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AgrArforschung schweiz
M ä r z 2 0 1 0 | H e f t 3
Nutztiere Einfluss des Einstallalters auf die Gesundheit von Mastkälbern Seite 92
Agrarwirtschaft Simulation zukünftiger Betriebsgrössenstrukturen Seite 102
Umwelt Beurteilung der Transferrisiken von Pestiziden durch Oberflächenabfluss Seite 110
Ag
rosc
op
e |
BLW
| S
HL
| A
GR
IDE
A |
ETH
Zü
rich
91 Editorial
Nutztiere
92 Einfluss des Einstallalters auf die Gesundheit von Mastkälbern
Michel Rérat
Nutztiere
96 Lärm und Vibrationen im Melkstand – Auswirkungen auf das Tier Maren Kauke und Pascal Savary
Agrarwirtschaft
102 Simulation zukünftiger Betriebsgrössenstrukturen
Christian Flury, Beat Meier
und Gianluca Giuliani
Umwelt
110 Beurteilung der Transferrisiken von Pestiziden durch Oberflächenabfluss
Dorothea Noll, Nathalie Dakhel
und Stéphane Burgos
Sortenlisten
Beilage Liste der empfohlenen Maissorten für die Ernte 2010
Jürg Hiltbrunner, Ulrich Buchmann, Alice Baux,
Jean-François Collaud und Mario Bertossa
118 Porträt
119 Aktuell
123 Veranstaltungen
InhaltMärz 2010 | Heft 3
Gesundheit und Haltung von Kühen und Kälbern sind wichtige Arbeitsgebiete von Agroscope.Im vorliegenden Heft präsentieren zwei Artikel Forschungsresultate zu Tierhaltung und Tiergesundheit: Einfluss des Einstallalters auf die Gesundheit von Mastkälbern und die Auswirkungen von Lärm und Vibrationen im Melkstand auf Milchkühe. (Foto: Olivier Bloch, ALP)
ImpressumAgrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse ist die Zeitschrift der landwirtschaftlichen Forschung von Agroscope und ihren Partnern. Die Zeitschrift erscheint auf Deutsch und Französisch. Sie richtet sich an Fachpersonen aus Forschung, Industrie, Lehre, Beratung und Politik, an kantonale und eidgenös sische Ämter und weitere Fachinteressierte.
HerausgeberinAgroscope
Partnerb Agroscope (Forschungsanstalten Agroscope Changins-Wädenswil
ACW; Agroscope Liebefeld-Posieux ALP und Schweizerisches Nationalgestüt SNG; Agroscope Reckenholz-Tänikon ART)
b Bundesamt für Landwirtschaft BLW, Bernb Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft SHL, Zollikofenb Beratungszentralen AGRIDEA, Lindau und Lausanne b Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich,
Departement Agrar- und Lebensmittelwissenschaften
Redaktion Andrea Leuenberger-Minger, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agro nomique Suisse, Forschungs anstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP, Postfach 64, 1725 Posieux, Tel. +41 26 407 72 21, Fax +41 26 407 73 00, E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch
Judith Auer, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse, Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW, Postfach 1012, 1260 Nyon 1, E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch
Redaktionsteam Vorsitz: Jean-Philippe Mayor (Direktor ACW), Eliane Rohrer (ACW), Gerhard Mangold (ALP und SNG), Etel Keller-Doroszlai (ART), Karin Bovigny-Ackermann (BLW), Beat Huber-Eicher (SHL), Philippe Droz (AGRIDEA), Jörg Beck (ETH Zürich).
AbonnementPreiseZeitschrift: CHF 61.–* (Ausland + CHF 20.– Portokosten),inkl. MWSt. und Versandkosten, Online: CHF 61.–** reduzierter Tarif siehe: www.agrarforschungschweiz.ch oder info@agrarforschungschweiz.ch
AdresseNicole Boschung, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse, Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP, Postfach 64, 1725 Posieux, Tel. +41 26 407 72 21, Fax +41 26 407 73 00, E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch
Internet www.agrarforschungschweiz.chwww.rechercheagronomiquesuisse.ch
ISSN infosISSN 1663-7852 (Print)ISSN 1663-7909 (Internet)Schlüsseltitel: Agrarforschung SchweizAbgekürzter Schlüsseltitel: Agrarforsch. Schweiz
© Copyright Agroscope. Nachdruck von Artikeln gestattet, bei Quellenangabe und Zustellung eines Belegexemplars an die Redaktion.
Berner FachhochschuleHaute école spécialisée bernoiseSchweizerische Hochschulefür Landwirtschaft SHLHaute école suisse d’agronomie HESA
Agroscope
Liebe Leserin, lieber Leser
Das Ende des ersten Jahrzehnts des einundzwanzigsten Jahrhunderts war
geprägt durch zwei gewichtige Weltkonferenzen: Die Welternährungskon-
ferenz in Rom im November 2009 und die Weltklimakonferenz in Kopenha-
gen im Dezember 2009. Beide wurden in der Presse stark kritisiert und deren
Nützlichkeit in Frage gestellt, denn die Schlussdeklarationen beider Mam-
mutanlässe fielen bescheiden aus und sie werden wenig oder zuwenig zu
einer umgehenden Lösung oder Linderung der Ernährungs- und Klimapro-
bleme beitragen.
Dennoch gibt es zu den Themen beider Konferenzen eine Reihe von As-
pekten, die für die schweizerische Land- und Ernährungswirtschaft von Be-
deutung sind und besonders für Bildungs- und Forschungsinstitutionen neue,
grosse und weitreichende Herausforderungen und Chancen beinhalten.
In beiden Weltkonferenzen war unbestritten, dass es sowohl für Hunger-
bekämpfung und Ernährungssicherheit, als auch für die Einschränkung der
Klimaerwärmung, keine einfachen Rezepte gibt. Um diese Probleme zu lösen,
braucht es ganzheitliche Ansätze, die der Nachhaltigkeit verpflichtet sind.
Um den steigenden Bedarf an Nahrungsmitteln und insbesondere die
überproportionale Nachfragesteigerung nach Lebensmitteln tierischer Her-
kunft zu befriedigen, sind Innovationen gefragt und es braucht die nachhal-
tige Intensivierung heutiger Produktionssysteme. Bei den Intensivierungs-
szenarien müssen die Reduktion der Treibhausgase aus der Pflanzen- und
Tierproduktion sowie die Reduktion anderer Emissionen im Vordergrund
stehen. Das Potential dieser Optimierungen, gerade in den gemischten
Ackerbau – Viehhaltungssystemen wie sie in der Schweiz vorherrschen, ist
noch lange nicht ausgeschöpft.
Die Schweiz ist mit ihrem dichten und kompetenten Netzwerk von For-
schungs-, Bildungs- und Beratungsinstitutionen in der Land- und Lebensmit-
telwirtschaft gut positioniert, um hier sowohl national als auch internatio-
nal einen wichtigen Beitrag zu leisten.
Ein Beleg dafür ist der Beitritt der Schweiz zur «Globalen Allianz zur Re-
duktion der Treibhausgase aus der Landwirtschaft». Auch das Engagement
des Bundesamts für Landwirtschaft, zusammen mit der FAO in ausgewähl-
ten Ländern des Südens und des Ostens die Milchwirtschaft in enger Zusam-
menarbeit mit den nationalen Regierungsstellen und der Privatwirtschaft
nachhaltig zu entwickeln, darf als positives Zeichen gewertet werden. Beide
Verpflichtungen verlangen nach viel Schweizer Know-how und Erfahrung.
Last but not least ist zu hoffen, dass die globalen Programme der Direktion
für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in den Bereichen Ernährungs-
sicherheit, Klimawandel und Wasser, eng mit den schweizerischen Kompe-
tenzzentren zusammenarbeiten werden.
Herausforderungen und Chancen für das zweite Jahrzehnt
Fritz Schneider Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft SHL
Editorial
91Agrarforschung Schweiz 1 (3): 91, 2010
E i n l e i t u n g
Bei frisch eingestallten Mastkälbern sind Lungenent-
zündungen die häufigste Krankheit. Stress und schlech-
te Transportbedingungen auf dem Weg vom Aufzucht-
betrieb zum Mastbetrieb schwächen die Abwehrmecha-
nismen des jungen Kalbes. Zudem erhöht die Gruppie-
rung von Tieren unterschiedlicher Herkunft den Infekti-
onsdruck. Diese Faktoren sind für das häufige Auftreten
von Respirationserkrankungen bei Ein stallkälbern ver-
antwortlich.
Zwischen der zweiten und sechsten Lebenswoche
verändert sich der Immunstatus von wachsenden Käl-
bern. Die Aufnahme von Immunglobulinen über die Ko-
lostralmilch während der ersten Stunden nach dem Ab-
kalben sorgt für die passive Immunität, welche sukzessi-
ve durch die aktive Produktion von Immunglobulinen
ersetzt wird (Hassig 2007). Die Tatsache, dass Mastkälber
während dieser Umstellungsphase transportiert und
umgruppiert werden, könnte dazu beitragen, die Pneu-
monieinzidenz zu erhöhen.
Die Ausgangshypothese des vorliegenden Versuches
war, dass sich die Einstallung von Mastkälbern zum Zeit-
punkt des Überganges von der passiven zur aktiven Im-
munität negativ auf die Immunabwehr und den Ge-
sundheitsstatus bei Mastbeginn auswirkt.
M a t e r i a l u n d M e t h o d e n
Neunzig männliche Rotfleckviehkälber wurden inner-
halb von vier Tagen von den 73 Aufzuchtbetrieben zum
Versuchsmaststall transportiert. Informationen über die
vorherigen Behandlungen wurden gesammelt. 30 Käl-
ber waren zwischen zwei und vier Wochen alt (Gruppe
A2 – 4), 30 zwischen fünf und sieben Wochen (A5 – 7) und 30
zwischen acht und zehn Wochen (Gruppe A8 – 10). Die Ver-
suchsperiode begann am Einstalltag und dauerte neun
Wochen. Die drei Versuchsgruppen wurden in getrenn-
ten, mit Stroh eingestreuten Ställen eingestallt; der Be-
tonboden im Fressbereich war nicht eingestreut. Es gab
keinen Freiluftauslauf und keinen direkten Kontakt mit
anderen Tieren des Versuchsbetriebes. Jede Stalleinheit
war mit der gleichen mechanischen Lüftung ausgestat-
Einfluss des Einstallalters auf die Gesundheit von MastkälbernMichel Rérat, Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP, 1725 Posieux
Auskünfte: Michel Rérat, E-Mail: michel.rerat@alp.admin.ch, Tel. +41 26 407 73 91
N u t z t i e r e
Je früher die Krankheitsanzeichen diagnostiziert und entsprechend behandelt werden, desto besser sprechen die Tiere auf die Behandlung an. (Foto: ALP)
92 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 92–95, 2010
In der Schweiz erfolgt die Einstallung von
Mastkälbern im Alter von vier bis sieben
Wochen und findet somit in der Übergangs-
phase von der passiven zur aktiven
Immunität statt. In einem Versuch wurde
der Einfluss unterschiedlicher Einstallalter
auf die Gesundheit von Mastkälbern
untersucht. Drei Gruppen von 30 Kälbern
im Alter von zwei bis vier, von fünf bis
sieben und von acht bis zehn Wochen
wurden gleichzeitig eingestallt. Die
klinischen Befunde und die Pneumonie-
inzidenz wurden durch die unterschiedlichen
Einstallalter nicht beeinflusst. Anzahl,
Dauer und Erfolgsrate der antibiotischen
Behandlungen waren in den drei Gruppen
gleich. Die Einstallung von Mastkälbern
hatte während der Phase der Immunitäts-
umstellung keinen negativen Einfluss auf
die Gesundheit.
