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In Brasilien beginnt das Jahr erst nach Karneval · bis Ende Januar sind Schulferien. Im Februar...

Date post: 20-Mar-2019
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Ausflug mit der Fotogruppe Rebekka Leibbrand Visconde de Mauá, Brasilien Weltwärts - Quartalsbericht II (November 2009 – Januar 2010) Entsendeorganisation: VNB e.V., Hannover Nordpartner: Mirantao e.V., Ostrhauderfehn Südpartner: Mestre Claudio, Resende & Colégio Antonio Quirino, Mauá, Brasilien In Brasilien beginnt das Jahr erst nach Karneval Der Zeitpunkt der Ankunft von uns drei Freiwilligen im August war wohl einfach ungünstig gewählt. Das akademische Jahr in Brasilien entspricht dem Kalenderjahr. Von Weihnachten bis Ende Januar sind Schulferien. Im Februar ist Karneval, wo offiziell eine weitere Woche kein Unterricht stattfindet. Der geregelte Alltag im brasilianischen Schul- wie Arbeitsleben beginnt also erst im März. Hatten wir uns im November endlich in unserer neuen Heimat eingelebt und steckten voller Projektideen, die wir gerne realisieren wollten, mussten wir schnell feststellen, dass wir uns noch einige weitere Wochen bis Monate gedulden müssen, bevor wir uns nützlich machen können. In den bestehenden Strukturen scheint ganz einfach keine Arbeit für drei Freiwillige vorhanden zu sein; und als günstiger Start für ein neues Projekt kommt am ehesten das neue Schuljahr in Frage. Diese Erkenntnis löste bei uns allen ziemlich große Frustration und Demotivation aus. Aber es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Situation zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. So habe ich mich in den letzen Monaten weiterhin überall dort umgesehen und engagiert, wo es ging, und dabei viele weitere kulturelle Unterschiede und Eigenheiten kennen gelernt. ARBEITSFELDER 1. ProJovem Am intensivsten habe ich die Theaterarbeit innerhalb des Regierungsprogramms ProJovem erlebt (siehe Quartalsbericht I). Obwohl die Gruppe bereits von einem Projektkoordinatoren, einer Sozialarbeiterin und dem Mestre als inhaltlich Verantwortlichem geleitet wird, konnte ich mich produktiv in den Arbeitsprozess einbringen. Gleichzeitig wurde der kulturelle Unterschied sehr deutlich. Ein Probenplan existiert nicht. Es wird grundsätzlich von vorne bis hinten durchgeprobt, anstatt einzelne Szenen, Lieder oder Choreographien zu verbessern. Das Datum für eine Aufführung wird vollkommen willkürlich und kurzfristig festgelegt. Die Jugendlichen kommen unregelmäßig, so dass es unmöglich ist diszipliniert mit einem festen Team zu arbeiten. Meine geäußerte Unzufriedenheit über die Situation hat etwas Unmut unter den Jugendlichen gestiftet und gleichzeitig einen konstruktiven Austausch mit meinen Kollegen angeregt. Auf meine Nachfrage hin wurde mir klar, dass alle drei Gruppenleiter so gut wie keine Theatererfahrung haben. Der Mestre sowie der Fotograf der Fotogruppe wurden von der Prefeitura eingeladen, ein Projekt durchzuführen, ohne ein Konzept einreichen zu müssen. Es gibt also keinerlei Planung oder Zielsetzung für die eineinhalb Jahre der Projektdauer. Trotz widriger Umstände gelang uns im Dezember eine Aufführung der weiterentwickelten Version unseres Stückes auf dem Kulturfest des Colégios.
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Ausflug mit der Fotogruppe

