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AR 2018 01 1. - Arzneimittel & Recht · Rezensionen Fritz R. Rimkus/Frank Stieneker:...

Date post: 01-Feb-2021
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A&R-Inhalt 1/2018 Aufsätze Dr.MortonDouglas/Dr.LukasKalkbrenner Die datenschutzrechtliche Bewertung der Einbindung von WhatsApp in die Arzneimittelvorbestellung 3 ProfessorDr.HilkoJ.Meyer Die Abgabe und Abrechnung patientenindividuell neuverpackter Fertigarzneimittel 9 LeaJoos Qualitätsmanagement bei Lagerung und Transport von Arzneimitteln 18 Rezensionen Fritz R. Rimkus/Frank Stieneker: Pharmazeutische Packmittel (Dr. Helga Blasius) 25 Stefan Huster/Stefan Stadelhoff/Anne Streng-Baunemann: Der Zugang zu noch nicht zugelassenen Arzneimitteln. Rechtsfragen und Regulierungsprobleme. (Dr. Helga Blasius) 25 Kurzbeiträge BlicknachBerlin von Andrea Schmitz 26 BlicknachBrüssel vonProfessorDr.HilkoJ.Meyer 28 Rechtsprechung OVGNRW,Urteilvom17.01.2018: Einordnung cistusextrakthaltiger Lutschtabletten als Arzneimittel 32 LandesberufsgerichtfürHeilberufebeim OberverwaltungsgerichtNordrhein-Westfalen,Urteilvom 23.11.2017: Berufspflichtverletzung bei Zytostatikazubereitungen aus nicht in Deutschland oder in der EU zugelassenen Fertigarzneimitteln 35 OLGKöln,Urteilvom12.01.2018: Werbung für verschreibungspflichtiges Tierarzneimittel bei Facebook 42 Entscheidungen in Leitsätzen Hans.OLG,Beschlussvom27.09.2017: Abnehmkonzept: Genetische Stoffwechselanalyse mit Anmerkung Dr. Christian Tillmanns 30 VGKöln,Urteilvom07.11.2017: Aufnahme von präklinischen Daten in die Fachinformation (Pharmakodynamische Eigenschaften) mit Anmerkung Dr. Christian Tillmanns 47 www.arzneimittel-und-recht.de
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  • A&R-Inhalt 1/2018Aufsätze Dr. Morton Douglas/Dr. Lukas Kalkbrenner

    Die datenschutzrechtliche Bewertung der Einbindung vonWhatsApp in die Arzneimittelvorbestellung 3Professor Dr. Hilko J. MeyerDie Abgabe und Abrechnung patientenindividuellneuverpackter Fertigarzneimittel 9Lea JoosQualitätsmanagement bei Lagerung und Transport vonArzneimitteln 18

    Rezensionen Fritz R. Rimkus/Frank Stieneker: Pharmazeutische Packmittel(Dr. Helga Blasius) 25Stefan Huster/Stefan Stadelhoff/Anne Streng-Baunemann:Der Zugang zu noch nicht zugelassenen Arzneimitteln.Rechtsfragen und Regulierungsprobleme. (Dr. Helga Blasius) 25

    Kurzbeiträge Blick nach Berlin von Andrea Schmitz 26Blick nach Brüssel von Professor Dr. Hilko J. Meyer 28

    Rechtsprechung OVG NRW, Urteil vom 17.01.2018: Einordnungcistusextrakthaltiger Lutschtabletten als Arzneimittel 32Landesberufsgericht für Heilberufe beimOberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom23.11.2017: Berufspflichtverletzung beiZytostatikazubereitungen aus nicht in Deutschland oder in derEU zugelassenen Fertigarzneimitteln 35OLG Köln, Urteil vom 12.01.2018:Werbung fürverschreibungspflichtiges Tierarzneimittel bei Facebook 42

    Entscheidungen inLeitsätzen

    Hans. OLG, Beschluss vom 27.09.2017:Abnehmkonzept:Genetische Stoffwechselanalyse mit Anmerkung Dr. ChristianTillmanns 30VG Köln, Urteil vom 07.11.2017:Aufnahme von präklinischenDaten in die Fachinformation („PharmakodynamischeEigenschaften“) mit Anmerkung Dr. Christian Tillmanns 47

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  • Herausgeber

    Rechtsanwalt Dr. Christian Rotta, Stuttgart • Professor Dr. Hilko Meyer, Frankfurt/Main • Rechts-anwalt Professor Dr. Peter Wigge, Münster • Dr. Ulrich Lau, Vorsitzender Richter amOberverwaltungs-gericht Nordrhein-Westfalen

    Herausgeberbeirat

    Dr. Helga Blasius, RemagenDr. Peter Dieners, DüsseldorfSimone Winnands, BonnJochem Gröning, BerlinDr. Bodo Klein, KölnDr. Elmar Mand, MarburgDr. Valentin Saalfrank, KölnDr. Axel Sander, Frankfurt/MainProfessor Dr. Harald Schweim, BonnProfessor Dr. Barbara Sickmüller, BerlinProfessor Burkhard Sträter, BonnDr. Christian Tillmanns, MünchenHerbert Wartensleben, Stolberg

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    Impressum

    Arzneimittel&Recht (A&R)Zeitschrift für Arzneimittelrecht und ArzneimittelpolitikISSN 1860-5338

    Verlag und Anschrift:Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft StuttgartRechtsanwalt Dr. Christian Rotta (verantwortlich für den Textteil)Birkenwaldstraße 44, 70191 StuttgartPostfach 10 10 61, 70009 StuttgartTelefon: 0711/2582-225 Fax: 0711/2582-290E-Mail: crotta@wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.deHauptstadtredaktion: Assessorin Kirsten Sucker-SketE-Mail: [email protected]: http//www.wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de

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    © 2018 Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft StuttgartISSN 1860 -5338

  • AufsätzeDie datenschutzrechtliche Bewertung derEinbindung von WhatsApp in dieArzneimittelvorbestellungDr. Morton Douglas und Dr. Lukas Kalkbrenner, Freiburg

    Der kostenlose Instant-Messaging-Dienst WhatsApp er-möglicht es, Textnachrichten, Bild-, Video- und Ton-Da-teien sowie Standortinformationen, Dokumente und Kon-taktdaten auszutauschen. Inzwischen hat WhatsAppweitgehend die SMS abgelöst. Immer häufiger bietenauch Apotheken an, Vorbestellungen von Arzneimittelnper WhatsApp entgegenzunehmen. Da dabei jedoch au-tomatisch sensible Gesundheitsdaten, die für den Apo-theker bestimmt sind und dessen Berufsgeheimnis un-terliegen, auch an das US-amerikanische Unternehmenübermittelt werden, stellen sich datenschutz- und straf-rechtlich relevante Fragen.

    A. Funktionsweise der WhatsApp-Arzneimittelvorbestel-lung

    Für über eine Milliarde Menschen weltweit soll nach Un-ternehmensangaben der US-amerikanische Instant-Mes-senger-Dienst WhatsApp nicht mehr aus dem Alltag weg-zudenken sein: Termine vereinbaren, Urlaubsfotos umden Globus nach Hause schicken, ein Geburtstagsständ-chen per Videobotschaft – alles unkompliziert, schnellund kostengünstig möglich dank WhatsApp, das seit 2014Teil der Facebook Inc. ist. Dabei kann die Messaging-App nach aktueller Rechtsprechung selbst im privatenBereich rechtlich nicht bedenkenlos eingesetzt werden,sondern bedarf der Einwilligung der Kontakte in die Spei-cherung ihrer personenbezogenen Daten auf demSmartphone des Nutzers.1

    Um an der weiten Verbreitung des Dienstes sowie der all-gemein zunehmenden Technisierung zu partizipieren,greifen vermehrt auch Apotheken auf die dadurch eröff-neten Möglichkeiten zurück und bieten ihren Patienteninsbesondere Arzneimittelvorbestellungen per WhatsAppals zusätzlichen Service an. So kann der Patient sicherstel-len, dass die ihm verschriebenen Arzneimittel auch tat-sächlich vorrätig sind, wenn er sie in der Apotheke abholt.

    Der Ablauf einer Arzneimittelvorbestellung über Whats-App, wie sie derzeit vielfach angeboten wird, stellt sich imWesentlichen wie folgt dar: Dem Patienten wird online ei-ne Handynummer angezeigt, über die er per Text oderFoto – etwa seines Rezepts oder der benötigten Arznei-mittelverpackung – das Medikament bei seiner Apothekeordern kann; denkbar ist auch das Versenden einerSprachnachricht. Daraufhin erhält der Patient eine Reser-vierungsbestätigung sowie die Information, ab wann dasArzneimittel zur Abholung bereit liegt.

    Während einige Apotheken eine Art Datenschutzerklä-rung vorhalten, in der zumindest auf rechtliche Unwäg-barkeiten beim Einsatz eines US-amerikanischen Unter-nehmens hingewiesen wird, bieten andere Apotheken denService gänzlich ohne weitere Vorkehrung neben ihrensonstigen Bestellkanälen an.

    Beides ist sowohl aus datenschutzrechtlicher als auch ins-besondere aus strafrechtlicher Sicht ungenügend. DerNachrichteninhalt einer WhatsApp-Vorbestellung und dieFunktion des Messenger-Anbieters bei dem Vorgang er-fordern vielmehr die Einhaltung deutlich strengerer Vor-gaben.

    B. Datentransfer2 während der Vorbestellung

    I. Rechtliche Stellung von Apotheker und WhatsApp Inc.

    1. Mit der Einrichtung des Vorbestellwegs via WhatsAppwird der Apotheker nach § 3 Abs. 7 BDSG bzw. Art. 4Nr. 7 der ab 25. Mai 2018 auch in Deutschland unmittelbaranwendbaren EU-Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) verantwortlich für die Erhebung und weitere Ver-arbeitung der betroffenen Daten. Damit hat er die Einhal-tung der datenschutzrechtlichen Vorgaben sicherzustellen,insbesondere die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung.Unerheblich ist dabei, ob die Arzneimittelvorbestellungletztlich vom Patienten ausgeht. Der Apotheker wird hier-durch nicht aus der Verantwortlichkeit entlassen. Ent-scheidend bleibt, dass der Weg, über WhatsApp vorzube-stellen, überhaupt eröffnet wird.

    Die Einordnung des Apothekers als Verantwortlichen –und damit als Haftungssubjekt für Datenschutzverstöße –wird durch die Schlussanträge des Generalanwalts YvesBot zum Betrieb von Facebook-Fanpages3 bestätigt: Botgeht davon aus, dass der Betreiber einer Facebook-Fan-page für die Erhebung und Verarbeitung von personenbe-zogenen Daten verantwortlich ist, da er die Vertrags-bedingungen von Facebook aus freien Stücken angenom-men und damit die volle Verantwortung für die betroffe-nen Daten übernommen hat.4 Nicht zuletzt verfügt derBetreiber über die Macht, die Datenverarbeitung auch

    1 AG Bad Hersfeld, Urt. v. 20.03.2017 – F 111/17 EASO.

    2 Der Beitrag legt in datenschutzrechtlicher Hinsicht die geltenden Vor-schriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) sowie der Verord-nung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitungpersonenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Auf-hebung der Richtlinie 95/46/EG (nachfolgend: DS-GVO) zugrunde. DieDS-GVO tritt zum 25.05.2018 in Kraft.

    3 Generalanwalt, Schlussanträge vom 24.10.2017 – Rs. C-210/16.4 Generalanwalt (Fn. 3), Rdnr. 53 ff.; in diesem Sinne wohl auchKGBerlin,Urt. v. 22.09.2017 – 5U 155/14.

    Douglas/Kalkbrenner: Einbindung von WhatsApp in die Arzneimittelvorbestellung A&R 1/2018

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  • wieder zu beenden, indem er seine Fanpage schließt.5 Da-mit entscheidet der Betreiber über Mittel und Zweck derDatenverarbeitung. Nicht anders verhält es sich mit einemApotheker, der allein das Ob von WhatsApp als Bestell-weg in seine Apotheke in der Hand hat.

    2. Die WhatsApp Inc. ist aus datenschutzrechtlicher Sichtim Rahmen der Arzneimittelvorbestellung als Dritter imSinne von § 3 Abs. 8 Satz 2 BDSG bzw. Art. 4 Nr. 10 DS-GVO einzustufen. Das Unternehmen steht außerhalb derverantwortlichen Apotheke, für die die Bestelldaten vor-gesehen sind und mit der keine Vereinbarung über eineAuftragsdatenverarbeitung geschlossen worden ist. Einederartige Auftragsdatenverarbeitung wäre eine Möglich-keit, den Datentransfer rechtlich abzusichern.

    Während bei der WhatsApp Inc. der Abschluss einer sol-chen Vereinbarung eher unwahrscheinlich ist, dürfte diesmit konkurrierenden Anbietern solcher Messenger-Dienste durchaus möglich sein. Eine Apotheke, die miteinem weisungsgebundenen Auftragsverarbeiter koope-riert, behält die volle Verfügungsgewalt über die Patien-tendaten und bestimmt damit auch allein über Erhebung,Verarbeitung und Nutzung. Der Anbieter wäre in diesemFall nicht als Dritter zu qualifizieren, so dass die Daten-weitergabe als solche nicht gesondert abgesichert werdenmüsste.

