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„Die Kapitalismuskritik des Papstes“
Luzern 3.11.2016
Prof. Dr. Joachim WiemeyerKatholisch-Theologische Fakultät | Lehrstuhl für christliche Gesellschaftslehre
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Katholisch-Theologische Fakultät | Lehrstuhl für christliche Gesellschaftslehre
„Diese Wirtschaft tötet“ (Evangelii Gaudium, Nr. 53)
Spontane Einfälle
- In Textilfabriken, in den für
Industrieländer produziert
wird, sterben jedes Jahr
viele Menschen
viele Menschen.
- illegaler Waffenexport in Kriegsgebiete
- Verschleierung von Studien (Tabakindustrie, Pharma-
zeutischen Industrie) über Gesundheitsbelastung ihrer
Produkte
Berechtigte Kritik an Einzelfällen oder systematische bzw.
systembedingte Missstände?
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Gliederung
I. Einleitung
II. Zur Interpretation päpstlicher Dokumente
III. Die Wirtschaftskritik des Papstes
IV. Bewertung der Kritik
V. Fazit
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I. Interpretation kirchlicher Dokumente:
Art des Dokuments: Interview, Predigt, Apostolische
Schreiben, Enzykliken- unterschiedlicher StellenwertHerkunft und Biographie der Päpste (Hintergrundautoren) prägen ihre
Aussagen und Redeweisen – von daher Texte interpretieren
Johannes Paul II., Polen, z. B. Laborem exercens
Benedikt XVI., Deutschland: vor allem
seine Antrittsenzyklika „Deus Caritas est“
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Papst Franziskus:
Befreiungstheologie Lateinamerikas hat
Unrechtsstrukturen als Strukturen der Sünde scharf
angeklagt.
z.B., Vertreibung von Kleinbauern durch
Großgrundbesitzer durch Gewalt
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Zentral: unterschiedliche Redeweisen in
Dokumenten der Sozialverkündigung
- Grundsatzaussagen
- Pragmatische Empfehlungen
- Prophetische Sozialkritik
= Zuspitzung nicht differenzierte Abwägung
Papst Franziskus steht aber mit seiner prophetischen
Sozialkritik nicht nur in der Tradition der
Befreiungstheologie, sondern auch der kirchlichen
Sozialverkündigung.
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Bischof Ketteler: Rede auf der Liebfrauenheide bei Offenbach 1869
Ironie und Polemik gegen Unternehmer
Pius XI., Quadragesimo anno 1931 , Nr. 109 prangert Finanzkapitalismus
Paul VI. Populorum progressio 1967, Nr. 49 –Hunger und Armut – mangelnde Hilfe
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Papst Franziskus benutzt „Kapitalismus“ oder
„kapitalistisch“ nicht
Gegensatz zu seinen Vorgängern: z. B.
Pius XI., Quadragesimo anno 1991, Nr. 109
Johannes Paul II., Centesimus Annus, 1991, Nr. 42
„ „Es wirkt skurril, dass das Schreiben (EG J. W.) des Papstes als Kapitalismuskritik aufgenommen wird, obwohl das
Wort kein einziges Mal darin vorkommt.“
Friedhelm Hengsbach
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II. Die Wirtschaftskritik des Papstes – 5 Kernpunkte
1. Dominanz der Wirtschaft und Technologie über die
Politik vor allem im internationalen Bereich
„Während das 21. Jahrhundert ein Regierungssystem vergangener Zeiten beibehält, ist es Schauplatz eines Machtschwunds der Nationalstaaten, vor allem weil die Dimension von Wirtschaft und Finanzen, die transnationalen Charakter besitzt, tendenziell die Vorherrschaft über die Politik gewinnt.“ (LS Nr. 175).
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2. Dominanz innerhalb der Ökonomie der
Finanzwirtschaft über die Realwirtschaft
„Die Finanzen ersticken die Realwirtschaft. Man hat die
Lektionen der weltweiten Finanzkrise nicht gelernt, und
nur sehr langsam lernt man die Lektionen der
Umweltschädigung. In manchen Kreisen meint man,
dass die jetzige Wirtschaft und die Technologie alle
Umweltprobleme lösen werden, ebenso wie man in nicht
akademischer Ausdrucksweise behauptet, dass die
Probleme des Hungers und das Elend in der Welt sich
einfach mit dem Wachstum des Marktes lösen werden.“
(LS Nr. 109)
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3. Wachsende soziale Ungleichheiten innerhalb vieler
Länder und zwischen den Ländern (Armut)
„Wenn die Natur einzig als Gegenstand des Profits und der Interessen gesehen wird, hat das auch ernste Folgen in der Gesellschaft. Die Sichtweise, welche die Willkür des Stärksten unterstützt, hat für die Mehrheit der Menschheit zu unermesslich viel Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Gewalt geführt, denn die Ressourcen gehen dann in den Besitz dessen über, der zuerst ankommt oder der mächtiger ist: Der Sieger nimmt alles mit.“ (LS Nr. 82)
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Jugendarbeitslosigkeit in Europa als Ausgrenzung / Ausschluss:
Junge Leute, die arbeitslos sind, nannte der Papst „`die neuen
Ausgegrenzten unserer Zeit`. Stellt euch vor, in einigen Ländern
Europas, in diesem unserem Europa, das so gebildet ist, gibt es bis
zu 40% Jugendarbeitslosigkeit, 47% in anderen Ländern, in anderen
50%. Aber was tut ein junger Mensch, der nicht arbeitet? Wo
endet er? … Das ist eine Tragödie: es ist die Tragödie der neuen
Ausgeschlossenen unserer Zeit. Und sie werden ihrer Würde
beraubt. Die menschliche Gerechtigkeit erfordert Zugang zur Arbeit
für alle.“ Papst Franziskus, Ansprache für Mitglieder des
„Movimento Christiano Lavoratori“ am 16.1.2016, in: „Osservatore
Romano“ (Deutsche Ausgabe) 46. Jg., Nr. 4 v. 29.1.2016, S. 8.
