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Hegel-Studien Band 14 - Meiner eLibrary · HEGEL-STUDIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission der...

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Page 1: Hegel-Studien Band 14 - Meiner eLibrary · HEGEL-STUDIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER
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HEGEL-STUDIEN

In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft

herausgegeben von

FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER

Band 14

FELIX MEINER VERLAG

HAMBURG

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar.

ISBN 978-3-7873-1478-2 ISBN eBook: 978-3-7873-3067-6 ISSN 0073-1578

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikro-verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

Inhaltlich unveränderter Print-on-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 1979, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.

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INHALT

TEXTE UND DOKUMENTE

WOLFGANG BONSIEPEN, Bochum Erste zeitgenössische Rezensionen der Phänomenologie des Geistes . . 9

KURT RAINER MEIST, Bochum Altenstein imd Gans. Eine frühe politische Option für Hegels Rechts- philosophie 39

WALTER JAESCHKE, Bochum Urmenschheit und Monarchie. Eine politische Christologie der He- gelschen Rechten 73

ABHANDLUNGEN

WOLFGANG KöNNE, Hamburg Hegel als Leser Platos. Ein Beitrag zur Interpretation des Platonischen „Parmenides" 109

OTTO PöGGELER, Bochum Hegels Verhältnis zur Archäologie 147

JOHN MC CUMBER, Toronto Hegel's philosophical languages 183

GüNTER FIGAL, Heidelberg / HANS GEORG FLICKINGER, Kassel Die Aufhebtmg des schönen Scheins. Schöne imd nicht mehr schöne Kunst im Anschluß an Hegel tmd Adorno 197

REINHARDT BRANDT, Marburg Dichotomie und Verkehrung. Zu Marx' Kritik des Hegelschen Staats- rechts 225

BERICHT

ROLF J. DE FOLTER, Rotterdam Van Ghert und der Hegelianismus in der Politik der Niederlande . . 243

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DISKUSSION

Zur gegenwärtigen Hegel-Rezeption in Spanien (MARIANO ALVARAZ-GOMEZ,

Salamanca) 279

Heine und Hegel. Stationen der Forschung (JOCHEN ZINKE, Düsseldorf) . . 295

Schelhngs Erneuerung der Metaphysik (KLAUS DüSING, Bochum) .... 312

LITERATURBERICHTE UND KRITIK

J. M. Ripalda: The divided nation (CHRISTOPH JAMME, Bochum) 319

D. Janicaud: Hegel et le destin de la Grece (JEAN-LOUIS VIEILLARD-BARON

(Tours) 325

W. Bonsiepen: Der Begriff der Negativität in den Jenaer Schriften Hegels (H. S. HARRIS, Toronto) 331

D. V. Engelhardt: Hegel und die Chemie (M. J. PETRY, Rotterdam) .... 333

N. Rotenstreich: From Suhstance to Subject (KURT RAINER MEIST, Bochum) . 340

G. W. F. Hegel: Fenomenologia dello spirito (WOLFGANG BONSIEPEN, Bochum) 347

G. W. F. Hegel: Phenomenology of Spirit (WOLFGANG BONSIEPEN, Bochum) . 352

H. P. Kainz: The unbinding of Prometheus (WOLFGANG BONSIEPEN, Bochum) 354

C. F. V. Weizsäcker: Der Garten des Menschlichen (OTTO PöGGELER, Bochum) 356

J. Schmidt: Hegels Wissenschaft der Logik und ihre Kritik durch Adolf Trendelenburg (FRIEDRICH HOGEMANN, Bochum) 358

H. Röttges: Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegels (WALTER

JAESCHKE, Bochum) 363

W. Kaminski: Zur Dialektik von Substanz und Subjekt bei Hegel und Marx (GERHARD GöHLER, Berlin) 365

U. Dierse: Enzyklopädie (OTTO PöGGELER, Bochum) 368

Hegel. The essential writings (WOLFGANG BONSIEPEN, Bochum) 370

W. R. Beyer: Denken und Bedenken (G. M. TRIPP, Berlin) 372

H. Ottmann: Individuum und Gemeinschaft bei Hegel (KLAUS ROTHE, Berlin) 380

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E. Angehrn: Freiheit und System bei Hegel (DETLEF HöRSTER, Hannover) . 384

