8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 235
Hydraulische Servolenkungen bentigen Steuerventile, die in Abhn-gigkeit vom Drehmoment am Lenkrad den ldruck regeln. Dies geschieht meistens durch eine Unterbrechung der mit dem Lenkrad verbundenen Lenkspindel (selbstverstndlich mit Sicherheits-Endanschlgen) und ber-tragung des Drehmoments mit Hilfe einer Drehstabfeder. Deren Torsions-winkel ist ein Ma fr das Drehmoment und bestimmt die Stellung der Steuerventile. Die Drehstabfeder ist sehr einfach abzustimmen und sorgt zudem, da ihr Drehmomentanteil manuell erzeugt wird, fr die bei schnel-len Fahrzeugen ntige (und vorgeschriebene) Rckmeldung der zwi-schen Fahrbahn und Reifen wirksamen Krfte und Momente an das Lenk-rad. Bei Hebellenkungen mit einer Lenkmutter, die ihr Reaktionsmoment am Getriebegehuse absttzt (Bilder 8.2c und d), kann auch dieses Reakti-onsmoment federnd ber einen Steuerkolben aufgenommen werden.
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie
8.3.1 Herkmmliche Definitionen und physikalische Bedeutung
Nach Einfhrung der Achsschenkellenkung im Kraftfahrzeug bildete sich eine Anzahl spezieller Lenkungs-Kenngren heraus, die zum einen Win-kelbeziehungen am Rade und zum anderen Rckwirkungen uerer Krfte und Momente auf das Lenkgestnge und damit das Lenkrad beschreiben.
Die klassische Achsschenkellenkung der Starrachse, bei welcher der Radtrger, der Achsschenkel, mit dem Starrachskrper ber einen Achs-schenkelbolzen drehbar verbunden ist, war noch fr lange Zeit auch an Einzelradaufhngungen blich, indem der Radtrger nicht zugleich die Koppel der Radaufhngung bildete, sondern an der Koppel ber den Achsschenkelbolzen gelagert wurde. Erst mit der Verfgbarkeit zuverls-siger Kugelgelenke ging man dazu ber, die Koppel der Radaufhngung selbst auch als Achsschenkel zu verwenden, Bild 8.3.
Die Verbindungslinie d der Kugelgelenke zwischen den Achslenkern und dem Radtrger bernahm nun die Rolle des Achsschenkelbolzens.
Diese Lenkachse oder Spreizachse d ist im allgemeinen gegenber der Vertikalen bzw. der z-Achse geneigt angeordnet, und zwar im Fahr-zeugquerschnitt um den Spreizungswinkel und in der Fahrzeug-Seiten-ansicht um den Nachlaufwinkel . Diese Definitionen gelten auch bei Lenkeinschlag, d. h. sie werden stets im Querschnitt bzw. in der Seitenan-sicht des Fahrzeugs gemessen. Spreizungs- und Nachlaufwinkel sind we-sentlich fr die nderung des Radsturzes ber dem Lenkwinkel ver-antwortlich, worauf noch eingegangen wird.
236 8 Die Lenkung
Bild 8.3. Definition der Lenkungs-Kenngren bei fester Spreizachse
Die Lenk- oder Spreizachse d schneidet die Fahrbahnebene im Punkt D. Der horizontale Abstand der Radmittelebene vom Punkt D wird als Lenk-rollradius oder Lenkrollhalbmesser Sr bezeichnet (obwohl, wie spter gezeigt wird, der Radaufstandspunkt A im allgemeinen beim Lenkvorgang nicht an diesem Radius umluft) und der Abstand zwischen A und D in der Seitenansicht auf das Rad als Nachlaufstrecke n. Die entsprechenden Strecken bezogen auf die Radmitte M sind der Spreizungsversatz r und der Nachlaufversatz .n Diese vier Kenngren sind, im Gegensatz zum Spreizungs- und zum Nachlaufwinkel, auf das Rad bezogen definiert, d. h. sie schwenken beim Lenkeinschlag mit dem Rade.
Der Lenkrollradius ist jedem Fachmann als wirksamer Hebelarm einer Bremskraft gelufig, ebenso die Nachlaufstrecke als wirksamer Hebelarm einer Seitenkraft. Wird bei front- oder allradgetriebenen Fahrzeugen das Antriebsmoment, wie bei Einzelradaufhngungen blich, ber quer liegen-de Gelenkwellen auf das Rad bertragen, so gilt nherungsweise der Spreizungsversatz als wirksamer Hebelarm der Antriebskraft am Lenkge-stnge. Der Spreizungsversatz wird auch als Strkrafthebelarm bezeich-net, weil alle Krfte am frei rollenden Rade wie Stokrfte, Aquaplaning-krfte usw. ber die Radlagerung an der Radmitte M auf den Radtrger und damit an die Lenkung weitergeleitet werden.
Bereits an Bild 8.3 ist deutlich zu erkennen, dass die erwhnten Hebel-arme bzw. Kenngren nicht die wahren Abstnde der mit ihnen in Ver-bindung gebrachten Krfte von der rumlich geneigten Spreizachse d sein knnen, da sie smtlich parallel zur Fahrbahnebene bzw. der fahrzeugfes-ten x-y-Ebene gemessen und definiert werden. Es wre aber nicht sinnvoll, die Darstellung der Lenkgeometrie durch die Einfhrung rumlich ange-ordneter Kenngren zu bereichern, denn die vorgenannten, in den Haupt-ebenen des Fahrzeug- bzw. Radkoordinatensystems gemessenen Parameter eignen sich erstens, wie anschlieend gezeigt wird, vorzglich fr die An-wendung der Vektorrechnung und stellen zweitens unter Beachtung der Definition der Lenkbersetzung die physikalischen Vorgnge korrekt dar.
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 237
Das rumliche Moment BM einer Bremskraft BF mit den Komponen-ten 0, BzByBBx === FFFF um den Schnittpunkt D der Spreizachse mit der Fahrbahnebene, Bild 8.4, ergibt sich aus dem Abstandsradius Ar mit seinen Komponenten BABAzSAyAx zu0 und, FrM ==== rrrnr mit den Komponenten .und0 BSBzByBx FrMMM === Der Lenkrollradius
Sr liefert also zusammen mit der Bremskraft BF ein Moment um die z-Achse und nicht um die Lenkachse d (was anschaulich zu erwarten war).
Entsprechendes erhlt man fr die Wirkung einer Seitenkraft an der Nachlaufstrecke n (dem geometrischen Nachlauf; die Seitenkraft greift je nach Fahrzustand um den Reifennachlauf Rn versetzt an, vgl. Kap. 4, Bild 4.2, so dass als wirksamer Hebelarm die Summe beider Strecken an-zusetzen ist).
Whrend die bisher aufgezhlten Kenngren der Lenkgeometrie zu-mindest fr eine konventionelle Lenkung mit einer am Radtrger ortsfesten Lenkachse d inzwischen durch Normen definiert sind, trifft dies fr eine weitere, anschaulich weniger leicht zu bestimmende, wegen der Gre der mit ihr im Zusammenhang stehenden Radlast RF aber nicht minder wich-tige Kenngre noch nicht zu, nmlich den Radlasthebelarm p [64].
