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Gerne katholisch Magazin Nr. 4

Date post: 22-Jul-2016
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Thema: "Glaube und Unglaube - Christsein in einer Welt, die der Kirche scheinbar den Rücken kehrt"
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Magazin für einen frohen, bekennenden Glauben Nr. 4 Glaube und Unglaube Christsein in einer Welt, die der Kirche scheinbar den Rücken kehrt www.gerne-katholisch.de KATHOLISCH gerne
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Magazin für einen frohen, bekennenden GlaubenNr. 4

Glaube und UnglaubeChristsein in einer Welt, die der Kirche

scheinbar den Rücken kehrt

www.gerne-katholisch.de

KATHOLISCHgerne

WillkommenDiesen Herbst wird unsere Initiative bereits fünf Jahre alt. In den vergangenen Jahren haben wir uns zunächst nur im Inter-net, später auch z.B. mit diesem Magazin darum bemüht, die Freu-de am Glauben zu vermitteln und Menschen zu motivieren, über ih-ren Glauben zu sprechen.Mit der vorliegenden Nummer 4 wollen wir nun den Dialog mit den Nicht-Glaubenden in den Vorder-grund stellen. Was bringt Men-schen dazu, nach einem Austritt wieder zur Kirche zurückzukeh-

ren? Wie können wir so leben, dass unser Glaube Ausstrahlung gewinnt und so unser Leben evangelisierend wirkt? Das alles sind Fragestellungen, zu denen Sie in dieser Ausgabe Artikel fin-den.

Wir freuen uns wie immer über Ihr Feedback. Gerne können Sie Hefte nachbestellen, um sie in der Pfarrei oder im Freundeskreis zu verteilen. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen.

Diakon Stefan Salzmannfür den Vorstand von Gerne katholisch e.V.

InhaltWahrheit im Dialog 4Von Schafen und Hirten 73 Fragen an... Maria Herrmann 9Was geht uns allen nahe? 12Neuevangelisierung - unser Auftrag 17schluss.punkt 20

/gernekatholisch

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www.gerne-katholisch.de

blog.gerne-katholisch.de

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ImpressumV.i.S.d.P.: Gerne katholisch e.V.Diakon Stefan Salzmann, 1. VorsitzenderObere Plötzgasse 356410 Montabaur

Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben unter CC0-Lizenz.

Nachdruck unter Angabe der Quelle „www.gerne-katholisch.de“ gestattet.

Werden Sie Mitglied:Fax: 0355 28925 88 6328Mail: [email protected]: www.gerne-katholisch.de Magazine nachbestellen:[email protected]

Wer sind wir?gerne-katholisch.de wurde 2010 von einer Gruppe Studenten an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt/M gegründet. Wir möch-ten dazu anregen, über den Glau-ben nachzudenken und den Grund für den eigenen Glauben auch ins Wort zu bringen. Seit Mai 2012 sind wir in einem Verein organisiert.Dem Verein ist es ein Anliegen, dass Christenselbst wieder „Leuchttürme” werden, also Bekenner des Glau-bens, damit wir als Kirche wieder neue Strahlkraft entfalten.

Jede Woche ein Mini-Impuls kostenlos per WhatsApp.

Jetzt anmelden:www.kathlink.de/nachricht

In Europa ist es schon seit langem nicht mehr selbstverständlich, dass die Mehrheit christlich oder gar katholisch ist. Im Alltag treffen wir auf Menschen verschiedener Kulturen und Religionen. Wir tref-fen auf Menschen, die die großen Fragen ihres Lebens nicht mit der Hilfe einer traditionellen Religion beantworten können oder wollen. Und auch für viele Christen sind die Antworten, die die Kirche gibt, nicht immer überzeugend. Vor allem wird deren Wert oft durch ganz andere Verhaltensweisen und Skandale innerhalb der Kir-che untergraben.Als Christ kann man sich nun zurückziehen in die Zone der ei-genen Gemeinde, des eigenen Kreises, in den Dunst der Gleich-denkenden und sich die guten alten Zeiten zurückwünschen, in denen es anders, ja schein-bar besser war. Zeiten, in denen

Glaube noch etwas zählte. Die-se Darstellung ist natürlich über-spitzt, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass Grundzüge da-von tatsächlich immer wieder auf-tauchen.

