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Europas Wälder nicht mehr sauer

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Page 1: Europas Wälder nicht mehr sauer

Nachrichten aus der Chemie| 62 | Februar 2014 | www.gdch.de/nachrichten

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S Ausgehend vom Wirtschaftswun-der nach dem Zweiten Weltkrieg flo-rierte die europäische Industrie in den 1950er und 60er Jahren. Doch die gute Entwicklung hatte auch ihre Schattenseite: Fabriken und Trans-portmittel emittierten ungefiltert Ab-gase. Diese enthielten die Schadstof-fe, die den sauren Regen verursa-chen: Stickstoffmonoxid, Stickstoff-dioxid und Schwefeldioxid. Die gas-förmigen Stickoxide reagieren dann in der feuchten Atmosphäre mit Wasserdampf zu Salpetersäure, die Schwefeloxide mit Sauerstoff und weiter mit Wasserdampf zu Schwe-felsäure. Diese Säuren regnen mit dem Niederschlag ab. Der pH-Wert des sauren Regens beträgt deshalb etwa 4,5 und ist damit um einiges saurer als der übliche pH-Wert des Regens, der ungefähr bei 5,6 liegt.

Vor allem Böden, Gewässer und Pflanzen sind vom sauren Regen be-troffen, wichtige Mineralstoffe wer-den ausgewaschen. Als Folge verliert der Boden seine gute Pufferfunktion und auch sein pH-Wert sinkt. Die Kombination eines sauren Bodens mit dem Nährstoffmangel schädigt die Pflanzen und führt zum Wald-sterben. Ebenso versauern ungepuf-ferte Seen schnell: Mikroorganismen und Pflanzen sterben.

Lösung: Schadstoffe verringern

S In den 1980er Jahren gab es die ersten Ansätze, nicht nur die Symp-tome der Versauerung zu beseitigen, sondern das Problem grundlegend anzugehen. Neben der großflächigen

Verstreuung von Kalk zur Neutrali-sation der Böden sollten Industrie- und Verkehrsabgase entschwefelt werden. Autokatalysatoren verrin-gern seitdem den Ausstoß von Stick-oxiden erheblich. Auf das im Jahr 1979 beschlossene Genfer Luftrein-halteabkommen (Convention on Long-range Transboundary Air Pol-lution, LRTAP), das erstmals rechts-verbindlich die Verringerung der Emissionen von Luftschadstoffen in Teilen Europas sowie in den USA, in Kanada und in der Sowjetunion fest-legte, folgten weitere Protokolle. Vor allem zur Vermeidung der Versaue-rung gilt seit 1999/2005 das Göte-borg-Protokoll als Teil des LRTAP. Mit diesem Protokoll verpflichteten sich Deutschland sowie andere – zu-meist europäische – Staaten dazu, die Richtlinien zur Reduktion der Schwefeloxid- und Stickstoffoxid-emissionen auf einen Grenzwert für das Jahr 2010 zu erfüllen.

Das Centre on Emission Invento-ries and Projections (CEIP) des Eu-ropean Monitoring and Evaluation Programme (EMEP) in Wien wertete die von Mitgliedern des LRTAP-Ab-kommens gesammelten Daten aus und kam zu folgendem Ergebnis: Die Emissionen aller vom CEIP be-rücksichtigten Staaten gehen im Durchschnitt zurück. Die Grenzwer-te für Schwefeloxide erreichten im Jahr 2010 alle Staaten, teilweise wur-den sie sogar deutlich unterschrit-ten.1) Nur etwa 60 Prozent der Staa-ten erreichten im gleichen Jahr je-doch auch die Grenzwerte für Stick-stoffoxide.2)

Dass noch viele Staaten Probleme bei der Reduktion der Stickstoffoxid-emissionen haben, zeigt auch ein Re-port aus dem Jahr 2012 der Europäi-schen Umweltagentur in Kopenha-gen.3) Dieser NEC Directive Status Report wertete Daten zu Emissionen der EU-Mitgliedsstaaten zwischen 1990 und 2011 aus und verglich sie mit den damals aktuellen nationalen Emissionsgrenzwerten (NEC): In der Zeitspanne verringerten die meisten Staaten ihre Stickstoffoxid-emissionen – abgesehen von leichten jährlichen Schwankungen. Nicht al-le jedoch erreichten ihre Emissions-grenzen.

Besser sieht es beim Schwefeldi-oxid aus, wie eine Studie vom Nor-wegischen Meteorologischen Insti-tut in Oslo zeigte. Die Forscher um Vigdis Vestreng betrachteten die Da-ten zu Schwefeldioxidemissionen in Europa zwischen 1880 und 2004.4) Nach dieser Studie unterschritten die durchschnittlichen Emissionen europaweit gesehen bereits im Jahr 2004 die im Göteborg-Protokoll fest-gelegten Grenzwerte für 2010 und waren wieder auf einem Niveau von 1934.

