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Inhaltsverzeichnis A. Vorwort Seite 3 - 4
B. Die Bismarckturmbewegung Seite 4 - 8 I. Verbreitung und Gestaltung Seite 4 II. Der Bismarck-Mythos Seite 5
1. Verehrung von Bismarck Seite 5
2. Aufruf der Studentenschaft Seite 7
C. Der Bismarckturm in Mülheim an der Ruhr Seite 8 - 18 I. Bau des Turms Seite 8
1. Planung und Realisierung Seite 8
2. Grundsteinlegung Seite 11
3. Einweihung Seite 12
4. Die Bismarckbüste und Feueraltäre Seite 14
II. Die Nutzung des Bismarckturms Seite 15 III. Alternative Nutzungsmöglichkeiten Seite 16
D. Fazit Seite 18
E. Anhang und Quellen Seite 19
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A. Vorwort Diese Arbeit befasst sich mit dem Bismarckturm, einem markanten Wahrzeichen der
Stadt Mülheim an der Ruhr. Er befindet sich auf der Anhöhe des Kahlenbergs und
eröffnet dem Besucher einen beeindruckenden Rundblick über Mülheim und das
Ruhrtal.
Während die Mehrzahl der Bürger den Turm als solchen kennt, wissen die Wenigsten
Details über seinen geschichtlichen Hintergrund.
Diese Tatsache bildete den Anreiz sich näher mit dem heimischen Denkmal zu
befassen und Fragen wie „Wann wurde der Turm errichtet?“, „Warum wurde der
Bismarckturm erbaut?“ und „Wie kam er zu seinem Namen?“ zu klären.
Nach einem persönlichen Besuch im Bismarckturm entschied ich mich endgültig den
Bismarckturm in Mülheim an der Ruhr als Thema für meine Facharbeit zu wählen. Die
Ausführungen des dort ansässigen Künstlers Leyendecker zu der Historie des
Bauwerks hatten mein Interesse geweckt.
Ich begann meine Recherchen im Stadtarchiv, wo ich zu meiner Überraschung noch
viele Zeitzeugnisse vorfand. Dementsprechend stammen die meisten der in der Arbeit
verwendeten Quellen hierher. Größtenteils Zeitungsartikel informieren über den
Entstehungsprozess und die Entwicklung des Turms. Doch auch andere Dokumente
wie die Bauakte mit Bauplänen, Rechnungen und Sitzungsprotokollen sind noch
erhalten. Da diese jedoch aufgrund ihres Alters fast ausschließlich handschriftlich und
in Sütterlin-Schrift vorliegen, war es mir nicht möglich diese Akten zu lesen und somit
in meine Arbeit einfließen zu lassen.
Die Suche nach weiterer Literatur sowohl in der Stadt- als auch in der
Universitätsbibliothek gestaltete sich schwierig. Es liegen nur sehr wenige Arbeiten zu
den Bismarcktürmen vor, die dann in nur geringer Auflage gedruckt wurden und
dementsprechend schwer aufzufinden sind. Des Weiteren konnte ich keine Literatur
finden, die sich speziell mit dem Bismarckturm in Mülheim befasst.
Die Auseinandersetzung mit dem Mülheimer Turm setzt zunächst eine Betrachtung der
Vielzahl von Bismarcktürmen und ihrem gemeinsamen Hintergrund voraus. Erst mit
diesen Erkenntnissen kann das spezielle Bauwerk sinnvoll betrachtet werden. In
meiner Arbeit werde ich also in dieser Reihenfolge vorgehen und abschließend ein
Fazit formulieren.
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Aufgrund des vorgegebenen Umfangs und der festgesetzten Bearbeitungszeit kann es
nur Ziel dieser Facharbeit sein, einen Einblick in die Thematik zu gewähren und
verschiedene Aspekte anzureißen. Wollte man das Phänomen der Bismarcktürme
umfassend untersuchen, so wären sicherlich weiter reichende Recherchen und somit
ein größeres Zeitfenster notwendig.
B. Die Bismarckturmbewegung
I. Verbreitung und Gestaltung
Der Bismarckturm in Mülheim an der Ruhr ist einer von insgesamt 240 Bismarcktürmen
und –Säulen, die in der Zeit von 1869 bis 1934 errichtet wurden. Bis heute sind noch
172 dieser Bauten erhalten, einige jedoch in stark sanierungsbedürftigem Zustand.1
Während sich die Mehrzahl der Denkmäler in den Grenzen des Deutschen Reiches
von 1914 befindet, gibt es bzw. gab es darüber hinaus vereinzelte Bauwerke in
Österreich, Ungarn, den ehemaligen Kolonien (Kamerun, Tansania, Papua-Neuginea)
und Chile.2 Innerhalb Deutschlands liegt der Schwerpunkt der Verbreitung im heutigen
Bundesland Nordrhein-Westfalen, welches über 24 noch erhaltene Türme verfügt.3
Diese Bauwerke sind alle mit der Intention errichtet worden, den Gründer des
Deutschen Reiches, Otto von Bismarck, zu ehren.
Die deutsche Studentenschaft nahm im Jahre 1898 die im Volk herrschende
„Bismarck-Euphorie“ zum Anlass, einen architektonischen Wettbewerb zur Gestaltung
eines Bismarckturms bzw. –Säule auszuschreiben. Charakteristisch für den prämierten
Entwurf „Götterdämmerung“4 von dem Architekten Wilhelm Kreis waren: quadratischer
Grundriss, mehrstufiger Unterbau, einfach gehaltener Sockel, Ecken bestehend aus
vier Säulen, kapitellartiges Gesims mit Überbau für eine Feuerschale.
Entgegen der ursprünglichen Erwartung wurde dieser Vorschlag jedoch nur 47mal
umgesetzt.5 Andere Architekten wichen - teils sogar wesentlich - von diesem Entwurf
ab, sodass die realisierten Bismarcktürme sehr unterschiedliche Formen und
Charakteristika aufweisen.
1 http://www.bismarcktuerme.de/website/ebene2/faq.html 2 vgl. Anhang: Statistik 3 vgl. Anhang: Abb. 21 4 vgl. Anhang: Abb. 20 5 http://www.bismarcktuerme.de/website/ebene2/historie.html
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Auch die Baumaterialien variierten, da vorwiegend heimische Ressourcen wie zum
Beispiel Granit, Kalkstein und Sandstein verwendet wurden. Die ersten Bismarcktürme
(vor 1899) wurden oft aus Holz errichtet.
