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Christa Wolf Medea. Stimmen -...

Date post: 30-Aug-2019
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Christa Wolf Medea. Stimmen Suhrkamp
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Christa WolfMedea. Stimmen

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ebook suhrkamp

Als Frau des Argonauten Jason lebt Medea in Korinth, wohin sieihm aus ihrer Heimat Kolchis gefolgt ist. Im kçniglichen PalastKorinths ger�t sie in ein Spiel aus Verleumdungen, Intrigen undL�gen. Der Kampf um die Macht steht im Mittelpunkt, und Me-dea soll als S�ndenbock geopfert werden.Die Medea der griechischen Tragçdie, die Barbarin, die Gift-

mischerin, die rachs�chtige Mçrderin – hier wird diese Frauen-figur aus dem jahrtausendealtenMythos gelçst, das �berkommeneBild revidiert. Christa Wolfs Portr�t einer eigenwilligen, unge-wçhnlichen Frau wurde in alleWeltsprachen �bersetzt und erfuhrzahlreiche Bearbeitungen f�r die B�hne.Christa Wolf, geboren 1929 in Landsberg/Warthe (Gorz�w

Wielkopolski), lebt in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern.Ihr Werk, das im Suhrkamp Verlag erscheint, wurde mit zahlrei-chen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Georg-B�chner-Preisund demDeutschen B�cherpreis f�r ihr Gesamtwerk. Zuletzt ver-çffentlichte sie den Erz�hlungsbandMit anderem Blick (st 3827)und Der Worte Adernetz. Essays und Reden (es 2475).

Christa WolfMedea. Stimmen

Roman

Suhrkamp

Die Erstausgabe von Medea. Stimmen erschien 1996im Luchterhand Literaturverlag.

Der Text, der dem 2001 erschienenen Band 11der von Sonja Hilzinger herausgegebenen

Werke in zwçlf B�nden folgt,wurde f�r diese Ausgabe durchgesehen und korrigiert.

Umschlagfoto: Herlinde Koelbl/Agentur Focus

uhrkamp� Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2008Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das

der �bersetzung, des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Gçllner, Michels, Zegarzewski978-3-518-74231-0

www.suhrkamp.de

eISBN

ebook S Verlag Berlin 2010

Medea. Stimmen

Achronie ist nicht das gleichg�ltige Nebeneinander,sondern eher ein Ineinander der Epochen nach demModell eines Stativs, eine Flucht sich verj�ngenderStrukturen. Man kann sie auseinanderziehen wieeine Ziehharmonika, dann ist es sehr weit von ei-nem Ende zum anderen, man kann sie aber auch in-einanderst�lpen wie die russischen Puppen, dannsind die W�nde der Zeiten einander ganz nah. DieLeute aus den anderen Jahrhunderten hçren unserGrammophon pl�rren, und wir sehen durch die Zeit-w�nde hindurch, wie sie die H�nde heben zum lek-ker bereiteten Mahle.

Elisabeth Lenk

Die Stimmen

medea Kolcherin. Tochter des Kçnigs Aietes undder Idya. Schwester der Chalkiope und desAbsyrtos

jason Argonaut, Schiffsf�hrer der »Argo«agameda Kolcherin. Vormals Medeas Sch�lerinakamas Korinther. Erster Astronom des Kçnigs

Kreonleukon Korinther. Zweiter Astronom des Kçnigs

Kreonglauke Korintherin. Tochter des Kçnigs Kreon

und der Merope

Andere Personen

Kreon Kçnig von KorinthMerope Kçnigin von KorinthIphinoe ihre ermordete TochterTuron Korinther. Gehilfe des AkamasLyssa Kolcherin. Ziehschwester und Ge-

f�hrtin der MedeaArinna Lyssas TochterKirke Zauberin. Schwester von Medeas

MutterPresbon Kolcher. Veranstalter der Spiele in

KorinthTelamon Gef�hrte des Jason. ArgonautPhrixos aus Jolkos, brachte das Vließ nach