Entwicklung in Deutschland

S Die Trends der Schwefeloxid- und Stickstoffoxidemissionen in Europa sind auch in Deutschland nachweisbar. Nach Statistiken des Umweltbundesamtes gingen die ge-samten Schwefeldioxidemissionen zwischen 1990 und 2011 um knapp 92 Prozent auf 445 000 Tonnen pro

Verena Sesin

Saurer Regen: In den 1970er und 80er Jahren in Europa weit verbreitet, ist er heute fast verschwunden.

Die Waldböden sind kaum noch versauert, für eine vollständige Entwarnung ist es aber noch zu früh.

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Jahr zurück. Im gleichen Zeitraum nahmen die gesamten Stickstoff-oxidemissionen um 55 Prozent auf 1,29 Mio. Tonnen pro Jahr ab.

Zu diesem Rückgang trug auch die chemische Industrie bei: Ihre Schwefeloxidemissionen verringer-ten sich zwischen 2007 und 2011 um 18 Prozent auf 13 000 Tonnen pro Jahr, die Stickstoffoxidemissio-nen um fast 8 Prozent auf 19 000 Tonnen pro Jahr. Insgesamt machten die Schwefeloxid- wie auch die Stickstoffoxidemissionen der chemi-schen Industrie im Jahr 2011 nur noch etwa 5 Prozent der Schwefel-oxid- bzw. Stickstoffoxidemissionen aller Industriezweige aus.

Und wie geht es dem Wald?

S Die versauerten Waldböden in Europa entwickeln sich seit dem Jahr 1980 wieder auf eine Erholung zu, berichtete das Institut für Welt-forstwirtschaft aus Hamburg in sei-nem Technical Report 2011.5) Das mit der Universität Hamburg koope-rierende Forschungsinstitut berech-nete mit dynamischen Modellen aus vorhandenen Daten auch die mut-maßliche Versauerung der Waldbö-den im Jahr 2020. Anhaltspunkt da-

für waren Grenzwerte, die das ICP Forests festlegt, ein Internationales Kooperationsprogramm für die Er-fassung und Überwachung der Aus-wirkungen von Luftverunreinigun-gen auf Wälder. Die Grenzwerte wer-den bereits im Jahr 2020, abgesehen von vereinzelten Gegenden, nicht mehr überschritten. Allerdings zeig-te der Bericht auch, dass ein Unter-schreiten der Grenzwerte nicht zwangsläufig bedeutet, dass sich ge-schädigte Ökosysteme wieder erholt haben. Chemische Erholung ist nicht gleich biologische Erholung. Beides kann – besonders bei sensi-blen Ökosystemen – Jahrzehnte dau-ern. Zwar hat sich der pH-Wert der Waldböden erholt, die für ein nach-haltiges Gleichgewicht nötige Puffer-kapazität braucht jedoch noch viele Jahrzehnte, um wieder ein vorindus-trielles Niveau zu erreichen.

Für Entwarnung noch zu früh

S Auch wenn die derzeitigen Schwefeldioxidemissionen wohl nicht mehr gefährlich für die Wälder in Europa sind: Die langsame Ent-wicklung bei der Stickstoffoxidre-duktion gibt Anlass zur Sorge. Der Executive Report 2012 von ICP

Forests besagt zwar, dass die gemes-senen Werte für Schwefel und anor-ganischen Stickstoff im Regen konti-nuierlich zurückgehen und somit den Erfolg der Luftreinhalteabkom-men bestätigen.6) Modellrechnungen im Executive Report deuten aber da-rauf hin, dass auch im Jahr 2020 die Stickstoffgrenzwerte von ICP Forests noch auf fast der Hälfte des EU-Ge-biets überschritten werden.

Die Wissenschaftsjournalistin Verena Sesin ist

freie Mitarbeiterin der Nachrichten aus der

Chemie.

Literatur

1) Centre on Emission Inventories and Projec-

tions, Distance of 2010 SOx and NH

3

emissions (reported in 2012) to the Go-

thenburg Protocol ceilings. Wien, 2013.

2) Centre on Emission Inventories and Projec-

tions, Distance of 2010 NOx and NMVOC

emissions (reported in 2012) to the Go-

thenburg Protocol ceilings. Wien, 2013.

3) European Environment Agency, NEC Direc-

tive status report 2012. Luxemburg, 2013.

4) V. Vestreng, G. Myhre, H. Fagerli, S. Reis,

L. Tarrasón, Atmos. Chem. Phys. 2007, 7,

3663–3681.

5) Forest Condition in Europe. 2011 Techni-

cal Report of ICP Forests and FutMon. Work

Reports of the Institute for World Forestry

2011/1. ICP Forests, Hamburg, 2011.

6) The Condition of Forests in Europe.

2012 Executive Report. ICP Forests, Ham-

burg, 2012.

Schwefeldioxidemissionen in Deutschland zwischen 1990 und 2011 nach Quellkategorien. (Verkehr: ohne land- und forstwirtschaftlichen

Verkehr; Haushalte und Kleinverbraucher: mit Militär und weiteren kleinen Quellen (u. a. land- und forstwirtschaftlicher Verkehr) – Quelle:

Umweltbundesamt, Stand April 2013)

146 BMagazinV Umwelt

Nachrichten aus der Chemie| 62 | Februar 2014 | www.gdch.de/nachrichten


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