Einfluss des Einstallalters auf die Gesundheit von Mastkälbern | Nutztiere
tet. Der Fütterungsplan richtete sich nach dem Durch-
schnittsgewicht der Gruppe (Tab. 1). Die Mastration auf
der Basis von Vollmilch wurde ad libitum vorgelegt.
Der Gesundheitszustand wurde am Einstalltag und
anschliessend wöchentlich erfasst. Alle Kälber mit
Krank heitsverdacht wurden zusätzlich untersucht.
Wenn ein Tier mindestens an einem Allgemeinsymptom
(Fressunlust, Fieber) und an einem respiratorischen
Symp tom (pumpende Atmung, erhöhte Atemfrequenz,
Nasen- oder Augenausfluss, Husten, anormale Atemge-
räusche) litt, wurde es als krank diagnostiziert und mit
Antibiotika behandelt.
Zur Bestimmung des Immunglobulingehaltes (IgG)
wurde am Einstalltag und am Tag 7, 21, 35 und 49 bei
allen Kälbern eine Blutprobe entnommen.
R e s u l t a t e u n d D i s k u s s i o n
Einfluss des Einstallalters auf den Gesundheitszustand
Wie aus der identischen Anzahl Antibiotikabehandlun-
gen im Aufzuchtbetrieb (0,2 ± 0,1, 0,4 ± 0,1, und 0,5 ± 0,1
Behandlungen pro Kalb in den Gruppen A2 – 4, A5 – 7 und
A8 – 10; P = 0,08) und ähnlich hoher Pneumoniehäufigkeit
am Einstalltag ersichtlich ist (Abb. 1), ist der anfängliche
Gesundheitszustand in den Versuchsgruppen A2 – 4, A5 – 7
und A8 – 10 als gleich zu werten. Während der ersten
Mastwoche war die Häufigkeit von Respirationserkran-
kungen in der Gruppe A2 – 4 tiefer als in der Gruppe A8 – 10.
In der achten Woche überstieg die Anzahl respiratori-
scher Befunde in der Gruppe A2 – 4 die der zwei andern
Versuchsgruppen. Diese Beobachtungen weisen auf
eine Altersabhängigkeit der Pneumonieinzidenz hin.
Phillippo et al. (1987) haben beobachtet, dass 10 % der
Pneumoniefälle vor dem 51. Lebenstag auftreten. In
83 % der Fälle erkrankten die Kälber zwischen dem 51.
bis 130. Tag. Hauptsymptome, die bei Respirationser-
krankungen beobachtet wurden, waren eine Rektal-
temperatur von über 39,6°C, deutliche Lungengeräu-
sche beim Abhören mit dem Stethoskop sowie Nasen-
ausfluss (bei 99 %, 99 % resp. 60 % der kranken Tiere).
Die totale Anzahl Antibiotikabehandlungen, die mittle-
re Behandlungsdauer und die Erfolgsrate unterschieden
sich in den drei Versuchsgruppen nicht. Somit konnte in
93Agrarforschung Schweiz 1 (3): 92–95, 2010
Zusa
mm
enfa
ssu
ng
Tab. 1 | Tränkeplan und Futterzusammensetzung
1 fs: frischsubstanz
Durchschnittsgewicht der Gruppe, kg Anteil Vollmilch in der Flüssigration, in %
Milchpulver, g / kg Flüssigfutter Trockensubstanz, g / kg
60 – 79 100 – 130
80 – 109 90 14 – 25 131 – 142
110 – 139 80 46 – 56 150 – 160
140 – 199 70 76 – 99 167 – 190
> 200 70 109 200
Zusammensetzung Vollmilch Milchpulver
Trockensubstanz, g / kg FS1 130,3 967,1
Bruttoenergie, MJ / kg TS 28,3 21,1
Rohprotein, g / kg TS 257,3 196,1
Rohfett, g / kg TS 285,3 229,1
Rohasche, g / kg TS 54,7 76,0
Eisen, mg / kg TS < 6,3 31,5
94 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 92–95, 2010
Nutztiere | Einfluss des Einstallalters auf die Gesundheit von Mastkälbern
diesem Versuch kein Einfluss des Einstallalters auf den
Gesundheitsstatus der Kälber nachgewiesen werden.
Einfluss des Einstallalters auf den Immunstatus
Bei der Einstallung wiesen die drei Versuchsgruppen
vergleichbare IgG-Konzentrationen auf, die in den fol-
genden 21 Tagen in den Gruppen A2 – 4 und A5 – 7 rasch
abfielen, während in der Gruppe A8 – 10 nur in den ersten
7 Tagen ein Rückgang zu verzeichnen war (Abb. 2). Der
in allen Versuchsgruppen beobachtete IgG-Konzentrati-
onsabfall kann der hohen Inzidenz an Respirationser-
krankungen während der ersten Wochen nach dem Ein-
stallen zugeschrieben werden, da IgG bei Entzündungs-
prozessen eine wichtige Funktion ausübt.
Die IgG-Konzentration im Blut ist im untersuchten
Altersabschnitt der Kälber noch stark von der kolostra-
len IgG-Aufnahme in den ersten Stunden nach der Ge-
burt beeinflusst. Im vorliegenden Versuch konnte die
Menge und Qualität der Kolostralaufnahme der neuge-
borenen Kälber nicht erfasst werden. IgG-Konzentrati-
onsunterschiede zwischen den Versuchsgruppen sind
demzufolge mit grosser Vorsicht zu interpretieren. Al-
lerdings sind selbst bei vergleichbarer Kolostrummenge
und –qualität grosse Streuungen im Gehalt an materna-
len IgG im Blut aufgetreten (Erhard et al. 1999).
S c h l u s s f o l g e r u n g e n
• Das Einstallalter von Mastkälbern hat im
vorliegenden Versuch die klinischen Befunde
und die Pneumonieinzidenz nicht beeinflusst.
• Eine gewisse Abhängigkeit zwischen dem
Lebens alter und dem Auftreten respiratorischer
Symptome konnte beobachtet werden, vorab
in der Gruppe A2 – 4.
• Die Einstallung junger Kälber in einem Alters-
abschnitt, der mit der Immunitätsumstellung
zusammenfällt, hatte keine negativen Auswirkungen
auf den Gesundheitszustand. n
14
12
10
8
6
4
2
0Einstallung
Gruppe A2–4
lgG
, g/L
Versuchswoche
1
a a
b
b b
a
3 5 7
Gruppe A5–7Gruppe A8–10
Abb. 2 | IgG-Konzentration im Blut während der 49 ersten Tage nach der Einstallung im Maststall. Die Angaben stellen Gruppenmittelwerte dar; n = 30 für Gruppe A2 – 4, A5 – 7, und A8 – 10. Statistisch signifikante Unterschiede sind durch unterschiedliche Buchstaben zwischen den Gruppen einer gleichen Woche gekennzeichnet (P < 0,05).
Abb. 1 | Häufigkeit von Pneumonien (in Prozent). Die Angaben stellen Gruppenmittelwerte dar; n = 30 für Gruppe A2 – 4, A5 – 7, und A8 – 10. Statistisch signifikante Unterschiede sind durch unterschiedliche Buchstaben zwischen den Gruppen einer gleichen Woche gekennzeichnet (P < 0,05).
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0Ein-
stallung
Gruppe A2–4
Pneu
mon
iehä
ufig
keit
, %
Versuchswoche
1
b
b
b
a
a
ab
3 52 4 6 7 8 9
Gruppe A5–7Gruppe A8–10
Einfluss des Einstallalters auf die Gesundheit von Mastkälbern | Nutztiere
95Agrarforschung Schweiz 1 (3): 92–95, 2010
Ria
ssu
nto
Sum
mar
y
Literaturb Erhard M.H., Amon P., Nüske S. & Stangassinger M., 1999.
Studies on the systemic availability of maternal and endogenously produced immunoglobulin G1 and G2 in newborn calves by using newly developed ELISA systems. J. Anim. Physiol. Anim. Nutr. 81, 239 – 248.
b Hassig M., Stadler T. & Lutz H., 2007. Transition from maternal to endogenous antibodies in newborn calves. Vet. Rec. 160, 234 – 235.
b Phillippo M., Arthur J.R., Price J. & Halliday G.J., 1987. The effects of selenium, housing and management on the incidence of pneumonia in housed calves. Vet. Rec. 121, 509 – 512.
Entry age of veal calves in a fattening
unit and health status
In Switzerland, the entry of veal calves
in the fattening unit at the age of 4 – 7
weeks coincides with the transition
from passive to active immunity. The
main objective of this study was to
determine the effect of the entry age
in the fattening unit on the health
status of veal calves. Three groups of
30 calves ranging from 2 to 4, 5 to 7
and 8 to 10 weeks of age were simul-
taneously brought to the fattening
unit. The age of entry influenced
neither clinical symptoms nor respira-
tory disorders incidence. The number,
duration, and success rate of the
antibiotic treatments were similar in
the three groups. In conclusion, the
arrival of veal calves in the fattening
unit during the period of immune
transition did not have any negative
influence on their health status.
Key words: bovine respiratory disease,
calf, immunoglobulin G.
Età d’inserimento nel gruppo e stato
di salute dei vitelli da ingrasso
In Svizzera, l’inserimento nel gruppo
di vitelli di età compresa tra le quattro
e le sette settimane coincide con il loro
periodo di transizione, dall’immunità
passiva a quella attiva. E’ stato condot-
to un esperimento per valutare
l’influenza dell’inserimento nel gruppo
a diverse età sullo stato di salute dei
vitelli. Tre gruppi di trenta vitelli, di età
compresa tra due e quattro, cinque e
sette e otto e dieci settimane, sono
stati collocati contemporaneamente
nella stalla d'ingrasso. L’età dei vitelli,
al momento del collocamento nel
gruppo, non ha influito sul loro stato
clinico e sull’incidenza di polmonite.
Il numero totale, la durata media e il
tasso di successo dei trattamenti
antibiotici è risultato simile nei tre
gruppi. L’inserimento nel gruppo di
giovani vitelli durante il periodo di
transizione immunitaria non ha avuto
alcuna conseguenza negativa sul loro
stato di salute.
E i n l e i t u n g
Auch bei modernen und normgerecht installierten
Melkanlagen können Probleme in den verschiedensten
Bereichen des Melkablaufs auftreten. So betreten die
Kühe den Melkstand nicht freiwillig, sie sind unruhig
und koten und harnen vermehrt. Gleichzeitig verändert
sich das Melkverhalten und die Eutergesundheit ver-
schlechtert sich. Nosal et al. (2004) zeigten, dass Luft-
schall (Lärm) und Körperschall (Vibrationen) Ursache
dieser Probleme sein können. In ihren Untersuchungen
wurde auf Betrieben, die hinsichtlich der Eutergesund-
heit als «gut» eingestuft wurden, Lärm bis 70 dB(A) und
Vibrationen zwischen 0,1 und 0,2 m/s2 gemessen. Prob-
lembetriebe wiesen hingegen Lärmwerte von mehr als
70 dB(A) und Vibrationen von über 0,3 m/s2 auf. Zudem
wurde festgestellt, dass die Betriebe mit weniger
als 200 000 Zellen/ml eine Lärmintensität von unter
70 dB(A) und Vibrationen unter 0,3 m/s2 aufweisen. Die
Ursachen von Lärm und Vibrationen liegen in erster
Linie bei der Konstruktion und Montage der einzelnen
funktionellen Teile der Melkanlage wie Vakuumpumpe,
Regelventil, Pulsatoren, Leitungssystem und Milchpum-
pe. Je nach Konstruktion und Montage dieser funktio-
nellen Teile können erhebliche Vakuumschwankungen
in den Luft- und Milchleitungen auftreten, die wieder-
um Lärm und Vibrationen erzeugen. Zudem können
bauliche Gegebenheiten den Lärmpegel beeinflussen.