Kolchis

Pelias Onkel des Jason in JolkosCheiron Erzieher des Jason in den thessali-

schen BergenMeidos, Pheres Sçhne der Medea und des JasonOistros Bildhauer, Medeas GeliebterArethusa aus Kreta, Medeas FreundinDer Alte aus Kreta, Arethusas Geliebter und

Freund

Wir sprechen einen Namen aus und treten, da dieW�nde durchl�ssig sind, in ihre Zeit ein, erw�nschteBegegnung, ohne zu zçgern erwidert sie aus der Zeit-tiefe heraus unseren Blick. Kindsmçrderin? Zum er-stenmal dieser Zweifel. Ein spçttisches Achselzucken,ein Wegwenden, sie braucht unseren Zweifel nichtmehr, nicht unser Bem�hen, ihr gerecht zu werden,sie geht. Uns voran? Von uns zur�ck? Die Fragen ha-ben unterwegs ihren Sinn verloren. Wir haben sie aufden Weg geschickt, aus der Tiefe der Zeit kommt sieuns entgegen, wir lassen uns zur�ckfallen, vorbei anden Zeitaltern, die, so scheint es, nicht so deutlich zuuns sprechen wie das ihre. Irgendwann m�ssen wiruns begegnen.

Lassen wir uns zu den Alten hinab, holen sie unsein? Gleichviel. Es gen�gt ein H�ndereichen. Leicht-hin wechseln sie zu uns �ber, fremde G�ste, uns gleich.Wir besitzen den Schl�ssel, der alle Epochen aufschließt,manchmal benutzen wir ihn schamlos, werfen eineneiligen Blick durch den T�rspalt, erpicht auf schnell-fertige Urteile, doch sollte es auch mçglich sein, unsschrittweis zu n�hern, mit Scheu vor dem Tabu, ge-willt, den Toten ihr Geheimnis nicht ohne Not zu ent-reißen. Das Eingest�ndnis unserer Not, damit m�ßtenwir anfangen.

Die Jahrtausende schmelzen unter starkem Druck.Soll also der Druck bleiben. M�ßige Frage. Falsche Fra-gen verunsichern die Gestalt, die sich aus dem Dunkelder Verkennung lçsen will.Wir m�ssen sie warnen. Un-

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sere Verkennung bildet ein geschlossenes System, nichtskann sie widerlegen. Oder m�ssen wir uns in das In-nerste unserer Verkennung und Selbstverkennung hin-einwagen, einfach gehen, miteinander, hintereinan-der, das Ger�usch der einst�rzenden W�nde im Ohr.Neben uns, so hoffen wir, die Gestalt mit dem magi-schen Namen, in der die Zeiten sich treffen, schmerz-hafter Vorgang. In der unsere Zeit uns trifft. Die wildeFrau.

Jetzt hçren wir Stimmen.

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Alles, was ich begangen habe bis jetzt,nenne ich Liebeswerk . . .Medea bin ich jetzt,gewachsen ist meine Natur durch Leiden.