Dabei ist das Christentum eine Religion, die gerade den Dialog mit anders Denkenden sucht, die gemeinsam mit anderen nach der Wahrheit sucht. Wahrheit kann Auseinandersetzungen mit ande-ren ab und verträgt es in Frage gestellt zu werden. Am Ende wird sie bestehen.Eine weitere Tendenz, die ich be-obachte, ist das Verlangen nach klar definierten Satzwahrheiten, Antworten und Handlungsan-weisungen. Entweder etwas ist schwarz oder weiß, bloß keine

Wahrheit im DialogWarum das Christentum die Auseinandersetzung mit anderen Weltanschauungen braucht. Von Dag Heinrichowski

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Wahrheit verträgt Auseinandersetzung

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Graustufen. Etwas ist richtig und gilt, alles andere falsch und zu verwerfen.Die christliche Wahrheit ist eine Person, Jesus Christus, das fleischgewordene Wort Gottes. Unsere Offenbarung ist ein dia-logisches Geschehen. Die Frage nach der Wahrheit ist eine Fra-ge nach der Beziehung zu Jesus Christus. Eine Beziehung, die sich nicht über Fakten und Sätze definiert, sondern einen Dialog braucht. „Kommt und seht!“ (Joh 1, 39).Seit der frühen Kirche bis heute spricht die christliche Theologie und Philosophie von den Sa-menkörnern des Wortes (logos spermatikos). Logos ist ein schil-lerndes Wort der griechischen Sprache. Es kann u.a. mit Wort, Sinn, Vernunft, Rede übersetzt werden. Johannes schreibt in sei-nem Prolog: „Im Anfang war der

Logos.“ (Joh 1,1). Christus ist also der Logos und von eben diesem Logos finden sich Samenkörner auch in profaner Philosophie, in anderen Religionen und Kulturen. Im Dialog mit diesen, in der Be-gegnung mit anderen Menschen, können wir diesem Logos, Chris-tus selbst, begegnen. Der selige Papst Paul VI. schreibt: „Die Kir-che muss zu einem Dialog mit der Welt kommen, in der sie nun einmal lebt. Die Kirche macht sich selbst zum Wort, zur Botschaft, zum Dialog.“ (ES 65)

Die Welt in der wir Leben, die Menschen, die andere Überzeu-gungen haben als wir, stellen Fra-gen an uns, fordern unsere Wahr-heit heraus. Sie sind so Prüfstein und Reinigungsmöglichkeit für

Wahrheit geht alle Menschen an

Begegnung unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen 2011 in Assisi.

Foto: Stephan Kölliker, „World-Day-of-Prayer-for-Peace Assisi 2011“ CC BY-SA 3.0

unsere Überzeugungen. Sie kön-nen uns helfen, die Wahrheit, die Christus ist, tiefer zu verstehen. Unsere Sprache, in die wir die Wahrheit kleiden, ist immer unzu-reichend, um diese voll zu fassen. Wahrheit ist immer etwas, was wir suchen müssen. Wahrheit ist et-was, das alle Menschen angeht. Ein Projekt für das wir den Dialog mit den anderen brauchen.Christen sollen in der Welt, aber nicht von der Welt sein (vgl. Joh 17, 15-16). Papst Benedikt XVI. hat das Wort der „Entweltlichung“ geprägt. In der Welt sein, das heißt auf die Fragen der Welt re-agieren, mit ihr im Dialog stehen. Nicht von der Welt sein, das heißt dabei nicht in dieser Welt aufzu-gehen. Eine Umkehrung dieses Zitates ist für mich eine Definition des Begriffes „Säkularisierung“: Wenn etwas säkularisiert ist, dann ist es nicht in der Welt, aber von der Welt. So ein Glaube verliert seine Bedeutung in der Welt, hat nichts beizutragen, macht sich selbst überflüssig.

Als Christen sind wir zum Dialog gerufen. Mit einem Dialog beginnt unser Glaube. Unser Glaube ist dialogisch. Schließen wir nicht die