Rebekka Leibbrand Visconde de Mauá, Brasilien Weltwärts - Quartalsbericht II (November 2009 – Januar 2010) Entsendeorganisation: VNB e.V., Hannover Nordpartner: Mirantao e.V., Ostrhauderfehn Südpartner: Mestre Claudio, Resende & Colégio Antonio Quirino, Mauá, Brasilien In Brasilien beginnt das Jahr erst nach Karneval Der Zeitpunkt der Ankunft von uns drei Freiwilligen im August war wohl einfach ungünstig gewählt. Das akademische Jahr in Brasilien entspricht dem Kalenderjahr. Von Weihnachten bis Ende Januar sind Schulferien. Im Februar ist Karneval, wo offiziell eine weitere Woche kein Unterricht stattfindet. Der geregelte Alltag im brasilianischen Schul- wie Arbeitsleben beginnt also erst im März. Hatten wir uns im November endlich in unserer neuen Heimat eingelebt und steckten voller Projektideen, die wir gerne realisieren wollten, mussten wir schnell feststellen, dass wir uns noch einige weitere Wochen bis Monate gedulden müssen, bevor wir uns nützlich machen können. In den bestehenden Strukturen scheint ganz einfach keine Arbeit für drei Freiwillige vorhanden zu sein; und als günstiger Start für ein neues Projekt kommt am ehesten das neue Schuljahr in Frage. Diese Erkenntnis löste bei uns allen ziemlich große Frustration und Demotivation aus. Aber es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Situation zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. So habe ich mich in den letzen Monaten weiterhin überall dort umgesehen und engagiert, wo es ging, und dabei viele weitere kulturelle Unterschiede und Eigenheiten kennen gelernt. ARBEITSFELDER 1. ProJovem Am intensivsten habe ich die Theaterarbeit innerhalb des Regierungsprogramms ProJovem erlebt (siehe Quartalsbericht I). Obwohl die Gruppe bereits von einem Projektkoordinatoren, einer Sozialarbeiterin und dem Mestre als inhaltlich Verantwortlichem geleitet wird, konnte ich mich produktiv in den Arbeitsprozess einbringen. Gleichzeitig wurde der kulturelle Unterschied sehr deutlich. Ein Probenplan existiert nicht. Es wird grundsätzlich von vorne bis hinten durchgeprobt, anstatt einzelne Szenen, Lieder oder Choreographien zu verbessern. Das Datum für eine Aufführung wird vollkommen willkürlich und kurzfristig festgelegt. Die Jugendlichen kommen unregelmäßig, so dass es unmöglich ist diszipliniert mit einem festen Team zu arbeiten.

Meine geäußerte Unzufriedenheit über die Situation hat etwas Unmut unter den Jugendlichen gestiftet und gleichzeitig einen konstruktiven Austausch mit meinen Kollegen angeregt. Auf meine Nachfrage hin wurde mir klar, dass alle drei Gruppenleiter so gut wie keine Theatererfahrung haben. Der Mestre sowie der Fotograf der Fotogruppe wurden von der Prefeitura eingeladen, ein Projekt durchzuführen, ohne ein Konzept einreichen zu müssen. Es gibt also keinerlei Planung oder Zielsetzung für die eineinhalb Jahre der Projektdauer.

Trotz widriger Umstände gelang uns im Dezember eine Aufführung der weiterentwickelten Version unseres Stückes auf dem Kulturfest des Colégios.

