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Hegel-Studien Band 10 - meiner-elibrary.de · HEGEL-STUDIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission...

Date post: 30-Aug-2019
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HEGEL-STUDIEN

In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft

herausgegeben von

FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER

Band 10

FELIX MEINER VERLAG

HAMBURG

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar.

ISBN 978-3-7873-1474-4 ISBN eBook: 978-3-7873-3065-2ISSN 0073-1578

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikro-verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

Inhaltlich unveränderter Print-on-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 1975, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.

INHALT

TEXTE UND DOKUMENTE

Hegels Vorlesungsnotizen zum subjektiven Geist Eingeleitet und herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN, Bonn, und HELMUT SCHNEIDER, Bochum ll

FRIEDHELM NICOLIN, Bonn Hegel über konstitutionelle Monarchie. Ein Splitter aus der ersten Rechtsphilosophie-Vorlesung 79

MANFRED BAUM, Siegen/KuRx MEIST, Bochum Politik und Philosophie in der Bamberger Zeitung. Dokumente zu Hegels Redaktionstätigkeit 1807—1808 87

„Hegel war mein Freund". Johann Martin Daniel Wohlfahrt und Hegel. Eine Mitteilung von GüNTHER NICOLIN, Königswinter 129

ABHANDLUNGEN

HELMUT SCHNEIDER, Bochum Anfänge der Systementwiddung Hegels in Jena 133

JOHANN HEINRICH TREDE, Essen Phänomenologie und Logik. Zu den Grundlagen einer Diskussion . . 173

JERE PAUL SURBER, The Pennsylvania State University Hegel's Speculative Sentence 211

THEODORE F. GERAETS, Ottawa Les trois lectures philosophiques de l'Encyclopedie ou la realisation du concept de la philosophie chez Hegel 231

DIETER WANDSCHNEIDER, Tübingen Räumliche Extension und das Problem der Dreidimensionalität in Hegels Theorie des Raumes 255

DISKUSSION

Dialektik und transzendentale Pragmatik. Versuch einer Kritik des Hege-

lianismus in Apels Transformation der Philosophie (ANNEMARIE GETH-

MANN-SiEFERT, Bochum) 275

LITERATURBERICHTE UND KRITIK

Das älteste Systemprogramm. Studien zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus. Hrsg, von R. Bubner (HENRY S. HARRIS, Toronto) . . . 299

H. Hegel: Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel (JüRGEN

SöRiNG, Bonn) 306

O. Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes (L. BRUNO

PuNTEL, München) 313

Materialien zu Hegels „Phänomenologie des Geistes". Hrsg, von H. F. Fulda und D. Henrich (WIM VAN DOOREN, Utrecht) 318

D. J. Cook: Language in the philosophy of Hegel (HANS MARTIN SASS,

Bochum) 320

St. Rosen: G. W. F. Hegel. An Introduction to the Science of Wisdom (OTTO PöGGELER, Bochum) 322

W. Krohn: Die formale Logik in Hegels „Wissenschaft der Logik" (KLAUS

DüSING, Bochum) 326

B. Taureck: Mathematische und transzendentale Identität (AXEL PITT,

Freiburg) 329

W. Marx: Hegels Theorie logischer Vermittlung (FRIEDRICH HOGEMANN,

Bochum) 332

H. Krumpel: Zur Moralphilosophie Hegels (KURT MEIST, Bochum) . . . 34l

K.-H. Nusser: Hegels Dialektik und das Prinzip der Revolution (HELMUT

ScHNEroER^ Bochum) 346

R. Plant: Hegel (MICHAEL J. PETRY, Rotterdam) 350

J. Ritter: Subjektivität (JOSEPH WäCHTER, Bochum) 352

J. Habermas/D. Henrich: Zwei Reden. Aus Anlaß der Verleihung des Hegel-Preises 1973 (ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT, Bochum) .... 355

B. De Giovanni: Hegel e il tempo storico della societä borghese (GIACOMO

MARRAMAO, Frankfurt) 357

A. Chapelle: Hegel et la religion (JöRG SPLETT, Offenbach) 370

K. Krüger: Der Gottesbegriff der spekulativen Theologie; H. Knudsen: Gottesbeweise im deutschen Idealismus (WALTER JAESCHKE, Bochum) 373