Augen, sondern nehmen wir die Herausforderungen an. Gehen wir mit Offenheit für den Anderen und gleichzeitig mit unseren Überzeu-gungen in einen Dialog mit der Welt, mit den Menschen, die an-deres denken als wir und geben wir so ein Zeugnis für das Wort Gottes und lassen uns selbst überraschen von dem, was uns dieses Wort in der Begegnung sagen will.Benedikt XVI. schreibt:„Wir wissen sehr wohl, dass au-ßerhalb Gottes die Wahrheit ‚in sich selbst’ nicht existiert. Dann wäre sie ein Götze. Die Wahr-heit kann sich nur in der Bezie-hung zum anderen entwickeln, die auf Gott hin öffnet, der seine eigene Andersheit durch meine Mitmenschen und in ihnen zu er-kennen geben will. So ist es un-angebracht, in ausschließender Weise zu behaupten: ‚Ich besitze die Wahrheit’. Die Wahrheit ist niemals Besitz eines Menschen. Sie ist immer Geschenk, das uns auf einen Weg ruft, sie immer tie-fer uns anzueignen. Die Wahrheit kann nur in der Freiheit erkannt und gelebt werden; denn wir kön-nen dem anderen die Wahrheit nicht aufzwingen. Nur wenn wir einander in Liebe begegnen, ent-hüllt sich die Wahrheit.“ (Ecclesia in medio oriente 27).

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Wahrheit kann nicht aufgezwungen werden

„Aber an Gott habe ich immer geglaubt!“, beteuert mir die älte-re Dame, die vor langer Zeit aus der Kirche ausgetreten ist und jetzt wieder eintreten möchte. Sie schaut mich freundlich an und doch ist eine Spur von Selbstbe-hauptung in ihren Worten nicht zu überhören. Es dürfte ihr auch nicht ganz leicht gefallen sein, zu einem Vertreter der Institution zu gehen, mit der man gebro-chen hatte, um diesen Schritt rückgängig zu machen. „Schön, dass Sie wieder dabei sein wol-len! Das freut mich, aber erzählen Sie doch mal: Was hat Sie denn damals bewogen, aus der Kirche auszutreten?“ Meist war es der

Ärger über einen Kirchenvertre-ter, sei es der Pfarrer vor Ort oder der Papst in Rom. Auch eine zu strenge katholische Erziehung, die zu viele lebenswidrige Vor-gaben machte und von der man sich erst einmal lösen musste, um sein Eigenes zu finden, wur-de immer wieder genannt. Nicht ansprechende Gottesdienste, die einen leer zurückließen, hatte ich erwartet zu hören, sie waren aber kein ausreichender Grund diesen gewichten Schritt zu tun, höchs-tens das I-Tüpfelchen. In Berlin kam noch die Mode dazu, alle seien „damals“ ausge-treten. Fehlt noch die Steuer. Sie kam oft, aber nicht selten folgte 7

Von Schafen und HirtenWarum treten Menschen aus der Kirche aus? Viel spannender noch: warum treten sie wieder ein? Der ehemalige Leiter der katholischen Glaubensinformation Berlin, P. Bernhard Heindl SJ, berichtet.

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auf diese Begründung ein verle-genes Lächeln, als ob man dem eigenen Argument selbst nicht ganz Glauben schenken würde. Na ja, man sei jung gewesen und konnte jeden Pfennig brauchen, aber letztlich sei es nicht wegen des Geldes gewesen, man war an religiösen Fragen einfach zu we-nig interessiert oder meinte dafür keine Institution zu brauchen.

„Ich habe gemerkt, ich bekomme das nicht alleine hin, an Gott glau-ben.“ Das ehrliche Eingeständnis verblüffte mich und rührte mich zugleich an. Ein vierzigjähriger Mann will wieder dabei sein und macht keinen Hehl daraus, dass sein Kirchenaustritt ihn nicht weitergebracht hat. Im Gegen-teil, alles sei im wahrsten Sinne des Wortes immer unverbindli-cher geworden und eine junge Frau meint: „Ich will einfach wie-der ganz dazugehören. Wenn ich jetzt in einen Gottesdienst gehe, dann fühle ich mich, als ob ich mir etwas erschwindeln würde, es stimmt so einfach nicht!“ Ist erst einmal das Eis gebrochen, dann erzählen die Menschen aus ihrem Leben. Sie berichten da-