R. Bodei: Sistema ed epoca in Hegel (SANDRO BARBERA, Pisa) 386

K. Hartmann (Hrsg.): Die ontologische Option (GERHART SCHMIDT, Bonn) . 388

Die Welt des Menschen — Die Welt der Philosophie (OTTO PöGGELER,

Bochum) 394

Der Idealismus und seine Gegenwart (KARL ALBERT, Neuss) 396

H.-D. Klein: Vernimft und Wirklichkeit (CHRISTOPH JAMME, Bochum) . . 400

International Institute of Philosophy. Varna 1973 (MANFRED BAUM, Siegen) 404

B. Hillebrand: Theorie des Romans; F. Rhöse: Konflikt und Versöhnung (CHRISTOPH JAMME, Bochum) 407

Kurzreferate und Selbstanzeigen

über M. Noro, G. W. F. Hegel (übers, v. Chiereghin), W. Goossens, C. Butler, G. W. F. Hegel (übers, v. Jonkers), L. Hahn, G. W. F. Hegel (übers, v. Chiereghin/Poletti), G. W. F. Hegel (übers, v. Moni/Cesa), L. Armour, I. Vas, K. Löwith, E. Düsing 410

BIBLIOGRAPHIE

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1977. Mit Nachträgen aus früheren Berichtszeiträumen 423

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KURT RAINER MEIST (BOCHUM)

ALTENSTEIN UND GANS

Eine frühe politische Option für Hegels Rechtsphilosophie

I.

Daß Hegels Philosophie in einem eminenten Sinne „Zeitphilosophie", genauer „preußische Philosophie" gewesen sei, dieses Urteil ist der Angelpunkt jener harten Kritik, die HAYM in seiner überaus einflußreichen Darstellung Hegels vortrug. 1 Wiewohl HAYM keineswegs als Urheber jenes Verdikts anzusehen ist, war sein Hegel-Buch doch eine der prominentesten Quellen für die seitdem geläufige und oft bis zur Gedankenlosigkeit pauschalisierte Rede vom ,preu- ßischen Staatsphilosophen' Hegel. Sucht man nach einer Orientierung innerhalb der bis heute andauernden Kontroverse um Hegels politische Philosophie, dann wird man die von HAYM und anderen gehäuften Beweise schwerlich beiseite- schieben können, wie es umgekehrt unerläßlich ist, die Gegengründe der Ver- teidiger Hegels zu prüfen. Eine ebenso große Aufmerksamkeit dürfte aber auch die Tatsache verdienen, daß jene zum Topos geronnene Identifikation Hegels mit der preußischen Politik nach 1820, sofern sie ihrerseits eine politische Wer- tung impliziert, eine eigene Geschichte hat. Denn wie z. B. schon ein flüchtiger Blick auf die Position der um die Hallischen Jahrbücher gruppierten Junghegelia- ner xmd deren Streit mit LEO zeigen kann, war eine solche Identifikation aer Hegelschen Philosophie mit den für konstitutiv gehaltenen Prinzipien des dama- ligen preußischen Staatswesens nicht inuner und in jedem Fall ein Akt poli- tischer Diskriminierung. Im Gegenteil konnte sie auch Ausdruck einer philo- sophisch-politischen Option sein, die angesichts der Gesamtsituation im Deutschen Bund die Hoffnungen auf eine freiheitliche Gestaltung der staatlichen Verhältnisse wenigstens zeitweilig von der Entwicklung in Preußen abhängig machte. ®

Wie immer aber das Urteil über das Verhältnis der Philosophie Hegels zu Preußen schließlich ausfällt, so scheint es noch heute in hohem Maße davon abhängig zu sein, wie das eigentümliche Spiel der politischen Kräfte im Preußen der Restariration tmd des Vormärz eingeschätzt wird. Selbst wenn jedoch imter

^ Vgl. R. Haym: Hegel und seine Zeit. Berlin 1857 (Nachdr. Darmstadt 1974). 357. * Vgl. dazu die materialreiche Studie von 1. Pepperle: Junghegelianische Ce-

schichtsphilosophie und Kunsttheorie. Berlin 1978. 38 ff.

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40 KURT RAINER MEIST

Hintansetzung der divergierenden und einander bekämpfenden politischen Richtungen, die sich in der Folge je verschieden auf Hegel beriefen, schlüssig erwiesen werden könnte, daß Hegel und seine Anhänger tatsächlich nichts ande- res als eine grundsätzliche Konformität mit den faktischen politischen Verhält- nissen erstrebten, bleibt umgekehrt noch immer die Frage offen, ob hier in einer historisch angemessenen Weise von einem preußischen Staat die Rede sein kann, der sich als solcher zu einem derartigen Bündnis mit der ihm angetragenen philosophischen Theorie jemals bereitgefunden und es wirklich vollzogen hat. Achtet man auf die komplizierte und keineswegs leicht zu überschauende Geschichte Preußens nach 1815, deren Phasen oft in verwirrender Weise inein- ander übergingen, dann wird man eher dazu gedrängt, den Umgang mit abstrak- ten Pauschalbegriffen aufzugeben, um stattdessen die nachweisbaren Schnitt- pimkte von Philosophie und historischer Wirklichkeit zu ermitteln. Auch im Falle der politischen Philosophie Hegels und ihrer verwickelten Wirkungs- geschichte hat es nur wenig Sinn, wenn man mit naivem Vertrauen auf die Brauchbarkeit herkömmlicher Schemata dabei verharrt, den historischen Hinter- grund möglichst zu vereinfachen und die Schlagworte vergangener politischer Auseinandersetzungen unbesehen für die Wirklichkeit zu nehmen. “