Aufgrund der nie in Vergessenheit geratenen Grundidee weisen die Bismarcktürme
jedoch einige Gemeinsamkeiten auf. So sind die vorgesehenen Feuervorrichtungen
anzuführen, die zu bestimmten Anlässen zu Ehren Bismarcks entzündet werden
sollten. Außerdem wurden meist exponierte Standorte auf Erhebungen ausgewählt,
damit diese Feuer weithin für das ganze Volk sichtbar waren.6
Finanziert wurden die Bauwerke durch Spenden von Bürgern.7 Staatliche Mittel wurden
hierfür aufgrund der persönlichen Spannungen zwischen Wilhelm II. und Bismarck
nicht zur Verfügung gestellt. Der teuerste Turm entstand in Stettin/Polen. Er kostete
200.000 Mark.8
II. Der Bismarck-Mythos 1. Verehrung von Bismarck
Die dem Bau der Bismarckdenkmäler zugrunde liegende Verehrung Bismarcks ist
hauptsächlich auf seinen Verdienst als Reichsgründer zurückzuführen. Jedoch auch
sein unverwechselbarer Charakter und sein geschicktes Vorgehen führten dazu, dass
er vom Volk zu einer mythischen Persönlichkeit und zur nationalen Kultfigur erhoben
wurde.9 In der Zeit von 1895 bis 1933 gab es keine politische Ikone, der so
leidenschaftlich, massenhaft und aufwendig gehuldigt wurde wie Bismarck.10
Die deutsche Geschichte wurde seit dem Zerfall des Heiligen Römischen Reichs
Deutscher Nation von der Idee eines Einheitsstaats geprägt. Mit dem Sieg über
Napoleon in den Befreiungskriegen 1813/1814 und der Überwindung des
Partikularismus entwickelte sich aus diesem Wunsch ein frühes Nationalgefühl. Die
Gründung des Deutschen Bundes auf dem Wiener Kongress 1815 trieb diese
Bewegung weiter voran und wurde kurz darauf mit dem Wartburgfest 1819 zu einer
Nationalidee. Nachdem die Forderung nach einem Einheitsstaat in der Revolution 1848
zunächst scheiterte, erreichte Otto von Bismarck mit den Einigungskriegen nämlich
6 Reinartz / von Krockow, Bismarck, S. 23 7 Kloss / Seele, Bismarck-Türme und Bismarck-Säulen, S. 9 8 http://www.bismarcktuerme.de 9 http://www.bismarcktuerme.de/website/ebene3/bismarck/mythos.html; Reinartz / von Krockow, Bismarck, S. 17 10 Machtan, Bismarck und der deutsche Nationalmythos, S. 7
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dem deutsch-dänischen Krieg 1864, dem deutsch-österreichischen Krieg 1866 und
dem deutsch-französischen Krieg 1871, die lang ersehnte Reichsgründung.11
Infolgedessen kam es zu einem übersteigerten Nationalismus (verbunden mit
nationalimperialistischen Tendenzen wie Koloniegründungen und Aufrüstung von Heer
und Flotte).12
Vor allem das deutsche Bürgertum sah in Bismarck die ideale Figur, die erreichte
„Einheit“ und „Stärke“ Deutschlands zu symbolisieren.13
Darüber hinaus steigerten das von ihm entworfene Sozialversicherungssystem und
seine strategischen Abkommen, die den Frieden in Europa sicherten, seine Popularität.
Trotz innenpolitischer Schwierigkeiten, die durch die Sozialistengesetze und den
Kampf gegen die katholische Kirche auftraten, setzte der so genannte „Bismarckkult“
ein.
Seine Entlassung am 20. Mai 1890 durch Wilhelm II. verstärkte dieses Phänomen
noch. Der Umstand, dass der „neue Kurs“ seines Nachfolgers Caprivis den Unmut in
der Bevölkerung weckte, führte zu einem Anstieg der Popularität Bismarcks.14 Auch er
selbst hatte in nicht unerheblichem Maße zur Steigerung des Kults um seine Person
beigetragen. In Zusammenarbeit mit dem politischen Redakteur der „Hamburger
Nachrichten“, Hermann Hofmann, sorgte er dafür, das Interesse am Ex-Kanzler
aufrechtzuerhalten und seine Einmaligkeit zu dokumentieren.15
Der Erfolg seiner Selbstvermarktung zeigte sich exemplarisch an seinem 80.
Geburtstag: „während der Reichstag sich weigerte, einen Glückwunsch zu übersenden,
erreichten fast 10 000 Telegramme die Friedrichsruher Telegrafenstationen. Überall in
Deutschland konnte man vorgedruckte Gratulationskarten kaufen, die zu
abertausenden die Briefkästen im ganzen Reich verstopften.“16
Doch nicht alle Bevölkerungsgruppen teilten die Begeisterung für Bismarck;
Sozialdemokraten und Katholiken lehnten ihn ab. Getragen wurde diese Bewegung
vom Bildungsbürgertum und Wirtschaftskreisen sowie dem Beamtentum.
Die Verehrung gipfelte nach seinem Tod am 30. Juli 1898 in einem nahezu religiösen
Kult, der in einem Denkmalaufschwung Ausdruck fand.17
11 Burgemeister, Die Bismarcksäule bei Unna, S. 4 12 Born, Handbuch der Deutschen Geschichte, S. 330/331 13 http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/geschichte/summerschool/bismarck/verehrung.html 14 http://bismarck-kult.free-25.de/index.htm 15 Bernhardt, Bismarck, S. 33 16 Bernhardt, Bismarck, S. 34 17 Kloss / Seele, Bismarck-Türme und Bismarck-Säulen, S. 9
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2. Aufruf der Studentenschaft
Bereits vor Bismarcks Tod war eine Vielzahl von Denkmälern entstanden.
Der erste Turm zu Ehren Bismarcks wurde 1869 auf private Initiative in Ober-Johnsdorf
errichtet und bis 1897 entstanden 14 weitere entsprechende Bauten.18 Doch erst mit
der Idee der Bonner Studentenschaft, die 1898 von der Deutschen Studentenschaft
aufgegriffen wurde, entwickelte sich die Errichtung von Bismarcktürmen und –Säulen
zu einer flächendeckenden, reichsweiten Aktion.
Aus Anlass des Todes Bismarcks am 30. Juli 1898 war eine gemeinsame Ehrung des
Reichsgründers im Namen aller deutschen Studierenden beabsichtigt. Hieraus
entstand die Idee dem Alt-Reichskanzler „ein bleibendes, würdiges und volkstümliches
Wahrzeichen vaterländischen Dankes“19 zu errichten. Die Deutsche Studentenschaft
verfasste einen Aufruf an das deutsche Volk zum Bau von vielen möglichst gleich
gestalteten Bismarcksäulen. Um Vorschläge für die genaue Gestalt der Säulen zu
sammeln, wurde gleichzeitig ein Wettbewerb für Architekten ausgeschrieben.
