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Der Kirchturm lebt

Date post: 09-Mar-2016
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Der Kirchturm lebt – Vogelschutz in St. Ottilien von Pater Theophil Gaus OSB
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Der Kirchturm lebt – Vogelschutz in St. Ottilien von Pater Theophil Gaus OSB St. Ottilien, 21. März 2009, 9.10 Uhr: Es läutet zum Hochamt des Benediktsfestes, zudem zur Professfeier, die im Rahmen dieser Pontifikalmesse stattfinden wird. Doch während aus dem Turm die Glocken zu Ehren des Patrons Europas erklingen, des großen Ordensgründers, der gerade in der heutigen Zeit für Frieden und Völkerverständigung steht, geht es um den Glockenstuhl herum gar nicht friedlich zu. Es wird gekämpft, mit Haken(schnabel) und Klauen geradezu, die Kämpfer lassen Federn im wahrsten Sinn des Wortes, und das Geschrei hört man sogar hin und wieder zwischen den erhabenen Glockentönen hindurch: Ein Paar Turmfalken wirft eben ein Dohlenpärchen aus einem der Brutkästen hinaus, die im vergangenen Jahr im Glockenturm angebracht wurden, um die Wohnungsnot zu mildern. Und jetzt - trotz dem Mehrangebot an Wohnungen - dieses Schauspiel von „interspezifischer Konkurrenz“ (zwischenartlichem Wettbewerb), wie der Biologe dazu sagt. Natürlich sind die Falken, obgleich nur wenig größer, die Sieger des Wettbewerbs, weil schneller, wendiger, gefährlicher, aber auch kooperativer im Zweierteam. Und so ist die Schlacht nach wenigen Minuten entschieden: sie wird zwar am Folgetag nochmals kurz wiederholt, doch jetzt, Ende März, da dieser Bericht entsteht, sitzt unser Turmfalkenpärchen unbehelligt am Falkenkasten. Jedoch war diese Nisthilfe gar nicht für unseren kleinen einheimischen Falken vorgesehen, der zudem (noch?) nicht bedroht ist und auch mit leeren Krähennestern als Jungenaufzuchtsort vorlieb nimmt. Im vergangenen Herbst hatte sich ein Spezialist für Wanderfalken (siehe Text beim Bild)! beim Verfasser gemeldet und nach den Möglichkeiten unseres Turms für diese gefährdete Falkenart erkundigt. Das Ergebnis ist ein großer Brutkasten hinter einer der Fensterscharten zwischen den Kirchturmuhren, der mit einem Anflugbrett verbunden ist, das dann auch den Jungfalken als
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Der Kirchturm lebt – Vogelschutz in St. Ottilienvon Pater Theophil Gaus OSB

St. Ottilien, 21. März 2009, 9.10 Uhr: Es läutet zum Hochamt des Benediktsfestes, zudem zur Professfeier, die im Rahmen dieser Pontifikalmesse stattfinden wird. Doch während aus dem Turm die Glocken zu Ehren des Patrons Europas erklingen, des großen Ordensgründers, der gerade in der heutigen Zeit für Frieden und Völkerverständigung steht, geht es um den Glockenstuhl herum gar nicht friedlich zu. Es wird gekämpft, mit Haken(schnabel) und Klauen geradezu, die Kämpfer lassen Federn im wahrsten Sinn des Wortes, und das Geschrei hört man sogar hin und wieder zwischen den erhabenen Glockentönen hindurch: Ein Paar Turmfalken wirft eben ein Dohlenpärchen aus einem der Brutkästen hinaus, die im vergangenen Jahr im Glockenturm angebracht wurden, um die Wohnungsnot zu mildern. Und jetzt - trotz dem Mehrangebot an Wohnungen - dieses Schauspiel von „interspezifischer Konkurrenz“ (zwischenartlichem Wettbewerb), wie der Biologe dazu sagt. Natürlich sind die Falken, obgleich nur wenig größer, die Sieger des Wettbewerbs, weil schneller, wendiger, gefährlicher, aber auch kooperativer im Zweierteam. Und so ist die Schlacht nach wenigen Minuten entschieden: sie wird zwar am Folgetag nochmals kurz wiederholt, doch jetzt, Ende März, da dieser Bericht entsteht, sitzt unser Turmfalkenpärchen unbehelligt am Falkenkasten.