von, dass der Himmel bei der Ge-burt ihres Kindes spürbar gegen-wärtig war oder, dass sie sich tief drinnen gehalten fühlten, selbst als der Arzt die befürchtete Dia-gnose aussprach. Sie erinnern sich an Stoßgebete, die Wirkung zeigten und erzählen von Feh-lern, die lange zurückliegen, die ihnen aber immer noch nachge-hen und die sie sich einfach nicht selbst verzeihen können, so sehr sie es auch versuchen. Zeit, um erneut die Gemeinschaft derer zu suchen, die fest an die Wirklich-keit Gottes glauben, die mit ihr rechnen und gemeinsam hoffen, dass diese Wirklichkeit je mehr Wirkung zeigen möge, im eigenen Leben, in der Welt. Schon erstaunlich, vor meiner Arbeit in der Katholischen Glau-bensinformation in Berlin hätte ich gesagt, die Geschichte Jesu von dem einen Schaf, dem der Hirte geduldig nachgeht, stimmt doch nicht! Wo gibt es denn ei-nen Hirten, der 99 Schafe stehen lässt, um dem einen verlorenge-gangenen nachzulaufen? Es gibt ihn und immer, wenn jemand wie-der in die Kirche eintreten wollte, dann dachte ich mir: Da hat der Himmel viel Geduld investiert, jetzt vermassel das nicht!

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„Der Austritt hat mich nicht weitergebracht“

Der jetzige Spiritual am Priesterse-minar des Erzbistums Hamburg, der Jesuit Bernhard Heindl, leitete von 2005-2011 die katholische Glaubens-

information (KGI) in Berlin. Informationen über die Angebote der KGI finden Sie online:www.kathlink.de/info

3 Fragen an...Maria HerrmannNeue Aufbrüche wagen - das will die ökumenische Initiative „Kirche2“. Wir haben mit der Referentin im Fachbereich missionarische Seelsorge im Bistum Hildesheim gesprochen.

Frau Herrmann, mit dem Pro-jekt „Kirche2“ suchen Sie u.a. nach einem Bild der Kirche der Zukunft. Welche Herausfor-derungen und Anfragen, aber auch Chancen stellt die heutige Kultur an die katholische Kir-che und wie kann diese darauf reagieren?

Zunächst einmal ist es möglicher-weise an uns, dass wir uns un-serer eigenen Katholizität wieder bewusst werden. Ich ahne, dass uns das auch ein bisschen davon entlasten wird, das eine Bild ei-ner Kirche der Zukunft finden zu wollen, gerade dann, wenn sie kontextuelle Kirche ist – sei es vor Ort, sei es in einem Netzwerk oder Milieu, sei es in bestehen-den oder erneuerten Strukturen. So zeigt sich von den Zeugnis-sen der biblischen Überlieferung, über die Kirchengeschichte hin zur heutigen Katholischen Welt-kirche: Das eine Kirchen-Bild hat es nie gegeben und kann es nicht

geben, gerade das lässt uns eben katholisch sein. Und mit ein biss-chen Glück auch gerne! Beson-ders dann, wenn wir uns wirklich auf die jeweiligen Kontexte ein-lassen und uns dort gemeinsam mit anderen von Gottes Mission überraschen lassen.

Die Herausforderung, aber viel-mehr noch das Geschenk liegt darin, Kirche wieder als Sakra-ment, als Mysterium verstehen

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zu lernen: Das Verbindende, die Einheit in Vielfalt, die wir im Leib Christi begründen, verwandelt und immer wieder erneuert se-hen. Gerade und vor allem über Kulturen und Gesellschaften hin-weg und hindurch. Doch es fällt schwer uns darauf einzulassen, denn dieses Mysterium ist Gna-de. Wir müssen darauf vertrauen. Es lässt sich von Menschenhand nicht machen, schaffen, erzeu-gen.Möglicherweise geht es also viel-weniger um ein Agieren oder Re-agieren auf Milieu, Kultur und Ge-sellschaft, sondern ein Teilhaben und Teilgeben an der gemeinsa-men Sendung. An dem was sich in den unterschiedlichen Kulturen zeigt und wo wir gemeinsam Gott auf die Spur kommen dürfen. Denn: »So war es schon immer.« Im besten Sinn!

Wie kann die katholische Kir-chen Menschen begegnen, die der Kirche fernstehen oder de-nen die Kirche fernsteht und sie von der Botschaft Jesu über-zeugen?