Versteht man also, was zweifellos mit den Intentionen des Urhebers überein- stimmt, das einleitend zitierte Urteil HAYMS als Ausdruck einer eigenen politi- schen Stellungnahme, die vor allem unter Eindruck des Scheiterns der national- liberalen Bestrebungen in der Revolution von 1848 formuliert wurde, * so resü- miert es zugleich nichts anderes als eine Polemik, die seit dem Erscheinen der Philosophie des Rechts (1821) gegen Hegel auftrat und dessen rechtsphiloso- phische Konzeption mit der offiziellen Politik Preußens während der Restau- ration in Übereinstimmung sah. ® Allerdings wäre es vordergründig, wollte man HAYMS Kritik allein auf die ephemere Konfrontation politischer Parteiungen zurückführen. ® HAYMS Angriff ging in letzter Instanz auf jene in der Philo- sophie des Rechts angegebene Bestimmung der Philosophie zurück, wonach diese die durch Vernunft zu vollziehende „Versöhnung mit der Wirklichkeit"'' zu

* Eine aufschlußreiche Revision der Wirkungsgeschichte von Hegels politischer Philosophie, insbesondere der eingebürgerten Einschätzung der sog. Hegelschen Rechten, unternimmt H. Lübbe: Politische Philosophie in Deutschland. München 1974. 27 ff.

* Zur politischen Biographie Hayms vgl. H. Rosenberg: Rudolf Haym und die Anfänge des klassischen Liberalismus. München und Berlin 1933. (Beiheft 31 der Historischen Zeitschrift.)

® Vgl. zur Geschichte dieser Kritik M. Riedels Einleitimg in: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Hrsg. v. M. Riedel. Bd 1. 17 ff.

® Zur Auseinandersetzung mit Haym vgl. 7. Ritter; Hegel und die französische Revolution. In: Ritter; Metaphysik und Politik. Frankfurt/Main 1969. 183—192.

’’ G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 1967 (Philosophische Bibliothek. Bd 124 a.) 16.

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Altenstein und Gans 41

leisten habe, die jedes „Belehren, wie die Welt sein soll" ® ausschließt. Zweifel- los stellt dieser vielzitierte Leitgedanke in gedrängtester Form den systematischen Ausgangspunkt der politischen Philosophie Hegels dar, doch wäre es verfehlt, darin nichts anderes als die Äußerung eines persönlichen Opportunismus mit dem (theoretisch durchaus irrelevanten) Ziel, politisches Wohlverhalten zu demonstrieren, erblicken zu wollen. HAYM war sich vielmehr genauestens bewußt, daß jene von Hegel definierte Stellung der Philosophie zur Wirklichkeit in dem systematischen Grimdgedanken der Hegelschen Metaphysik, dem wissen- schaftlichen Erweis der Wesenseinheit von Denken und Sein, Vernunft und (geschichtlicher) Wirklichkeit gründete. Die Freisetzung der darin implizierten politischen Konsequenzen bzw. die Applikation des theoretischen Potentials auf die aktuelle Selbstverständigung der politisch Handelnden erfolgte aber keines- wegs in direktem Anschluß an die spekulative Explikation der absoluten Idee, sondern wurde vermittelt durch eine in der Folge divergierende Auslegung der Geschichtsphilosophie Hegels. Wie im folgenden am Beispiel E. GANS', des brillantesten und politisch wirksamsten Schülers Hegels, im Umriß zu zeigen sein wird, bezeichnet gerade die konsequente Rezeption und Weiterentwick- lung der Geschichtsphilosophie, genauer dessen, was innerhalb derselben ,Wirk- lichkeit' und ,geschichtliche Gegenwart' bedeutet, schon zu Lebzeiten Hegels den Anfang einer positiven politischen Aktualisierung des Hegelschen Idealismus. Und der Streit um Hegels Lehre von Staat und Geschichte wurde nach der Spaltung der Hegel-Schule in eine Rechte und Linke schließlich zum bestimmen- den Moment der politisch-philosophischen Fraktionierungen. Der Streit um die politische Konformität der Hegelschen Philosophie war aber bekanntlich schon zu Lebzeiten Hegels entbrannt; und es waren nicht die liberalen Gegner des preußischen Restaurationssystems, welche dieser Kontroverse ihre eigentümliche Intensität verliehen. ® Von Anfang an sahen sich die Apologeten Hegels in der schwierigen Situation, die Angriffe aus dem Lager der Reaktion dadurch abzu- weisen, daß sie selber eine Interpretation der offiziellen Politik Preußens unter- nahmen, welche die offenen Divergenzen zwischen Hegels Staatslehre und dem herrschenden System aus dem transitorischen Zustand des preußischen Staats- wesens selbst ableitete. Die insbesondere von GANS ausgebildete These, die Wahrheit der Hegelschen Philosophie werde erst durch eine konsequente poli- tische Realisierung der ,eigentlichen' Prinzipien Preußens erwiesen werden, ver- mied die offene Entzweiung mit dem faktischen Staatswesen und widersprach doch zugleich jenen, die die preußische Monarchie der Restauration vor einer solchen, von der politisch gewordenen Geschichtsphilosophie proklamierten Ent- wicklung bewahren wollten.

