, sich mit Milliarden von Dollar am Klima-Investitions-Fonds der Weltbank zu beteiligen. Es wird auch festgehalten, dass die In-dustrienationen bis 2020 gemeinsam 100 Milliarden US$ für die Entwicklungslän-der locker machen werden. Das Abkommen ist ein sehr dünnes Dokument. Es beinhaltet kaum neue Zusagen der Industrienationen, das globa-le Ziel ist sehr vage, aber es enthält auch den Versuch, die Industrienationen zu bewegen, mehr zu tun. Es ist traurig, dass dieses dünne Dokument als das wichtigs-te Ergebnis der Kopenhagener Konferenz hergezeigt wird. http://thestar.com.my/news/story.asp?file=/2009/12/21/focus/5342414&sec=focus Übersetzung: Herbert Kaser, coorditrad

Foto aus http://klimaschutz-netz.de/

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Kopenhagen: Interview mit Evo Morales zum Thema Kapitalismus und Klimaschulden

Warum er ein Klimatribunal anstrebt und viele Themen mehr

17.12.2009 — Democracy Now! Amy Goodman: Wir berichten aus dem Bella-Center in Kopenhagen. (…) Am Mittwoch rief Evo Morales die WeltführerInnen dazu auf, den (globalen) Temperaturanstieg in den nächsten hundert Jahren auf 1 Grad Celsius zu begrenzen. Dieser Vorschlag ist bis jetzt die ehrgeizigste Forderung eines Staatschefs auf dem Gipfel. Außerdem rief Morales die USA und andere reiche Nationen

dazu auf, eine Ökosteuer an Bolivien und andere "Entwicklungsländer" zu zahlen.

Amy Goodman: Präsident Morales, will-kommen bei Democracy Now! Evo Morales: Vielen Dank für die Einla -dung. Gestern haben Sie hier, im Bella-Center, eine Rede gehalten. Sie sagten, wir könn-ten die globale Erwärmung nicht stoppen, ohne den Kapitalismus zu beenden. Was meinten Sie damit? Der Kapitalismus ist der größte Feind der Menschheit. Der Kapitalismus - ich spreche hier von einer irrationalen Ent-wicklung, einer Politik der unbegrenzten Industrialisierung - zerstört die Umwelt. Diese irrationale Industrialisierung ist Kapitalismus. Und solange wir diese Politik nicht überdenken und überarbei-ten, wird es unmöglich sein, der Mensch-heit und dem Leben zu helfen. Wie würden Sie vorgehen? Wie würden Sie den Kapitalismus beenden? Die Wirtschaftspolitik ist zu verändern; es muss Schluss sein mit dem Luxus und der Konsumhaltung; der Kampf um ein so genanntes „Besseres Leben“, die Suche danach sind zu beenden. "Besser leben" heißt doch, andere Menschen auszubeuten. Es heißt, die natürlichen Ressourcen zu plündern. Es bedeutet Egoismus und Individualismus. Aus diesem Grunde fehlt jenen Versprechun-gen des Kapitalismus auch das Element der Solidarität und der Wechselseitigkeit; die Reziprozität fehlt. Daher versuchen wir - wir denken über eine andere Le-bensweise nach. Es geht darum, gut zu leben - nicht um „besser leben“. Es geht nicht um ein so genanntes „besseres Le-ben“, denn das heißt immer, auf Kosten anderer. Ein „besseres Leben“ geht auf Kosten der Umwelt, die dabei zerstört wird. Präsident Morales, wozu rufen Sie - hier, auf dem UNO-Klimagipfel - auf? ... zur Verteidigung von Mutter Erde. Die Erde ist unser Leben. Die Natur ist unsere

Heimat, unser Haus. Die UNO hat fröh-lich den Mother Earth Day ausgerufen. Doch wenn man die Erde als Mutter akzeptiert, kann man sie nicht verkaufen. Sie ist etwas, das nicht - nicht vergewal-tigt werden darf; sie ist heilig. Das gilt für die Natur, für den Planeten Erde. Aus diesem Grunde bin ich gekommen - um die Rechte von Mutter Erde und das Recht auf Leben zu verteidigen, und um die Menschheit zu verteidigen und Mutter Erde zu retten. Was ist mit 'Klimaschulden' gemeint, Präsident Morales? Nach der Zerstörung, die Mutter Erde zugefügt wurde, ist es wichtig, ihre Rech-te wieder anzuerkennen. Und der beste Weg, sie anzuerkennen, ist die Zahlung einer Klimaschuldsteuer. Zweitens ist es wichtig, die Schäden, die angerichtet wurden, anzuerkennen und den Men-schen, die vom Klimawandel betroffen sind beizustehen - Menschen, die ihre Heimatinseln verlieren werden und ande-ren, die zum Beispiel kein Wasser mehr haben werden. Die US-Außenministerin Hillary Clinton sagte heute: "Wir können nicht zurück-blicken; wir müssen nach vorne schauen". Nach vorne schauen heißt, sich all das vor Augen zu führen, was der Kapitalis-mus angerichtet hat. Diese Dinge sind nicht allein mit Geld zu lösen. Wir haben Probleme zu lösen, bei denen es um Le-ben und um die Menschheit geht. Das ist das Problem, mit dem der Planet Erde heute konfrontiert ist. Außerdem bedeutet es, Schluss zu machen mit dem Kapita-lismus. Die US-Außenministerin Hillary Clinton versprach heute außerdem $100 Milliar-den, falls ein Abkommen zustande komme. Diese Summe pro Jahr würde allerdings nicht von Amerika allein aufgebracht. Vielmehr soll es ein Private-Public-Partnership-Arrangement - unter Beteili-gung mehrerer Staaten aus der ganzen

Welt - geben, aber (wie gesagt) nur, wenn ein Abkommen erzielt wird. Sie wollte nicht sagen, wie viel die USA beisteuern würden. Was sagen Sie übrigens zu den Ausgaben der USA gegen die globale Erwärmung - im Gegensatz... nun, gestern sagten Sie etwas zum Thema Krieg. Das Beste wäre, alle Kriegsausgaben umzuwidmen und dem Thema Klima-wandel zugute kommen zu lassen - an-statt Truppen in den Irak zu schicken, nach Afghanistan oder in Militärbasen in Lateinamerika. Das Geld sollte besser benutzt werden, um die von den USA angerichteten Schäden zu beheben. Und natürlich reichen $100 Milliarden nicht aus. Wahrscheinlich wird es um viele Billionen Dollars gehen. Wie können wir nur Geld ausgeben, um zu töten anstatt zur Rettung von Menschenleben? Nein, wir müssen Geld ausgeben, um Leben zu retten, nicht um zu töten. So lauten unsere Differenzen mit dem Kapitalismus. Sie haben den Krieg in Afghanistan als terroristisch bezeichnet. Bezeichnen Sie Präsident Obama als Terroristen? Wenn Leute ihre Truppen losschicken, um im Ausland zu töten, ist das Terro-rismus. Es gibt nicht nur zivile Terroris-ten - Terroris ten, die sich als Zivilisten verkleiden. Sie können auch Militäruni-formen tragen. Noch übler ist es, wenn sie mit dem Geld der Völker finanziert werden, mit Steuergeldern. Natürlich hat jedes Land das Recht auf Selbstverteidi-gung; ebenso, wie sich jedes Land vertei-digen kann, aber mit Uniformierten in ein fremdes Land einzumarschieren ist Staatsterrorismus. Folgendes kommt noch hinzu: Die Er-richtung von Militärbasen in Latein-amerika, mit dem Ziel der politischen Kontrolle (und ihre Militärbasen hier sind imperial), hat nichts mit Respekt vor der Demokratie zu tun. Es gibt keinen Frie -den, keinen sozialen Frieden. Für solche Länder gibt es keine Entwicklung, und für solche Regionen keine Integration.

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Das haben wir in Südamerika, in Latein-amerika, erlebt. Wie lautet Ihre Botschaft an Präsident Obama - bei den Klimagesprächen? Nachdem ich seine Rede auf dem Ameri-kagipfel der Regierungschefs der ameri-kanischen Regionen (Americas) gehört habe, waren wir voller Hoffnung, dass er zu einem Verbündeten gegen die Armu t werden könnte. Mittlerweile bin ich nicht mehr so hoffnungsfroh. Wir sind eher enttäuscht. Wenn sich in den USA etwas verändert hat, dann die Hautfarbe des Präsidenten. In administrativen Resolutionen wurde mir vorgeworfen, Gewerkschaften zu verbieten bzw. Gewerkschaften zu elimi-nieren. Dabei tue ich genau das Gegenteil (Übersetzer: "Ich entschuldige mich"). In dem Bericht, der erstellt wurde, um - im Rahmen des ATPDEA -Programmes - Handelspräferenzen zu erzeugen, wird der Vorwurf erhoben, die Regierung Boliviens beteilige sich an der Unterdrü-ckung von Gewerkschaften. In Wirklich-keit ist es genau umgekehrt. Die Regie-rung ist aktiv bemüht und zwar sehr be-müht, die Gewerkschaften zu unterstüt-zen und ihnen infrastrukturell zu helfen, zum Beispiel, indem wir d ie Zentren verbessern, in denen sich Gewerkschaften

treffen usw. . Selbst Präsident Bush unterließ damals Bemerkungen über die neuen Klauseln unserer Bolivianischen Verfassung. Doch unter der neuen amerikanischen Regie-rung werden Kommentare und Bemer-kungen laut über die frisch entworfene Bolivianische Verfassung - vor allem, was die Verwaltung des Öl- und des Ergas-Sektors betrifft. Das ist eine klare Einmischung in die inneren Angelegen-heiten Boliviens durch die Regierung Obama. Vielleicht wird es damit enden, dass sie uns auffordern, unsere Verfas-sung zu ändern. So etwas hat nicht ein-mal Bush getan. Betrachten wir nur diese eine Sache, und Obama scheint schon heute schlechter dazustehen als Bush. Die Dokumente liegen vor. Sie haben ein Klimatribunal gefordert. Was meinen Sie damit? Jene, die dem Planeten Erde schaden, jene, die zerstören, gehören verurteilt. Auch jene, die die Bedingungen des Kyo-to-Protokolls nicht erfüllen, gehören verurteilt. Dazu müssen wir bei den Ve r-einten Nationen ein Tribunal für Klima-gerechtigkeit organisieren. Was bedeutet "1 Grad Celsius" (mehr)? So lautet unser Vorschlag.

Glauben Sie, er ist realisierbar? Ja. Wenn nicht, wird es an einem man-gelnden Engagement für die Menschheit liegen. Glauben Sie, dass in Kopenhagen ein Deal herauskommen wird? Ich bezweifle es. Wir entwickeln andere Vorschläge für eine Einmischung mei-nerseits. Halten Sie es für eine Katastrophe, dass kein Deal herauskommt? Nein, Zeitverschwendung. Und wenn die Regierungschefs dieser Staaten zu kei-nem Abkommen finden können, warum verbünden sich nicht die Völker und entscheiden gemeinsam? Belassen wir es an dieser Stelle dabei. Vielen, vielen Dank, Präsident Morales. Originalartikel: http://www.democracynow.org/2009/12/17/bolivian_president_evo_morales_on_climate Übersetzt von: Andrea Noll http://www.zmag.de/artikel/kopenhagen-interview-mit-evo-morales-zum-thema-kapitalismus-und-klimaschulden

Die Vorschläge Boliviens für die Klimakonferenz (englisch): “Submission on behalf of the Plurinational State of Bolivia

Shared Vision for Long term Cooperative Action” In: http://www.attac.org/en/blogs/genevi%C3%A8ve-azam/1-12-2009/assembly-social-movements-copenhagen

Demonstration gegen die WTO in Genf am 28.11.09 http://www.attac.org/en/blogs/amelimelo/7-11-2009/5000-wto-protesters-geneva-yesterday

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Erklärung der ALBA-Staaten zum Klimagipfel Die Mitgliedsstaaten der Bolivariani-schen Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA) haben am 18. Deze m-ber 2009 eine politische Erklärung ver-abschiedet, in der sie ihre Position zu den Ergebnissen des Klimagipfels von Ko-penhagen zum Ausdruck bringen. Wir, die Mitgliedsländer des Bündnisses ALBA, verurteilen vor der Welt die Bedrohung, die das Ergebnis dieser UNO-Konferenz von Kopenhagen für das Schicksal der Menschheit bedeutet. Die Verhandlungen waren vor allem durch Verletzung grundlegender Prinzi-pien der multilateralen Zusammenarbeit gekennzeichnet. Sie waren antidemokra-tisch, haben die allgemeine Gleichbe-rechtigung nicht anerkannt, waren un-durchsichtig, wenig transparent und exklusiv (mit dem Ziel, die Positionen einer kleinen Gruppe von Ländern zu stärken). Der Klimawandel kann nicht von den Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen losgelöst verhandelt werden. Dem jetzt begonnenen Prozess fehlt es an Legitimität, denn er hat die Prinzipien der Multilateralität und der Charta der Vereinten Nationen verletzt, vor allem das Prinzip der souveränen Gleichbe-rechtigung aller Staaten. Der grundlegende Fehler dieses miss-glückten Treffens war, dass eine winzig kleine Gruppe von Ländern, die so ge-nannten „stakeholder“, auf Initiative und koordiniert von Dänemark, seit Wochen Leitlinien für einen Vertrag verfasst hat, wodurch die große Mehrheit der Welt ausgeschlossen wurde. Auf diese Art und Weise wurden Länder erster und zweiter Klasse festgelegt. Während das Präsidium der Staatenkon-ferenz die Länder beauftragte, die Ve r-handlungen in den Arbeitsgruppen wie-der aufzunehmen, um die Bearbeitung und Bereinigung der als Verhandlungs-grundlage erarbeiteten Texte voranzu-bringen, rief der dänische Ministerpräsi-dent die Staatschefs einiger Länder zu-sammen, um hinter dem Rücken der Welt ein Dokument abzufassen. Eine weitere Ausschlussmaßnahme war die Einberufung einer kleinen Gruppe von Regierungschefs hinter verschlossenen Türen, ohne Teilnahme der Mehrheit und ohne die Kriterien der Auswahl zu erklären.

Es ist deutlich geworden, dass wir nicht den Klimawandel betrachten können, ohne über einen Systemwechsel nachzu-denken. Das kapitalistische Produktions- und Konsummodell führt zu einem Punkt ohne Wiederkehr für das Leben auf unse-rem Planeten. Wir erleben einen ent-scheidenden Moment in der Geschichte der Menschheit und die Diskussionen auf diesen Veranstaltungen dürfen sich nicht auf die ökonomischen Interessen einer kleinen Gruppe beschränken. Bis jetzt wurde erst wenig erreicht, aber zumin-dest ist die Erhaltung der gegenwärtigen Klima -Regelungen - die Rahmenkonven-tion der UNO zum Klimawandel und das Kyoto-Protokoll -eine wichtige Plattform, um bei der Verteidigung des Lebens voranzukommen. Wir haben hier ein bedeutendes weltpoli-tisches Abkommen, in dem wir uns einhellig dazu bekannt haben, dass der Klimawandel ein Problem ist, das wir dringend in Angriff nehmen müssen. Darin haben die Länder, die historisch für das Problem verantwortlich sind, zugestimmt, quantifizierbare Emissionen (individuell und insgesamt) zu reduzie -ren, um die Gesamtemissionen auf ein Niveau zu bringen, womit man das Prob-lem unter Kontrolle bekommt. Das gegenwärtige Geschehen ist aller-dings eher rückwärts gerichtet und will das Kyoto-Protokoll zunichte machen. Keine Einigung kam zustande in den Punkten, die Verpflichtungen der Indust-rieländer beinhalten wie bspw. die Fest-legung verbindlicher Werte für Emissi-onsreduzierungen oder einer zweiten Verpflichtungsperiode für das Kyoto-Protokoll. Angebote liegen auf dem Tisch, aber keine dem Protokoll ver-gleichbaren. Die USA wollen sich nicht in ähnlichem Maße wie die anderen Industrieländer engagieren. Die Indust-rieländer kamen mit einer vorgefertigten Agenda zum Treffen und verstießen gegen demokratische Vorgehensweisen beim Versuch, sie durchzusetzen. Im 2007 verabschiedeten Aktionsplan von Bali wurde vereinbart, dass die In-dustrieländer VERBINDLICH Redukti-onen erzielen, die Entwicklungsländer hingegen freiwillig reduzierende MASSNAHMEN hinzufügen sollten. Nun zeigt sich, dass die Industrieländer den Plan von Bali in den vergangenen zwei Jahren gründlich fehl interpretiert haben. Unsere Bereitschaft, freiwillig zu

den Anstrengungen beizutragen, wollen sie ausnutzen, um ihre Verpflichtungen auf uns abzuwälzen. Die Anstrengungen und der Wille von uns Entwicklungslän-dern, zur Reduzierung beizutragen, dür-fen nicht dazu benutzt werden, uns zu manipulieren und uns zu sagen, dass, nachdem sie die Erde zugrunde gerichtet haben, wir nun an der Reihe seien, Reduktionen zu erzielen, damit sie mit ihren ausbeuterischen Produktions- und Konsummethoden die Erde weiter ver-schmutzen und zerstören können. Hier geht es um etwas Prinzipielles. Wir Entwicklungsländer sind würdige, souve-räne Nationen und sind Opfer eines Problems, das wir keineswegs verursacht haben. Das auf der historischen Verant-wortung aufbauende moralische Prinzip ist der Grund dafür, dass die Industrie-länder ausreichende Mittel zur vollstän-digen Umsetzung der Prinzipien der UN-Klimakonvention zur Verfügung stellen müssen. Die Umweltkrise, die aus den steigenden Temperaturen der Atmosphäre resultiert, ist eine Folge des kapitalistischen Sys-tems, Folge der lang anhaltenden und unverträglichen Produktions- und Kon-sumordnung der Industrieländer, sie ist Folge der Anwendung und Zwangsver-ordnung für den Rest der Welt eines absolut verheerenden Entwicklungsmo-dells und sie ist Folge mangelnden politi-schen Willens zur vollständigen und effektiven Durchsetzung und Einhaltung der Verpflichtungen, die die UN-Klimakonvention und das Kyoto-Protokoll vorsehen. Die Industrieländer haben die Erdatmo-sphäre über alle Maßen ausgenutzt. Die-se klimatische Schuld, die nur einen Bruchteil der ökologischen Schulden ausmacht, umfasst sowohl eine Emissi-onsschuld als auch eine Schuld der An-passung, die von den Industrieländern anerkannt werden muss. Es geht nicht um Barmherzigkeit, nicht um Almosen, nicht um Geschenke, sondern um juris-tisch bindende Verpflichtungen. Die Länder, die in Anhang 1 des Kyoto-Protokolls aufgelistet sind, haben im Jahr 2008 die Summe von 1123 Milliarden US-$ für militärische Zwecke ausgege-ben. Die USA haben im Jahr 2008 711 Mrd. US-$ ausgegeben, wie aus der Beantragung von Haushaltsmitteln für das Steuerjahr 2009 hervorgeht, darunter 170 Mrd. US-$ für laufende militärische Operationen im Irak und in Afghanistan.

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Deshalb weiß die Welt, dass Mittel vor-handen sind. Was fehlt, ist der politische Wille, die internationalen Pflichten und Verbindlichkeiten im Kampf gegen den Klimawandel zu erfüllen. Stattdessen werden die Bedürfnisse der Ärmsten benutzt und ausgenutzt, um illegale Ab-sprachen zu erzwingen. Über den Handel mit Emissionsrechten wollen diejenigen, die den Klimawandel verursacht haben, weiter die Atmosphäre verschmutzen. Die Last der Emissions-reduktionen dagegen beabsichtigen sie auf die Entwicklungsländer abzuwälzen. In Kopenhagen wollten sie sich das Recht auf weitere Kontamination erkau-fen, zu einem lächerlichen Preis. 1. Wir verurteilen die vom Präsidium der Konferenz vorgelegten Dokumente aufs schärfste und verlangen, sie für nichtig zu erklären. Die Dokumente wurden ohne Mandat der übrigen Teilnehmer verfasst. Wir distanzieren uns ausdrück-lich vom Kreis der "Freunde des Konfe-renzpräsidenten". Das Präsidium konnte nicht die Gleichheit der Teilnehmer auf

allen Ebenen gewährleistet, auch nicht auf der Ebene des Präsidiums. 2. Wir betonen abermals, dass wir uns weiterhin für den Kampf gegen den Kli-mawandel gemäß den Prinzipien der UN-Klimakonvention einsetzen werden und sind der Meinung, dass die Bedeu-tung des Kyoto-Protokolls heute größer ist denn je. Sein Inhalt ist sicher durch Entscheidungen der Vertragsstaaten und weitere Abkommen noch zu verbessern, aber wir dürfen es nicht aufgeben! Die Kompliziertheit der jüngsten Verhand-lungen hat uns gezeigt, dass die wider-streitenden wirtschaftlichen Interessen keine Übereinkommen ermöglichen, solange die Industrienationen nicht bereit sind, grundlegende Prinzipien zu respektieren. 3. In diesem Sinne äußern wir unseren politischen Willen, weiterhin im Rahmen der UN-Klimakonvention und des Kyo-to-Protokolls zu arbeiten. Die Erneue-rung von Verhandlungen müssen auf der Grundlage des Respekts, der Einbezie-hung aller Beteiligten, der Transparenz und der Legitimität stattfinden.

4. Vergessen wir nicht, dass zeitgleich mit dem unwiderruflichen Scheitern der Konferenz die Stimmen der Jugendlichen, die wissen, dass die Zukunft ihnen ge-hört, auf der Straße immer lauter wurden. Sie protestierten gegen das Taktieren der Industriestaaten und wissen, dass der Kampf weitergeht. Wir schließen uns ihren Stimmen und ihren Protesten an, wir begrüßen und unterstützen sie. Das Volk muss wachsam bleiben. Angesichts der bedauernswerten Manö-ver, die in Kopenhagen aufgrund von kleinlichen wirtschaftlichen Interessen praktiziert wurden, fordern wir heute mehr denn je: Ve rändert nicht das Klima, sondern das System! http://www.venezuelanalysis.com/analysis/5038 Übersetzt von Sabine Zimmermann, in Zusammenarbeit mit Spanisch-Studierenden der Universität Potsdam. Lektoriert von Einar Schlereth, Tlaxcala

http://www.350.org/about/science Weitere Links: http://www.climate-justice-now.org/ http://climatjustice.org/ http://www.tni.org/project/environmental-justice http://klimaschutz-netz.de/ Mehrere Beiträge zum Klima in Sand im Getriebe Nr. 63,77 und 78

Aufruf zur Weltkonferenz der sozialen Bewegungen

in Bolivien Der Präsident Boliviens, Evo Morales, hat als Reak-

tion auf das Scheitern der Klimakonferenz in Ko-penhagen angekünd igt, eine Weltkonferenz der sozi-

alen Bewegungen nach Bolivien einzuberufen.

Das Treffen wird am 22.April, dem Internationa-len Tag der Mutter Erde, stattfinden.

Evo Morales bedauerte, dass in Kopenhagen keine verbindliche Vereinbarung verabschiedet wurde.

Allerdings würde das neue Treffen Gelegenheit bie-ten, die Hegemonie der industrialisierten Länder bei

solchen Treffen zu brechen. Er betonte, dass die Weltkonferenz

der sozialen Bewegungen in Bolivien nach Lösungen suchen soll, wie Nahrungssicherheit

erreicht werden kann angesichts des Hungers in weiten Teilen der Welt.