Seneca, ›Medea‹

Medea

Auch tote Gçtter regieren. Auch Ungl�ckselige bangenum ihr Gl�ck. Traumsprache. Vergangenheitssprache.Hilft mir heraus, herauf aus dem Schacht, weg von demGeklirr in meinem Kopf, warum hçre ich das Klirrenvon Waffen, k�mpfen sie denn, wer k�mpft, Mutter,meine Kolcher, hçre ich ihre Kampfspiele in unseremInnenhof, oder wo bin ich, wird denn das Geklirr im-mer lauter. Durst. Ich muß aufwachen. Ich muß die Au-gen çffnen. Der Becher neben dem Lager. K�hles Was-ser lçscht nicht nur den Durst, es stillt auch den L�rmin meinem Kopf, das kenn ich doch. Da hast du nebenmir gesessen, Mutter, und wenn ich den Kopf drehte,so wie jetzt, sah ich die Fensterçffnung, wie hier, wobin ich, da war doch kein Feigenbaum, da stand dochmein geliebter Nußbaum. Hast du gewußt, daß mansich nach einem Baum sehnen kann, Mutter, ich warein Kind, fast ein Kind, ich hatte zum erstenmal geblu-tet, aber ich war doch nicht deswegen krank, du hastdoch nicht deswegen bei mir gesessen und mir die Zeitvertrieben, den Kr�uterumschlag auf Brust und Stirn ge-wechselt, mir meine H�nde dicht vor die Augen gehal-ten und mir die Linien in den Handfl�chen gezeigt, zu-erst die linke, dann die rechte, wie verschieden, du hastmich gelehrt, sie zu lesen, oft habe ich mich ihrer Bot-schaft entzogen, habe die H�nde zu F�usten geballt,habe sie ineinander verschlungen, habe sie auf Wundengelegt, habe sie zu der Gçttin aufgehoben, habe dasWasser vom Brunnen getragen, das Leinen mit unserenMustern gewebt, habe sie in den warmen Haaren der

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Kinder vergraben. Einmal, Mutter, in einer anderenZeit, habe ich mit meinen beiden H�nden zum Ab-schied deinen Kopf umspannt, seine Form ist als Ab-druck in meinen Handfl�chen geblieben, auch H�ndehaben ein Ged�chtnis. Jeden Flecken von Jasons Kçrperhaben diese H�nde abgetastet, erst heute nacht, aber istdenn jetzt Morgen, und welcher Tag.

Ruhig. Ganz ruhig, eins nach dem anderen. Besinndich. Wo bist du. Ich bin in Korinth. Der Feigenbaumvor der Fensterçffnung der Lehmh�tte war mir einTrost, als sie mich aus dem Palast des Kçnigs Kreon wie-sen. Warum? Das kommt sp�ter. Ist das Fest vor�ber,oder muß ich noch hingehen, wie ich es Jason schließ-lich zugesagt habe. Du kannst mich jetzt nicht im Stichlassen, Medea, von diesem Fest h�ngt viel ab. Nicht f�rmich, habe ich ihm gesagt, und das weißt du auch, abermeinetwegen, ich komme, habe ich zu ihm gesagt, aberdas ist das letzte Mal. Du hast mir damals jene winzigeLinie in der linkenHandmit dem Fingernagel nachgezo-gen, du hast mir gesagt, was es bedeuten w�rde, wennsie irgendwann einmal die Lebenslinie kreuzte, du hastmich gut gekannt, Mutter, lebst du noch.

Sieh her. Da kreuzt diese winzige Linie, die sich ver-tieft hat, die andere. Paß auf, hast du gesagt, Hochmutl�ßt dein Inneres erkalten, mag ja sein, aber Schmerz,Mutter, Schmerz hinterl�ßt auch eine w�ste Spur.Wemsage ich das. Wie dunkel es auch gewesen ist, als wiran Bord der »Argo« gingen, deine Augen habe ich gese-hen und nicht vergessen kçnnen, ihr Blick brannte mirein Wort ein, das ich vorher nicht kannte: Schuld.

Jetzt klirrt es wieder, es ist das Fieber, aber mir istdoch, als h�tte ich an dieser Tafel gesessen, nicht gerade

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neben Jason,war das gestern, bleib hier, Mutter,woherkommt diese M�digkeit, ich will nur noch ein wenigschlafen, gleich steh ich auf, ich ziehe das weiße Kleidan, das ich selbst gewebt und gen�ht habe, wie du esmir beigebracht hast, dann gehen wir wieder gemein-sam durch die G�nge unseres Palastes, und ich wer-de froh sein, wie ich es als Kind gewesen bin, wenn dumich an die Hand genommen und auf den Innenhof ge-f�hrt hast, zu dem Brunnen in der Mitte, weißt du, daßich nirgendwo einen schçneren angetroffen habe, undeine der Frauen zieht uns den Holzeimer hoch, und ichschçpfe das Quellwasser und trinke, trinke und werdegesund.