Durch entsprechende Installationsänderungen der
Melkanlage können Lärm und Vibrationen auf unter 70
Lärm und Vibrationen im Melkstand – Auswirkungen auf das Tier Maren Kauke und Pascal Savary, Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 8356 Ettenhausen
Auskünfte: Maren Kauke, E-Mail: maren.kauke@art.admin.ch, Tel. +41 52 368 31 31
N u t z t i e r e
Ruhige Atmosphäre beim Melken. (Foto: Robert Meier, ART)
96 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 96–101, 2010
Ziel der vorliegenden Untersuchung war
es, anhand geeigneter ethologischer und
physiologischer Parameter das Ausmass
der Belastung von Lärm und Vibrationen
auf das Tier zu erfassen. In einem Auto-
tandem-Melkstand wurden mittels spezieller
Lautsprechersysteme verschiedene Lärm-
und Vibrationsintensi täten erzeugt (Variante
A: 70 dB(A) / 0,5 m/s2; Variante B: 80 dB(A) /
0 m/s2; Variante C: 80 dB(A) / 0,5 m/s2;
Variante 0: 70 dB(A) / 0 m/s2) wobei die
Varianten A, B und C während jeweils
während drei Wochen durchgeführt wurden.
Variante 0 fungierte als Kontrollvariante und
wurde jeweils im Anschluss an die Varianten
A, B und C untersucht. Die Datenerhebung
umfasste Verhaltensparameter, die Herz-
frequenz während des Melkens sowie die
Eutergesundheit. Sowohl Lärm (Variante A)
und Vibrationen (Variante B) als auch die
Kombination davon (Variante C) führten zu
einem signifikanten Anstieg der Anzahl Tiere
mit eingeklemmtem Schwanz. Variante C
führte zudem zu einem tenden ziell häufige-
ren Auftreten von Koten und Harnen wäh-
rend des Aufenthalts im Melkstand. Auch die
Herzfrequenz war in Variante C signifikant
höher als während Variante 0. Bezüglich der
Eutergesundheit konnten keine Unterschiede
festgestellt werden. Die Ergebnisse lassen
zwar darauf schliessen, dass Kühe durch
Lärm und Vibrationen beeinträchtigt werden
können, die beobachteten Unterschiede
zwischen den Versuchs- und Kontrollvarian-
ten waren jedoch in ihrer absoluten Grösse
so gering, dass nicht auf eine Einschränkung
des Wohlbefindens der Tiere geschlossen
werden kann.
Lärm und Vibrationen im Melkstand – Auswirkungen auf das Tier | Nutztiere
dB(A) beziehungsweise 0,1 m/s2 reduziert werden. Gy-
gax et al. (2006) stellten eine signifikante Abnahme der
Zellzahl nach der Reduktion von Vibrationen durch eine
Sanierung der Melkanlage fest.
Während im humanen Bereich Grenzwerte für Lärm
und Vibrationen bestehen, fehlen für den Nutztierbe-
reich diesbezügliche Angaben. Ziel dieses Projektes war
es, anhand geeigneter ethologischer und physiologi-
scher Parameter das Ausmass der Belastung von Lärm
und Vibrationen auf das Tier zu erfassen.
T i e r e , M a t e r i a l u n d M e t h o d e
Haltungssystem und Versuchsplanung
Die Untersuchung fand zwischen November 2004 und
Mai 2005 auf dem Versuchsbetrieb der Forschungsanstalt
Agroscope Reckenholz-Tänikon ART statt. Untersucht
wurden zehn Kühe der Rasse «Brown Swiss» und fünf
«Schweizer-Fleckvieh-Kühe». Vier der Focustiere befan-
den sich in der ersten Laktation, die übrigen elf in den
Laktationen zwei bis acht. Ein Autotandem-Melkstand
der Firma GEA Westfalia-Surge (2 × 3 Plätze, Melkva-
kuum: 42 kPa) wurde mit über spezielle Lautsprecher-
systeme erzeugten definierten Luft- und Körperschall-
inten sitäten gleichmässig beschallt (Variante A: 70 dB(A) /
0,5 m/s2; Variante B: 80 dB(A) / 0 m/s2; Variante C: 80 dB(A)
/ 0,5 m/s2; Variante 0: 70 dB(A) / 0 m/s2). Jede Variante A, B
und C wurde während drei Wochen untersucht, wobei
die Variante 0 (Ist-Zustand) als Kontrollvariante diente
und jeweils im Anschluss an Variante A, B und C folgte.
Die Untersuchung wurde in drei Versuchsphasen (I, II und
III) unterteilt. In den Phasen I und II lagen die mittleren
Aussentemperaturen zwischen –1 und 2 °C, in der Phase
III zwischen 11 und 15 °C.
Erhebungsmethoden
Das Verhalten während des gesamten Melkens wurde
mittels Direktbeobachtungen erfasst. Die Beobachtun-
gen fanden an zwei Tagen während insgesamt vier
Melkzeiten pro Versuchswoche statt, wobei das Verhal-
ten der Fokustiere jeweils einmal morgens und einmal
abends erfasst wurde. Als Parameter für das Vorhanden-
sein einer Belastungssituation wurden das unfreiwillige
Betreten des Melkstands, das Einklemmen des Schwan-
zes zwischen den Hinterbeinen, das Schlagen in Rich-
tung des Melkzeugs sowie Koten und Harnen während
des Aufenthalts im Melkstand definiert. Die Auswer-
tung erfolgte entsprechend dem Anteil Kühe, der den
jeweiligen Verhaltensparameter anzeigte. Zudem wur-
de die Häufigkeit der «Trippelphasen» während des
Melkens ermittelt. Die Herzfrequenz wurde während
zehn Melkzeiten pro Woche mit Herzfrequenzmessge-
97Agrarforschung Schweiz 1 (3): 96–101, 2010
Zusa
mm
enfa
ssu
ng
räten der Marke Polar S810i gemessen, die in speziell
angefertigten Bauchgurten integriert waren. Ausge-
wertet wurden jeweils die Mittelwerte aus fünf Minu-
ten der Herzfrequenz von 15, zehn und fünf Minuten vor
(VMZ), während des Melkens sowie fünf, zehn und 15
Minuten nach dem Melken (NMZ). Bei Melkzeiten über
fünf Minuten wurden jeweils die ersten und die letzten
fünf Minuten betrachtet (Melken 1 und 2), wobei es bei
Zeiten unter zehn Minuten Überschneidungen gab.
Parameter für die Eutergesundheit war der somati-
sche Zellzahlgehalt. Einmal pro Woche wurden von jedem
98 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 96–101, 2010
Nutztiere | Lärm und Vibrationen im Melkstand – Auswirkungen auf das Tier
Tab. 1 | Mittelwerte (über alle Melkzeiten und / oder Tiere) und Standardfehler der untersuchten Parameter des Verhal-tens (Anteil Tiere in % und / oder Anzahl Phasen) in Abhängigkeit von den verschiedenen Varianten und Versuchsphasen
Verhaltensparameter Phase
I II III
Variante A 70 dB(A) 0,5 m/s2
Variante 0 70 dB(A) 0,0 m/s2
Variante B 80 dB(A) 0,0 m/s2
Variante 0 70 dB(A) 0,0 m/s2
Variante C 80 dB(A) 0,5 m/s2
Variante 0 70 dB(A) 0,0 m/s2
Unfreiwilliges Betreten (%) 16,9 (± 5,6) 30,0 (± 5,4) 25,8 (± 3,0) 20,0 (± 4,9) 28,9 (± 4,8) 28,9 (± 4,4)
Schlagen (%) 17,1 (± 2,9) 31,1 (± 3,3) 27,8 (± 2,9) 23,3 (± 2,3) 10,0 (± 3,8) 10,0 (± 1,5)
Eingeklemmter Schwanz (%) 45,2 (± 11,9) 31,1 (± 4,4) 17,6 (± 2,7) 4,4 (± 1,4) 8,9 (± 3,3) 0,0 (± 0,0)
Koten und Harnen (%) 20,5 (± 6,2) 27,8 (± 6,8) 19,4 (± 4,7) 13,3 (± 1,7) 16,7 (± 3,3) 7,8 (± 2,0)
Trippelphasen (n) 5,2 (± 0,9) 5,7 (± 0,5) 4,9 (± 0,4) 4,3 (± 0,3) 3,2 (± 0,3) 2,9 (± 0,2)
Tier Milchproben des Gesamtgemelks entnommen und
durch den Schweizer Braunviehzuchtverband analysiert.
Statistische Auswertungen
Die statistische Auswertung der Daten erfolgte mit ge-
neralisierten linearen gemischte Effekte Modellen (Me-
thode lme, Pinheiro & Bates, 2000 oder Methode glmm-
PQL, Venables & Ripley, 2002) in R 1.9.1 (R Development
Core Team, 2004). Erklärende Variablen waren die ver-
schiedenen Varianten (0, A, B und C), die Zeitpunkte vor,
während und nach dem Melken, die Melkzeiten (mor-
gens und abends) sowie die Versuchsphasen. Zufällige
Effekte waren das Tier (Herzfrequenz, Trippelphasen)
beziehungsweise die Melkzeiten (Unfreiwilliges Betre-
ten, Schlagen, eingeklemmter Schwanz, Koten und Har-
nen), geschachtelt in den Experimentalsituationen, wel-
che wiederum in den Versuchsphasen hierarchisch ge-
schachtelt wurden. Zur Überprüfung der Modellannah-
men wurde eine graphische Residuenanalyse durchge-
führt. Damit die Annahmen der statistischen Modelle
erfüllt wurden, mussten die untersuchten Parameter
teilweise logtransformiert (Trippelphasen und Koten
und Harnen) oder arcus sinus-transformiert (unfreiwilli-
ges Betreten) werden.
R e s u l t a t e
Verhaltensparameter
Der Anteil Kühe, die den Melkstand nicht freiwillig be-
treten haben, war bei Variante A mit Vibrationen von
0,5 m/s2 niedriger als bei Kontrollvariante 0 (Tab. 1), al-
lerdings ist dieser Unterschied nicht signifikant. Auch
zwischen den Varianten B und C mit den jeweiligen Kon-
trollvarianten konnte kein signifikanter Unterschied
festgestellt werden (F1,13 = 1,27; p = 0,281). Bezüglich des
Anteils an Kühen, die mindestens einmal während einer
Melkung geschlagen haben, wurde zwischen den Vari-
anten A, B und C mit den Kontrollvarianten ein statis-
tisch gesicherter Interaktionseffekt mit den Versuchs-
phasen (F2,11 = 6,25; p = 0,015) erfasst. In Phase III konnte
zwischen der Variante C und der Kontrollvariante kein
Unterschied festgestellt werden. Während in Variante B
ein erhöhter Anteil an Kühen den Parameter «Schlagen»
zeigte, trat dieses Verhalten während Variante A im Ver-
gleich weniger häufig auf. Die Anzahl Kühe mit einge-
klemmtem Schwanz war in den Versuchsphasen II und III
signifikant niedriger als während Variante I (F1,13 = 38,04;
p < 0,001; Tab. 1). Sowohl Lärm und Vibrationen als auch
die Kombinationen aus beiden führten zu einer statis-
tisch gesicherte Erhöhung der Anzahl Tiere mit einge-
klemmtem Schwanz (F2,13 = 19,35; p < 0,001).
Kühe die bei einem Lärmpegel von 80 dB(A) gemol-
ken wurden, koteten und harnten tendenziell häufiger
als bei 70 dB(A) (F1,13 = 3,42; p = 0,087; Tab. 1). Während
Phase III koteten und harnten sie signifikant weniger als
in den Phasen I und II (F2,10 = 4,10; p = 0,050). Sowohl
Lärm als auch Vibrationen hatten keinen Einfluss auf
die Anzahl Trippelphasen (F1,44 = 0,01; p = 0,913). Wäh-
rend Phase III zeigten die Kühe dieses Verhalten jedoch
signifikant seltener als in den Phasen I und II (F2,28 = 5,93;
p = 0,007).