    II. Qualität der übermittelten Daten

    Bei den im Rahmen der Vorbestellung relevanten Datenbzw. deren Empfängern ist zwischen den sogenanntenMeta- und den Inhaltsdaten zu differenzieren.

    Metadaten sind alle Daten rund um eine Nachricht, alsozum Beispiel Absender, Adressat oder Empfangszeit-punkt. Diese Daten werden ausweislich der Nutzungs-bedingungen der WhatsApp Inc. ausgewertet und gespei-chert6, so dass (auch) das Unternehmen Kenntnis davonhat, wer mit wem wann – nicht aber: was – kommunizierthat.

    Als Inhaltsdatum wird demgegenüber der Nachrichten-inhalt selbst bezeichnet. Dieser ist Gegenstand der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die die WhatsApp Inc. in denProgramm-Versionen seit 2. April 2016 anbietet.7 Nur werals Nutzer auf diese Version zurückgreift, verhindert

    grundsätzlich, dass das Unternehmen oder andere Dritteden Nachrichteninhalt „mitlesen“ können. Erforderlichist, dass sowohl der Absender als auch der Empfänger ei-ner Nachricht eine WhatsApp-Version mit Ende-zu-En-de-Verschlüsselung einsetzt. Damit bleibt die Informati-on, wer welches Arzneimittel vorbestellt hat, in ihrer ent-schlüsselten Form grundsätzlich ausschließlich beim Apo-theker.

    Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ändert allerdingsnichts daran, dass es sich bei den Inhaltsdaten um so-genannte besondere Arten personenbezogener Daten imSinne von § 3 Abs. 9 BDSG bzw. Gesundheitsdaten imSinne von Art. 4 Nr. 15 DS-GVO handelt. Darunter wer-den Angaben verstanden, die sich auf die Gesundheit ei-ner natürlichen Person beziehen und aus denen Informa-tionen über deren Gesundheitszustand hervorgehen. Sol-che Angaben gehen beispielsweise ohne Weiteres aus ei-ner Rezeptfotografie hervor, da hier der Name desPatienten mit einem bestimmten Arzneimittel verbundenwird. Über den Namen des Arzneimittels lässt sich danndie Indikation ermitteln, für die dieses Arzneimittel zuge-lassen ist.

    Ob diese Zuordnung auch bei nicht-verschriebenen Medi-kamenten gilt, ist zumindest zweifelhaft.8 Zum einen wer-den gerade im Internet Arzneimittel ohne konkreten An-lass für die Hausapotheke und somit auf Vorrat erworben.Zum anderen können die Arzneimittel für Familienmit-glieder oder im Falle von Sammelvorbestellungen auchfür Dritte erworben werden. In diesen Fällen ist damitaber nichts über den Gesundheitszustand des Kunden ge-sagt.9 Gleichwohl wird auch bei der Vorbestellung nicht-verschreibungspflichtiger Medikamente ein nicht un-erheblicher Teil der Kunden diese für den eigenen Bedarfbeziehen, so dass hierdurch ein Rückschluss auf deren Ge-sundheitszustand möglich sein wird. Dies gilt insbesonde-re für den besonders sensiblen Bereich der chronischenErkrankungen, da hier aufgrund der Vorhersehbarkeitdes Bedarfs häufiger Bezugswege gewählt werden, bei de-nen Mittel der Fernkommunikation genutzt werden. Essprechen daher gute Gründe dafür, dass auch im Bereichder nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel ein

    5 Generalanwalt (Fn. 3), Rdnr. 56.6 WhatsApp Inc., Datenschutzrichtlinie (abrufbar unter: https://www.whatsapp.com/legal/?l=de; Stand: 25.08.2016): „Wir sammelndienstspezifische Informationen sowie Informationen für Diagnosezwe-cke und Performance-Informationen. Dies umfasst auch Informationenüber deine Aktivität (beispielsweise wie du unsere Dienste nutzt, wiedu mit anderen bei der Nutzung unserer Dienste interagierst und Ähn-liches), Log-Dateien sowie Diagnose-, Absturz-, Webseiten- und Perfor-mance-Logs und -berichte. […] Wenn du unsere Dienste installierst,nutzt oder auf sie zugreifst, sammeln wir gerätespezifische Informatio-nen. Dazu gehören auch Informationen wie das Hardware-Modell, dieInformationen zum Betriebssystem, Browser-Informationen, die IP-Adresse, Angaben zum Mobilfunknetz, einschließlich der Telefonnum-mer, sowie Gerätekennungen. Wir sammeln Standortinformationen desGeräts, wenn du unsere Standort-Funktionen verwendest, also z.B.wenn du deinen Standort mit deinen Kontakten teilst, Orte in der Näheanschaust, Standorte, die andere dir gesendet haben, anschaust oderÄhnliches und für Diagnosezwecke und zur Problem- bzw. Fehlerbehe-bung, wenn du beispielsweise Probleme mit den Standort-Funktionenunserer App hast.“

    7 WhatsApp Inc. (Fn. 6): „Normalerweise speichern wir deine Nachrich-ten im Rahmen der Bereitstellung unserer Dienste nicht. Sobald deineNachrichten (einschließlich deiner Chats, Fotos, Videos, Sprachnach-richten, Dateien und Angaben zu „Standort senden“) zugestellt sind,werden sie von unseren Servern gelöscht. Deine Nachrichten werdenauf deinem eigenen Gerät gespeichert. Wenn eine Nachricht nicht so-fort zugestellt werden kann (zum Beispiel, wenn du offline bist), könnenwir sie für bis zu 30 Tage auf unseren Servern behalten, während wirversuchen sie zuzustellen. Wenn eine Nachricht nach 30 Tagen immernoch nicht zugestellt wurde, löschen wir sie. Um die Leistung zu verbes-sern und Mediennachrichten effizienter zuzustellen, beispielsweisewenn viele Personen ein beliebtes Foto oder Video teilen, können wirsolche Inhalte länger auf unseren Servern behalten. Wir bieten außer-dem eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für unsere Dienste an, diestandardmäßig aktiviert ist, wenn du und die Personen, mit denen duchattest, eine Version unserer App verwenden, die nach dem 2. April2016 veröffentlicht wurde. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bedeutet,dass deine Nachrichten verschlüsselt sind, um davor zu schützen, dasswir oder Dritte sie lesen können.“; dies verkennend Landesapotheker-kammer Thüringen (LAKT), Kammernewsletter, Ausgabe 26 vom16.06.2017, S. 1.

    8 Vgl. hierzu Wolff, Rechtsgutachten über die datenschutzrechtlichen Vo-raussetzungen eines Verkaufs von Arzneimitteln über die Internetplatt-form ‚Amazon‘, S. 12 Rdnr. 34 ff. (n. v.).

    9 Nach Brühann, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40.Auflage 2009, A 30, Art. 8 Rdnr. 9 sind erst Angaben über Medikamen-tenkonsumDaten über die Gesundheit.

    Douglas/Kalkbrenner: Einbindung von WhatsApp in die Arzneimittelvorbestellung A&R 1/2018

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  • Rückschluss auf den Gesundheitszustand des Reservie-renden möglich ist, so dass der Inhalt der (Vor-)Bestel-lung als Gesundheitsdaten zu bewerten ist.

    Auch verschlüsselte Daten sind nach wie vor personenbe-zogen, da sie jederzeit wieder lesbar gemacht werden kön-nen, gleich ob durch den Schlüsselinhaber selbst odermöglicherweise durch einen unberechtigten Dritten.10 DieVerschlüsselung dient zwar als technisch-organisatorischeMaßnahme – genauso wie beispielsweise Zugriffs-beschränkungen auf das in der Apotheke genutzteSmartphone – dem Schutz der Zweckbindung, verändertaber nicht die verschlüsselten Daten an sich, die zumin-dest bis zu ihrer Zustellung an den Adressaten (Apothe-ke) auf den Servern der WhatsApp Inc. gespeichert wer-den.11 Nach Erwägungsgrund 26 der Datenschutz-Grund-verordnung würden nur anonymisierte Daten also solche,die sich auf eine nicht identifizierte oder identifizierbarePerson beziehen, aus dem Anwendungsbereich des Da-tenschutzrechts fallen. Dafür sorgt die bloße Verschlüsse-lung jedoch nicht.

    Die Inhaltsdatenübertragung an die WhatsApp Inc. istdamit datenschutzrechtlich relevant, zumal sie untrenn-bar mit der Metadatenverarbeitung verknüpft ist. Durchden Einsatz der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung kann esdem Apotheker als weitergebende Stelle nicht gelingen,die Identifizierbarkeit der kommunizierenden Personenauszuschließen. Die Fragen, ob die Ende-zu-Ende-Ver-schlüsselung wirklich konsequent umgesetzt wird und wieeffektiv diese sich letztlich darstellt, können dabei sogardahinstehen. Denn die sensiblen Daten, die Inhalt einerArzneimittelvorbestellung per WhatsApp sind und mit-tels Ende-zu-Ende-Verschlüsselung übermittelt werden,genießen unabhängig davon besonderen gesetzlichenSchutz.

    Bildlich gesprochen verschickt der Patient seine Rezept-fotografie in einem Tresor, zu dem grundsätzlich nur derApotheker den Schlüssel hat. Trotzdem steht der Tresoreben an einem Ort, zu dem auch Dritte Zugang haben,die zudem wissen, zu welcher Person sich Informationenin dem Tresor befinden. Vor diesem Hintergrund han-delt es sich um keine „rein hypothetische Möglichkeit“12,dass Dritte Kenntnis auch vom Tresorinhalt nehmenkönnten, zumal der Schlüssel bei dem Apotheker ver-mutlich nie absolut sicher verwahrt werden kann, undauch nicht feststeht, ob der Tresor wirklich verriegeltwird.

    Demgegenüber ermöglichen die in Form von Metadatenübermittelten Informationen, dass zwischen zwei Smart-phones kommuniziert wird, allein keinerlei Rückschlüsse

    auf den Gesundheitszustand einer Person.13 Nur über dieVerknüpfung mit dem sensiblen Nachrichteninhalt fällt dieWhatsApp-Vorbestellung insgesamt in den Anwendungs-bereich der besonderen Datenschutzvorschriften. Davonist die Frage zu trennen, ob Metadaten unter die berufs-rechtliche und damit gemäß § 203 StGB geschützte Ver-schwiegenheitspflicht des Apothekers fallen und welcherechtlichenKonsequenzen dies nach sich zieht.14

    C. Nutzung von WhatsApp in der Apotheke

    Die Möglichkeit der WhatsApp-Arzneimittelvorbestel-lung steht in erster Linie wegen der damit verbundenen(Gesundheits-)Datenübermittlung in die USA in der Kri-tik.15 Das Geschäftsmodell der WhatsApp Inc. – die Aus-wertung von Nutzerdaten – schließe jeglichen Einsatz imGesundheitsbereich aus. Zudem fehle es an einer Rechts-grundlage, die den Datenabfluss in das Ausland erlaube.Obgleich der Tenor der bisherigen Auseinandersetzungenablehnend ist, ist unbekannt, ob die Datenschutzbehördenbereits gegen den Einsatz von WhatsApp zum Zweck derArzneimittelvorbestellung vorgehen.

    I. Zulässigkeit der Datenverarbeitung

    Im Rahmen einer schematischen datenschutzrechtlichenPrüfung ist zunächst (dazu 1.) die materielle Zulässigkeitder Datenverarbeitung an sich zu bewerten, bevor auf dieDatenübermittlung an einen Drittstaat eingegangen wer-den kann (dazu 2.). Da dabei Gesundheitsdaten betroffensind, ist – selbst wenn sie ausschließlich dem Apotheker inunverschlüsselter Form vorliegen – auf die insoweit spe-ziellen Erlaubnistatbestände (§ 28 Abs. 6 bis 8 BDSGbzw. Art. 9 DS-GVO) abzustellen.

    1. Mögliche Erlaubnistatbestände

    Gesundheitsdaten dürfen nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSGverarbeitet werden, wenn dies zur Geltendmachung, Aus-übung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche „erfor-derlich“ ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dassdas schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Aus-schluss der Verarbeitung überwiegt; die Begründung vonAnsprüchen fällt kraft extensiver Auslegung ebenfalls inden Anwendungsbereich der Vorschrift.16 Obgleich beider freiwilligen Entscheidung eines Patienten für die Arz-neimittelvorbestellung per WhatsApp kaum von Interes-sen, die der Verarbeitung entgegenstehen, auszugehen ist,fehlt es jedoch an der Erforderlichkeit. Die derzeit mitWhatsApp auf dem Markt präsenten Apotheken belegenselbst, dass für eine Arzneimittelvorbestellung gerade kei-

    10 Schild, in: Wolff/Brink (Hrsg.), BeckOKDatenschutzrecht, Art. 4Rdnr. 80; Gola/Klug/Körffer, in: Gola/Schomerus (Hrsg.), BDSG, 12.Auflage 2015, § 3 Rdnr. 45; a.A. wohl Windelband/Ertel, WhatsApp inApotheken (abrufbar unter: https://www.datenschutz-notizen.de/whats-app-in-apotheken-5814912/; letzter Abruf: 01.02.2018), die die Möglich-keit der Einwilligung nur im Hinblick auf Telefonbuch- und Metadatendiskutieren.