« Ebd. 17. • Vgl. die Kritik von Schubarfh/Carganico (1829) sowie die weiteren Streitschriften,

die Hegels Konzeption im Widerspruch zur preußischen Monarchie sahen, in: M. Riedel (Hrsg.): Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Bd 1. 209—319.

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Hegel selbst hat allerdings die Erwartungen auf eine prinzipielle Erklärung seiner eigenen politischen Stellungnahme in einer eigentümlichen Weise beant- wortet. Der bekannte Kommentar zur vielfältig diskutierten Formel von der Vernünftigkeit des Wirklichen, den er in die Einleitung zur zweiten Auflage der Enzyklopädie (1827) eingerückt hatte, läßt durch den Hinweis auf den in der Logik entwickelten Begriff der Wirklichkeit jedenfalls unzweideutig erkennen, daß der Phüosoph Hegel nicht gewillt war, seinen Entwurf einer Rechts- und Geschichtsphilosophie auf eine persönliche politische Option zu reduzieren. Ebensowenig wird aber durch die betreffende Stelle ausgeschlossen, daß im Aus- gang von der logisch-spekulativen Bestimmung dessen, was vernünftige Wirk- lichkeit heißen darf, ein politisches Bewußtsein sich konstituiert. Wie der anläß- lich der Überreichung der Philosophie des Rechts entworfene Brief an HARDEN-

BERG vielleicht am besten erkennen läßt, wollte Hegel sich als vom Staat bestall- ter Lehrer der Philosophie freilich nur für die durch Philosophie legitimierte Form eines solchen Bewußtseins zuständig wissen. Sein hier angedeutetes, in der Auslegung freilich problematisches, Angebot an das preußische Staatswesen, das soeben unter der Leitung des Reformpolitikers HARDENBERG in die Phase der Restauration eingetreten war, lautet dahin, eine Bildung politischen Bewußtseins zu fördern, das selbst in der Erkenntnis des Vernunftgemäßen der Gegenwart gründet und durch solche Erkenntnis die Politik nicht am faktischen Geschehen, sondern an dem fortschreitenden Wissen über das Wirklichwerden der Vernunft orientiert.

Bei den im folgenden mitgeteilten Dokumenten zur Berufung E. GANS' zum Ordinarius an der Berliner Universität handelt es sich in der Hauptsache um ein Gutachten des Kultusministers ALTENSTEIN über die wissenschaftlichen Differen- zen zwischen der historischen Rechtsschule und der rechtsphilosophischen Posi- tion GANs'/Hegels. Diese Aktenstücke haben nicht den Zweck, die verschlungene Geschichte der politischen Optionen Hegels aufzuklären, deren letzte unstreitig eine solche für Preußen gewesen ist. Dagegen könnten — in Umkehrung der geläufigen Fragestellung — aus den vorgelegten Materialien erste Anhaltspunkte zur Beantwortung des Problems gewonnen werden, wie weit und in welchem Sinne die preußische Staatsleitimg ihrerseits gesonnen war, eine entsprechende Option für die Hegelsche Philosophie zu vollziehen. Daß Hegel auf ein derar- tiges Einvernehmen bedacht tmd es ihm gelungen war, das von ALTENSTEIN ge- führte Kultusministerium auf seine Seite zu ziehen, ist bekannt imd bedarf keines Nachweises. Doch wäre es historisch naiv, wollte man das Ministerium ohne weiteres mit der preußischen Monarchie gleichsetzen. Ein flüchtiger Blick

Vgl. G. W. F. Hegel; Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Hrsg. v. F. Nicolin und O. Pöggeler. Hamburg 1959 u. ö. (Philosophi- sche Bibliothek. Bd 33.) 38 f.

Vgl. Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Bd 2. 241 f. Vgl. O. Pöggeler: Hegels Option für Österreich. Die Konzeption korporativer

Repräsentation. In: Hegel-Studien. 12 (1977), 83—128.