Solange der Vektor RF der Radlast die Lenkachse d nicht schneidet und die letztere nicht senkrecht auf der Fahrbahnebene steht, bt RF ein Dreh-moment um d aus. Das Moment aus der Radlast RF mit ihren Komponen-ten RRzRyRx und0 FFFF === um den Schnittpunkt D der Spreiz- oder Lenkachse d mit der Fahrbahnebene an dem bereits erwhnten Radius Ar ist ,RAR FrM = wobei ,RSRx FrM = .0sowie RzRRy == MFnM
Bild 8.4. Krfte- und Geschwindigkeitsplan am Radtrger (feste Spreizachse)
238 8 Die Lenkung
Der Radlasthebelarm mge positiv definiert sein, wenn die Radlast ein rckstellendes, gegen den Drehsinn der Winkelgeschwindigkeit K des Radtrgers gerichtetes Moment dM um die Lenkachse d ausbt. Letzteres ist in Bild 8.4 demnach positiv anzusetzen, wenn es im Sinne des dem Vektor K entgegen gerichteten Einheitsvektors de der Lenkachse dreht. Das aus der Radlast RF resultierende Moment um die Lenkachse d ergibt sich daher zu
.dRdR eM =M (8.4) Die Lenk- oder Spreizachse d ist gegen die z-Achse unter einem wahren
Winkel geneigt, der sich aus
tantantan +=
ergibt. Damit erhlt man die Komponenten des Einheitsvektors de als
cos
costancostan
dz
dy
dx
=
==
e
ee
(8.5a,b,c)
wobei de auch bis auf das Vorzeichen der Einheitsvektor der Radtr-ger-Winkelgeschwindigkeit K beim Lenkvorgang ist. Soll der Radlast-hebelarm p ebenso wie die vorhin aufgefhrten Kenngren auf die Win-kelgeschwindigkeit um die z-Achse bezogen werden, so muss nach dem Arbeitssatz sein Moment RFp um die z-Achse die Bedingung
kdRKzR MFp = (8.6)
erfllen. In der Schreibweise dKK e= ergibt sich die z-Komponente des Vektors ,= coszu KKzK und mit den Gln. 8.48.6 wird der auf die z-Achse bezogene Radlasthebelarm in Geradeausstellung )( 0=
.tantanS nrp += (8.7)
Die Lenkwinkel und die Stellungen der beiden Rder einer gelenkten Achse nehmen mit wachsendem Lenkeinschlag eine zunehmende Unsym-metrie an, weil im allgemeinen das kurveninnere Rad, dem kleineren Kur-venradius entsprechend, im Lenkwinkel dem kurvenueren um einen Spurdifferenzwinkel voreilt und weil die rumlich geneigte Lenkachse d unterschiedliche Sturzwinkel an den Rdern erzeugt. Eine Gesamtbeurtei-lung der wirksamen Krfte an beiden Rdern kann daher nur durch die Summation der von ihnen verursachten Momente am Lenkgetriebe L oder am Lenkrad H erfolgen. Zwischen dem Lenkrad und jedem der gelenkten Rder besteht unter Bercksichtigung der Bewegungsverhltnisse im Lenkgestnge und der inneren bersetzung des Lenkgetriebes eine Ge-samt-Lenkbersetzung Si aus der Lenkrad-Winkelgeschwindigkeit H
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 239
und der Lenk-Winkelgeschwindigkeit des Rades = td/d entsprechend Gl. 8.1:
./HS = i (8.8)
Die Lenkwinkelgeschwindigkeit kann nach Gl. 7.3, Kap. 7, aus der Winkelgeschwindigkeit K des Radtrgers (oder auch: des Achsschen-kels), dem Radsturz und dem Lenkwinkel bestimmt werden. Mit
tanundtan KzKyKzKx == wird .tan)costansin{(tanKz 1}+= (8.9) Die Lenkwinkelgeschwindigkeit ist also nicht gleich der z-Kompo-
nente Kz der Winkelgeschwindigkeit des Radtrgers um die Lenkachse d. Nur fr den Radsturz 0= oder den Lenkwinkel ,tan(tanatn )/= d.h. die Stellung, wo in der Draufsicht die Projektionen der Radachse und der Lenkachse aufeinander senkrecht stehen, ist .Kz =
Die Summierung der ber die bisher vorgestellten Kenngren bzw. He-belarme und ueren Krfte berechneten sowie durch die Lenkbersetzung geteilten Momente am Lenkrad fhrt damit zu einer physikalisch unkor-rekten Situation, da die Lenkbersetzung auf die Winkelgeschwindigkeit
und nicht auf Kz bezogen ist. Deshalb mge im folgenden anstelle der den Kenngren der Lenkgeometrie zwar nicht ausdrcklich, aber ihrer Definition gem Bild 8.4 nach faktisch zugrunde liegenden Be-zugsgeschwindigkeit Kz stets die Lenkwinkelgeschwindigkeit zur formelmigen Darstellung der Kenngren herangezogen werden. Der Fehler gegenber der herkmmlichen Definition ist, zumindest im fahr-dynamisch interessanten Lenkwinkelbereich, vernachlssigbar gering. Bild 8.5 zeigt die Abweichung der Lenkwinkelgeschwindigkeit gegen-ber der Winkelgeschwindigkeit Kz des Radtrgers bei fester Spreiz-achse fr eine Radaufhngung mit einem Spreizungswinkel 8= und ei-nem Nachlaufwinkel 5= ber dem Lenkwinkel .
Bild 8.5. Abweichung der Lenkwinkelgeschwindigkeit von der
Winkelgeschwindigkeit des Radtrgers um die z-Achse
240 8 Die Lenkung
Angesichts der steigenden Motorleistungen der Fahrzeuge und der damit erforderlichen greren Bremsleistungen ist die Dimensionierung der Bremsanlage und vor allem der Bremsscheiben zu einem Platzproblem geworden. Der grtmgliche Durchmesser einer ins Rad eingebauten Bremsscheibe ergibt sich, wenn die letztere gegenber dem Felgentiefbett versetzt angeordnet wird; in der Praxis bedeutet dies einen Versatz zur Fahrzeuginnenseite hin.
Mit der Einfhrung der Regelsysteme zur Verhinderung des Bremsblo-ckierens (ABS) kam der Wunsch nach einem mglichst kleinen Lenkroll-radius hinzu, weil andernfalls die wechselnden Bremskrfte whrend des Regelvorgangs sich sehr strend am Lenkrad bemerkbar machen. Die Lenk- bzw. Spreizachse musste also in die Nhe der Radmittelebene ver-schoben werden. Da die Spreizachse d im allgemeinen durch zwei Kugel-gelenke zwischen Radfhrungsgliedern und dem Radtrger markiert wird, nehmen heute diese Kugelgelenke an vielen Radaufhngungen den Platz ein, der frher fr die Bremsscheibe zur Verfgung stand. Die Brems-scheibe wird dabei unter das Felgentiefbett verdrngt, was einen Durch-messerverlust von etwa einem Zoll bedeutet (sofern nicht, wie dies dann oft geschieht, die nchst grere Felgendimension zugestanden wird), Bild 8.6 (links).
Um dies zu vermeiden, werden bei leistungsstarken Fahrzeugen neben aufwendigen Konstruktionen auf der Basis der konventionellen Lenkgeo-metrie mit fester Spreizachse zunehmend auch bereits Lsungen mit ei-ner ideellen Spreizachse angewandt, um die Bremsscheibe an ihrem bestgeeigneten Platz neben dem Felgentiefbett einzubauen und dennoch eine jenseits der Bremsscheibe wirksame Lenkachse zu verwirklichen.
Bild 8.6. Einbauraum fr eine Bremsscheibe bei Radaufhngungen mit radtrgerfester (d) und ideeller Lenk- bzw. Spreizachse (i)
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 241
Bild 8.6 zeigt rechts eine Radaufhngung nach dem Doppelquerlenker-Prinzip, bei welcher aber der obere wie der untere Dreiecklenker jeweils in zwei einzelne Stablenker aufgelst ist, die mit je einem Kugelgelenk am Radtrger angreifen. Der Schnittpunkt der zusammengehrigen Stablenker ist gewissermaen ein ideelles Kugelgelenk, und die Verbindungslinie des oberen und des unteren ideellen Kugelgelenks ist die ideelle Lenk- bzw. Spreizachse i.
Bei einer Radaufhngung mit ideeller Spreizachse ist die letztere im all-gemeinen in ihrer Lage sowohl gegenber dem Radtrger als auch der Radaufhngung vernderlich, im Gegensatz zu Konstruktionen mit fes-ter Spreizachse. Eine Ausnahme machen bei den Radaufhngungen mit konventioneller Lenkgeometrie die Feder- oder Dmpferbeinachsen, wenn die Kolbenstange des Dmpfers nicht in die Spreizachse fllt: das fahr-zeugseitige (obere) Lager der Kolbenstange bewegt sich beim Ein- und Ausfedern in dem einen Teil des Radtrgers bildenden Dmpferzylinder auf und ab, verndert also seine Lage gegenber dem Radtrger und damit die Lage der Spreizachse gegenber demselben ohne dass diese aller-dings dadurch zu einer ideellen Spreizachse wird.
Die fr die Schaffung einer ideellen Spreizachse verwendeten Stablen-kerpaare brauchen nicht, wie in Bild 8.6 dargestellt, in einer gemeinsamen Ebene zu liegen, sondern knnen den konstruktiven oder kinematischen Erfordernissen entsprechend rumlich versetzt angeordnet sein, Bild 8.7. Die Lenkgeometrie einer solchen Radaufhngung kann dadurch einen rumlichen Charakter erhalten, d. h. aus der Drehbewegung des Radtr-gers um die Spreizachse d beim Lenkvorgang wird eine Momentanschrau-bung mit einer Winkelgeschwindigkeit K um die Schraubenachse sm und einer gleichzeitigen Vorschubgeschwindigkeit t lngs derselben.
Bild 8.7. Rumliche Lenkgeometrie mit Momentanschraube
242 8 Die Lenkung
Da eine solche Schraubenachse nicht mehr in gleicher Weise wie eine feste Lenkdrehachse entsprechend den Bildern 8.3 und 8.4 zur Bestim-mung der Kenngren der Lenkgeometrie herangezogen werden kann, mssen deren Definitionen so berarbeitet werden, dass sie unabhngig vom Bauprinzip der Radaufhngung stets physikalisch vergleichbare und gleichwertige Aussagen ermglichen. Dies knnte z.B. durch die Ermitt-lung der auf eine jeweilige Wirkungsebene bezogenen Ersatz-Momentanachsen und Ersatzpole gem Kap. 3, Bild 3.11 erfolgen ele-ganter aber, wie im weiteren Verlauf gezeigt wird, durch die Anwendung des Arbeitssatzes bzw. des Prinzips der virtuellen Verschiebungen auf ei-nen fiktiven Lenkvorgang bei unterbundener Federungsbewegung und un-ter Einwirkung einer ueren Kraft.