    11 WhatsApp Inc., WhatsApp Sicherheit (abrufbar unter: https://www.whatsapp.com/security/?l=de; Stand: 01.02.2018).

    12 Zu diesem Maßstab Artikel-29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 4/2007 zum Begriff „personenbezogene Daten“, WP 136 vom 20.06.2007,S. 17.

    13 Dies gilt erst recht für den schlichten Besuch einer Apotheke. A.A.wohl LAKT (Fn. 7), S. 1 f.; ein weiteres Beispiel, bei dem es nach Schild(Fn. 10) an einem Rückschluss auf den Gesundheitszustand fehle, istdie Krankschreibung des Arztes; erst die Diagnose sei ein sensibles Da-tum.

    14 Vgl. dazu unter C. III.15 DAZ.online, WhatsApp wurde nicht für die Apotheken geschaffen, In-terview mit der Landesdatenschutzbeauftragten Marit Hansen vom10.06.2016 (abrufbar unter: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/06/10/whatsapp-wurde-nicht-fur-apotheken-geschaf-fen; letzter Abruf: 01.02.2018); LAKT (Fn. 7).

    16 Gola/Klug/Körffer, in: Gola/Schomerus (Fn. 10), § 28 Rdnr. 28;Wolff, in:Wolff/Brink (Fn. 10), § 28 BDSG Rdnr. 257.

    Douglas/Kalkbrenner: Einbindung von WhatsApp in die Arzneimittelvorbestellung A&R 1/2018

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  • ne Datenübertragung an einen Dritten „erforderlich“ ist.Allein die Tatsache, dass dies auf diesem Wege für man-che Kunden bequemer erscheinen mag als andere Bestell-möglichkeiten, ist für die Annahme einer Erforderlichkeitnicht ausreichend. Mithin werden beinahe durchweg auchandere, weniger datenintensive Kommunikationskanälezur Erreichung desselben Zwecks angeboten, vor allemdie telefonische Vorbestellung. Damit ist die WhatsApp-Vorbestellung nicht von dem Erlaubnistatbestand ge-deckt. Entsprechendes gilt im Hinblick auf Art. 9 Abs. 2Buchst. f DS-GVO.

    Die Datenübermittlung der Apotheke an die WhatsAppInc. kann ferner nicht auf § 28 Abs. 7 BDSG bzw. Art. 9Abs. 2 Buchst. h, Abs. 3 DS-GVO gestützt werden. DieVerarbeitung für Zwecke der Gesundheitsvorsorge sowieVersorgung oder Behandlung im Gesundheitsbereichwürde (auch) auf Seiten der WhatsApp Inc. voraussetzen,dass dort Personen mit den Daten befasst sind, die einemeinschlägigen Berufsgeheimnis unterliegen. Dies ist nichtder Fall und ein deutscher Apotheker könnte die Einhal-tung dieser Anforderung auch nicht gewährleisten.

    2. Einwilligungserfordernis

    Eine zulässige Datenverarbeitung im Rahmen der Whats-App-Arzneimittelvorbestellung kann daher – vorbehalt-lich der strafrechtlichen Würdigung – nur auf Grundlageeiner wirksamen Einwilligung gemäß § 4 a Abs. 3 BDSGbzw. Art. 9 Abs. 2 Buchst. a DS-GVO erfolgen.

    a) Inhaltsdaten

    An eine solche Einwilligung sind strenge Anforderungenzu stellen. In die Verarbeitung seiner Gesundheitsdatenmuss der betroffene Patient „ausdrücklich“ einwilligen,das heißt die Einwilligung muss sich explizit auf die Ver-arbeitung sensibler Daten beziehen. Damit sind konklu-dente oder stillschweigende Erklärungen ausgeschlossen.Allerdings bedeutet „ausdrücklich“ nicht „schriftlich“ imSinne von § 126 BGB.17 Zwar mag aus Nachweisgründenregelmäßig eine schriftliche Fixierung ratsam sein, jedocheröffnet die gesetzliche Ausgestaltung unter Praktikabili-tätsgesichtspunkten dem Apotheker die Möglichkeit, überbestimmte technische Mechanismen das Einholen einer„ausdrücklichen“ Einwilligung sicherzustellen. Vorstellbarsind insoweit beispielsweise Opt-in-Lösungen, die demPatienten die WhatsApp-Nummer der Apotheke erst an-zeigen, nachdem er sich aktiv durch die vorzuhaltende,detaillierte Datenschutzerklärung „geklickt“ hat. Sobalddieser Vorgang abgeschlossen ist, kann der Apothekerdem Patienten mitteilen, dass nunmehr die Voraussetzun-gen für die Nutzung der WhatsApp-Vorbestellung vorlie-gen. Daraufhin kann der Patient seine Reservierung täti-gen. Genauso könnte der Service exklusiv den Kunden-karteninhabern zur Verfügung gestellt werden, die imRahmen ihrer Antragstellung auch in die WhatsApp-Nut-zung einwilligen. Soweit ersichtlich, scheint sich ein sol-ches Vorgehen in der Praxis bislang nicht etabliert zu ha-ben.

    b) Metadaten

    Zusammen mit der Einwilligung in die Verarbeitung derGesundheitsdaten kann zugleich die Erklärung des betrof-fenen Patienten eingeholt werden, dass er mit der Spei-cherung seiner Handynummer, seines Namens sowie sei-ner Adresse im Smartphone-Adressbuch der Apothekeund der damit verbundenen Weitergabe an die WhatsAppInc. einverstanden ist.

    Jeder WhatsApp-Nutzer übermittelt ausweislich der Nut-zungsbedingungen18 fortlaufend Daten in Klardaten-Formvon allen in dem eigenen Adressbuch eingetragenen Kon-taktpersonen an das Unternehmen. Dieses Auslesen desAdressbuchs, in dem zumindest Patientennamen gespei-chert sind, führt dazu, dass der Apotheker insoweit unver-schlüsselt Informationen, die als Patientendaten seiner be-rufsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, wei-tergibt.

    Nach bereits erwähnter aktueller – wenngleich weit vonder tagtäglichen Realität entfernter – Rechtsprechung sollselbst die „einfache“ permanente Datenweitergabe an dieWhatsApp Inc. der ausdrücklichen Zustimmung der imSmartphone gespeicherten Kontakte bedürfen.19 Ins-besondere käme eine konkludente Einwilligung dieserKontakte, die das Messenger-Programm ebenfalls nutzen,nicht in Betracht, da es am erforderlichen Erklärungs-bewusstsein der Betroffenen fehle. Mithin verstehe derdurchschnittliche WhatsApp-Nutzer üblicherweise nicht,in welcher Art und in welchem Umfang die Vernetzungs-technik von WhatsApp funktioniere und nehme auch dieNutzungsbedingungen und Datenschutzrichtlinie vor derInstallation des Programms nicht hinreichend zur Kennt-nis.

    Ob sich die Auffassung des Amtsgerichts Bad Hersfelddurchsetzt, ist fraglich. Vor dem Hintergrund dieserEntscheidung ist jedoch zumindest im Hinblick auf dieder Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Patienten-daten ein Erst-Recht-Schluss zu ziehen. Die Annahmeeiner konkludenten Einwilligung in deren Weitergabeinfolge WhatsApp-Nutzung ist jedenfalls ausgeschlos-sen. Vielmehr kann der ausdrückliche Wille des Patien-ten dahingehend dokumentiert werden. Dabei dürfteim Sinne der Datensparsamkeit darauf zu achten sein,dass im Adressbuch des Apothekers keine dort über-flüssigen Daten gespeichert werden, die damit gegebe-nenfalls automatisch und unverschlüsselt an die Whats-App Inc. übermittelt werden. Hierunter fallen im Ex-tremfall beispielsweise Vermerke zu Krankheiten oderMedikationen bestimmter Personen. Aber auch die Da-ten von Patienten, die über einen längeren Zeitraumauf diesem Wege nicht mehr vorbestellt haben, sind zulöschen.

    17 Schulz, in: Gola (Hrsg.), Datenschutz-Grundverordnung, 2017, Art. 9Rdnr. 14 f. m.w.N.

    18 WhatsApp Inc., Nutzungsbedingungen (abrufbar unter: https://www.whatsapp.com/legal/?l=de; Stand: 25.08.2016): „Du stellst uns re-gelmäßig die Telefonnummern von WhatsApp-Nutzern und deinensonstigen Kontakten in deinem Mobiltelefon-Adressbuch zur Ver-fügung. Du bestätigst, dass du autorisiert bist, uns solche Telefonnum-mern zur Verfügung zu stellen, damit wir unsere Dienste anbieten kön-nen.“

    19 AG Bad Hersfeld (Fn. 1).

    Douglas/Kalkbrenner: Einbindung von WhatsApp in die Arzneimittelvorbestellung A&R 1/2018

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  • II. Zulässigkeit der Datenübermittlung an einen Drittstaat

    Was sodann die Übermittlung der Daten gerade an dasUS-Ausland betrifft, gilt zunächst, dass die WhatsAppInc. kein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistenkann20, so dass die Datenübermittlung lediglich aus-nahmsweise zulässig sein kann. Diese Problematik resul-tiert alleine aus dem Sitz der WhatsApp Inc. in einem un-sicheren Drittstaat.

    1. Fehlende „Erforderlichkeit“ der Datenübermittlung

    Soweit vorliegend von Belang, sehen § 4 c Abs. 1 Satz 1Nr. 2 BDSG bzw. Art. 49 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b DS-GVO Ausnahmen vor, die auf die Durchführung vorver-traglicher Maßnahmen auf Veranlassung der betroffenenPerson abstellen. Darunter kann eine Arzneimittelvor-bestellung, ausgehend vom Patienten, gefasst werden. Al-lerdings gilt auch insoweit das Kriterium der Erforderlich-keit, das Datenverarbeitungen im vorvertraglichen Be-reich ausschließt, wenn diese auf einem Marketingkon-zept des für die Verarbeitung Verantwortlichen beruht.21Damit kann sich der Apotheker, der über die Nutzungvon WhatsApp Kundenbindung betreiben möchte, nichtdarauf berufen, dass die Vorbestellung vom Patientenausgeht, um in den Anwendungsbereich der Privilegie-rung zu gelangen. Ausschlaggebend ist, dass der Apothe-ker es ist, der die Möglichkeit der WhatsApp-Vorbestel-lung eröffnet und diese der „Erforderlichkeit“ der Daten-übermittlung im oben genannten Sinne bereits entgegen-steht.

    2. Erfordernis und Reichweite einer Einwilligung

    Die Zulässigkeit der Datenübermittlung in das US-Aus-land hängt vielmehr von der Einwilligung des Patientenab, § 4 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG, Art. 49 Abs. 1 Satz 1Buchst. a DS-GVO. Er ist über die damit verbundenenmöglichen Risiken zu unterrichten und muss sich darüberim Klaren sein, dass seine (Gesundheits-)Daten nach derÜbermittlung in ein unsicheres Drittland möglicherweisekeinerlei Schutz mehr genießen.22 Dabei muss die infor-mierte, unmissverständliche Einwilligung freiwillig erteiltwerden und jederzeit widerruflich sein.

    a) Einwilligung in dauerhafte Nutzung

    Um dem Ausnahmecharakter der Einwilligung gerecht zuwerden, darf ein Datentransfer auf dieser Grundlagegrundsätzlich nicht systematisch erfolgen, sondern sollteauf Einzelfälle beschränkt sein.23 Für den Einsatz vonWhatsApp im Rahmen der Arzneimittelvorbestellung be-deutet das aber nicht, dass eine gesonderte ausdrücklicheEinwilligung für jeden einzelnen Vorgang zu fordern ist.Vielmehr kann sich eine Einwilligung auch auf eine be-

    stimmte Kategorie von Datenübermittlungen beziehen,wenn beispielsweise zum Zeitpunkt der Einholung die ge-nauen Umstände der Übermittlung noch nicht bekanntsind, solange insbesondere der Zweck der wiederkehren-den Übermittlung bereits feststeht.24

    Zum Zeitpunkt der Erteilung der Einwilligung in dieNutzung von WhatsApp, zu dem auch erst die zu ver-wendende Handynummer zu offenbaren ist, steht fest,dass diese Nummer künftig zum Zweck der Arzneimit-telvorbestellung – stets ausgehend vom Patienten – ge-nutzt werden kann und dass auf diesem Weg wiederholtgesundheitsrelevante Daten auch an die WhatsApp Inc.übermittelt werden; den konkreten Nachrichteninhaltbestimmt der Patient selbst. Wenn er sich in vollerKenntnis dieser Sachlage für die Arzneimittelvorbestel-lung über WhatsApp entscheidet, können auch wieder-holte Datenübermittlungen von der einmal erteiltenEinwilligung gedeckt sein. Insbesondere bestehen dannweder Zweifel an der Freiwilligkeit noch ist die jeder-zeitige Widerruflichkeit der Einwilligung gefährdet.25Wenn der Patient keine Vorbestellung aufgibt, werdenauch keine Gesundheitsdaten übermittelt. Möchte erden Service überhaupt nicht mehr in Anspruch nehmen,das heißt auch aus dem Smartphone-Adressbuch desApothekers gelöscht werden, kann er dies entsprechendmitteilen und es werden fortan keine Daten mehr andie WhatsApp Inc. übermittelt. Damit kann, wer einmaldie Handynummer der Apotheke hat, diese fortlaufendnutzen und immer wieder selbständige Vorbestellungenaufgeben.

