Die Semantik von Editionen: Wissenschaftliche...

ursula welsch. neue medien

Publishers' Forum 2013 (c) Dr. Susanne Dobratz, Ursula Welsch Seite 1

Die Semantik von Editionen:

Wissenschaftliche Grundlagenarbeit in den Digital HumanitiesDr. Susanne Dobratz – Oldenbourg Wissenschaftsverlag & Akademie-Verlag Ursula Welsch – ursula welsch. neue medien


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Die Oldenbourg Wissenschaftsverlage

Die Wissenschaftsverlage der Oldenbourg Gruppe Oldenbourg Verlag, München (gegründet 1858) Akademie Verlag, Berlin (gegründet 1946) Bis 2/2013 Unternehmen der Franz Cornelsen Bildungsgruppe Ab 3/2013 zur Walter de Gruyter – Gruppe gehörigProgramm Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Geisteswissenschaften Natur- und Ingenieurswissenschaften, Mathematik und InformatikProdukte (Print & Digital) Wissenschaftliche Fachbücher Lehrbücher Editionen und Monographien Bibliographien Wissenschaftliche ZeitschriftenUmfang ca. 400 Neuerscheinungen jährlich Über 4.000 Titel und 50 Zeitschriften ständig lieferbar Über 1.500 E-Books 27 E-Journals



Ursula Welschwww.welschmedien.de / www.xml-schule.de

Beratung und Coaching in der Anwendung von XML Aufbau von kundenorientierten XML-Strukturen Unterstützung bei der Nutzung freier Strukturen (TEI, DocBook, NLM,

DITA) Management von komplexen XML-Projekten Erstellung und Umsetzung von XML-Workflows (Tools, Abläufe,

Stylesheet)

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Inhalt

1. Geisteswissenschaften und Digital Humanities2. Wissenschaftliche Editionen3. Die Semantik von Editionen4. Die digitale Aufbereitung mit der TEI-Struktur5. Beispiele aus der Verlagspraxis 6. Fazit



GEISTESWISSENSCHAFTEN UND DIGITAL HUMANITIES



Digital Humanities – Grundlagenarbeit in den Geisteswissenschaften• Beobachtbare Veränderungen in den Arbeitsprozessen innerhalb der

Geisteswissenschaften:• Zunehmende Digitalisierung und Technisierung bzw. Datenzentrierung• Historische Textkorpora werden durch die Digitalisierung zu

Forschungs(-primär)daten• Forschungsförderorganisationen (DFG, BMBF, EU) setzen zunehmend

Förderprogramme zum Thema virtuelle Forschungsumgebungen auf• Durch den Paradigmenwechsel bilden sich neue Standards heraus

• DFG-Praxisregel „Digitalisierung“ Stand 02/2013: XML, METS/MODS, TEI, Open Access

„Wenn nicht triftige Gründe dagegen sprechen, müssen Volltexte von Drucken und Handschriften nach dem Modell der Text Encoding Initiative (TEI) kodiert bzw. mit Markup versehen werden.“ (Seite 34)

• Es entstehen neuartige Informationsprodukte• Zunehmende Vernetzung der Forschergruppen (Kooperation und

Kollaboration)



Digital Humanities – Versuch einer Definition

„Die eHumanities verstehen sich als Summe aller Ansätze, die durch die Erforschung, Entwicklung und Anwendung moderner Informationstechnologien die Arbeit in den Geisteswissenschaften erleichtern oder verbessern wollen.“ (BMBF Förderrichtlinien vom 08.01.2013)



Digital Humanities – Herausforderungen für Verlage

Auffangen der Veränderungsprozesse im wiss. Arbeitsprozess – Generierung moderner Produktformen für die Wissenschaften Adaption der Technologie (Content-Zulieferung) Zugangsmodelle - Geschäftsmodelle

Gleichzeitig: Bewahrung der Kernpotentiale: Gewährleistung der Qualitätssicherung durch Peer-Review-Prozesse Gewährleistung der Zitierbarkeit (persistente Identifikation): DOI, OCID,

… Verbreitung der Informationsprodukte

Der wachsenden Konkurrenz aus dem öffentlichen Sektor gute Geschäftsmodelle und Services entgegenzustellen



WISSENSCHAFTLICHE EDITIONEN



Die Aufgabe von EditionenBereitstellung einer zuverlässigen Textgrundlage für jedwede historische oder interpretatorische Betrachtung systematische Sichtung sämtlicher zugehöriger