8.3.2 Allgemeingltige Definitionen bei rumlicher Geometrie
Bei einer im Raum ber dem Lenkwinkel vernderlichen Spreizachse, z.B. einer ideellen Spreizachse wie in Bild 8.6 (rechts), sind der Spreizungs-winkel und der Nachlaufwinkel nicht mehr unmittelbar fr die Be-stimmung von wirksamen Hebelarmen wie z.B. dem Radlasthebelarm p nach Gl. 8.7 verwendbar, da eine solche Spreizachse mglicherweise als Momentanschraubenachse auftritt und somit als Bezugsachse fr Dreh-momente nicht mehr in Frage kommt.
Reine Winkelbeziehungen sind davon nicht betroffen. So gelten weiter-hin die Gln. 7.1 und 7.3, Kap. 7, bzw. 8.9 zur Berechnung der Sturznde-rungs-Winkelgeschwindigkeit und der Lenkwinkelgeschwindigkeit in Abhngigkeit von der Winkelgeschwindigkeit K des Radtrgers bzw. Achsschenkels. Der Spreizungswinkel und der Nachlaufwinkel sollen un-abhngig vom Lenkwinkel stets im Fahrzeugquerschnitt bzw. in der Fahrzeug-Seitenansicht definiert sein. Mit dem Vektor K als Richtungs-vektor der Momentan(schrauben)achse bei einem fiktiven Lenkvorgang mit festgehaltener Federung ergeben sich also ganz allgemein der Sprei-zungswinkel und der Nachlaufwinkel als Winkel zwischen den Pro-jektionen von K in den erwhnten Projektionsebenen und der z-Achse zu
),/(atn KzKy = (8.10) )./(atn KzKx = (8.11)
Die nach diesen Gleichungen definierten Kenngren sind, wie oben erwhnt, auch bei rumlichen Lenkungsmechanismen mit vernderlicher Spreizachse in allen Fllen wie gewohnt anwendbar, wo es um Winkelbe-ziehungen geht. Fr Krafthebelarme wie den Lenkrollradius, die Nach-laufstrecke, den Radlasthebelarm usw. dagegen haben der Spreizungs- und der Nachlaufwinkel normalerweise keine anschauliche Bedeutung mehr.
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 243
Eine sinnvolle allgemeingltige Definition der herkmmlichen Kenn-gren Lenkrollradius, Nachlaufstrecke, Spreizungsversatz, Nachlaufver-satz und Radlasthebelarm muss sicherstellen, dass die physikalische Aus-sage der betreffenden Kenngre am konventionellen Lenkungsme-chanismus mit fester Spreizachse unverndert gltig bleibt und dass die Kenngre am allgemeinen rumlichen System eine Wirkung beschreibt, die mit der entsprechenden Wirkung am konventionellen System vergli-chen werden kann.
So erwartet der Fachmann bei der Angabe z.B. eines Lenkrollradius an einer Radaufhngung mit konventioneller Lenkgeometrie, dass die von einer am Radtrger abgesttzten Bremse erzeugte Bremskraft BF am Lenkrollradius Sr ein Moment BS Fr ausbt, welches unter Bercksichti-gung der momentanen Lenkbersetzung = /HSi einen Drehmoment-beitrag SBSH / iFrM = am Lenkrad leistet. Entsteht unter Voraussetzung der gleichen Lenkbersetzung an einer Radaufhngung mit rumlicher Geometrie aus einer gleich groen Bremskraft das gleiche Lenkradmo-ment, so muss dies einem gleich groen Lenkrollradius zuzuschreiben sein.
Fr eine fiktive Lenkbewegung bei festgehaltener Federung )0( f =v lsst sich der momentane Geschwindigkeitszustand des Radtrgers K, der durch die Geschwindigkeit Mv seines Bezugspunktes M und seine Win-kelgeschwindigkeit K gekennzeichnet ist, entsprechend Abschn. 3.4 in Kap. 3 berechnen, und daraufhin die fiktive Geschwindigkeit Av des Rad-aufstandspunktes A bei als blockiert betrachteter Bremse nach Gl. 3.18.
Sollen die fr die Weiterleitung von ueren Krften magebenden Kenngren der Lenkgeometrie, wie im Abschn. 8.3.1 empfohlen, auf die Lenkwinkelgeschwindigkeit statt auf die Vertikalkomponente Kz der Winkelgeschwindigkeit des Radtrgers bezogen werden, so muss eine Bremskraft BF ber den Lenkrollradius Sr an der Lenkwinkelgeschwin-digkeit eine Leistung abgeben, die sich aus dem Produkt der Lenkwin-kelgeschwindigkeit mit dem Drehmoment BSFr errechnet. Die Leistung der Kraft einer radtrgerfesten Bremse kann aber auch ber die Geschwin-digkeit Av des radtrgerfesten Radaufstandspunktes berechnet werden, d. h. es gilt fr ein um einen Lenkwinkel eingeschlagenes Rad, Bild 8.8,
.ABBS
= vFFr Der Vektor BF der Bremskraft hat die Komponenten ,= cosBBx FF
.0undsin BzBBy == FFF Damit ergibt sich cosBAxBS FvFr
= sinBAyFv
und der Lenkrollradius
)/+= sincos( AyAxS vvr (8.12) mit nach Gl. 7.3, Kap. 7, bzw. Gl. 8.9. Analog wird der Spreizungs-versatz unter fiktiver Annahme einer Lngskraft LF am Radmittelpunkt M mit dessen Geschwindigkeitsvektor :Mv .sincos( MyMx )/+= vvr (8.13)
244 8 Die Lenkung
Bild 8.8. Geschwindigkeits- und Krfteplan an einem gelenkten Rade mit rumlicher Lenkgeometrie
Eine Seitenkraft QF erzeugt, bezogen auf den Lenkwinkel, an der Nach-laufstrecke n das Moment ,QFn und aus der Leistungsbedingung QFn = AQ vF folgen mit den Komponenten cossin QQyQQx FFFF =,= und 0Qz =F das Gleichgewicht cossin QAyQAxQ FvFvnF
= und
damit die Nachlaufstrecke
.cossin( AyAx /)= vvn (8.14)
Obwohl an der Radmitte M normalerweise keine Seitenkraft angreift, kann analog zur Berechnung der Nachlaufstrecke mit einer fiktiven Sei-tenkraft an der Radmitte auch der Nachlaufversatz definiert werden:
.cossin( MyMx /)= vvn (8.15) Der Radlasthebelarm wird, wie bereits weiter oben gesagt, positiv defi-
niert, wenn das von der Radlast RF am Lenkwinkel erzeugte Drehmo-ment rckstellend wirkt, also den Lenkwinkel zu verringern trachtet. Dann ist die Leistung des Drehmoments RFp an der Lenkwinkelgeschwindig-keit gleichzusetzen mit der Leistung der Radlast ,RF die nur eine z-Komponente besitzt, an der Vertikalgeschwindigkeit des Radaufstands-punktes A bei festgehaltener Federung. Da der Radaufstandspunkt stets in der Falllinie der Radmittelebene, also exakt unterhalb der Radachse liegt, sind seine vertikalen Geschwindigkeitskomponenten bei frei drehbar gelagertem Rade und bei blockierter Radbremse gleich gro; da ferner die Geschwindigkeit Av bei blockierter Bremse von der Berechnung der an-deren Kenngren her bereits zur Verfgung steht, soll sie der Einfachheit und Einheitlichkeit halber auch fr die Bestimmung des Radlasthebelarms verwendet werden. Aus = ARR vFFp folgt der Radlasthebelarm
./Az = vp (8.16)
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 245
Durch Erweiterung von Gl. 8.16 mit dem Zeitdifferential td erhlt man ,= dd /zp (8.17) d.h. der Radlasthebelarm ist die erste Ableitung der Hubbewegung des Fahrzeugs nach dem Lenkwinkel.
Es wurde bereits erwhnt, dass die Kenngren Spreizung und Nach-laufwinkel bei einer Radaufhngung mit rumlicher Lenkgeometrie nur noch fr Winkelbeziehungen von Bedeutung sind. Eine fr die Auslegung der Lenkgeometrie wegen ihrer Auswirkung auf das Fahrverhalten wichti-ge Winkelbeziehung ist die Sturznderung ber dem Lenkwinkel ./ dd
Mit tanundtan KzKyKzKx == ergibt sich aus Gl. 7.1 die Sturznderungs-Winkelgeschwindigkeit zu
,sintancos(tanKz )+= (8.18) und mit Gl. 8.9 wird
.costansintantansintancostan
dd
1+)(+=
(8.19)
In der Geradeausstellung 0)=( ist offensichtlich der Gradient des Radsturzes ber dem Lenkwinkel dem Nachlaufwinkel proportional (exakt: nur beim Radsturz 0,= weil dann der Nenner in Gl. 8.19 den Wert 1 annimmt). Eine anschauliche Erklrung fr diese Erscheinung wird in Bild 8.9 versucht:
Die Radmitte M beschreibt im Raum eine geneigte Kreisbahn, whrend der Schnittpunkt MD der Radachse mit der Spreizachse unbeweglich bleibt. Die Hhendifferenz zwischen M und MD ist also dem Radsturz proportional.