    Im Ergebnis besteht unter Zugrundelegung dieser Erwä-gungen die grundsätzliche Möglichkeit, Arzneimittelvor-bestellungen über WhatsApp für jeden einzelnen Patien-ten nach einmaliger Registrierung auch regelmäßig ent-gegen zu nehmen. Es bedarf keiner gesonderten Einwil-ligung in jeden einzelnen Bestellvorgang.

    b) Informiertheit der Einwilligung

    Problematisch erscheint indes die bereits erwähnte Infor-miertheit der Einwilligung, die auf Seiten der Patientengeschaffen werden muss.

    Es besteht eine Pflicht des Apothekers zur umfassendenInformation darüber, auf welche personenbezogenen Da-ten und Verarbeitungsvorgänge sich das Einverständnisbezieht, über Empfänger und Zielort(e) der Daten sowiedas konkrete Risiko der Übermittlung in ein Land ohneangemessenes Schutzniveau.26 In tatsächlicher Hinsichtdürfte es an dieser Stelle schlicht unmöglich sein, die er-forderlichen umfassenden Informationen zur Verfügungzu stellen: Was passiert mit den übermittelten Daten ge-nau, sobald sie einmal bei der WhatsApp Inc. sind? Werkann die Einhaltung der WhatsApp-Nutzungsbedingun-gen garantieren? Wurde von der Apotheke eine Geneh-migung des Messenger-Anbieters eingeholt, die „irgend-eine nicht-private Nutzung“, wie es in den Nutzungsbedin-

    20 Vgl. hierzu nur Pauly, in: Paal/Pauly (Hrsg.), Datenschutz-Grundverord-nung, 2017, Art. 45 Rdnr. 8 ff., m. v. w.N.; WhatsApp Inc. ist nicht zerti-fiziert nach dem EU-US Privacy Shield.

    21 Artikel-29-Datenschutzgruppe, Übermittlung personenbezogener Da-ten an Drittländer: Anwendung von Artikel 25 und 26 der Datenschutz-richtlinie der EU, WP 12 vom 24.07.1998, S. 26.

    22 Lange/Filip, in: Wolff/Brink (Fn. 10), Art. 49 DS-GVO Rdnr. 6.23 Artikel-29-Datenschutzgruppe, Arbeitspapier über eine gemeinsameAuslegung des Artikels 26 Absatz 1 der Richtlinie 95/46/EG vom 24.Oktober 1995, WP 114 vom 24.11.2005, S. 13.

    24 Artikel-29-Datenschutzgruppe (Fn. 21), S. 14.25 Vgl. hierzu bei wiederholten Datenübermittlungen Lange/Filip, in:Wolff/Brink (Fn. 10), Art. 49 DS-GVO Rdnr. 11.

    26 Pauly, in: Paal/Pauly (Fn. 20), Art. 49 Rdnr. 6.

    Douglas/Kalkbrenner: Einbindung von WhatsApp in die Arzneimittelvorbestellung A&R 1/2018

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  • gungen heißt27, freigibt? (Spätestens) an dieser Stellescheint der Einsatz von WhatsApp zum Zwecke der Arz-neimittelvorbestellung an seine datenschutzrechtlichenGrenzen zu gelangen. Es ist zu bezweifeln, dass ein voll-umfassender „Disclaimer“, der sämtliche Risiken in die-sem Zusammenhang dem Patienten aufbürdet, einer ge-richtlichen Inhaltskontrolle standhalten kann.

    III. Berufsgeheimnisschutz

    Aus strafrechtlicher Sicht ist bei der Einbindung vonWhatsApp in den Apothekenbetrieb die Neufassung von§ 203 StGB zu berücksichtigen, die zum 9. November2017 in Kraft getreten ist.28

    Indem der Apotheker sich den Messenger-Dienst für sei-ne Geschäftszwecke zu eigen macht, kann die WhatsAppInc. bzw. deren Vertreter als „sonstige Person“, die an derberuflichen Tätigkeit des Apothekers mitwirkt, im Sinnevon § 203 Abs. 3 StGB eingestuft werden. Mithin istWhatsApp in die Tätigkeit der schweigepflichtigen Personeinbezogen. Dies geschieht in deren Einvernehmen.29

    Es ist allerdings fraglich, ob die mit der WhatsApp-Nut-zung verbundene Weitergabe von Berufsgeheimnissen inden Genuss der neuen gesetzlichen Privilegierung in § 203Abs. 3 Satz 1 StGB kommt, wonach das rechtswidrige„Offenbaren“ nur ausgeschlossen ist, „soweit dies für dieInanspruchnahme der Tätigkeit der sonstigen mitwirken-den Personen erforderlich ist“ – soll heißen: der Berufs-geheimnisträger darf nicht mehr geschützte Geheimnissepreisgeben, als notwendig ist, damit er die Tätigkeit dersonstigen mitwirkenden Person übertragen kann.30 ZumZwecke einer Arzneimittelvorbestellung ist es jedochnicht „notwendig“, dass eine dritte Stelle in einem unsi-cheren Drittstaat involviert wird. Um ein unbefugtes Of-fenbaren im Sinne von § 203 Abs. 1 StGB auszuschließen,ist der Apotheker daher durch den Patienten von seinerSchweigepflicht zu entbinden.

    Eine Strafbarkeit ist gemäß § 203 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1StGB ferner gegeben, wenn der Apotheker „nicht dafürSorge getragen hat, dass eine sonstige mitwirkende Per-son, die unbefugt ein fremdes, ihr bei der Ausübung oderbei Gelegenheit ihrer Tätigkeit bekannt gewordenes Ge-heimnis offenbart, zur Geheimhaltung verpflichtet wur-de“. Bereits die bloße Nicht-Verpflichtung der WhatsAppInc. bzw. der dort befassten Personen zur Geheimhaltungkann eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstra-fe für den Apotheker nach sich ziehen. Dabei erscheint eszum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen, eine solche Ver-pflichtung einholen zu können. Denn weder wird dieWhatsApp Inc. eine solche Verpflichtung gegenüber einer

    einzelnen Apotheke eingehen, noch kann der Geheimnis-schutz bei der WhatsApp Inc. gewährleistet werden.

    Damit müsste der Apotheker sich darauf verlassen, dass,kommt es zur Geheimnisoffenbarung, dies von einer kon-kludenten Einwilligung31 des Patienten gedeckt ist, um die„unbefugte“ Offenbarung auf Seiten der WhatsApp Inc.auszuschließen. Sinn und Zweck der gesetzlichen Neufas-sung – lückenloser Schutz fremder Geheimnisse32 – spre-chen jedoch gegen eine derart extensive Auslegung desPatientenwillens. Dies führt letztlich zu einer Unzulässig-keit der WhatsApp-Arzneimittelvorbestellung aus straf-rechtlicher Sicht.

    D. Fazit zum Umgang mit WhatsApp und Ausblick

    Der Instant-Messenger-Dienst WhatsApp kann aus da-tenschutzrechtlicher Sicht ohne weitere Vorkehrungennicht in die Arzneimittelvorbestellung eingebunden wer-den und ist selbst bei Vorliegen umfassender Einwil-ligungserklärungen kritisch zu bewerten, da nicht abseh-bar ist, ob eine auch umfassend formulierte Einwilligungs-erklärung einer Inhaltskontrolle standhält. Nach gelten-dem Recht sind unbefugte Datenverarbeitungen mitBußgeldern bis zu 300.000,– Euro bewehrt, mit Inkrafttre-ten der DS-GVO sogar bis zu 20.000.000,– Euro oder biszu 4 Prozent des gesamten weltweit erzielten Jahresumsat-zes des vorangegangenen Geschäftsjahrs, je nachdem,welcher der Beträge höher ist.

    Neben den empfindlichen hoheitlichen Sanktionen drohenAbmahnungen durch Mitbewerber, die über die Mitteldes Wettbewerbsrechts ebenfalls Zugriff auf rechtswidrighandelnde Kollegen haben. Mithin sind die einschlägigendatenschutzrechtlichen Bestimmungen als Marktverhal-tensregelungen im Sinne von § 3 a UWG zu qualifizieren,da sie sich auf die Handlungen eines Unternehmers bezie-hen, personenbezogene Daten von Verbrauchern betref-fen und insbesondere auch einen kommerziellen Zweckverfolgen.33 Gerade bei dem Einsatz von WhatsApp einesApothekers sind die Auswirkungen auf den Markt beson-ders greifbar. Denn derjenige, der den Service nicht anbie-tet, wird daran interessierte Patienten schlicht an seinenrechtswidrig handelnden Mitbewerber verlieren. Letztererverwirklicht damit den Rechtsbruchstatbestand und kannvon seinen Mitbewerbern insbesondere gemäß § 8 Abs. 1Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG auf Unterlassung in Anspruchgenommen werden. Im Rahmen der Beseitigung sinddann auch sämtliche Daten, die in diesem Wege gesam-melt wurden, sofort zu vernichten.

    Neben den nicht unerheblichen datenschutzrechtlichenRisiken dürfte die strafrechtliche Würdigung die Einbin-dung von WhatsApp in den Apothekenalltag endgültigausschließen. Zu ungewiss ist die Geheimhaltung von Pa-

    27 WhatsApp Inc. (Fn. 18): „Du wirst unsere Dienste nicht auf eine Artund Weise nutzen (bzw. anderen bei der Nutzung helfen), die: […] (f)irgendeine nicht-private Nutzung unserer Dienste beinhaltet, es seidenn, dies wurde von uns genehmigt.“

    28 Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwir-kung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen,BGBl. I S. 3618.

    29 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnis-sen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichti-ger Personen, BT-Drs. 18/11936 vom 12.04.2017, S. 22 f.

    30 BT-Drs. 18/11936 vom 12.04.2017 (Fn. 29), S. 23.

    31 In BT-Drs. 18/11936 vom 12.04.2017 (Fn. 29), S. 18 wird die Möglichkeitder konkludenten Einwilligung grundsätzlich in Erwägung gezogen, ihrzutreffend jedoch keine hinreichende Rechtssicherheit zugesprochen.

    32 BT-Drs. 18/11936 vom 12.04.2017 (Fn. 29), S. 23.33 Köhler, in: Köhler/Bornkamm (Hrsg.), Gesetz gegen den unlauterenWettbewerb, 35. Auflage 2017, § 3 a Rdnr. 1.74 unter Bezugnahme auf§ 2 Abs, 3 Satz 1 Nr. 11 UKlaG; OLG Köln, Urt. v. 17.01.2014 – 6 U167/13; OLG Karlsruhe, Urt. v. 09.05.2012 – 6 U 38/11; KG Berlin,Urt. v. 22.09.2017 – 5 U 155/14.

    Douglas/Kalkbrenner: Einbindung von WhatsApp in die Arzneimittelvorbestellung A&R 1/2018

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  • tientendaten in den Händen der WhatsApp Inc.; dafür„Sorge tragen“, dass die Mitarbeiter dort zur Geheimhal-tung verpflichtet werden, kann ein Apotheker faktischnicht.

    Demgegenüber ist es grundsätzlich möglich, um im Zeit-alter von Gesundheits-Apps und der – ebenfalls umstritte-nen – Bezugsmöglichkeit von apothekenpflichtigen Arz-neimitteln über Amazon34 nicht den Anschluss zu verlie-ren, über einen Messenger-Dienst Arzneimittelvorbestel-

    lung entgegenzunehmen. Voraussetzung hierfür ist aber,dass der Inhaber der Apotheke mit dem Anbieter desDienstes eine Auftragsdatenverarbeitung abschließt unddieser die Daten nicht in einen unsicheren Drittstaat über-mittelt, sondern sie an einem Standort mit angemessenemDatenschutzniveau verbleiben.