Als Vorgaben waren die Herstellungskosten, diese sollten 20.000 Mark nicht
überschreiten, sowie die Verwendung von einfach bearbeitetem Stein formuliert
worden. Weiterhin sollten die Denkmäler in Anlehnung an Rituale der „alten Sachsen
und Normannen“ über „gewaltige granitene Feuerträger“ verfügen.20
Die Bismarcksäule sollte „einfach und prunklos sein, auf massivem Unterbau eine
schlichte Säule, nur mit dem Wappen und Wahlspruch des eisernen Kanzlers
geschmückt“21. Mit der Schlichtheit beabsichtigte man, eine Parallele zu Bismarcks
Persönlichkeit zu ziehen und gleichzeitig eine Abgrenzung gegenüber dem Stil Wilhelm
II. vorzunehmen. Der massive Unterbau symbolisierte die Stärke Deutschlands.22
Die Architektur und Bauweise der Türme ließ Bismarck als Person in den Hintergrund
treten und demonstrierte die „Behauptung der Macht gegenüber inneren und äußeren
Feinden“23. Ein einheitlicher Turm sollte als „Sinnbild der Einheit Deutschlands“ „überall
wo Deutsche wohnen“24 errichtet werden.
18 http://www.bismarcktuerme.de/website/ebene2/statist.html 19 Krauskopf, Bismarckdenkmäler, S. 123; vgl. Anhang: Aufruf der Studentenschaft 20 Krauskopf, Bismarckdenkmäler, S. 125 21 vgl. Anmerkung 19 22 http://www.bismarck-kult.free-25.de/index.htm 23 vgl. Anmerkung 19 24 vgl. Anmerkung 19
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Als Standort wurden „alle Höhen unserer Heimat, von wo der Blick über die
herrlichsten deutschen Lande schweift“25 vorgeschlagen, damit wurde die „Nation
symbolisch erhöht“.26 Vorteil dieser erhabenen Position wäre auch, dass die aus
Anlass der „gemeinsamen Feier seines verklärten Helden“ entzündeten Flammen,
weithin sichtbar wären. Auch sollte die deutsche Einheit durch das zeitgleiche
Entzünden der Feuerschalen und andere rituelle Handlungen demonstriert werden.
Die Studenten beabsichtigten also mit diesem Vorhaben sowohl das Andenken an
Bismarck zu pflegen als auch an die Einheit der Volksnation zu appellieren.
Der Aufruf richtete sich an das ganze deutsche Volk, damit erhoffte sich die
Studentenschaft die notwendige Unterstützung der Bürger bei der Verwirklichung ihrer
Vorstellung von dem Bau der flächendeckenden Bismarcksäulen.
Letztendlich erfüllte sich dieser Wunsch der Studentenschaft, obwohl der preisgekrönte
Entwurf „Götterdämmerung“ von Wilhelm Kreis, der alle Vorgaben erfüllte, nur
insgesamt 47-mal umgesetzt wurde (vgl. B.I.).
C. Der Bismarckturm in Mülheim an der Ruhr
Auch in Mülheim an der Ruhr nahm man bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts die
Idee der Deutschen Studentenschaft auf, zum Gedenken an den „Schmied des
Deutschen Reiches“ einen Bismarckturm zu erbauen.
I. Bau des Turms 1. Planung und Realisierung
Zunächst beabsichtigte die Ortsgruppe Mülheim an der Ruhr des Alldeutschen
Verbandes eine Bismarcksäule zu errichten. Die Befürworter dieses Gedankens trafen
sich einige Male auf der Höhe auf der Dimbeck zu einer Gedenkfeier zu Ehren
Bismarcks und begannen bald mit der Sammlung von Spenden für den geplanten
Turm. Es wurde eigens ein engerer Ausschuss gegründet, der das Vorhaben in die Tat
umsetzen sollte.27
25 Krauskopf, Bismarckdenkmäler, S. 123 26 Burgemeister, Die Bismarcksäule bei Unna, S. 5 27 Vaterstädtische Blätter, Nr. 32, 1908
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Bis 1902 hatte man Spenden in Höhe von insgesamt 11.000 Mark gesammelt. Dies
war nicht zuletzt auf die Unterstützung von Einzelpersonen wie zum Beispiel des
Reichstagsabgeordneten und Ehrenbürgers der Stadt Mülheim an der Ruhr, Dr. jur.
Hammacher, zurückzuführen. In einem Schreiben vom 6. Oktober 1902 an den
Vorsitzenden des Ausschusses kündigte dieser seine Spende in Höhe von 500 Mark
an und drückte gleichzeitig seine Hochachtung gegenüber dem „warmen Patriotismus
und der dankbaren Verehrung unseres großen Kanzlers in der dortigen Bevölkerung“
aus.28 Dieses Schreiben verdeutlicht die damalige Stimmung innerhalb der
Bevölkerung.
Ab 1902 nahm das Spendenaufkommen jedoch stetig ab, um schließlich ganz zu
versiegen. Die Planung wurde daher zunächst nicht weiterverfolgt. Die durch Spenden
eingenommene Summe hätte für eine Bismarcksäule, für die etwa 25.000 Mark
veranschlagt waren, bei weitem nicht gereicht.
Der Impuls zur Wiederaufnahme des Projekts war die Bekanntmachung, dass die
Familie Leonhard sich bereit erklärt hatte, die kompletten Kosten für den Bau eines
Bismarckturmes zu tragen.
Dr. phil. et med. Hermann Leonhard und seine Frau Margarete geb. Stinnes waren
zwar nach Berlin gezogen, doch finanzierten sie mit ihrem Vermögen, das sie nach
dem Tod ihrer Tochter (1903) in Stiftungen einbrachten, einige Bauwerke in ihrer
Heimatstadt Mülheim wie die Augenheilanstalt am Hingberg, Lesesaal und Stadt-
bücherei, einen großen öffentlichen Spielplatz auf dem Kahlenberg und nun den
geplanten Bismarckturm.
Nach dem Tod Dr. Leonhards im Jahre 1905 war dessen Neffe, Kommerzienrat
Gerhard Küchen, mit der Betreuung des Projektes beauftragt worden. Er wählte die
Höhe des Kahlenbergs als späteren Standort für den Turm aus. Den idealen
Standpunkt ermittelte Küchen, in dem er gemeinsam mit dem damaligen
Oberbürgermeister Dr. Lembke auf einer ausgezogenen Feuerwehrleiter die Fernsicht
überprüfte.29
Der Entwurf, der an dieser Stelle verwirklicht werden sollte, stammte von dem
Mülheimer Beigeordneten und Baudezernenten Carl Linnemann.