E. Schmidt: Hegels System der Theologie (KARL ALBERT, Neuss) .... 382

W. Beierwaltes: Platonismus und Idealismus (JEAN-LOUIS VIEILLARD-BARON,

Tours) 384

Hegel-Jahrbuch 1971. Hrsg, von W. R. Beyer (ULRICH DIERSE, Bochum) . . 390

Hegel. A collection of critical essays. Ed. by A. Maclntyre (JOSEPH WäCH-

TER, Bochum) 396

The Legacy of Hegel. Proceedings of the Marquette Hegel Symposium 1970. (WOLFGANG BONSIEPEN, Bochum) 398

Hegel-Bilanz. Hrsg, von R. Heede und J. Ritter; Hegel in der Sicht der neueren Forschung. Hrsg, von I. Fetscher (ROLF P. HORSTMANN, Biele- feld) 406

Kurzreferate über M. Riedel, R. Marcic, M. Reding, E. Grassi, H. Mayer, E. Weil, K. Schümm von LUCIA SZIBORSKY, WALTER JAESCHKE, JOSEPH

WäCHTER, OTTO PöGGELER, FRIEDHELM NICOLIN 412

BIBLIOGRAPHIE

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1973. Mit Nachträgen aus früheren Berichtszeiträumen 419

FRIEDHELM NICOLIN (BONN)

HEGEL ÜBER KONSTITUTIONELLE MONARCHIE

Ein Splitter aus der ersten Rechtsphilosophie-Vorlesung

Wenn Hegel von Zeitgenossen und Späteren als Typus des Universi- tätsphilosophen, des beamteten Philosophie-Professors bezeichnet wur- de, so geschah dies bekanntlich in zugespitzter polemisch-kritischer Absicht. Fragt man nach der Berechtigung oder dem sachlichen Ansatz- punkt der hier zum Ausdruck kommenden Kritik, so rückt sogleich auch ein für Hegel charakteristisches Positivum in den Blick: die enge und anhaltende Verbindung von denkerischer Arbeit und lehrender Vermitt- lung. Seit Beginn seiner Dozententätigkeit in Jena war die Mühe, die He- gel auf die Durchklärung des philosophischen Systems und einzelner Systembereiche verwandte, immer wieder unmittelbar bezogen auf die konkreten Lehraufgaben, vor die er sich an Universität und Gymnasium gestellt sah oder die er seinerseits sich hier stellte.

So kann es nicht wundernehmen, daß zwei der wenigen Bücher, die Hegel veröffentlichte, Enzyklopädie und Philosophie des Rechts, in der Form eines Leitfadens „zum Gebrauch für seine Vorlesungen" geschrie- ben sind. Interessant aber ist, daß er diese Bücher nicht erst nach erfolgter Publikation für seine Lehrtätigkeit heranzog, sondern daß beide Werke gewissermaßen aus dem Prozeß des Unterrichtens herausgewachsen sind. Zu dem in kurze Paragraphen gefaßten Text beider Lehrbücher hat eine bereits durchgestaltete frühere Version existiert, die Hegel schon, bevor er die Bearbeitimg zum Druck aufnahm, im Philosophieunterricht bzw. Universitätskolleg zugrundelegte.

Für die Enzyklopädie war diese Tatsache seit langem — nämlich seit der von ROSENKRANZ besorgten Ausgabe der Philosophischen Propädeutik (1840) ^ — bekannt. Leider ist infolge einer in mancherlei Hinsicht nicht als authentisch zu betrachtenden Redaktion der entwicklungsgeschicht- liche Wert der hier dargebotenen Nürnberger Enzyklopädie-Texte nur

* G.W.P. Hegel; Werke. Band 18: Philosophische Propädeutik. Hrsg. v. K. Rosen- kranz. Berlin 1840. — Der Cursus für die Oberklasse des Gymnasiums enthält als 2. Abteilung (146—205) den Text: „Phllosophlsdie Enzyklopädie"; er umfaßt 208 Paragraphen.

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ein eingeschränkter, und die handschriftlichen Quellen selbst sind nicht erhalten.