Näheres zur Einladung unter

http://www.forumdesalternatives.org/EN/readarticle.php?article_id=7760

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ATTAC Bénin, ATTAC Burkina Faso, ATTAC Zentralakrika, APASH/ATTAC Kongo Brazzaville, ATTAC Elfenbeinküste, ATTAC Gabun, CERIDA/ATTAC Guinea, ATTAC Marokko,

ATTAC Togo, RAID/ATTAC Tunesien

LASST UNS DEN PLANETEN RETTEN, LASST UNS AFRIKA RETTEN Nein zur Kommodifizierung des Klimas!

Eine andere Welt - sozial, solidarisch und ökologisch - ist möglich

Die Bewohner Afrikas haben immer noch die Überschwemmungen vor Augen, die dieses Jahr in mehreren Ländern zum Tod von Hunderten von Menschen und zur Vertreibung von mehreren Hundert-tausenden geführt haben. Diese Art von Naturkatastrophen häuft sich in Afrika in letzter Zeit, während es zuvor weitgehend davon verschont geblieben ist. Die Prognosen versprechen nichts Gutes: Klima-Experten sagen verheerende Klima-katastrophen infolge der Klimaerwärmung voraus. Schon jetzt leidet Afrika stark unter den jetzigen Klimaveränderungen. Es ist heute in der internationalen wissen-schaftlichen Gemeinschaft weitestgehend akzeptiert, dass eine Erhöhung der Durc h-schnittstemperatur der Erdoberfläche um 2 Grad Celsius in unserem Kontinent Afrika folgende Konsequenzen haben würde: Zunahme von 127% der Anzahl von Opfern von Überschwemmungen; Wasserknapp-heit, die 600 Millionen Menschen betreffen würde; Hungersnöte, die 55 Millionen Menschen betreffen würden; Zunahme um 17% von Malariakranken und um 16% der an Durchfall erkrankten Menschen. Land-wirtschaft und Viehzucht werden stark betroffen sein, man schätzt die Verluste auf die Summe von 133 Mrd. USD. Angesichts dieser drohenden Katastrophen müssen sich die afrikanischen Regierungen, heute mehr denn je, darauf verpflichten, die Verantwortung des kapitalistischen ökono-mischen Systems an diesem Drama anzu-prangern, anstatt pausenlos humanitäre Hilfe zu verlangen und damit in der Vo r-stellung der Welt das Image des immer bettelnden Afrikas zu nähren. Nach drei Jahrhunderten der Herrschaft des Kapitalismus über die Welt und einer unge-fähr gleich langen Periode der kolonialen Herrschaft in Afrika, ist es mehr als drin-gend nötig, Bilanz zu ziehen. Dieses ökonomische System hat sein indi-vidualistisches Verhaltensmodell aufge-zwungen, die kollektiven Umgangsformen der Gesellschaften unserer Vorfahren mar-ginalisiert, die Völker ausgebeutet und die natürlichen Ressourcen des Kontinents geplündert, den Bevölkerungen ihre sozia-

len Rechte verwehrt und die natürliche Umwelt zerstört, voll in der Logik der Akkumulation der Profite durch und für eine herrschende Minderheit im Norden und auf unserem Kontinent. Und wie immer werden es die A rmen sein, die weiterhin unter den dramatischen Konsequenzen dieser Klimakrise zu leiden haben werden. Sie sind der Umweltverschmutzung, den Überschwemmungen und anderen Folgen des Klimawandels am meisten ausgesetzt, da sie über keine Mittel verfügen, um sich an die neuen klimatischen Rahmenbedin-gungen anzupassen. Die kapitalistische Oligarchie, die die Welt regiert, versucht die Aufmerksamkeit der Bürger, die sich immer mehr der drohenden Katastrophe bewusst werden, ablenken; Sie möchte sie davon überzeugen, dass Techno-logie und die Kommodifizierung des Kli-mas zum Kampf gegen die globale Erwär-mung beitragen könnten. Es werden uns dementsprechend Angebote unterbreitet, um überschüssige Treibhausgase der In-dustrien im Norden zu tauschen gegen eine Wiederaufforstung im Süden; es sollen mehr elektrische Autos gebaut werden; es soll mehr Agrosprit produziert werden; die Nuklearenergie soll verstärkt entwickelt werden; ökologischen Steuern sollen welt-weit erhöht werden usw.. Also eine ganze Reihe von Maßnahmen, die dazu beitragen, die ökonomische Logik des Wachstums und der Zerstörung der natürlichen Ressourcen im Süden zum Vorteil der Reichen weiter-zuführen. Wir lehnen diese Lösungen kategorisch ab und rufen die afrikanischen Völker dazu auf, diesen von den Medien (die wiederum von den Führern dieses Systems kontrolliert werden) produzierten Falschmeldungen nicht zu trauen. Unsere Zukunft liegt nicht in einer Technologie im Dienste des Profits, sondern in einer neuen Organisation der sozialen Verhältnisse in unseren Ländern und den Beziehungen zwischen Nord und Süd. Mehr denn je müssen wir kämpfen, um unser eigenes Leben und jenes der künfti-gen Generationen vor dem Klimawandel zu retten, indem wir unsere Wälder verteidigen

und das Recht von allen auf Wasserversor-gung, auf Nahrungs- und Energiesouveräni-tät erkämpfen. Mehr denn je, müssen wir in Solidarität mit den Pygmäenvölkern in Zentralafrika und den nomadischen Vö l-kern in der Wüste kämpfen, die schon im-mer eine symbiotische Beziehung zur Natur gelebt haben, und die von der h arten kapita-listischen Ausbeutung der natürlichen Res-sourcen in unseren Wäldern und unseren Wüsten dezimiert werden. Wir müssen auch dafür kämpfen, dass endlich die historische ökologische Schuld anerkannt wird. Wir haben schon 300 Jahre der Sklaverei, der Kolonialisierung, des Plünderns durch die Ländern des Nordens erlebt, ebenso wie die Ermordung fort-schrittlicher afrikanischer Führer, die den afrikanischen Kontinent zur vollständigen Emanzipation und zur Bewahrung seines Reichtums hätten verhelfen können. Wir appellieren an die Arbeiter und Ange-stellten, Bauern, Fischer, die Jugend und die Studenten, die Völker von Afrika ge-meinsam gegen die Logik des Marktes aktiv zu werden, die uns vom neoliberalen Kapitalismus aufgezwungen wird, und die auf Konsumerismus und unlimitiertem Wachstum basiert. Die sozialen Fragen und die Klimagerechtigkeit müssen in das Zent-rum der Debatten des Klimagipfels , gesetzt werden, der gegenwärtig in Kopenhagen stattfindet. Wir unterstützen die Aktionen und Mobili-sierungen der sozialen Bewegungen, die in Kopenhagen anwesend sind und wir neh-men an der globalen Mobilisierung für soziale Gerechtigkeit und für die Rettung des Klimas vom 12. Dezember teil. Lasst uns gemeinsam unsere uns ernähren-de Mutter Erde retten. Eine andere Welt - jetzt!!! http://www.cadtm.org/Urgence-Sauvons-la-planete-sauvons S. auch die Erklärung von attac Marokko: http://www.cadtm.org/Declaration-d-Attac-MAROC-a-l

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Attac Österreich

Emissionshandel: Warum die Privatisierung von Luft unser Klima nicht rettet

“Carbon trading is being promoted as the only solution to the climate crisis, pushing aside alternative approaches...and it's pro v-ing to be a farce.” Kevin Smith, Carbon Trade Watch “The system can be gamed; that’s why financial types like me like it – because there are financial opportunities.” George Soros “In an atmosphere of privatization, they privatised the atmosphere.” Durban-Erklärung afrikanischer NGOs Die Klimakrise ist die Folge unseres derzeitigen neoliberalen Produktions-, Handels -, und Konsummodells . Marktba-sierte „Lösungen“ wie der Emissionshan-del werden daher unser Klima nicht ret-ten. Der von den Regierungen forcierte Emissionshandel führt zu unabschätzba-ren Risiken auf den Finanzmärkten, pri-vatisiert das globale Gemeingut Luft und behindert den dringend nötigen Umbau hin zu einem nachhaltigen und klima-freundlichen Wirtschaftsystem. • Emissionshandel führt zu keiner Reduktion der Treibhausgase Sowohl der europäische Emissionshandel (1) als auch der Clean Development Me-chanism (CDM) (2) des Kyoto Protokolls haben zu einem Anstieg der Emissionen geführt. Im EU-Emissionshandel wurden von Anfang an viel zu viele Verschmutzungs-rechte ausgegeben. Laut UNO müssen die CO2-Emissionen jährlich um 3 Prozent zurückgehen. Doch die Zuteilungen wurden so berechnet, dass zwischen 2008 und 2012 der CO2-Ausstoß um insgesamt nur 6 Prozent zurückgeht - gemessen am Stand von 2005. Industriezweige haben für die Jahre 2008 bis 2012 Zertifikate für 400 Millio -nen Tonnen CO2 übrig - nicht zuletzt wegen der gedrosselten Produktion durch die Wirtschaftskrise. Die nicht verbrauch-ten Zertifikate können sie entweder weiterverkaufen oder für die nächste Phase des Emissionshandels aufheben. Beides führt dazu, dass der Preis verfällt und kein Anreiz geschaffen wird, in CO2-arme Herstellungsmethoden zu investieren. Auch in Entwicklungs-ländern hat der CDM nicht zu „sauberer Entwicklung“ geführt. Im Gegenteil: Profite aus dem Emissionshandel werden in Klima verschmutzende Industrien in den ärmsten Ländern reinvestiert. • Profit statt Klimaschutz Der Handel mit Emissionszertifikaten bringt daher den Klimaschutz nicht vor-an, sondern wird selbst zum Geschäft.

Fallbeispiele belegen, dass Emissions-handel weder zu nachhaltigen noch zu sozial gerechten Lösungen führt. Die Gewinner des Systems sind Industriestaa-ten und große Konzerne. So ist es profi-tabler für Energieunternehmen, alte Koh-lekraftwerke durch neue zu ersetzen als auf erneuerbare Energien umzusteigen. • Die nächste Finanzblase droht Durch den Handel von Emissionszertifi-katen droht eine neue Subprime-Blase auf den Finanzmärkten, – denn der Großteil wird nicht von Industrien, sondern von Banken und Investoren gehandelt. Diese verpacken die Zertifikate in komplizierte Finanzderivate und spekulieren damit. Dadurch entsteht das Risiko eines „sub-prime carbon markets“ – mit unabsehba-ren Folgen für die globale Wirtschaft und den Klimaschutz. • Emissionshandel privatisiert Luft Emissionshandel erlaubt es Konzernen auf Kosten von Individuen und der All-gemeinheit, Rechte an der Verschmu t-zung des globalen Gemeingutes Luft zu kaufen. Bereits in der Vergangenheit wurden globale Güter aufgrund von Pro-fitinteressen und dem blinden Glauben an den freien Markt privatisiert – mit katastrophalen Auswirkungen in den Bereichen Wasser, Gesundheitsversorgung oder Bildung. Die globalen Gemeingüter sind zu wichtig, um sie dem freien Markt zu opfern. Aber ist Emissionshandel nicht besser als nichts? Nein. Emissionshandel verhindert echte Alternativen für den dringend notwendi-gen Umbau unseres Wirtschaftssystems und führt zu mehr CO2 Ausstoß. Die Klimakrise kann im bestehenden System nicht gelöst werden Um die aktuellen globalen systembeding-ten Krisen zu überwinden, bedarf es einer neuen Wirtschaftsordnung, welche die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse und die Umsetzung aller sozialen, wirt-

schaftlichen, kulturellen und politischen Rechte ins Zentrum stellt. Das europäische Attac-Netzwerk for-dert daher:

• Alternativen zum Wachstumsmodell

Wirtschaftswachstum ohne erhöhten Ressourcenverbrauch ist eine Illusion. Das Bruttosozialprodukt ist kein geeigne-ter Indikator um sozialen Fortschritt und ein „gutes Leben“ abzubilden. Nur durch ein Ende des „Zwangs“ zum Wirt-schaftswachstum kann der Widerspruch zwischen Bedürfnisbefriedigung und nachhaltigem Wirtschaften überwunden werden.

• Alternativen zum Energiesystem

Klimapolitik ist nur erfolgversprechend, wenn sie am Anfang der Energiekette, bei der Förderung fossiler Brennstoffe an-setzt. Neue Kohlekraftwerke oder neue Formen der Ölförderung sind ein Haupt-problem im Kampf gegen den Klima-wandel. Daher: Das Erdöl muss im Bo-den bleiben. Erneuerbare Energieformen müssen dezentral und mit Einbindung der lokalen Bevölkerung entwickelt und ausgebaut werden. Forschungen auf die-sem Gebiet dürfen nicht von privaten Profitinteressen (Agrartreibstoffe, Atom-energie) dominiert, sondern müssen öf-fentlich finanziert werden.

• Alternativen im globalen Agrar- und Lebensmittelsystem

Das agroindustrielle Modell ist einer der Hauptverursacher für den Anstieg der Treibhausgase. Es beruht auf einem Pro-duktionsmodell des höchstmöglichen Profits bei geringstmöglichen Kosten. Düngemitteleinsatz, Bodenerosion und die Reduktion der Biodiversivität gehen mit Hunger, sozialen Krisen und Um-weltzerstörung einher. Attac fordert daher eine Kehrtwende der Agrarpolitik weg von der Förderung industrialisierter und erdölabhängiger Massenproduktion hin zu ökologisch-nachhaltigen und stand-ortsspezifischen Produktionsmethoden und Ernährungssouveränität.

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• Alternativen zum globalen Handels-regime Das derzeit von Industrienationen voran-getriebene Wirtschaftsmodell fördert ein exportorientiertes Produktions- und Kon-summodell, welches einigen wenigen Konzernen hohe Profite ermöglicht. Die-ses Sytem basiert auf der Ausbeutung von Rohstoffen und Ressourcen im Sü-den durch die Länder des Nordens. Die Ausweitung des globalen Handels hat zu einem enormen Ansteigen der Treibhaus-gase geführt. Attac fordert daher, dass das neoliberale Handelsregime abge-schafft und durch ein alternatives multila-terales Handelsregime ersetzt wird. Die-ses muss auf den Prinzipien Gerechtig-keit, ökologische Nachhaltigkeit und Mitbestimmung aufbauen. [email protected], www.attac.at

1 Der EU-Emissionshandel (European Union Emission Trading System, EU ETS) ist ein marktwirtschaftliches Instrument der EU-Klimapolitik mit dem Ziel, die Treib-hausgasemissionen unter minimalen volks-wirtschaftlichen Kosten zu senken. Die kostenlose Zuteilung großer Teile der Emissionszertifikate bewirkt einen unver-hofften Vermögenszuwachs bei den Stro-merversorgern. Zertifikate können als Pro-duktionsmittel bei der Herstellung einge-setzt oder am Markt verkauft werden. Ihr Marktwert muss sich dabei im Endpreis des Produktes widerspiegeln. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Zertifikate gratis zuge-teilt wurden oder nicht. Die Stromversorger gaben diese erhöhten Strompreise direkt an die Verbraucher weiter und lukrierten damit unverhoffte Gewinne von mehreren Milliarden Euro jährlich.

2 Der Clean Development Mechanism (CDM) ist einer der vom Kyoto-Protokoll vorgesehenen flexiblen Mechanismen. Die Reduktionsleistung eines CDM-Projekts ist immer hypothetisch, da die tatsächlichen Emissionen mit Projekt mit einem Refe-renzszenario verglichen werden, das besagt, wie viele Emissionen ohne Projekt ausge-stoßen worden wären. Somit werden im CDM-Handel hypothetische Einsparungen gegen reale Emissionen gehandelt. Zudem bieten CDM-Projekte paradoxe Anreize. Um möglichst viele CERs verkaufen zu können, ist es vorteilhaft, wenn das Refe-renzszenario mö glichst emissionsintensiv ist. Ein weiteres Problem: Da nur Projekte mit Einsparungen ab ca. 15.000 Tonnen CO2-Äquivalenten wirtschaftlich ist, domi-nieren Großprojekte - zum Nachteil von Effekte, die durch eine Vielzahl von Klein-projekten b ewirkt würden.

Attac Frankreich Kopenhagen

oder die von den Reichen hinterlassene Bürde Nach den Worten von Jean-Louis Borloo endet „das größte Treffen in der Mensch-heitsgeschichte“ mit einem politischen Fehlschlag von historischer Tragweite, einer Verleugnung der Realität und wissen-schaftlicher Erkenntnisse, einer morali-schen Blamage und einer Beleidigung der Armen. Obgleich sich unter dem Druck der Weltöf-fentlichkeit mehr als hundert Staats - und Regierungschefs versammelt hatten, konnte kein Abkommen, das einen solchen Namen verdient, geschlossen werden. Die reichen Länder haben das Scheitern vorangetrieben, indem sie es ablehnten, Mittel zu ergreifen, die ihre historische Verantwortung für den Klimawandel anerkannt hätten. Da sie sich den Lobbys des „green business“ unterwor-fen hat und gedanklich einer aus kolonialen Zeiten stammenden diplomatischen Logik verhaftet ist, konnte die Sippe der reichen Länder nicht erkennen, dass das Klima-Chaos, das bereits zahlreiche Länder des Südens erleiden, ihre Spaltungsversuche ins Lächerliche gezogen hat. Nicolas Sarkozys neokoloniale Manipulationen Afrika ge-genüber waren nicht hinreichend! Wie zahlreiche Demonstranten skandierten, konnten diejenigen, die sich immer als Herrscher über die Welt und die Natur betrachten, nicht erkennen, dass sich eine neue Beziehungskonstellation zwischen dem ausgebrannten Norden und dem Süden

abzeichnet und dass man nicht mit der Natur verhandeln kann. Nachdem sie die NGOs, die gegen das Vorbereitungs-Fiasko protestierten, von den Verhandlungen ausgeschlossen hatten, und nachdem sie in finsteren Räumen unter Verletzung der multilateralen Mindestre-geln Texte ausbrüteten, weisen sie von jetzt an der UNO die Verantwortung zu, wo zwar Bolivien, die Alba-Länder (Alternati-va Bolivariana para los pueblos de Nuestra America), Tuvalu und viele andere sich im Prinzip gleichberechtigt mit den Ländern, deren Supermacht sich angesichts der Her-ausforderungen als lächerlich erweist, äu-ßern können. Der Abschlusstext jedoch wurde abwei-chend von jeglichem Prozedere der UNO durch das MEF (Major Economies Forum), ein Äquivalent der G20, ausgebrütet. Es ist ein Text, der eine Reduzierung der Emissi-onswerte weder als kurzfristiges noch als mittel- oder langfristiges Ziel erwähnt, ein Text, dessen Hauptmotiv darin besteht, jedes internationale Abkommen abzuleh-nen, das die reichen Länder binden würde. Ein Text, der die Logik der Privatinteressen offen legt. Nachdem sie erfolglos versucht haben, die vielfältigen sozialen Bewegungen, die in Kopenhagen anwesend waren, durch Poli-zeitechniken wie Massenverhaftungen zu kriminalisieren, kann man feststellen, dass

sie mit dieser entschlossenen, starken, phantasievollen pazifistischen Bewegung nicht fertig geworden sind. Es ist eine in-ternationale Bewegung, Trägerin einer neuen Hoffnung, die sich ihrer Verantwo r-tung bewusst ist. Desmond Tutu hat erklärt: „Kein Abkommen ist besser als ein schlech-tes Abkommen.“ Da wären wir! Und Ko-penhagen ist nur eine Etappe, damit die Erklärung der Völker „Systemwechsel statt Klimawandel“, die dem alternativen Forum entstammt und im geschlossenen Raum der UNO verlesen wurde, die Basis eines Vö l-kervertrags wird. Die beispiellose Annäherung zwischen sozialen und ökologischen Bewegungen sowie Bewegungen der internationalen Solidarität in Kopenhagen hat eine neue Hoffnung erzeugt und stellt einen Wende-punkt für die globalisierungskritische Be-wegung dar. Mehr als jemals zuvor müssen wir ihren Aufbau fortsetzen, uns in lokalen Initiativen engagieren, Druck auf die Volksvertreter ausüben und wir werden bis zum nächsten Treffen in Mexiko Ende 2010 präsent sein. Es ist ihr Misserfolg, nicht unserer. Attac Frankreich 19. Dezember 2009 http://www.france.attac.org/spip.php?article10608

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Systemwechsel statt Klimawandel Die Erklärung vom Klimaforum09

Unterschrieben von ca. 500 Organisationen, darunter:

ATTAC Dänemark, Attac Deutschland, ATTAC Finnland, ATTAC Flandern (Belgien), ATTAC Frankreich,

ATTAC Italien, ATTAC Japan, ATTAC Österreich, ATTAC Polen, ATTAC Spanien,

ATTAC Schweden, ATTAC Togo, , Sozialforum Österreich, Focus on the Global South,

Jubilee South, TNI, …

Präambel Es gibt Lösungen für die Klimakrise. Was die Menschen und der Planet brau-chen, ist ein gerechter und nachhaltiger Übergang unserer Gesellschaften hin zu einer Form, welche die Lebensrechte und die Würde aller Völker sichert und für zukünftige Generationen einen fruchtba-reren Planeten und ein erfüllteres Leben bietet. Dieser Übergang muss auf den Prinzipien der Solidarität beruhen – insbesondere mit den am meisten Gefährdeten –, näm-lich mit den Grundsätzen der Nicht-Diskriminierung, der Geschlechtergleich-heit, der Gerechtigkeit und der Nachhal-tigkeit; in Anerkennung der Tatsache, dass wir ein Teil der Natur sind, die wir lieben und respektieren. Um die Klimakrise anzugehen, ist es jedoch notwendig, Bewusstsein zu schaf-fen und entschlossene Aktionen umzuset-zen, die sich an den Rechten orientieren. Alle Staaten haben eine Verpflichtung zu internationaler Zusammenarbeit, um weltweit die Beachtung der Menschen-rechte in Übereinstimmung mit der Char-ta der Vereinten Nationen durchzusetzen. Wir, die teilnehmenden Völker, Gemein-

schaften und alle Organisationen beim Klimaforum09 in Kopenhagen, rufen jede einzelne Person, Organisation, Regierung und Institution einschließlich der Verein-ten Nationen auf, zu diesem notwendigen Übergang beizutragen. Es wird eine her-ausfordernde Aufgabe sein. Die gegenwärtige Krise weist ökonomi-sche, soziale, ökologische, geopolitische und ideologische Aspekte auf, die mit-einander in Wechselwirkung stehen und sich sowohl gegenseitig verstärken als auch die Klimakrise verschärfen. Der gegenwärtige Zeitpunkt, an dem die Krisen von Klima, Energie, Finanzen, Ernährung und Wasser etc. aufeinander zulaufen und sich verstärken, drängt uns dazu, uns zu vereinigen und das herr-schende soziale und ökonomische System ebenso zu verändern wie das System der globalen Regierungsführung, welches gegenwärtig die zur Lösung der Klima-krise notwendigen Schritte blockiert. Deshalb muss eine Bewegung von unten handeln. Umwelt- und Klimaschulden müssen beglichen werden. Es sollten keine falschen, gefährlichen oder kurz-fristigen Lösungen propagiert und über-nommen werden, wie etwa Kernenergie, Agrosprit, Emissionshandel, Techniken

zur Speicherung von CO2 (CCS), Bio-kohle, Geo-Engineering und Kohlen-stoffhandel. Stattdessen sollten wir einen wirklich nachhaltigen Übergang umset-zen, der sowohl auf sauberen, sicheren und erneuerbaren Ressourcen als auch auf Energieeinsparung beruht. Wir begrüßen die Schaffung von Bünd-nissen quer durch soziale Bewegungen und gesellschaftliche Gruppen, die alle Altersgruppen, Geschlechter, Ethnien, Glaubensüberzeugungen, Gemeinschaf-ten und Nationalitäten repräsentieren. Wir wollen die Zukunft in unsere eigene Hand nehmen, indem wir eine starke und breite Bewegung bilden von Jugendli-chen, Männern, Frauen, Arbeitern, Bau-ern, Fischern, indigenen Völkern, Men-schen aller Hautfarben, von Gruppen, die städtische und auch ländliche Gemein-schaften vertreten – eine Bewegung, die auf allen Ebenen der Gesellschaft die Zerstörung der Umwelt und den Klima-wandel bekämpfen kann. Wir fordern eine neue internationale Wirtschaftsordnung und unterstützen eine starke und demokratische UNO im Ge-gensatz zu G8, G20 oder anderen ge-schlossenen Gruppen mächtiger Staaten.