Dieser sah einen 27 Meter hohen Turm vor, der auf einem neun mal neun Meter
großen Podest fußt. Die sich nach oben verjüngende Hohlsäule verbindet
„imponierende Wucht mit gefälliger, […] anmutiger Schlankheit“30.
28 Vaterstädtische Blätter, Nr. 32, 1908 29 Stadtspiegel, Heft 4, 1984, S.11 30 Rhein- und Ruhrzeitung, Nr. 140, 1909, S. 3
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An der Rückseite des Turms wurde etwa sieben Meter über dem Boden ein Balkon
angelegt, der für Redner bei Festveranstaltungen vorgesehen war. Auf der Höhe von
20 Metern befindet sich ein Umlaufbalkon, der dem Besucher einen beeindruckenden
Fernblick gewährt.
Gebaut wurde der Turm von der Mülheimer Baufirma Rudolphi, die das
Eisenbetonmauerwerk mit insgesamt 350 Quadratmetern Ruhrkohlensandstein
verkleidete. Um die Balkone und die Außenkanten optisch hervorzuheben, wurde hier
die blaugraue Niedermendiger Basaltlava verwendet.31
Durch die Verarbeitung dieser Materialien wurde die Bedingung der Studentenschaft,
heimische Gesteinsarten zu verwenden, erfüllt. Auch die Standortwahl entspricht
aufgrund der erhobenen Lage den Vorgaben.
Optisch steht der schlanke Turm jedoch in krassem Gegensatz zu der gedrungenen
Architektur der Feuersäule „Götterdämmerung“ von Wilhelm Kreis. Doch scheint der
Turm in seiner Form bewusst mittelalterlichen Wehrtürmen nachgebildet zu sein. „Die
im Bauwerk sich ausdrückende Geste des Starken und Wehrhaften ist deshalb so
hervorgehoben, da man diese Eigenschaften auf die Person Bismarcks übertragen
sehen wollte und ihn zum Beispiel als „Eiserner Kanzler“ bezeichnete“.32
Der auf der Vorderseite des Turmes in Stein gehauene Reichsadler stellt einen Bezug
zur Volksnation dar. Er wurde von dem Berliner Bildhauer Künne gestaltet.
Als Besonderheit des Mülheimer Turms ist die elektrische Beleuchtung anzuführen, die
in einem laternenartigen Gehäuse auf der Spitze des Turmes installiert wurde.
Insgesamt kostete die Errichtung des Turmes 60.000 Goldmark.33
Da die Familie Leonhard unbeschränkte Mittel zur Errichtung des Bismarckturms zur
Verfügung gestellt hatte, musste das Komitee zur Errichtung einer Bismarcksäule nun
entscheiden, was mit dem durch Spenden gesammelten Geld, das für den Bau nicht
mehr benötigt wurde, geschehen sollte. Am 1. April 1908 trafen sich die
Verantwortlichen im „Parkhotel“ in den Ruhranlagen, um hierüber zu beraten.
Vorsitzender der Versammlung war Kommerzienrat Küchen. Doch an diesem Tag
wurde noch kein Beschluss gefasst. Es wurde lediglich ein Ausschuss „Bismarcksäule“
gegründet, der beauftragt wurde, eine alternative Verwendung für die Gelder zu finden.
Gleichzeitig sollte ein Entwurf für eine altgermanische Feuerstätte, die dem
Bismarckturm angegliedert werden sollte, vorgelegt werden.
31 Mülheimer Jahrbuch, 1959, S. 107 32 Stadtspiegel, Heft 9, 1980, S. 11 33 Mülheimer Jahrbuch, 1959, S. 107
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Später einigte man sich darauf, das durch Zinserträge auf 15.000 Mark angewachsene
Spendengeld zur Errichtung zweier Feueraltäre sowie der Fertigung einer
Bismarckbüste für die Eingangshalle des Turmes zu nutzen.34
2. Grundsteinlegung
Nachdem der Verband der patriotischen Vereine Mülheims in zwei Versammlungen die
Grundsteinlegungsfeier des Bismarckturmes geplant und über das Datum diskutiert
hatte, einigte man sich letztendlich auf den Sonntag nach dem 30. Juli, dem
zehnjährigen Todestag Bismarcks. Zunächst hatte man den 30. Juli selbst ins Auge
gefasst, jedoch waren Bedenken gegen die Wahl eines Wochentages ausgesprochen
worden, sodass man die Feier auf den 2. August legte.35
Das Programm für diesen Festtag wurde von dem Vorsitzenden des Verbandes der
vaterländischen Vereine, Kaufmann Karl Itzenplitz, und dem mit der Vorbereitung der
Grundsteinlegungsfeier betrauten Festausschuss, unter Vorsitz von Gerhard Küchen
als Vertreter der Familie Leonhard, zusammengestellt.
Man einigte sich darauf die Grundsteinlegung mit einer „Nationalen Gedenk-Feier“ zu
verbinden. Der Ablauf dieser Feier veranschaulicht sehr deutlich, welche Stimmung in
der damaligen Bevölkerung herrschte, welcher Nationalstolz die Menschen der
damaligen Zeit erfüllte.
Die Feier der Grundsteinlegung des Bismarckturmes sollte „ein Fest stolzer Erinnerung
werden an Deutschlands große Zeit, in der Germaniens Heldensöhne ihr junges
Herzblut hingaben für des Vaterlandes Ehre und Herrlichkeit, ein Fest der Dankbarkeit
gegen die hehren Reckengestalten die mit zielbewusster Mannestat den
Einheitsgedanken verwirklichen halfen, insbesondere aber gegen jenen besonderen
Heros, der mit nerviger Faust das Deutsche Reich geschmiedet, der durch Blut und
Eisen die Deutschen Stämme geeint, der dem verdienstreichen, greisen Wilhelm die
Kaiserkrone auf das edle Haupt gedrückt. Möge der Verlauf der Feier ein derartiger
sein, dass von allen die sich darum verdient gemacht, wie von allen, die daran
teilnehmen werden, mit Fug die Worte gelten können „Ihr seid eurer Väter wert!““.36
Beteiligt waren neben der Kriegerkameradschaft sämtliche patriotischen Vereine
Mülheims. Gemeinsam zogen diese vom Rathausmarkt zum festlich mit Fahnen
34 Mülheimer Jahrbuch, 1959, S. 107; Vaterstädtische Blätter, Nr. 32, 1908 35 Vaterstädtische Blätter, Nr. 32, 1908 36 Vaterstädtische Blätter, Nr. 32, 1908
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geschmückten Platz am Kahlenberg, wo die Vertreter der Stadt, der Garnison, des
Offiziervereins und sonstige Gäste sich bereits versammelt hatten. Neben den
offiziellen Gästen hatten sich - bei gutem Wetter - auch viele Bürger eingefunden, um
der Feier zu folgen.