Herzfrequenz
Die Kühe hatten während Phase III signifikant niedri gere
Herzfrequenzen als während der Phasen I und II (F2,28 =
8,84; p < 0,001; Abb. 1). Zudem waren die Werte über den
gesamten Versuchzeitraum hinweg während der Mor-
genmelkungen niedriger als am Abend (F1,76 = 439,07; p <
0,001). In Variante C wiesen die Kühe eine signifikant hö-
here Herzfrequenz auf als bei Kontrollvariante 0 (Varian-
te x Phase: F2,42 = 8,84; p < 0,001; Abb. 1), wobei der Unter-
schied während der Melkungen am Morgen grösser war
als am Abend (Variante x Melk zeiten: F1,76 = 5,64; p =
0,020). Die Herzfrequenzen nahmen während der VMZ
kontinuierlich zu (F7,1160 = 213,18; p < 0,001). Bis zum Ende
des Melkens sanken sie leicht, stiegen jedoch nach dem
Lärm und Vibrationen im Melkstand – Auswirkungen auf das Tier | Nutztiere
99Agrarforschung Schweiz 1 (3): 96–101, 2010
Verlassen des Melkstandes wieder an. Der Unterschied
zwischen Kontroll- und Versuchsvariante war während
Phase III sowohl morgens als abends nach dem Melken
geringer als in der Zeit davor (Abb. 1).
Eutergesundheit
Die Zellzahl lag bei allen Varianten unter 60 000 /ml und
damit unter dem Grenzwert von 100 000 /ml, der als In-
dikator für gesunde Euter gilt. Ein Unterschied zwischen
den Versuchs- und Kontrollvarianten konnte nicht fest-
gestellt werden.
D i s k u s s i o n
Mit Ausnahme des unfreiwilligen Betretens des Melk-
standes war der Anteil der Tiere, die ein Verhaltensmerk-
mal zeigten, das auf eine belastende Situation schliessen
lässt, in Phase III niedriger als in den ersten beiden Ver-
suchsphasen. Damit alle Fokustiere in allen Varianten un-
tersucht werden konnten, wurden Kühe gewählt, die sich
zu Beginn der Versuche im ersten Laktationsdrittel be-
fanden. Phase III fand daher bei allen Tieren gegen Lakta-
tionsende statt. Van Reenen et al. (2002) stellten im Ge-
gensatz zur vorliegenden Untersuchung eine Zunahme
der Anzahl Trippelphasen und Schläge bis zum 130. Lak-
tationstag fest. Auch Neuffer (2006) ermittelte eine Zu-
nahme der Anzahl Trippelphasen im Verlauf der Laktati-
on. Eine niedrigere Aktivität während Phase III könnte
auf die Jahreszeit beziehungsweise auf höheren Lufttem-
peraturen zurückgeführt werden. Die Versuchsphasen I
und II wurden im Winter durchgeführt, Phase III im Früh-
ling beziehungsweise im Frühsommer.
Hinsichtlich der Häufigkeit von Schlägen während des
Melkens liegen unterschiedliche Aussagen vor. In Einzel-
boxen-Melkständen traten Schläge in Untersuchungen
von Hopster et al. (2002) überhaupt nicht und bei Wenzel
et al. (2003) nur sehr selten auf. Neuffer et al. (2004) be-
obachteten in Autotandem-Melkständen, dass 28 % der
Kühe mindestens einmal während der Melkungen ge-
schlagen haben. Nach Van Reenen et al. (2002) variiert
die Anzahl Schläge bereits innerhalb von zwei Tagen sig-
nifikant. Das Verhaltensmerkmal «Schlagen» als Parame-
ter für eine belastende Melksituation ist aufgrund dieser
widersprüchlichen Aussagen ungeeignet.
Der Anteil Kühe mit eingeklemmtem Schwanz war
während der Versuchsvarianten A, B und C signifikant
höher als bei den jeweiligen Kontrollvarianten 0. Syste-
matische Untersuchungen bezüglich dieses Merkmals in
Zusammenhang mit Stress bei Kühen in Melkständen
wurden bislang nicht durchgeführt.
Hagen et al. (2004) stellten in einem Fischgrätemelk-
stand bei 7,5 % der Melkungen Harnen fest. Koten wur-
de nur bei einer einzigen Melkung beobachtet. In der
vorliegenden Untersuchung zeigen die Kühe beide Pa-
90
85
80
75
70
65
60
55
VMZ
15
VMZ
10
VMZ
15
Mel
ken
11
Mel
ken
12
NM
Z 15
NM
Z 10
NM
Z 15
Variante 0, morgens
Variante A, B, C, morgens
Variante 0, abends
Variante A, B, C, abends
Her
zfre
quen
z (S
chlä
ge/m
in)
Phase I
VMZ
15
VMZ
10
VMZ
15
Mel
ken
11
Mel
ken
12
NM
Z 15
NM
Z 10
NM
Z 15
Phase II
VMZ
15
VMZ
10
VMZ
15
Mel
ken
11
Mel
ken
12
NM
Z 15
NM
Z 10
NM
Z 15
Phase III
Abb. 1 | Herzfrequenz in Abhängigkeit von den verschiedenen Varianten und Phasen vor, während und nach den Melkungen, jeweils morgens und abends.
100 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 96–101, 2010
Nutztiere | Lärm und Vibrationen im Melkstand – Auswirkungen auf das Tier
rameter häufiger; insbesondere bei den Varianten B
und C mit einem Lärmpegel von 80 dB(A) ist ein Anstieg
im Vergleich zu den Kontrollevarianten feststellbar.
Das Niveau der Herzfrequenz war während Phase III
deutlich tiefer als in den Phasen I und II. Dies könnte auf
die höheren Temperaturen während Phase III zurückzu-
führen sein, da gemäss Bayer (1979) und Miescke et al.
(1978) die Herzfrequenz mit zunehmenden Temperatu-
ren sinkt.
Bei einem Lärmpegel von 80 dB(A) (Variante B) ist –
verglichen mit der Kontrollvariante 0 – hinsichtlich der
Herzfrequenz kein Unterschied erkennbar. Arnold et al.
(2007) stellten zwar eine erhöhte Herzfrequenz bei ei-
nem Lärmpegel einer Melkanlage von 85 dB(A) fest, al-
lerdings nur am ersten Tag der Versuchsphase – danach
stellte sich ein Gewöhnungseffekt ein. Auch bei einer
Vibrationsintensität von 0,5 m/s2 (Variante A) zeigten
die Tiere keinen Unterschied im Vergleich zur Kontroll-
variante. Hingegen wurde bei der Kombination von
Lärm und Vibrationen (Variante C) bereits 15 Minuten
vor dem Betreten des Melkstands ein Anstieg der Herz-
frequenz festgestellt, was auf eine negative Erwar-
tungshaltung der Tiere schliessen lässt. Die Unterschie-
de zwischen den Varianten C und 0 in Phase III waren im
Durchschnitt nicht höher als 6,2 Schläge/min. Hopster et
al. (1995) stellten bei der für die Kuh sehr belastenden
Trennung vom Kalb einen doppelt so hohen Anstieg der
Herzfrequenz fest. Ergebnisse von Hopster et al. (1998),
Hopster et al. (2002) und Wenzel et al. (2003) bestätigen
die vorliegenden Untersuchungen, die einen Anstieg
der Herzfrequenz vor dem Betreten des Melkstandes,
gefolgt von einer Abnahme während des Melkens zei-
gen. Die höheren Werte am Abend entsprechen zwar
den Ergebnissen von Bayer (1969), allerdings nicht de-
nen von Hagen et al. (2004) die morgens höhere Werte
gemessen haben als abends.
Eine Interpretation der im Rahmen der vorliegenden
Untersuchung ermittelten Ergebnisse gestaltet sich als
schwierig, da stellenweise keine Referenzwerte vorhan-
den sind oder ein Widerspruch zu Aussagen anderer
wissenschaftlicher Untersuchungen besteht. Zudem
sind die Unterschiede im absoluten Niveau relativ klein;
beispielsweise bedeutet ein signifikanter Anstieg von
13,2 % des Verhaltensparameters «Schwanz einklem-
men» in einer Herde von 30 Kühen lediglich eine Zunah-
me um vier Tiere.
Nach Nosal et al. (2004) beobachten Tierhaltende
nach der Umstellung auf neue Melkstände mit hohen
Lärm- und Vibrationsintensitäten häufig deutliche Ver-
änderungen im Tierverhalten sowie eine Erhöhung des
somatischen Zellgehalts der Milch. Diese Beobachtun-
gen konnten im standardisierten Versuch mit künstlich
erzeugtem Lärm beziehungsweise künstlich erzeugten
Vibrationen bei unveränderter Melkanlage nicht bestä-
tigt werden. Die von Nosal et al. (2004) beschriebenen
Probleme beim Melken sind daher primär auf die Ursa-
che von Lärm und Vibrationen zurückzuführen. Insbe-
sondere die Vakuumschwankungen in den Luft- und
Milchleitungen und als Konsequenz auch Schwankun-
gen des zitzenendigen Vakuums scheinen das Wohlbe-
finden der Tiere einzuschränken. Daher sollten sich Be-
ratungsempfehlungen auf die Beseitigung der Ursache
von Lärm und Vibrationen konzentrieren; das alleinige
Anbringen von geräusch- und vibrationsdämmenden
Materialien zur Reduktion von Lärm und Vibrationen
sind nicht unbedingt genügend im Hinblick auf die Ver-
besserung von Eutergesundheit und Kuhkomfort. n
Literaturb Arnold N. A., Ng K. T., Jongman E. C. & Hemsworth P. H., 2007. The
behavioural and physiological responses of dairy heifers to tape- recorded milking facility noise with and without a pre-treatment adaptation phase. Appl. Anim. Behav. Sci. 106, 13 – 25.
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Lärm und Vibrationen im Melkstand – Auswirkungen auf das Tier | Nutztiere
101Agrarforschung Schweiz 1 (3): 96–101, 2010
Ria
ssu
nto
Sum
mar
y
Effect of noise and vibration in milking
parlour on dairy cow
The aim of this study was to record,
through appropriate ethological and
physiological parameters, the extent of
the stress caused in animals by noise and
vibration. Various intensities of noise and
vibration were produced in an autotan-
dem milking parlour by means of special
loudspeaker systems (variant A: 70
dB(A) / 0.5 m/s2; variant B: 80 dB(A) / 0 m/
s2; variant C: 80 dB(A) / 0.5 m/s2; variant 0:
70 dB(A) / 0 m/s2), with variants A, B and C
each being implemented for three weeks.
Variant 0 functioned as a control and in
each case was achieved following variants
A, B and C. Data collection encompassed
behaviour parameters, heart rate during
milking and udder health. Both noise
(variant A) and vibration (variant B) as
well as a combination of the two (variant
C) raised significantly the number of ani-
mals which kept their tails between their
legs. Variant C also showed a tendency to
more frequent defecation and urination
during the milking parlour. The heart rate
in variant C was also significantly higher
than in variant 0. No differences were
found in respect of udder health.
Although the results lead to the conclu-
sion that cows can be adversely affected
by noise and vibration, the differences
observed between experimental and
control variants were so slight in absolute
terms that they gave no indication of
restriction in animals well-being.
Key words: milking technique, noise, vi-
bration, behaviour, heart rate.