Bild 8.9. Einfluss des Nachlauf- und des Spreizungswinkels
auf die Sturznderung ber dem Lenkwinkel
246 8 Die Lenkung
Der Pol P der Radmitte in der Fahrzeug-Seitenansicht ist der Schnitt-punkt der Spreizachse mit der Vertikalebene durch M, und der Kreisbogen durch M um P nhert das elliptische Bild der Bahnkurve von M an, deren Tangente in der Geradeausstellung unter dem Nachlaufwinkel geneigt ist. Der Krmmungsradius in der Seitenansicht ist ).= cos/(tanr Eine positive Spreizung krmmt die Kurve bei Lenkeinschlag zu posi-tiven Sturzwinkeln hin, wie aus Bild 8.9 anschaulich hervorgeht.
Die Abhngigkeit der Sturznderung vom Nachlaufwinkel wirkt sich besonders deutlich auf die Auslegung der Lenkgeometrie von Motorrdern aus, welche allerdings auf eine Nachlaufstrecke und einen Nachlaufwinkel beschrnkt ist. Das Motorrad ist eine bergangsform zum Fahrzeug mit Knicklenkung, vgl. Bild 8.1b, weil der Massenanteil der Vorderradgabel mit dem Rade und der Bremse an der Fahrzeug-Gesamtmasse relativ gro ist. Wegen der merklichen Schrglage bei Kurvenfahrt ergeben sich am Vorder- und am Hinterrad im allgemeinen unterschiedliche Radsturzwerte gegenber der Fahrbahn. Ein um 90 eingeschlagenes Vorderrad wrde bei einem Nachlaufwinkel von 0 stets einen Radsturz im Bereich um 0 her-um gegenber der Fahrbahn aufweisen, unabhngig vom Neigungswinkel des Fahrzeug-Hauptteils und damit praktisch dem Sturz des Hinterrades. Der Nachlaufwinkel muss daher dem Verwendungszweck des Motorrads angepasst werden (bei Motorrdern wird statt vom Nachlaufwinkel auch vom Steuerkopfwinkel gesprochen; dieser ist der Winkel zwischen der Lenkdrehachse und der Fahrbahn, sein Betrag also 90 ).
Schnelle Reisemotorrder fahren Kurven mit mittlerem bis groem Ra-dius und mit hoher Geschwindigkeit, also starker Schrglage, bei kleinen Lenkwinkeln. Hier gengen mittlere Nachlaufwinkel, um den Sturz des Vorderrades an den des Hinterrades anzupassen.
Gelndemotorrder (Motocross-Maschinen) werden mit starker Schrglage und groem Lenkeinschlag durch sehr enge Kurven getrieben, sie erfordern also grere Nachlaufwinkel, damit das Vorderrad in diesen Situationen einen ausreichenden Sturz erhlt.
Die Trial-Motorrder dienen zu akrobatischen Leistungen bei extrem niedriger Fahrgeschwindigkeit und werden dabei fast ohne Schrglage ge-fahren; deshalb weisen ihre Vorderradgabeln vergleichsweise geringe Nachlaufwinkel auf.
Fr Zweispurfahrzeuge zeigt Bild 8.10 die exakt berechneten Funktio-nen des Radsturzes , der Nachlaufstrecke n und des Radlasthebelarms p ber dem Lenkwinkel , wobei vier verschiedene Auslegungen der Lenk-geometrie bei fester Spreizachse betrachtet werden.
Die Tangente der Sturzkurve )( in Geradeausstellung steigt bei den Achsen 3 und 4 etwa dreimal so steil an als bei den Achsen 1 und 2, was dem Verhltnis der Nachlaufwinkel (9 zu 3) entspricht; wegen der gr-eren Spreizung (12 gegen 5) ist die Kurve 2 erheblich strker gekrmmt als die Kurve 1, so dass bei vollem kurvenuerem Lenkeinschlag 0)
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 247
schlielich ein positiver Sturz erreicht wird. An allen Achsen nimmt die Nachlaufstrecke n kurveninnen zu, kurvenauen ab (das Rad geht bei vol-lem kurvenuerem Lenkwinkel sogar in Vorlauf). Der Radlasthebelarm p ist so definiert, dass die Radlast rckstellend wirkt, wenn undp das gleiche Vorzeichen haben, was hier am kurveninneren Rade stets, am kur-venueren aber erst bei greren Lenkwinkeln erfllt ist, da alle Varian-ten in der Geradeausstellung einen gewissen positiven Wert des Radlast-hebelarms aufweisen.
Bild 8.10. Sturz, Nachlaufstrecke und Radlasthebelarm ber dem Lenkwinkel
fr vier Varianten der Lenkgeometrie bei fester Spreizachse
248 8 Die Lenkung
Die Achsen 1 und 2 haben keinen Nachlaufversatz n (die Nach-laufstrecke n entspricht hier dem Produkt aus dem Reifenradius R und dem Tangens des Nachlaufwinkels , so dass die Spreizachse in der Seitenan-sicht durch die Radmitte verluft). Dann kommen im Grundriss des Fahr-zeugs bei einem bestimmten kurvenueren Lenkwinkel, der sich aus
tantantan /= berechnen lsst, die Projektionen der Spreizachse und der Radachse zur Deckung, folglich mssen in dieser Stellung die Nach-laufstrecke n und der Radlasthebelarm p zugleich den Wert Null anneh-men.
Eine von Null verschiedene Nachlaufstrecke n verursacht beim Lenken eine Querbewegung des Radaufstandspunktes relativ zum Koordinatensys-tem des Fahrzeugs. In der Geradeausstellung, wo die Nachlaufstrecke an beiden Rdern einer Achse noch gleich gro ist, bedeutet dies eine Quer-verschiebung des Fahrzeugs gegenber der Fahrbahn. Unterschiedliche Nachlaufstrecken an beiden Rdern, wie sie fr grere Radeinschlagwin-kel an allen Achsen von Bild 8.10 auftreten, haben beim Lenken im Stand eine gegenseitige Querbewegung der Radaufstandspunkte, also Verzwn-gungen der Reifen und erhhte Parkierkrfte zur Folge.
Dass auch die Varianten 2 und 4 mit dem Lenkrollradius 0S =r beim Lenken ihre Radaufstandspunkte wegen der von Null verschiedenen Nach-laufstrecken 0n bereits in Geradeausstellung in Fahrzeugquerrichtung ver-schieben, d. h. offensichtlich ihre Rder nicht an den Radaufstandspunkten auf der Stelle drehen, ist ein Hinweis darauf, dass der Name Lenkrollra-dius nicht sehr glcklich gewhlt ist. Wie bereits gesagt, wird der Lenk-rollradius in der Praxis als wirksamer Hebelarm einer Brems- (oder evtl. Antriebs-)kraft bei radtrgerfester Momentensttze angesehen und entspr. Gl. 8.12 so berechnet, als ob der Radaufstandspunkt momentan fest mit dem Radtrger verbunden wre.
Es wre sogar falsch, sich die Mhe zu machen und die Bahn der beim Lenken auftretenden, am Reifenumfang wandernden Radaufstandspunkte zu analysieren, um aus ihrer Krmmung einen Lenkrollradius zu bestimmen, wie das Beispiel in Bild 8.11 zeigt:
Bild 8.11. Bahn des Radaufstandspunktes auf der Fahrbahn bei Lenkein- schlag (Lenkrollradius = 0)
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 249
Die jeweiligen Radaufstandspunkte einer Radaufhngung mit einem Lenk-rollradius ,0S =r aber groem Spreizungs- und Nachlaufwinkel beschrei-ben ber dem Lenkwinkel in der Fahrbahnebene eine Bahnkurve, deren Krmmungsradius in der Geradeausstellung ca. 40 mm betrgt! Der Lenk-rollradius als Hebelarm einer Bremskraft um den Durchstopunkt D der Spreizachse in der Fahrbahnebene ist aber stndig gleich Null, denn die durch Pfeile gekennzeichneten Spurgeraden der Radmittelebenen weisen alle durch den Punkt D.