    Anschrift der Verfassers:Rechtsanwälte Dr. Morton Douglas undDr. Lukas KalkbrennerFriedrich Graf von Westphalen & Partner mbBKaiser-Joseph-Straße 28479098 Freiburg

    Die Abgabe und Abrechnung patientenindividuellneuverpackter FertigarzneimittelProfessor Dr. Hilko J. Meyer, Frankfurt/Main

    Obwohl der Gesetz- und Verordnungsgeber sowie die zu-ständigen Aufsichtsbehörden die rechtlichen Grundlagenund qualitativen Anforderungen an die neue Versor-gungsform der Abgabe patientenindividuell neuverpack-ter Fertigarzneimittel einschließlich ihrer Abrechnung inden vergangenen Jahren präzisiert haben und darüberhinaus keinen zusätzlichen Handlungsbedarf sehen, sor-gen die anhaltenden juristischen Einwände bei allen Be-teiligten für Rechtsunsicherheit, die durch die neuenstrafrechtlichen Korruptionstatbestände für das Gesund-heitswesen eine neue Qualität erhalten hat. Der Aufsatzgibt unter Berücksichtigung der Intentionen des Gesetz-und Verordnungsgebers einen systematischen Überblicküber die rechtlichen Rahmenbedingungen der Herstel-lung, Abgabe und Abrechnung patientenindividuell ver-blisterter Fertigarzneimittel.

    Die Abgabe patientenindividuell neuverpackter Fer-tigarzneimittel ist eine anwendungsnahe Dienstleistungder Apotheken, die an die Stelle von Tätigkeiten tritt, dieder Arzneimittelabgabe nachgelagert sind und üblicher-weise vom Patienten selbst, von Angehörigen und Pfle-gekräften oder von Ärzten durchgeführt werden, ins-besondere die Entnahme der Einzeldosen aus der Ver-packung und das Zusammenstellen der zum gleichen Zeit-punkt einzunehmenden Arzneimittel. Individuellneuverpackte Arzneimittel – im Unterschied zu Conveni-ence-Produkten im Konsumgüterbereich – erleichternnicht allein diese alltäglichen Verrichtungen, sondern sinddazu geeignet, die Arzneimitteltherapie sicherer zu ma-chen, indem sie die Anwendungstreue der Patienten erhö-hen, die Einhaltung der ärztlichen Anwendungshinweiseund Einnahmezeitpunkte erleichtern sowie Verwechslun-

    gen und Falschdosierungen entgegenwirken. Die Vorteileeiner Versorgung mit patientenindividuell konfektionier-ten und mit den persönlichen Einnahmezeitpunkten ge-kennzeichneten Arzneimitteln schlagen besonders dort zuBuche, wo multimorbide Personen, häufig mit chro-nischen Krankheiten und einer Vielzahl einzunehmenderArzneimittel, aufgrund ihres Allgemeinzustands Proble-me damit haben, die Organisation ihrer komplexen Medi-kation selbständig zu bewältigen. Die neue Versorgungs-form hat sich daher vor allem in der Arzneimittelversor-gung der Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen etab-liert. Das Neuverpacken nach den Einnahmezeitpunktendes Patienten unter arzneimittel- und apothekenrecht-lichen Qualitätsstandards erhöht hier die Arzneimittel-sicherheit und entlastet die Pflegefachkräfte. Zudem liegtim Heim regelmäßig die für die Versorgung mit patiente-nindividuell verblisterten Fertigarzneimitteln erforderli-che Kontinuität in der Betreuung und Kontrolle der Arz-neimittelversorgung vor, da die stationären Pflegeeinrich-tungen, zu deren gesetzlichen Aufgaben die Sicherstellungder gesundheitlichen Versorgung pflegebedürftiger Heim-bewohner zählt,1 hierbei eng mit den behandelnden Ärz-ten2 und der vertraglich eingebundenen heimversorgen-den Apotheke3 zusammenzuarbeiten haben. Inzwischenwird die Zahl der auf diese Weise mit Arzneimitteln ver-sorgten Bewohner von Alten- und Pflegeeinrichtungenauf ca. 300.000 Personen geschätzt.4

    34 Kritisch hierzuWolff (Fn. 8) – die Zulässigkeit der Arzneimittelbestel-lung über Amazon wird gerade im Verfahren vor dem LG Dessau – Az.3 O 29/17 geklärt.

    1 Vgl. Heimgesetze der Länder, z. B. § 9 Abs. 2 Nr. 3, 4, 5 des HessischenGesetzes über Betreuungs- und Pflegeleistungen.

    2 § 119 b SGB V, §§ 12 Abs. 2, 114 Abs. 1 SGB XI.3 § 12 a Apothekengesetz (ApoG).4 Vgl. Haase, Deutsche Apotheker Zeitung (DAZ) Nr. 26/2014, S. 52.

    Meyer: Die Abgabe und Abrechnung patientenindividuell neuverpackter Fertigarzneimittel A&R 1/2018

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  • Seit 2005 ist es Herstellungsbetrieben arzneimittelrecht-lich erlaubt, das patientenbezogene Neuverpacken fürApotheken zu übernehmen, wenn diesen für einen Patien-ten eine Verschreibung vorliegt.5 In der Praxis wird dieseTätigkeit ungeachtet der eingesetzten technischen Verfah-ren auch als patientenindividuelles Verblistern bezeich-net6, die Herstellungsbetriebe häufig als Blisterzentren.Vom Stellen und Verblistern durch die Apotheken selbst,die dazu im Rahmen des apothekenüblichen Betriebs undnach Maßgabe der apothekenrechtlichen Herstellungsvor-schriften befugt sind7, unterscheidet sich das patientenin-dividuelle Neuverpacken durch einen externen Herstel-lungsbetrieb darin, dass Letzteres den arzneimittelrecht-lichen Anforderungen an die industrielle Herstellung un-terliegt und die Fertigarzneimittel dabei unverändertbleiben müssen, damit sie ihre arzneimittelrechtliche Zu-lassung nicht verlieren. Diese unveränderte Identität desFertigarzneimittels unterscheidet das patientenindividuel-le Neuverpacken von der Herstellung patientenbezogenerZubereitungen aus Fertigarzneimitteln, da diese das ur-sprüngliche Fertigarzneimittel nicht unverändert lässt undnur in medizinisch begründeten besonderen Bedarfsfällen,wie bei der Zytostatikazubereitung oder in der parentera-len Ernährung, an einen externen Hersteller delegiertwerden darf. Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln,ebenso wie die medizinisch indizierte Abgabe von ausFertigarzneimitteln ausgeeinzelten Teilmengen, wie zumBeispiel in der Substitutionstherapie8, bedürfen daher ei-ner ausdrücklichen ärztlichen Anordnung im Hinblick aufdie vom ursprünglichen Fertigarzneimittel abweichendeZusammensetzung bzw. Abgabemenge9 und unterschei-den sich auch dadurch von den patientenindividuell neu-verpackten Fertigarzneimitteln, die unverändert bleibenund deren Abgabe daher zusätzlich zur Verordnung derFertigarzneimittel keiner besonderen ärztlichen Ver-schreibung bedarf.

    Obwohl sich die Versorgung mit patientenindividuell ver-blisterten Fertigarzneimitteln auf dieser Grundlage seitüber einem Jahrzehnt etabliert hat, wird deren rechtlicheZulässigkeit in Teilen der juristischen Literatur bestritten.Die Einwände reichen von Zweifeln an der unionsrecht-lichen Grundlage10 über die Forderung nach einer aus-drücklichen ärztlichen Anweisung des Verblisterns11 bishin zu Warnungen vor Abrechnungsbeanstandungen undRetaxationen der Kostenträger12.

    Um diese Einwände und Bedenken auf ihre Stichhaltig-keit hin zu überprüfen, wird nachfolgend der Versuch un-ternommen, den rechtlichen Rahmen der Herstellung,Abgabe und Abrechnung patientenindividuell verblister-ter Fertigarzneimittel systematisch nachzuzeichnen und

    die Anforderungen an eine rechtskonforme Umsetzungherauszuarbeiten. Die besonderen Herstellungsvorschrif-ten für Apotheken sind nicht Gegenstand dieses Beitrags,da sie seinen Rahmen sprengen würden.13

    1. Der gesetzliche Rahmen

    Im Rahmen der 14. AMG-Novelle vom 29. August 200514beschloss der Deutsche Bundestag, Arzneimittel von derZulassungspflicht auszunehmen, die für einzelne Per-sonen aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelasse-nen Arzneimitteln für Apotheken hergestellt werden.15Ziel dieser Ausnahmeregelung war es, eine gesetzlicheGrundlage für die Neuverpackung von in Deutschlandzugelassenen Fertigarzneimitteln für individuelle Patien-ten unter Inanspruchnahme eines industriellen Verfah-rens im Auftrag einer öffentlichen Apotheke zu schaf-fen.16 In einer Entschließung verband der Bundestag denGesetzesbeschluss mit der Erwartung, dass in Zukunft –nicht nur zur Senkung der Therapiekosten, sondern auchzur Verbesserung der Anwendungssicherheit – die thera-piegerechte Versorgung mit individuell durch Einzelver-blistern verpackten Arzneimitteln für den angepasstenBedarf des Patienten zunehmen werde, und bezog sichauf einen damals laufenden Modellversuch zur individu-ellen Versorgung von Heimbewohnern mit patientenindi-viduell verpackten Arzneimitteln.17 Während bei dieserGesetzesänderung die Versorgung mit individuell ver-packten, ansonsten aber unveränderten Arzneimitteln imVordergrund stand, verfolgte der Gesetzgeber mit demGKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.März 200718 ein anderes Ziel. Es schuf die Möglichkeit,im Rahmen der Arzneimittelvereinbarungen zwischen ge-setzlichen Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereini-gungen auf Landesebene Zielvereinbarungen zu treffenund darin Anreize für die Ärzte zu schaffen, „wirtschaftli-che Einzelmengen“ zu verordnen.19 Von der Abgabe vonEinzelmengen versprach man sich Einsparungen, wennhierfür preisgünstige Großpackungen verfügbar sind;pharmazeutische Unternehmer seien daher gefordert,diese Großpackungen preisgünstig anzubieten.20 Um dieAbrechnung der Teilmengen zu erleichtern, hob dasGKV-WSG die gesetzliche Preisbindung für „aus Fer-tigarzneimitteln entnommene Teilmengen“ auf, soweitderen Darreichungsform, Zusammensetzung und Stärkeunverändert bleibt, und ließ insoweit Preisverhandlungenzwischen Kostenträgern und Apotheken oder deren Ver-bänden zu.21 Um die Einhaltung der unionsrechtlich ge-forderten Standards zur Information der Patienten beider Abgabe von aus Fertigarzneimitteln entnommenenTeilmengen (Auseinzelung von Arzneimitteln) durchApotheken sicherzustellen, wurden für diesen Fall beson-

    5 § 21 Abs. 2 Nr. 1 b Buchst. b und c AMG.6 Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln undMedizinprodukten(ZLG), Maschinelles patientenindividuelles Verblis-tern von Arzneimitteln (Aide-mémoire), 2010, S. 4 ff.

    7 Vgl. insbesondere § 34 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO).8 § 5 Abs. 9 Satz 8 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung(BtMVV).

    9 § 2 Nr. 4 a Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV), § 11 aAbs. 2 Satz 1 ApBetrO.

    10 Preuschhof/Tisch, PharmZtg 2005, 3320; Wille, PharmR 2006, 501, 506;Winnands, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2016, § 21, Rn 33.

    11 Wesser/Saalfrank, A&R 2015, 215; Cyran/Rotta, ApBetrO, Stand: 2017,§ 34 Rdnr. 31, 32.

    12 Cyran/Rotta, ApBetrO, Stand: 2017, § 34 Rdnr. 56 ff.

    13 Vgl. dazu etwa Cyran/Rotta, ApBetrO, Stand: 2017, §§ 1 a, 6, 7, 34.14 Art. 1 Nr. 14 Buchst. b) bb) Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Arz-neimittelgesetzes v. 29.08.2005, BGBl. I S. 2570, 2579.

    15 § 21 Abs. 2 Nr. 1 b 2. Alt. AMG a. F.16 BT-Drs. 15/5728, S. 81.17 BT-Drs. 15/5728, S. 3.18 Art. 30 Nr. 2, 3, 6, 32 Nr. 1, Art. 35 Gesetz zur Stärkung des Wett-bewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbs-stärkungsgesetz – GKV-WSG) v. 26.03.2007, BGBl. I S. 378, 461 ff.

    19 § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V.20 BT-Drs. 16/3100, S. 117.21 § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7, Satz 2 AMPreisV a. F.