Rebekka Leibbrand: weltwärts Quartalsbericht II, Visconde de Mauá, Brasilien

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2. Capoeira Mauá: Nach meinem Umzug nach Resende habe ich mich aus dem Capoeiratraining in Mauá ziemlich herausgehalten. Letztendlich hat mich Dedé ohnehin nie wirklich in das Training mit einbezogen. Ich habe ihn jedoch weiterhin dazu ermuntert, sich bei den zuständigen Prefeituras (Bezirksregierungen) um ein Gehalt zu bemühen. Ob seine Anträge erfolgreich waren, wird sich wohl erst nach Karneval herausstellen. Wie ich in meinem letzten Bericht bereits andeutete, planen wir außerdem die Renovierung des Capoeiraschuppens. Wir wollen Sachspenden sammeln und in Form einer Tombola Gelder akquirieren, um dann selbst handwerklich aktiv zu werden. Doch auch diese Arbeit kann erst im März durchgeführt werden. Kliniken in Resende: An zwei Tagen pro Woche begleitete ich den Mestre bei seiner Arbeit in den Kliniken. In der psychiatrischen Erwachsenenklinik probten wir weiterhin Elemente aus dem Theater „Puxada de rede“. Leider fehlt jedoch auch hier eine gewisse Zielstrebigkeit. Ich hatte vorgeschlagen, eine interne Aufführung für andere Patienten und Angehörige zu machen. Trotz anfänglicher Begeisterung kam es bisher jedoch nicht dazu. Wahrscheinlich bin ich einfach zu sehr durch die deutsche Kultur geprägt, aber ich finde es für alle Beteiligten total unbefriedigend ziellos hinter verschlossenen Wänden zu proben. Die Arbeit stagniert, und oft scheint es ein reines Totschlagen der Zeit. Die Theaterform eignet sich meiner Meinung nach hervorragend für die Patienten, da sich jeder seinen Fähigkeiten entsprechend mit Rhythmus, Gesang oder Schauspiel einbringen kann. Für die Patienten wäre es sicherlich ein großes Highlight, auf der Bühne zu stehen. Auch der Weihnachtsausflug mit den Patienten der Entzugsklinik war völlig ungeplant, so dass vor Ort die Frage entstand, was wir denn nun tun würden. Der reine Raumwechsel ist sicherlich schon toll für die Patienten. Aber gerade diesen Menschen will ich doch zeigen, dass es etwas Besseres zu tun gibt, als Löcher in die Luft zu starren. Ein schönes Ausflugsprogramm könnte neuen Lebenswillen in den teilweise recht apathisch wirkenden Menschen wecken. Da das Angebot in der Kinderklinik leider schlecht angenommen wird und es wenig Sinn macht, sich zu zweit um einen Jungen zu kümmern, habe ich mich an den dortigen Workshops nicht mehr beteiligt. 3. Peerleader Kurz nach dem Besuch aus Deutschland fand ein Peerleaderwochenende in einem nahe gelegenen Jugendheim statt, an dem über die zukünftige Arbeit der Jugendlichen diskutiert wurde. Im Übereifer wurden zahlreiche neue Projektgruppen gebildet, so dass bereits einiger Unmut unter den Lehrern des Colégios laut wurde, da die Schüler sich nicht mehr genügend dem Unterricht widmeten. Zusätzlich angestachelt wurde der neue Aktivismus durch die Aussicht einer Reise nach Deutschland. Im Februar fährt eine kleine Gruppe von acht Jugendlichen gemeinsam mit unserer Projektkoordinatorin Léa nach Ostfriesland. In einem schwierigen Auswahlverfahren, das von den Jugendlichen selbst durchgeführt wurde, konnte schließlich die Reisegruppe zusammengestellt werden.

Weihnachtsausflug mit Patienten

Rebekka Leibbrand: weltwärts Quartalsbericht II, Visconde de Mauá, Brasilien

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4. Sonstiges Léa und ich wollen nach wie vor die Planung eines Jugendzentrums in Mauá anregen. Dazu werden wir einige Akteure aus dem sozialen und pädagogischen Arbeitsfeld zu einer Versammlung einladen, um gemeinsam über die Gestaltungsmöglichkeiten eines solchen Treffpunkts nachzudenken. Diese Arbeit ist ein längerer Prozess, der leider erst nach Léas Rückkehr aus Deutschland begonnen werden kann. Ich habe jedoch bereits mit vielen Ortsbewohnern über die Idee gesprochen und bin dabei auf viel positives Feedback gestoßen. Der Zeitpunkt für ein solches Projekt könnte günstig sein, da in naher Zukunft sehr viel Veränderung in den Dörfern ansteht. Die Prefeitura von Resende wird mit viel Geld die Straße nach Mauá ausbauen. Dieses Projekt wird von der Bevölkerung sehr widersprüchlich aufgenommen. Die einflussreiche Tourismusbranche befürwortet das Projekt, die Mehrzahl der anderen Dorfbewohner sieht jedoch viele Nachteile für ihre soziale und biologische Umwelt. Die Kritikpunkte sind berechtigt, zumal die Regierung die Bevölkerung nicht in den Entscheidungsprozess mit einbezogen hat. Die Durchführung des Millionenprojekts ist jedoch bereits entschieden. Die Bevölkerung sollte also versuchen, den Aktivismus und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für ihre Zwecke zu nutzen. Tatsächlich hat es schon einige inoffizielle Versammlungen gegeben, an denen über mögliche positive und negative Folgen und daraus zu ziehende Konsequenzen diskutiert wurde. Vielleicht ist das Jugendzentrum ja eine davon. Auch in Resende habe ich mich ein wenig im soziokulturellen Bereich umgeschaut. Im November fand eine Aufführung verschiedener kulturpädagogischer Projekte aus Musik, Tanz und Theater statt, die im Rahmen des Regierungsprogramms CriArte (Criancas = Kinder, Arte = Kunst) durchgeführt wurden. Es scheint also durchaus einige tolle Initiativen der Regierungen zu geben. Das größte Problem besteht jedoch in der Unbeständigkeit. Mit jedem Wechsel der Regierung, werden alte Projekte aufgelöst und neue gegründet. Ohne Kontakte zum neuen Bürgermeister ist es ausgesprochen schwierig, Projektgelder zu erhalten. FAZIT Die Tatsache, dass die Brasilianer alles etwas langsamer und entspannter angehen als die Deutschen, ist allgemein bekannt. Bei der einfachen Dorfbevölkerung sowie einer großen Hippie- und Künstlergemeinde in den Bergdörfern in Visconde de Mauá ist diese Gelassenheit in potenziertem Maße anzutreffen. Mit deutscher Zielstrebigkeit und vorausschauender Planung ist man hier ziemlich fehl am Platz. So musste ich erst mal ein paar Gänge runter schrauben, um mich dem ortüblichen Lebensrhythmus anzupassen. Bei einem der zahlreichen Gespräche über meine Schwierigkeiten auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung, wies meine brasilianische Mitbewohnerin mich darauf hin, dass es vielleicht gar nicht so sehr auf die eigentliche Arbeit ankäme, als vielmehr auf den Austausch mit meinen brasilianischen Kollegen. Tatsächlich führte ich gerade durch mein Unverständnis einiger Arbeitsprozesse schon einige konstruktive Diskussionen, die allen Beteiligten neue Denkanstöße gaben. Natürlich ist dieser interkulturelle Austausch ein wesentlicher, wahrscheinlich sogar der wichtigste Bestandteil des weltwärts-Programms. Dennoch wäre ich für ein bisschen mehr Eigenverantwortung dankbar.