Das Programm begann mit einem Huldigungsmarsch von Richard Wagner, dem die
Ansprache des Kommerzienrats Küchen folgte. Nach der offiziellen Begrüßung verlas
er ein Telegramm der Stifterin, Frau Dr. Leonhard, das später in den Grundstein
eingefügt wurde. Frau Leonhard beschrieb den geplanten Bismarckturm als
„Wahrzeichen der Dankbarkeit gegenüber Deutschlands großem Sohne Otto von
Bismarck, dem gewaltigen Recken, der Deutschlands Einheit schuf als der treueste
Diener seines Kaisers“.37
Es folgte eine Jubel-Ouvertüre Beethovens, die von den vereinigten Männer-
Gesangvereinen „Einigkeit“, „Frohsinn“, „Harmonie“ und „Sängerbund“ und des
Orchesters des Musikkorps des 2. Kurhessischen Infanterie-Regiments Nr. 82
dargeboten wurde. Die anschließende Weiherede hielt Pfarrer Haun aus Essen-West.
Er hob abermals die Bedeutung Bismarcks für das deutsche Volk hervor. Nach einem
weiteren Chorlied wurde der Grundstein feierlich mit Hammerschlägen von Mülheimer
Honoratioren (z. B. Oberbürgermeister Dr. Lembke, Baudezernent Linnemann,
Bauunternehmer Rudolphi) vermauert. Die Feier endete mit dem patriotischen Chorlied
„Siegesgesang der Deutschen nach der Varusschlacht“.
Der Festakt auf dem Kahlenberg dauerte insgesamt eine Stunde. Anschließend begab
man sich zum Kahlenberg-Restaurant, wo das Festbankett, an dem 1500 Leute
teilnahmen, stattfand. Auch hier war das Programm stark patriotisch geprägt.38
3. Einweihung
Nach einer Bauzeit von acht Monaten erfolgte am 1. April 1909, einem Donnerstag, die
feierliche Einweihung des Bismarckturms. Auch hier wurde ein Datum ausgewählt, das
in direktem Bezug zu Otto von Bismarck steht, nämlich sein Geburtstag.
Wie bei der Feier zur Grundsteinlegung trafen sich die zum Verbande der
vaterländischen Vereine gehörigen Vereine am späten Nachmittag auf dem
Rathausplatz und marschierten unter der Musik zweier Kapellen und mit „fliegenden
37 Vaterstädtische Blätter, Nr. 33, 1908 38 vgl. Anhang: Programm des Fest-Banketts
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Fahnen“39 zum Denkmalsplatz. Dort warteten bereits die Spitzen der Militär- und
Zivilbehörden.
Die Feier wurde eingeleitet durch eine Rede des Beigeordneten Linnemann, der den
Turm entworfen hatte. Er beschränkte sich auf kurze Ausführungen zu dem Bau als
solchen und übergab die Schlüssel an Kommerzienrat Küchen. Dieser hielt seinerseits
eine Rede, in der er auf das Licht, das von dem Bismarckturm weit in das Ruhrland
hinein leuchte, als Symbol für Einigkeit, die stark mache, einging. Anschließend sprach
er kurz die Verdienste Bismarcks an. Dann übergab er die Schlüssel an
Oberbürgermeister Dr. Lembke als Vertreter der Stadt Mülheim. Während dessen
Rede wurde ein Feuer am Fuße des Turmes entzündet, das mit Freudenfeuern auf der
anderen Ruhrseite korrespondierte. Gleichzeitig wurden Böllerschüsse abgegeben und
auf der Spitze des Turmes wurde die elektrische Beleuchtungsanlage in Betrieb
genommen.40
Nach einem Choral folgte die Festrede eines Privatdozenten aus Bonn, Dr. Hermann,
der über die Verbreitung von Bismarcktürmen und –Säulen und deren Hintergrund, die
Verehrung Bismarcks, referierte.
Schließlich wurde gemeinsam die spätere Nationalhymne (Deutschland, Deutschland
über Alles) mit Musikbegleitung gesungen. Es gab dann die Möglichkeit, das Innere
des Turms zu besichtigen.
Der Festakt endete mit dem Zapfenstreich der Militärkapelle, nach dem die Vereine
abmarschierten.41
Im Anschluss hieran fanden zwei getrennte Festbankette statt. Während sich die
Zivilvereine und die Vertreter der Stadt im Math. Kirchholtesschen Saale trafen,
feierten die Kriegervereine und die Militärs im Saale Rob. Kasel. Bei beiden
Veranstaltungen wurden nochmals die Verdienste Bismarcks für Deutschland
hervorgehoben und das Vaterland als solches gewürdigt.42
4. Die Bismarckbüste und Feueraltäre 39 Vaterstädtische Blätter, Nr. 14, 1909, S. 4 40 Vaterstädtische Blätter, Nr. 14, 1909, S. 5 41 vgl. Anmerkung 40 42 vgl. Anmerkung 40
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Die durch Spenden finanzierte Büste des Berliner Bildhauers Arnold Künne wurde am
9. Dezember 1910 in der Halle des Bismarckturms aufgestellt. Künne hatte mit seinem
Entwurf den vom Magistrat ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen.43
Das zirka 2,50 Meter hohe Denkmal wurde von dem Künstler, der auch das Kaiser-
Friedrich Denkmal in Mülheim an der Ruhr errichtete, aus Muschelkalkstein gemeißelt.
Eigentlich aus zwei Blöcken gefertigt wirkt das Kunstwerk doch als eine Einheit, da ein
Gewand, das über Brust und Schultern herabfiel, den Übergang von Büste zum
Unterbau kaschierte.
Die Büste - als Kunstwerk, „das wie Bismarck selbst aus urwüchsigem deutschen
kernigen Gestein geschaffen, beides würdig des größten deutschen Mannes seinen
Ruhm fernsten Zeiten kündend“ gewertet44 - wurde in der architektonisch aufwendig
gestalteten Eingangshalle postiert. Der quadratische Raum verfügt in den Ecken über
Rundpfeiler mit Würfelkapitellen, die die Kreuzrippen des Gewölbes tragen. Dies
erinnert an die Bauweise von Kirchen oder Kapellen.45
Die offizielle Abnahme des Kunstwerkes fand am 12. Dezember durch den Ausschuss
„Bismarcksäule“ statt. Auch der Künstler selbst war zu diesem Anlass anwesend.