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A. Wie wir die Herausforderung sehen Die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre ist bereits so hoch, dass das Klimasystem aus dem Gleichgewicht gebracht worden ist. CO2-Konzentration und weltweite Temperaturen sind in den letzten 50 Jahren rascher als jemals zuvor auf der Erde angestiegen und werden in den kommenden Jahrzehnten sogar noch schneller zunehmen. Dies kommt zu einer Reihe von anderen ökologischen Gleichgewichtsverlusten hinzu, deren Folgen Leben und Lebens-grundlage aller Menschen bedrohen, in besonders scharfer Form aber die verarm-ten Menschen und andere ungeschützte Gruppen. Das Ungleichgewicht des Klimasystems führt unter anderem zu stärkeren und häufigeren Extremen bei Hitze - und Re-genverteilungen, bei tropischen Wirbel-stürmen, Hurricanes und Taifunen, ex-tremen Überflutungen und Dürreperio-den, Verlust von Biodiversität, Erdrut-schen, steigendem Meeresspiegel, Trink-wassermangel, kürzeren Anbauperioden, geringeren Erträgen, Verlust oder Ve r-schlechterung von Ackerland, verringer-ter landwirtschaftlicher Produktion, Ver-lusten bei Viehherden, Zerstörung von Ökosystemen und verringertem Fischbe-stand. Diese Erscheinungen haben zur Folge Nahrungsmittelkrisen, Hunger, Krankheit, Tod, Vertreibung und die Auslöschung von nachhaltigen Lebens-weisen. In Wechselwirkung damit stehen die Einführung von genetisch modifizier-ten Lebewesen, Monokulturen im Acker-

bau und industrialisierte Landwirtschaft, die allesamt stark durch die Konzerne gefördert werden. Diese Phänomene bedrohen die Stabilität und Diversität von Ökosystemen in ernsthafter Weise, sie marginalisieren Kleinbauern und tragen zu ihrer Verar-mung bei und untergraben die Nah-rungsmittelsouveränität. Konzerngesteu-erte Landwirtschaft ist darauf angelegt, einer aufgeblähten globalen Nachfrage zu begegnen, die eher durch Überkonsumt i-on vor allem im globalen Norden verur-sacht wird als durch örtliche Grundbe-dürfnisse. Das Gleiche gilt für moderne industrialisierte Fischwirtschaft, intensive Forstwirtschaft und Bergbau, die Ökosys-teme zerstören, Biodiversität verringern und Leben und Lebensgrundlage lokaler Gemeinschaften zerstören. Zusammen mit wachsender sozialer Un-gleichheit und einer schweren Beein -trächtigung unserer gemeinsamen Um-welt zerstören diese Effekte des Klima-wandels bereits das Leben von Millionen von Menschen sowie ihre lokalen Ge-meinschaften. Andererseits sind wir, die Menschen, nicht bereit, diese Tatsache als unser Schicksal hinzunehmen. Des-halb gibt es schnell wachsende Basisbe-wegungen, die entschlossen sind ihre Lebensgrundlage zu verteidigen und sich gegen die Kräfte und Faktoren zu wen-den, die uns auf diesen letztlich selbst-mörderischen Weg der Umweltzerstörung geführt haben.

In Asien, Afrika, dem Nahen Osten, in Ozeanien sowie in Süd- und Mittelameri-ka oder an der Peripherie von Nordame-rika und Europa entstehen Basisbewe-gungen, um sich gegen die Ausbeutung ihres Landes durch fremde Interessen zur Wehr zu setzen und wieder die Kontrolle über ihre eigenen Ressourcen zu gewin-nen. Eine neue Form von Engagement hat die umweltpolitischen Bewegungen revitali-siert und so zu einer großen Breite von Protesten und Aktionen geführt, die sich u.a. gegen Bergbau, Staudämme, Entwa l-dung, Kohlekraftwerke, Luftverkehr und den Bau neuer Straßen auflehnen. Es gibt ein wachsendes Bewusstsein davon, dass es notwendig ist, das gegen-wärtige wirtschaftliche Paradigma in grundlegender Weise zu ändern. Bei verschiedenen Bewegungen entwickeln sich alternative Lebensformen. Gleichzei-tig wird es der Öffentlichkeit deutlich, dass die gegenwärtigen Machthaber nicht bereit sind, sich den Bedrohungen durch Klimawechsel und Verschlechterung der Umwelt zu stellen und wirksam dagegen vorzugehen. Die so genannte Strategie des ´grünen Wachstums´ oder des ´nachhaltigen Wachstums´ hat sich als Vorwand ent-puppt, um das gleiche grundlegende Modell der wirtschaftlichen Entwicklung weiter zu verfolgen, das eine der Grund-ursachen von Umweltzerstörung und Klimakrise ist.

B. Die Ursachen aus unserer Sicht

Die unmittelbare und vorrangige Ursache des anthropogenen Klimawandels ist eine beipiellos hohe Emission von Treibhaus-gasen in die Atmosphäre, die ihren Ur-sprung hat in der zunehmenden Verbren-nung fossiler Brennstoffe für Zwecke der Industrie, des Handels und Transports sowie des Militärs, um nur einige, aber wichtige Quellen zu nennen. Andere wichtige Antreiber des Klima-wandels sind Waldschädigung – mit Ausnahme der von indigenen Völkern geübten nachhaltigen Praxis des Wander-feldbaus -, Entwaldung, Rohstoffindust-rien, Störung des Wasserkreislaufs, Aus-weitung der Gebiete mit industrialisierter Landwirtschaft durch Landnahme, ver-stärkte industrielle Fleischproduktion und andere Formen nicht-nachhaltiger Nut-zung natürlicher Ressourcen.

Ungleiches Eigentum an und Kontrolle über die Ressourcen Diese unmittelbaren Ursachen sind das Ergebnis eines nicht-nachhaltigen welt -weiten Wirtschaftssystems, das auf un-gleichem Zugang zu und ebensolcher Kontrolle von den begrenzten Ressourcen dieses Planeten beruht sowie auf den Vorteilen, die aus deren Nutzung erwach-sen. Dieses System setzt die Aneignung der lokalen, nationalen und weltweiten öffentlichen Gütern durch lokale und globale Eliten voraus. Was als große Schritte in Technik, Pro-duktion und menschlichem Fortschritt gelobt worden ist, hat in Wahrheit globa-le Katastrophen in Umwelt und Wirt-schaft befördert. Immer noch widmet sich eine privilegierte globale Elite einer rück-sichtslos profitorientierten Produktions-

weise und einer grob exzessiven Kon-sumtion, während ein Großteil der Menschheit in Armut verharrt, mit einem Konsum, der gerade noch das Überleben sichert oder sogar nicht einmal dies. Das ist die Situation nicht nur im globalen Süden, sondern auch im Norden. Die weltgrößten transnationalen Konzerne, die vor allem in den Ländern des Nordens und in Steueroasen ihre Basis haben, dabei aber ihr Operationsfeld ausweiten, sind seit langem schon die Speerspitze dieser Exzesse. Der Wettbewerb zwischen transnationa-len Konzernen und reichen Ländern um Ressourcen und größere Marktanteile, ferner auch Handelsabkommen und Ve r-träge, haben zu einer neokolonialen Un-terdrückung der Völker des Südens ge-führt, die ihnen den rechtmäßigen Besitz

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und die Kontrolle über ihre Ressourcen streitig macht. Die Welthandelsorganis a-tion (WTO) und internationale Finanzein-richtungen wie auch die Europäische Union (EU) und die USA verstärken über bilaterale Handelsabkommen die Privati-sierung und Kommerzialisierung öffentli-cher Ressourcen und intensivieren damit die Ausplünderung der Ressourcen in unterentwickelten Ländern, denen sie Bedingungen aufzwängen, welche deren Abhängigkeit noch verstärkt.

Vorherrschende Denkmuster und Alternativen Bei dem von diesen Institutionen geför-derten Entwicklungsmodell handelt es sich nicht nur um ´Wirtschaft´. Das vor-

herrschende ökonomische Paradigma ist eng verknüpft mit einer Denkweise, die den Menschen als ´wirtschaftenden Men-schen – als homo oeconomicus´ begreift. Verstärkt wird diese Ideologie durch entsprechend gesteuerte Medien und Marketing-Firmen, die Egoismus, Wett-bewerbsdenken, materiellen Konsum und hemmungslose Akkumulation von priva-tem Reichtum propagieren – und zwar unter absoluter Missachtung der gesell-schaftlichen und ökologischen Konse-quenzen eines solchen Verhaltens. Dieses Denksystem ist auf das Engste verknüpft mit Strukturen von Patriarchat und Pater-nalismus. Wenn wir wirklich die Probleme dieser Krise angehen wollen, so müssen wir anerkennen, dass die menschliche Art ein

Teil sowohl der Natur als auch der Ge-sellschaft ist und nicht ohne eine von beiden existieren kann. Wenn daher die Menschheit überleben soll, so müssen wir die Integrität von Mutter Erde respektie-ren und nach Harmonie mit der Natur sowie nach Frieden innerhalb und zwi-schen den Kulturen streben. Wir sind zugleich Angehörige verschiedener Nati-onen und der Einen Welt. Jeder von uns hat teil an der Verantwortung für das gegenwärtige und zukünfige Wohlerge-hen der menschlichen Familie und der umfassenderen lebendigen Welt. Der Geist der Solidarität und der Verwandt-schaft mit allen Lebewesen wird gefes-tigt, wenn wir nach dem Prinzip leben, dass wir eine von vielen Arten sind.

C: Ein gerechter und nachhaltiger Übergang Es ist klar, dass die Lösung der Klimakri-se weit reichende Umformungen erfor-dert, die gegenwärtig keinen Platz haben auf der Tagesordnung der Entscheidungs-träger in Regierungen und multilateralen Einrichtungen. Die Menschen verlangen nach einem Systemwechsel, nicht bloß nach ´business-as-usual´ und auch nicht nach einem unkritischen Einsatz von Technologie und Marktreparaturen, auf welche einflussreiche Kräfte die Klima-agenda beschränkt haben. Basisbewegungen greifen eine Reihe von alternativen gesellschaftlichen Visionen auf und sehen konkrete Schritte vor, die ergriffen werden müssen, um sich in Richtung auf eine nachhaltige Zukunft zu bewegen – und zwar bei der Lösung der Klima -, Wasser-, Nahrung- und Wirt -schaftskrise. Solch ein nachhaltiger Ü-bergang wird auf der Grundlage vieler verschiedener Initiativen beginnen. Solche Schritte sind: • Nahrungssouveränität und ökologi-sche Landwirtschaft: Es geht um das Recht der Menschen, Gemeinschaften und Länder, ihr eigenes Produktionssys-tem zu bestimmen, was eine Politik in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei, Ernährung, Forstwirtschaft und Land einschließt, die ökologisch, sozial, öko -nomisch und kulturell dem Umfeld ange-passt ist. Zugang und Kontrolle hinsicht-lich produktiver Ressourcen wie Land, Saatgut und Wasser muss für die Men-schen, insbesondere für die Frauen, res-pektiert und gesichert sein. Die landwirt -schaftliche Produktion muss grundsätz-lich auf lokalem Wissen beruhen sowie auf angepasster Technologie und ökolo-gisch nachhaltigen Techniken, die CO2 und Wasser in den verschiedenen ein-

heimischen Pflanzensystemen binden und mehr Nährstoffe an den Boden zurückge-ben als sie ihm entnommen haben. Die Nahrungsproduktion in der Landwirt-schaft muss grundsätzlich auf die Abde-ckung lokaler Bedürfnisse ausgerichtet sein, sie muss anregen zu Selbstversor-gung und Arbeitsplätzen vor Ort, wobei sie Ressourcenverbrauch, Abfallerzeu-gung und Emission von Treibhausgasen minimiert. • Demokratisches Eigentum und Kon-trolle der Wirtschaft: Nötig ist die Reor-ganisation der produktiven Einheiten einer Gesellschaft nach dem Kriterium demokratischerer Formen von Eigentum und Management, um die Befriedigung der Grundbedürfnisse gewährleisten zu können, wie etwa Schaffung von Ar-beitsplätzen, Zugang zu Wasser, Unter-künften, Land, Gesundheitsversorgung und Erziehung sowie Nahrungssouveräni-tät und ökologische Nachhaltigkeit. Die öffentliche Politik muss sicherstellen, dass das Finanzsystem im Sinne des Gemeininteresses arbeitet und ferner dafür Sorge tragen, dass Ressourcen für die nachhaltige Umgestaltung von Indust-rie, Landwirtschaft und Dienstleistungen umgeleitet werden. • Energiesouveränität: Eine dramati-sche Reduzierung des Energieverbrauchs vor allem in den Ländern, die sich bere i-chert haben, verbunden mit einem Mix aus erneuerbaren und öffentlich zugäng-lichen Energiequellen (Sonnen-, Wind- oder geothermische Energie, dazu kleine Talsperren und Gezeitenkraftwerke); die Entwicklung einer netzunabhängigen Elektrizitätsverteilung, um die Energie-

versorgung von Gemeinschaften zu si-chern; schließlich die Überführung der Elektrizitätsnetze in Gemeineigentum. • Ökologische Planung von städti-schen und ländlichen Gebieten: Ziel ist die radikale Reduzierung der Inputs an Energie und Ressourcen sowie des Out-puts an Abfall und Verschmutzung, wo-bei zugleich eine ortsnahe Versorgung der Bürger hinsichtlich der Grundbedürf-nisse anzustreben ist. Stadtplanung und ländliche Planung beruhen auf dem Prin-zip der sozialen Gerechtigkeit und der gleichen Versorgung für alle Menschen, was den Transportbedarf einschränken wird. Öffentliche Verkehrssysteme wie leichte und Hochgeschwindigkeits-Schienensysteme sowie der Gebrauch von Fahrrädern sind zu fördern, wodurch der Bedarf an privaten Motorfahrzeugen sinken wird, was die Gesundheit verbes-sert und den Energieverbrauch senkt. • Erziehung , Wissenschaft und kultu-relle Einrichtungen: Erziehung und öf-fentliche Forschung müssen sich insofern umorientieren, als sie den Bedürfnissen der Menschen und der Umwelt zu dienen haben, anstatt die gegenwärtige Ausrich-tung an der Entwicklung ko mmerziell profitabler und firmeneigener Technolo-gien fortzusetzen. Forschung und Ent-wicklung sollten primär ein offenes und auf Zusammenarbeit gegründetes Unter-fangen im gemeinsamen Interesse der Menschheit sein. Patente auf Ideen und Technologien sind abzuschaffen. Ein fairer und gerechter Austausch angepass-ter Technologien, traditionellen Wissens und einheimischer innovativer Verfahren und Konzepte sollte gefördert werden.

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Schluss mit Militarismus und Krieg: Das gegenwärtige, auf dem Verbrauch fossiler Brennstoffe beruhende Entwicklungsmo-dell führt zu Gewalt, Krieg und militäri-schen Konflikten zwecks Verfügungs-kontrolle über Energie, Land, Wasser und andere natürliche Ressourcen. Dies zeigt die US-geführte Invasion und Besetzung des Irak und von Afghanistan. Ferner auch die weltweite Militarisierung in Regionen, die reich an fossilen Brenn-stoffen und anderen natürlichen Ressour-cen sind. Bauern und indigene Gemein-schaften werden ebenfalls gewaltsam von ihrem Land vertrieben, um Platz zu ma-chen für Agrospritplantagen. Milliarden von Dollars werden für den militärisch-industriellen Komplex ausgegeben, wo-mit enorme materielle und menschliche Ressourcen verschwendet werden, die stattdessen einer Umsetzung des nachhal-tigen Übergangs dienen sollten. Indem wir nach vorne gehen, lernen wir durch unsere Praxis. Diese Schritte wer-den uns dabei helfen, die breite Mehrheit der Menschen davon zu überzeugen, dass

ein nachhaltiger Übergang das Verspre-chen eines erfüllteren guten Lebens in sich birgt. Die sozialen, politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Bereiche sind eng miteinander verflochten. Eine schlüssige Strategie muss daher alle diese Gebiete ins Auge fassen, was in der Tat der zent-rale Gedanke hinter dem Konzept des nachhaltigen Übergangs ist. Ein Gesichtspunkt dieses Konzepts ist die Wiederherstellung von lokalen Gemein-schaften als grundlegender sozialer, politischer und wirtschaftlicher Einheit statt einer Ausrichtung am Weltmarkt. Sozialer Zusammenhalt, demokratische Teilhabe, ökonomische und ökologische Verantwortung können nur erreicht wer-den, indem der Prozess der Entschei-dungsbildung auf die unterste angemes-sene Ebene zurück verwiesen wird. Dies ist eine grundlegende Lehre, die uns ethnische Kulturen und lokale Gemein-schaften zuteil werden lassen.

Ein an lokalen Gemeinschaften orientier-ter Ansatz steht jedoch nicht im Wider-spruch zur Notwendigkeit von weitge-hender internationaler Kooperation. Ganz im Gegensatz dazu wird es starker Bündnisse innerhalb und jenseits aller Grenzen zwischen direkten Produzenten in Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Industrie bedürfen. Bündnisse, die auch die Stärke des Gedankens der Gleichheit zwischen den Geschlechtern nutzen und die ungerechte Machtbezie-hungen auf allen Ebenen sowohl erken -nen als auch überwinden. Dies schließt ebenfalls die Notwendigkeit von Ab-kommen zur stärkeren regionalen und internationalen Zusammenarbeit ein, um allgemeine und anteilig genutzte Res-sourcen wie etwa grenzüberschreitende Wasserressourcen zu verwalten. Ferner wird die internationale Zusammenarbeit den entwickelten gegenseitigen Aus-tausch von Ideen, Technologien und Kenntnissen über alle Grenzen hinweg fördern, wie auch einen auf gegenseitigen Respekt gegründeten offenen Dialog zwischen verschiedenen Kulturen.

D: Wege zum Übergang

Viele Menschen sind an der praktischen Herausbildung einer nachhaltigeren In-dustrie, Land- und Forstwirtschaft, im Fischereiwesen und beim Sektor erneuer-barer Energie beteiligt. Diese Initiativen innerhalb des Systems haben ferner Bündnisse geschaffen zwischen anderen Sektoren der Gesellschaft, der Gewerk-schaften, Verbraucher, Stadtbewohner, Lehrer und Forscher, die alle nach einer nachhaltigeren Lebensweise streben. Vereinte Nationen und UN-Klima-konferenz in Kopenhagen (COP): Wir müssen das Wort ergreifen bei der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und bei der UN-Klimakonferenz in Ko-penhagen (COP). Die Lehren aus frühe-ren Verhandlungsrunden sind nicht sehr viel versprechend. Trotz der im Fokus der

Öffentlichkeit stehenden Pläne für eine konzertierte Aktion, die zuerst bei der Klimakonferenz in Rio (1992) und später im Kyoto Protokoll (1997) auf den Weg gebracht wurden, sind die Ergebnisse mager und die Probleme ungelöst. Tat-sächlich hat sich die Situation verschlech-tert, da die Prinzipien, Ziele und Zeitplä -ne sowohl der Rio-Konferenz als auch des Kyoto-Protokolls nicht vorangekom-men sind. Die gleichen Kapitalinteressen, die hauptsächlich für die Entstehung der Klimakrise verantwortlich sind, haben einen immensen Einfluss auf die Klima-politik auf nationalem und globalem Niveau. Wir sind strikt gegen diesen undemokratischen Einfluss der Kapital-lobby auf die laufenden Verhandlungen in Kopenhagen. Im Gegensatz dazu for-

dern wir die Staaten auf, ein Bewertungs-system einzurichten für alle politischen Entwürfe und Politikinstrumente der UN-Klimarahmenkonvention, um für umfas-sende Beratungsprozesse unter Einbezie-hung aller Interessenvertreter zu sorgen, welche bestehende Ungleichheiten ver-mindert, ob sie nun auf Geschlecht, Haut-farbe, Alter, Behinderungen oder andere Formen der Diskriminierung bei den Kopenhagener Verhandlungen beruhen. Wir verlangen, dass in Kopenhagen eine Übereinkunft erzielt wird, welche die Wiederherstellung des ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gleichge-wichts des Planeten Erde durch Mittel einleitet, die ökologisch, sozial und wirt-schaftlich nachhaltig und fair sind, und dass ein rechtlich bindender Vertrag das Ergebnis sein wird.

Unsere Forderungen

Wir appellieren an die Führer in der Kli-marahmenkonvention der UN, die Forde-rungen und Alternativvorschläge der Menschen vorzutragen. 1. Stufenweiser Ausstieg aus fossilen Energieträgern: Wir verlangen eine klare Strategie zum Ausstieg aus der Ära der fossilen Brennstoffe innerhalb der nächsten 30 Jahre, die alle fünf Jahre durch markante Wegmarken überprüft

werden muss. Wir verlangen von den Industriestaaten eine sofort einsetzende Reduzierung der Treibhausgasemissio-nen von mindestens 40% bis 2020 – be-zogen auf den Stand von 1990. 2. Reparationen und Kompensations-zahlungen für Klimaschulden und Verbrechen: Wir verlangen umfassende Reparationen für die Länder des Südens und andere, die durch Staaten des Nor-

dens, durch transnationale Konzerne und Einrichtungen der Steueroasen in die Verarmung gedrängt wurden. Damit sprechen wir zum Teil geschichtliches Unrecht an, das mit unfairer Industriali-sierung und Klimawandel verbunden ist und seine Quelle im Genozid an indige-nen Völkern, transatlantis chem Sklaven-handel, der Epoche des Kolonialismus und auch in Invasionen hat. Dies muss mit einer ebenso klaren Strategie verbun-

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den sein, welche die Klima- und im we i-teren Sinne ökologische Schuld der Staa-ten, die sich bereichert haben, bei den verarmten Vö lkern wiedergutmacht. Es sollte ein globaler demokratischer Fond eingerichtet werden, der den Opfern des Klimawandels direkte Unterstützung anbietet. Die entwickelten Staaten mü s-sen neue, verpflichtende, angemessene und verlässliche Finanzierung anbieten sowie patentfreie Technologien, damit die Entwicklungsländer sich besser an schädliche Auswirkungen des Klima-wandels anpassen können und ihre Emis-sionen reduzieren können. Dies würde es den Entwicklungsländern ermöglichen, ihren Beitrag zur Eindämmung des Kli-mawandels zu leisten und dabei gleich-zeitig die Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Bürger zu berücksichtigen. Interna-tionale Finanzinstitutionen, Geber- und Handelseinrichtungen sollten sich nicht an den Reparationen beteiligen. 3. Ein sofortiges weltweites Verbot der Abholzung von Urwäldern und parallel dazu die Einführung eines ehrgeizigen globalen Aufforstungsprogramms , das auf einheimischen unterschiedlichen Arten basiert – in Partnerschaft mit indi-genen Völkern und waldabhängigen Gemeinschaften. In ähnlicher Weise ist ein Verbot von im großen Maßstab an-gewendeten industrialisierten Fischfang-methoden anzustreben, bei Rückkehr zu einer vorwiegend lokalen und nachhalti-gen Fischereiwirtschaft . Schließlich gehört dazu auch ein Verbot von Prakt i-ken der Landnahme durch ausländische Investoren und die Anerkennung und ungeteilte Zustimmung zum Prinzip der Volkssouveränität bezüglich der natürli-chen Ressourcen.