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auf die prettßische Geschichte während des betreffenden Zeitraumes kann leicht davon überzeugen, daß Hegels Philosophie ihre Präponderanz einer relativ klei- nen Gruppe der politisch Handelnden verdankte, von deren Einfluß sie selbst abhängig blieb. Gleichsam im Ausschnitt zeigen gerade die Vorgänge um die Einsetzung GANS' als Ordinarius der juristischen Fakultät die riskante Stellimg ALTENSTEINS, der nur unter äußerster Aufbietung seines taktischen Geschicks den Widerstand SAVIGNYS und des Kronprinzen zu umgehen vermochte. Andererseits mußte der Minister in diesem Falle wie auch sonst bei seinem unbeirrten Ein- treten für Hegels Philosophie sich der breiten Opposition von seiten der bürger- lichen Intelligenz bewußt sein, auf deren kaum zu unterschätzende Gegenwir- kung ROSENKRANZ 1844 hinwies: „Eine bis zur Unversöhnlichkeit sich steigernde Antipathie gegen ihn [sc. Hegel] setzte sich bei Allen fest, welche der KANTI-

schen, der jACOBi'schen, der DE WETTE-ScHLEiERMACHEK'schen und der nationalen Richtimg angehörten."

So verliert bei näherer Betrachtung der historischen Umstände die Rede vom ,preußischen Staatsphilosophen' viel von ihrer Eindeutigkeit, während anderer- seits die Frage in den Vordergrund tritt, wie die Motive derjenigen beschaffen waren, die in dieser Philosophie ihren eigenen politischen Weg vorgedacht und legitimiert finden mochten. Zehn Jahre nach Hegels Tod, nach der Spaltung der Hegelschen Schule und mitten im Streit über die politische Bedeutung Hegels bezweifelte der junge ENGELS rückblickend, daß die „Autorität", welche Hegel und seine Schule stützte, die eigentlichen (nämlich progressiven) Konsequenzen dieser Philosophie überhaupt erkannt habe. Seine aufschlußreiche, wiewohl knappe Situationsanalyse enthält zwei Hinweise, die im Blick auf die folgenden Aktenstücke von Bedeutung sind. Der eine betrifft die rätselhafte Position ALTENSTEINS, dem ENGELS zubilligt, daß er, „freilich noch aus einer liberaleren Zeit herstammend, einen höheren Standpimkt behauptete", so daß ENGELS sich die Frage vorlegt, ob „alles auf seine Rechnung kam". Der zweite Hinweis deutet auf den Umstand, daß Hegels Lehre ihre politische Wirkung weniger ihrem spekulativen Eigengewicht verdankte, als vielmehr der theoretischen Ver- arbeitung durch Schüler, die den Schnittpunkt der Doktrin mit dem politischen Geschehen allererst definierten: „STRAUSS auf theologischem, GANS und RüGE auf politischem Felde werden epochemachend bleiben. Erst jetzt zerteilen sich die matten Nebelflecke der Spekulation in die leuchtenden Ideensterne, die der Bewegung des Jahrhunderts vorleuchten sollen."

Selbstverständlich können die Probleme der (politischen) Wirkungsgeschichte Hegels durch die hier mitgeteilten Dokumente nicht gelöst werden. Sie erhärten aber ENGELS' Verdacht, daß ALTENSTEIN (1) zumindest einige der impliziten Kon- sequenzen der Hegelschen Rechts- und Geschichtsphilosophie sehr wohl gesehen

K. Rosenkranz: G. W. F. Hegel's Leben. Berlin 1844. 336. F. Engels: Ernst Moritz Arndt. In: MEW. Ergänzungsband, Teil 2.124.

“ Ebd.

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44 KURT RAINER MEIST

und sogar in seine eigene politische Konzeption aufgenommen hat und daß (2) die betreffenden Hegelschen Lehrstücke schon relativ früh durch GANS eine spezielle Auslegung erfahren hatten, die — wie der Widerstand der Kronprin- zenpartei gegen ihn deutlich zeigt — im Konflikt mit dem restaurativen Selbst- verständnis des Hofes stand und ihrerseits philosophisch-politische Elemente für eine progressive Auffassung des preußischen Staates enthielt.

II.

Die nachstehend erstmals veröffentlichten Dokumente stammen aus dem bis vor kurzem unbekannten Privatnachlaß des preußischen Staatsministers Freiherr KARL VOM STEIN ZUM ALTENSTEIN (1770—1840). Dieser Nachlaß befindet sich heute zusammen mit der Hauptmasse des Familienarchivs im Besitz des Staatsarchivs zu Bamberg. Die im folgenden herangezogenen Aktenstücke bilden ein geschlossenes Faszikel, das ausschließlich Dokumente über die Bestallimg E. GANS'

zum Ordinarius der juristischen Fakultät der Universität Berlin (1828/29) enthält. Da M. LENZ den gesamten Vorgang in seiner Geschichte der Universität ausführlich dargestellt hat, kann an dieser Stelle auf eine Wiederholung ver- zichtet werden; für Einzelheiten sei generell auf LENZ' Bericht verwiesen. Die einschlägigen Aktenstücke aber, die LENZ abdruckt, können durch den neuen Fund wesentlich ergänzt werden, zumal durch Schriftstücke, welche die politischen Hintergründe des Streites um GANS, insbesondere die Stellung des Ministers und sein Verhältnis zu der von GANS vertretenen philosophischen Position, aller- erst sichtbar werden lassen. Überall dort, wo in der folgenden Aufstellung ein Hinweis auf LENZ' Aktenpublikation fehlt, handelt es sich um Stücke, die sich in dem Nachlaßfaszikel befinden.