Der Öffentlichkeit wurde die Bismarck-Büste allerdings erst am 1. April 1911
präsentiert. An diesem Geburtstag Bismarcks wurden außerdem die für 3000 Mark
errichteten Feueraltäre im Rahmen einer Gedenkfeier eingeweiht.46 Die
Sandsteinblöcke hierfür wurden vom heimischen Steinbruch Rauen geliefert.
Das Programm der Feierlichkeit entsprach in etwa der Grundsteinlegung bzw.
Einweihung des Turms.
Mit der Errichtung der Feueraltäre wurde gleichzeitig auch auf die in der Presse
geäußerte Kritik bezüglich der elektrischen Beleuchtungsanlage reagiert.
Denn anders als die meisten Bismarcktürme besaß der Mülheimer ursprünglich „eine
elektrische Beleuchtungsanlage, die in einem auf der Spitze des Turmes angebrachten
laternenartigen Gehäuse angeordnet ist und zweifellos Anlaß zum Widerspruch geben
wird“47. Das Fehlen der „freien, lebendigen, lodernden Flammen, die zum Himmel
aufschlagend, die nie erlöschende Liebe und Verehrung des deutschen Volkes zu dem
43 vgl. Anhang: Historische Dokumente 44 Vaterstädtische Blätter, Nr. 53, 1910, S. 2 45 Stadtspiegel, Jahrgang 14, 1980, Heft 9, S. 10 46 vgl. Anhang: Plan-Feueraltäre; Stadtspiegel, Nr. 4, 1989, S. 13 47 Rhein- und Ruhrzeitung, Nr. 140, 1909, S. 3
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Schöpfer eines einigen Deutschen Reiches sinnbildlich darstellen“48 sahen einige als
großen Nachteil des Bauwerks an. Für sie stellten die Flammen eine Tradition dar, die
die Einheit des Volkes symbolisierte. Dies war ihnen wichtiger als der technische
Fortschritt, der hierin sichtbar wurde, und der Vorteil, dass das Licht weiter sichtbar
war.49
II. Die Nutzung des Bismarckturms
Der Bismarckturm wurde in den folgenden Jahren zum Mittelpunkt der Gedenkfeiern zu
Ehren Bismarcks. Außerdem wurde der Turm als Aussichtspunkt genutzt. Zum Preis
von zehn Pfennig für Erwachsene und fünf Pfennig für Kinder konnte man den Ausblick
ins Ruhrtal genießen. Das eingenommene Geld wurde für die Bezahlung eines
Turmwärters und die Pflege des Bauwerks genutzt.50
Die beiden Weltkriege hinterließen jedoch auch am Bismarckturm ihre Spuren. Er
wurde mehrmals durch Kriegseinwirkungen beschädigt.51 In diesem Zeitraum kam es
auch zur Zerstörung der Bismarck-Büste.
Unter der Nazi-Diktatur wurden die Feueraltäre für Propagandafeiern zweckentfremdet
und Anfang der 50er Jahre ganz abgetragen.52
Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Turm militärisch genutzt; auf ihm war ein
Flakposten stationiert.53 Nach Ende des Krieges benutzten englische Truppen den
Turm als Funkstation.54 Als die Besatzungseinheiten 1956, nach elf Jahren, den
Bismarckturm freigaben, war er stark sanierungsbedürftig.55 Dies führte 1957 erstmals
zu der Frage, „Bismarckturm ja oder nein?“56. Im Rahmen einer Leserbefragung der
NRZ, die auf große Resonanz stieß, sprachen sich 97 % der Befragten für den Erhalt
des Turmes als „ein Zeichen deutscher Geschichte“ aus und lehnten damit den
Vorschlag eines Abbruchs klar ab.57
Die Renovierungskosten wurden 1964 auf 100.000 DM geschätzt.
48 Rhein- und Ruhrzeitung, Nr. 140, 1909, S. 3 49 Stadtspiegel, 1980, Heft 9, S. 11 50 Stadtspiegel, 1989, Heft 4, S. 13 51 Stadtspiegel, 1984, Heft 4, S. 12 52 Stadtspiegel, 1989, Heft 4, S. 13 53 http://www.muelheim-ruhr.de/der_bismarckturm_in_muelheim_an_der_ruhr1.html 54 Westdeutsche Allgemeine Zeitung, vom 01. April 1965 55 Neue Ruhr Zeitung, Nr. 76, 1959 56 Neue Ruhr Zeitung, vom 13. Februar 1957 57 Neue Ruhr Zeitung, vom 13. Februar 1957
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Ende der 70er Jahre wurde der Fortbestand des Bismarckturms abermals in Frage
gestellt. Auf dem Kahlenberg sollte ein neues Wohngebiet entstehen.58 Doch auch
dieser Plan wurde im August 1970 endgültig verworfen und der Erhalt des Denkmals
beschlossen. Was genau mit dem Turm geschehen sollte, war zu diesem Zeitpunkt
noch nicht geklärt.
Erst nach weiteren neun Jahren entschloss sich die Stadt zu einer Renovierung des
Turms und kam damit ihrem bei der Einweihung gegebenen Versprechen nach, den
Turm zu beschützen und zu bewahren.59
Neben der Restaurierung der Fassade erhielt er neue Fenster und Türen. Im Inneren
wurde die völlig verrostete eiserne Spindeltreppe ersetzt und die Decken- und
Wandflächen ausgebessert.60 Die Kosten betrugen 230.000 DM.61 Nach Abschluss der
Arbeiten wurde der Turm im Juli 1980 wieder als Aussichtsturm freigegeben. Da jedoch
keine öffentlichen Mittel für die Finanzierung eines Pförtners vorhanden waren, konnte
der Turm nur im Rahmen, der von der Stadt angebotenen Rundfahrten bestiegen
werden.62
Um den Turm wieder einer breiteren Bevölkerung zugänglich zu machen, stimmte die
Gretchen-Leonhard-Stiftung als Eigentümerin des Turms dem Vorschlag zu, das
Baudenkmal als Aussichtspunkt und Aktionsort zu nutzen. Nach weiteren Umbau- und
Renovierungsmaßnahmen (Strom- und Wasserversorgung) unter Regie des
Wirtschaftsförderungsamts wurde ein Vertrag mit dem Künstler Jochen Leyendecker
geschlossen, der von nun an seine Galerie und Werkstatt im Turm einrichtete.63 Bis
heute sorgt er dafür, dass der Turm für Besucher geöffnet ist.