Bei einer Radaufhngung mit ideeller und damit whrend des Lenkvor-gangs vernderlicher Spreizachse kann auch der Lenkrollradius vernder-lich sein, z.B. bei groen Lenkwinkeln anwachsen. Dann ist es zweckm-ig, durch eine entsprechende Ausbildung der hierfr mageblichen Achslenker, nmlich eine aufeinander abgestimmte Anordnung der rad- und der fahrzeugseitigen Gelenkpunkte, das Minimum des Lenkrollradius etwa in die Geradeausstellung zu legen, um Reaktionen am Lenkrad bei einem Bremsvorgang in der Kurve und unterschiedlich groen Lenkrollra-dien zu minimieren. Der Lenkrollradius erreicht sein Minimum bei dem Lenkwinkel, wo die Polbahntangente (vgl. Kap. 3) der Bewegung des Rad-trgers in der Fahrbahnebene parallel zur Spur der Radmittelebene er-scheint bzw. in diese fllt [64] (s. auch Kap. 13, Bild 13.17).
Die Nachlaufstrecke n, ergnzt durch den Reifennachlauf ,Rn bildet bei Kurvenfahrt den Hebelarm der Seitenkraft. Mit zunehmender Querbe-schleunigung dominiert die Seitenkraft des kurvenueren Rades; da bei den meisten Radaufhngungen (ausgenommen solche mit 0)== die Nachlaufstrecke am kurvenueren Rade abnimmt und im Grenzbereich des Seitenfhrungsvermgens des Reifens auch noch der Reifennachlauf zusammenbricht, wird das Rckstellmoment am Lenkrad nicht proportio-nal der Querbeschleunigung anwachsen. Dies ist durchaus erwnscht, da zu hohe Lenkradkrfte zu einer Verspannung der Armmuskeln fhren und feinfhlige Lenkreaktionen, wie sie gerade im Grenzbereich wichtig sind, erschweren. Andererseits ist darauf zu achten, dass die Lenkkraft bei wachsender Querbeschleunigung nicht negativ wird.
Unterschiedliche Radlasthebelarme an beiden Rdern ergeben ein Rck-stellmoment am Lenkrad. Die hhere kurvenuere Radlast wirkt sich aber nur dann wesentlich aus, wenn der uere Radlasthebelarm ein negatives Vorzeichen hat, d. h. eine eigenstndige Rckstellung an diesem Rade vorhanden ist. Diese Gewichts-Rckstellmomente sind allerdings bei schneller Kurvenfahrt stets merklich kleiner als diejenigen aus der Seiten-kraft.
hnlich wie die Nachlaufstrecke n weist auch der Radlasthebelarm p in Bild 8.10 einen merklichen Gradienten ber dem Lenkwinkel in der Gera-deausstellung auf. Der Radlasthebelarm wechselt bei demjenigen Lenk-winkel das Vorzeichen, bei welchem der Radaufstandspunkt in der Drauf-
250 8 Die Lenkung
sicht auf der Projektion der Spreizachse liegt und folglich die Radlast kein Moment um diese ausben kann (dies gilt nicht bei ideeller Spreizachse mit Momentanschraubung!). Demnach liegt bei den Achsen in Bild 8.10 im kurvenueren Lenkbereich bei Lenkwinkeln zwischen 0 und ca. 5 (Achse 4) bzw. ca. 32 (Achse 1) keine eigenstndige Rckstellung des kurvenueren Rades vor. Die resultierende Rckstellung der gesamten Achse ergibt sich bei Fahrt ohne merkliche Querbeschleunigung, also mit gleichen Radlasten an beiden Rdern, aus der Differenz der Radlasthebel-arme beider Rder und ist in Bild 8.10 offensichtlich ber den vollen Lenkwinkelbereich hinweg gewhrleistet.
Die Ableitung dd /pp = in der Geradeausstellung ist der Hebelarm der Gewichtsrckstellung [64, 67], den man sich als Lnge eines Pendels vorstellen kann, an welchem eine Masse vom Gewicht der Achslast aufge-hngt ist. Bei einer Auslenkung dieses Pendels um den Lenkwinkel ent-steht das Gewichts-Rckstellmoment in der Lenkung. Gewichtsrckstel-lung ist bei der Geradeausfahrt also stets gegeben, wenn das Diagramm des Radlasthebelarms p ber dem Lenkwinkel eine ansteigende Tangen-te aufweist. Mit diesem Hebelarm der Gewichtsrckstellung ergibt sich der Lenkmomentanstieg aus der Geradeausstellung heraus, der von der Radlast herrhrt, zu
.dd(dd zz Fp/pF/M =)= (8.20)
Bei einer Radaufhngung mir konventioneller Lenkgeometrie, also mit fester Spreizachse whrend des Lenkvorgangs, berechnet sich der Hebel-arm der Gewichtsrckstellung in Geradeausrichtung der Lenkung [67] aus den Kenngren der Lenkgeometrie als
.tantan nrp = (8.21)
Die Gewichtsrckstellung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen fr die Selbstzentrierung der Lenkung bei Geradeausfahrt (solange nicht Re-gelsysteme in die Lenkung eingreifen). Bei eingeschlagenen Rdern und hherer Querbeschleunigung verliert sie an Bedeutung gegenber den aus den Seitenkrften entstehenden Momenten.
Der Radlasthebelarm p selbst sollte mglichst klein sein, um Rckwir-kungen von Radlastschwankungen, z.B. auf schlechter Fahrbahn, auf die Lenkung zu vermeiden.
Bei den vorstehenden Berechnungen wurde angenommen, dass die Fe-der der Radaufhngung sich auf einem der Radfhrungsglieder absttzt und ber das radtrgerseitige Gelenk desselben auf den Radtrger wirkt. Dann ist whrend eines Lenkvorgangs mit festgehaltener Federung und konventioneller Lenkgeometrie die Spreizachse im Raum unvernderlich, und die Funktion )(p ist unabhngig von der Position und bersetzung des Federelements. Die Gewichtsrckstellung ist daher bei einer solchen
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 251
(und in der Praxis bei gelenkten Achsen vorherrschenden) Federanordnung allein durch die Lage der Spreizachse und damit nach Gl. 8.21 festgelegt.
Die Gewichtsrckstellung kann aber auch von der Geometrie der Spreizachse unabhngig gestaltet werden, indem das Federelement unmit-telbar am Achsschenkel bzw. Radtrger abgesttzt wird. In Bild 8.12a ist schematisch eine Federung ber einen Drehstab dargestellt, dessen Hebel ber ein kurzes Pendel p exzentrisch zur Spreizachse an einem Radtrger angelenkt ist, wobei das Pendel in Geradeausstellung etwa parallel zur Spreizachse liegt. Bei Lenkeinschlag wird sich das Pendel schrg stellen, so dass seine Zugkraft (die mit der Radlast im Gleichgewicht stehende Fe-derungskraft) ein Drehmoment um die Spreizachse ausbt und das Fahr-zeug um einen Weg z anhebt. Bild 8.12b zeigt eine vergleichbare L-sung mit einer Schraubenfeder, bei Rennwagen als Pullrod-Anordnung bekannt.
Bei Radaufhngungen mit ideeller und damit normalerweise whrend des Lenkvorgangs vernderlicher Spreizachse gilt Gl. 8.21 nicht. Der Rad-lasthebelarm p und der Hebelarm der Gewichtsrckstellung p knnen durch die Anordnung der Gelenke der Radaufhngung und des Federele-ments beeinflusst werden [64].
Selbstverstndlich muss die bei aller Art von Gewichtsrckstellung an-fallende Hubarbeit des Vorderwagens am Lenkgetriebe (bzw. bei Fahrzeu-gen ohne Servolenkung: am Lenkrad) aufgebracht werden.
Neben der Gewichtsrckstellung entsteht, wenn die Radlasthebelarme ia und pp am kurvenueren bzw. kurveninneren Rade nicht umgekehrt
gleich gro sind ),( ia pp = also wenn die Anhebung des Fahrzeugs ber beiden Rdern der Achse unterschiedlich oder gar gegensinnig abluft, ei-ne Federungsrckstellung infolge Verwindung des Fahrzeugs gegen sei-ne entspr. Gl. 5.27 in Kap. 5 in Serie anzusetzenden Wankfederraten der Vorder- und der Hinterachse, welche aber bei blichen Federungsab-stimmungen nur wenige Prozent der Gewichtsrckstellung erreicht und daher vernachlssigt werden kann.
Bild 8.12. Frei whlbare Gewichtsrckstellung
252 8 Die Lenkung
Die Wirkung einer Antriebs- oder ggf. auch Bremskraft auf die Lenkung bei Drehmomentbertragung durch eine Gelenkwelle wird im allgemeinen nach dem Spreizungsversatz r beurteilt; andererseits ist bekannt, dass un-terschiedliche Gelenkwellen-Beugewinkel an angetriebenen Vorderrdern strende Lenkmomente verursachen. Der ber dem Federweg und damit dem Beugewinkel meistens konstante Spreizungsversatz kann also nur n-herungsweise bzw. unter bestimmten Voraussetzungen auch als wirksamer Hebelarm der Antriebs- oder Bremskraft betrachtet werden.