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4. Konsumismus
„Da der Markt dazu neigt, einen unwiderstehlichen Konsum-Mechanismus zu schaffen, um seine Produkte abzusetzen, versinken die Menschen schließlich in einem Strudel von unnötigen Anschaffungen und Ausgaben. Der zwanghafte Konsumismus ist das subjektive Spiegelbild des techno-ökonomischen Paradigmas.“ (LS Nr. 203).
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5. Raubbau an der Umwelt / Klimawandel
Kernpunkt Laudato SI (2015):
Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und
für alle. Es ist auf globaler Ebene ein kompliziertes
System, das mit vielen wesentlichen Bedingungen für das
menschliche Leben verbunden ist. Es besteht eine sehr
starke wissenschaftliche Übereinstimmung darüber, dass
wir uns in einer besorgniserregenden Erwärmung des
Klimasystems befinden. (LS Nr. 23)
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III. Bewertung 1. Politische Rahmenordnung: Eine demokratische legitimierte
Rahmenordnung für die Wirtschaft wie es der deutsche Ordolibe-
ralismus existiert in den meisten Ländern und auf globaler Ebene
nicht.
2. Finanzwirtschaft: Die Finanz-, Euro- und Staatsschuldenkrise ist
nicht aufgearbeitet, gelöst, noch sind die notwendigen Konsequenzen
umfassend gezogen. – keine Finanzmarkttransaktionssteuer
3. Soziale Ungleichheit: Fragen der Einkommensverteilung werden
nun in der Wissenschaft breit diskutiert: Piketty, Atkinson, Milanovíc
4. Konsumismus: 1/3 der weltweit erzeugten Nahrungsmittel werden
vernichtet angesichts von fast 800 Mill. Hungernden
5. Ökologie: Der Klimawandel fordert eine Dekarbonisierung der
Wirtschaft um 80-90%. Bodenerosion, Wasserverschmutzung,
Überfischung der Meere.
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Meine Kritik an Laudato Si:
- Bevölkerungsentwicklung nicht ernst genommen
- Kritik an Emissionszertifikaten ohne bessere
Alternative
- Nachhaltigkeit nicht als neues Sozialprinzip
eingeführt
- Nur zwei Frauen Gottesmutter Maria und Hl.
Theresa von Lisieux erwähnt –
Geschlechtergerechtigkeit – Gender
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4. Fazit: Papst fordert eine echte Öko-Soziale
Marktwirtschaft
(Positive Bedeutung der unternehmerischen Initiative)
Die Unternehmertätigkeit, die eine edle Berufung
darstellt und darauf ausgerichtet ist, Wohlstand zu
erzeugen und die Welt für alle zu verbessern, kann
eine sehr fruchtbringende Art und Weise sein, die
Region zu fördern, in der sie ihre Betriebe errichtet,
vor allem wenn sie versteht, dass die Schaffung von
Arbeitsplätzen ein unausweichlicher Teil ihres
Dienstes am Gemeinwohl ist. (LS, Nr. 129)
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Papst für Soziale Marktwirtschaft
Dies erfordert die Suche nach neuen Wirtschaftsmodellen, die in
höherem Maße inklusiv und gerecht sind. Sie sollen nicht darauf
ausgerichtet sein, nur einigen wenigen zu dienen, sondern vielmehr
dem Wohl jedes Menschen und der Gesellschaft. Und das verlangt
den Übergang von einer „verflüssigten“ Wirtschaft zu einer sozialen
Wirtschaft. Ich denke zum Beispiel an die soziale Marktwirtschaft
(Hervorhebung von mir J.W.), zu der auch meine Vorgänger
ermutigt haben (vgl. Johannes Paul II. Ansprache an den
Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, 8. November 1990).
Es ist nötig, von einer Wirtschaft, die auf den Verdienst und den
Profit auf der Basis von Spekulation und Darlehen auf Zinsen zielt,
zu einer sozialen Wirtschaft überzugehen, die in die Menschen
investiert, indem sie Arbeitsplätze und Qualifikation schafft.
(Karlpreis-Rede 6.5.16)
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Politisch denkender und
handelnder Papst ist erfolgreich:
- Versöhnung Kuba – USA
oder
- Weltklimakonferenz in Paris
Papst misst Wissenschaft hohe Bedeutung zu
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„Die Lehren der Kirche zu den säkularen Angelegenheiten sind größeren und neuen Entwicklungen unterworfen und mögen Diskussionsgegenstand sein; wir können jedoch nicht vermeiden, konkret zu sein – ohne zu beanspruchen, in die Details zu gehen –, damit die großen sozialen Grundsätze nicht bloße allgemeine Hinweise bleiben, die niemanden unmittelbar angehen.“ (EG Nr. 182)
„In Bezug auf viele konkrete Fragen ist es nicht Sache der Kirche, endgültige Vorschläge zu unterbreiten, und sie versteht, dass sie zuhören und die ehrliche Debatte zwischen den Wissenschaftlern fördern muss, indem sie die Unterschiedlichkeit der Meinungen respektiert.“(Laudato Si Nr. 60)