Es ist n�mlich so: Entweder ich bin von Sinnen, oderihre Stadt ist auf ein Verbrechen gegr�ndet. Nein, glaubmir, ich bin ganz klar, mir ist ganz klar,was ich da sageoder denke, ich habe ja den Beweis gefunden, mit die-sen H�nden habe ich ihn betastet, ach, Hochmut ist esnicht, was mich jetzt bedroht. Ich bin ihr doch nachge-gangen, der Frau, vielleicht wollte ich auch Jason eineLehre erteilen, der geduldet hatte, daß man mich andas Ende der Tafel zwischen die Dienstleute setzte, rich-tig, das habe ich nicht getr�umt, das war gestern. Jeden-falls sind es die hçheren Dienstleute, hat er kl�glich ge-sagt, mach keinen Skandal, Medea, nur heute nicht, ichbitte dich, du weißt, was auf dem Spiel steht, das Anse-hen des Kçnigs vor all den ausl�ndischen G�sten. AchJason, streng dich nicht an. Er hat noch nicht begriffen,daß Kçnig Kreon mich nicht mehr kr�nken kann, aberdarum geht es jetzt nicht, ich muß meinen Kopf frei ha-ben. Ich muß mir versprechen, daß ich mit keiner Men-schenseele jemals �ber meine Entdeckung reden werde,

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am liebsten w�rde ich es so machen, wie wir es als Kin-der gemacht haben, Chalkiope und ich, weißt du das,Mutter, wir wickelten unser Geheimnis fest in ein Blattein und aßen es auf, indem wir uns unverwandt in dieAugen blickten, unsere Kindheit, nein, das ganze Kol-chis war voller dunkler Geheimnisse, und als ich hierankam, als Fl�chtling in Kçnig Kreons schimmernderStadt Korinth, da dachte ich neidvoll: Diese hier habenkeine Geheimnisse. Und das glauben sie auch selbst vonsich, das macht sie so �berzeugend, mit jedem Blick,mit jeder ihrer maßvollen Bewegungen sch�rfen sie direin: Es gibt einen Ort auf derWelt, da kann derMenschgl�cklich sein, und sp�t erst ging mir auf, daß sie es dirsehr �belnehmen, wenn du ihnen ihr Gl�ck bezwei-felst. Aber darum geht es doch gar nicht, was ist nurmit meinem Kopf, daß er die Gedanken in ganzenSchw�rmen losl�ßt, warum f�llt es mir so schwer, deneinen Gedanken aus dem Schwarm herauszufischen,den ich brauche.

Ich hatte das Gl�ck, daß ich an der Tafel des Kçnigszwischen meinen Freund Leukon, den zweiten Astro-nomen des Kçnigs, und Telamon zu sitzen kam, denkennst du auch, Mutter, es war derjenige der Argonau-ten, der zusammen mit Jason in unseren Palast kam,nachdem sie an der K�ste von Kolchis gelandet waren,ich mußte mich also nicht langweilen beim Festmahl,denn Leukon ist ein kluger Mann, mit dem ich gernerede, es ist eine Sympathie zwischen uns, und Telamon,ein wenig ungef�ge, aber mir treu ergeben seit jenem er-sten Nachmittag in Kolchis vor so vielen Jahren, die ichkaum z�hlen kann, er versucht, in meiner Gegenwartbesonders witzig, auch besonders obszçn zu sein, wir