In der Frhzeit der Fahrzeugtechnik, als zuverlssige Wellengelenke be-sonders fr groe Beugewinkel noch nicht verfgbar waren, wurde das Problem des Antriebs lenkbarer Rder gelegentlich auf andere Art gelst: Eine konzentrisch zum Achsschenkelbolzen einer Starrachse umlaufende Zwischenwelle mit Kegelritzeln leitete das Antriebsmoment von einem fahrzeugseitigen Tellerrad auf ein radseitiges weiter, Bild 8.13. In Erinne-rung an Bild 6.17 in Kap. 6 wird anschaulich sofort klar, dass bei einer Lenkbewegung des Radtrgers K um die Spreizachse d bei als blockiert angenommener Momentensttze (dem Motor oder der Bremse, hier also auch der Ritzelwelle) das mit dem Fahrzeugrade verbundene Tellerrad am Verzahnungs-Eingriffspunkt E abwlzen muss, so dass die effektive Dreh-achse d des Radkrpers durch E und den Mittelpunkt T des Kegeltriebs bestimmt wird. Eine Umfangskraft am Rade wirkt also an dem Hebelarm zwischen dem Schnittpunkt von d mit der Fahrbahnebene und dem Rad-aufstandspunkt A, der hier als neue Lenkungs-Kenngre Triebkrafthe-belarm Tr eingefhrt werden mge [63].
Bild 8.13. Antrieb eines lenkbaren Rades ber umlaufende Kegelrder
Bild 8.14. Analogie zwischen Gleichlaufgelenk und Kegelradtrieb
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 253
Der Index T knnte auch als allgemeiner Hinweis auf die Transmis-sion durch Gelenkwellen aufgefasst werden, um den seltenen Fall der Bremskraftbertragung durch Gelenkwellen mit einzubeziehen.
Nachteilig an der Lsung nach Bild 8.13 sind der Leistungsverlust, die Geruschentwicklung und der Verschlei an den stndig umlaufenden Ke-gelrdern; dafr ergibt sich ein einwandfreier Gleichlauf in der Drehmo-ment- und Drehzahlbertragung.
Offensichtlich wre es leicht mglich, die effektive Drehachse d durch die Wahl der Kegelradbersetzung in den Radaufstandspunkt A zu legen und damit den Triebkrafthebelarm Tr zu Null zu machen. Damit wre die Lenkung trotz eines groen Spreizungsversatzes r frei von Strungen durch die Antriebskraft. Beim Lenken im Stand knnte das Rad ohne Ver-drehung der fahrzeugseitigen Antriebswelle, also auch bei blockiertem Triebwerk, frei abrollen (dieses Kriterium wre im brigen allgemeingl-tig, also auf alle lenkbaren Antriebsrder unabhngig von der Bauart der Radaufhngung und des Antriebsstranges anwendbar, wenn auch ange-sichts der Elastizitten in Radaufhngung und Antriebsstrang versuchs-technisch wohl kaum nachzuprfen).
Die Drehmomentbertragung durch die Kegelrder in Bild 8.13 lsst mit ein wenig Phantasie bereits ahnen, was bei der allgemein blichen Dreh-momentbertragung durch Gleichlauf-Gelenkwellen vor sich geht: die bei-den Wellenhlften an einem Gleichlaufgelenk kann man sich bei gegebe-nem und festgehaltenem Beugewinkel stets durch ein entsprechendes Kegelrderpaar verbunden denken [73], Bild 8.14.
Die bisher angewandte Methode, wirksame Hebelarme uerer Krfte durch den Vergleich der Leistungen derselben an den Verschiebungsge-schwindigkeiten ihrer Angriffspunkte und der Leistungen der Reakti-onsmomente an der Lenkwinkelgeschwindigkeit zu bestimmen, erlaubt mit hnlich geringem Aufwand auch die Berechnung des Triebkrafthebelarms unter Bercksichtigung des zwischengeschalteten Kraftbertragungsstran-ges, der aus Gelenkwellen und evtl. radtrgerfesten Vorgelege-Unter-setzungsgetrieben bestehen kann.
Aus einer Winkelgeschwindigkeit K des Radtrgers whrend eines fik-tiven Lenkvorgangs bei blockierter Federung und blockierter Momen-tensttze knnen die Bewegungsverhltnisse an den Gleichlaufgelenken einer Gelenkwelle und an einem Vorgelegegetriebe im Radtrger sowie die daraus folgende Relativ-Winkelgeschwindigkeit der Radwelle gegenber dem Radtrger nach dem in Kap. 3, Abschn. 3.6 beschriebenen Rechenan-satz ermittelt und daraus die Absolut-Winkelgeschwindigkeit R des Rad-krpers bestimmt werden. Mit der fr den Radtrger wie den Radkrper gleichermaen verwendbaren Bezugsgeschwindigkeit Mv der Radmitte ergibt sich am Radaufstandspunkt die zu einer fiktiven Lenkbewegung bei festgehaltener Federung und blockierter Momentensttze gehrende Ge-schwindigkeit Av nach Gl. 3.35.
254 8 Die Lenkung
Mit der Geschwindigkeit Av kann der Triebkrafthebelarm fr ein ber Gelenkwellen und ggf. Vorgelegegetriebe bewegtes Rad auf die gleiche Weise berechnet werden wie die bereits vorgestellten Kenngren der Lenkgeometrie. Analog zu Gl. 8.12 fr die Bestimmung des Lenkrollradi-us erhlt man die formal gleiche, aber mit der fr den Gelenkwellenbetrieb gltigen Geschwindigkeit AA vonanstelle vv besetzte Gleichung fr den Triebkrafthebelarm
.sincos( AyAxT /)+= vvr (8.22)
Dieser Triebkrafthebelarm kann natrlich ebenso als Bremskrafthe-belarm definiert werden, wenn eine fahrgestellfeste Bremse ber Ge-lenkwellen mit dem Rade verbunden ist; er ersetzt dann bezglich der Auswirkungen auf die Lenkung den Lenkrollradius .Sr
Wie bereits in Kap. 6 bei der Diskussion um die Sttzwinkel ausge-fhrt, werden bei Verwendung von Kardangelenken mit ihrem im gebeug-ten Zustand zweimal je Umdrehung wechselnden bertragungsverhltnis der Winkelgeschwindigkeit auch Triebkrafthebelarme entstehen, deren Gre zweimal je Umdrehung wechselt. Dies erzeugt zwar am Lenkge-stnge ein pulsierendes Moment unter Antriebs- bzw. Bremskraft, fr den effektiven Triebkrafthebelarm ist aber ein Kardangelenk rechnerisch wie ein Gleichlaufgelenk zu behandeln.
Die Definition des Triebkrafthebelarms nach Gl. 8.22 hat den Vorteil, dass nun auch fr eine Antriebs- oder Bremskraft bei Gelenkwellen im bertragungsstrang eine Kenngre zur Verfgung steht, die sich auf den tatschlichen Angriffspunkt der Kraft, nmlich den Radaufstandspunkt, bezieht und nicht wie der Spreizungsversatz auf die Radmitte.
Die Anwendung dieser neuen Kenngre Tr fhrt zu interessanten und bei Kenntnis der in den Bildern 3.173.20 in Kap. 3 veranschaulichten Zu-sammenhnge unschwer interpretierbaren Ergebnissen.
Die von den Gelenkwellen und evtl. einem Vorgelegegetriebe beein-flusste Winkelgeschwindigkeit R des Radkrpers unterscheidet sich von der Winkelgeschwindigkeit K des Radtrgers nur durch eine in Richtung der Radachse wirkende Winkelgeschwindigkeit KR, (vgl. auch Kap. 3). Die fiktive Geschwindigkeit Av des Radaufstandspunktes bei als blockiert angesehener Momentensttze wird daher bei Bercksichtigung der Ge-lenkwellen und Vorgelegegetriebe nur durch eine Geschwindigkeitskom-ponente in Radumfangsrichtung zur Geschwindigkeit Av ergnzt. Die er-whnte Geschwindigkeitskomponente liegt also am Radaufstandspunkt in der Spurgeraden der Radmittelebene auf der Fahrbahn und steht damit senkrecht auf den Vektoren der Radlast und der Seitenkraft, weshalb der Radlasthebelarm p und die Nachlaufstrecke n von der Art der Antriebs- oder Bremskraftbertragung nicht berhrt werden.
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 255
Bild 8.15. Lenkbare Radaufhngung fr vergleichende Untersuchungen
Bei der Untersuchung einer typischen PKW-Radaufhngung mit kon-ventioneller Lenkgeometrie bzw. radtrgerfester Spreizachse, Bild 8.15, zeigt es sich, dass der Triebkrafthebelarm Tr ber dem Lenkwinkel , hnlich wie der Lenkrollradius Sr und der Spreizungsversatz ,r praktisch konstant bleibt. Interessanter ist dagegen sein Verlauf ber dem Radhub s, Bild 8.16: Whrend der Lenkrollradius und der Spreizungsversatz sich mit dem Radhub nicht sichtbar verndern, nimmt der Triebkrafthebelarm, der hier in Konstruktions- bzw. Normallage nahezu gleich dem Spreizungsver-satz ist, beim Einfedern merklich ab bzw. beim Ausfedern zu.