Überlieferungsträger zeichengetreue Transkription der Textzeugen genetische Dokumentation und Textkonstitution

Verbreitung der Buch- bzw. Online-Publikation, je nach Quellenlage – zu dem Zweck: die Autographen und alten Urkunden zu schonen

(z.B. Vermeidung von direktem Hautkontakt oder ungünstigen klimatischen Bedingungen)

Lücken im Bestand zu schließen, die z.B. durch Verluste und Aufteilungen in der Folge der beiden Weltkriege des 20. Jhs. entstanden sind

Publishers' Forum 2013 (c) Dr. Susanne Dobratz, Ursula Welsch


Typen und Sonderformen

Historisch-kritische Quellenedition Studienausgabe Leseausgabe

http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/gebetbuch-karl-ii

Faksimileausgabe Regestausgabe



Historisch-kritische AusgabenHochspezialisierte Arbeitsinstrumente für die Forschung: Präsentation der Texte in möglicher Vollständigkeit inkl. aller zu einem Text erhaltenen oder erschließbaren Textträger

in einer Form, die die Textentstehung nachvollziehbar macht Wiedergabe aller Fassungen eines Texts Adäquate Wiedergabe der Textentstehung in einem genetischen

Apparat Abdruck aller Materialien, die als vorbereitende Arbeiten dienten Erläuterung der Wirkungsgeschichte zu Lebzeiten des Autors Kommentierung der Sachbezüge aus historischer, literar- und

sprachhistorischer und biografischer Perspektive Dokumentation der materiellen Substanz der Quellen hochspezialisierte Darstellungsmethoden – z.B. für die Textkritik

und den wissenschaftlichen Erschließungsapparat



Wirtschaftlichkeit und FörderpraxisEditionen sind wissenschaftliche Großprojekte: viele Beteiligte mit verschiedenen Aufgaben oft interdisziplinär (ggf. mehrere Fachgebiete für die

Kommentierung, IT-Unterstützung) mehrere Arbeitsdurchgänge, um die Korrektheit

abzusichern Herausgeberschaft liegt in der Regel bei wiss.

Institutionen bzw. sind Forschungsprojekte von institutionellen Bearbeitern

Förderung vor allem durch DFG, deren Förderpraxis: Textauszeichnung nur mit TEI Metadaten mit TEI-Header, Dublin Core etc. Online-Publikation in Creative Commons Lizenz



Die Rolle des Verlags

Partner der Wissenschaften: Unterstützung und Coaching der Editionsteams Organisation des Editionsbetriebs Erstellung und Verbreitung der Print-Ausgabe Sicherstellen der Persistenz von Online-Ausgaben Bereitstellung der IT-Infrastruktur



DIE SEMANTIK VON EDITIONEN



Semantik …

… ist die Lehre von der Bedeutung sprachlicher Zeichen.

Sie setzt Zeichen und Begriff zueinander in Beziehung.

ReferenzPluto

ZeichenReferenz

PlutoBegriff



Semantische Auszeichnung

Textauszeichnung mit XML:<Hund>Pluto</Hund> ist eine Figur, die durch eine Serie von Walt Disney bekannt wurde. Pluto trat meistens als der Haushund von Micky Maus auf.

<Planet>Pluto</Planet> ist ein Plutoid, (eine Unterklasse von Zwergplaneten, die unsere Sonne jenseits der Neptunbahn umrunden.

<Gott Typ="römisch">Pluto</Gott> ist der römische Name des griechisch-römischen Gottes der Totenwelt.

ReferenzPluto

ZeichenReferenz

PlutoBegriff



Semantik in den Daten

in der Struktur selbst<Hund>Pluto</Hund><Planet>Pluto</Planet> ...

als Attributwerte<div class="Hund">Pluto</div><div class="Planet">Pluto</div> ...

als Metadaten<meta><objekt id="1">Pluto</objekt><art>Hund</art><objekt id="2">Pluto</objekt><art>Planet</art></meta>

als Wissensnetz



Semantik in den Daten als Wissensnetz

Pluto

SonneMerkur

Sonnen-system

Altertums-kunde

Unter-welt

PlutoidJupiter

Fach-gebiet

Astro-nomie

Planet

Toten-welt

Gottheit

römisch

Szepter

Krone

Sternen-kunde



Semantik nützt ...