    Meyer: Die Abgabe und Abrechnung patientenindividuell neuverpackter Fertigarzneimittel A&R 1/2018

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  • dere Vorschriften für die Kennzeichnung und die Pa-ckungsbeilage erlassen.22 Auf den „Sonderfall der Abga-be von aus Human-Fertigarzneimitteln entnommenenTeilmengen in neuen patientenindividuell zusammen-gestellten Blistern“ nahm die Neuregelung insoweit aus-drücklich Bezug, als die Packungsbeilage erst dann erneutbeizufügen ist, wenn sich diese gegenüber der zuletzt fürdie jeweilige Patientin oder den jeweiligen Patient bei-gefügten Packungsbeilage geändert hat.23 Mit dem Ge-setz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 17. Juli200924 kehrte der Gesetzgeber zur arzneimittelrechtlichenAusnahmeregelung für das patientenindividuelle Verblis-tern zurück und präzisierte die Voraussetzungen für dieZulassungsfreistellung dahingehend, dass die Arzneimit-tel ausdrücklich als Blister aus unveränderten Arzneimit-teln hergestellt25 oder in unveränderter Form abgefüllt26werden müssen. Zudem wurde die Ausnahmeregelungausdrücklich auf den Fall beschränkt, dass der beauftra-genden Apotheke für einen Patienten eine Verschrei-bung vorzuliegen hat. Mit der Vierten Verordnung zurÄnderung der Apothekenbetriebsordnung vom 5. Juni201227 legte das Bundesministerium für Gesundheit dieapothekenrechtlichen Voraussetzungen für die Beauftra-gung eines Herstellungsbetriebs mit dem patientenbezo-genen Neuverpacken durch eine Apotheke fest.28 Durchdas GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz vom4. Mai 201729 stellte der Gesetzgeber unter Bezugnahmeauf die ursprüngliche Intention des GKV-WSG klar, dassdie Arzneimittelpreisverordnung nur dann keine Anwen-dung findet, wenn die Abgabe von aus Fertigarzneimit-teln entnommener Teilmengen aufgrund ärztlicher Ver-ordnung erfolgt.30

    2. Das patientenindividuelle Verblistern als Herstellung

    Die gesetzliche Ausnahmeregelung für das industrielleNeuverpacken von Fertigarzneimitteln für bestimmte Ein-nahmezeitpunkte des Patienten macht keine Abstriche imHinblick auf die formalen und qualitativen Anforderun-gen an die damit verbundenen industriellen Herstellungs-prozesse. Insbesondere hat der deutsche Gesetzgeber kei-nen Gebrauch von der unionsrechtlich eröffneten Mög-lichkeit gemacht, das patientenindividuelle Neuverpackenvon Fertigarzneimitteln, sofern es lediglich im Hinblickauf die Abgabe durch Apotheker in einer Apotheke vor-genommen wird, generell von der Erlaubnispflicht aus-zunehmen.31 Ein Herstellungsbetrieb, der für eine Apo-theke Fertigarzneimittel patientenindividuell verblistert,unterliegt daher uneingeschränkt dem strafbewehrten

    Verbot mit Genehmigungsvorbehalt für das gewerbs-oder berufsmäßige Herstellen von Arzneimitteln gemäߧ§ 13 Abs. 1, 96 Nr. 4 AMG. Dabei kommt der arzneimit-telrechtlichen Definition des Herstellens besondere Be-deutung zu.32 Um die unionsrechtlich vorgegebene Erstre-ckung der Erlaubnispflicht auf die Abfüllung, das Ab-packen, die Aufmachung und damit auch die teilweiseHerstellung33 in der Systematik des deutschen Arzneimit-telrechts abzubilden, bezieht der deutsche Gesetzgeberüber die eigentliche Herstellungstätigkeit hinaus auch dasUmfüllen einschließlich Abfüllen, das Kennzeichnen unddie Freigabe des Arzneimittels in die Legaldefinition desHerstellens gemäß § 4 Abs. 14 AMG ein. Dabei wird un-ter Umfüllen das Verbringen eines Arzneimittels aus ei-nem Behältnis in ein anderes, unter Abfüllen das Umfül-len in das zur Abgabe bestimmte Behältnis verstanden.34Das Kennzeichnen umfasst die Etikettierung oder Be-schriftung mit den gesetzlich vorgeschriebenen Anga-ben.35

    Das patientenindividuelle Neuverpacken von Fertigarz-neimitteln besteht im Kern aus dem Entnehmen des Arz-neimittels aus der ursprünglichen Verpackung und demEinbringen der nach den vorgegebenen Einnahmezeit-punkten des einzelnen Patienten abgeteilten Portionen inein neues Behältnis sowie dem Aufbringen der erforderli-chen Angaben. Als neues Behältnis für die portioniertenArzneimittel werden dabei zum Beispiel Durchdrück-packungen (Blister), Folienbeutel, aber auch wiederver-wendbare Portionsbehälter verwendet. Das patientenindi-viduelle Neuverpacken von Fertigarzneimitteln ist dem-nach als Herstellen im Sinne des § 4 Abs. 14 AMG ein-zuordnen.

    Der Herstellungsbetrieb unterliegt damit im Hinblick aufdas patientenindividuelle Neuverpacken den gesetzlichenVoraussetzungen der Erlaubniserteilung36, den weiterenAnforderungen an die industrielle Arzneimittelherstel-lung37 und der Überwachung durch die zuständigen Be-hörden38. Im Mittelpunkt steht dabei das Betreiben einesfunktionierenden Qualitätsmanagementsystems und dieEinhaltung der Guten Herstellungspraxis sowie der an-erkannten pharmazeutischen Regeln nach Maßgabe desGMP-Leitfadens der EU.39 Art und Ausgestaltung desQualitätsmanagementsystems richten sich nach der Artder Tätigkeiten, die in einem Betrieb ausgeführt werden,und nach der Art der herzustellenden Produkte.40 Zu denspezifischen Tätigkeiten für das patientenindividuelleNeuverpacken unveränderter Fertigarzneimittel, die vondem Qualitätsmanagementsystem erfasst werden müssen,gehört das manuelle und maschinelle Entblistern, die

    22 §§ 10, 11, 97 AMG.23 BT-Drs. 16/3100, S. 199.24 Art. 1 Nr. 22 Buchst. b) bb) Gesetz zur Änderung arzneimittelrecht-licher und anderer Vorschriften v. 17.07.2009, BGBl. I S. 1990, 1996,

    25 § 21 Abs. 2 Nr. 1 b Buchst. b AMG.26 § 21 Abs. 2 Nr. 1 b Buchst. c AMG.27 Vierte Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung v.05.06.2012, BGBl. I S. 1254, 1255, 1260, 1265.

    28 § 11 a ApBetrO. Parallel erließ er Sonderreglungen für das patientenin-dividuelle Neuverpacken von Fertigarzneimitteln im Rahmen des übli-chen Apothekenbetriebs (Stellen, Verblistern), vgl. §§ 1 b Abs. 4, 5, 34ApBetrO.

    29 Art. 6 Nr. 1 Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in derGKV (GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) v.04.05.2017, BGBl. I S. 1050, 1056.

    30 § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AMPreisV.31 Art. 40 Abs. 2 UA 2 RL 2001/83/EG.

    32 Krüger, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 2014, § 13Rdnr. 3.

    33 Art. 40 Abs. 2 UA 2 Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Ge-meinschaftskodexes für Humanarzneimittel (RL 2001/83/EG).

    34 Kügel, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2016, § 4 Rdnr. 122.35 Pannenbecker, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2016, § 10 Rdnr. 1.36 § 14 AMG.37 §§ 3 ff., 21 ff. Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungs-praxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und überdie Anwendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung vonProdukten menschlicher Herkunft (Arzneimittel- und Wirkstoffherstel-lungsverordnung – AMWHV).

    38 §§ 64 ff.AMG.39 §§ 3, 13 AMWHV.40 Krüger, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 2014, § 13Rdnr. 6.

    Meyer: Die Abgabe und Abrechnung patientenindividuell neuverpackter Fertigarzneimittel A&R 1/2018

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  • Qualifizierung der Blisterautomaten und Validierung desVerblisterungsprozesses, die Kennzeichnung sowie die La-gerung von Ausgangsmaterialien, entblisterten Arzneimit-teln, Zwischenprodukten und individuell verblisterter Wa-re. Besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, wel-che Darreichungsformen und/oder Wirkstoffe aufgrundspezieller Risiken nicht bzw. nicht ohne festzulegende Si-cherheitsmaßnahmen verblistert werden dürfen und wel-che Arzneimittel gesondert, also einzeln, verblistert wer-den müssen (Unit Dose) und welche ggf. gemeinsam ver-packt werden dürfen (Multi Dose).41 Darüber hinaus hatder Herstellungsbetrieb beim patientenindividuellen Neu-verpacken die Voraussetzungen einzuhalten, die ihm dieauftraggebende Apotheke aufgrund apothekenrechtlicherVorschriften vertraglich aufzuerlegen hat. Dieser Vertragmuss in beiden Betrieben schriftlich vorliegen und hat dieVerantwortlichkeiten jeder Seite klar festzulegen.42

    3. Das Inverkehrbringen patientenindividuell verblisterterFertigarzneimittel

    Die arzneimittelrechtliche Ausnahmeregelung knüpftstattdessen an der Zulassungspflicht für Fertigarzneimittelnach §§ 21 Abs. 1, 96 Nr. 5 AMG an. Diese stellt das In-verkehrbringen von Fertigarzneimitteln unter ein strafbe-wehrtes Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Ebenso wie dietätigkeitsbezogene Herstellungserlaubnis ist die produkt-bezogene Zulassung mit gesetzlichen Anforderungen zurGewährleistung der Arzneimittelsicherheit und des Ver-braucherschutzes verknüpft. Für den Anwendungsbereichder Zulassungspflicht kommt der arzneimittelrechtlichenBestimmung der Begriffe „Inverkehrbringen“ und „Fer-tigarzneimittel“ entscheidende Bedeutung zu. Das Inver-kehrbringen umfasst nach der Legaldefinition des §§ 17AMG das Vorrätighalten zum Verkauf oder zur sonstigenAbgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe anandere. Es ist daher weder auf den erstmaligen Marktein-tritt des Produktes beschränkt, sondern umfasst den Arz-neimittelverkehr auf allen Handelsstufen, nicht jedochProduktionsvorstufen oder Lohnherstellung, noch setzt eserst mit dem Wechsel der Verfügungsgewalt ein, sondernumfasst auch die zeitlich vorgelagerten Vorbereitungs-handlungen mit Ausnahme der bloßen Werbung. Der Be-griff des Fertigarzneimittels umfasst nach § 4 Abs. 1AMG nicht nur Arzneimittel, die im Voraus hergestelltund in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmtenPackung in den Verkehr gebracht werden, sondern seit2005 auch andere zur Abgabe an Verbraucher bestimmteArzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weiseein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oderdie, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestelltwerden. Diese unionsrechtlich bedingte43 Definitionsaus-weitung, die die Zulassungspflicht auf Arzneimittel aus-dehnte, die zuvor im Rahmen der „verlängerten Rezep-tur“ im Einzelfall für Patienten unter Inanspruchnahmeeines industriellen Verfahrens außerhalb der Apothekehergestellt werden konnten, war bei ihrer Umsetzung indeutsches Recht der Anlass für die gesetzliche Veranke-

    rung der Ausnahmeregelung nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 bAMG a. F. für patientenindividuell verblisterte Fertigarz-neimittel, die nicht im Rahmen des üblichen Apotheken-betriebs in der Apotheke hergestellt werden und bereitsdadurch von der Zulassungspflicht ausgenommen sind.44

    a) Die unveränderte Identität der patientenindividuell ver-blisterten Fertigarzneimittel

    Nach ihrem 2009 neugefassten Wortlaut besagt die in § 21Abs. 2 Nr. 1 b Buchstaben b und c AMG verankerte Aus-nahmeregelung, dass es einer Zulassung nicht für Arznei-mittel bedarf, die für Apotheken, denen für einen Patien-ten eine Verschreibung vorliegt, aus im Geltungsbereichdieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln entweder „alsBlister aus unveränderten Arzneimitteln hergestellt“ oder„in unveränderter Form abgefüllt“ werden. Unter „Her-stellung als Blister aus unveränderten Arzneimitteln“ wirdin der Praxis nicht nur die Neuverpackung fester Darrei-chungsformen in Durchdrückpackungen, sondern auch inanderen Behältnissen wie Folienbeuteln verstanden. Letz-teres wird ohnehin, ebenso wie das Umfüllen flüssigerFertigarzneimittel in zur Abgabe bestimmte Verpackun-gen, vom Begriff des „Abfüllens in unveränderter Form“erfasst, sodass die Einordnung in eine der beiden Alterna-tiven ohne Relevanz für die Voraussetzungen und Rechts-folgen ist. In diesem Beitrag werden die von § 21 Abs. 2Nr. 1 b Buchstaben b und c AMG erfassten Varianten despatientenindividuellen Abfüllens von unveränderten Fer-tigarzneimitteln zusammenfassend mit dem Oberbegriff„Neuverpacken“ bezeichnet.45

    Die Ausnahmeregelung hat Arzneimittel zum Gegen-stand, die aus unveränderten, in Deutschland zugelasse-nen Arzneimitteln hergestellt oder aus solchen in unver-änderter Form abgefüllt werden. Darin unterscheidet sichdas Neuverpacken von allen anderen Ausnahmen des§ 21 Abs. 2 AMG. So wird das Ausgangsarzneimittel imFall des § 21 Abs. 2 Nr. 1 b Buchstabe a AMG, der dieHerstellung in medizinisch begründeten besonderen Be-darfsfällen regelt, durch die Herstellung so verändert, dasses für die Versorgung eines Patienten geeignet ist, für dieansonsten kein zugelassenes Arzneimittel vorliegt. Da-gegen wird beim Neuverpacken die stoffliche Zusammen-setzung, Wirkstärke, Darreichungsform und Qualität deszugelassenen Fertigarzneimittels, also seine Identität gera-de nicht verändert. Nur die Zulassung der verordnetenUrsprungsarzneimittel legitimiert die Zulassungsbefrei-ung der unverändert patientenindividuell neuverpacktenFertigarzneimittel. Jede Veränderung des Arzneimittels,wie zum Beispiel das Teilen, Zermörsern, Neuverkapselnvon Tabletten oder ihre sonstige Überführung in eine an-dere Darreichungsform, führt zum Wegfall der Zulas-sungsbefreiung für das Neuverpacken.46

    Dieser Unterschied des Neuverpackens von allen anderenAusnahmen des § 21 Abs. 2 AMG ist von entscheidender

    41 ZLG, Aide-mémoire, 2010, S. 4 ff.42 § 11 a ApBetrO. Vgl. Cyran/Rotta, ApBetrO, Stand: 2017, § 11 aRdnr. 28 ff.

    43 Vgl. Art. 2, 3 RL 2001/83/EG.

    44 BT-Drs. 15/5728, S. 81.45 Dieser Begriff lehnt sich an die apothekenrechtlichen Legaldefinitiondes patientenindividuellen Verblisterns und Stellens in § 1 a Abs. 4, 5ApBetrO an, die allerdings zusätzlich nach der Wiederverwendbarkeitder Behältnisse unterscheidet.