III. Alternative Nutzungsmöglichkeiten
Obwohl die jetzige Nutzung des Bismarckturms als Künstleratelier, Ausstellungs- und
Aktionsort für kulturelle Veranstaltungen (Ausstellungen, Lesungen, Gesprächsforen,
Musik-, Theater-, Filmprojekte und Workshops64) seine Erhaltung und die Öffnung für
die Bevölkerung gewährleistet, sollte über alternative Nutzungsmöglichkeiten
58 http://www.muelheim-ruhr.de/der_bismarckturm_in_muelheim_an_der_ruhr1.html 59 Stadtspiegel, Heft 4, 1984, S. 12 60 Stadtspiegel, Heft 4, 1984, S. 13 61 Stadtspiegel, Nr. 4, 1989, S. 13 62 Stadtspiegel, Heft 4, 1984, S. 13; Stadtspiegel, 1989, Nr. 4, S. 13 63 Neue Ruhr Zeitung, Nr. 11, 1998 64 Neue Ruhr Zeitung, Nr. 11, 1998
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nachgedacht werden. Da die Umgestaltung des Turms zum „Kulturort Bismarckturm“65
nur eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung anspricht, nämlich die Kunst-
Interessierten, wäre eine andere Nutzungsmöglichkeit, die das Interesse einer weiter
gefächerten Klientel weckt, sinnvoll, um die Popularität des Denkmals zu steigern.
Aufgrund der baulichen Vorraussetzungen sind die Möglichkeiten jedoch stark
eingeschränkt. Die Eingangshalle als größter Raum verfügt nur über eine Grundfläche
von 5,80 m mal 5,80 m und auch die Zwischenetagen, die lediglich über eine
Spindeltreppe zu erreichen sind, lassen eine Nutzung für große öffentliche
Veranstaltungen nicht zu. Ohne bauliche Veränderung, die zweifellos das Gesamtbild
stören würde, ist auch eine Nutzung als Café, Restaurant oder ähnliches nicht
denkbar.
Auf jeden Fall sollte der Turm als Aussichtspunkt erhalten bleiben, da er der einzige
Aussichtsturm im unteren Ruhrtal ist.66 Mülheim als „die grüne Stadt im Herzen des
Ruhrgebiets“67 muss den Turm als touristische Attraktion nutzen, um Besucher
anzuziehen. Ideal ist insofern auch seine nahe Lage zur Ruhr, die als Ausflugsziel bei
den Bürgern sehr beliebt ist.
Die einzige Möglichkeit, die Popularität des Bismarckturms für Ausflügler zu erhöhen,
wäre meiner Meinung nach, den Standort Kahlenberg aufzuwerten. Vorstellbar wäre in
diesem Zusammenhang zum Beispiel die Erbauung eines an die Umgebung
angepassten Lokals, während der Sommermonate verbunden mit einem Biergarten. Es
ist davon auszugehen, dass eine solche Gastronomie gut angenommen werden würde,
vor allem weil es entsprechende Angebote in unmittelbarer Nähe nicht gibt. Positiv zu
erwähnen ist auch die schon vorhandene Verkehrsanbindung durch die Straßenbahn
und einige schon vorhandene Parkplätze.
Die Realisierung eines solchen Projektes würde jedoch einen großen finanziellen
Aufwand voraussetzen, den die Stadt Mülheim auf jeden Fall nicht aufbringen kann.
Grundsätzlich sollten aber bei allen Versuchen, den Mülheimer Bismarckturm
möglichst attraktiv zu gestalten, seine historische Vergangenheit und die Motive, die zu
seiner Entstehung geführt haben, nicht in Vergessenheit geraten. Die wenigsten
Mülheimer kennen den geschichtlichen Hintergrund des Bauwerks. Abhilfe könnte eine
65 http://www.muelheim-ruhr.de/der_bismarckturm_in_muelheim_an_der_ruhr1.html 66 Mülheimer Jahrbuch, 1959, S. 107 67 http://www.muelheim-ruhr.de
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Ausstellung im Turm zu dessen Geschichte schaffen. Diese könnte auch von den
örtlichen Schulen besucht werden, sodass der Geschichtsunterricht durch den direkten
Bezug zur Heimatstadt anschaulicher zu gestalten wäre. Zu befürchten ist jedoch, dass
auch in diesem Fall nur eine begrenzte Anzahl der Bürger angesprochen wird und
somit die Besucherzahlen nicht zunehmen würden.
Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik hat gezeigt, dass das Erstellen eines
Nutzungsplans für den Bismarckturm ausgesprochen schwierig ist. Dies ist
wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass der Turm so lange leer stand und erst seit
1998 als Kunst-Ort wieder kontinuierlich genutzt wird.
D. Fazit
In den Jahren nach seiner Errichtung erfüllte der Bismarckturm seinen Zweck als
Denkmal für den Reichsgründer Bismarck und damit für die Volksnation Deutschlands.
Er war Symbol für Macht und Stärke des Einheitsstaats Deutschland und spiegelte
damit den Zeitgeist wieder. Bei vielen Feiern, die auf den gleichen Motiven beruhten,
stand er im Mittelpunkt.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlor er seine ursprüngliche
Bedeutung. Zweckentfremdet als Flakposten oder Sendeturm schien nichts mehr an
die ursprüngliche Idee zu erinnern. Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg schien
dieses Symbol des Patriotismus seine Daseins-Berechtigung verloren zu haben. Dies
erklärt auch die Jahre, in denen der Turm verfiel, und man sogar mit den Gedanken
spielte, ihn abzureißen.
Erst mit einigem zeitlichen Abstand gelang es ein Konzept für den Turm zu entwickeln,
das ihn wieder ins Interesse rückte, diesmal jedoch mit einem ganz anderen
Hintergrund. Die Kunst schaffte es, dem Turm neuen Sinn zugeben und ihn gleichzeitig
als historisches Baudenkmal zu erhalten. Der Bismarckturm hat sich also abermals
dem Zeitgeist angepasst.
Die Beschäftigung mit dem Mülheimer Bismarckturm im Rahmen dieser Facharbeit ließ
deutlich werden, dass die Untersuchung eines heimischen Denkmals den Bezug zur
deutschen Geschichte erleichtert und diese gleichzeitig greifbarer macht.
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E. Anhang
I. Historische Dokumente
1. Aufruf der deutschen Studentenschaft am 3. Dezember 189868
„An das deutsche Volk!
Eingedenk Ihrer Aufgabe, allezeit Hüterin des nationalen Gedankens zu sein, hat die
akademische Jugend aller Universitäten und Hochschulen Deutschlands sich geeinigt,
eine allgemeine Kundgebung des deutschen Volkes für unsern dahingeschiedenen
Altreichskanzler anzuregen, die dem Unvergeßlichen ein bleibendes, würdiges und
volkstümliches Wahrzeichen vaterländischen Dankes ausrichte.