4. Wir wenden uns energisch gegen rein marktorientierte und technologiezentrie r-te falsche und gefährliche Lösungen, wie sie von vielen Konzernen, Regierungen und internationalen Finanzinstitutionen ins Feld geführt werden. Diese umfassen Kernenergie, Agrosprit, Techniken zur Speicherung von CO2 (CCS), Mechanismen für umweltverträg-liche Entwic klung (CDM), Biokohle, genetisch veränderte, dem Klima ange-passte Anbaufrüchte, Geo-Engineering und Emissionsreduktion durch Entwal-dung und Waldentwertung (REDD), wie sie gegenwärtig durch die Klimarahmen-konvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) definiert werden. Diese Me-thoden erzeugen nur neue ökologische Bedrohungen, ohne die Klimakrise wirk-lich zu lösen. Kohlenstoff- und Emissionshandel sind ebenfalls falsche und ungerechte Instru-mente, da sie eine im Gemeinbesitz be-findliche Ressource - die Atmosphäre – wie eine Ware betrachten, die zum Eigen-tum wird und gehandelt werden kann. Bisher hat das System seine Verdienste nicht nachgewiesen; vielmehr führt die Möglichkeit für reiche Länder, ihre Re-duktionsverpflichtungen aufzurechnen, zu einer Ve rstärkung des ungerechten und nicht-nachhaltigen Systems. 5. Eine faire Besteuerung von Kohlen-stoffemissionen: Anstelle eines Systems handelbarer Emissionsquoten fordern wir eine faire Besteuerung von Kohlenstoff-emissionen. Die Einkünfte aus dieser Steuer sollten in gerechter Weise an die Menschen zurückgeführt werden und ein Anteil davon sollte darauf verwendet werden, die Anpassung an den Klima-wandel und eine Schadensbegrenzung zu

finanzieren. Dies ist jedoch kein Ersatz für die Erstat-tung von bereits angehäuften Klima-schulden. Vielmehr sollte dieser unter-stützende Ausgleich nicht an Bedingun-gen geknüpft, aber frei von Marktmecha-nismen und der Mitwirkung von Finanz-institutionen sein. Die Reduktion der Emissionen sollte deutlich angeregt wer-den durch eine stark ansteigende, transpa-rente Kohlenstoffsteuer, zusätzlich zu direkten Bestimmungen, welche den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen for-cieren und zugleich sichere, saubere und erneuerbare Energie ermö glichen. 6. Multilaterale Institutionen und trans-nationale Konzerne: Ungerechte, nicht-nachhaltige und nicht zur Rechenschaft zu ziehende globale Wirtschafts- und Finanzinstitutionen wie die WTO, die Weltbank, der IWF, regionale Entwick-lungsbanken, Geberinstitutionen und Handelsabkommen sollten durch demo-kratische und gerechte Institutionen ersetzt werden, die in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen handeln, die Souveränität der Menschen bezüglich ihrer Ressourcen achten und die Solidarität zwischen Menschen und Nationen fördern. Ferner sollte ein Me-chanismus zur strengen Überwachung und Kontrolle der Operationen von trans-nationalen Konzernen eingeführt werden. Schließlich verpflichten wir uns zu voller und aktiver Mitwirkung bei der Umset-zung des nachhaltigen Übergangs unserer Gesellschaften entsprechend den in dieser Deklaration entwickelten Leitlinien.

E. Eine globale Bewegung für eine nachhaltige Wende

Unabhängig vom Ergebnis der Kopenha-gener Konferenz zum Klimawandel be-steht ein dringendes Bedürfnis zur Bil-dung einer globalen Bewegung der Be-wegungen, die sich der langfristigen Aufgabe verpflichtet fühlt, einen nachhal-tigen Übergang in unseren Gesellschaften zu fördern. Im Gegensatz zu den herr-schenden Machtstrukturen muss diese Bewegung von unten nach oben wach-sen. Was wir brauchen ist ein breites Bündnis von Umwelt - und sozialen Be-wegungen, von Gewerkschaften, Bauern, Zivilgesellschaften und anderen verbün-deten Organisationen, die sowohl auf

lokaler und nationaler wie auch auf inter-nationaler Ebene im alltäglichen politi-schen Kampf zusammen arbeiten können. Ein solches Bündnis schließt zugleich die Entwicklung einer neuen Denkweise und von neuen Arten des gesellschaftlichen Handelns ein und muss in der Lage sein, nicht nur auf nicht-nachhaltige Praktiken zu reagieren, sondern auch ein Beispiel dafür aufzuzeigen, wie eine neue nach-haltige Wirtschaft tatsächlich funktionie-ren kann. Wir, die teilnehmenden Menschen, Ge-meinschaften und sozialen Organisatio-nen beim Klimaforum09 verpflichten uns

dazu, auf den bei diesem Ereignis erzie l-ten Ergebnissen für die Weiterentwick-lung einer globalen Bewegung der Bewe-gungen aufzubauen. Es ist das Ziel dieser Deklaration, die weitere Entwicklung einer solchen Be-wegung dadurch anzuregen, dass wir die allgemeine Richtung aufzeigen, in die wir uns bewegen wollen. Zusammen können wir globale Wende für zu einer nachhaltigen Zukunft gestal-ten. Schließt euch an! Übersetzer: G. Kramann,coorditrad / SiG

http://www.klimaforum09.org/Declaration Liste der unterzeichnenden Organis ationen:

http://www.klimaforum09.org/IMG/pdf/List_of_organisations_that_have_signed_the_Declaration-3.pdf

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John Pilger zum Friedensnobelpreis 2010

2010: Willkommen in Orwells Welt In „1984” beschrieb George Orwell einen Superstaat namens Oceania, dessen Kriegs-sprache Lügen aufbaute, die „in die Ge-schichte eingingen und zur Wahrheit wur-den. ‚Wer die Vergangenheit beherrscht,’ so der Leitspruch der Partei, ‚beherrscht die Zukunft; wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht die Vergangenheit.’“ Barack Obama ist der Führer eines zeitgenössischen Oceania. In zwei Reden am Ende des Jahrzehnts beteuerte der Frie-densnobelpreisträger, dass Frieden nicht länger Frieden ist, sondern ein anhaltender Krieg, der „sehr wohl über Afghanistan und Pakistan hinaus reicht“ zu „unordentli-chen Regionen und diffusen Feinden.“ Er bezeichnete das als „globale Sicherheit“ und erheischte unsere Dankbarkeit. Den Menschen in Afghanistan, das die Vereinig-ten Staaten von Amerika überfallen und besetzt haben, sagte er witzig: „Wir haben kein Interesse daran, euer Land zu beset-zen.“ In Oceania sind Wahrheit und Lügen untrennbar. Laut Obama war der amerika-nische Angriff gegen Afghanistan 2001 vom UN-Sicherheitsrat genehmigt. Es gab keine Genehmigung. Er sagte, „die Welt“ unterstützte die Invasion in der Folge des 9/11, während in Wirklichkeit in einer Gallup-Erhebung alle außer drei von 37 Ländern eindeutig überwiegende Oppositi-on zum Ausdruck brachten. Er sagte, dass Amerika in Afghanistan erst einmarschiert sei, „nachdem die Taliban sich geweigert hatten, Osama bin Laden herauszugeben.“ Das pakistanische Militärregime berichtete, dass die Taliban 2001 dreimal versuchten, bin Laden für ein Gerichtsverfahren auszu-liefern, und ignoriert wurden. Sogar Oba-mas Mystifizierung des 9/11 als Rechtferti-gung für diesen Krieg ist falsch. Mehr als zwei Monate vor der Attacke auf die Twin Towers wurde dem pakistanischen Außen-minister Niaz Naik von der Regierung Bush mitgeteilt, dass es Mitte Oktober einen militärischen Angriff der Vereinigten Staa-ten von Amerika geben werde. Das Tali-ban-Regime in Kabul, das die Administra-tion Clinton noch heimlich unterstützt hatte, wurde nicht mehr länger als „stabil“ genug betrachtet, um die Kontrolle Amerikas über die Öl- und Gas-Pipelines im Bereich des Kaspischen Meeres zu gewährleisten. Es hatte abzutreten. Obamas unverfrorenste Lüge ist, dass Afghanistan heute ein „sicherer Hafen” für al-Qaedas Angriffe gegen den Westen ist. Sein eigener Sicherheitsberater General James Jones sagte im Oktober, in Afghanistan gäbe es „weniger als 100“ al-Qaeda-Leute. Laut U.S.-Geheimdiensten sind 90% der Taliban gar keine Taliban,

Taliban gar keine Taliban, sondern „eine Aufständischenbewegung auf Stamme sebe-ne, die sich als Gegner der Vereinigten Staaten von Amerika betrachtet, da diese eine Okkupationsmacht sind.“ Nur die uneingeschränkt Dummen glauben noch an den „Weltfrieden“ der Marke Obama. Unter der Oberfläche verbergen sich aller-dings ernsthafte Absichten. Unter dem eigenartigen General Stanley McChrystal, der sich mit seinen Mordkommandos in Irak einen Ruf erworben hat, bildet die Okkupation eines der ärmsten Länder ein Modell für jene „unordentlichen Regionen“ auf der Erde, die sich noch immer außer-halb der Einflusszone Oceanias befinden. Dieses ist b ekannt unter dem Namen COIN – Counter-Insurgency Network (Netzwerk zur Bekämpfung von Aufständen) und umfasst Militär, Hilfsorganisationen, Ps y-chologen, Anthropologen, die Medien und Leute aus der Werbebranche. Hinter Sprü-chen von Herzen und Hirne gewinnen ver-birgt sich das Ziel, ethnische Gruppen g e-geneinander aufzuhetzen und Bürgerkrieg anzustiften: Tadschiken und Usbeken gegen Paschtunen. Das haben die Amerikaner im Irak ge-macht und eine multiethnische Gesell-schaft zerstört. Mit Bestechung errichteten sie Trennwälle zwischen Gemeinschaften, die früher untereinander geheiratet hatten, was zu ethnischen Säuberungen gegen die Sunniten und zur Vertreibung von Millio-nen Menschen aus dem Land führte. Die eingebetteten Medien berichteten darüber als „Frieden“ und amerikanische Akademi-ker, gekauft von Washington, und vom Pentagon instruierte „Sicherheitsexperten“ traten in der BBC auf, um die guten Nach-richten zu verbreiten. Wie in 1984 ent-sprach genau das Gegenteil der Wahrheit. Etwas Ähnliches ist für Afghanistan ge-plant. Die Menschen sollen in „Zielgebiete“ gezwungen werden, die von den Amerika-nern und durch den Opiumhandel finanzier-ten Warlords kontrolliert werden. Dass diese Warlords für ihre barbarischen Prak-tiken berüchtigt sind, spielt keine Rolle. „Damit können wir leben,“ sagte ein Dip-lomat der Ära Clinton zum Thema Unter-drückung der Frauen in einem „stabilen“ von den Taliban beherrschten Afghanistan. Ausgewählte westliche Hilfsorganisationen, Ingenieure und Landwirtschaftsexperten werden die „humanitäre Krise“ begleiten und auf diese Weise die unterjochten Stammesgebiete „sichern“. Das ist die Theorie. Diese funktionierte in Jugoslawien, wo die Aufsplitterung nach ethnisch-religiösen Kriterien eine vormals friedliche Gesellschaft auslöschte, sie funktionierte aber nicht in Vietnam, wo das

tionierte aber nicht in Vietnam, wo das CIA-Programm der „strategischen Dörfer“ die Bevölkerung des Südens einzäunen und trennen sollte, um den Viet Cong zu besie-gen –Viet Cong war der von den Amerika-nern über den Widerstand gestülpte Über-begriff, ähnlich wie auch „Taliban“. Hinter vielen dieser Dinge stecken die Israelis, die schon lange die Amerikaner bei den Abenteuern im Irak und in Afghanistan beraten haben. Ethnische Säuberungen, Mauerbau, Kontrollpunkte, Kollektivstrafen und dauernde Überwachung – sie laufen unter israelische Innovationen, die sich als erfolgreich beim Diebstahl eines großen Teils des palästinensischen Territoriums von seinen ursprünglichen Bewohnern erwiesen haben. Doch ungeachtet aller ihrer Leiden konnten die Palästinenser nicht unwiderruflich gespalten werden und b e-stehen weiterhin als Nation entgegen allen Erwartungen. Die viel sagenden Vorläufer des Obama- Plans, von denen der Friedensnobelpreis-gewinner, sein eigenartiger General und deren Propagandaleute am liebsten hätten, dass wir sie vergessen, sind die, die in Afghanistan selbst eingefahren sind. Die Briten im 19. Jahrhundert und die Sowjets im 20. Jahrhundert haben versucht, dieses wilde Land mithilfe ethnischer Säuberun-gen zu erobern und wurden hinausgewo r-fen, obwohl erst nach furchtbarem Blutver-gießen. Imperiale Friedhöfe sind ihre Denkmäler. Die Macht des Volkes, manchmal rätselhaft, oft heroisch, bleibt die Saat unter dem Schnee, und die Eindring-linge fürchten sie. „Es war sonderbar“ ,schrieb Orwell in 1984, „zu denken, dass der Himmel über allen der gleiche war, in Eurasia oder Eastasia genauso wie hier. Auch die Men-schen unter dem Himmel glichen einander sehr, überall, auf der ganzen Welt ... Men-schen, die nichts von der Existenz der ande-ren wussten, auseinander gehalten durch Mauern aus Hass und Lügen, und doch fast genau die gleichen Menschen, die ... in ihren Herzen und Bäuchen und Muskeln die Macht speicherten, die eines Tages die Welt auf den Kopf stellen wird.“

31.12.2009 John Pilger ist ein berühmter und mit zahl-losen Journalismus-Preisen ausgezeichne-ter australischer Journalist und Dokume n-tarfilmer. http://original.antiwar.com/pilger/2009/12/30/2010-welcome-to-orwells -world/ http://www.zmag.de/artikel/2010-willkommen-in-orwells -welt

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Walden Bello Zehn Jahre nach Seattle:

Nur durch Aktionen wird Wahrheit zu Realität Weltwirtschaftsgipfel 1999. Die Globalisie-rung schien sich so rasch zu vollziehen, dass sie alles vor sich her schob, auch die Wahrheit. Doch in Seattle machten Frauen und Männer - durch kollektive Aktionen - die Wahrheit real. Dass die Globalisierung hinsichtlich ihrer drei Versprechungen - Eliminierung der Armut, Reduzierung der Ungleichheit und Beendigung der Stagnation von Staaten - gescheitert ist, wird heute allgemein akzep-tiert. Die Wurzeln der aktuellen globalen Abwärtsspirale(1) liegen in einer von den Konzernen vorangetriebenen Globalisie-rung plus einer Finanzliberalisierung und einer Ideologie des Neoliberalismus, die Beides legitimierte. Der Abwärtstrend hat der Globalisierung ihren letzten Sargna-gel verpasst. Vor zehn Jahren war die Situation noch eine ganz andere. Ich erinnere mich an die triumphale Stimmung, die rund um das erste Ministertreffen der Welthandelsorga-nisation herrschte, das 1996 in Singapur stattfand. Damals sagten uns die Vertreter der USA und anderer "entwickelter" Natio-nen (2), die Globalisierung - mit den Kon-zernen als Motor - sei unausweichlich. Sie sei die Zukunftswelle. Die einzige Aufgabe, die es noch zu bewältigen gäbe, wäre eine "kohärentere" Politik von Weltbank, Inter-nationalem Währungsfonds (IWF) und WHO. Dies sei nötig, um die neoliberale Utopie einer integrierten, globalen Wirt-schaft schneller umzusetzen. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Glo-balisierung entwickelte, schien alles vor sich herzutreiben - auch die Wahrheit. In dem Jahrzehnt, das dem Treffen von Seattle voranging, gab es viele Studien - inklusive Berichte der Vereinten Nationen - die infrage stellten, dass die Globalisierung und die Politik des Freien Marktes tatsäch-lich zu nachhaltigem Wachstum und Wohlstand führten. In W irklichkeit legte die Datenlage nahe, dass die Globalisierung und die Politik des Freien Marktes Un-gleichheit und Armut und wirtschaftliche Stagnation - vor allem im globalen Süden – konsolidierten (3). In den Augen der Ge-lehrten, der Presse und der Politiker, die pflichtschuldigst das neoliberale Mantra wiederholten, dass Wirtschaftsliberalisie-rung das Wachstum und den Wohlstand fördere, waren diese Zahlen jedoch "An-nahmen" und nicht Tatsachen. Die ortho-doxe Sicht, die in den Medien, in Klassenzimmern und politischen Kreisen

zimmern und politischen Kreisen bis zum Erbrechen wiederholt wurde, lautete: Die Kritiker der Globalisierung sind moderne Maschinenstürmer (Ludditen). Sie verhiel-ten sich wie jene, die während der Indus-triellen Revolution die Maschinen zerstör-ten. Oder man bezeichnete uns als Leute, die glaubten, die Erde sei flach - wie uns Thomas Friedman voller Verachtung brandmarkte. Dann kam Seattle (4). Nach jenen aufre-genden Tagen war in der Presse auf einmal von " der dunklen Seite der Globalisierung" die Rede, von Ungleichheit und Armut, geschaffen durch die Globalisierung. Wir erlebten auf spektakuläre Weise, wie Leute das Lager der neoliberalen Globalisierer verließen - wie etwa der Finanzier George Soros, der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz (5) oder der Starökonom Jeffrey Sachs. Der Rückzug der Intellektuellen aus der Globa-lisierung erreichte seinen Höhepunkt vor zwei Jahren, als ein Gremium von neoklas-sischen Ökonomen, unter Vorsitz von An-gus Deaton (Princeton) und Ken Rogoff (ehemaliger Chefökonomen des IWF), einen umfassenden Report verfasste, der sich sehr ernsthaft mit der Entwicklungsab-teilung der Weltbank befasste - von der die meisten Behauptungen stammten, dass die Globalisierung und die Aufh ebung von Handelsbeschränkungen zu weniger Armut, einem nachhaltigeren Wirts chaftswachstum und weniger Ungleichheit führen würden. In dem Report steht, diese Abteilung der Weltbank habe bewusst Daten manipuliert und/oder unbewiesene Dinge behauptet. Stimmt - viele Ökonomen und Technokra-ten befinden sich nach wie vor auf dem neoliberalen Holzweg. Doch bereits vor dem jüngsten globalen Finanzkollaps büßte der Neoliberalismus einen Großteil seiner Glaubwürdigkeit und Legitimität ein. Was war geschehen? Nicht so sehr Untersuchungen und Debatten machten den Unterschied - sondern Aktionen. Die An-tiglobalisierungs-Aktionen auf den Stra-ßen von Seattle - mit Massen von Men-schen - waren nötig (6). Sie interagierten auf synergetische Weise mit dem Wider-stand der Repräsentanten der "Entwick-lungsländer", die sich im Sheraton Conven-tion Center befanden und mit der Randale durch die Polizei. So kam es in Seattle zu jenem spektakulären Kollaps eines Ministertreffens der Welthandelsorganisation. Aus Annahmen wurden Fakten - und Wahrheit. Das intellektuelle Debakel der Globalisierung

Globalisierung durch Seattle hatte sehr reale Konsequenzen, denn heute gibt sogar der oberste Avatar der neoliberalen Öko-nomie, die Zeitschrift ‘Economist’ , zu, dass "die Integration der Weltwirtschaft an fast allen Fronten auf dem Rückzug ist". Ein Prozess der "Deglobalisierung" habe eingesetzt (7), der zuvor undenkbar gewe-sen sei, heißt es. Seattle war etwas, was der Philosoph Hegel als "welthistorisches Ereignis" bezeichnet hätte. Die langfristige Lehre, die daraus zu ziehen ist, lautet: Wahrheit ist nicht nur irgendetwas da draußen, das objektiv und permanent existiert. Wahrheit wird durch Aktionen endgültig geformt, realisiert und ratifiziert. In Seattle verwirklichten einfa-che Frauen und Männer die Wahrheit durch kollektive Aktionen. Auf diese Weise brachten sie ein intellektuelles Para-digma zu Fall, das der Kontrolle durch die Konzerne in ideologischer Hinsicht als Schutze gedient hatte. 1) http://www.yesmagazine.org/issues/the-new-economy/why-this-crisis-may-be-our-best-chance-to-build-a-new-economy 2) http://www.yesmagazine.org/issues/stand-up-to-corporate-power/who-will-rule 3) http://www.yesmagazine.org/new-economy/poverty-global-trade-justice-and-the-roots-of-terrorism 4) http://www.yesmagazine.org/people-power/the-world-turned-out-in-seattle 5) http://www.yesmagazine.org/new-economy/the-economics-of-happiness 6) http://www.yesmagazine.org/people-power/the-myth-of-activist-violence 7) http://www.yesmagazine.org/new-economy/the-virtues-of-deglobalization

Walden Bello ist Träger des Alternativen Nobelpreises, Präsident der ‘Freedom from Debt Coalition’, Analyst des Instituts ‘Fo-cus on the Global South’ und Mitarbeiter am ‘Transnational Institute’. Originalartikel: http://www.zmag.org/znet/viewArticle/23240 Übersetzt von: Andrea Noll. http://www.zmag.de/artikel/zehn-jahre-nach-seattle

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ATTAC Argentinien, ATTAC Österreich, ATTAC Frankreich, ATTAC Deutschland, ATTAC Japan, ATTAC Norwegen,

Focus on the Global South, La Via Campesina, TNI und viele mehr

An die Regierungen:

Hört auf Euer Volk! Stellt euch der Krise!

Das 7. Ministertreffen der Welthandels-organisation (WTO) fand in Genf mitten in einer vielschichtigen Krise statt; Men-schen fordern indessen weltweit, dass die Regierungen entschiedene Aktionen einleiten, um ihre Existenzgrundlage vor den Gefahren der konzerngetriebenen Globalisierung zu schützen. Das Versagen von Deregulierung und Liberalisierung, die die WTO durch ihr Handelsregime festschreibt, ist für den normale Menschen weltweit nur allzu offensichtlich. Dass dieses Ministertreffen kein Ve r-handlungstreffen war, ist die Folge des massiven Widerstands durch Arbeiter, Bauern, Fischer und soziale Bewegungen auf der ganzen Welt gegen das WTO-Handelsregime. Die Handelsminister kamen nicht mit einem demokratischen Mandat nach Ge nf, um Verhandlungen zu führen. In einer ganz unverständli-chen, jedoch durchaus erwarteten Ab-kopplung von der Realität in den Heimat-ländern haben viele von ihnen jedoch für einen zügigen Abschluss der Doha Runde im Jahr 2010 plädiert.