Effetti del rumore e delle vibrazioni
sull’animale nella sala di mungitura
Lo scopo del presente studio era quello di
valutare, utilizzando parametri etologici e
fisiologici adeguati, quanto ampio sia lo
stress causato agli animali da rumori e
vibrazioni durante la mungitura. Con
l’ausilio di altoparlanti speciali sono state
prodotte diverse intensità di rumore e
vibrazioni in una sala autotandem: varian-
te A: 70 dB(A) / 0,5 m/s2; variante B: 80
dB(A) / 0 m/s2; variante C: 80 dB(A) / 0.5 m/
s2; variante 0: 70 dB(A) / 0 m/s2. Le varianti
A, B e C sono state applicate ognuna per
tre settimane. La variante 0 (controllo) è
stata applicata di volta in volta al termine
delle varianti A, B e C. Sono stati rilevati i
seguenti parametri: comportamento del
animale, frequenza cardiaca durante la
mungitura e salute della mammella. Il ru-
more (variante A), le vibrazioni (variante B)
e la combinazione di entrambi (variante C)
hanno comportato un significativo aumen-
to del numero di animali che tenevano la
coda stretta tra le gambe. Nella variante C
si è inoltre riscontrato la tendenza degli
animali a aumentare la defecazione e la
minzione durante la mungitura. Nella
variante C anche la frequenza cardiaca
risultava più elevata in modo significativo
rispetto al controllo. Per quanto concerne
la salute della mammella non è stata ri-
scontrata nessuna differenza. I risultati
mostrano che le mucche possono essere
disturbate dal rumore e da vibrazioni, ma
le differenze tra le varianti di prova ed il
testimone sono risultate talmente esigue
da non permettere di affermare che il
benessere degli animali è compromesso.
b Miescke B., Johnson E. H., Weniger J. H. & Steinhauf D., 1978.: Der Ein-fluss von Wärmebelastung auf Thermoregulation und Leistung laktieren-der Kühe. Zeitung für Tierzüchtung und Züchtungsbiologie 95, 259 – 268.
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b R Development Core Team, 2004. R: A language and environment for statistical computing. R Foundation for Statistical Computing, Vienna, [http://www.R-project.org]
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E i n l e i t u n g
Die Wettbewerbsfähigkeit des Agrarsektors hängt kos-
tenseitig stark von der Betriebsgrössenstruktur ab. Eine
Analyse der bisherigen Entwicklung zeigt, dass jährlich
rund 44 000 ha Fläche zwischen Betrieben oder Bewirt-
schaftern transferiert werden (vgl. Meier et al. 2009a).
Die Entwicklung der Betriebsgrössenstruktur verläuft
dennoch relativ langsam, weil frei werdende Flächen nur
teilweise zugunsten grösserer, kostengünstigerer Betrie-
ben verschoben werden. So steigt die mittlere Betriebs-
grösse von 2003 bis 2007 nur um 0,24 ha pro Jahr auf 17,2
ha und der Flächenanteil der Betriebe mit mindestens 30
ha erhöht sich in dieser Zeit von 31 % auf 35 %.
Die Strukturentwicklung erklärt sich über fünf Pro-
zesse: Aufgabe und Neugründung von Betrieben, Be-
triebsübergabe im Generationswechsel, Abstockung
und Aufstockung von Flächen. Zentral ist die Allokation
der frei werdenden Fläche, weil grössere Betriebe besse-
re wirtschaftliche Ergebnisse aufweisen. Auch das
Wachstum selbst wirkt sich positiv auf die Einkommens-
entwicklung der Betriebe aus. (vgl. Giuliani et al. 2009).
Die ex-post Analysen der Struktur- und Kostenentwick-
lung lassen die Folgerung zu, dass mit einer beschleu-
nigten Verschiebung von Flächen in grössere Betriebe
die Kosten gesenkt und damit die Wettbewerbsfähig-
keit gesteigert werden kann. Gleichzeitig würde sich die
Einkommenssituation der Arbeitskräfte verbessern be-
Simulation zukünftiger BetriebsgrössenstrukturenChristian Flury1, Beat Meier2 und Gianluca Giuliani1
1Flury & Giuliani GmbH, Agrar- und regionalwirtschaftliche Beratung, 8006 Zürich2bemepro, beat meier projekte, 8400 Winterthur
Auskünfte: Christian Flury, E-Mail: christian.flury@flury-giuliani.ch, Tel. +41 44 252 11 33
A g r a r w i r t s c h a f t
Effizientere Betriebsstrukturen sind auch ohne einen beschleunigten Strukturwandel erreichbar. (Foto: Gabriela Brändle, ART)
102 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 102–109, 2010
Die Entwicklung hin zu grösseren Betrieben
und kostengünstigeren Strukturen verläuft
in der Schweizer Landwirtschaft relativ
langsam. Mit einem dynamischen Simula-
tionsmodell wird untersucht, wohin eine
Extrapolation der bisherigen Entwicklung
in die Zukunft führt und wie alternative
Entwicklungspfade aussehen könnten. Die
Simulationen zeigen, dass kostengünstigere
Strukturen auch ohne häufigere altersunab-
hängige Betriebsaufgaben erreichbar sind.
Als Chancen für eine verbesserte Wettbe-
werbsfähigkeit, die sozial verträglich und
politisch realisierbar erscheint, werden die
Reduktion der Anzahl Einsteiger oder die
Entwicklung in Richtung einer dualen Agrar-
struktur erkannt. Die Nutzung dieser Poten-
ziale dürfte mit Blick auf die zukünftigen
Herausforderungen unabdingbar sein. Dazu
braucht es ein bewusstes Bekenntnis der
Agrarpolitik zu effizienteren Kostenstruktu-
ren und grösseren Betrieben.
Simulation zukünftiger Betriebsgrössenstrukturen | Agrarwirtschaft
ziehungsweise die mit einer weiteren Marktöffnung
einhergehenden Einkommensverluste könnten teilwei-
se aufgefangen werden. Mit Blick auf die zukünftigen
Herausforderungen stellt sich die Frage, wie sich die Be-
triebsgrössenstruktur bei einer Trendfortsetzung entwi-
ckelt und wie alternative Strukturentwicklungen ausse-
hen könnten.
M e t h o d e
Simulationsmodell Agrarstrukturentwicklung
Das Modell für die Abschätzung zukünftiger Betriebs-
grössenstrukturen ist ein parametrisches Simulations-
modell (vgl. Meier et al. 2009b). Die Simulation deckt die
Periode 2003 bis 2023 in Jahresschritten ab. Das Modell
wird für die Jahre 2003 bis 2007 anhand der realen Ent-
wicklung validiert. Die Simulation erfolgt auf Betriebse-
bene für eine nach Grössenklassen geschichtete Zufalls-
stichprobe von 10 % der im Jahr 2003 im Agrarinforma-
tionssystem AGIS erfassten Betriebe. Die Modellbetrie-
be werden in der Simulation über fünf hierarchisch ge-
gliederte Prozesse fortgeschrieben, wobei die Paramet-
risierung aufgrund der Beobachtungen der Periode
2003 bis 2007 erfolgt:
1. Wegfall des Betriebes: Die Wahrscheinlichkeit für
den Wegfall eines Betriebes hängt von der Betriebs-
grösse und vom Alter des Betriebsleiters ab. Mit
steigendem Alter erhöht sich die Wahrscheinlichkeit
eines Wegfalls, mit zunehmender Fläche des
Betriebes sinkt sie.
2. Neugründung von Betrieben: In der Simulation
können neue Betriebe mit einer vorgegebenen
Grössen- und Altersstruktur gegründet werden.
3. Austritt des Betriebsleiters mit Übergabe im Genera-
tionswechsel: Die Übergabewahrscheinlichkeit wird
über die Betriebsgrösse und das Alter des bisherigen
Betriebsleiters vorgegeben, wobei die Richtung
der Abhängigkeiten derjenigen beim Wegfall von
Betrieben entspricht.
4. Abstockung von Flächen: Die Wahrscheinlichkeit
und der Umfang der Abstockung werden in der
Simulation an die Betriebsgrösse gebunden.
5. Aufstockung von Flächen: Die Wahrscheinlichkeit
für die Aufstockung und deren Umfang hängen
wie die Verteilung der Aufstockungsflächen von
der Betriebsgrösse ab.
Szenarien für die Simulationen
Für die Simulation werden fünf Szenarien vorgegeben.
Diese orientieren sich weder an erwarteten Umfeldent-
wicklungen noch an der Frage der Veränderbarkeit der
agrar- und strukturpolitischen Massnahmen. Vielmehr
soll der Raum möglicher Strukturentwicklungen und
-wirkungen aufgezeigt werden:
1. Trendszenario A «Weiter wie bisher»: Ausgehend
von den bestehenden Entwicklungspfaden wird die
zukünftige Strukturentwicklung aufgezeigt. Dazu
werden die Wahrscheinlichkeiten für den Wegfall,
die Neugründung sowie die Übernahme im Genera-
tionswechsel ebenso wie die Wahrscheinlichkeiten
und das Ausmass der auf- und abgestockten Flächen
übernommen. Die verwendeten Wahrscheinlichkei-
ten basieren auf deskriptiven und ökonometrischen
Auswertungen zur bisherigen Strukturentwicklung
(Meier et al. 2009b, Giuliani et al. 2009).
2. Szenario B «Mehr Volumen»: Das Szenario fokussiert
auf die Strukturwirkung eines erhöhten Volumens
aus der Flächenabstockung. Für alle Betriebe wird die
Wahrscheinlichkeit der Abstockung um 50 % erhöht.
3. Szenario C «Weniger Einsteiger»: Das Szenario bildet
die Auswirkungen eines stärkeren Rückgangs der
Betriebszahl über weniger Übernahmen im Genera-
tionswechsel und weniger Neugründungen von
Betrieben ab. Die Wahrscheinlichkeiten für die
Übergabe sowie für die Neugründung sind gegen-
über Szenario A um 50 % reduziert.
4. Szenario D «Wachstum für Grosse»: Bei einer gegen-
über Trendszenario A vergleichbaren Betriebszahl
103Agrarforschung Schweiz 1 (3): 102–109, 2010
Zusa
mm
enfa
ssu
ng
wird das Potenzial einer Flächenverschiebung in
grössere Betriebe aufgezeigt. Für Betriebe mit
weniger als 20 ha Fläche wird die Wahrscheinlichkeit
für die Aufstockung auf 25 % reduziert, für Betriebe
mit mehr als 20 ha Fläche um 25 % erhöht.
5. Szenario E «Weniger Einsteiger & Wachstum für
Grosse»: Das Szenario kombiniert die Annahmen
der Szenarien C «Weniger Betriebe» und D
«Wachstum der Grossen».
R e s u l t a t e u n d D i s k u s s i o n
Simulationsergebnisse zur Strukturentwicklung
Im Trendszenario A «Weiter wie bisher» sinkt die Zahl
der Betriebe bis 2023 um 1,6 % pro Jahr auf noch 44 840
Betriebe (vgl. Abbildung 1 und Tabelle 1). Mit der sin-
kenden Betriebszahl steigt die im Mittel bewirtschafte-
te Fläche um 31 % auf 22,6 ha. Der Anteil der Fläche,
welche von Betrieben mit mehr als 30 ha Nutzfläche be-
104 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 102–109, 2010
Agrarwirtschaft | Simulation zukünftiger Betriebsgrössenstrukturen
70 000
60 000
50 000
40 000
30 000
20 000
10 000
02003
Ergebnisse Simulationsmodell; Bearbeitung Flury&Giuliani
2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 2023
Betriebe 0–10 ha Betriebe 10–20 ha Betriebe 20–30 ha Betriebe 30–50 ha
Betriebe 50–70 ha Betriebe >70 ha
Anz
ahl B
etri
ebe
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%2003
Ergebnisse Simulationsmodell; Bearbeitung Flury&Giuliani
2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 2023
LN Betriebe 0–10 ha LN Betriebe 10–20 ha LN Betriebe 20–30 ha LN Betriebe 30–50 ha
LN Betriebe 50–70 ha LN Betriebe >70 ha
Ant
eil B
etri
ebe
nach
Grö
ssen
klas
sen
Abb. 1 | Entwicklung der Betriebszahl und der Flächenverteilung nach Grössenklassen in Szenario A «Weiter wie bisher».