Eine vergleichbare Frühfassung der Rechtsphilosophie ist in ihrem vol- len Wortlaut erst vor kurzem der Öffentlichkeit zugänglich geworden. Es handelt sich um eine von dem bekannten Juristen CARL GUSTAV HOMEYER

(1795—1874) hinterlassene Mitschrift der Vorlesung, die Hegel unter dem Titel Naturrecht und Staatswissenschaft in seinem ersten Berliner Semester, also im Winter 1818/19, gehalten hat. Das Manuskript- fügt sich in seinem ganzen Verlauf aus zwei deutlich voneinander abheb- baren „Schichten" zusammen: 1) den von Hegel Wort für Wort diktier- ten und von seinem Zuhörer ebenso mitgeschriebenen Paragraphen, 2) den anschließenden, frei vorgetragenen Erläuterungen, die nur in lok- keren, stichwortartigen Notizen festgehalten sind.

KARL-HEINZ ILTING hat diese Kollegnachschrift publiziert und sie als „Urfassung" editorisch und interpretatorisch in den Rahmen der syste- matischen Texte zur Rechtsphilosophie aus Hegels Berliner Zeit gestellt Einer gewissen Korrektur bedarf vorab, was ILTING bei dieser Gelegen- heit über die bisherige Nichtbeachtung der zweifellos sehr wichtigen Quelle zur Genese der Hegelschen Rechts- und Staatsphilosophie sagt. Sie war der Forschung nicht so unbekannt, wie es nach ILTING scheint. Schon J. HOFFMEISTER hatte das Manuskript für die von ihm geplante Edition der Vorlesungsnachschriften transskribieren und druckfertig ma- chen lassen. Hierüber und über den Sachverhalt, daß die HoMEYERSche Nachschrift uns Diktate Hegels und somit „eine Art Ur-Rechtsphilosophie" in authentischem Wortlaut überliefert, habe ich — nach HOFFMEISTERS

Tode — mehrfach berichtet. * Gerade die Hinweise auf unveröffentlichte Texte dieser Art wurden in den damaligen Überlegungen zur Neube- gründung einer historisch-kritischen Hegel-Gesamtausgabe besonders be- achtet. Freilich brachte es der Editionsplan dieser dann in Angriff ge- nommenen großen Werkausgabe mit sich, daß jene Rechtsphilosophie- Nachschriften bislang nicht erscheinen konnten.

* Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin. Signatur: Ms. germ. qu. 1155. ’ G. kV. F. Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818—1831, Edition und

Kommentar in 6 Bänden von K.-H. Ilting. Stuttgart 1973 ff. Band 1. 227—351: „Na- tur- und Staatsrecht nach dem Vortrage des Professors Hegel im Winterhalbjahre 1818/1819 von G. Homeyer."

* So in einem Referat bei der Tagung des Engeren Kreises der Allgemeinen Ge- sellschaft für Philosophie und dann in: Zeitschrift f. philosophische Forschung. 11 (1957), 116—129; s. dort 126. — Iltings kritisches Urteil, das insbesondere gegen Hoffmeister gewendet ist, nimmt nur auf sehr viel spätere Erwähnungen jener Nach- schrift in Arbeiten von mir (1969) und O. Pöggeler (1971) Bezug.

Hegel über konstitutionelle Monarchie 81

So wird man derzeit dankbar sein, insbesondere das HoMEYERsche Heft in der Ausgabe von ILTING benutzen zu können. Erst angesichts dieser Möglichkeit mag die folgende Mitteilung eines zwar schon lange gedruck- ten, aber bis jetzt verborgen gebliebenen Textsplitters aus Hegels erster Rechtsphilosophie-Vorlesung — ein Jahr vor dem von HOMEYER mitge- schriebenen Berliner Kolleg in Heidelberg gehalten — Kontur und Stellen- wert gewinnen.