Fünfzehn Jahre nach ihrer Gründung ist die WTO weiter denn je von einem gleichberechtigten, gerechten, regelba-sierten multilateralen Handelssystem entfernt, das die Entwicklung fördern kann. Seit ihrer Einführung vor acht Jah-ren wurde es immer deutlicher, dass die Doha-Entwicklungsrunde vollständig in Gegensatz zu den wirklichen Prioritäten der Bewohner von Entwicklungsländern steht. Stattdessen setzen Forderungen der mächtigen Staaten die Leitlinien für Han-delsvereinbarungen, und sie tun dies in einem Klima der Angst, in dem Schuld-zuweisungen an der Tagesordnung sind. Jedes Land, das nicht bereit ist, den zügi-gen Abschluss der Doha-Runde zu unter-stützen, riskiert es, die Schuld für das Fehlschlagen des multilateralen Handels-systems zugewiesen zu bekommen. Die WTO ist keine Lösung für die viel-schichtigen Krisen, denen die Welt heute ausgesetzt ist. Im Gegenteil gibt es Be-weise dafür, dass die WTO-Handelsregeln ein Grund für die aktuelle Nahrungsmittel-, Finanz- und Klimakrise sind und diese noch verschärfen werden. Wenn der Hauptzweck dieses Minister-

treffens darin bestand, die Rolle der WTO in der aktuellen weltweiten Wirt-schaftslage zu untersuchen, dann müssen die Regierungen ? sofort alle Verhandlungen der Doha-Runde einstellen; ? WTO-Verpflichtungen umkehren und beschleunigte Liberalisierung zu rückwe i-sen; ? umfassende Entwicklungsaudits abhal-ten, die die Auswirkungen des WTO-Handels auf lokale und nationale Wirt-schaften untersuchen; ? in Zusammenarbeit mit nationalen Interessengruppen neue Handelsregeln entwickeln, die Nahrungsmittelsouveräni-tät, finanzielle, wirtschaftliche und um-weltpolitische Sicherheit sowie Klimage-rechtigkeit garantierenö An die Regierungen: Hört auf Euer Volk! Werft das Doha-Projekt über Bord – Stellt Euch der Krise! 4. Dezember 2009

Unterzeichnet von: ActionAid International Afrika-Europa netwerk Netherlands AFTINET Agribusiness Action Initiatives (AAI) Alliance of Progressive Labour, Philippines ATTAC Argentina / ATTAC Austria ATTAC France / ATTAC Germany ATTAC Japan / ATTAC Norway Bharatiya Krishak Samaj, India Blue Planet Project / Both ENDS Campaign for the Welfare State Center for Encounter and active Non-Violence, Austria Centre for Education and Communication (CEC), India Coalition Against Trafficking in Women, Asia-Pacific Colegiado de Gestão do INESC Common Frontiers-Canada Corporate Europe Observatory (CEO). Council of Canadians CRBM/Mani Tese, Italy Development Alternatives with Womenf or a New Era (DAWN). Ecologistas en Accion, Spain Economic Justice Network EQUATIONS India / Fair, Italy

Focus on the Global South Fundacion Solon Bolivia Global Network Asia Hemispheric Social Alliance: Group of Agricul-ture and Commerce (gtac-asc) IBON foundation / India FDI Watch Initiatives for Dialogue, Empowerment through Alternative Legal Services (IDEALS) Institute for Agriculture and Trade Policy Institute for Global Justice, Indonesia Intercultural Resources, India International Forum on Globalization International Gender and Trade Network International Union of Food, Agricultural, Hotel, Restaurant, Catering, Tobacco and Allied Work-ers' Associations (IUF) Kilusan para sa Pambansang Demokrasya Kilusang Mangingisda/ Fisherfolk Movement Philippines La Via Campesina Labour Education Research Network (LEARN), Philippines MOSIP (Movimiento por el si de los Pueblos) Ngo M.A.I.S. Italy No to WTO Grassroots Campaign in Japan Obsevatori del Deute en la Globalització (ODG), Catalona Pambansang Kalipunan ng Makabayang Mag-

bubukid Platform of Filipino Migrant Organisations in Europe Commission for Filipino Migrant Work-ers Polaris Institute Red Brasilera por la Integracion de los Pueblos (REBRIP) Red Mexicana de Accion frente al Libre Comercio (RMALC) REDES--Friends of the Earth Uruguay Resistanze and Alternative, Mauritius RESPECT Network Europe Stop the New Round Coalition Philippines The Berne Declaration The Development Fund, Norway The Latin American Solidarity Committee of Norway The Oakland Institute Trade Strategy Group (TSG) , South Africa Transnational Institute Transnational Migrant Platform (TMP) TWN Africa / War on Want Women in Development in Europe (WIDE) World Development Movement ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? · ? ? ( Equal Rights and Justice Committee, Japan)

Übersetzung: Gina Heidemann, coorditrad

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ROSA LUXEMBURG STIFTUNG, WORLD FORUM FOR ALTERNATIVES, TNI

Für eine neue globale Solidarität (Brüsseler Erklärung)

ABIOLA, Hafsat (Nigeria); ALTVATER, Elmar (Germany); AMIN, Samir (Senegal); BAWTREE, Victoria (France);

BEAUDET, Pierre (Canada); BELLO, Walden (Philippines); BRENNAN, Brid (Netherlands); BRIE, Michael (Germany); CANDEIAS, Mario (Germany); CANEPA, Eric (Italy); CASSEN, Bernard (France); CATALINOTTO, John (USA);

CHACHRA, Sandeep (India); COX, Jennifer (USA); DAIBER, Brigit (Germany/Belgium); DIERCKXSENS, Wim (Honduras/Costa Rica); DRISSI CHALBI, Hassania (Tunesia); ESKELINEN, Teppo (Finland);

FOUNOU, Bernard (Cameron/Senegal); GAUTHIER, Elisabeth (France); GEORGE, Susan (France); GILLS, Barry K (UK); HABASHI Mamdouh (Egypt); HAGEN, Mark (Germany); HEINE, Henning (Germany);

HOUTART, François (Belgium); KEET, Dot (South Africa); KULKE, Roland (Belgium/Germany); LANDER, Edgardo, (Venezuela); LAU Kin Chi (Hong Kong); MASSIAH, Gustave (France);

MENON, Meena (India); MERKUSHEV, Vitaly (Russia); MOYO, Samson (Zimbabwe); MURTHY, P.K. (India); NAKATANI, Paulo (Brasil); OSMANOVIC, Armin (Germany); PÁEZ, Pedro (Ecuador); RILLING, Rainer (Germany);

ROCHAT, Florian (Switzerland); SCHOLZ, Helmut (Germany); VERVEST, Pietje (Netherlands); WACHTEL, Howard (USA); WEN Tiejun (China); YAKUSHIK, Valentin (Ukraine)

Wir, die Unterzeichner dieser Erklärung – Intellektuelle und Aktivisten aus dem globalen Süden wie dem globalen Norden –, haben uns in einer historischen Um-bruchphase, inmitten einer beispiellosen Krise in Brüssel versammelt. Die natio-nalen Regierungen sind dabei, den Kapi-talismus zu retten und den Neoliberalis-mus zu restaurieren. Für radikale Inter-ventionen ist es dennoch nicht zu spät. Wir setzen uns für neue Paradigmen der sozialen Beziehungen ebenso wie der Beziehung zur Natur ein und schlagen Elemente für alternative Systeme auf allen Ebenen vor, die auf einer neuen globalen Solidarität fußen. Im Vorder-grund müssen die Bedürfnisse der Men-schen stehen – und daher gilt es, wach-sende Armut und Verelendung zu be-kämpfen, den Finanzsektor einzuhegen und massiv zu kontrollieren sowie sich für Klimagerechtigkeit, die Wiederaneig-nung der gemeinschaftlichen Güter der Menschheit und das Ende aller Kriege einzusetzen. Lassen wir die Menschen entscheiden. Die Verzahnung der ökolo-gischen, ökonomischen und sozialen Krisen ist strukturell bedingt. Unser Han-deln ist dringend erforderlich. Sie sagen, die Krise sei vorbei. Falsch. Die Welt steht mitten in einem Umbruch historischen Ausmaßes. Die Verlautba-rungen der G- 20, der EU und teilweise auch der UNO hören sich freilich so an,

als gehe es nur um kleinere Neujustie-rungen des Systems. Tief greifende Ve r-änderungen sind nicht in Sicht. Auf die Blase an den Finanzmärkten folgen poli-tische Sprechblasen. Die Eliten und globalen Institutionen sind bestrebt, die neoliberale Dominanz und die Logik des Krisenkapitalismus wie-derherzustellen. Ja, sie tun das. Und an-gesichts der globalen Machtstrukturen müssen wir zugestehen: „Yes, they can“ – ja, sie können es auch. Der globale Kapitalismus hat die Welt in eine schwere Krise gestürzt. Sie geht einher mit der andauernden Plünderung der Natur und der Energieressourcen des Planeten insbesondere im globalen Sü-den, dem drohenden Klimakollaps, mit Lebensmittelkrisen samt ihrer verheeren-den Auswirkungen wie Hunger, Armut und Migration. Die Welt ist zudem mit wachsender sozialer Ungleichheit und zunehmender Klassenspaltung konfron-tiert, mit der wachsenden Macht transna-tionaler Konzerne, mit Kriegen und einer Tendenz zu autoritären Lösungen. Die verschiedenen Ausprägungen der Krise sind Folge einer Logik, die Kapitalismus, Patriarchat, Imperialismus, (Neo- ) Ko-lonialismus, Militarisierung und der Aus-beutung von Mensch und Natur ent-springt. Diese Logik muss ersetzt werden – sonst drohen der Welt und der Mensch-heit weitere langwierige Konflikte.

Neue Paradigmen Die Zeit für radikale Interventionen ist gekommen. Es gilt eine Vision zu ent-werfen, in der konkrete Projekte des Wandels mit einer klaren Perspektive der Transformation hin zu solidarischen Gesellschaften verbunden werden. Die wichtigsten Ziele dabei sind die Rettung der Erde, das Ende von Kriegen, Hunger und Armut sowie soziale Gleichheit und volle Emanzipation. Auf der ganzen Welt setzen viele soziale und politische Bewegungen sowie lokale Initiativen der neoliberalen Dominanz ihren Widerstand entgegen und lassen zugleich Ansätze für Alternativen erken-nen. Die Hauptbedingungen für das künf-tige Zusammenleben sind: - Vorrang für die Bedürfnisse jeder und jedes Einzelnen in einem von den Men-schen gesteuerten Produktionsprozess; - Abkehr von der ausbeuterischen Bezie-hung zur Natur hin zu ihrer Achtung als Quelle des Lebens; - vollständige Demokratie in allen sozia-len Beziehungen sowie politischen, öko-nomischen und kulturellen Institutionen. Das schließt die Gleichheit von Frau und Mann in allen Bereichen der Gesellschaft ein. - Schließlich: Ein Multikulturalismus, durch den alle Kulturen und Wissensfor-men zur Vision der Welt und zu einer Ethik beitragen können, die für eine Transformation nötig ist.

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Der Kampf für Veränderung erfordert die weltweite Vernetzung und Stärkung sozi-aler und politischer Bewegungen. Seit dem Aufruf der Zapatistas und der Grün-dung der globalen Bewegung der Bewe-gungen in Seattle wächst Protest auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Allerdings ist er noch zersplittert. Dennoch gibt es ermutigende Beispiele: Bewegungen der Landlosen, Bauern sowie Arbeiterinnen und Arbeitern; Initiativen von Frauen, indigenen Völkern und Flüchtlingen; Bewegungen für soziale und Klimage-rechtigkeit, sinnvolle Arbeit, die Rück-zahlung der Schulden an den Süden, und nicht zuletzt: für den Frieden.

Alternativen Konzentrieren wir uns auf die Bedürfnis-se und die Hoffnungen der Menschen. Als erste Schritte fordern wir: Die sofor-tige und radikale Umverteilung privater Besitztümer an die Völker des Südens und die unteren Klassen weltweit sowie an den öffentlichen Sektor – 75% weni-ger Vermögen in den Händen der Re i-chen und der Superreichen! Wir werden nicht für die Krise bezahlen und die von ihr verursachten neuen Staatsschulden begleichen. Dieses Ziel ließe sich in ers-ten Schritten durch hohe Steuern auf Vermögen, Unternehmensgewinne, große Einkommen, Erbschaften sowie Finanz- und Währungsgeschäfte erreichen. Die Schulden des Südens – entstanden durch private Enteignung und koloniale Plünde-rung – müssen zurückgezahlt werden. Unterstützen wir die Kämpfe der unteren Klassen. Die Ressourcen der Welt sollten in erster Linie für den Kampf gegen Hunger und Armut, als Wiedergutma-chung für ausgebeutete Bodenschätze und zerstörte Lebensbedingungen sowie für die Finanzierung nachhaltiger Ent-wicklung eingesetzt werden. Investitio-nen in öffentliche Infrastruktur und Dienstleistungen müssen verstärkt, Löhne und Gehälter ebenso wie Investitionen in die soziale und ökologische Entwicklung den Vorrang vor dem shareholder value haben. Recht auf Arbeit und Recht auf Nahrung sind unabdingbar. Zugleich muss der öffentliche Beschäftigungssek-tor ausgebaut werden, um der zunehmen-den Prekarisierung entgegenzuwirken. Das schließt den Ausbau von kollektiven und kooperativen Arbeitsformen ein, die nicht an der Erzeugung von Mehrwert orientiert sind, effizient zur menschlichen Entwicklung beitragen und menschliche Beziehungen bereichern.

Kontrolle und Rückbau des globalen Finanzsektors: 75 % runter, sofort! Wir fordern ein Verbot von „Giftpapieren“, Derivaten, Hedgefonds und Private Equi-ty-Beteiligungsmodellen. Es darf keine weiteren Liberalisierungen geben – dafür schärfere Kontrollen des Banken-, Fi-nanz- und Kapitalwesens sowie die Schließung der Steueroasen. Eine solida-rische Weltwährung ist erforderlich und eine globale Finanz- und Handelsord-nung, die Ungleichgewichte beseitigt, die nachhaltige Entwicklung fördert und soziale wie politische (Mindest)-Standards sichert. Investitionen an sich – und somit nicht nur die Banken – müssen vergesellschaftet und zur öffentlichen Aufgabe werden. Der Vorrang von Profi-ten vor Menschen würde umgekehrt. Es bedarf dringend einschneidender Ve r-änderungen in der Produktions- und Kon-sumweise sowie dem Verteilungssystem. Dazu ist unerlässlich: die Vergesellschaf-tung der Kernsektoren der Wirtschaft sowie der Bodenschätze; der umgehende Einstieg in eine radikale ökologische Umwälzung; höhere Güte und längere Lebensdauer von Produkten, um ver-schwenderischen Konsum zu verringern; das Ersetzen agrarindustrieller Monokul-turen durch eine kooperative kleinbäuer-liche Landwirtschaft. 75 % weniger Verbrauch von Energie und natürlichen Ressourcen, 75 % weniger umweltschäd-liche Emissionen. Klimagerechtigkeit jetzt! Lassen wir die Menschen entscheiden. Die repräsentative parlamentarische De-mokratie muss inhaltlich gefüllt werden. Zudem heißt es, eine sinnvolle partizipa-tive Demokratie mit Entscheidungsmacht zu schaffen – mit bindenden Volksbefra-gungen, Planungsprozessen von unten, Räten und Bürgerhaushalten. Es bedarf der Demokratisierung der Wirtschaft jenseits der klassischen Mitbestimmung, mit echter Beteiligung von Arbeiterinnen und Arbeitern, Gewerkschaften, Verbrau-chergruppen und anderen Betroffenen bei Unternehmensentscheidungen. Dies hätte Auswirkungen auf die gesamte transnati-onale Produktionskette. Das Ziel muss sein, die kapitalistischen Aufsichts - und Verwaltungsräte sowie Vorstände abzu-lösen durch kollektive Gremien, die ein -gebettet sind in Regional- und Kommu-nalräte. Lasst uns das Gemeingut zurückholen! Der Grundbedarf muss aus gemeinschaft-lichen Gütern gedeckt werden durch kostenlosen Zugang zu Land, Saatgut, Wasser und saubere Luft. Es dürfen keine

weiteren Patente auf das Leben erteilt werden. Wissen, Technik und Forschung müssen ebenso Gemeingut werden wie der öffentliche Nahverkehr und der Zu-gang zu Gütern von allgemeinem Belang. Jeder Versuch, öffentliches Eigentum zu privatisieren, muss gestoppt und der Ausverkauf des öffentlichen Bereichs rückgängig gemacht werden. Es gilt, die Sozialversicherungssysteme zu verteidi-gen und auszubauen sowie konkrete poli-tische Ansätze zu entwickeln, um dem Wohnraumbedarf im Süden wie im Nor-den zu decken. Konzentrieren wir uns auf eine solidari-sche Versorgungswirtschaft, die Neuori-entierung auf Gesundheit, Bildung und Ausbildung, Forschung, Lebensmittel-souveränität und Bodenreform, soziale Dienste, die Pflege von Kindern, Senio-ren und Kranken sowie unserer natürli-chen Umwelt. Dies wäre auch ein Beitrag zu einer ökologischen Produktionsweise, zu emanzipatorischen Geschlechterbezie-hungen sowie zur Entwicklung einer Praxis des Guten Lebens (ben vivir). Binnenmarktorientierung, Regionalisie -rung und ansatzweise auch Deglobalisie -rung stehen gegen das exportgetriebene, industrielle Wachstumsmodell, gegen Privatisierung und Verwertung, gegen zunehmende Ungerechtigkeiten und Un-gleichheiten in der Welt. Wir fordern den Abzug aller Armeen des Westens und die Schließung aller auslän-dischen Militärstützpunkte. Die größte Verschwendung überhaupt sind die e-normen Ausgaben für Waffen und Kriegsgerät. Die Militärausgaben welt-weit müssen um mindestens 75 % sinken! Das Vetorecht im UNO- Sicherheitsrat ist ebenso abzuschaffen wie die NATO. Alle Kernwaffen müssen verboten wer-den. Arbeitsprogramm Wir haben an der Analyse des gegenwär-tigen Kapitalismus mitgewirkt, haben die Krise vorhergesagt und zur Entzauberung des Neoliberalismus beigetragen. Aber es ist uns nicht gelungen, die herrschenden Machtstrukturen zu überwinden. Der neoliberale Kapitalismus verliert zwar inzwischen an Glaubwürdigkeit, aber er bleibt dominant. Unser gemeinsames Ziel ist es, diese Dominanz zu brechen. Es gibt ein Zu-sammengehen der verschiedenen Kämp-fe, eine intensive Kommunikation, Soli-darität und Kooperation sowie Experi-mente mit konkreten Einstiegsprojekten.

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Wir unterstützen die diversen Kämpfe mit voller Kraft und bemühen uns um deren Vernetzung. Als Intellektuelle sind wir bestrebt, unseren Einschätzungen und Empfehlungen Kohärenz zu verleihen. Dringende Aktionen sind nötig, damit sich die Krise nicht verschärft und sie nicht noch schlimmere Schäden anrichtet. Dazu zählen:

• ? die Beteiligung am Klima-Gegengipfel (Klimaforum) in Kopenha-gen oder die Organisation dezentraler Aktionen für Klimagerechtigkeit; die Ablehnung von Marktmechanismen wie den Kohlenstoffhandel; die unmittelbare Transformation der Energiekette; die Ablehnung der Atomkraft; ?

• die Ablehnung weiterer Liberalisie -rungen; die Verhinderung der bevorste-henden WTO-Verhandlungen sowie der so genannten Wirtschaftlichen Partner-schaftsabkommen (EPAs, Economic

Partnership Agreements) und Freihan-delsabkommen mit dem Süden; ?

• das Verhindern von Kürzungen bei den Staatsausgaben, mit denen die höhe-ren öffentlichen Schulden infolge der Krise beglichen werden sollen; Unter-stützung der Kämpfe gegen die Krise; ein Verbot des Derivate- Handels und von Leerverkäufen sowie das Schließen der Steueroasen; ein Verbot der Spekulation mit Nahrungsmitteln und Energie; ein Zahlungsaufschub für die Schulden des Süde?ns

• die Wiedereroberung des Gemeingu-tes wie der Fabriken, des Bodens und der Öffentlichkeit, sowie die Beteiligung an politischen Aktionen;

• das Ende der Kriege und eine welt-weite Abrüstung. ?

Neue globale Solidarität Die neue globale Solidarität basiert auf den Kämpfen der Opfer des herrschenden Wirtschaftssystems, der Länder des Sü-dens als Ziele imperialistischer Politik sowie der subalternen Klassen des Nor-dens wie des Südens, die entweder aus-gebeutet oder verwundbar gemacht wer-den. Sie schließt die Kooperation zwi-schen den großen Regionen der Welt ein, die sich gegenseitig ergänzen sollten. Die neue globale Solidarität erfordert die Achtung und den Schutz des Planeten und eines Dialogs zwischen den Kultu-ren. Sie bedeutet die Verwirklichung des allgemeinen Wohls der Menschheit. Nur globale Solidarität kann der Menschheit eine Hoffnung für die Zukunft geben. Wir haben die Massen und wir haben die Ideen. Sie haben die Macht – noch. Lasst sie uns erobern!

Attac Frankreich

Der Tod von Daniel Bensaïd ist ein schwerer Verlust für alle Freunde der Befreiung.

Als herausragender Vertreter eines – trotz der Entwicklungen im 20. Jahrhunderts – lebendig gebliebenen Marxismus verband Bensaïd eine unerschütterliche Theorietreue

mit einer immer wachen intellektuellen Neugierde. Während der Attac-Sommeruniversität im letzten August hatte er

in zwei sehr gut besuchten Workshops seinen Beitrag dazu geleistet, gemeinsam über die Umrisse einer globalisierungskritischen Befreiungsstrategie nachzudenken.

Sein Elan und seine historische und philosophische Bildung machten ihn zu einem fesselnden Redner, aber er war auch ein warmherziger und einfacher Mensch.