Um die Bedeutung von Inhalten transparent zu machen

Beim gezielten Auffinden von Inhalten

Bei der variablen Nutzung von Inhalten

Um Inhalte zukunftsfähig zu machen

Zur Identifikation von Informationseinheiten im semantischen Web



Semantische Suche?



DIE DIGITALE AUFBEREITUNG MIT DER TEI-STRUKTUR



Text Encoding Initiative (TEI)

unter Creative Commons Lizenz (3.0 Unported) Entstehung ab Ende der 80er Jahre in den USA erste offizielle Version: P1 1990 (heute: P5 2007) Entwicklung, Nutzung und Pflege bis 2000 als Gemeinschaftsaktivität diverser wissenschaftlicher

Gesellschaften verschiedener Disziplinen seit 2001 TEI Consortium

Betontes Ziel: alle Arten von wissenschaftlichem Text Betontes Anpassungskonzept: Einzelmodule, die je nach

Bedarf zu einer Anwendung compiliert werden müssen (Online-Tool: ROMA)

Schemaformate: DTD, XML-Schema, Relax-NG



Anforderungen an Editionen

Eigenschaften, die für die semantische Aufbereitung unabdingbar sind: Bibliographie des Editionsobjekts Beschreibung der Materialität Repräsentation des Textes Textkritik Kennzeichnung von Metainformationen Überlieferungskritik und Kommentierung



Bibliographie des EditionsobjektsDazu gehören z.B.: Lagerort der Originale (Bibliothek, Nachlass ...) genaue Bezeichnung (Titel, Sigle, Aktenzeichen ...) bis auf Einzel-Dokumentbasis

Strukturanforderung: klare Trennung von Metadaten und Textbeschreibung Metadatenbereich mit „Feldern“ für alle notwendigen

AngabenTEI: teiHeader/fileDesc

– titleStmt– publicationStmt– sourceDesc



Bibliographie des Editionsobjekts

Strukturdiagramm: Strukturbeispiel:



Beschreibung der MaterialitätDazu gehören: Beschreibung der äußeren Gestalt ggf. aufgeteilt in Blätter, Seiten,

Einzelobjekte ...Strukturanforderung: textliche Beschreibung des Textträgers ggf. Zeilen-, Seiten-, Spaltenwechsel ... ggf. Zuordnung von Sub-Dokumenten

TEI: physDesc lb, pb, cb @rend



Beschreibung der Materialität




Repräsentation des TextesDazu gehören: verschiedene Dokumenttypen, z.B. Briefe, Urkunden,

Notizbücher, Prosatexte, Gedichte, szenische Texte ... mit allen spezifischen Anforderungen an die AufbereitungStrukturanforderung: bei Briefen: z.B. Absender, Anrede, Briefkorpus,

Grußformel, Postscriptum ... bei Notizbüchern: Art der Notiz, Sub-Dokumente ... bei Gedichten: Strophen, Verse ... bei Szenischen Texten: Akte, Figuren, Sprechertext,

Regieanweisungen ...TEI: Briefe: opener mit dateline, address, closer mit salute Gedichte/Szen.Texte: lg/l, role, actor, cast, caesura ...



Repräsentation des Textes




TextkritikDazu gehören: Beschreibung der Textvariationen, die am Textträger

erkennbar sind, z.B. nachträgliche Korrekturen des handschriftlichen Texts Anstreichungen oder Anmerkungen im gedrucktem Material,

ggf. mit verschiedenen Stiften einschließlich der Schreib-Topographie (oben, unten, drüber...)

Strukturanforderung: Streichungen, Ergänzungen, Änderungen verschränkte Unterstreichungen Angabe der PositionTEI: subst, del, add, restore, unclear, damage ... app, rdg, ..., sic, supplied ...



Textkritik




Kennzeichnung von MetainformationenDazu gehören z.B.: Personennamen Datumsangaben OrtsangabenStrukturanforderung: bei Personennamen: Vor- und Nachname, Namensteile bei Datumsangaben: Tag-Monat-Jahr, gesichert/ungesichert bei Ortsangaben: geografische bzw. politische Zuordnung,

historischer Kontext, Klassifizierung z.B. als Stadt, Land ...TEI (verschiedene Möglichkeiten): rs type=person vs. persName/forename+surname, role rs type=date vs. date/@when/@from/@to/@precision rs type=place vs. placeName, geogName, region, state



Kennzeichnung von Metainformationen




Überlieferungskritik und Kommentierung

Dazu gehören: Kennzeichnung der Stelle im Primärtext Kommentartext mit Auszeichnungen, Metainformationen,