Es geht hier um ein Fragment, oder wenn man differenzieren will, um zwei winzige Fragmente, die auch aus zweiter Hand überliefert sind, die aber ebenfalls, und zwar aufgrund des gleichen Sachverhalts wie der HoMEYER-Text, Authentizität für sich beanspruchen können. Sie gewinnen zudem dadurch an Interesse, daß sie inhaltlich genau in den Gedanken- kreis fallen, irmerhalb dessen ILTING die mit seiner Edition verbundene Interpretationsthese entfaltet. Diese These besagt, in kürzester Form wiedergegeben, daß Hegels in Urspnmg und Kern liberale Staatsphiloso- phie im gedruckten Text der 1820 erschienenen Grundlinien der Philoso- phie des Rechts aus politischen Anpassungsgründen kaschiert worden sei und daß darum dieses Lehrbuch — verglichen mit den vorher und nachher gehaltenen Vorlesungen — durchaus nicht als die maßgebliche Darstellung der Hegelschen Rechtsphilosophie gelten könne. ® In seinem Argumentationszusammenhang verweist ILTING U. a. besonders darauf, daß Hegel bei der Darstellung der monarchischen Gewalt in den Vorle- sungen das konstitutionelle Moment stärker betont habe als in den Grund- linien. Hierzu mm unsere Textmitteilung.

Die 1838 gegründeten, im Laufe der Zeit zunehmend linkshegelianisch ausgerichteten Höllischen Jahrbücher veröffentlichten im März 1841 die Besprechung einer kleinen Schrift von IMMANUEL OGIENSKI mit dem Titel: Hegel, Schubarth und die Idee der Persönlichkeit in ihrem Verhältniß zur preußischen Monarchie (1840). ® Auf den Inhalt der Schrift wie auf die Beurteilung in den Jahrbüchern sei hier nicht im einzelnen eingegangen. ’’

® Vgl. die „Einleitung" Iltings in Band 1 seiner Edition (25—126). Dazu R. P. Horstmann: Ist Hegels Rechtsphilosophie das Produkt der politischen Anpassung eines Liberalen? In: Hegel-Studien. 9 (1974), 241—252.

* Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst. Jg. 1841, Nr 68—73 (20.—23. März).

^ Die Besprechung weist die reaktionären und denunziativen Vorwürfe Schubarths gegen Hegel zurück, unterstreicht demgemäß die Kritik Ogienskis an Schubarth, be- trachtet aber im ganzen seine Argumente als nicht zureichend. Zurückgewiesen wird Ogienskis Auffassung, zum bleibenden Wesen des preußischen Staates gehöre der „polarische Gegensatz" von konstitutioneller Theorie und monarchischer Regierungs- praxis. Theorie müsse vielmehr in Praxis übergehen. Der Artikel mündet in ein Plädoyer für die Verwirklichung konstitutioneller Freiheit in Preußen, womit der

82 FRIEDHELM NICOLIN

Der Rezensent — der seinen Artikel nicht namentlich signiert, sondern hin- ter der Unterschrift „Ein Rheinpreuße" anonym bleibt — weist einleitend auf die Mißverständnisse hin, denen Hegels liberale politische Ansicht seit je ausgesetzt gewesen sei, und belegt an Zitaten aus der Landstände- schrift, der Enzyklopädie von 1817 und der Philosophie des Rechts von 1821 dessen positive Stellung zur konstitutionellen Monarchie. An die aus der Rechtsphilosophie (Anmerkung zu § 273) angeführte Stelle, mit der Hegel „die Ausbildung des Staats zur constitutionellen Monarchie" als „das Werk der neuern Welt" charakterisiert, „in welcher die substan- tielle Idee die unendliche Form gewormen hat", knüpft der Verfasser fol- gende Fußnote:

Doch mag hier beiläufig darauf aufmerksam gemacht werden, daß, in den 1817—1818 zu Heidelberg gehaltenen Vorlesungen über die Philosophie des Rechts, Hegel den § 137 des Dictats (der dem Ab- schnitt über die fürstliche Gewalt vorausgeht) mit den Worten be- ginnt: „In einem Volke, welches sich zur bürgerlichen Gesellschaft, überhaupt zum Bewußtsein der Unendlichkeit des freien Ich — ent- wickelt hat, ist nur die constitutionelle Monarchie möglich" etc., ein Lehrsatz, der in den beiden zu Berlin 1821 und 1833 erschienenen Ausgaben des Naturrechts loeggeblieben ist. Auch sind die Worte des Schlußparagraphen jenes Diktats; „damit ist ihre innere Versöhnung geschehen; eine Versöhnung, in welcher der Staat als constitutionelle Monarchie ein Bild und die Wirklichkeit der entwickelten Vernunft ist," — in den gedruckten Ausgaben folgender Weise abgeändert: „so daß die wahrhafte Versöhnung objectiv geworden, welche den Staat zum Bilde tmd zur Wirklichkeit der Vernunft entfaltet." ®