Attac trauert mit seinen Angehörigen und verneigt sich vor einem großen Intellektuellen und Aktivisten.

http://www.rezocitoyen.org/spip.php?article7983

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Für die Menschenwürde Mumia Abu-Jamal und die weltweite Abschaffung der Todesstrafe – Petition an US-Präsident Barack Obama

To: The Honorable Barack Obama President of the United States The White House 1600 Pennsylvania Avenue NW Washington, D.C. 20500 Sehr geehrter Herr Präsident, wir, die Unterzeichner, ersuchen Sie hiermit, sich gegen die Todesstrafe für Mumia Abu-Jamal auszusprechen sowie gegen die Todes-strafe für viele Männer, Frauen und Kinder überall auf der Welt, die ihrer Hinrichtung entgegensehen. Diese höchste Form der Bestrafung ist für eine zivilisierte Gesell-schaft inakzeptabel und untergräbt die Men-schenwürde. (Generalversammlung der Vere-inten Nationen, Moratorium on the Use of the Death Penalty, Resolution 62/149, 18. Dez. 2007; bestätigt: Resolution 63/168, 18. Dez. 2008.) Herr Abu-Jamal, ein renommierter schwarzer Journalist und Autor, befindet sich seit fast drei Jahrzehnten in Pennsylvania im Todes-

trakt. Auch wenn Sie keinen direkten Einfluß auf sein Schicksal als zum Tode verurteilten Gefangenen eines Bundesstaates nehmen können, bitten wir Sie als moralische Füh-rungspersönlichkeit auf der Weltbühne, ein Moratorium der Todesstrafe in seinem wie in allen anderen Fällen zu fordern. Herr Abu-Jamal ist weltweit zu einem Symbol, zur »Stimme der Unterdrückten« im Kampf gegen die Todesstrafe und andere Menschen-rechtsverletzungen geworden. Über 20000 Menschen auf der Welt erwarten ihre Hin-richtung, davon allein in den Todestrakten der Vereinigten Staaten über 3000. Das Gerichtsverfahren gegen Herrn Abu-Jamal im Jahr 1982 war von Rassismus be-lastet und wurde in Philadelphia durchge-führt, einer Stadt mit einer langen Geschichte von Polizeikorruption und Diskriminierung. Amnesty International – mit dem Friedensno-belpreis ausgezeichnet – »stellt fest, daß zahlreiche Aspekte dieses Falles eindeutig gegen die internationalen Mindeststandards zur Gewährleistung eines fairen Prozesses

verstoßen. [D]en Interessen der Gerechtigkeit [wäre] am besten durch ein neues Verfahren für Mumia Abu-Jamal gedient. Das Verfah-ren sollte im vollen Umfang den internationa-len Standards für Gerechtigkeit entsprechen und die Verhängung der Todesstrafe nicht gestatten.« ( A Life In the Balance – The Case of Mumia Abu-Jamal, siehe: www.amnesty.org/en/library/info/AMR51/001/2000; Ein Leben in der Schwebe – Der Fall Mumia Abu-Jamal, amnesty international Deutschland, Oktober 2000, Seite 34.) Wir bitten Sie, sich dieser Petition anzuneh-men. Mit freundlichen Grüßen, die Unterzeichner Anmerkung: Diese Petition ist von Mumia Abu-Jamal und seinem Hauptverteidiger, Robert R. Bryan aus San Francisco, autori-siert. Sie kann im Internet unterzeichnet werden: www.PetitionOnline.com/Mumialaw/petition.html

Jutta Baxter und Julia Roßhart

Leben ist mehr als Kapital – wir brauchen neue Prioritäten! Die Projektgruppe „Frauenkompetenz in der Finanzkrise“ stellt sich vor

Wessen Erfahrungen mit der Wirtschafts- und Finanzkrise finden in der Öffentlichkeit Ge-hör? Wer kommt zu Wort und wessen Analy-sen wird Glauben geschenkt? Sei es auf Kon-gressen, in wirtschaftswissenschaftlichen Vorlesungen, in Tageszeitungen und im Fern-sehen, sei es in politischen Expertenkommis-sionen – die Wirtschafts- und Finanzkrise ist ein Thema, an dem sich nur ein kleiner wei-ßer, vorwiegender männlicher Zirkel beteiligt. Die Expertensprache mit ihren Finanzmarkt-begrifflichkeiten, das entpersonalisierte Reden über die Krise, der Verzicht auf die Vermitt-lung von Wissensgrundlagen und der Glaube daran, dass nur WirtschaftsexpertInnen befä-higt sind, die Wirtschaft und ihre Krise ver-stehen zu können – zusammengenommen stehen diese Faktoren nicht nur der Wissens-aneignung eines Großteil der Bevölkerung im Wege, sondern verhindern zugleich auch deren politische Partizipation und Einmi-schung. Das attac-Projekt Frauenkompetenz in der Finanzkrise – „Gender Capacity Building“ für die Teilhabe von Frauen an der öffentli-chen Debatte setzt genau hier an: Ausgangs-punkt ist die Auseinandersetzung mit der elitären und ausschließenden Diskursland-schaft, was das Reden über die Wirtschaftskri-se anbelangt – mit dem Ziel ihrer Verände-rung. Wir möchten insbesondere Frauen ermutigen und ermächtigen, sich stärker in die Diskussionen um die Ursachen und Folgen der Finanzkrise einzumischen und sich an den Auseinandersetzungen um den Umgang mit

der Krise zu beteiligen. Das Projekt existiert seit Frühjahr 2009 und wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Unser Ziel – eine stärkere Beteiligung von Frauen an der öffentlichen und politischen Debatte – verfolgen wir über mehrere Wege. Erstens betreiben wir eine Entmystifizierung der Sprache der Finanzmärkte . Inzwischen ist ein Glossar entstanden, das Finanzmarkt-begriffe leicht verständlich erklärt – von Asset Backed Securities über Shareholder Value bis hin zu Zweckgesellschaften. Zu finden ist das Glossar auf der Homepage der Projektgruppe: http://www.attac.de/aktuell/frauenkompetenz-in-der-finanzkrise/das-projekt/ziele/. Des Weiteren richteten wir im Oktober die öffentliche Veranstaltung “Ursachen und Auswirkungen der Finanzkrise – auch mit Geschlechterblick?” aus, die über die Wirt-schafts- und Finanzkrise und über deren Ge-schlechterdimensionen informierte. Zweitens möchten wir die Wirtschaftskrise in ihren alltäglichen und persönlichen Dimensionen zugänglich machen: Die Krise hat Einfluss auf die konkrete Lebenslage jedes Menschen – auch wenn die abstrakte Sprache der Finanzmärkte anderes suggeriert. Am 20. und 21. März 2010 werden wir unter dem Titel "Arbeit? Geld? Krise!" einen "Mitmach-kongress zum Verstehen, Träumen, Handeln" in Berlin ausrichten, der unter anderem diese verschwiegenen Dimensionen der Wirt-schaftskrise zum Ausgangspunkt nimmt und

kommunizierbar macht. Drittens tragen wir zu einem Umdenken bei, indem wir Alternativen zu einer Wirt-schaftsweise, die sich an kurzfristigen Gewin-nen, Ressourcenausbeutung und dem Glauben an unbegrenztes Wachstum orientiert, verhan-deln und sichtbar machen. Um alternative Gesellschaftskonzepte ging es etwa bei unserem Treffen mit Frigga Haug: Mit ihr zusammen diskutierten wir die 4-in-einem-Perspektive (1) , die auf eine gleich-wertige Verknüpfung der vier Bereiche Er-werbsarbeit, Reproduktionsarbeit, politische Arbeit und individuelle Entwicklung zielt. Und bei unserem Mitmachkongress im Früh-jahr 2010 wollen wir ein buntes, lustvolles Programm auf die Beine stellen, das nicht zuletzt Raum für Utopien und gelebte Gegen-entwürfe bietet. Lebensrealitäten, die gegen-wärtig weiblich dominiert sind, werden ten-denziell „vergessen“, wenn es um Krisenana-lysen, Rettungspakete und Alternativen geht. Wir möchten indessen den Geschlechterdi-mensionen der Wirtschafts- und Finanzkrise Rechnung tragen. Unbezahlte Arbeitsleistung – beispielsweise Care-Tätigkeiten, Hausarbeit, politische Arbeit – muss vor der kapitalisti-schen Verwertungslogik geschützt und zugleich aus ihrem Schattendasein herausge-holt werden. Denn: Leben ist mehr als Kapital – wir brau-chen neue Prioritäten! (1). In SiG 78 veröffentlicht, die Red.

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Christa Wichterich

Frauen als soziale Airbags in der Krise

Sind "die Männer" schuld an der Wirtschaftskrise, und halten "die Frauen" den Schlüssel für Lösungen in der Hand? Ganz falsch ist das nicht – aber Christa Wichterich zeigt, dass eine feministische Kritik am globa-lisierten Kapitalismus weit über solche Platitüden hinaus reicht und Vorschläge für grundlegende Alternati-ven bieten kann. Sie wird zusammen mit vielen anderen interessanten RednerInnen und Rednern am Anderen

Davos 2010 in Basel auftreten. (attac Schweiz) Seit Beginn der Wirtschaftskrise werden Frauen gerne als die "besseren" Kapita-listinnen vorgeführt - weniger risikobe-reit, teamfähiger, fleißiger, flexibler, denken nachhaltiger usw. Was halten Sie davon? Christa Wichterich: Das ist die erste Krise, bei der das so geschieht. Es ist insofern interessant, weil es den Blick darauf richtet, dass die Märkte und auch die Krise vergeschlechtlichte Prozesse sind, in denen Männer und Frauen eine unterschiedliche Rolle spielen. Diese Rollen werden in der Krise auf einmal hinterfragt. Das hat im Jänner begonnen, als der "Observer" in England gefragt hat: "Wäre der Crash auch gekommen, wenn die Lehman-Brothers Sisters gewesen wären?" Es wurden auch gleich Studien nachgeschoben, die zeigten, dass sich an den Börsen und Banken eine Kultur der Zocker-Männlichkeit mit einem zu hohen Testosteronspiegel entwickelt hat. Das hatte zur Folge, dass es eine zu hohe Risikobereitschaft gibt und Spekulationen vorangetrieben werden, die dann zum Crash führten. Das ist eine individualisti-sche Analyse der Krise und eine solche lenkt von den Gesetzmäßigkeiten des Finanzmarktes ab, die dazu antreiben, immer neue Finanzmarktinstrumente zu erfinden, Wetten abzuschließen und zu spekulieren, um die Rendite zu steigern, das heißt aus Geld mehr Geld zu machen. Das führt zwangsläufig zu Blasen und schließlich zu einem Crash. Wenn man nur auf die Individuen schaut, die da eingespannt sind, lenkt das von den Ge-setzmäßigkeiten des Marktes und davon ab, nach welcher Logik dieser funktio-niert. ??Die Kritik am Zockerverhalten Einzelner und der männlichen Finanz-markt -Kultur ist völlig berechtigt wie auch die Kritik daran, dass die Gier nach Boni für Risiken blind macht, Risiken, die auf die Gesellschaft verlagert werden und nicht von den Verantwortlichen ge-tragen werden. Das ist alles richtig. Nur diese Form, die Kritik nur auf Individuen zuzuspitzen, auf individuelle Boni-Geilheit und auf Männlichkeit, das geht

an der Funktionslogik des Marktes vor-bei. Frauen würden sich in den entspre-chenden Positionen dieser Funktionslogik und den Zwängen des Marktes und des Geldes, immer weiter zu wachsen, auch nicht entziehen können. Aber ganz unab-hängig davon: Frauen haben auf allen gesellschaftlichen Ebenen und auf allen Märkten ein gleiches Recht auf Karriere, auf Führungspositionen und auf Macht, auch auf Fehler. Das ist eine andere Ge-schichte. Erst im Juli wurde in Deutschland ge-meldet, dass im Gegensatz zur Arbeitslo-sigkeit der Männer, jene der Frauen weiter sinkt. Profitieren Frauen von der Krise? Wichterich: Man muss sich ansehen, wo wirkt die Krise und wie. Man spricht von unterschiedlichen Kaskaden-Effekten der Krise, von Erstrunden-Effekten, von Zweitrunden-Effekten usw. Die Krise wirkt schnell auf die Exportsektoren, diese sind in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich gestaltet. Bei uns sind das vor allem die männerdominierten Auto-mobil- und Maschinenbaubereiche, in den Ländern des Südens sind es arbeitsin-tensive Industrien wie die Textil, Spie l-zeug- oder Elektronikproduktionen, die von Frauen dominiert sind. Daher stellt sich das Bild in unterschiedlichen Län-dern unterschiedlich dar. In Kambodscha sind 92 Prozent der Entlassenen Frauen. Bei uns sind von den Erstrunden-Effekten Männer betroffen, weil Männer in kon-junkturanfälligeren Branchen arbeiten, wie etwa der Auto- und der Bausektor. Daher sieht es auf den ersten Blick so aus, als wären Frauen weniger betroffen, weil sie vorwiegend im Dienstleistungs-bereich beschäftigt sind. Dieser leidet im Moment noch nicht, aber es ist ganz klar absehbar, dass bei den Zweitrunden-Effekten, wenn der Staat im öffentlichen Sektor kürzt, Frauen in den Bere ichen wie Erziehung oder Gesundheit stark betroffen sein werden. ??Aber was heißt "profitieren"? Auf dem Arbeitsmarkt ist von einer Feminisierung der Beschäfti-

gung die Rede, weil mehr Frauen er-werbstätig sind. Aber in welchen Be-schäftigungsformen? Es ist ein globales Phänomen: Frauen sind vorwiegend in niedrigentlohnten, informellen oder in Teilzeitjobs tätig. Die Rolle, die der Ar-beitsmarkt Frauen zuschreibt, ist also die der Zuverdienerin. Gleichzeitig gibt es aber den männlichen Familienernährer nicht mehr so wie früher. Diese Rolle wird abgebaut, weil die Reallöhne sinken und auch die Arbeit von Männern flexib i-lisiert wird. Somit wird die sogenannte Zuverdienerinnen-Rolle immer wichtiger, aber der Markt bewertet das nicht ange-messen. Die Jobs, die Frauen machen, werden weiterhin niedrig entlohnt. Und hier kommt man auf das sehr sensible Problem der Bewertung von Arbeit. Ar-beit wird sehr geschlechtsgebunden be-wertet: Männerarbeit wird prinzipiell höher bewertet und besser entlohnt als Frauenarbeit, vor allem dann, wenn die Arbeit von Frauen haushalts- und perso-nennah ist. ?? "Die Zeit" zitierte kürzlich den Sozialwis-senschaftler Klaus Hurrelmann, der meinte, Frauen würden sich zwar auch an Leistung orientieren, "rechnen aber nicht damit, dass am Ende auch mehr Geld dabei rausspringt". Wird die Krise genutzt, um Erwartungen an Löhne oder Dienstverhältnisse runter zu schrauben? Wichterich: Wenn man sich die Analysen früherer Krisen in anderen Ländern an-schaut, stellt man fest, dass Krisen immer genutzt wurden, um Arbeit zu flexibili-sieren und Löhne abzusenken. Die A -sienkrise hat gezeigt, dass sich die öko-nomischen Zahlen nach etwa zwei Jahren erholt hatten, die Löhne hingegen waren erst nach sieben Jahren auf dem Niveau, als die Krise einsetzte. ??Frauen stellen auf den Erwerbsmärkten geringere An-sprüche als Männer. Bei Einstellungsge-sprächen - das trifft bei Arbeitsplätzen mit niedrigem Qualifikationsniveau ge-nauso zu wie für Managerinnen - fordern Frauen weniger als Männer. Deswegen werden Frauen tariflich niedriger einge-

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stuft. Das gilt ohnehin für flexible Be-schäftigungsformen. So wird zum Be i-spiel Kantinenpersonal in Betrieben nicht als Stammpersonal geführt, sondern als Randbelegschaft und damit werden sie schlechter bezahlt. So reproduziert sich das System. Und hier kommt die Krise den Unternehmen sehr recht, um zu sa-gen, wir stehen unter Druck und können nur wenig zahlen, nur flexibel beschäfti-gen usw. Sie haben mal in einem Text für die "taz" geschrieben, dass der Staat in Krisenzei-ten die Risiken von oben nach unten um-verteilt - somit würde das Risiko letztlich von Frauen aufgefangen. Wie bzw. in welcher Form? Wichterich: Die Krise zeigt ja sehr deut-lich, dass die Märkte eine Hochrisikoter-rain sind. Die Finanzmärkte mit ihren wahnwitzigen Spekulationen, aber auch die Erwerbsmärkte. Wenn wir schauen, wie sich die Märkte und die Preise - von denen KonsumentInnen betroffen sind - verändert haben, dann sehen wir, wie in den letzten Jahren Risiken auf die unteren Ebenen verlagert wurden. Beispielsweise dadurch, dass die Exportarbeiterinnen in vielen Ländern inzwischen Leiharbeite-rinnen sind, das heißt sie werden von der Leiharbeitsfirma in die Fabrik geschickt, wenn ein Auftrag reinkommt. Das Risiko der Exportabhängigkeit von Aufträgen aus dem Ausland verlagert das Unter-nehmen an die Arbeiterinnen. Das Risiko, ob ein Hotel die Zimmer belegt hat, tra-gen "Zimmermädchen", die nur noch pro gemachtes Bett bezahlt werden. So lange es keine Mindestlöhne für Hotelbeschäf-tigte gibt, werden sie so bezahlt. Und: Die Preise für Lebensmittel sind im letz-ten Jahr enorm gestiegen, weil auf Nah-rungsmittelernten gewettet wurde. Die Spekulationsblase hat sich in inflationär steigende Preise für Getreide und Reis übersetzt. Die Risiken dieses Spekulati-onsmarktes tragen letztlich jene, die diese teuren Lebensmittel kaufen müssen. Die Trennung von Reproduktions- und Produktionsarbeit soll ihrer Ansicht nach aufgehoben werden. Wie stellen Sie sich die Zukunft von reproduktiver Arbeit vor? Wichterich: Es muss sich an dem gesam-ten System von Arbeit etwas ändern. Dazu müssen wir das Ganze von Arbeit in den Blick nehmen, also die Erwerbsar-beit, aber auch unbezahlte Arbeit, die die Versorgung der Gesellschaftsmitglieder im Alltag gewährleistet. Und wie gesagt:

Für die Erwerbsarbeitsmärkte ist die Bewertung von Arbeit wichtig und sie ist nicht abtrennbar von der Kategorie Ge-schlecht und der systemischen Diskrimi-nierung von Frauen. Nun plädiere ich - wenn sich an dem ganzen System, wie Arbeit verausgabt wird, etwas ändern soll - für eine Umverteilung und Neubewer-tung von Arbeit. Die Idee ist, dass je-de/jeder in der Gesellschaft einen Teil Sorgearbeit und einen Teil bezahlte Ar-beit übernimmt. Die Geschlechtsbindung von Arbeit, und das heißt vor allem die Bindung von Sorgearbeit an Frauen, muss aufgehoben werden. Diese Normen müssen auch auf den Erwerbsmärkten geknackt werden, wo immer noch eine starke Geschlechtssegmentierung herrscht. Die Leitung der gesamten Wirt-schaft und der Konzerne ist immer noch männlich konnotiert. Die ersten Schritte zu einem neuen Modell von Arbeit könn-ten sein: Arbeitszeitverkürzung für be-zahlte Arbeit, gleichzeitig muss unbe-zahlte Arbeit zwar nicht entlohnt werden, aber es muss soziale Sicherheitsansprü-che dafür geben. Jene die Kinder oder Alte versorgen, sollten auch Rentenan-sprüche mit dieser Versorgungsarbeit erwerben. Es sollte nicht alle Arbeit über Marktverträge abgewickelt werden, son-dern viel mehr über soziale Verträge. Zunehmend werden Reproduktionsarbei-ten wie etwa Reinigungsarbeiten an MigrantInnen ausgelagert, für ein paar Stunden im Monat können sich das schon viele leisten, wenn beispielsweise 8 Euro die Stunde bezahlt werden. Wird so die Reproduktionsarbeit wieder vermehrt auf den Markt gebracht? Wichterich: Der Haushalt ist ein Bereich, wo undokumentierte MigrantInnen ganz massiv einbezogen werden. Das hat nichts mit dem Aufbrechen der ge-schlechtsspezifischen Arbeitsteilung zu tun, aber viel mit der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes - oder wie es die Soziolo -gInnen nennen - mit einer Unterschich-tung des Marktes. Statt durch Mindes t-löhne eine untere Grenze einzuziehen wird durch die Beschäftigung von undo-kumentierten MigrantInnen nach unten hin immer weiter in Richtung Lohn- und Sozialdumping aufgeweicht. Das kann doch nicht unser Ziel sein. Wenn wir für die Märkte eine allgemeine Gerechtig-keitsnorm setzen wollen, müssen Min-deststandards durch Mindestlöhne gesetzt und Rechte garantiert werden, statt neue Diskriminierungen zuzulassen. Für je-den/jede ein Grundeinkommen und ein Umbau durch Neubewertung und Umver-

teilung von Arbeit, das würde neue Mög-lichkeitsstrukturen schaffen. In ihrem im Oktober erscheinenden Buch soll es um "Paradoxien von Frauen-rechtskämpfen, Gleichstellungspolitiken und Entwicklungskonzepten" gehen. Von welchen Paradoxien sprechen Sie? Wichterich: In den vergangenen Jahr-zehnten wurden zweifelsohne große Gleichstellungsfortschritte gemacht. Die Geschlechterrollen- und Verhältnisse sind in Bewegung gekommen. Frauen haben Lebensmöglichkeiten, von denen ihre Großmütter nur geträumt haben. Aber die geschlechtsspezifische Arbeit ist bei weitem nicht geknackt. Zwar sind immer mehr Frauen in die Erwerbsarbeit reinge-kommen und somit gab es eine starke Flexibilisierung und Erweiterung von Frauenrollen. Aber Männer haben kei-neswegs in gleichem Ausmaß Versor-gungsarbeiten übernommen. Männliche Rollen haben sich viel weniger flexibili-siert als weibliche Rollen. Von Gleichheit noch weit entfernt stellen wir also fest, dass sich in vielen politischen Bereichen, in der Beschäftigungspolitik, in der Gleichstellungspolitik bei uns aber auch in der Entwicklungspolitik, eine Ge n-der.Fatigue breitgemacht hat, eine Ge-schlechtererschöpfung. Die Politik sagt: Ach nein, nicht wieder das Thema, Frau-en sind doch so weit vorangekommen. Gleichzeitig stellen wir fest, dass Ge-schlecht immer noch ein Ordnungsprin-zip in der Gesellschaft und - neben ande-ren - immer noch als Kategorie der Dis-kriminierung und sozialer Ungleichheit wirkt, obwohl Frauen immer weiter in die Öffentlichkeit, in die Medien, in die Poli-tik, in die Erwerbsarbeit integriert wur-den. Das nenne ich eine paradoxe Integ-ration, denn weiterhin bestehen Un-gleichheiten und auch die Krise wirkt so, dass Frauen als soziale Air Bags funktio-nieren, wo sie viel auffangen, viele Kos-ten übernehmen. Somit werden soziale Ungleichheiten - auch zwischen Frauen - erneut verstärkt. Mein Buch beschäftigt sich mit diesen Widersprüchlichkeiten und den weiterhin bestehenden sozialen Ungleichheiten. Die Soziologin Christa Wichterich ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Attac Deutschland. Das Interview wurde durch Beate Hausbichler geführt und am 19.9.2009 in die Standard.at publiziert. http://www.suisse.attac.org/Frauen-als -soziale-Airbags-in-der

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Maurizio Coppola

Die Studierendenbewegung in Bern - Strohfeuer oder langfristige Zusammenarbeit?

Am 17. November 2009 haben an der Universität Bern zwischen 50 und 250 Menschen die Aula des Hauptgebäudes besetzt. Nach acht Tagen intensiven Aus-einandersetzungen haben die Beteiligten den Raum wieder freigegeben. Die Be-wegung steht nun vor zukunftsweisenden Herausforderungen. Nachdem eine Demonstration, welche am 17. November 2009 von der SUB (Stu-dentInnenschaft der Universität Bern) organisiert wurde und ca. 300 Personen versammelt hat, vor dem Hauptgebäude der Universität Bern aufgelöst wurde, haben sich ca. zwei Drittel der Beteiligten dazu entschieden, die Aula zu besetzen. Diese Besetzung wurde weder von einem Organisationskomitee vorgeplant, noch hat sich bei der Besetzung selbst eine Kerngruppe entwickelt, welche die Be-setzung in die Hand nahm. Jede einzelne Entscheidung wurde kollektiv diskutiert.