Simulation zukünftiger Betriebsgrössenstrukturen | Agrarwirtschaft
wirtschaftet wird, steigt auf knapp 53 %. Die nach Grös-
senklassen unterschiedliche Entwicklung der Betriebs-
zahl erklärt sich durch die Flächenprozesse und ihre Ein-
flussfaktoren. Kleine Betriebe werden öfter aufgege-
ben, mit zunehmender Grösse steigt die Übernahme-
wahrscheinlichkeit. Einen grossen Einfluss haben die
Auf- und Abstockung von Flächen. Die Wahrscheinlich-
keit der Ereignisse und die mittlere Flächenveränderung
steigen mit zunehmender Betriebsgrösse. Beim Umfang
der Flächenveränderung besteht dabei eine breite
Streuung, indem ein grosser Anteil der Betriebe deutlich
weniger als die im Durchschnitt transferierten Flächen
auf- oder abstockt. Dagegen liegen bei einzelnen Be-
trieben die Flächenveränderungen bei einem Mehrfa-
chen des Mittels der jeweiligen Grössenklasse.
Die Strukturen in Szenario B «Mehr Volumen» ent-
sprechen weitgehend denjenigen in A (vgl. Tabelle 1
und Abbildung 2). Die höhere Abstockungswahrschein-
lichkeit hat praktisch keinen Einfluss auf die Grössen-
strukturen, obwohl rund 3000 ha mehr ab- und aufge-
stockt werden als im Trendszenario.
Mit der in Szenario C «Weniger Einsteiger» unter-
stellten Halbierung der Übernahme- und Neugrün-
dungsraten sinkt die Zahl der Betriebe bis 2023 auf noch
38 650 Einheiten. Die frei werdenden Flächen werden
vor allem von Betrieben in den Grössenklassen 20 – 30 ha
und 30 – 50 ha aufgestockt resp. die verbleibenden Be-
triebe aus den kleineren Grössenklassen «wachsen» in
grössere Klassen hinein. Im Jahr 2023 bewirtschaften
die Betriebe mit mehr als 30 ha Fläche gut 60 % der tota-
len Nutzfläche.
Im Szenario D «Wachstum für Grosse» bewirtschaf-
ten die Betriebe mit mehr als 30 ha Nutzfläche am Ende
der Simulation 63 % der totalen Fläche trotz einem iden-
tischen Rückgang der Betriebszahl und einer identi-
schen mittleren Betriebsgrösse von 22,6 ha wie im
Trendszenario A «Weiter wie bisher». Der Anstieg der
von den grossen Betrieben genutzten Fläche geht dabei
nur zum Teil zu Lasten der kleinen Betriebe. Vielmehr
verlieren auch die Betriebe mit 20 – 30 ha an Bedeutung,
weil sie von der Aufstockung profitieren und in grössere
Klassen wechseln und nur wenig kleinere Betriebe in
diese Grössenklasse hineinwachsen.
Im kombinierten Szenario E «Weniger Einsteiger &
Wachstum für Grosse» sinkt die Betriebszahl im Ver-
gleich zu Szenario C «Weniger Einsteiger» noch etwas
stärker auf 38 000 Betriebe, was ab 2007 einem Rück-
gang von 2,8 % pro Jahr entspricht. Im Jahr 2023 sind die
Betriebe im kombinierten Szenario im Mittel 26,6 ha
gross, knapp 72 % der totalen Nutzfläche wird von Be-
trieben mit mehr als 30 ha bewirtschaftet.
Der Szenarienvergleich zeigt, dass die Zahl der Be-
triebe in den Szenarien B «Mehr Volumen» und D
«Wachstum für Grosse» praktisch gleich gross ist wie im
Trendszenario (vgl. Tabelle 1). Deutliche Unterschiede
ergeben sich hingegen in der Verteilung der Betriebe
nach Grössenklassen. Die Szenarien C «Weniger Einstei-
ger» und E «Weniger Einsteiger & Wachstum für Grosse»
führen zu einem stärkeren Betriebsrückgang. Diese Ent-
wicklung resultiert nicht aus höheren altersunabhängi-
gen Betriebsaufgaben, sondern aus weniger Neueintrit-
ten, weil weniger Betriebe übernommen oder neu ge-
gründet werden.
Die unterschiedlichen Entwicklungen der Betriebs-
strukturen schlagen sich in den transferierten Flächen
nieder. In den Szenarien A «Weiter wie bisher» und D
105Agrarforschung Schweiz 1 (3): 102–109, 2010
Tab. 1 | Flächentransfer und Strukturmerkmale nach Szenarien
* Bemerkung: Bei den transferierten flächenvolumen handelt es sich jeweils um den Durchschnitt der simulationsperioden 2007 bis 2023.
2007 Strukturen im Jahr 2023
AWeiter wie bisher
BMehr Volumen
CWeniger Einsteiger
DWachstum für Grosse
EWeniger Einsteiger &Wachstum für Grosse
Betriebe total Anz. 57 244 44 841 44 558 38 652 44 758 37 986
Rückgang der Betriebszahl (%) –1,4 –1,6 –1,6 –2,7 –1,7 –2,8
Anteil LN Betriebe > 30 ha (%) 34,9 52,8 53,7 60,1 62,8 71,6
LN pro Betrieb (ha) 18,2 22,6 22,7 26,2 22,6 26,6
Volumen Flächentransfers * (ha) 46 216 56 182 59 293 51 413 56 710 51 608
Volumen Flächentransfers ohne Betriebsübergaben * (ha) 29 633 36 904 42 143 39 083 39 359 41 611
106 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 102–109, 2010
Agrarwirtschaft | Simulation zukünftiger Betriebsgrössenstrukturen
«Wachstum für Grosse» liegen die Flächenvolumen mit
rund 56 000 ha 20 % höher als 2007. Dies erklärt sich mit
den im Zeitverlauf steigenden Betriebsgrössen und den
damit ansteigenden Wahrscheinlichkeiten für Auf- und
Abstockungen und deren Volumen. In den Szenarien C
«Weniger Einsteiger» und E «Weniger Einsteiger &
Wachstum für Grosse» resultieren aufgrund der tieferen
Übernahmeraten geringere totale Flächenvolumen.
Zwischen dem transferierten Flächenvolumen und
dem Flächenanteil der Betriebe mit mehr als 30 ha Nutz-
fläche besteht keine direkte Abhängigkeit. Für die Ent-
wicklung in Richtung wettbewerbsfähiger Grössen- und
Kostenstrukturen ist die Verfügbarkeit von Flächen für
die Aufstockung zwar eine notwendige, aber keine hin-
reichende Bedingung. Aus dem Szenario D «Wachstum
für Grosse» lässt sich direkt ableiten, dass eine deutliche
Zunahme der von grossen Betrieben bewirtschafteten
Fläche bei einem zu heute identischen Rückgang der Be-
triebszahl möglich ist. In E «Weniger Einsteiger & Wachs-
tum für Grosse» ist das Potenzial einer Strukturbereini-
gung noch grösser.
Die sich über den Simulationszeitraum hinweg än-
dernde Betriebsgrössenstruktur zeigt sich auch in der
Grössenverteilung der Flächen (vgl. Abbildung 2). Im Jahr
2007 bewirtschaften die Betriebe in den Grössenklassen
10 – 25 ha am meisten Fläche. In den Szenarien «A Weiter
wie bisher», B «Mehr Volumen» und C «Weniger Einstei-
ger» verschieben sich die Verteilungen gleichgerichtet
hin zu den höheren Grössenklassen. Im Szenario D
«Wachstum für Grosse» mit der an der Schwelle von 20 ha
abgestuften Aufstockung entwickeln sich die Strukturen
dagegen in Richtung einer dualen Agrarstruktur mit vie-
len kleinen, wenigen mittleren und vielen grossen Betrie-
ben. Die vor allem von den mittleren Betrieben freige-
setzten Flächen werden in Richtung der grösseren Betrie-
be verschoben. Die Entwicklung in Richtung einer dualen
Betriebsgrössenstruktur wird in E «Weniger Einsteiger &
Wachstum für Grosse» noch deutlicher.
Wirtschaftliche Auswirkungen der Szenarien
Die wirtschaftlichen Effekte werden aufgrund der Flä-
chenverteilungen nach Grössenklassen berechnet. Die
aggregierte Fläche je Grössenklasse wird mit den Kenn-
zahlen Rohertrag, Fremdkosten und Familienarbeits-
kräfte je Hektare kombiniert. Für die Übertragung auf
alternative Grössenstrukturen gelten folgende Prämis-
sen: Es handelt sich um aggregierte Kennzahlen zu Prei-
sen und Kosten 2000 – 2006, zum Stand des technischen
und organisatorischen Fortschritts sowie zu Intensitäten
und Produktivitäten von 2000 – 2006. Die Übertragung
erlaubt Aussagen darüber, welche sektoralen Kennzah-
len sich zu aktuellen Preisen bei alternativen Grössen-
strukturen ergeben würden. Die Aussagekraft der
Hochrechnung hängt von den Unterschieden zwischen
den je nach Szenario resultierenden Strukturen ab. In
Szenario A «Weiter wie bisher» ist die Verteilung gegen-
200 000
180 000
160 000
140 000
120 000
100 000
80 000
60 000
40 000
20 000
0
0–5
5–10
10–1
5
15–2
0
20–2
5
25–3
0
30–3
5
35–4
0
40–4
5
45–5
0
50–5
5
55–6
0
60–6
5
65–7
0
70–7
5
75–8
0
80–8
5
85–9
0
90–9
5
95–1
00
> 1
002003
2007
A Trend
B Mehr Volumen
C Weniger Einsteiger
D Wachstum für Grosse
E Kombination
Fläc
he n
ach
Grö
ssen
klas
sen
(ha)
Grössenklassen landw. Nutzfläche (ha)
Abb. 2 | Szenarienvergleich der Nutzfläche nach Grössenklassen.
Simulation zukünftiger Betriebsgrössenstrukturen | Agrarwirtschaft
107Agrarforschung Schweiz 1 (3): 102–109, 2010
über 2007 breiter und die Grössenverteilung verschiebt
sich nach rechts. Der aggregierte Rohertrag, die Fremd-
kosten und das landwirtschaftliche Einkommen sinken
um rund 10 %, die Gesamtzahl der Familienarbeitskräf-
te um 20 %. In der Folge erhöht sich die mittlere Faktor-
entschädigung, gemessen als «Landwirtschaftliches Ein-
kommen pro Familienarbeitskraft», um rund 12 %. Die
Werte des Trendszenarios A dienen für die nachfolgen-
den Szenarios als Referenz (100 % in Abbildung 3).
Die Szenarien zeigen auf die aggregierten Grössen
Rohertrag, Fremdkosten und landwirtschaftliches Ein-
kommen nur wenig Wirkung. Bezüglich der Zahl der Fa-
milienarbeitskräfte unterscheiden sich die Szenarien
dagegen stärker. Die Zahl der Familienarbeitskräfte
hängt einerseits von der Betriebszahl und andererseits
von der Grössenstruktur ab. Steigen weniger Bewirt-
schafter ein (Szenario C), führt der im Vergleich zum
Sektoreinkommen stärkere Rückgang der Arbeitskräfte
zu einer Verbesserung der Einkommen pro Familienar-
beitskraft um über 7 % gegenüber dem Trendszenario
A. In Szenario D «Wachstum für Grosse» werden zwar
19 % mehr Fläche in Betrieben mit mehr als 30 ha bewirt-
schaftet, dennoch liegt die Zahl der Familienarbeitskräf-
te nur 4 % unter dem Trendszenario. Weil die entstande-
ne duale Grössenstruktur viele Familienarbeitskräfte in
kleinen Betrieben bindet, liegt das mittlere Einkommen
je Familienarbeitskraft kaum höher. Dagegen sinkt im
Szenario E «Weniger Einsteiger & Wachstum für Grosse»
die Zahl der Familienarbeitskräfte um mehr als 15 %,
was sich bei den mittleren Einkommen je Familienar-
beitskraft positiv auswirkt. Die Verbesserung der wirt-
schaftlichen Situation erklärt sich wie in Szenario C mit
weniger Neueinsteigern.