Papst Franziskus hat uns in „Evangelii Gaudium“ sein Bild von der Verkündigung des Evan-geliums in der Welt von heute in eindrucksvollen Worten beschrie-ben. Weil ich gerne mit dem Me-dium Twitter arbeite, versuche ich mal sein inspirierendes missiona-risches „wie“ tweetkompartibel, also kurz und prägnant zusam-men zu fassen: »Mit Freude, in Demut und ohne Angst. Dort, wo man ist und notfalls mit Worten.« Bei all dem ist mir eines wichtig: Wir sind es nicht die überzeugen, erreichen müssen. Christus hat die Welt erreicht und erlöst, uns

Kirche2 auf twitter: twitter.com/kirchehoch2

Mehr Infos:www.kirchehochzwei.de

den Geist gesandt, der uns jeden Tag an jedem Ort neu überrascht. Ich glaube daran, dass wir als Ge-taufte gemeinsam Anteil an der Sendung der Kirche, an der „Mis-sio Dei“ haben. Jeder und jede auf die jeweils eigene Weise, mit dem eigenen Charisma. Und mehr und mehr bin ich davon überzeugt, dass wir uns darin üben sollten ei-nen prophetischen Dienst zu tun – hervor zu sagen: Dort wo uns Hoffnung, Glaube und Liebe be-gegnen, wo wir leben, lernen und lieben gemeinsam mit anderen die Botschaft Jesu neu zu entde-cken und ins Wort heben. Warum sind Sie gerne katho-lisch?

Mir hat kürzlich jemand gespie-gelt, dass es auffällig sei, dass ich vor allem in Fragen und Gegen-fragen kommuniziere. Scheinbar stimmt das, denn auch hier bin ich versucht Ihre Frage zu dekon-struieren: Zu gestehen, dass es Tage gibt, an denen ich nicht ger-ne katholisch bin. Zu provozieren, dass ich mich viel mehr als christ-gläubig verstehe (so eben auch im Codex Iuris Canonici »christifi-delis« und mit einem großen öku-menischen Herzen). Zu resignieren, dass ich ja als Säugling keine andere Wahl hat-te, weil sich meine Eltern eben so entschieden haben. Ich bin Kind einer konfessionsverbindenden Ehe, muss man dazu wissen. All

das sind Facetten meiner Biogra-phie und Realität. Eben weil ich in einem ökumeni-schen Projekt arbeite, ist es mir aber auch wichtig immer wie-der darüber nachzudenken, was meine Katholizität ausmacht. Ich würde das an diesen Punkten festmachen: Ich habe gerne das große Ganze im Blick. Durch Zeiten und Räu-me. Ich vertraue darauf, dass Gott als Vater, Sohn, heiliger Geist mit uns Menschen und der Schöp-fung Geschichte schreibt. Wir aus gemachten Erfahrungen und Ge-schichte lernen können und müs-sen. Zwischen, aus und in Traditi-on, Regeneration und Innovation. Gemeinsam mit Heiligen, Pilgern und Propheten. Ich hoffe auf die Kraft der Taufe, die erstaunlichen Geheimnisse der Kirche und den unbändigen Wandel zum Guten. Ich habe einen Sinn für Ästhe-tik und Rituale. Sinnenfältig und Partizipativ. Jeden Tag, jede Wo-che, jedes Jahr. Wenn es mir ge-schenkt sein soll, ein Leben lang. Und ich beginne langsam, mich mit meinem Vornamen anzufreun-den, der eigentlich ein zweifacher ist: Maria Elisabeth.

Was geht uns allen nahe?Wie Kultur spirituelle Leere erahnen macht. Von Judith Bösenecker und Rebecca Hafner

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„Take me to church“ ruft der Ire Hozier im gleichnamigen Lied in die Menge und ein tausendstim-miges Echo folgt ihm in das sym-bolische Metapherngewimmel von der Kirche ins Schlafzimmer. Vor allem Eines wird dadurch deutlich: Wie säkular unsere mit-teleuropäische Welt auch sein mag, sie ist doch immer noch reizbar, ja geradezu süchtig nach Provokation.Wo der Mensch unreligiös wird, bleibt er dennoch kultiviert. Was kein Ersatz für Religion ist, wird zumindest zur Schaubühne in-nermenschlichen Strebens nach mehr und dem, was uns umtreibt.Welche Rolle hat die moderne Theater-, Film- und Bühnenkultur für den Zugang zu Religiösität?Kultur als Spiegel menschlicher Seelenwünsche ist ebenso viel-seitig wie letztere und umfasst das Wesentlichste der menschlichen Existenz. Die Weimarer Klassik mit ihren berühmten Hauptver-tretern Goethe und Schiller geht soweit, die Kunst als Mittel zur Vervollkommnung des Menschen anzusehen. Es geht hier um das Ideal des „Guten, Wahren und Schönen“, auf das dieser zwar hin geschaffen ist, doch das erst durch die Bildung hin zur Huma-nität erreicht werden kann. Kunst fördert demnach unsere geistige Reife.Wie kommt es also, dass der Kunst oder im erweiterten