Rebekka Leibbrand: weltwärts Quartalsbericht II, Visconde de Mauá, Brasilien

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PRIVATE FREUDEN Bei allen Schwierigkeiten, Missverständnissen und Ärgernissen, habe ich in den letzten Wochen jedoch auch viel Schönes erlebt.

Im November fanden die Endspiele der nationalen Fußballmeisterschaft statt. In der Fußballnation Brasilien wird das selbstverständlich groß gefeiert. Gleich in den ersten Tagen wurde mir ein Flamengo T-Shirt geschenkt, so dass ich mir meinen Favoriten nicht wirklich aussuchen konnte. Da das Team aus Rio gewann, hatte ich an der Wahl jedoch nichts auszusetzen und habe eifrig mit gejubelt.

Weihnachten verbrachte ich bei einer Familie in Resende. Es war lustig für mich zu sehen, dass die Festtagsdekoration trotz Sommerwetter dieselbe ist wie in Europa: Sterne, Schneeflocken, Weihnachtsmänner. Eine weit verbreitet Tradition unter Freunden, Kollegen und Familie ist der „Amigo curto“, die brasilianische Julklapp oder Wichtel Variante.

Silvester habe ich ebenfalls inmitten einer brasilianischen Familie in Rio Grande de Sul in Südbrasilien erlebt. Auf dieser Reise wurde mir die Vielfalt Brasiliens deutlich. Im Süden des Landes besteht ein großer europäischer Einfluss vor allem der deutschen und italienischen Einwanderer aus dem 18. Jahrhundert. Die Straßen sowie die gesamte Infrastruktur sind wesentlich besser organisiert und ausgebaut als in Rio; an den Stränden sieht man mindestens genauso viel verbrannte Weißgesichter wie am Mittelmeer; deutsche Ratskeller und italienische Eisdielen findet man an allen Ecken und Enden. Darüber hinaus lernte ich auch einige ortsübliche

Traditionen der Gaúchos, wie man die dort ansässigen Brasilianer nennt, kennen. So trank ich den frisch aufgebrühten Mate Tee mit dem Metallstrohhalm aus einem Flaschenkürbis und genoss mein Churrasco Fleisch vom Spieß während einer traditionellen Tanzaufführung in Stiefeltracht. Auf der Rückreise verbrachte ich einige Tage in Rio und war glücklich über das vielfältige Angebot der Großstadt sowie die Gesellschaft weltoffener Menschen. In Absprache mit allen Projektpartnern werde ich den Februar hier in Rio verbringen und täglich bei dem Angola Capoeiramestre Marrom mittrainieren. Nach dem Straßenkarneval in der brütenden Hitze Rios werden wir dann sehen, wie es in Mauá weitergeht.

Nationaler Fußballmeister Flamengo

Chimarrão (Matetee in Kürbiscabaça)

Gaúcho Tanzaufführung

Brasilianisches Weihnachten


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