Für die Einordnung der mittleren landwirtschaftli-
chen Einkommen je Familienarbeitskraft sind die Vertei-
lungen der Familienarbeitskräfte nach Grössenklassen
zentral. Dazu unterscheiden wir die Zahl der Familienar-
beitskräfte in Betrieben mit weniger als 20 bzw. mehr
als 40 ha (vgl. Abbildung 4). Betriebe in diesen Gruppen
weisen meist landwirtschaftliche Einkommen pro Fami-
lienarbeitskraft unter 45 000 Franken resp. über 65 000
Franken auf. In Szenario C «Weniger Einsteiger» resul-
tiert ein Rückgang der Arbeitskräfte mit tiefen Einkom-
men um mehr als 20 %. Während die mittlere Entschädi-
gung um gut 5 % steigt, nimmt die Zahl der «gut verdie-
nenden» Arbeitskräfte etwas mehr zu. In Szenario D
«Wachstum für Grosse» nimmt die Zahl der «schlecht
verdienenden» um gut 10 % zu, gleichzeitig sind 30 %
mehr «gut verdienende» Arbeitskräfte zu verzeichnen.
Die Bezeichnung «duale Struktur» trifft folglich auch für
die Einkommensverteilung zu. Die duale Struktur der
Szenarien D und E birgt das Problem, dass mehr als die
Hälfte aller Familienarbeitskräfte in Betrieben unter 20
ha arbeiten.
Abb. 3 | Szenarienvergleich aggregierter struktureller und ökonomischer Kennzahlen.
Abb. 4 | Streuung der Arbeitsentschädigung nach Szenarien.
150%
140%
130%
120%
110%
100%
90%
80%
70%
Trend = 100%
A Trend B MehrVolumen
C WenigerEinsteiger
D Wachstumfür Grosse
EKombination
Flächen in Betrieben > = 30 haLandw. Einkommen je FamilienarbeitskraftRohertrag aggregiertFremdkosten aggregiertLandw. Einkommen aggregiertFamilienarbeitskräfteAnzahl Betriebe
Diverse Quellen: Bearbeitung bemepro,
flury&giuliani
180%
170%
160%
150%
140%
130%
120%
110%
100%
90%
80%
70%
Trend = 100%
A Trend B MehrVolumen
C WenigerEinsteiger
D Wachstumfür Grosse
EKombination
Anzahl Familienarbeitskräfte in Betrieben über 40 ha(> ca. 65 000 LE/F JAE)
Landw. Einkommen je Familienarbeitskraft
Anzahl Familienarbeitskräfte in Betrieben unter 20 ha (< ca. 45 000 LE/F JAE)
Diverse Quellen: Bearbeitung bemepro,
flury&giuliani
108 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 102–109, 2010
Agrarwirtschaft | Simulation zukünftiger Betriebsgrössenstrukturen
S c h l u s s f o l g e r u n g e n
Die Simulationen zeigen, dass effizientere Betriebs- und
Kostenstrukturen auch ohne einen beschleunigten Struk-
turwandel im Sinne häufigerer altersunabhängiger Be-
triebsaufgaben erreichbar sind. Die Nutzung dieser Po-
tenziale ist mit Blick auf die sich abzeichnenden Verände-
rungen bei den Rahmenbedingungen zentral, weil ein
Verzicht auf eine Verbesserung der Wettbewerbsfähig-
keit mittel- und langfristig zu höheren Anpassungskos-
ten führt. Eine Entwicklung in Richtung einer dualen Ag-
rarstruktur ist für grössere Betriebe eine Chance, erhöht
für kleine Betriebe aber die Notwendigkeit ausserland-
wirtschaftlicher Einkommen zur Einkommenssicherung.
Eine duale Entwicklung der Landwirtschaft setzt an bei-
den Enden des Grössenspektrums eine Abweichung von
gesellschaftlich breit verankerten Vorstellungen voraus:
Mit einer Vielzahl sehr kleiner Betriebe würde eine
«kleinbäuerliche Struktur» erhalten, wobei diese Gruppe
in der einkommenspolitischen Diskussion deutlich an Be-
deutung verlieren müsste. Mit anderen Worten sollte der
Blick weniger auf der Entwicklung der mittleren Einkom-
men ruhen, sondern auf die Einkommensverteilung ge-
lenkt werden. Dies führt auch zur Beantwortung der Fra-
ge, wie viele Betriebe überdurchschnittliche Faktorent-
schädigungen erzielen können.
Der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch
die Nutzung grössenabhängiger Kostendegressionen
muss höchste Aufmerksamkeit zukommen. Dies bedingt
eine kritische Überprüfung der von den heutigen politi-
schen Massnahmen ausgehenden Einstiegsanreize so-
wie der Benachteiligungen flächenstarker Betriebe bei
den Direktzahlungen. Der Weg führt über eine konse-
quente Trennung zwischen einkommenspolitischen
Kompensationszahlungen für Politikänderungen und
Direktzahlungen für definierte multifunktionale Leis-
tungen. Kompensationszahlungen sind zeitlich zu be-
fristen und auf aktuelle Bewirtschafter zu begrenzen,
Neueinsteiger sollen keine Kompensationszahlungen
beanspruchen können. Ohne diese Fehlanreize dürften
sich die Betriebsstrukturen mittel- und langfristig auch
ohne aktive Strukturmassnahmen schneller in Richtung
grösserer Betriebe entwickeln.
Grundlegend für die Entwicklung zukunftsfähiger
Betriebsstrukturen ist ein Konsens unter den agrarpoli-
tischen Akteuren, dass Kostensenkungen dringend not-
wendig sind und dass die Entwicklung der Grössenstruk-
turen dabei eine herausragende Rolle spielt. Aufbauend
auf dem (heute fehlenden) Konsens könnten zwei Stra-
tegien verfolgt werden: Erstens können Kostensenkun-
gen durch einen schnelleren Rückgang der Betriebszahl
und der landwirtschaftlich Beschäftigten erreicht wer-
den. Dies ist sozialverträglich über weniger Neueintritte
in den Sektor möglich. Zweitens könnte die Entwicklung
einer dualen Struktur zielführend sein, die wettbe-
werbsorientierten Betrieben die frei werdenden Flä-
chen prioritär zukommen lässt, aber gleichzeitig die
Weiterführung einer grösseren Zahl von Nebenerwerbs-
oder Hobbybetrieben ermöglicht. n
Simulation zukünftiger Betriebsgrössenstrukturen | Agrarwirtschaft
109Agrarforschung Schweiz 1 (3): 102–109, 2010
Ria
ssu
nto
Sum
mar
y
Literaturb Giuliani G., Meier B. & Flury C., 2009. Wirtschaftliche Auswirkungen von
Flächenveränderungen. Agrarforschung 16 (5), 163 – 165.b Meier B., Giuliani G. & Flury C., 2009a. Flächentransfers und Agrar-
strukturentwicklung bis 2007. Agrarforschung 16 (5), 152 – 157.b Meier B., Giuliani G. & Flury C., 2009b. Flächentransfers und Agrarstruk-
turentwicklung, Studie im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft. Schlussbericht, Winterthur und Zürich.
Simulation of future farm
size structures
In the Swiss agricultural sector, the
development towards larger farms and
consequently towards more economi-
cally favourable cost structures is
relatively slow. A dynamic simulation
model is used to investigate where an
extrapolation of the present develop-
ment could lead in future and what
form alternative development paths
could take. The simulations indicate
that, compared to a continuation of
the current development, more
cost-effective structures can be
achieved without more frequent,
non-age related farm closures. A
reduction in the number of start-ups
or a development towards a dual
agricultural structure can be identified
as socially acceptable and politically
realisable opportunities for improved
competitiveness. In view of future
challenges, this potential has to be
exploited to the full. This demands
that agricultural policy demonstrates
a firm commitment to more efficient
cost structures and thus to larger
farms.
Key words: structural change,
simulation model, farm size structures.
Simulazione dell’evoluzione delle
strutture agricole
L’evoluzione delle strutture agricole
verso strutture più grandi e, di conse-
guenza, più convenienti dal punto di
vista dei costi, è nell’agricoltura
svizzera, relativamente lenta. Il
modello di simulazione dinamica
permette un’estrapolazione delle
tendenze attuali e lo studio di scenari
alternativi per il futuro agricolo Le
simulazioni mostrano che è possibile
mirare a strutture più convenienti
anche senza accellerare la sparizione di
aziende non legata all’età. Tra le oppor-
tunità per una migliore concorrenziali-
tà, che sia sostenibile socialmente e
realizzabile politicamente, sono indica-
te la riduzione delle aperture di nuove
aziende e lo sviluppo verso un agricol-
tura a tempo parziale. Alla luce delle
sfide che il futuro riserva all’agricoltura
è indispensabile trarre profitto da
questi potenziali. In questo senso è
necessario che la politica agricola
prenda apertamente posizione a
favore di costi strutturali più redditizi
e d’aziende agricole più grandi.
E i n l e i t u n g
Die mechanisierte und leistungsstarke Nachkriegsland-
wirtschaft hat zu einer intensiven Düngung, einem ver-
mehrten Einsatz von Pestiziden, einer strukturellen Um-
gestaltung der Agrarlandschaft (Vergrösserung der Par-
zellen), und einer Bodenverdichtung geführt. Diese Ver-
änderungen haben den Oberflächenabfluss und die
Erosion gefördert, was zu einer Erhöhung der Feinsedi-
mente und Pestizide in den Oberflächengewässern ge-
führt hat. Dies geht soweit, dass die gesetzlichen Werte
für Pestizide in landwirtschaftlichen Gebieten oft über-
schritten werden. Oberflächenabfluss und Erosion sind
die wichtigsten Ursachen des Transfers von Pestiziden in
Oberflächengewässer (Liess et al. 1999). Die phytosani-
tären Produkte können entweder durch die Bodenparti-
kel adsorbiert (Ton und organische Stoffe) oder im Was-
ser aufgelöst werden (Calvet et al. 2005). Es existieren
bereits mehrere Methoden und Modelle um das Erosi-
onsrisiko (Bodenabtrag) oder die Verschmutzung der
Oberflächengewässer durch Pestizide einzuschätzen.
Einige davon benutzen vorhandene Daten in verschie-
Beurteilung der Transferrisiken von Pestiziden durch OberflächenabflussDorothea Noll, Nathalie Dakhel und Stéphane Burgos, Ecole d’Ingénieurs de Changins EIC, 1260 Nyon
Auskünfte: Stéphane Burgos, E-Mail: stephane.burgos@eichangins.ch, Tel. +41 22 363 40 52
U m w e l t
Kanalschacht mit Erdablagerungen, die teilweise aus Erosion der höher gelegenen Parzelle stammen.
110 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 110–117, 2010
Diese Arbeit zeigt eine Methode zur
Einschätzung von Transferrisiken von
Pestiziden in Oberflächengewässer durch
Erosion und Oberflächenabfluss in einem
Teil des Einzugsgebietes des Boiron de
Morges (Waadt). Die Methode verbindet
Feldbeobachtungen mit der Nutzung von
geographischen Informationssystemen (GIS).