Sprachgebrauch der „Kultur“ die Fähigkeit zugesprochen wird, un-ser tiefstes Menschsein nach au-ßen zu kehren?Ist es womöglich einfach das Wecken eines inneren „Bewusst-seins“?Schließlich ist jede Form von Kunst ein eindeutiger Beweis für eine Metaebene innerhalb des menschlichen Intellekts, nämlich unser verstecktes Potenzial an Gefühlen und den Idealen, nach denen wir streben. In dem Be-wusstsein um ein solches Poten-zial in jeder und jedem von uns können wir unsere Eigenschaft als Kinder Gottes neu begreifen und akzeptieren lernen.Mit anderen Worten können Kunst und Kultur also als Brücke aus der Gottesferne und dem Agnostizis-mus über unsere Sehnsüchte hin zu Gott führen.

Der im Januar erschienene Ki-nofilm „Wild- Der große Trip“ mit Reese Witherspoon in der Hauptrolle ist ein passendes Bei-spiel für dieses Phänomen. Eine junge Frau bricht auf – auf einen 1600 km langen Weg. Sie ist ganz alleine und im Wandern und Über-leben in der Wildnis völlig uner-fahren. Ihr Rucksack ist viel zu schwer, für den Campingkocher führt sie das falsche Benzin mit u

Kunst und Kultur können zu Gott führen

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sich. Auf dem Weg begegnen ihr gefährliche Tiere und Menschen. Die nächtlichen Geräusche ma-chen Angst, die Füße bluten und schmerzen. Aber sie gibt nicht auf. Sie geht immer weiter. Geht, weil sie gehen muss. Es gibt vie-les, was sie verarbeiten, worüber sie nachdenken muss. Der trau-matisierende Tod ihrer Mutter und seine Folgen: Drogenmissbrauch, ein hemmungsloses Sexualleben, die Scheidung von ihrem Mann. All das erscheint, wie der Ruck-sack, viel zu schwer für die kleine zierliche Frau, die gerade einmal 26 Jahre alt ist. Aber dennoch wird sie es am Ende schaffen und neu gestärkt aus ihrer Wanderung hervorgehen.Der US-amerikanische Film ba-siert auf der wahren Geschichte der Cheryl Strayed, die ihre Er-fahrungen auf dem Pacific Crest Trail, einem Fernwanderweg im Westen der USA, in dem Buch

„Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst“ aufgeschrieben hat.Der Wunsch traumatische Erleb-nisse aufzuarbeiten, Entschei-dungen für das weitere Leben zu treffen oder einfach mal für eine Weile dem Alltag zu ent-fliehen, scheint heutzutage ein großer Antrieb zu sein, auf säku-laren Wanderwegen oder auch religiös/spirituell geprägten Pil-gerwegen zu gehen. Dies wird nicht zuletzt am großen Hype um den Jakobswegs spürbar.

Von den Pilgerinnen und Pilgern früherer Tage wird oft berichtet, dass sie sich auf Pilgerschaft begeben haben, um eine Schuld abzutragen – die eigene, oder die eines Angehörigen. So geht

War es wirklich das, was ich aus meinem Leben machen wollte?

es auch Cheryl vor allem um das Aufarbeiten eines Schuldgefühls – ihrer Mutter gegenüber, ihrem Ex-Mann gegenüber, aber vor al-lem auch sich selbst gegenüber: „War es wirklich das, was ich aus meinem Leben machen wollte?!?“ Die Frage nach Gott taucht am Rande auch immer wieder auf. Cheryl bittet Gott um ein Wunder, er möge ihre totkranke Mutter ret-ten. Im Gebet wendet sie sich an ihn. Doch das Wunder tritt nicht ein. Cheryl kann Gott nicht als in ihrem Leben gegenwärtig erfah-ren, ganz im Gegenteil, sie erlebt ihn als abwesend. „Als ob Gott das interessieren würde.“ Auf dem mehr als dreimonatigen Weg ist Platz für alle Gefühle. In einer auch für den Zuschauer be-freiend wirkenden Szene schreit sie alle Wut und Verzweiflung hinaus. Den zweiten, zu engen Wanderschuh, wirft sie dem ers-ten gleich hinterher, der ihr gerade