Jedoch war diese Nisthilfe gar nicht für unseren kleinen einheimischen Falken vorgesehen, der zudem (noch?) nicht bedroht ist und auch mit leeren Krähennestern als Jungenaufzuchtsort vorlieb nimmt. Im vergangenen Herbst hatte sich ein Spezialist für Wanderfalken (siehe Text beim Bild)! beim Verfasser gemeldet und nach den Möglichkeiten unseres Turms für diese gefährdete Falkenart erkundigt. Das Ergebnis ist ein großer Brutkasten hinter einer der Fensterscharten zwischen den Kirchturmuhren, der mit einem Anflugbrett verbunden ist, das dann auch den Jungfalken als Aufenthaltsort dient, wenn die Höhle zu klein wird und die Flugmuskeln für das Ausfliegen trainiert werden müssen. Doch mit einer Wanderfalken-Ansiedelung muss man Geduld haben. Der nächste besetzte Brutkasten in unserer Region wurde nach 6 Jahren angenommen, die (Wieder-) Ausbreitung des immer noch seltenen Jägers geht langsam vonstatten. So ist gar nichts dagegen einzuwenden, wenn der Kasten derweil vom kleinen Bruder eingenommen wird, während der große noch auf sich warten lässt.

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Wanderfalke und TurmfalkeDer Wanderfalke ist die größte der mitteleuropäischen Falkenarten, so kräftig, dass er mühelos auch Krähen schlägt. Überhaupt ist dieser Greifvogel überwiegend auf Vögel spezialisiert, die er meistens aus großer Höhe und mit hoher Geschwindigkeit (bis zu 300 km/h!) anfliegt, sodass die Opfer schon beim Aufprall getötet werden, bzw. besser beim „Streifschuss“, den der Jäger seinem Opfer zufügt, um nicht sich selber die Knochen zu brechen. Pestizide und direkte Verfolgung haben den stolzen Vogel im vergangenen Jahrhundert an den Rand des Aussterbens gebracht – inzwischen erholen sich die Bestände wieder, dank des konsequenten Artenschutzes, dem sich auch unser Kloster verpflichtet fühlt!

Der Turmfalke hat hier optimale Konditionen. Das gleich im Süden an das Kloster angrenzende Wiesengelände des „Pflaumdorfer Mooses“ ist ein Mosaik an mäusereichen Biotopen, und die vielen einzelnen Wiesenstücke liefern dank unterschiedlicher Mähtermine auch optimale Zugriffsmöglichkeiten für den Mäusefeind, der sich mit dem Finden von Nahrung im hochgewachsenen Gras eher schwer tut. Wird das Angebot einmal knapp, kann der Greif auch auf die zahlreichen Spatzen ausweichen: St. Ottilien hat eine der stärksten Populationen des Feldsperlings in der ganzen Region – dank der inzwischen ungefähr 100 im ganzen Dorf verteilten Nistkästen, welche die Schüler unseres Gymnasiums im Werkunterricht erstellt haben und die natürlich auch von Meisen und anderen Höhlenbrütern angenommen werden. Übrigens gilt auch der Feldsperling offiziell inzwischen als „potentiell gefährdet“( „Rote Liste“ der Brutvögel Deutschlands 2008) – wie viele unserer heimischen Höhlenbrüter.