Mit dem hier aus den Vorlesimgsdiktaten von 1817/18 zitierten Anfang des § 137 ist, nach der Intention des Berichterstatters, aus der Philosophie des Rechts der § 274 zu vergleichen, dem der Abschnitt „A. Die fürst- liche Gewalt" unmittelbar folgt. Die inhaltliche Konkretion ebenso wie der Fordenmgsdiarakter der früher diktierten These sind dort aufgelöst in einem Ausdruck von gleichsam schwebender Neutralität: Hegel sagt le- diglich, daß die Verfassung eines bestimmten Volkes „von der Weise und Bildung des Selbstbewußtseyns desselben" abhänge.

Verfasser seine Überzeugung betätigen will, „daß die würdigste Weise, einem ed- len Fürsten zu huldigen, in offener Darlegung dessen besteht, was man als das Heilsamste für den Staat erkennt, den Er zu beherrschen von der Vorsehung be- rufen".

® Die Fußnote findet sich in Nr 68, S. 269 f.

Hegel über konstitutionelle Monarchie 83

Fügen wir unsererseits die HoMEYER-Nachschrift in die vergleichende Betrachtung ein, so ist daraus § 121 heranzuziehen (wiederum der letzte Paragraph der Einleitungspartie zu dem Hauptabschnitt „Das innere Staatsrecht", vor dem Teilkapitel „Erstens. Die fürstliche Gewalt"). Der Gedankengang dieses Paragraphen nimmt der Anlage nach schon den § 273 des später gedruckten Textes vorweg; er schließt: „... jedes Moment als ein für sich konkretes System der Gewalt, die daher alle drei Momente in sich enthält, geht zugleich in die Einheit mit den Andern zusammen. Sie sind die fürstliche Gewalt, die Regierungsgewalt und die gesetzgebende Gewalt, und bilden in ihrer Einheit die konstitutionelle Monarchie." ® Es fehlt hier noch die vereinseitigende Akzentuierung, daß die fürstliche Gewalt „die Spitze und der Anfang des Ganzen" sei. Andererseits aber ist festzustellen, daß eine unmittelbare Entsprechung zu der entschiedenen Formulierung, mit der Hegel in der früheren Vorlesung die konstitutionelle Monarchie einführt, in dem durch HOMEYER überlie- ferten Diktattext aus dem Kolleg von 1818/19 schon nicht mehr vorhan- den ist.

Analoges gilt für die einander korrespondierenden Satzfragmente aus dem Schlußparagraphen der drei Textfassungen. Interessanterweise zieht der Rezensent von 1841 hier genau dieselben Worte Hegels zum Vergleich heran, die auch ILTING in der Gegenüberstellung von „Urfassung" und Drucktext herausgreift, um daran eine „Kaschierung der geschichtsphilo- sophischen Perspektiven" aufzuzeigen. Konstatiert Hegel am Schluß des Buchtextes, daß die wahrhafte Versöhnung der in ein Jenseits und Diesseits, ein geistliches und weltliches Prinzip auseinanderfallenden Idee „objektiv geworden" sei und der „Staat zum Bilde und zur Wirk- lichkeit der Vernunft entfaltet" werde, so spricht das Diktat von 1818/ 19 — wie ILTING betont — von einer der Gegenwart noch erst gestellten Auf- gabe: ... es „ist an sich [!] ihr Gegensatz überwunden, und ihre Ver- söhnung vollbracht, welche nun den Staat zum Bild und Wirklichkeit der entwickelten Vernirnft auszubilden hat [!]". Gehen wir weiter zurück auf das Heidelberger Diktat, so ist dessen Aussage ganz auf die ge- schehene „innere" Versöhmmg bezogen und entspricht insofern der

* Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie. Hrsg. v. K.-H. Ilting. Band 1. 330. Ilting in Band 1, 80—82. Leider verursacht Ilting an dieser wichtigen Stelle eine kleine textliche Kon-

fusion. In der Einleitung (80) zitiert er: „nun den Staat", während wir in seiner eigentlichen Textdarbietung (350) lesen: „nur den Staat".