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hatten zu lachen, und ich, entschlossen, den Kçnig vonmeinem minderen Platz aus zu strafen, legte das Beneh-men einer Kçnigstochter an den Tag, die ich allerdingsauch bin, nicht wahr Mutter, die Tochter einer großenKçnigin. Es fiel mir nicht schwer, Aufmerksamkeit zuerregen und Respekt einzufordern, selbst von den frem-den Gesandten aus Libyen und von den Inseln im Mit-telmeer, Telamon spielte mit, wir brachten den armenJason in die Klemme, hin und her gerissen zwischen derBotm�ßigkeit gegen�ber einem Kçnig, von dem wir al-lerdings abh�ngen, und seiner Eifersucht, trank er mirverstohlen zu und beschwor mich mit Blicken, meinen�bermut nicht zu weit zu treiben, aber wenn der Kçnigzu einer seiner Tiraden ansetzte, mußte er an seinenLippen h�ngen. An unserem Tischende war es lustig,jetzt f�llt mir alles wieder ein.Wie die beidenM�nner anmeiner Seite sich um mich zu streiten begannen, wieLeukon, der große, schlanke, etwas ungelenke Menschmit dem ovalen Sch�del, der wohl Spaß versteht, selbstaber keinen Spaß machen kann, dem h�nenhaften,blondlockigen Telamon ernstlich meine F�higkeiten alsHeilerin anzupreisen begann, wie Telamon darauf lau-thals von meinen kçrperlichen Vorz�gen schw�rmte,die braune Haut, sagte er, das Wollhaar, das wir Kol-cher alle haben und das Jason gleich f�r mich eingenom-men habe, ihn �brigens auch, aber was sei er schongegen Jason, er wurde sentimental, wie die starkenM�nner es leicht werden, meine Glutaugen, sagte er,du kennst ihn ja, Mutter, immer, wenn ich ihn sehe,f�llt mir ein, wie du, als er bei uns in der T�r stand,die Hand vor denMund geschlagen und wie im SchreckOi! gerufen hast, anerkennend,wenn ich nicht irre, und

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wie deine Augen dabei funkelten, und wie ich merkte,daß du noch keine alte Frau warst, und ich unwillk�r-lich an den sauertçpfischen, mißtrauischen Vater den-ken mußte. Ach,Mutter. Ich bin keine junge Frau mehr,aber wild noch immer, das sagen die Korinther, f�r dieist eine Frau wild, wenn sie auf ihrem Kopf besteht. DieFrauen der Korinther kommen mir vor wie sorgf�ltiggez�hmte Haustiere, sie starren mich an wie eine frem-de Erscheinung, wir drei Vergn�gten an unserem Tafel-ende zogen alle Blicke auf uns, all die neidvollen undempçrten Blicke der Hofgesellschaft und die flehendendes armen Jason, nun ja.Warum bin ich der Frau nachgegangen, der Kçnigin,

die ich, solange ich in dieser Stadt Korinth bin, kaumje zu Gesicht bekommen habe. Eingesponnen in eindichtes Netz schauerlicher Ger�chte, zuverl�ssig ver-borgen hinter ihrer Unnahbarkeit, verbringt sie ihreTage und N�chte im entlegensten, �ltesten Teil desPalastes, in dickwandigen Kammern, die lichtarmenHçhlen gleichen sollen, eher eine Gefangene als eineHerrscherin, bedient und bewacht von zwei seltsamurt�mlichen Weibern, die ihr aber auf ihre Weise treuergeben sein sollen, ich glaube, sie kennt meinen Na-men nicht, und ich hatte keinen Gedanken verschwen-det an die ungl�ckliche Kçnigin eines Landes, das mirfremd geblieben ist und immer fremd bleiben wird.Wie mein Kopf mich schmerzt, Mutter, etwas in mirwehrt sich dagegen, noch einmal in diese Hçhlen hinun-terzusteigen, in die Unterwelt, in den Hades,wo gestor-ben und wiedergeboren wird seit alters her,wo aus demHumus der Toten Lebendiges gebacken wird, zu denM�ttern also, zur Todesgçttin, zur�ck. Aber was heißt

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da vorw�rts, was zur�ck. Das Fieber steigt, ich mußtees tun. Ich habe diese Frau an Kreons Seite zum ersten-mal gesehen, Mutter, mit jenem Zweiten Blick, den duan mir bemerkt hast. Ich wehrte mich bis zum �ußer-sten, bei diesem jungen Priester in die Lehre zu gehen,lieber wurde ich krank. Jetzt erinnere ich mich, daswar die Krankheit, w�hrend der du mir meine Handli-nien zeigtest, der Priester hat sp�ter scheußliche Verbre-chen begangen, er war nicht normal, da sagtest du, dasKind hat den Zweiten Blick. Er ist mir hier fast abhan-den gekommen, manchmal denke ich, die krankhafteFurcht der Korinther vor dem, was sie meine Zauber-kr�fte nennen, hat mir diese F�higkeit ausgetrieben.