Zunächst liegt die Kabinettsordre des Königs vom 15.11.1828 (Abschrift von Schreiberhand) vor, durch die ALTENSTEIN förmlich zur Ernennung GANS'

ermächtigt wird (bei LENZ weder abgedruckt noch erwähnt). Nachdem SAVIGNY

Herrn Oberarchivrat Dr. K. H. Mistele bin idi für den ersten Hinweis auf die Existenz dieses Nachlasses sowie seinen sachkundigen Rat zu Dank verpflichtet. Dieser Dank gilt auch dem Direktor des Staatsarchivs Dr. Freiherr von Andrian- Werburg für sein großzügiges Entgegenkommen bei der Bearbeitung der Bestände und die Erteilung der Veröffentlichungserlaubnis. Vorliegende Abhandlung ist, wie auch die Veröffentlichung von Walter Jaeschke in diesem Bande, Teil der wissenschaftlichen Erschließung des Nachlasses v. Altenstein, die inzwischen als Teilprojekt des Sonder- forschungsbereichs „Wissen und Gesellschaft im 19. Jahrhundert" an der Ruhr- Universität Bochum unternommen wird.

Vgl. M. Lenz: Ceschidife der Königlichen Friedridi-Wilhelms-Universität zu Berlin. Bd 2, 1. Hälfte. Halle 1910. 390 ff.

“ Vgl. Lenz. Bd 4. 512 ff.

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seine Drohung, aus den Geschäften der Fakultät auszuscheiden, in seinem Schreiben an den Minister vom 29.12. 28 wahrgemacht hatte (ALTENSTEINS

Antwort befindet sich als Abschrift ebenfalls im Nachlaß), sah sich der Kron- prinz veranlaßt, energisch einzugreifen, um den Minister womöglich zur Ände- rung seines Vorhabens zu drängen. Dieser Brief vom 8.1. 29 ist für das Ver- ständnis des ganzen Streites von besonderer Bedeuttmg, weil er in aller Deut- lichkeit die politischen Motive des Kronprinzen erkennen läßt. Es geht um die Verunglimpfxmg der ,historischen Schule' durch GANS, genauer derjenigen poli- tisch-rechtswissenschaftlichen Richtung die „so bezeichnend dasjenige Streben ehren sollte, was unserer Zeit und unserm Lande in Kirche, Staat und Jurispru- denz so vorzüglich not tut". Vor allem diese Stelle dürfte es gewesen sein, die ALTENSTEIN zur Abfassung seines Gutachtens veranlaßte tmd gegen die er seine ganze Argumentation richtete. — Warum aber ALTENSTEIN mit der Abfassung mehr als ein halbes Jahr zögerte, deutet das ebenfalls in Kopie vorhandene Begleit- schreiben zum Gutachten vom 8. 7. 29 an: es waren nicht allein taktische Rück- sichten, wie LENZ annimmt, sondern der 1829 erfolgte Tod des einzigen Sohnes ALTENSTEINS sowie eine Erkrankimg des Ministers. Zu dem Gutachten gehören außerdem zwei Exzerpte aus GANS' Schriften, die ALTENSTEIN offenbar für die Abfassung seines Gutachtens anfertigen ließ imd zwei Stellen betreffen, die der Kronprinz in seinem Beschwerdebrief moniert hatt: „Extract aus Dr. GANS System des Römischen Civilrechts. S. 164—167" (vier Seiten in Quart- format) sowie „Extract aus Dr. GANS Erbrecht. Band 2. S. 292—293" (drei Seiten in Quartformat).

Das Gutachten ist in zweifacher Ausfertigung von verschiedenen Schreib- händen vorhanden; die Entstehungszeit kann aus den eigenhändigen Rand- bemerktmgen des Ministers ermittelt werden. Die erste umfaßt 7^/2 halbseitig beschriebene Seiten in Folio und wurde am 6. 7. 29 niedergeschrieben sowie zur abermaligen Abschrift unter Berücksichtigung der eigenhändigen Korrekturen des Ministers angewiesen, die diesmal im Umfang von 10^/2 Quartseiten ausgefertigt wurde. Auch diese Fassimg (vom 7. 7. 29) wurde noch einmal vom Minister selbst (im wesentlichen stihstisch) überarbeitet, um schließlich — nach einem Rand- vermerk ALTENSTEINS — am 8. 7. 29 zusammen mit dem Begleitbrief in endgülti- ger Fasstmg an den Kronprinzen abzugehen. Abgesehen von stilistischen Ände- rungen unterscheidet sich die zweite von der ersten Fassung nur durch den Weg- fall eines Schlußpassus, der beim vorliegenden Abdruck in einer Fußnote zum Text mitgeteilt wird. Alle übrigen Änderungen sind im wesentlichen stilistischer Natur und haben glättenden Charakter, sie werden deshalb nicht im einzelnen verzeichnet.