Hingegen wurden schnell verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, die für die un-terschiedlichen Bedürfnisse, die bei einer Besetzung entstehen, die Verantwortung übernahmen: AG-Inhalt, AG-Medien, AG-Programm, AG-Essen, AG-Vernetzung. Der Kontext der Besetzung Die Berner Besetzung steht in einem Kontext, in dem drei parallele Entwick-lungen feststellbar waren. Die erste liegt in der Entscheidung der philosophischen Fakultät und des Rekto-rats der Universität Bern, den Studien-gang Soziologie indirekt aufzuheben, indem nur noch ein Bachelor in Sozial-wissenschaften absolviert werden kann. Das Studienfach Soziologie taucht dabei neben Politik- und Medienwissenschaften unter, nicht nur quantitativ (Besetzung

der Professuren), sondern auch qualitativ (inhaltliche Neuausrichtung). Vor sechs Monaten hat dann auch eine Gruppe von Studierenden die Fakultätsratsitzung besetzt und somit den Entscheid, die Soziologie in Sozialwissenschaften auf-gehen zu lassen, vertagt. Der definitive Entscheid konnte schließlich nicht ver-hindert werden. Jedoch haben sich zu diesem Anlass verschiedene Studierende – nicht nur von der Universität Bern – das erste Mal vernetzt. Diese Tatsache ist Ausdruck eines Unbehagens gegenüber gewissen universitären Entwicklungen (Verschulung etc.), welches bei vielen Studierenden vorzufinden ist. Zweitens: Im Grossen Rat des Kantons Bern wird zurzeit das neue Universitäts-gesetz (UniG) diskutiert. Dieses sieht eine weitere Ökonomisierung der Bil-dung vor: Bildung wird vermehrt zu einem Investitionsgut, welches eine Ex-

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zellenz ausbildet und somit nicht unab-hängiges sondern nur noch marktgerech-tes Wissen vermittelt. Auch soll nach dem neuen UniG ein Unibeirat eingeführt werden, nämlich nach dem Vorbild von Basel und Zürich. Im ersten Fall besetz-ten vorwiegend VertreterInnen der Basler Chemie die Sitze, im zweiten sind es VertreterInnen von Banken und Versi-cherungen. Die SUB hat sich gegen das neue UniG ausgesprochen und zu diesem Anlass auch die Demonstration am 17. November organisiert, welche als einer der Ausgangspunkte der Besetzung be-trachtet werden kann. Die SUB war dann auch eine der einzigen offiziellen Studie-rendenorganisation, welche die Beset-zung inhaltlich unterstützt hat. In Basel und Zürich sahen sich die BesetzerInnen mit der Kritik der offiziellen Studieren-denorganisationen ihrer Universität kon-frontiert. Drittens: Die internationale Dynamik gegen die Bologna-Reform, welche in Wien ausgelöst wurde und zu zahlreichen Besetzungen weltweit führte, hat schnell auch in der Schweiz Wurzeln geschlagen. Um den 10. November haben Studieren-de der Universität Basel die Aula besetzt, am 17. November Studierende aus Zürich und Bern. Einige Tage später wurden auch die Aulen in Genf und Lausanne besetzt. Die Forderungen Die Forderungen, welche die Beteiligten der Besetzung ausformulierten, waren in erster Linie auf ihre eigene Situation als Studierende fokussiert, gingen jedoch auch über die unmittelbaren Bedürfnisse der Studierenden hinaus und integrierten andere soziale Gruppen. So wurden z.B. die Arbeitsverhältnisse des Mittelbaus, des administrativen Per-sonals sowie des Putz- und Mensaperso-nals angesprochen und in Verbindung zur Studierendensituation gebracht. Zudem wurden durch die Teilnahme von Lehrlingen und jungen Berufstätigen an der Besetzung weitere Fragen themati-siert. So fand z.B. schon am zweiten Tag eine Veranstaltung zur 4. Revision der Arbeitslosenversicherung statt. Die Forderungen der Besetzenden zielten auf die Kritik und die Überwindung der Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche. Zudem wurde das selek-

tive Bildungssystem allgemein kritisiert und Vorschläge in Richtung „Bildung für alle“ formuliert. Die Details der Forderungen sind im Artikel „Warum besetzen wir unsere Aula?“ in Attactuell zu finden (1). Die Erfolge der Besetzung Erfolge können mindestens drei benannt werden. Erstens konnten durch die Besetzung sehr viele Leute mobilisiert und politisiert werden, welche zum ersten Mal an sol-chen Aktionen teilnahmen. Das persönli-che Unwohlgefühl gegenüber den sich verändernden Zuständen an der Universi-tät (Verschulung, Kontrolle etc.) erhielten durch die Besetzung eine kollektive Di-mension. Zweitens zeigten die Beteiligten vorbild -lich, was basisdemokratische Selbstorga-nisation heißt. So wurden z.B. die politi-schen Inhalte und die Forderungen stets gemeinsam diskutiert und im Konsens-verfahren entschieden. Dadurch wurde ein Maximum an Meinungen in die Ent-scheidungsfindung integriert und die inhaltlichen Auseinandersetzungen führ-ten zur Stärkung der eigenen Positionen. Schließ lich war das von den Besetzenden organisierte Podium mit Rektor U. Würgler, Erziehungsdirektor B. Pulver und VertreterInnen des Mittelbaus, der SUB und der Besetzung selbst in der Aula ein Erfolg. Ca. 400 Studierende haben sich an der Diskussion um die Forderungen der Besetzenden am letzten Abend (25. November) beteiligt. Die Probleme der Besetzung Nebst der vorwiegend positiven Erfah-rungen, welche durch die Besetzung gemacht wurden (z.B. Politisierung von Leuten, die bis dahin in keine politischen Gruppen aktiv waren; Vernetzung von unterschiedlichen Gruppen; kollektive Erarbeitung von konkreten Forderungen etc.), wurden auch Schwierigkeiten er-lebt. Zwei größere Probleme können benannt werden, welche sich gegenseitig bedingen. Einerseits wurde der Moment verpasst, während der Besetzung die „Bildung“ selbst in die Hand zu nehmen. Zwar wur-

den am ersten Tag zwei größere Veran-staltungen zum neuen UniG und zur Revision der Arbeitslosenversicherung von den Besetzenden selbst organisiert, die „Eigenbildung“, also die autonome Organisation „unserer Uni“ geriet jedoch schnell in den Hintergrund. Die Beteilig -ten waren vorwiegend mit praktischen Arbeiten beschäftigt (kochen, sich mit anderen Universitäten vernetzen etc.). Diejenigen Erfahrungen, die z.B. in Zü-rich gemacht wurden (zwei bis vier in-haltliche Veranstaltungen pro Tag, so-wohl eigene Vorträge, wie auch externe mit K. Wyss, A. Demirovic etc.), wurden in Bern nicht gemacht. Dies wirkte sich andererseits auf die Beteiligung an der Bewegung aus. Sie verlor schnell an Dynamik, was dazu führte, dass vorwiegend die gleichen Leute in den gleichen Arbeitsgruppen die gleichen Aufgaben übernahmen. Wie weiter? Die Aula wurde am 25. November 2009 freigegeben, ohne auf die Vorschläge des Rektors einzugehen (Benutzung von Universitätsräumen unter den Bedingun-gen: drei an der Universität Bern studie-rende Personen müssen ihre Personalien angeben; die Räume werden nur in Ab-machung mit dem Rektorat benutzt etc.). Hingegen wurden schon erste Sitzungen mit ca. 40 Personen im Anschluss an die Besetzung organisiert. Die Arbeitsgrup-pen werden weitergeführt, mit den Schwerpunkten der Weiterentwicklung der inhaltlichen Forderungen, der konkre-ten Aktionen und der Ausweitung der Bewegung über die universitären Gren-zen hinaus. Der politische Inhalt der Berner Bewegung wird zeigen, ob sie selbst ein Strohfeuer oder eine langfristi-ge Zusammenarbeit zwischen den betei-ligten Personen darstellt. (1) http://www.suisse.attac.org/Warum-besetzen-wir-unsere-Aula Erschienen in ATTACTUELL 10 http://www.suisse.attac.org/Die-Studierendenbewegung-in-Bern

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Jörg Huffschmid (19.2.1940 - 5.12.2009) Jörg Huffschmid wäre am 19. Februar 70 Jahre alt geworden. Mit seinem viel zu frühen Tod haben wir einen der bedeutendsten politischen Ökonomen der Nachkriegszeit verloren und zugleich einen wichtigen Akteur der gewerkschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und politischen Linken. Jörg Huffschmid hat nicht nur eine schmerzliche Lücke hinterlassen, sondern in seiner Arbeit Akzente für ein Forschungsprogramm gesetzt, an

dem wir aus diesem Anlass auf einem Kongress weiter arbeiten wollen. Wenn es uns gelingt, die wissen-schaftlichen Einsichten zu vertiefen und aus ihnen Argumente und Anstöße für den Kampf gegen Krieg,

Massenarbeitslosigkeit und Armut, ökologische Zerstörung und soziale Unsicherheit zu gewinnen, dann wer-den wir seinem Anliegen am ehesten gerecht.

Der Kongress findet statt in der ver.di-Bundesverwaltung, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin (ca. 8 Minuten Fußweg von Berlin-Ostbahnhof), die Teilnahmegebühr beträgt 20 Euro.

10.00 Uhr Eröffnung, Axel Troost 10.15 bis 13.00 Uhr Kapitalismuskritik heute

Dominique Plihon, Hans-Jürgen Urban, Rudolf Hickel, Sven Giegold

14.00 bis 16.00 Uhr Arbeitsgruppen AG 1: Kriege und Militarisierung in der Globalisierung

Einleitende Diskussionsbeiträge: Peter Lock, Norman Paech, Tobias Pflüger

AG 2: Finanzmarktgetriebener Kapitalismus Elmar Altvater, Joachim Bischoff, Margit Köppen,

Norbert Reuter, Lucas Zeise AG 3: EuroMemorandum-Group:

Alternatives to Neoliberalism in Europe (in English) Miren Etxezarreta, Marica Frangakis, Birgit Mahnkopf,

Trevor Evans, John Grahl, Frieder Otto Wolf

AG 4: Ökonomie und Politik – »Politik des Kapitals« heute

Heinz-J. Bontrup, Horst Heininger, Gretchen Binus, Klaus Peter Kisker, Hermannus Pfeiffer, Herbert Schui

AG 5: Von der »Reformalternative«

zur »großen Transformation« Frank Deppe, Dieter Klein, Hans-Jürgen Urban

16.00 bis 17.00 Uhr Podiumsdiskussion: Wirtschaftspolitische Alternativen und gesellschaftliche Transformation,

Heinz-J. Bontrup, Frank Deppe, Trevor Evans, Uwe Foullong, Birgit Mahnkopf, Helga Schwitzer

http://www.attac.de/fileadmin/user_upload/bundesebene/Startseitenredaktion/Flyer%20Tagung%20J%C3%B6rg%20Huffschmid%2019.-20.2.2010.pdf

Beiträge von Jörg Huffschmid in Sand im Getriebe Nr. 13, 18, 67

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Charles-Andre Udry

Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie gegen die Lohnabhängigen

Aus: Debatte Numme r 11 -Dezember 2009

Die Annahme der „Antiminarettinitiative“ führt zu vielen Reaktionen, die den eigentlichen Hintergrund dieser Abstimmung verdunkeln. Die durch die Politik geschürten Ängste haben System und machen die gesamte herrschende

Klasse für das Resultat verantwortlich.

Vermintes Gelände Rechts stellen sich der kollegiale Bundes-rat, das Parlament in seiner großer Mehrheit und die Arbeitgeberverbände auf. Sie pran-gern die angeblichen Profiteure der Invali-denversicherung, der Arbeitslosenversiche-rung, der „Sozialhilfe“ an und liefern sie dem Volkszorn aus; MigrantInnen sind hier die bevorzugte Zielgru ppe. Damit kann gleich auf zwei Ebenen gepunktet werden: Die Verschlechterung der Sozialversiche-rungen für alle wird mit der angeblichen „Missbrauchsbekämpfung“ kaschiert, und ein Teil der AusländerInnen wird besonders ins Visier genommen (Menschen aus Koso-vo, Ex-Jugoslawien, Türkei...). Sie verschärfen die Überwachung aller Lohnabhängigen (Erwerbslosigkeit, IV, Absentismus usw.) und die polizeilichen Maßnahmen gegen die prekärsten Beschäf-tigten (Asylsuchende, Papierlose), ganz zu schweigen von den BettlerInnen (Repressi-on gegen Roma). Diese Politik von Law and Order greift auf verschiedene Bereiche des sozialen Lebens über: Fernüberwa-chung und Kontrolle am Arbeitsplatz bis zum neuen Gesetz über Maßnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS). Damit wird eine alte Polizeitechnik neu erfunden: Man spaltet die Leute in solche, die „sich nichts vorzuwerfen haben“ und in solche, die „sich allenfalls etwas vorzuwer-fen haben“. Bewusst werden zwei untrennbare Grund-rechte auseinander dividiert: Einerseits der freie Personenverkehr und anderseits griffi-ge Rechte zum Schutz der Lohnabhängigen (Gewerkschaftsrechte am Arbeitsplatz, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, Schutz gegen Lohn und Sozialdumping, Recht auf Bildung und auf Schutz gegen Erwerbslosigkeit, Rechte auf eine anständi-ge Rente). Die Untrennbarkeit dieser zwei Grundrechte wurde mit den Bilateralen Verträgen mit der EU mit Füssen getreten. Als Folge davon wurde ein Konkurrenzver-hältnis zwischen den Lohnabhängigen geschaffen, das Verunsicherung und ein Gefühl der Machtlosigkeit mit sich bringt. Beides führt zu einer misstrauischen Hal-tung im Stil „Alle gegen alle“ und zu Fremdenfeindlichkeit.

Heute zeigt sich die Fremdenfeindlichkeit als Islamfeindlichkeit und richtet sich spe-ziell gegen außereuropäische MigrantInnen, während die „westlichen Werte“ in der Form der „schweizerischen Werte“ hoch-gehalten werden. Gleichzeitig werden die Eigentümer von Sklavenstaaten wie Saudi-Arabien, den Arabischen Emiraten oder bis vor kurzem der libyschen Diktatur (welche bald auch wieder ein gern gesehener Gast sein wird) empfangen, entweder ganz diskret („Gold-koffer“ und Verträge) oder mit großem Pomp (Einladungen an schweizerische Festivitäten wie im Fall der Stadt Genf mit linker Regierungsmehrheit). Großkapitalisten aus der ganzen Welt wer-den mit offenen Armen begrüßt oder sogar abgeholt, damit Schweizer Banken ihnen Schutz bieten können, während man sich gleichzeitig im Zeichen von Schengen am alltäglichen Krieg gegen außereuropäische Lohnabhängige an den Toren Europas beteiligt (Teilnahme an der Schaffung von Lagern für Flüchtlinge-Gefangene an den EUGrenzen, von der Ukraine bis Libyen).

Der diffamierenden Wahlkampagne rechts-bürgerlicher Kreise sei Dank, lassen sich nun im Internet Muezzine (muslimische Gebetsausrufer) abschiessen, um den Bau von Minaretten zu verhindern! Realitätsverlust Die offizielle Linke ist in allen Exekutiven des Landes vertre ten. Grundsätzlich betei-ligt sie sich also, meist zusammen mit den Grünen, an dieser Politik, in Zusammenar-beit mit der Rechten auf kommunaler, kan-tonaler und Bundesebene. Sie trägt Spar-programme zulasten der sozialen Ausgaben mit, we lche die schwächeren Teile der Bevölkerung treffen, und sie steht zu den repressiven Maßnahmen, die mehr und mehr umgesetzt werden. Die Gewerkschaftsapparate verwalten g e-wissenhaft die Bilateralen Verträge, die Zweite Säule, die IV, die SUVA, die Ar-beitslosenversicherung usw., zusammen mit der „Wirtschaft“ (d.h. mit den Patrons). Für diese Rolle werden sie bezahlt (unter ande-rem über die so genannten „Solidaritätsbei-

träge). Die Gewerkschaftspresse erweckt den falschen Eindruck, dass Sicherheits-massnahmen am Arbeitsplatz wirksam kontrolliert und Löhne überwacht werden und dass Ge samtarbeitsverträge nicht sys-tematisch verletzt werden. Faktisch akzep-tieren sie, dass die Rechte die letzten Ele-mente von Kündigungsschutz aus dem Gesetz streicht. Beispielsweise tun sie nichts gegen die laufende Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs, welche die Entlassungsmöglich-keiten erweitert. Entlassungen, die derzeit massenweise stattfinden, werden bestenfalls im Rahmen von Sozialplänen mitgestaltet. Diese Linke hat es schon lange aufgegeben, den tatsächlichen Gegensatz in der Gesell-schaft zu benennen, nämlich den Wider-spruch zwischen Kapital und A rbeit. Damit verzichtet sie darauf, die sozioökonomische Realität adäquat abzubilden und den Lohn-abhängigen Instrumente in die Hand zu geben, um ihr Denken, ihre Projekte und ihre Vorstellungen zu schärfen. Diese Leere führt dazu, dass „manche Leute, die durch die Krise mehrfach traumatisiert sind, sich bei der Abstimmung von Protest und Miss-trauen, mehr noch als von Hass, haben leiten lassen“ (Editorial Tribune de Genève, 30.11.2009). Die Karte der Islamophobie

Plakat der Kampagne zum Minarettverbot

Diverse Bestandteile der Politik der Rech-ten werden entweder in Abstimmung mit der SVP oder unter dem Druck dieser Partei entworfen und umgesetzt. In diesem Fall werden die Maßnahmen der Regierung stets

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als das „kleinere Übel“ dargestellt, um die - passive oder aktive - Unterstützung der Vorlagen durch die Sozialdemokratische Partei zu rechtfertigen, welche an ihren beiden Bundesratssitzen klebt.

Selbst die Kampagne der Regierungspartei-en gegen die Antiminarettinitiative liess die Grundzüge dieser politischen Konstellation erkennen. Über den Zusammenhang zwi-schen der Initiative und der Gesamtpolitik der Regierung gegen die MigrantInnen hat die offizielle Linke geschwiegen. Wie Fremdfeindlichkeit die offizielle „Handha-bung von Migration“ untermauert, was sich unter anderem in Form der Islamophobie ausdrückt, auch darüber wurde geschwie-gen. Hingegen wurde lang und breit über die Auslese zwischen „guten“ und „schlechten“ Muslimen, „Integrierten“ und „Nicht- Integrierten“, „Fundamentalisten“ und „Gemässigten“ und natürlich über die Terroristen gesprochen. All dies war eine grosse Hilfe für die Initianten, hinzu kam noch die Zensur ihrer Plakate. Sobald die Ergebnisse bekannt waren, bedankten sich Freysinger & Co bei ihren Kontrahenten, die sie absichtlich „politische Eliten“ nennen. Diese „Eliten“ hatten nichts Besseres zu tun als zu erklären, die Stimm-berechtigten hätten eben die Abstimmungs-frage nicht verstanden. Die gleichen, angeb-lich so dummen WählerInnen gelten aber plötzlich als klug, wann immer sie die Vorlagen der Regierung annehmen. Was die SVP angeht, so sammelt sie in der Tradition der „patriotischen schweizeri-

schen Rechten“ Kräfte, die von der neolibe-ralen Wirtschaftsrechten bis zu offen rechtsextremen Kreisen geht. Beziehungen zu faschistischen Organisationen gehören ebenfalls dazu. Mit einem so breiten Spekt-rum kann die SVP immer mehrere Karten spielen, damit sie eine Wählerschaft konso-lidieren kann, die dann als Trumpf in den Verhandlungen innerhalb der Regierungs-kreise dient. Die Antiminarettinitiative war eine dieser Karten. In Krisenzeiten wird die SVP anderen solchen Karten einsetzen. In Zeiten von Arbeitslosigkeit und Sozial-abbau gilt: Solange nicht klar gezeigt wird, wer gegen wen und für wessen Interessen kämpft, wird die SVP Wind in ihren Segel haben. Dafür entwickelt sich die grö ßte Schweizer Partei zum Profi in Sachen Pla-katieren von Sündenbockbildern. Die SVP wird anderen Gesichtszügen einer rassis-tisch geprägten Islamophobie ausnutzen. Der Fremdfeindlichkeit und der Islamophobie entgegenwirken • Die Demonstrationen gegen die Anti-minarettabstimmung seit dem 29. Novem-ber sind Ausdruck eines ansatzweise vor-handenen Widerstandes gegen diese Politik. Es ist dringend notwendig, diesen Protesten Perspektiven in Form von Themen und Forderungen zu geben. • Jeder und Jede, Individuen oder Grup-pen, dürfen ihre religiösen Praktiken und Werte als spezifische Kulturform offen ausdrücken. • Vielfältige und verstärkte Förderung der Interkulturalität (Kultureller Austausch und

gegenseitige kulturelle Bereicherung) wider die Zwangsassimilation, die bei den Regie-rungsparteien von links und rechts betrüge-risch „Integration“ genannt wird. • Gleiche ökonomische, soziale und poli-tische Rechte für alle Lohnabhängigen („Muslime“, „Kosovaren“, „Afrikaner“, „Latinos“, „Genfer“, „Waadtländer“, „Zür-cher“...). • Stehen wir der utilitaristischen Auslän-derpolitik der Schweizer Behörden kritisch gegenüber, die darauf zielt, ein Wirrwarr von schikanösen Aufenthaltsregelungen zu schaffen. Unterstützen wir die Bewegungen zur Regularisierung der Sans-Papiers sowie zur Regularisierung jeder Person mit Fami-lie, die mindestens eine Stunde pro Woche arbeitet (amtliche Definition der Erwerbs-bevölkerung). Aktiver Widerstand gegen Zwangsausweisung von Ausländern. • Bekämpfen wir die nächste fremdfeind-liche Kampagne der SVP zur „Ausländer-kriminalität“, die schon durch rassistischen Polizei- und Verwaltungsmaßnahmen der Behörden gegen die Romas günstigen Nährboden erhalten hat. • Angesichts der jetzt wiederkehrenden Diskussion zur Personenfreizügigkeit mit der EU – die SVP wird diese instrumentali-sieren – ist es dringend notwendig, die Einheit aller Lohnabhängigen zu errichten, indem Recht auf Personenfreizügigkeit und sozioökonomischen Rechte für Alle un-trennbar und komplementär erkämpft wer-den. http://www.debatte.ch/Schweiz/Fremdenfeindlichkeit%20und%20Islamophopie_D11.htm

Appell zur sofortigen Abschaffung der Todesstrafe im Irak

Liebe Freundinnen und Freunde, das BRussel Tribunal hat kurz vor Jahresende einen Appell zur sofortigen Abschaffung der Todesstrafe im Irak initiiert, der bereits von vielen Personen unterzeichnet wurde, darun-ter auch von recht prominenten, wie dem ehemaligen nic a-raguanischen Außenminister und momentanen Präsidenten der UN-Vollversammlung Miguel d’Escoto Brockmann, dem Schriftsteller Eduardo Galeano, der ehem. US-Abgeordenten Cynthia McKinney, Elmar Altvater und Hans von Sponeck. (dt. Übersetzung des Appells unter http://jghd.twoday.net/stories/stoppt-die-todesstrafe-im-irak/) Akuter Anlass des Appells ist die drohende Hinrichtung von 900 Gefangenen noch vor den kommenden, für An-fang März angesagten Parlamentswahlen. Unterzeichnet werden kann die Erklärung unter: http://www.brusselstribunal.org/DeathPenalty121209.htm

Vor kurzem hat auch die UNO die Ausübung der Todes-strafe im Irak scharf kritisiert. Der Irak steht hier pro Kopf weltweit an der Spitze. In ihrem jüngsten Bericht zur Menschenrechtssituation im Irak heißt es: „Besonders bedenklich ist, dass viele Per-sonen aufgrund von Geständnissen verurteilt werden die häufig unter Zwang oder Folter gemacht wurden, während das Recht, nicht gezwungen zu werden, sich selbst zu belas-ten oder sich schuldig zu bekennen, oft verletzt wird.“ So-lange sich hier nichts ändert „sind die Todesstrafen willkürlich und stehen im Gegensatz zu internationalen Menschenrechtsstandards.“ (UN Bericht, 14.12.2009, http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=33244&Cr=iraq&Cr1=human+rights)(…) Viele Grüße, Joachim Guilliard

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Aufruf an die Schweizerische Regierung: Ende der Blockade des Gazastreifens

Umsetzung der Empfehlungen des Goldstone-Berichtes Die Schweiz muss zur Durchsetzung der 4. Genfer Konvention verhelfen*

Ein Jahr nach dem Angriff der israelischen Armee auf den Gazastreifen finden weltweit Solidaritätsaktionen mit der eingeschlossenen Bevölkerung des Gazastreifens statt. Der Gaza Freedom March vom 27.12.09 bis 2.1.10 von Rafah bis zum israelischen Grenzposten Erez mit internationaler Beteiligung – darunter auch Schweize-rInnen - fordert das Ende der Blockade. Am Sonntag, 27. Dezember fanden in Bern und Genf zum Gedenken an die Toten und zur Unterstützung des Gaza Freedom March gemeinsame Auftaktveranstaltun-gen mit Tausenden von Kerzen statt, die in der anschlie-ßenden Woche in der ganzen Schweiz weitergeführt wurden. Die UNO-Generalversammlung unterstützt - auch mit der Stimme der Schweiz - den Bericht der UN-Untersuchungskommission von Richard Goldstone. Der Bericht zählt die Verstösse gegen das humanitäre Völ-kerrecht und gegen die Menschenrechte, vor, während

und nach der militärischen Aggression Israels im Gaza-streifen auf und weist u.a. auf die immer noch andauern-de, völkerrechtswidrige Blockade hin. Diese verhinderte während der Militäroffensive die Notversorgung der Zivilbevölkerung. Bis heute verhindert die Blockade den Wiederaufbau der Häuser von 50 000 Obdachlosen und der zivilen Infra-struktur. Verschiedene UNO-Agenturen und Menschen-rechtsorganisationen haben im Laufe des Jahres immer wieder über die katastrophale Lage der 1.5 Millionen BewohnerInnen des Streifens berichtet. Die weitgehende Abriegelung erzeugt u.a. Mangel an medizinischer Versorgung, an Nahrung oder sauberem Trinkwasser. Das Andauern der völkerrechtswidrigen Blockade be-deutet eine kollektive Bestrafung der Bevölkerung und untergräbt die Glaubwürdigkeit des humanitären Völker-rechts.