Nicht ein einzelnes Monument von blendender Pracht, mehr ein Schaustück für
staunende Fremde wie Gemeingut der deutschen Volksgenossen, soll dem schlichten
Helden erstehen. Wie vor Zeiten die alten Sachsen und Normannen über den Leibern
ihrer gefallenen Recken schmucklose Felsensäulen auftürmten, deren Spitzen
Feuerfanale trugen, so wollen wir unserm Bismarck zu Ehren auf allen Höhen unserer
Heimat, von wo der Blick über die herrlichsten deutschen Lande schweift, gewaltige
granitene Feuerträger errichten. Ueberall soll, ein Sinnbild der Einheit Deutschlands,
das gleiche Zeichen erstehen, in ragender Größe, aber einfach und prunklos, auf
massivem Unterbau eine schlichte Säule, nur mit dem Wappen und Wahlspruch des
eisernen Kanzlers geschmückt. Keinen Namen soll der gewaltige Stein tragen, aber
jedes Kind wird ihn dem Fremden deuten können: "Eine Bismarcksäule!" (...)
Von der Spitze dieser Bismarcksäulen sollen aus ehernen Feuerbehältern Flammen
weithin durch die Nacht leuchten, so oft unser Volk in gemeinsamer Feier seines
verklärten Helden gedenkt. Diesen ihren Plan zu verwirklichen, wendet sich die
deutsche Studentenschaft an das ganze deutsche Volk. (…)
Möge die treue Dankbarkeit und opferfreudige Liebe des deutschen Volkes uns
beistehen, daß Wahrheit werde, was wir aus eigener Kraft nur planen und anregen
können, unserm Altreichskanzler zum Gedächtnis und zur Ehre unsres geliebten
deutschen Vaterlandes.“
Die deutsche Studentenschaft
68 Krauskopf, Bismarckdenkmäler, S. 123
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II.Übersicht zu den Standorten der Bismarcktürme
Land Bismarcktürme davon erhalten
Deutschland 184 146
Polen 40 17
Russland 4 2
Tschechien 3 3
Frankreich 3 1
Dänemark 1 0
Österreich 1 1
Chile 1 1
Papua-Neuguinea 1 0
Tansania 1 0
Kamerun 1 1
insgesamt 240 172
Bundesland Bismarcktürme davon erhalten
Baden-Württemberg 9 9
Bayern 13 12
Berlin 1 0
Brandenburg 11 8
Bremen 1 0
Hamburg 1 0
Hessen 13 12
Mecklenburg-Vorpommern 4 1
Niedersachsen 15 11
Nordrhein-Westfalen 31 24
Rheinland-Pfalz 14 12
Sachsen 23 18
Sachsen-Anhalt 16 15
Schleswig-Holstein 8 7
Thüringen 24 17
insgesamt 184 146
(erstellt von der Autorin, anhand von Daten aus www.bismarcktuerme.de)
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III. Quellen-, Literatur- und Bilderverzeichnis
1. Quellenverzeichnis
• Vaterstädtische Blätter, (Nr. 32) vom 01. August 1908
• Vaterstädtische Blätter, (Nr. 33) vom 08. August 1908
• Vaterstädtische Blätter, (Nr. 14) vom 03. April 1909
• Vaterstädtische Blätter, (Nr. 53) vom 24. Dezember 1910
• Vaterstädtische Blätter, (Nr. 16) vom 01. April 1911
• Mülheimer Volkszeitung, vom 02. April 1909
• Rhein- und Ruhrzeitung, vom 02. August 1908
• Rhein- und Ruhrzeitung, (Nr. 140) vom 24. März 1909
• Neue Ruhr Zeitung, vom 13. Februar 1957
• Neue Ruhr Zeitung, (Nr. 76) vom 01. April 1959
• Neue Ruhr Zeitung, (Nr. 11) vom 14. Januar 1998
• Westdeutsche Allgemeine Zeitung, vom 01. April 1965
• Westdeutsche Allgemeine Zeitung, (Nr. 17), vom 21. Januar 2003
• Mülheimer Jahrbuch, 1959, S. 106 - 107, 50 Jahre Bismarckturm,
Schreiber, Günther
• Stadtspiegel, Jahrgang 10, 1959, Heft 4, S. 20
• Stadtspiegel, Jahrgang 14, 1980, Heft 9, S. 10 - 11, An den „Eisernen Kanzler“
erinnert heute im Bismarckturm nichts mehr
• Stadtspiegel, Jahrgang 18, 1984, Heft 4, S. 11 - 13, Kaum einer kennt den Blick
vom Bismarckturm
• Stadtspiegel, Jahrgang 23, 1989, Heft 4, S. 12 - 13, Seit 80 Jahren auf dem
Kahlenberg: Der Bismarckturm
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• http://www.bismarcktuerme.de
• http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/geschichte/summerschool/bismarck/
startseite.html
• http://bismarck-kult.free-25.de/index.htm
• http://www.muelheim-ruhr.de/
der_bismarckturm_in_muelheim_an_der_ruhr1.html
2. Literaturverzeichnis
• Bernhardt, Markus: Bismarck – Der Held, was er verspricht. Der Deutsche
Nationalmythos um den Reichsgründer. In: Praxis Geschichte, Heft 5 / 1995,
S. 33f.
• Born, Karl Erich: Deutschlands Übergang zur Weltmachtpolitik (1890 – 1898).
In: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Band 3, 19709
• Burgemeister, Katja: Die Bismarcksäule bei Unna, Ein Nationaldenkmal für die
Region?, schriftliche Hausarbeit (Ruhruniversität Bochum), Kamen 2005
• Kloss, Günter / Seele, Sieglinde: Bismarck-Türme und Bismarck-Säulen, eine
Bestandsaufnahme, Petersberg 1997
• Krauskopf, Kai: Bismarckdenkmäler - ein bizarrer Aufbruch in die Moderne,
Hamburg, München 20021
• Machtan, Lothar: Bismarck und der deutsche Nationalmythos, Bremen 1994
• Mai, Ekkehard / Schmirber, Gisela: Denkmal – Zeichen – Monument, Skulptur
und öffentlicher Raum heute, München 1989
• Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866 – 1918, Band 1: Arbeitswelt
und Bürgergeist, München 1990
• Reinartz, Dirk / Graf von Krockow, Christian: Bismarck, Vom Verrat der
Denkmäler, Göttingen 19911
• Scharf, Helmut: Kleine Kunstgeschichte des deutschen Denkmals, Darmstadt
1984
• Schüddekopf, Otto-Ernst: Herrliche Kaiserzeit, Deutschland 1871 – 1914,
Frankfurt 1973
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Selbstständigkeitserklärung
Ich erkläre, dass ich die Facharbeit ohne fremde Hilfe angefertigt und nur die im
Literaturverzeichnis angeführten Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.
Annina Oelschläger 11. Februar 2007