Bild 8.16. Der Triebkrafthebelarm ber dem Radhub im Vergleich zum Spreizungsversatz und zum Lenkrollradius bei radtrgerfester Spreizachse
256 8 Die Lenkung
Damit erklrt sich sofort das typische Verhalten eines Fahrzeugs mit Vorderradantrieb bei Kurvenfahrt: Bei gleichen Vortriebskrften an beiden Rdern (unter Vernachlssigung der Differentialreibung) versucht die Vor-triebskraft am ausgefederten kurveninneren Rade ber ihren gegenber dem eingefederten kurvenueren Rade greren Triebkrafthebelarm die Vorderrder in die Geradeausstellung zu drehen, und bei Motorbremsung kehrt sich diese Tendenz um.
Mit der Kenntnis der in Kap. 3 beschriebenen Bewegungsablufe lsst sich die Abhngigkeit des Triebkrafthebelarms vom Radhub in einfacher Weise erklren, indem die im Fahrzeugquerschnitt auftretenden Winkelge-schwindigkeiten betrachtet werden, wobei angenommen wird, dass die Ge-lenkwelle sich nicht aus der Querschnittsebene herausbewegt, Bild 8.17.
In der Konstruktionslage, Bild 8.17a, ist am radseitigen Gelenk aG kein Beugewinkel vorhanden. Die Relativ-Winkelgeschwindigkeit WR, zwi-schen der Radwelle und dem Gelenkwellen-Mittelstck W beim Lenkvor-gang unter Annahme einer blockierten Momentensttze liegt in der Win-kelhalbierenden der Wellenhlften am Gelenk, hier also der Vertikalen. Sofern aG nahe genug an der Spreizachse d liegt, was in praxi nach Mg-lichkeit so ausgefhrt wird, kann die Winkelgeschwindigkeit W des Wel-lenmittelstcks, wenn sie nicht ohnehin Null ist, vernachlssigt werden, und WR, ist dann praktisch gleich der Absolut-Winkelgeschwindigkeit des Radkrpers .R Diese weicht von der in die Spreizachse d fallenden Win-kelgeschwindigkeit K des Radtrgers ab, so dass sich die Relativ-Winkel-geschwindigkeit KR, ergibt, mit welcher das Rad sich gegenber dem Rad-trger in seinem Radlager dreht. Da der Schnittpunkt H der Radachse mit der Spreizachse d im Fahrzeugquerschnitt bewegungslos erscheint, bildet dort die durch H parallel zu R verlaufende Gerade d die effektive Dreh-achse des Radkrpers. Diese liegt in Bild 8.17a parallel zur Radmittelebe-ne, weshalb der Triebkrafthebelarm Tr momentan gleich dem Spreizungs-versatz r ausfllt.
Fr die Radstellung, bei welcher am radseitigen Wellengelenk kein Beugewinkel auftritt, kann also offensichtlich der Spreizungsversatz in et-wa den Triebkrafthebelarm vertreten.
Bild 8.17b zeigt die Radaufhngung schematisch in eingefedertem Zu-stand, wo am radseitigen Wellengelenk ein Beugewinkel entstanden ist. Die Winkelgeschwindigkeit R des Radkrpers stellt sich nun in die Win-kelhalbierende der beiden Wellenhlften am Gelenk ein und neigt sich da-her ein wenig in die Richtung der Spreizachse d. Die Relativ-Winkel-geschwindigkeit KR, ist kleiner geworden, und die Drehachse
d des Rad-krpers schneidet die Fahrbahnebene in einem Punkt D in einem im Vergleich zur Konstruktionslage (Bild 8.17a) verringerten Abstand Tr vom Radaufstandspunkt A. Die umgekehrten Verhltnisse wrden sich am ausgefederten Rade ergeben.
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 257
Bild 8.17. Winkelgeschwindigkeiten von Rad und Radtrger beim Lenkvorgang
und Drehmomentbertragung durch eine Gelenkwelle
Aus Bild 8.17 lsst sich eine einfache und anschauliche Methode ablei-ten, um bei einer Radaufhngung mit Antrieb ber eine quer liegende Ge-lenkwelle die Gre des Triebkrafthebelarms abzuschtzen, Bild 8.18: man zeichne durch den Schnittpunkt H der Radachse a mit der Spreizachse d eine Parallele d zur Winkelhalbierenden zwischen Radachse und Ge-lenkwelle, die die Fahrbahn im Abstand Tr vom Radaufstandspunkt A schneidet (dies gilt brigens auch bei ideeller Spreizachse).
Bild 8.18. Nherungskonstruktion des Triebkrafthebelarms bei abgewinkelter Gelenkwelle
258 8 Die Lenkung
Bei Fahrzeugen mit Frontantrieb wird eine Verringerung des Triebkraft-hebelarms und damit des Spreizungsversatzes angestrebt, um den stren-den Einfluss instationrer Antriebskrfte z.B. bei Bodenwellen oder wech-selnden Reibwerten mglichst auszuschalten. Bei positiver Spreizung fhrt dies zu einem nochmals kleineren Lenkrollradius, was wiederum den Bemhungen entgegenkommt, die Lenkung von instationren Bremskrf-ten z.B. whrend der Regelungsphase eines Anti-Blockier-Systems freizu-halten. Ist der Spreizungswinkel, wie dies bei Feder- oder Dmpferbein-achsen kaum vermeidbar ist, sehr gro, so ergibt sich dann evtl. ein nega-tiver Lenkrollradius, der dem Betrage nach klein bleiben muss, um Fehlinformationen am Lenkrad ber die Verteilung ungleich groer Bremskrfte, und damit evtl. Fehlreaktionen des Fahrers, besonders bei Bremsbeginn zu verhten.
An einfachen Fahrzeugen mit Vorderradantrieb und quer im Fahrzeug angeordnetem Triebwerk finden sich meistens ungleich lange Gelenkwel-len an den beiden Rdern als Folge der auermittigen Lage des Differenti-algetriebes. In Bild 8.19 ist der Verlauf der Triebkrafthebelarme an beiden Rdern ber dem Radhub s bei ungleich langen Gelenkwellen dargestellt. Deren Differenz bei paralleler Ein- oder Ausfederung der Rder ergibt auch bei symmetrischen Antriebs- oder Schubkrften ein resultierendes Lenkmoment. Dieses macht sich z.B. bei Geradeausfahrt und Beschleuni-gung oder Gasrcknahme bemerkbar, wenn in der betreffenden Fahrsitua-tion Beugewinkel an den Gelenken vorhanden sind oder wenn das Fahr-zeug infolge des Lastwechsels aus- oder einfedert.
Bild 8.19. Unterschiedliche Triebkrafthebelarme der Rder an einer Achse
mit ungleich langen Antriebs-Gelenkwellen
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 259
Bei Kurvenfahrt und gegensinniger Ein- bzw. Ausfederung der beiden Rder wird sich am kurvenueren Rade stets ein kleinerer Triebkrafthe-belarm einstellen als am kurveninneren, auch wenn beide Gelenkwellen gleich lang sind.
Da heute selbst Kleinwagen nahezu standardmig mit Servolenkungen ausgestattet sind, welche Strkrfte an den Rdern stark abgemildert an das Lenkrad weitergeben, ist das Problem der Lenkrad-Reaktionen bei Frontantrieb etwas in den Hintergrund getreten. Dabei darf aber nicht in Vergessenheit geraten, dass die Strkrfte weiterhin vorhanden sind und auf die Radfhrungsglieder wirken und z.B. durch elastische Verformun-gen der Radaufhngung Lenkwinkel erzeugen knnen. Die Verwendung einer Servolenkung befreit also nicht von der Aufgabe, die Kinematik und die Elasto-Kinematik der Radaufhngung sorgfltig auszulegen. Lenkreak-tionen an den Vorderrdern werden den Fahrer um so mehr verunsichern, je weniger Signale er von diesen ans Lenkrad geliefert bekommt.
Nach den Betrachtungen zum Gelenkwellenantrieb anhand der Bilder 8.16 und 8.17 fllt es nicht mehr schwer, auch die Auswirkungen eines im Radtrger eingebauten Untersetzungs-Vorgelegegetriebes auf den Trieb-krafthebelarm zu interpretieren. Bild 8.20 zeigt den Verlauf des letzteren ber dem Radhub fr die gleiche Radaufhngung wie in Bild 8.15, wenn am Radtrger Vorgelegegetriebe angenommen werden, welche die Dreh-zahl der Radwelle gegenber der Gelenkwelle im Verhltnis 2:1 herabset-zen, und zwar einmal unter Beibehaltung des Drehsinns (i = 2) und das an-dere Mal bei Drehrichtungsumkehr (i = 2). Zum Vergleich ist der Triebkrafthebelarm der Radaufhngung ohne Vorgelegegetriebe, also ge-wissermaen mit der Untersetzung i = 1, eingezeichnet.