Wir fordern deshalb die sofortige Aufhebung der Blockade und die Umsetzung der Empfehlungen des Goldstone-Berichtes. Dazu gehören insbesondere die Einberufung einer Konferenz aller Unterzeichnerstaaten durch die Schweiz zur Durchsetzung der Genfer Konventionen zum Schutz der Zivilbevölkerung und die Ver-folgung der Kriegsverbrechen, die in dem von der Goldstone Kommission untersuchten Zeitraum vor, wäh-

rend und nach der Aggression auf Gaza begangen wurden.

Die Erklärung und Aktionen werden unterstützt von folgenden Organisationen (Stand 22.12.09): Alternative Linke Arbeitsgruppe Lateinamerika Basel ALBA Basler Frauenvereinigung für den Frieden und den Fortschritt BFFF Basels starke Alternative BastA! Berner Mahnwache für einen gerechten Frieden in Palästina/Israel Centrale Sanitaire Suisse Romande CSS-R Centre Europe-Tiers Monde CETIM, cfd – Die feministische Friedensorganisation Collectif Urgence Palestine CUP-Genève, CUP Nyon-La Côte, CUP-Vaud Droit au Retour DAR / Droit pour Tous DpT Fachstelle Oe-ME Ref. Kirchen Bern-Jura-Solothurn Frauen für den Frieden Gerechtigkeit und Frieden in Palästina GFP Gesellschaft Schweiz-Palästina GSP / Grüne Schweiz Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA HEKS - Hilfswerk der evangelischen Kirchen Schweiz

Internationales jüdisches antizionistisches Netzwerk IJAN Genf Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden zwischen Israel und Palästina JVJP / Kampagne Olivenöl Ligue suisse des droits de l'homme Genève medico international schweiz mission 21 evangelisches missionswerk basel Palästina-Solidarität Region Basel Parrainage d'enfants de Palestine Partei der Arbeit Schweiz PdA Partito della Rifondazione Circolo di Basilea Peace Watch Switzer-land PWS Schweizerische Friedensbewegung SFB schweizerischer freundeskreis zelt der völker solidaritéS Ge, Vd et Ne Sozialdemokratische Partei Schweiz SPS Theologische Bewegung für Solidarität und Befreiung Unia Genève, Vereinigung Schweiz-Cuba VSC,

------- * Resolution der UNO-Generalversammlung (RES/64/10) vom 5.11.09: „(...) Recommends to the Government of Switzerland, in its capacity as depositary of the Geneva Convention relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, to undertake the necessary steps as soon as possible to reconvene a Conference of High Contracting Parties to the Fourth Geneva Convention on measures to enforce the Convention in the Occupied Palestinian Territory, including East Jerusalem, and to ensure its respect in accordance with common article 1.“

Unterschriften für diesen Aufruf: http://gazafreedommarch.ch/aufruf/

Weitere Informationen über Gaza unter www.ochaopt.org (UN-Organisation); http://www.gazafreedommarch.org; http://www.kopi-endederbesatzung.de http://medico.de/media/bericht-gaza -das-grosse-versagen.pdf

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Das Andere Davos Widerstand zeichnet Konturen einer anderen Welt

2007 ist die erste große Krise des globa-lisierten Kapitalismus ausgebrochen. 2008 und anfangs 2009 zögerten die Mas-senmedien und die internationalen Institu-tionen der Herrschenden nicht, Vergleiche mit der Grossen Depression von 1930 anzustellen. Die Staaten der Herrschenden unterstützen Banken, Versicherungen und Konzerne mit Hunderten von Milliarden Dollars. Diese gigantische Sozialisierung privater Verluste wird letztlich auf die Rechnung der lohnabhängigen SteuerzahlerInnen gehen. Und morgen werden die Sozialaus-gaben weiter gekürzt, um die «öffentlichen Defizite» zu senken. Ende 2009 spricht die Presse von einer wirtschaftlichen Erholung, die allerdings noch schwach sei. In der Tat: Die Erwerbs-losigkeit erreicht bereits historische Höchstwerte. Und für 2010 sieht es noch schlechter aus. Außerdem werden in den offiziellen Statistiken die Menschen ver-gessen, die auf die Suche nach einem Job «verzichtet» haben oder unter prekären Bedingungen zu Armutslöhnen arbeiten. Die Regierungen und internationalen Insti-tutionen (OECD, Weltbank, IWF) setzen auf «Bildung» - in ihrem angeblichen Kampf gegen Armut und Erwerbslosigkeit und um die «Wettbewerbsfähigkeit» der Länder zu sichern. Deshalb werden die Bildungssysteme sozial immer selektiver gemacht und den bornierten Interessen der «Wirtschaftsführer» angepasst. Das wirkliche Wesen der Systemkrise wird noch deutlicher sichtbar, wenn wir auch die Umweltzerstörung – von der die ärmsten

Teile der Weltbevölkerung am meisten betroffen sind – und die Hungers - und Versorgungsnotstände (Wasser, Hygiene usw.) – denen über 2 Milliarden Menschen ausgesetzt sind – in den Blick nehmen. Zu diesen Katastrophen kommen die Kriege hinzu, die die imperialistischen Mächte führen (gegen Irak, Afghanistan, Pakistan) oder instrumentalisieren (in Afrika). Und nun treffen sich im Januar 2010 in Davos die tatsächlichen Verantwortli-chen für diese Krise und wollen über den «Zustand der Welt» debattieren, um diese «neu zu denken, neu zu zeichnen und umzubauen». Das ist zunächst einmal ein Eingeständnis, wie es um ihre Welt steht. Vor allem aber ein Zeichen der Arroganz derjenigen, die der Welt auf der Basis ihrer tödlichen Eigeninteressen einen neuen «Look» geben wollen, nachdem sie uns in die Katastrophe geführt haben. Das zeigt sich bereits heute vom Neuen. Denn ihre «Antwort» auf die Krise besteht nur aus einer Verschärfung der verschiede-nen Formen von Ausbeutung und Unter-drückung. Der globalisierte Kapitalismus – basierend auf privater Aneignung des Reichtums, globalisierter Tyrannei der Vermarktung aller Dinge und Menschen und Konkurrenz zwischen den Grossko n-zernen – kann nicht ohne ein entsprechen-des Herrschaftssystem existieren, das die Grundrechte der Menschen und ganzer Bevölkerungen permanent in Frage stellt. Doch bereits heute wird eine andere Welt gedacht, gezeichnet und gebaut. Dies geschieht durch vielfältige Formen von Widerstand, Kampf und Ablehnung,

und auf der Grundlage von Gegenvor-schlägen, die zumindest ansatzweise die Frage nach einer anderen, radikal und wirklich demokratischen Gestaltung der Welt aufwerfen. So wird die Unterwerfung des Planeten unter die Interessen der Oligarch(i)en in Frage gestellt. Das Andere Davos will denjenigen Me n-schen das Wort geben, die diese Bewe-gungen und Prozesse tragen. Dadurch soll ein richtiges Forum entstehen, an dem sich insbesondere Menschen aus folgenden Zusammenhängen treffen, zu-sammenschließen und diskutieren: Männer und Frauen, die auf eine neue Art gewerk-schaftliche Basisarbeit machen und dabei die verschiedenen Facetten der Ausbeutung und Unterdrückung berücksichtigen; Migranten und Migrantinnen in Europa und den USA, die für ihre Rechte und gegen die Polizeistaaten ankämpfen; Frau-en, die durch ihre eigenen Initiativen die patriarchalen Ordnungssysteme in Frage stellen; Sprecher und Sprecherinnen der Bevölkerungen im Süden, die sowohl gegen die imperialistischen Mächte als auch gegen die Kräfte in ihren Ländern kämpfen, die sie von jeder kollektiven Gestaltung der Zukunft ausschließen wol-len; sowie Aktivisten und Aktivistinnen der Antikriegsbewegung, vor allem mit Bezug auf den Irak, Afghanistan, Pakistan und Palästina. http://www.suisse.attac.org/Das -Andere-Davos-Widerstand

Programm: Das Andere Davos 2010 Das Andere Davos findet in den Räumen der Universität Basel statt: Kollegienhaus der Universität Basel, Petersplatz 1. Neben den Konferenzen und Workshops finden auch musikalische Einlagen, eine Fotoausstellung, eine Theaterauf-führung statt. Info- und Büchertische sind ebenfalls vorgesehen. Simultanübersetzung der Konferenzen und Workshops

Freitag, 29. Januar, 16 bis 18 Uhr: Kritische Universität – Uni von unten Mit: Franz Schultheis, Soziologieprofessor, Ueli Mäder, Soziologieprofessor, Claudia Nogueira, Professorin an der Uni-versidade Federal de Santa Catarina (Brasi-lien), Avji Sirmoglu, Planet 13, Basel, Felipe Polania, Verein „Bildung für alle“ an der Autonomen Schule Zürich, Vertreterin-nen der Studierendenproteste der Schweiz

Freitag, 29. Januar, 19.30 Uhr, Eröffnungskonferenz in der Aula Von der Absage an die Barbarei zur Notwendigkeit einer anderen Welt • Noam Chomsky, Videointerview (wie vor 10 Jahren bei der 1. Ausgabe des Anderen Davos). • Tariq Ali, Buchautor und Leiter der New Left Review: „Der Imperialismus zu Zeiten Obamas“. • Silvia Lazarte, Ex-Präsidentin der konstitu-ierenden Versammlung Boliviens: „Die india-nische Rebellion in Bolivien“.

• Franco Cavalli, Alt-Nationalrat der SP, Mitglied der Exekutive der internationalen Vereinigung gegen Krebs: „Die kapitalistische Globalisierungen gegen ein öffentliches Gut: das Recht auf Gesundheit für alle“. • Christa Wichterich , Buchautorin von „Gleich, gleicher, ungleich“ (2009), (Deutsch-land): „Die Frauenkämpfe im Kontext der kapitalistischen Globalisierung“. • N.A. Batchu Siddique, Präsident von Dhuumcatu (Vereinigung der bengalischen, indischen und pakistanischen ArbeiterInnen in Italien): „Die Mobilisierung der MigrantInnen und die Einheit der Lohnabhängigen“.

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• Dirceu Travesso, nationaler Sekretär von Conlutas (Brasilien): „Die Lohnabhängigen des formellen und informellen Sektors verei-nigen“. Samstag, 30. Januar, 9.30 bis 12.30 Uhr, Workshops Migrationsregime und Einflüsse auf die Rechte der Lohnabhängigen • Pietro Basso, Professor an der Universität Ca’Foscari, Venedig, Autor von verschie-denen Büchern über MigrantInnen: „Isla-mophobie: Eine Waffe gegen MigrantIn-nen“. • Dario Lopreno, Mitglied der Gewerk-schaft VPOD: „Die neuen Richtlinien ge-gen die MigrantInnen in der Schweiz“. • Alain Bihr, Professor an der Universität Besançon: „Die Debatte um die nationale Identität und die Angriffe auf die Rechte der MigrantInnen“. Für eine neue Gewerkschaftsbewegung (1) • Christian Mahieux, Sekretär von SUD-Rail, Frankreich: „SUD: Warum solida-risch, einheitlich und demokratisch?“ • Gianni Frizzo, Animator des Streikkomi-tees der Officine, Bellinzona: „Die wich-tigsten Elemente einer neuen Gewerk-schaftsbewegung im Kampf der Officine“. • Matteo Beretta, Delegierter der FIOM von Fincantieri (Porto Marghera – Italien): „Die neue Gewerkschaftsbewegung im Kampf gegen die Politik der Subunternehmen“. • Tom Adler, IG-Metall, Mercedes: „Ange-sichts der Automobilkrise, welche neue Gewerkschaftsbewegung?“ Die Kämpfe der lohnabhängigen Frauen • Lidia Cirillo, Leiterin der Quaderni Viola, Italien: „Die lohnabhängigen Frauen ange-sichts der aktuellen Kapitalismuskrise“. • Cristina Hernandez, Gewerkschaft Service Employees International Union, Los Ange-les: „Die angestellten Frauen in den Schu-len organisieren“. • „Kita Streik“: Streik in den Kinderkrippen in Deutschland Anfang 2009, eine einmali-ge Erfahrung (Rednerin wird präzisiert). • Claudia Nogueira, Professorin an der Universidade Federal de Santa Catarina (Brasilien): „Der doppelten Ausbeutung der Frauen in Brasilien entgegentreten: Einige Beispiele“. • Marisa Pralong, Unia Mitglied, Angestell-te bei Manor (Genf) : „Die Angestellten organisieren angesichts der Repression der Unternehmer“. Die Privatisierung des öffentlichen Transports • Christian Zeller, Professor an der Univer-sität Salzburg: „Die Privatisierung der

Eisenbahn in Deutschland und ihre Fol-gen“. • Urs Zuppinger, Stadtplaner: „Die Trans-portpolitik in der Schweiz: Die letzten Neuigkeiten“. • Dante de Angelis, Gewerkschaften der italienischen Eisenbahn, Viareggio: „Die Privatisierung und die Gefahren im Eisen-bahntransport“. • SUD-Rail: „Die Gegenreform im Güter-transport“ (Redner wird präzisiert). Samstag, 30. Januar, 14 bis 16.30 Uhr, Workshops Widerstand und Stimmen der Migran-tInnen • N.A. Batchu Siddique, Präsident von Dhuumcatu (Vereinigung der bengalischen, indischen und pakistanischen ArbeiterInnen in Italien): „Wie und wozu wurde Dhuum-catu gegründet?“ • Anzoumane Sissoko (Mali), Sprecher der Sans-Papiers -Koordination in Paris: „Die Sans-Papiers - Bewegung in Frankreich: Die Frage der Einheit und die Beziehungen mit den Gewerkschaften und den politischen Organisationen“. • Cristina Hernandez, Gewerkschaft Service Employees International Union, Los Ange-les: „Die Bewegung der Latin@s und ihre Forderungen in Kalifornien“. • VertreterIn von Bleiberecht Zürich: „Wi-derstand von unten gegen die repressive Asylpolitik“. • CAFri: „Die Selbstorganisation der MigrantInnen und ihre Forderungen: das Beispiel Fribourg“. Für eine neue Gewerkschaftsbewegung (2) • Dirceu Travesso, nationaler Sekretär von Conlutas (Brasilien): „Was ist der Sinn des Kampfes von Conlutas“. • Gilbert Achcar, Professor am SOAS, London: „Der Aufstieg der ArbeiterInnen-kämpfe und der Kampf für eine unabhängi-ge Gewerkschaftsbewegung in Ägypten“. • Christa Wichterich, Buchautorin von „Gleich, gleicher, ungleich“ (2009), (Deutschland): „Die Arbeiterinnenkämpfe in China: Entsteht eine unabhängige Ge-werkschaftsbewegung?“ • Lee Sustar, Redaktor von Socialist Wor-ker (USA): „Wie antworten ArbeiterInnen auf die Krise in den USA?“ Die Hungerkrise und das „herrschende Landwirtschaftsmodell“ • Ricardo Antunes, Professor an der UNICAMP (Brasilien), Mitarbeiter des MST und der Redaktion von Brasil do Fato: „Das exportorientierte Landwirtschaftsmo-dell, Hunger und Ausbeutung in Brasilien“.

(An diesem Workshop werden unter ande-ren VertreterInnen von Uniterre und der Confédération paysanne aus Frankreich teilnehmen. Bestätigung folgt.) Die Privatisierung der Post • Patricio Paris, Mitglied der NPA und des einheitlichen Komitees des 13. Stadtbezirks von Paris: „Die BenutzerInnen und die gewerkschaftlich organisierten Angestellten zusammen im Kampf gegen die Privatisie-rung der Post in Frankreich“. • Ein•e VertreterIn von Sud-PTT: „Der direkte Kampf und das Referendum gegen die Privatisierung in Frankreich" (Bestäti-gung folgt). • Ein Briefträger aus der Schweiz: „Die ‚Privatisierung’ des Pöstlers“. • Martin Smith, Socialist Workers Party, Grossbritannien: „Der Kampf der engli-schen Briefträger von Royal Mail“. Samstag, 30. Januar, 17 bis 19.30 Uhr, Abschlusskonferenz in der Aula Die Kämpfe der Zukunft – die Zukunft der Kämpfe • Gianni Frizzo, Animator des Streikkomi-tees der Officine, Bellinzona: „Eine neue Gewerkschaftsbewegung in der Schweiz“. • Lee Sustar, Redaktor von Socialist Wor-ker, USA: „Arbeitslosigkeit und soziale Krise unter Obama: Welche Achsen eines sozialen Kampfes?“ • Ricardo Antunes, Professor an der UNICAMP (Brasilien), Mitarbeiter des MST und der Redaktion von Brasil do Fato: "Die strukturelle Prekarisierung der Arbeit und die sozialen Kämpfe in Brasilien". • Giorgio Cremaschi, Sekretär der FIOM (Italien): „Welche Wiederbelebung der sozialen Kämpfe in Italien?“ • Cristina Hernandez, Gewerkschaft Service Employees International Union, Los Ange-les: „Welche Zukunft für die MigrantIn-nenkämpfe?“ • Gilbert Achcar, Professor am SOAS, London: „Die Islamophobie bekämpfen – die Hauptform des aktuellen Rassimus im Westen“. • Ueli Mäder, Soziologe, Professor an der Universität Basel: „Die soziale Krise in der Schweiz: Einige Orientierungspunkte für den Widerstand“. [Das Andere Davos wird in Kooperation mit dem Zentrum für interdisziplinäre Kon-fliktanalyse der Universität Basel durchge-führt.] .

www.otherdavos.net

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(…) Die NATO und mit ihr Deutschland hat die ganze Welt zu ihrem Einsatzgebiet erklärt. Gleichzeitig wird die Militarisie-rung der EU weiter vorangetrieben. Die EU rüstet sich, um eigene Kriegseinsätze führen zu können. Im EU-Vertrag ist festgelegt: „Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militäri-schen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Es wird ein Euro-päisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähig-keiten eingerichtet.“ (…) „Sicherheitskonferenz“ 2010: Alter Wein in neuen Schläu-chen! Nachdem auch den verantwortlichen Politikern immer klarer wird, dass ihre Ziele allein mit militärischen Mitteln nicht er-reichbar sind, versucht die NATO nun einen Strategiewechsel zu vollziehen, der sich auch bei der „Münchner Sicherheitskon-ferenz“ niederschlägt. Mit dem Konzept der zivilmilitärischen Zusammenarbeit und der Instrumentalisierung von Nichtregierungsorganisationen sollen die alten NATO-Ziele effektiver verfolgt werden. Dazu gehören auch die Einbeziehung von Unternehmen und Energie -fachleuten sowie die Aufnahme von Themen wie Abrüstung, Rohstoffsicherheit, Piraterie, Terrorismus oder „Human Securi-ty“ bei zukünftigen „Sicherheitskonferenzen“. Zur Debatte stehe – so eine Erklärung des Chefs der „Sicher-heitskonferenz“ – ob „zur Durchsetzung sicherheitspolitischer Interessen weiterhin im Kern die NATO oder aber vielmehr die EU oder beide Strukturen mit ihren jeweiligen militärischen Fähigkeiten genutzt werden sollten“. Das Ergebnis dieser „mili-tärischen Fähigkeiten“ erleben die Menschen derzeit in Afgha-nistan. Deshalb ist auch die „Sicherheitskonferenz“ 2010 eine Kriegs-konferenz, der wir uns mit vielfältigem und kreativem Protest entgegenstellen. Schluss mit dem NATO-Krieg gegen Afghanistan! Bundes-wehr raus! Nicht ein sofortiger Abzug aller fremden Truppen ließe Afgha-nistan im Chaos versinken, vielmehr sind der NATO-Kriegsterror und die andauernde Besatzung für das tödliche Chaos in diesem Land verantwortlich. Mit einem sofortigen Abzug der Bundeswehr, aller fremden Truppen und Söldner, sind die Probleme Afghanistans zwar nicht gelöst, aber dieser Abzug ist wesentliche Voraussetzung für eine selbstbestimmte und friedliche Entwic klung und den Wiederaufbau des Landes.

Gegen jede deutsche Kriegsbeteiligung! Die NATO-Kriegsallianz und die zukünftige Militärmacht EU sind eine Bedrohung für die Menschheit. Das Kriegsbündnis NATO gehört abgeschafft. – Deshalb fordern wir auch: Raus aus der NATO – Raus aus allen Militärstrukturen der EU – Bundeswehr abschaffen! Die Milliarden für Rüstung und Krieg müssen in soziale Sekto-ren umgeleitet werden! Derzeit entfallen mehr als Zweidrittel der weltweiten Militär-ausgaben von rund 1400 Mrd. Dollar jährlich auf die NATO-Staaten. Gleichzeitig wächst die weltweite Armut. Die Zahl der Hungernden ist im vergangenen Jahr auf über ein Milliarde Menschen angestiegen. Die Politik der reichen und mächtigen Staaten – insbesondere der USA und der EU -Länder – ist auch hauptverantwortlich für die Plünderung der Ressourcen, die zunehmende Umweltzerstörung und die Klimakatastrophe. Diese Politik dient in erster Linie den Profitinteressen der gro-ßen Banken, der Konzerne und Waffenproduzenten. Während hierzulande Milliarden für neue Waffensysteme und die weltweiten Kriegseinsätze der Bundeswehr ausgegeben werden, zerstört die Bundesregierung die Sozialsysteme. Ar-beitslose und Beschäftigte, Jugendliche, RentnerInnen und SozialhilfeempfängerInnen werden immer stärker belastet. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Flüchtlinge und MigrantInnen werden als „Sündenbö-cke“ präsentiert – nicht nur von den Nazis Krieg, Hunger, Folter, Umweltzerstörung und Perspektivlosig-keit sind Ursachen für millionenfaches Flüchtlingselend. Des-halb wenden wir uns gegen die Abschottung der EU-Außengrenzen, gegen Frontex-Einsätze, bei denen auch mit militärischen Mitteln gegen Flüchtlinge vorgegangen wird, gegen jede Ausgrenzung von MigrantInnen, gegen diskriminie-rende Ausländergesetze, die faktische Abschaffung des Asyl-rechtes, gegen Abschiebung und jede Form von Rassismus. – Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge! – Keine La-ger – Kein Stacheldraht – Keine Abschiebung! München darf keine Polizeifestung we rden! Mit unserer Demonstration gegen die so genannte Sicherheits-konferenz treten wir ein für das uneingeschränkte Recht auf Versammlungs-, Meinungs- und Demonstrationsfreiheit.

Wir rufen dazu auf, gemeinsam und kreativ gegen die NATO-Kriegstagung am Freitag und Samstag, 5./6. Februar 2010, in München zu demonstrieren.

http://www.sicherheitskonferenz.de http://www.gegen-krieg-und-rassismus.de


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