Vgl. Savignys Antwort vom 29.12. 28 auf Gans' Versöhnungsversuch, ebd. 513. « Ebd. 514 f. « Ebd. 516 f. “ Ebd. 516 f. •• Lenz; Ceschidife der Universität. Bd 2, 1. Hälfte. 392.

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Schließlich befindet sich im Nachlaß eine Abschrift der Verfügung des Ministers an die Fakultät (7. 7. 29), imverzüglich die Aufnahme von GANS ZU

vollziehen, sowie ein eigenhändiges Dankschreiben von GANS an den Minister vom 25.10. 29.

Da im gegenwärtigen Zusammenhang die von ALTENSTEIN formulierte politisch- philosophisdie Stellungnahme von Interesse ist, wird nur das Gutachten ohne die zugehörigen Schriftstücke, die mehr von universitätsgeschichtlicher Bedeu- tung sind, mitgeteilt — und zwar in der zweiten verbesserten Fassung, wobei ALTENSTEINS Änderungen stillschweigend in den Text eingearbeitet werden. Das Gutachten hat keine Überschrift und lautet folgendermaßen:

Da zur Sprache gekommen ist, worin die Meinungen und Ansichten der historischen Schule und die des Professors GANS, namentlich in Beziehung auf Recht imd Rechtswissenschaft verschieden sind, so dürfte Nachstehen- des dazu dienen das Verhältniß näher zu bezeichnen [.] Die historische Schule und der Professor GANS sind darin vollkommen einverstanden und können als gemeinschaftliche Sache machend angesehen werden, wenn es darauf ankommt die Bestrebungen in der Rechtswissenschaft zu beurtheüen, wie sie etwa gegen das Ende des vorigen imd gegen den Anfang dieses Jahrhunderts im Schwange waren. Beide erklären sich auf das Lebhafteste gegen die apriorische Behandlung des Rechts, welche absehend vom bestehenden imd Geltenden, willkührliche Traumgebilde verfolgte, und aus Unkenntniß des Positiven, ein Vorurtheil gegen das selbige erregte.

Der Professor GANS theilt ferner die Meinung der historischen Schule, daß nur durch ein gründliches quellenmäßiges Studium Heil für die Rechtswissenschaft zu erwarten sei, vollkommen. Er erkennt die Ver- dienste welche sich die historische Schule um dieses Studium erworben hat, nicht allein an, sondern behauptet sogar selbst in den Schriften, worin er sich anscheinend am polemischsten gegen dieselbe erklärte, diese Anerkennung offen und bestimmt an den Tag gelegt zu haben.

Wenn aber auch sonach die historische Schule und der Professor GANS

einen gemeinschaftlichen Ausgangspunct haben, so hat der letztere geglaubt noch weiter gehen zu dürfen. Nach seiner Ueberzeugung läßt selbst die gründlichste und quellenmäßigste Ausmittelung dessen was bestanden und gegolten hat, noch immer den Wunsch zurück, auch mit dem Geiste der Vergangenheit vertraut zu sein. Solange dieser den Thatsachen inwohnende Geist nicht klar geworden ist, sind diese That- sachen immer noch dem Verdachte ausgesetzt Misbräuche zu seyn, und selbst die bestimmte Nachweisung des äußern Causalnexus wehrt die Vorstellung nicht ab, daß hier bloße Zufälligkeiten vorgewaltet hätten.

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Altenstein und Gans 47

Damit das Geschichtliche daher, wie es ihm gebührt, zu Ehren kom- men [kann], darf es nach der Ansicht des Professor GANS nicht bloß erzält und ausgemittelt, sondern es muß gegen die Vorurtheile die in der Regel die Vergangenheit er | regt, vertheidigt werden. Dadurch allein kann nach seiner Meinung der revolutionäre Geist, der Trieb des Um- stürzens des Bestehenden, abgewandt tmd bekämpft werden, und es läßt sich behaupten daß er dadurch allein auf die gründliche Weise bekämpft worden sey, daß der Geist, der in den Thatsachen lebte, aus [dem] Innern derselben hervorgehoben, und damit eben die revolu- tionären Bestrebungen lücht blos als verderblich, sondern auch als ober- flächlich und seicht aufgewiesen werden. Diese Bemühtmg in das Innere der Thatsachen einzudringen, kann man wohl auch Philosophie der Geschichte nennen. Das Vorurtheil, welches im Allgemeinen gegen die Philosophie herrscht, scheint dadurch vollkommen gerechtfertigt, daß man bei diesem Namen in der Regel an die zerstörende und atheistische Philosophie des vorjigen Jahrhunderts denkt, die auch wohl noch in das jetzige hinein Wurzeln geschlagen hat. Aber mit dieser hat die heutige Philosophie bloß den Namen gemein in dem Sinne, wie etwa die Geschichte der Gegenwart tmd die Geschichte der Revolution, beides Geschichte heißt. Die heutige Philosophie hat grade das Ihrige redlich, und wie nachgewiesen werden kann, nicht ohne Erfolg dazu beigetra- gen die trüben und unsinnigen Erscheinungen der nächsten Vergangen- heit aus allen Kräften zu bekämpfen, indem sie die Vernünftigkeit des Wirklichen, Bestehenden tmd Geltenden in ein klares Licht gestellt hat.