    46 BT-Drs. 16/12256, S. 47;Winnands, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG,2016, § 21 Rdnr. 50.

    Meyer: Die Abgabe und Abrechnung patientenindividuell neuverpackter Fertigarzneimittel A&R 1/2018

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  • Bedeutung, denn er besagt, dass das ursprüngliche Fer-tigarzneimittel trotz des weiteren Herstellungsschritts desNeuverpackens existent bleibt. Die gegenteilige Auffas-sung, durch das Neuverpacken trete ein neues, vom ur-sprünglichen Fertigarzneimittel unterschiedenes Fer-tigarzneimittel an dessen Stelle, verkennt die Tragweiteder Ausnahmeregelung. Die Auffassung, die Ausnahme-reglung wäre nicht erforderlich, wenn durch das gewerb-liche Verblistern von im Geltungsbereich des Arzneimit-telgesetzes zugelassenen Arzneimitteln gar keine neuenund somit auch keine der durch § 21 Abs. 1 AMG an-geordneten Zulassungspflicht unterfallende (Fertig-)Arz-neimittel hergestellt würden47, übersieht, dass die gesetzli-che Ausnahmeregelung ja gerade festlegt, dass das Neu-verpacken unter den dort genannten Voraussetzungen dasFertigarzneimittel unverändert lässt. Die Ausnahmereg-lung modifiziert damit die Konsequenzen des weit gefass-ten Herstellungsbegriffs ebenso wie die des eng gefasstenIdentitätsbegriff des Zulassungsrechts48 dahingehend, dassdas patientenindividuelle Neuverpacken eines unver-änderten Fertigarzneimittel dieses nicht seiner Identitätund damit auch nicht seiner Eigenschaft als Fertigarznei-mittel beraubt und deshalb auch kein neues Fertigarznei-mittel schafft. Anders ausgedrückt handelt es sich bei die-ser Ausnahmeregelung um eine nur partielle Befreiungvon der Zulassungspflicht, die sich nur auf die Ver-packung und Kennzeichnung bezieht, da die Zulassungder neuverpackten Fertigarzneimittel selbst bestehenbleibt, wenn die übrigen Voraussetzungen der Ausnahme-regelung eingehalten werden.49 Das gilt auch für das ge-meinsame Verblistern dafür geeigneter Einzeldosen vonFertigarzneimitteln für bestimmte Einnahmezeitpunkteeines individuellen Patienten, für die jeweils eine ärztlicheVerschreibung vorliegt, da hier kein neues „Kombinati-onsarzneimittel“ hergestellt wird, sondern die Zusammen-stellung ausschließlich die konkreten ärztlichen Therapie-anweisungen umsetzt, wie es andernfalls der Patient selbsttun müsste.50 Zugleich wird durch die Geltung der indus-triellen Herstellungsvorschriften sichergestellt, dass dieArzneimittel durch das Neuverpacken nicht in ihrer Zu-sammensetzung, Darreichungsform, Dosierung und Qua-lität verändert werden.

    Dass die unverändert verblisterten Fertigarzneimittel ihreIdentität nicht verlieren, sondern in neuverpackter Formunverändert weiter existieren, wird auch durch die In-struktionspflichten sichergestellt. Ebenso wie der Origi-nalblister aus der Fertigarzneimittelpackung muss das pa-tientenindividuell verpackte Arzneimittel mindestens denNamen oder die Firma des pharmazeutischen Unterneh-mers, die vollständige Bezeichnung des Arzneimittels, dieChargenbezeichnung und das Verfalldatum enthalten51,und zwar jeweils nach Maßgabe der Angaben für das Fer-tigarzneimittel, aus dem die Teilmenge stammt.52 Fernerdürfen die patientenindividuell neuverpackten Fertigarz-neimittel nur zusammen mit einer Ausfertigung der für

    die darin enthaltenen Fertigarzneimittel jeweils vor-geschriebenen Packungsbeilage abgegeben werden.53 Beider im Rahmen einer Dauermedikation erfolgenden re-gelmäßigen Abgabe von aus Fertigarzneimitteln entnom-menen Teilmengen in neuen, patientenindividuell zusam-mengestellten Blistern müssen Ausfertigungen der Pa-ckungsbeilagen erst dann erneut beigefügt werden, wennsich diese gegenüber den zuletzt beigefügten geändert ha-ben.54 Die ausführlichen Pflichtangaben in den Packungs-beilagen der patientenindividuell neuverpackten Fer-tigarzneimittel sollen eine umfassende Information derPatienten über die Anwendung des durch die Kennzeich-nung in jedem Einzelfall identifizierbaren Fertigarznei-mittels gewährleisten.55

    Diese arzneimittelrechtlichen Regelungen bestätigen, dassauch der pharmazeutische Unternehmer des Fertigarznei-mittels durch das Neuverpacken unverändert bleibt, weildas von ihm unter seinem Namen in Verkehr gebrachteArzneimittel durch das Neuverpacken nicht verändertwird. Die gegenteilige Auffassung stützt sich darauf, dassnach dem Apothekenrecht56 Name und Anschrift derApotheke auf den neuverpackten Arzneimitteln anzuge-ben sind. Damit bringe die Apotheke ein neu hergestelltesFertigarzneimittel unter ihrem Namen in Verkehr undwerde dadurch zum pharmazeutischen Unternehmer57 imSinne des Arzneimittelgesetzes.58 Dagegen spricht jedochder Wortlaut der Vorschrift, der ausdrücklich zwischender apothekenrechtlich verlangten Information der Pa-tienten über den Namen und die Anschrift der Apotheke,von der sie die Teilmenge des Fertigarzneimittels aus-gehändigt bekommen59, und „der vom Arzneimittelgesetzgeforderten Kennzeichnung“ unterscheidet. Letztere um-fasst jedoch ausdrücklich „den Namen oder die Firma despharmazeutischen Unternehmers“ und identifiziert damitdas ursprüngliche Fertigarzneimittel.60

    Für die Haftung ergeben sich daraus folgende Kon-sequenzen: Für Schäden, die auf den bestimmungsgemä-ßen Gebrauch des Arzneimittels oder Instruktionsfehlerzurückzuführen sind, haftet der pharmazeutische Unter-nehmer, der das ursprüngliche Fertigarzneimittel inDeutschland in Verkehr gebracht hat, gegenüber dem Pa-tienten aufgrund der arzneimittelrechtlichen Gefähr-dungshaftung gemäß § 84 AMG und hat dafür Deckungs-vorsorge gemäß § 94 AMG zu treffen. Dieser Haftung un-terliegt jedoch nur das einzelne neuverpackte Fertigarz-neimittel, sodass es für die Kausalitätsvermutung nach§ 84 Abs. 2 AMG und den Auskunftsanspruch nach § 84 aAMG jeweils auf die Schadenseignung des einzelnen Arz-neimittels ankommt.61 Sind mehrere der neuverpacktenArzneimittel geeignet, den Schaden zu verursachen, sohaften die jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer

    47 Wesser in: Kieser/Wesser/Saalfrank, Apothekengesetz, 2017, § 12 aRdnr. 164.

    48 Vgl. Kaufmann, PharmR 2015, 473.49 Dettling, PharmR 2008, 96, 98.50 Dettling, PharmR 2008, 99.51 § 10 Abs. 11 Satz 1 AMG.52 BT-Drucks. 16/3100, S. 198; Pannenbecker, in: Kügel/Müller/Hofmann,AMG, 2016, § 10 Rdnr. 127.

    53 § 11 Abs. 7 Satz 1 AMG.54 § 11 Abs. 7 Satz 2 AMG.55 BT-Drucks. 16/3100, S. 198.56 § 14 Abs. 1 Satz 2 ApBetrO.57 § 4 Abs. 18 Satz 2 AMG.58 Wesser, jurisPR-MedizinR 10/2015, C II 1 a bb; Cyran/Rotta, ApBetrO,Stand: 2017, § 17 Rdnr. 214.

    59 Vgl. BT-Drucks. 16/3100, S. 198.60 BT-Drucks. 16/3100, S. 198; Pannenbecker, in: Kügel/Müller/Hofmann,AMG, 2016, § 10 Rdnr. 127.

    61 So im Ergebnis auch Voit, PharmR 2007, 1, 6;. Winnands, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2016, § 21 Rdnr. 47, Rehmann, AMG, 2014,§ 84 Rdnr. 3.

    Meyer: Die Abgabe und Abrechnung patientenindividuell neuverpackter Fertigarzneimittel A&R 1/2018

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  • grundsätzlich als Gesamtschuldner. Für Schäden, die aufFehler beim Neuverpacken oder der damit verbundenenVerletzung der Instruktionspflichten zurückzuführen sind,haben die pharmazeutischen Unternehmer dagegen nichteinzustehen.62 Für derartige Schäden können Apothekerund der Hersteller, der die Neuverpackung der Fertigarz-neimittel im Auftrag des Apothekers durchführt, zwarnicht aufgrund der arzneimittelrechtlichen Gefährdungs-haftung, aber aufgrund der verschuldensunabhängigenHaftung nach dem Produkthaftungsgesetz und der ver-schuldensabhängigen allgemeinen zivilrechtlicher An-spruchsgrundlagen in Anspruch genommen werden.63 DerPatient erhält damit im Vergleich zur alleinigen Medikati-onsvorbereitung durch die Pflegefachkräfte der stationä-ren Pflegeeinrichtung einen zusätzlichen Haftungsträger,der zudem an die strengen arznei- und apothekenrecht-lichen Qualitäts- und Sorgfaltspflichten gebunden ist. Da-mit steht er haftungsrechtlich besser als ohne das patiente-nindividuelle Neuverpacken.64

    b) Die dreifache Individualisierung des Neuverpackens

    Entscheidende Voraussetzung für die Anwendbarkeit derAusnahmeregelung ist, dass das Neuverpacken der unver-änderten Arzneimittel nur für Apotheken erfolgen darf,denen für einen Patienten eine Verschreibung vorliegt.Das patientenindividuelle Verblistern darf demnach nichtim Voraus erfolgen, sondern nur bei Vorliegen einer drei-fach individualisierten Voraussetzung: Es erfolgt im Auf-trag einer individuellen Apotheke, für einen individuellenPatienten aufgrund einer individuellen ärztlichen Ver-schreibung. Fehlt eine dieser individualisierenden Voraus-setzungen, dann entfällt mit der Zulassungsbefreiung dieBefugnis, das verblisterte Fertigarzneimittel in Verkehrzu bringen. Im Einzelnen müssen daher folgende Voraus-setzungen vorliegen:

    Der Apotheke muss für jedes Fertigarzneimittel, das un-verändert verblistert werden soll, eine individuelle ärzt-liche Verschreibung vorliegen. In der Literatur wird zumTeil verlangt, dass diese Verschreibung ausdrücklich dieärztliche Anordnung des Neuverpackens enthalten muss,zumindest wenn es sich um verschreibungspflichtige Arz-neimittel handelt.65 Das geht jedoch über die Anforderun-gen des gesetzlichen Wortlauts des § 21 Abs. 2 Nr. 1 bBuchst. b und c AMG hinaus, der nur das Vorliegen einerVerordnung für den betreffenden Patienten verlangt, dieim Unterschied zur Alternative des Buchst. a ein unver-ändertes Fertigarzneimittel betrifft. Wie eine solche Ver-schreibung auszusehen hat, bestimmt § 48 Abs. 1 AMG inVerbindung mit § 4 Abs. 4 AMVV. Soweit stattdessenauf § 4 Abs. 4 a AMVV Bezug genommen wird, ist demkein Gegenargument zu entnehmen. Diese Vorschrift be-zieht sich allein auf die Verschreibung eines Arzneimit-tels, das in der Apotheke hergestellt werden soll, was beider Neuverpackung durch einen externen Hersteller gera-de nicht der Fall ist. Daher geht es in dieser Verschrei-

    bungsvorschrift nicht um die Verschreibung eines patien-tenindividuell neuverpackten Fertigarzneimittels, sondernum die Verschreibung der Teilmenge eines Fertigarznei-mittels. Diese Regelung wurde durch das GKV-WSG ein-geführt und sollte zusammen mit der Aufnahme einer ent-sprechenden Zielvereinbarung in die kassenärztlichenArzneimittelvereinbarungen gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2Nr. 2 SGB V die ärztliche Verordnung wirtschaftlicherEinzelmengen bei Arzneimitteln fördern, von der sich derGesetzgeber jährliche Minderausgaben in Höhe vonrd. 0,10 Mrd. Euro versprach.66 Dieser Weg ist jedoch inden Zielvereinbarungen zwischen Kassenärztlichen Ver-einigungen und Gesetzlichen Krankenkassen nicht be-schritten worden, sodass von den Packungsgrößen derFertigarzneimittel ausdrücklich abweichende ärztlicheVerschreibungen nur in therapeutisch begründeten Son-derfällen vorkommen, wie in der Substitutionsversorgung.Der in § 4 Abs. 4 a AMVV geregelte Tatbestand der Ver-schreibung einer Teilmenge betrifft daher einen anderenSachverhalt als die Abgabe ärztlich verschriebener Fer-tigarzneimittel in patientenindividuell neuverpackterForm.67 Auch verstößt eine solche Abgabe nicht gegendas apothekenrechtliche Substitutionsverbot68, da es sich– wie ober dargelegt – dabei um das unveränderte Fer-tigarzneimittel handelt, das damit der Verschreibung ent-spricht.69

    Die zweite Individualisierung betrifft den einzelnen Pa-tienten. Das patientenindividuelle Neuverpacken der ver-schriebenen Fertigarzneimittel hat für einen bestimmtenPatienten zu erfolgen, für den eine Verschreibung vor-liegt, und bedarf daher der Zustimmung des Patientenoder seines Vertreters.70 Dies ergibt sich bereits daraus,dass das Neuverpacken nach den individuellen Einnahme-zeitpunkten des Patienten zu erfolgen hat und daher dieÜbermittlung der personenbezogenen Daten, insbesonde-re der ärztlichen Verschreibung und der Einnahmeanwei-sungen des Arztes, durch die Apotheke an den Herstellervoraussetzt. Nimmt der Patient als Bewohner einer statio-nären Pflegeeinrichtung an der Versorgung durch eineheimversorgende Apotheke teil, weil er sich nicht selbstmit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinpro-dukten aus öffentlichen Apotheken versorgen will oderkann, wird die Einholung der entsprechenden Zustim-mungserklärungen durch den Träger der Einrichtung re-gelmäßig in einer Zusatzvereinbarung zum Heimversor-gungsvertrag71 vereinbart. Darin sind ferner die Pflichtenvon Einrichtungsträger und Apotheke im Hinblick auf dieErhebung und Übermittlung der für das patientenindivi-duelle Neuverpacken erforderlichen patientenbezogenenDaten zu regeln.

    Die dritte Individualisierung ergibt sich daraus, dass dieeinzelne Apotheke als Auftraggeber dem Hersteller einenkonkreten Auftrag für die nach den individuellen Einnah-mezeitpunkten eines bestimmten Patienten zusammen-gestellte und gekennzeichnete Neuverpackung der ver-

    62 Voit, PharmR 2007, 6 f.63 So im Ergebnis auch Voit, PharmR 2007, 1, 6;. Winnands, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2016, § 21 Rdnr. 47, Rehmann, AMG, 2014,§ 84 Rdnr. 2.

    64 Voit, PharmR 2007, 7.65 Wesser/Saalfrank, A&R 2015, 215; Cyran/Rotta, ApBetrO, Stand: 2017,§ 34 Rdnr. 31, 32.

    66 BT-Drs. 16/3100, S. 210.67 Vgl. Meyer, A&R 2015, 181, 183.68 § 17 Abs. 5 Satz 1 ApBetrO.69 So aberWesser, jurisPR-MedizinR 10/2015, C II 1 a bb;70 Vgl. § 1 a Abs. 5 ApBetrO, der die „Einzelanforderung“ für den Falldes Verblisterns in der Apotheke voraussetzt.

    71 § 12 a ApoG.

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  • schriebenen Fertigarzneimittel gibt. Der den Auftrag er-teilende Apotheker unterliegt dabei uneingeschränkt denapothekenrechtlichen Pflichten und behält die Verant-wortung für die Qualität des hergestellten Arzneimittelsbezogen auf das Neuverpacken und die damit verbunde-nen Instruktionspflichten sowie für die Information undBeratung des verordnenden Arztes.72 Die für das Neuver-packen erforderlichen patientenbezogenen Informatio-nen, also insbesondere die Verschreibung und die ärzt-lichen Einnahmeanweisungen, hat er nach Maßgabe sei-ner pharmazeutischen Verantwortung auf Irrtümer undsonstige Bedenken zu prüfen und die kombinierten Datenerst nach Abschluss dieser Prüfung an den Hersteller zuübermitteln.73 Die Einzelheiten dieses Informationsflussesebenso wie die Abgrenzung der Verantwortungsbereicheim Hinblick auf das Neuverpacken und die Instruktions-pflichten hat er mit dem externen Hersteller schriftlich zuvereinbaren.74

    c) Die unionsrechtliche Grundlage der Ausnahmeregelung

    Gegen die unionsrechtliche Zulässigkeit dieser Ausnah-meregelung des deutschen Arzneimittelrechts sind imSchrifttum erhebliche Bedenken vorgebracht worden. Dadie Zulassungspflicht für Fertigarzneimitteln auf Art. 6Abs. 1 der Richtlinie 2001/8375 beruht und der Gerichts-hof der Europäischen Union (EuGH) insoweit das Aus-legungsmonopol besitzt, ist diesen Bedenken nachzuge-hen. Dabei zeigt sich, dass sich die Ausnahmeregelungenfür das patientenindividuelle Neuverpacken nach § 21Abs. 2 Nr. 1 b Buchst. b und c AMG nicht auf die aus-drücklichen Ausnahmeregelungen der Richtlinie stützenkönnen, dass diese Tätigkeiten aber der Zulassungs-pflicht nach Auslegung des EuGH nicht unterworfensind.

    Die unionsrechtliche Zulassungsausnahme nach Art. 3Nr. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83 für Arzneimittel, die ineiner Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einenbestimmten Patienten zubereitet werden (formula magis-tralis) oder die in der Apotheke nach Vorschrift einerPharmakopöe zubereitet werden und für die unmittelbareAbgabe an die Patienten bestimmt sind, die Kunden die-ser Apotheke sind (formula officinalis), ist nicht anwend-bar, da die Herstellung im Falle des patientenindividuel-len Verblistern durch einen Herstellungsbetrieb, also au-ßerhalb der Apotheke erfolgt. Nach der Rechtsprechungdes EuGH müssen die genannten Voraussetzungen je-doch kumulativ vorliegen, so dass die in Art. 3 Nr. 1 derRichtlinie vorgesehene Ausnahme nicht anwendbar ist,wenn die Voraussetzung „Zubereitung in einer Apothe-ke“ nicht erfüllt ist.76

    Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83, der es den Mitglied-staaten gestattet, in besonderen Bedarfsfällen Arzneimit-tel vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen,

    die auf eine nach Treu und Glauben aufgegebene Bestel-lung, für die nicht geworben wurde, geliefert werden unddie nach den Angaben eines zugelassenen Angehörigender Gesundheitsberufe hergestellt werden und zur Ver-abreichung an einen bestimmten Patienten unter seinerunmittelbaren persönlichen Verantwortung bestimmtsind, ist hier nicht anwendbar. Zwar knüpft § 21 Abs. 2Nr. 1 b Buchst. b AMG an das Vorliegen einer ärztlichenVerordnung für einen einzelnen Patienten an, verlangtaber im Unterschied zu Buchstabe a der gleichen Bestim-mung nicht das Vorliegen eines medizinisch begründetenbesonderen Bedarfsfalls aufgrund des Fehlens eines zuge-lassenen Arzneimittels zur ausreichenden Versorgung desPatienten. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH er-gibt sich aus der systematischen und teleologischen Aus-legung jedoch, dass die in dieser Ausnahmebestimmungaufgestellten Voraussetzungen nur in Situationen gegebensind, in denen nach Ansicht des Arztes der Gesundheits-zustand seiner einzelnen Patienten die Verabreichung ei-nes Arzneimittels erfordert, für das es auf dem nationalenMarkt kein zugelassenes Äquivalent gibt oder das auf die-sem Markt nicht verfügbar ist.77 Das ist beim patientenin-dividuellen Neuverblistern nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 bBuchst. b AMG ausgeschlossen, da hier ausschließlich dieVerwendung in Deutschland bereits zugelassener Fer-tigarzneimittel vorgeschrieben ist.

    Auch die unionsrechtliche Ausnahmevorschrift desArt. 40 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 ist nichteinschlägig. Zwar eröffnet sie den Mitgliedstaaten dieMöglichkeit für eine Freistellung der Zubereitung, Abfül-lung oder Änderung der Abpackung oder Aufmachungvon Arzneimitteln für den Fall, dass diese Vorgänge ledig-lich im Hinblick auf die Abgabe durch Apotheker in einerApotheke oder durch andere Personen vorgenommenwerden, die in den Mitgliedstaaten zu dieser Tätigkeit ge-setzlich ermächtigt sind. Diese Ausnahme bezieht sich je-doch ausdrücklich nur auf die Herstellungserlaubnis undist auf die Zulassungspflicht nicht anwendbar.78

    Der EuGH hat jedoch in seiner Entscheidung NovartisPharma79 festgestellt, dass das auf § 21 Abs. 2 Nr. 1 bBuchst. c AMG gestützte Abfüllen eines flüssigen Fer-tigarzneimittels durch einen externen Herstellungsbetriebkeiner erneuten Zulassung bedarf, soweit es nicht zu einerVeränderung des betreffenden Arzneimittels führt undnur auf der Grundlage individueller Rezepte mit entspre-chenden Verschreibungen vorgenommen wird. TragendeBegründung dafür war insbesondere, dass die Zusammen-setzung des Arzneimittels durch das Abfüllen nicht ver-ändert wird, dass das Unternehmen die Fertigspritzen nurauf Bestellung von Apotheken anfertigt, denen von Pa-tienten entsprechende ärztliche Verschreibungen vor-gelegt wurden und dass es diese Apotheken nicht im Vo-raus, weder direkt noch indirekt über Großhändler, belie-fert.80 Im Falle des derart dreifach individualisierten Ab-füllens liegt danach keine die erneute Zulassungspflicht

    72 § 11 a Abs. 2 Satz 2 ApBetrO.73 § 17 Abs. 5 Satz 2 ApBetrO.74 § 11 a Abs. 1 Satz 2 ApBetrO.75 Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes fürHumanarzneimittel, zuletzt geändert durch Richtlinie 2012/26/EU vom25. Oktober 2012.

    76 EuGH, Urt. v. 16.07.2015, verb. Rs. C-544/13 und C-545/13 –Abcur,Rdnr. 58, 59, 66.

    77 EuGH, Urt. v. 26.10.2016, Rs. C-276/15 –Hecht-Pharma GmbH,Rdnr. 56; Urt. v. 29. März 2012, Rs. C-185/10 – Kommission/Polen,Rdnr. 29–36.

    78 Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston v. 31.01.2013, Rs. C-535/11 – Novartis Pharma.

    79 EuGH, Urt. v. 11.04.2013, Rs. C-535/11 – Novartis Pharma.80 EuGH, Urt. v. 11.04.2013, Rs. C-535/11, Rdnr. 41.

    Meyer: Die Abgabe und Abrechnung patientenindividuell neuverpackter Fertigarzneimittel A&R 1/2018

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  • auslösende Veränderung des Ausgangsarzneimittels vor,wenn – wie im Ausgangsverfahren – die Zusammenset-zung des Arzneimittels nicht verändert wird. Die vomEuGH entwickelten Grundsätze sind ohne Weiteres aufdas patientenindividuelle Verblistern nach § 21 Abs. 2Nr. 1 b Buchst. b AMG zu übertragen, denn im Hinblickauf die von ihm aufgestellten Voraussetzungen „keineVeränderung des Arzneimittels“ und „Bestellung vonApotheken, denen von Patienten entsprechende ärztlicheVerschreibungen vorgelegt wurden“, sind beide Alternati-ven der gesetzlichen Ausnahmeregelung identisch. Auchdie Besonderheiten des zugrundeliegenden Falls (Umfül-len eines biotechnologisch hergestellten flüssigen Arznei-mittels mit zentraler Zulassung in applikationsbereite Fer-tigspritzen) sprechen für und nicht gegen die Anwendbar-keit der vom EuGH festgestellten immanenten Schrankeauf das patientenindivi


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