Es ist anzunehmen, daß der Terminus „an sidi" auch im Kontext des Heidel- berger Schlußparagraphen vorgekommen ist; doch bedarf es hierüber für uns keiner weiteren Mutmaßungen.

84 FRIEDHELM NICOLIN

Intention der HoMEYER-Nachschrift. Unser Gewährsmann lenkt aber mit seinem Zitat das Augenmerk auf etwas anderes: Hier wird „der Staat als constitutionelle Monarchie" angesprochen; in dieser und nur in dieser Gestalt ist der Staat für den Heidelberger Hegel der Verwirklichung aufgegeben. Der Anonymus der Hallischen Jahrbücher verweist auf die Abschwächung dieser Stelle in der gedruckten Version. Für uns zeigt sich in der Rückschau (und das scheidet die beiden Diktat-Texte erneut voneinander), daß eben diese Abschwächung — das Weglassen der Be- stimmung „als constitutionelle Monarchie" — auch schon in der Vorlesung von 1818/19 vorgenommen ist.

Nach dieser Gegenüberstellung von Details gilt es nun abschließend, den mitgeteilten Textsplitter aus der Naturrechts-Vorlesung des Winter- semesters 1817/18 mit Blick auf die Genese der Hegelschen Rechtsphilo- sophie im ganzen zu bewerten. Wir tun auch dies in aller Kürze. Folgen- de Befunde sind festzuhalten:

1) Hegel hat die Ankündigung jener Vorlesung im Lektionsverzeich- nis der Universität mit dem Hinweis verbunden: „nach Dictaten". Aufgrund dieser Ankündigimg war schon bisher vermutet worden, daß He- gel für diese Vorlesung ein besonderes Heft ausgearbeitet habe, doch fehl- te dazu jeder Beleg. Die Annahme ist nun bestätigt. Zugleich ist da- mit — faktisch rmd inhaltlich — eine klare Abgrenzung gegeben zwischen dieser Rechtsphilosophie-Vorlesung und den im Winter 1817/18 gehal- tenen Privatvorträgen für den Prinzen GUSTAV VON SCHWEDEN, der in Hei- delberg studierte. Eintragungen in Hegels Handexemplar der kurz zuvor erschienenen Enzyklopädie belegen extensiv, daß dieses nicht öffent- lich angezeigte Kolleg stattgefunden hat, und erweisen es inhaltlich als Enzyklopädie-Vorlesung, die das philosophische System in seinem ge- samten Umfang behandelte.

Siehe F. Nicolin: Hegel als Professor in Heidelberg. In: Hegel-Studien. 2 (1963), 71—98. Daselbst 96—98: „Hegels Vorlesungen". Die Aufstellung stützte sich frei- lich noch ganz auf die gedruckten Vorlesungsankündigungen und ließ die im WS 1817/18 zusätzlich gehaltene Enzyklopädie-Vorlesung für Prinz Gustav von Schwe- den noch unberücksichtigt; insoweit muß meine dortige Anm. 23 berichtigt werden, wobei mit Ilting (Bd 1. 132 Anm. 1) von einem Privatissimum für den Prinzen aus- zugehen ist.

Vgl. O. Pöggeler: Hegel und Heidelberg, In: Hegel-Studien. 6 (1971), 65—133. Darin Anm. 81. — Der fehlenden Quellen wegen stellte Pöggeler andererseits auch noch die Möglichkeit zur Erwägung, daß Hegel die angekündigte Rechtsphilosophie- Vorlesung zu der durch eigenhändige Notizen belegten Enzyklopädie-Vorlesung umgestaltet habe.

Siehe die Textedition aus diesem Handexemplar im vorliegenden Band, 11 ff.

Hegel über konstitutionelle Monarchie 85

2) Wie bei anderen Vorlesungen Hegels „nach Dictaten" war der Grund- text des Heidelberger Rechtsphilosophie-Kollegs in Paragraphen gefaßt. In der Zählung der Paragraphen zeigt sich eine deutliche Differenz zu der ein Jahr späteren Berliner Vorlesung. 1817/18 trägt der dem Ab- schnitt über die fürstliche Gewalt vorausgehende Paragraph die Ziffer 137, während 1818/19 die Zählung an dieser Stelle erst bis 121 fortgeschrit- ten ist.