Verweisen auf andere Textstellen ...Strukturanforderung: Textanker:

eindeutige Benennung, eindeutiger Bezug Kommentartext:

vielfältige Textauszeichnung, da hier z.B. auch Gedichte, Zitate, Übersetzungen und Hinweise auf andere Kommentare, Primärtextstellen oder Sekundärliteratur ihren Ort haben

TEI (jeweils verschiedene Möglichkeiten): Textanker: ref vs. anchor vs. milestone Kommentartext: note vs. ref (als Verweisziel)



Überlieferungskritik und Kommentierung




Probleme bei der Datenerstellung

editionsübergreifend unterschiedliche Auszeichnungen



Probleme bei der Datenerstellung

trotz redaktioneller Vorgabeliste keine einheitlichen Attributwerte

Vermischung von semantischer und typografischer Auszeichnung – auch englischer und deutscher Benennungen ...



TEI – Konsequenzen für die Praxis

Für nahezu alle wissenschaftlichen Textanforderungen im Rahmen von Editionen gibt es semantische Elemente.

Weitere Semantisierung über allseits verfügbare Attribute wie z.B. @type und @subtype.

In der Regel Verzicht auf stringente Inhaltsmodelle –jedoch enge Konfiguration via ROMA möglich.

Trotzdem sind umfangreiche und präzise Erläuterungen im Redaktionshandbuch notwendig, um – editions-übergreifend – einen konsistenten Einsatz der XML-Strukturen zu erreichen.



PRODUKTION UND NUTZUNG VON EDITIONENBEISPIELE AUS DER VERLAGSPRAXIS

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Die Editionspraxis

Drei Projekte: Historisch-kritische Ausgabe der Briefe von Johann

Wolfgang von Goethe (Goethe-Briefe) Edition „Verfolgung und Ermordung der europäischen

Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945“ (VEJ)

Kurt Schwitters: Kritik und Kunst (Schwitters-Notizbücher)

=> Alle drei werden in XML mit Hilfe der TEI-Struktur erarbeitet!



AKADEMIE-VERLAG & KLASSIK-STIFTUNG WEIMARJ. W. GOETHE- BRIEFE HISTORISCH-KRITISCHE AUSGABE (CA. 30 BÄNDE)



J. W. Goethe: Briefe Historisch-Kritische Ausgabe



Arbeit mit der Printfassung



Arbeit mit der Printfassung



Das Produkt Goethe Digital



Das Produkt Goethe Digital

Image (ggf. von einer externen Ressource über WWW aufgerufen und in die Ansicht eingefügt

Originaltext (über OCR aus Digitalisat)

Popup- und Highlighting-Funktionen

Suche innerhalb des Produktes

Kommentar der Herausgeber

PDF-AusgabeZitierfähige Seite



Goethe Digital„Eigenes Gesicht“ durch Herausgeber spezifiziert

Zusatzfunktionen



Goethe Digital

Verlinkung von Kommentar mit Originaltext




Bisherige Arbeitsweise mit MS Office



Die XML-/TEI-Repräsentation


OLDENBOURG WISSENSCHAFTSVERLAG

EDITION VERFOLGUNG UND ERMORDUNG DER EUROPÄISCHEN JUDEN DURCH DAS NATIONALSOZIALISTISCHE DEUTSCHLAND 1933 – 1945 (VEJ) 16 BÄNDE



Beispielworkflow eines Editionsprojektes –bisheriger Workflow



Beispielworkflow eines Editionsprojektes –XML-Workflow



TEI-Aufbereitung



XML-/TEI-Struktur



AKADEMIE-VERLAG

EDITION: KURT SCHWITTERSBAND 1: MERZ-HEFTE



Digitalisate



Qualitätssicherung in der Redaktion

Publishers' Forum 2013 (c) Dr. Susanne Dobratz, Ursula WelschSeite 59


Fazit und Ausblick

TEI bietet alles, was eine gute historisch-kritische Ausgabe ausmacht.

Aber: Die Editionsteams brauchen Unterstützung! bei der redaktionellen Fixierung der konkreten

Strukturanwendung bei der Qualitätssicherung bei der technologischen Infrastruktur

TEI als Standardisierungsinstrument hat sich bewährt – aber es geht nicht ohne Aufwand und ohne Vorplanung!




Vielen Dank!

Kontakt:[email protected]@welschmedien.de

Date post:	23-May-2019
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