Turmfalkennahrung: Feldmaus und Feldsperling

Solche Höhlenbrüter, wenn sie größer sind, interessieren sich naturgemäß für einen Kirchturm, gerade dann, wenn er einen offenen Glockenstuhl hat und von reich strukturierter (neu-) gotischer Bauart ist, wie der Ottilianer Turm. Was dann passiert, ist

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nicht immer im Interesse des Erfinders. Glockenstühle werden erbaut um einer optimalen Aufhängung der Glocken willen, und die Nischen in der gesamten Konstruktion dienen der Stabilität. Obwohl intelligente Vögel (weil zu den Rabenvögeln gehörend), haben das die 3 Dohlenpaare, die 2008 bei uns einen Brutversuch wagten (überwiegend erfolglos wegen raschen Abstürzens der Jungen), nicht verstanden, sonst hätten sie nicht diverse Lücken auf abenteuerliche Weise besiedelt, übrigens mit einem eher übertriebenen Aufwand an Reisig und anderem Nistmaterial. Nach Ende bzw. Abbruch des Brutgeschäftes haben unsere Handwerker schleunigst die Metallgehäuse gereinigt und versiegelt, und die Ottilianer Vogelschützer haben einen Ersatz in den Turm gestellt: zwei Dohlenkästen, die beide inzwischen angenommen sind. Ein dritter Kasten kommt noch hinzu, der im vergangenen Jahr fünf (!) junge Turmfalken hervorgebracht hat, und jetzt auch von den schwarzen Gesellen in Besitz genommen wurde. So hoffen wir für die beginnende Brutsaison 2009 nicht nur auf ein friedliches Miteinander von Falke und Dohle, sondern auch auf ein Technik-freundliches Brutverhalten der letzteren. Vielleicht reicht ja das Verständnis der angeblich sehr klugen Vögel, denen Verhaltenforscher schon das Sprechen wie einem Papagei beigebracht haben, so weit, dass ein liebevoll gebauter Kasten, einer davon sogar von einem qualifizierten „Gebäudebrüterspezialist“, besser ist als eine winzige Glockenstuhl-Nische.

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Vogelschutz am Kirchturm: Man sieht einen kleinen Dohlenkasten rechts unterhalb der Turmuhr sowie das Anflugbrett des Falkenkastens, der selbst hinter einer Mauerscharte verborgen ist.

Sollte allerdings der Große Falke kommen, wird es mit der friedlichen Koexistenz am Turm erst einmal vorbei sein. Das ist der Kompromiss, den man zugunsten des bedrohten Wanderfalken in Kauf nehmen müsste. Die Nebeneffekte wären jedoch durchaus zuträglich: erstens für den Erhalt des Turmes: Wanderfalken fressen fürs Leben gern die stark Schmutz verursachenden Tauben, und zweitens für den Erhalt unserer immer noch ansehnlichen Singvogelpopulation: Wanderfalken erbeuten am zweithäufigsten die eierraubenden Krähenvögel wie Rabenkrähe und Elster.

Während dieser Bericht entsteht, wird auf einem Dach gleich unterhalb vom Kirchturm gearbeitet: an der Horstunterlage für den Storch auf dem Erzabt-Kamin. Experten präparieren das Angebot neu, sodass es für den Eingeladenen attraktiver wird: mit einer aus unserer Korbflechterei stammenden Weidenunterlage und einem Aufbau aus Eichenreisig (nur langsam verrottend). Vielleicht klappt ja in diesem Frühling die Ansiedelung eines Paares, während die letzten Jahre immer wieder nur ein (männlicher??) Single auf der Konstruktion zu Gast war. Den Klosternachwuchs haben wir interessanterweise auch so schon - seit einigen Jahren ganz segensreich. Bleibt abzuwarten, ob der Glücksbringer Weißstorch uns noch mehr beschert – im Kloster, und auf dem Turm - z.B. einen Wanderfalken. Beide, Wanderfalke und Weißstorch, vertragen sich übrigens bestens. Ein Storch ist halt doch etwas zu groß für den Jäger der Lüfte!

Weißstörche in St. Ottilien, nicht nur im Single-Pack!


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