Bild 8.20. Der Triebkrafthebelarm ber dem Radhub bei verschiedenen Vorgelege- Untersetzungen
260 8 Die Lenkung
Die Kurven fr i = 2 und i = 2 liegen etwa symmetrisch zu einer Verti-kalen, die dem Hebelarm Tr = 15 mm entspricht, und diesen Wert hat bei der betrachteten Radaufhngung der Lenkrollradius Sr (vgl. Bild 8.16). Der Grund hierfr wird anschaulich klar, wenn vereinfacht die Bewe-gungsablufe zwischen der Gelenkwelle W, dem Radtrger K und dem Ra-de im Fahrzeugquerschnitt analog zu Bild 8.17 untersucht werden, wobei wieder angenommen werden soll, dass am inneren Wellengelenk und da-mit am Wellenmittelstck keine Bewegung whrend des fiktiven Lenkvor-gangs bei festgehaltener Federung auftreten soll, Bild 8.21.
Dann ergibt sich die Absolut-Winkelgeschwindigkeit Z der Vorgelege-Eingangswelle Z (in Kap. 3 als Zwischenwelle bezeichnet) als Vektor in der Winkelhalbierenden der Welle Z und des Wellenmittelstcks W, aber die Relativ-Winkelgeschwindigkeit KZ, zwischen der Welle Z und dem Radtrger K wird durch das Vorgelegegetriebe um den Faktor i der Getrie-beuntersetzung verringert als Winkelgeschwindigkeit i/KZ,KR, = an die Radwelle weitergegeben. Die geometrische Summe KR,KR += ist der Vektor der Absolut-Winkelgeschwindigkeit des Radkrpers.
In Konstruktionslage ohne Beugewinkel am ueren Wellengelenk ist in Bild 8.21a die Winkelgeschwindigkeit KR, fr die Untersetzung i = 2 gleichgerichtet, aber halb so gro wie ,KZ, und der Vektor der Absolut-Winkelgeschwindigkeit R des Radkrpers neigt sich auf die Spreizachse d zu, so dass die effektive Schwenkachse d* des Radkrpers die Fahrbahn in einem Abstand Tr vom Radaufstandspunkt A schneidet, der kleiner ist als der Spreizungsversatz ,r aber noch grer als der Lenkrollradius .Sr
Bild 8.21. Einfluss einer Vorgelege-Untersetzung auf den Triebkrafthebelarm
a) gleichlufiges und b) gegenlufiges Untersetzungsgetriebe.
8.3 Kenngren der Lenkgeometrie 261
Bei Drehrichtungsumkehr zwischen der Vorgelege-Eingangswelle und der Radwelle, Bild 8.21b, mit der Untersetzung i = 2 ist die Winkelge-schwindigkeit KR, der Radwelle im Radtrger der doppelt so groen Winkelgeschwindigkeit KZ, der Eingangswelle des Vorgeleges entge-gengerichtet, und es stellt sich eine Absolut-Winkelgeschwindigkeit
R des Radkrpers ein, die strker gegen die Vertikale geneigt ist als die Spreizachse d. Hier wird also der Triebkrafthebelarm in Konstruktionslage kleiner als der Lenkrollradius.
Wre die Vorgelege-Untersetzung unendlich gro, so fielen die Vekto-ren der Winkelgeschwindigkeiten R des Radkrpers und K des Rad-trgers zusammen. Mit =i wird allerdings die Gelenkwelle auch bei beliebig hoher Drehzahl keine Relativbewegung zwischen Radkrper und Radtrger mehr erzeugen knnen; der Radkrper wre radtrgerfest und damit die Momentensttze ebenfalls. Dies entsprche dem Grenzfall des Radnabenmotors, wo der Lenkrollradius Sr zugleich als Triebkrafthe-belarm auftritt.
Die aus Bild 8.21 ablesbaren geometrischen Bedingungen ermglichen eine einfache Abschtzung des Triebkrafthebelarms Tr fr gegebene Wer-te des Lenkrollradius ,Sr des Spreizungswinkels , des Radsturzes , des Beugewinkels am ueren Wellengelenk, des Reifenradius R und des Untersetzungsverhltnisses i (
262 8 Die Lenkung
In den angetriebenen Starrachsen von Schwerlastwagen verndert sich der Beugewinkel des radseitigen Wellengelenks nicht ber dem Radhub; die Skizzen in Bild 8.21 stellen also fr solche Achsen den Dauerzustand dar. Hier ergibt sich ber dem Federweg keine Vernderung des Trieb-krafthebelarms. Bei gegebenem und merklich von Null verschiedenem Spreizungswinkel lsst sich dann offensichtlich durch die Wahl der Vorge-lege-Untersetzung der Triebkrafthebelarm klein halten mit den entspre-chenden Vorteilen fr die Belastung des Lenkgestnges und der Antriebs-elemente.
Das Planeten-Vorgelegegetriebe in Bild 8.22 treibt das Rad ber den Planetentrger an, so dass die Antriebswelle und das Rad gleichsinnig, hier mit einer Untersetzung um 3:1, drehen (vgl. Bild 8.21a).
Bild 8.22. Achsschenkel einer LKW-Vorderachse mit Planeten-Vorgelegegetriebe
(Werkbild MAN Nutzfahrzeuge AG)
Wie in den vorangehenden Kapiteln sind auch hier die Kenngren der Lenkgeometrie an einem starren Mechanismus mit unelastischen Lagern und Lenkern definiert worden. Das Argument, dass die Elastizitten der Lenkerlager keine relevanten nderungen an den Krfteverhltnissen der Radaufhngung verursachen, gilt auch fr einige der Lenkungs-Kenngr-en, aber fr andere nur mit Einschrnkung. Angesichts der kleinen Betr-ge der Kenngren Lenkrollradius, Nachlaufstrecke und Triebkrafthebel-arm erreichen nmlich die elastischen Querverschiebungen der Radaufstandspunkte gegenber den Felgen bei Fahrt mit hoher Querbe-
8.4 Das Lenkgestnge 263
schleunigung (vgl. Kap. 7, Bild 7.27) deren Grenordnung und sind folg-lich nicht mehr vernachlssigbar. Zwar werden Fahrzustnde im fahrdy-namischen Grenzbereich vorzugsweise mit Simulationsprogrammen analy-siert, in denen alle beteiligten Bauteile so wirklichkeitsgetreu als mglich modelliert sind; sollten derartige Untersuchungen aber unter Verwendung der vorstehend definierten Kenngren vorgenommen werden, so emp-fiehlt es sich, die Querverformungen der Reifen zum Lenkrollradius bzw. Triebkrafthebelarm zu addieren bzw. von diesen Radien zu subtrahieren, hnlich wie die geometrische Nachlaufstrecke bei Seitenkraft durch den aktuellen Reifennachlauf zu ergnzen ist.
8.4 Das Lenkgestnge
8.4.1 Bauarten
Die bertragung der vom Fahrer am Lenkrad bzw. Lenkgetriebe eingelei-teten Lenkbewegung auf die Fahrzeugrder erfolgt durch das Lenkgestn-ge. Dieses muss, von Ausnahmen (Dubonnet-Achsen) abgesehen, auch die Federungsbewegung der Radaufhngung mit vollziehen. Bei Einzelradauf-hngungen sind daher im allgemeinen zwei seitliche Spurstangen zwischen dem Radtrger und dem Lenkgetriebe vorgesehen, deren Anordnung auf die Bauart der Radaufhngung und das gewnschte Eigenlenkverhalten Rcksicht zu nehmen hat.
Gebruchliche Lenkgestngeanordnungen fr Einzelradaufhngungen sind in Bild 8.23 zusammengestellt, wobei heute wegen der blichen lngselastischen Aufhngung nur noch etwa quer zur Fahrtrichtung liegen-de Spurstangen in Frage kommen.
Im Beispiel a sind die Drehachsen des Lenkstockhebels am Lenkgetrie-be L und des Zwischen- oder Fhrungshebels der gegenberliegenden Fahrzeugseite parallel ausgerichtet, und diese beiden Hebel bilden mit der mittleren Spurstange ein ebenes Gestnge. Die ueren Spurstangen sind unabhngig von der mittleren am Lenkstock- und am Fhrungshebel ange-lenkt. Beide Hebel machen zweckmigerweise gleich groe Winkelaus-schlge nach beiden Seiten, um eine fr Links- und Rechtskurven symmet-rische Lenkgeometrie und gleiche Lenkrad-Umdrehungszahlen zu errei-chen. Die Anordnung von Bild 8.23a hat zur Folge, dass alle sechs Gelenke der Spurstangen etwa den vollen Lenkwinkel ausfhren mssen (Reibung!) und dass ihre Elastizitten sich in Reihe addieren.
Wird die mittlere Spurstange an ecksteifen Drehgelenken gefhrt, Bei-spiel b, so knnen die ueren Spurstangen an dieser angelenkt werden (in Grenzen auch auermittig), was einerseits konstruktive Freiheiten der