einen steilen Abhang hinunterge-stürzt ist. Danach geht sie weiter – mit Badeschlappen, die sie mit Hilfe von Tape an ihre Füße ge-bunden hat. „Scheiß drauf!“ Auch Tränen dürfen sein und manches muss man einfach auskotzen. Doch Cheryl ist nicht ganz allein auf ihrem Weg. Immer wieder be-gegnen ihr hilfsbereite Menschen und Freunde schicken ihr Pakete, ohne die sie wohl nicht den gan-zen Weg geschafft hätte – auch wenn sie ihn alleine gehen muss. So bleibt auch Platz für Freude und Leichtigkeit. Die junge Frau findet sogar einige Bewunderer, die ihr auf ihrem Weg folgen und mit Begeisterung ihre Zitate le-sen, die sie in jedes Logbuch auf dem Weg einträgt. Die Wanderung endet an der „Brücke der Götter“, der „Bridge of the Gods“ am Columbia River an der Grenze zwischen Oregon und Washington. Auch das ein in-

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teressantes Detail. Cheryl blickt auf ihren Weg zurück und kann ihre Vergangenheit ak-zeptieren. Sie weiß nicht, warum alles passieren musste, aber es hat sie zu diesem Punkt in ihrem Leben gebracht. Es hat sie zu der gemacht, die sie jetzt ist. Sie kann sich selbst vergeben und fühlt sich erlöst.“Man kann nicht wissen, was da-für sorgt, dass eine Sache pas-siert und nicht eine andere, was zu was führt, was zerstört oder was verursacht, dass was auf-blüht oder stirbt oder einen an-deren Lauf nimmt. Was, wenn ich mir selbst vergäbe? Was, wenn ich wenn es mir leidtäte, doch wenn ich in der Zeit zurück könnte, würde ich nicht eine ein-zige Sache anders machen. Was, wenn ich nicht gewollt hätte mit jedem einzelnen dieser Männer zu schlafen? Was, wenn Heroin mich etwas gelehrt hätte? Was, wenn all die Dinge, die ich getan habe, die Dinge waren, die mich hierher gebracht haben? Was, wenn ich niemals erlöst wäre? Was, wenn ich es schon bin?“ Wirft man einen Blick in die Bi-bel, so trifft man auf zahlreiche Weggeschichten: Abraham, der den Ruf Gottes hört, sich aufzu-machen in ein neues Land; das Volk Israel, das 40 Jahre durch die Wüste wandern muss, bis es endlich eine neue Heimat fin-det; Tobias, der auf seinem Weg

vom Engel Rafael begleitet wird; Jesus, der 40 Tage in die Wüste geht. Neben einer Pilgerreise bieten Exerzitien immer wieder die Mög-lichkeit zur inneren Einkehr und Neuausrichtung. Eine Form von Spiritualität, die heute immer mehr auch kirchenferne Men-schen anspricht.In dem Film „Wild“ wird eine Sehnsucht nach Vergebung, nach Erlösung und nach Heilung spür-bar. Cheryl fühlt am Ende neues Leben in sich und merkt, dass da „mehr“ ist, auch wenn sie es viel-leicht nicht benennen kann. Wir würden wohl „Gott“ dazu sagen. Und wenn man möchte, dann kann man Gott in ihrem Weg er-ahnen. Aber zurück zu Hozier. Zwar auf eine ganz andere Art ist er den-noch ein Unruhestifter für die Ge-müter. Provokation funktioniert nur, wo wir Betroffenheit spüren und uns berührt fühlen.Vielleicht ist das Nachspüren und Aufgreifen von innerer Sehnsucht oder auch nur einer Ahnung von Unruhe ein Weg, wie wir den Menschen heute neu begegnen können.

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Im Matthäusevangelium heißt es an einer Stelle: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, son-dern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt“ (Mt 7,21). Als gute Katholiken nei-gen wir oft dazu, selbstsicher zu sein, wenn es um den Willen des Vaters im Himmel: wir gehen in die Kirche, zahlen Kirchensteuer und haben ein Bild vom Papst an der Wand hängen. Doch tun wir wirklich den Willen Gottes? Wa-rum sind unsere Kirchen dann sonntags immer noch so leer?

Zum Glauben gehört doch ganz wesentlich auch dessen Verkün-digung dazu: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium“ (Mk 16,15)! Und jetzt mal ganz ehrlich: was tue ich für die Verkündigung des Glaubens? Gebe ich Zeugnis von meinem Glauben oder ist er nur meine Pri-vatsache? Doch um den Glauben verkündi-gen zu können, muss ich mir erst noch die eigentliche Frage, stel-len, die Papst Benedikt XVI. in ei-ner Generalaudienz zu Beginn des Jahrs des Glaubens vorlegte: „Ist

Geistlicher Impuls von Jeremias M. Kehren O.Praem.