Bis hieher wäre aber noch gar nicht von einer Divergenz der histo- rischen Schule mit der Ansicht des Professors GANS die Rede. So wenig der Professor GANS die Notwendigkeit | eines gründlichen Quellenstudiums in Abrede stellt, so wenig wird die historische Schule läugnen, daß es vornemlich darauf ankomme den Geist der historischen Thatsachen zu erkennen. Die Verschiedenheit beider Meinungen tritt aber umso be- stimmter hervor, jemehr von der Anwendung dieser Grundsätze auf das rechtsgeschichtliche Studium und auf das geltende Recht die Rede ist.

Zuvörderst glaubt der Professor GANS, daß der Begriff der Rechts- geschichte bei ims erweitert werden, und die Rechtsgeschichte aller Völker umfassen müsse. Es ist nach seiner Meimmg nicht abzusehen, wanun der Rechtsgeschichte nicht derselbe Umfang wie bei allen an- deren historischen Diciplinen zugestanden werden dürfe. | Die historische Schule scheint inzwischen, theils durch spätere Aeusserungen, theils durch Arbeiten in diesem Sinne, die Richtigkeit der vom Professor GANS

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aufgestellten Ansicht gleichfalls zugegeben zu haben wie z. E. in VON

SAVIGNY Vorrede zur zweiten Ausgabe des Berufs in unserer Zeit für Gesetzgebiuig und KLENZE über Cognatum und Affinen in der Zeitschrift f[ür] ges[amte] Rechtsw[issenschaft] VI. .1

Die Divergenz beyder Ansichten ist aber noch größer in Beziehung auf das geltende Recht, so glaubt der Professor GANS, daß wenn das, was in der Vergangenheit gegolten hat, auf Achtung und Würdigung Anspruch machen dürfe, in gleichem Maaße dies von der Gegenwart gesagt werden müsse.

Die Gegenwart gehört ihm nicht minder zur Geschichte wie | die Ver- gangenheit. Wenn die Geschichte der Vergangenheit auch als Erläutenmg für die heutige Zeit zu benützen ist, so hat doch die Gegenwart wesent- lich Anspruch, in ihrer Selbstständigkeit betrachtet zu werden. So wenig angenommen werden kann, daß sich die Gegenwart durch sich selbst tmd ohne Beziehxmg auf die Vergangenheit hervorgebracht hat, so weiüg kann doch auch geläugnet werden, daß das Heutige von dem Gestrigen rmterschieden ist, wäre es auch nur durch den natürlichen Fortschritt, der in allen menschlichen Dingen liegt. Es wird also die Gegenwart nicht bloß in ihrem Werden durch die Vergangenheit, son- dern auch in ihrem Unterschiede, von derselben darzustellen seyn. So wird zum Beispiel bei der Lehre von den Verträgen nicht bloß von den| formellen römischen Unterschieden zwischen contractus und pactum zu sprechen seyn, sondern es wird auch gezeigt werden müssen, warum solche Unterschiede jetzt nicht mehr bestehen und bestehen können.

Die historische Schule hält mm bloß an einer dieser nothwendigen Betrachtimgsweisen fest, und erklärt die Gegenwart lediglich durch die Vergangenheit; der Professor GANS erklärt die Gegenwart durch die Vergangenheit tmd durch sie selbst, tmd glaubt, daß nur durch diese Vereinigung ein wahres Resultat entstehe, denn eben so wie der, welcher das Gewordene von seiner Wurzel ablösen will sich revolu- tionär gegen das bestehende erklärt, eben so würde man es in einem gewissen Sirme als auf den Umsturz des Bestehenden abgesehen betrachten köimen, wenn | man in dem Gewordenen und Entwickelten nicht es selbst sondern nur die Wurzel erblicken wollte. In diesem Sinne hat der Professor GANS in der Vorrede zu einer früheren Schrift die geg- nerische Ansicht demagogisch genarmt, ein Ausdruck, den er übrigens jetzt als ungeziehmend anerkennt, wenn auch das, was er ursprüng- lidi damit meinte, sich durch Vorstehendes erklärt.


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