3) Über diese quantitative Differenz hinaus konnten wir anhand des kleinen Heidelberger Bruchstücks in Einzelheiten inhaltliche Unterschie- de, und zwar Unterschiede von nicht unerheblicher Bedeutung feststellen.

Aus alldem ergibt sich: Die 1817/18 in Heidelberg und 1818/19 in Berlin von Hegel diktierten Grundrisse der Rechtsphilosophie waren in ihrem Text nicht identisch. Die in der Nachschrift von HOMEYER überlie- ferten Diktate können somit nicht als die eigentlidie „Urfassung" der Hegelschen Philosophie des Rechts betrachtet werden. Vielmehr hat schon ein Jahr zuvor in Heidelberg eine durchformulierte Textfassung Vorgelegen, für die ein eigener Aufbau und Wortlaut anzunehmen ist.

Insgesamt wird so eine Linie kontinuierlicher redaktioneller Arbeit am Text der schließlich gedruckten Philosophie des Rechts sichtbar, die von 1817 bis 1820 reicht. Das mahnt zur Vorsicht in der Interpretation einzel- ner Etappen der Entstehungsgeschichte, soweit genaue Quellenunterla- gen fehlen. Läßt sich z. B. die prononcierte Hypothese ILTINGS, nach der Hegel bereits im Sommer oder Frühherbst 1819 über ein druckfertiges Manuskript seines Buches verfügte, es aber dann aufgrund der Karlsba- der Beschlüsse beträchtlichen Umgestaltungen unterzogt®, ernstlich hal- ten? Wir müssen dies bezweifeln.

Es bleibt zu fragen, wer der namentlich nicht genannte Verfasser der Rezension in den Hallischen Jahrbüchern gewesen sein mag. Man muß davon ausgehen, daß er in der uns interessierenden Fußnote auf eine eigene Nachschrift der Hegelschen Vorlesung zurückgreift. Könnte man vielleicht F. W. CAROVE als Autor vermuten? Auf den in Koblenz Ge- borenen würde der Deckname „Ein Rheinpreuße" passen. Außerdem hat CAROVE jene Heidelberger Vorlesung tatsächlich gehört, ja so- gar Repetitionen über sie gehalten. Schließlich gehörte er seit 1838

Vgl. Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie. Hrsg. v. Ilting. Band 1. 64—67; Band 2. 7.

Darauf nimmt Carov4 selbst Bezug in dem Lebenslauf, den er seinem im August 1818 eingereichten Promotionsgesuch beifügte. Vgl. Nicolin: Hegel als Pro- fessor in Heidelberg. 89. Die Repetitionen fanden ein Semester später als die Vor- lesung selbst statt.

86 FRIEDHELM NICOLIN

zum Mitarbeiterkreis der Jahrbüdier. Wir können dieser Frage hier nicht näher nachgehen. Sie zielt im übrigen weniger auf die Person des anony- men Hegelschülers als auf die Quelle, deren indirekte Kenntnis wir seinem beiläufigen Hinweis und Zitat verdanken. Wäre es möglich, diese oder eine andere Nachschrift von Hegels erster Rechtsphilosophie-Vorle- sung aufzufinden, so dürfte man schon im vorhinein ein für die He- gelforschxmg besonders aufschlußreiches Dokument erwarten.

Während der Korrekturarbeiten an vorliegendem Band wird mir noch eine im Buchhandel bisher nicht publizierte Bodiumer Dissertation bekannt, und zwar: Friedrich Wilhelm Carove. Sein Werk als Beitrag zur Kritik an Staat und Kirche im frühliberalen Hegelianismus von Albert Schürmann (Diss.' 1971). Die Arbeit ent- hält im Anhang eine vorzügliche Zusammenstellung der z. Zt. noch auffindbaren Autographen Caroves sowie seiner sämtlichen Veröffentlichungen, auch solcher, die anonym erschienen sind; hier ist aus dem Einblick in Briefe an A. Rüge (den Her- ausgeber der Hallischen Jahrbücher) belegt, daß unsere Rezension tatsächlich von Carove stammt.


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