Neuevangelisierung -unser Auftrag

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der Glaube wirklich die verwan-delnde Kraft in unserem Leben, in meinem Leben?“ Um diese Frage affirmativ zu beantworten bedarf es „einer echten und erneuerten Umkehr zum Herrn, dem einzi-gen Retter der Welt.“ Diese Um-kehr im eigenen Leben ist immer der erste Schritt auf dem Weg der Neuevangelisierung, denn es reicht nicht nur die Orthopra-xie in der Kirche voranzutreiben, sondern mit ihr muss auch immer der tiefe Glaube an die christliche Lehre verbunden sein. Deshalb ist es unerlässlich, ohne Unter-lass zu beten (vgl. 1 Thess 5,17), damit der eigene Glaube wach-sen und gedeihen kann! Das zarte Pflänzchen des Glaubens muss aber auch genährt werden, v.a. in den Sakramenten von Eucha-ristie und Beichte, aber auch in der persönlichen Auseinander-

setzungen mit der Heiligen Schrift oder den Werken von bewährten Theologen. Dies ist das Rüstzeug Gottes, das wir als Christen an-legen müssen, um im Kampf zu bestehen (vgl. Eph 6,11-17). Doch diese Rüstung ist keine bloße Verteidigungswaffe, kein Elfenbeinturm, in den wir uns zu-rückziehen können, sondern es ist das Rüstzeug für unseren Ein-satz in der Welt! Heute sind nicht irgendwelche „heidnischen“ Ge-genden weitab von unserer Hei-mat, denen wir den Glauben be-zeugen müssen, nein, der Glaube schwindet vor unseren Haustüren in beängstigender Weise. Des-halb hat schon der Heilige Papst Johannes Paul II. festgestellt:„Es ist mit Sicherheit notwendig, überall die christliche Substanz der menschlichen Gesellschaft zu erneuern. Voraussetzung dafür ist

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aber die Erneuerung der christli-chen Substanz der Gemeinden, die in diesen Ländern und Natio-nen leben.“ Aus dem Wesen der Kirche er-gibt sich, dass eine schlagfer-tige Erneuerung nicht von ir-gendwelchen Einzelkämpfern ausgehen kann, sondern von den christlichen Gemeinschaften als solchen. So heißt es auch im nachsynodalen Schreiben Ver-bum Domini: „Da das ganze Gottesvolk ein ‚gesandtes‘ Volk ist, hat die Syno-de bekräftigt, dass ‚die Sendung, das Wort Gottes zu verkünden, Aufgabe aller Jünger Christi ist, infolge ihrer Taufe‘. Kein Christ-gläubiger darf sich von dieser Verantwortung entbunden fühlen, die der sakramentalen Zughörig-keit zum Leib Christi entspringt. Dieses Bewusstsein muss in je-

der Pfarrei, Gemeinschaft, Ver-einigung und kirchlichen Bewe-gung neu erweckt werden.“ Der Aufruf zur Neuevangelisie-rung, zu einer Verkündigung des Evangeliums in jenen Ländern, denen das Wort Gottes schon längst gepredigt wurde, betrifft jeden und jede: Unser Glaube ist kein historisches Denkmal, kein Weltkulturerbe, sondern ein Auf-trag an uns. Sowohl jeder Einzel-ne von uns, als auch die christli-che Gemeinschaft als Ganze, ist zur Verkündigung des Glaubens aufgerufen. Wenn es uns gelingt, auf die Wor-te Jesu zu hören und danach zu leben und zu handeln, dann ha-ben wir unser stattliches Haus des Glaubens wirklich auf Fels gebaut, wie es im eingangs zi-tierten Evangelium heißt (vgl. Mt 7,24-25).

schluss.punkt

Dieses MagazinWir erhalten viele positive Rück-meldungen, dass das „Gerne-ka-tholisch-Magazin“ in Pfarreien und kirchlichen Einrichtungen gut angenommen wird. Unser Anlie-gen ist es, das Positive des Glau-bens in den Vordergrund zu stel-

len und zur Sprache zu bringen. Deshalb können Pfarreien unser Magazin auch in höheren Aufla-gen jederzeit kostenlos nachbe-stellen:

[email protected]

© Jorit Thoren Gøbel für Gerne katholisch e.V.


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