So erschrak ich, als ich die Kçnigin Merope sah. Daßsie wortlos neben Kçnig Kreon saß, daß sie ihn zu has-sen, er sie zu f�rchten schien, das konnte jeder sehen,der Augen im Kopf hatte. Ich meine etwas anderes.Ich meine, daß es auf einmal ganz still wurde. Daß jenesFlimmern vor meinen Augen erschien, das dem Zwei-ten Gesicht vorausgeht. Daß ich in dem riesigen Saalmit dieser Frau allein war. Da sah ich sie, ihre Aura fastvollst�ndig verdunkelt von unstillbarem Leid, so daßmich ein Entsetzen erfaßte und ich ihr nachgehen muß-te, als sie, kaum war das Mahl beendet, aufstand undohne ein erkl�rendes Wort, ohne einen Gruß wenig-stens f�r die fremden Kaufleute und Gesandten, steifin ihrem golddurchwirkten Festkleid hinausging undden Kçnig zwang, ihre Ungehçrigkeit zu �berspielendurch schnelleres Reden, lauteres Lachen. Von Herzengçnnte ich ihm seine Niederlage. Er muß diese Frau ge-zwungen haben, all diesen neugierigen eitlen Leuten ihrzerstçrtes Gesicht hinzuhalten,wie mich Jason dazu ge-

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bracht hat, ihnen eine Komçdie vorzuspielen. Jetzt wares genug. Wir gingen, beide aus dem gleichen Grund:Stolz. Das habe ich nie vergessen, daß du mir einmal ge-sagt hast, wenn sie mich umbringen w�rden, meinenStolz m�ßten sie noch extra erschlagen. So ist es geblie-ben, und so soll es bleiben, und es w�re gut f�r meinenarmen Jason, wenn er das rechtzeitig erkennen w�rde.

Ich folgte der Frau. Der Gang, der zum Festsaal f�hrt,wie oft bin ich ihn gegangen, als Jasons, des kçniglichenNeffen und Gastfreunds geachtete Frau, an seiner Seite,in Zeiten, die mir gl�cklich erschienen. Wie habe ichmich so t�uschen kçnnen, aber nichts t�uscht sichererals Gl�ck, und es gibt keinen Platz, der die Sch�rfe derWahrnehmung so tr�bt wie der Platz imGefolge des Kç-nigs. Merope war wie vom Erdboden verschluckt, esmußte einen Ausschlupf geben, ich suchte und fandihn hinter Fellen versteckt, ich nahm eine der Fackelnaus ihrer Halterung und schl�pfte in denGang, der baldso niedrig wurde, daß ich nur noch geb�ckt gehenkonnte, oder habe ich das getr�umt, das d�stere Keller-gewçlbe, des Kçnigs herrlicher lichter Palast als sein ei-genes Gegenbild noch einmal in die Tiefe, ins Finsteregebaut. Die Steintreppen, Stockwerk um Stockwerkhinunter, das muß ich getr�umt haben, aber die K�lte,die habe ich doch nicht getr�umt, ich schlottere ja im-mer noch, und die Sch�rfe der Steine, die mir die Hautritzten, woher sonst w�ren meine Arme so voller ver-schorfter Kratzer, und dann im letzten, tiefsten Grund,in jenem Keller, in dem sich sogar in diesem trockenenLand Wasser sammelt, der Einstieg in das Hçhlenge-wirr, zwei Stufen nehmen und dann b�uchlings hinein,und weiterkriechen, die Fackel sch�tzend, die nur noch

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