Sie berücksichtigt unvergängliche und
vergängliche Faktoren. Eine Bewertungs-
tabelle erlaubt es, die verschiedenen
Faktoren entsprechend der Intensität ihres
Risikos zu klassifizieren. Die Verknüpfung
dieser Faktoren ermöglicht es, eine Synthese-
karte der Transferrisiken von Pestiziden
für das gesamte Studiengebiet zu erstellen.
Die Methode erlaubt nicht nur Parzellen mit
einem erhöhten Transferrisiko zu identifizie-
ren, sondern ebenso die Faktoren, welche
die Ursache dieses Transfers sind. Wenn
diese Parzellen identifiziert sind, können
gezielte Massnahmen erarbeitet werden,
um den Bodenabtrag und den Transfer von
Pestiziden zu reduzieren.
Beurteilung der Transferrisiken von Pestiziden durch Oberflächenabfluss | Umwelt
denen Massstäben – insbesondere solche, die auf der
«Universal Soil Loss Equation (USLE)» beruhen (Bakker et
al. 2008). Andere benötigen eine grosse Anzahl von Pa-
rametern, die mitunter schwer zu beschaffen sind (Lud-
wig et al. 2004). Die Wahl des Massstabes ist oft ein Pro-
blem für die Erstellung kohärenter Massnahmen (Schrie-
ver et al. 2007). Die auf Parzellenebene entwickelten
Modelle benutzen im allgemeinen keine geographi-
schen Informationssysteme (GIS) (CORPEN 2001).
Ziel dieser Arbeit ist es, auf Parzellenebene eine Me-
thode der Einschätzung der Transferrisiken von Pestizi-
den in Oberflächengewässer durch Erosion und Ober-
flächenabfluss zu entwickeln. Diese Studie wurde im
Einzugsgebiet des Boiron de Morges (Waadt) gemacht.
Sie ist im Rahmen eines Programmes zur Verminderung
der Konzentration von phytosanitären Produkten ent-
standen. Das Programm besteht seit 1999 und beruht
auf Artikel 62a des Gewässerschutzgesetzes.
M a t e r i a l u n d M e t h o d e n
Untersuchungsgebiet
Das Untersuchungsgebiet liegt im nord-östlichen Teil
des Einzugsgebietes des Boiron (Abb. 1). Seine Fläche
beträgt 980 ha, wovon 577 ha Ackerbau, 133 ha Wiesen,
103 ha Weinbau und 167 ha andere Nutzungen (Wald,
Siedlung etc.) sind. Die Höhenlage des Gebietes variiert
zwischen 423 und 655 m ü.M. Das Gebiet umfasst drei
Zuflüsse des Boiron: Irence, Blacon und Blétruz.
Gemessene Faktoren
Alle wesentlichen Elemente des Gebietes (landwirt-
schaftliche Parzellen, Wälder, Grünstreifen, Strassen
111Agrarforschung Schweiz 1 (3): 110–117, 2010
Zusa
mm
enfa
ssu
ng
Abb. 1 | Lage des Untersuchungsgebiets.
Abb. 2 | Hangneigung einer Parzelle, gemessen über ein DGM mit Spatial Analyst in einer Rasterauflösung von 5 x 5 m (Klassierung nach Tabelle 1).
und Wege, Kanalschächte und Wasserabflusskanäle)
wurden digitalisiert. Sie wurden entweder durch Feld-
beobachtungen erhoben oder über GIS Arcview 9.3, sei-
ner Erweiterung Spatial Analyst (SA) aus einem digita-
len 5 m Geländemodell (DGM) oder aus einem Ortho-
photo und der topgrafischen Karte ermittelt. Die aufge-
nommenen Elemente oder Faktoren sind zweifacher
Natur: unvergänglich und vergänglich.
Unvergängliche Faktoren
Diese Faktoren hängen von der Lage und der Topogra-
phie der Parzellen ab und verändern sich während einer
Anbausaison nicht. Die ersten drei der folgenden Fakto-
ren sind vom DGM abgeleitet.
• Hangneigung: Je steiler ein Hang ist, desto grösser
ist das Risiko für Stofftransporte. Gewisse Parzellen
haben nur einen kleinen Bereich, der sehr steil ist
(Abb. 2). Nur den steilsten Hangabschnitt betrachten,
würde das Risiko überschätzen, aber nur die mittlere
Hangneigung der gesamten Parzelle berücksichtigen,
würde das Risiko zu niedrig einstufen.
Aus diesem Grund wurde festgelegt, dass mindestens
25 % aller Pixel einer Parzelle in einer hohen Klasse
liegen müssen, damit die Parzelle in die höhere
Risikoklasse, als nur über den Mittelwert berechnet,
übergeht. Dieser willkürlich festgesetzte Schwellen-
wert zielt darauf ab, ausreichend streng zu sein.
• Hanglänge: Mit zunehmender Hanglänge steigt
das Risiko für Stofftransporte. Diese Variable
repräsentiert den Abstand zwischen dem höchsten
und tiefsten Punkt der Parzelle.
• Landschaftselemente, welche die Fliessrichtung
des Wassers beeinflussen: Diese bestehen aus Wegen
und Strassen sowie deren Belag, Wälder, Hecken und
Grünstreifen, die mehr als 3 m breit sind (Puffer zone).
Solche Landschaftselemente können entweder als
Leitlinien oder aber als Barrieren für Oberflächenab-
flusswasser wirken. Um die Richtung des Wasser-
112 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 110–117, 2010
Umwelt | Beurteilung der Transferrisiken von Pestiziden durch Oberflächenabfluss
Abb. 3 | Darstellung des Einzugsgebietes der Strassen (pastell-farben) und der potenziellen Wasserläufe (blaue Linien) (schwarze Zahl = Strassennummer, grüne Zahl = Verbindung der Parzellen mit den Einzugsgebieten der Strassen).
Abb. 4 | Erstellung der Karte der unvergänglichen Faktoren.
oder
oder
Faktor Relief
Faktor Abfluss
Unvergängliche Faktoren
Faktor Hanglänge
Faktor Landschaftselemente
Faktor Hangneigung
Faktor Entfernung zu Gewässern
Beurteilung der Transferrisiken von Pestiziden durch Oberflächenabfluss | Umwelt
abflusses bestimmen zu können, wurden die «kleinen
Einzugsgebiete» von jedem Weg und jeder Strasse
und die Fliessrichtung des Wassers jeder Parzelle fest-
gestellt. Wenn man die Fliessrichtung des Wassers
das aus den Parzellen kommt kennt (Abb. 3), ist es
einfach zu sehen, ob ein direkter Transfer zu den
Oberflächengewässern stattfindet oder nicht.
Wenn das Wasser zum Beispiel auf eine Strasse fliesst,
erreicht es die Oberflächengewässer schneller, indem
es in einen Kanalschacht eindringt, dessen Wasser
direkt in die Oberflächengewässer fliesst.
• Entfernung zu den Gewässern: Sie entspricht der
Entfernung zwischen den Parzellen und den Wasser-
läufen. Je näher eine Parzelle an einem Oberflächen-
gewässer liegt, desto grösser ist das Risiko, dass der
Oberflächenabfluss auch ins Gewässer gelangt.
• Körnung des Oberbodens: Sie wurde durch 100 Fühl-
proben ermittelt, die mit dem Erdbohrer zufällig im
Studiengebiet gezogen worden sind. Bereits beste-
hende pedologische Studien wurden ebenfalls heran-
gezogen (Haeberli 1971; SIGALES 2004).
Vergängliche Faktoren
Letztere entwickeln sich saisonbedingt entsprechend
den Anbau- und Fruchtfolgepraktiken.
• Anbaukulturen: ergibt für jede Parzelle die durch-
schnittliche Anzahl von Pestizidbehandlungen, sowie
den Prozentsatz der Bodenbedeckung zum Zeitpunkt
der Behandlungen. Die Weinbaugebiete wurden
nach dem Prozentsatz der Begrünung zwischen den
Reihen beurteilt.
• Bodenbearbeitungsrichtung im Verhältnis zum Hang:
Sie wurde durch Feldbeobachtungen festgestellt.
Entstehung der Risikokarten
Für alle betrachteten Faktoren wurde eine Bewertungs-
tabelle erstellt (Tab. 1). Sie bestimmt Risikoklassen für
jeden Faktor. Es sind für die meisten Faktoren fünf Klas-
sen, deren Grenzen auf der Basis von bibliographischen
Daten oder durch die Meinung von Experten festgelegt
worden sind.
Jeder Risikoklasse wurde ein Koeffizient zwischen 0
(kein Risiko) und 4 (sehr starkes Risiko) zugeordnet. Risi-
kokarten wurden für jeden Faktor erstellt. Sie wurden
anschliessend miteinander verknüpft, um eine Synthe-
sekarte der Transferrisiken von Pestiziden zu erhalten.
Von den unvergänglichen Faktoren wurden nur die
Faktoren Relief (Neigung und Hanglänge) und Abfluss
(Landschaftselemente und Entfernung zu den Gewäs-
sern) in Betracht gezogen.
Die Körnung des Oberbodens ist im ganzen Studien-
gebiet nach dem Körnungsdiagramm der GEPPA (Groupe
d’Etude pour les Problèmes de Pédologie Appliquée) ent-
weder LAS (Lehm bis schluffiger Lehm) oder Lsa (sandiger
Lehm). Die Homogenität der Texturen und deren Zuge-
hörigkeit zu einer gleichen Risikoklasse (Tab. 1) führten
dazu, diesen Faktor hier nicht zu berücksichtigen.
113Agrarforschung Schweiz 1 (3): 110–117, 2010
Tab. 1 | Bewertungstabelle des Transferrisikos von Pestiziden
(1): Mosimann et al. (1991); (2): Mosimann und rüttimann (1996); (3):Laubier (2001); (4): hani et al. (1990); (5): frühjahrsanbau = raps, Mais, soja, sonnenblumen, Lupinen, erbsen.
kein RisikoKoeff. = 0
geringes RisikoKoeff. = 1
mittleres RisikoKoeff. = 2
starkes RisikoKoeff. = 3
sehr starkes Risiko
Koeff. = 4
Unv
ergä
nglic
he F
akto
ren
Fakt
orRe
lief Hangneigung (1) < 2 % 2 – 5 % 6 – 15 % 16 – 25 % > 25 %
Hanglänge (2) < 50 m 51 – 100 m 101 – 200 m 201 – 300 m > 301 m
Fakt
or
Abf
luss
Landschafts- elemente
Wald / Hecke,Abhang
Grünstreifen, Parzelle Grasweg Steinweg Strasse
Entfernung zu den Gewässern (3) > 200 m 20 – 200 m < 20 m
Körnung des Oberbodens (1)
AA, As, A AIs, AS, AI SI, S, SS, Sa SaI, Lsa, LAS, La L, Ls, LL
Verg
ängl
iche
Fakt
oren
Anbaukulturen (4)
permanente oder temporäre Wiese; Brachland, Luzerne, Rohrschilf
Getreide, Weinbau > 70 % bedeckt
Obstanbau, Frühjahrsan-bau (5), Ackerbohnen, Weinbau 70 – 50 % bedeckt
Rüben, Kartoffeln, Weinbau 50 – 30 % bedeckt
Gemüse, Weinbau < 30 % bedeckt
Bodenbearbeitungs-richtung
kein Abfluss Perpendikular zum Abfluss
Parallel zum Abfluss
Um den Faktor Relief für eine Parzelle zu bestimmen,
wird immer die höhere Risikoklassierung von Hangnei-
gung und Hanglänge gewählt. Auf die gleiche Weise
wird auch das höhere Risiko von der Entfernung zu den
Gewässern und den Landschaftselementen verwendet,
woraus sich der Faktor Abfluss ergibt. Anschliessend
wird das Risiko der Faktoren Relief und Abfluss mitein-
ander berechnet. Ist das Risiko für den einen oder den
anderen Faktor gleich null, wird das gesamte Risiko als
null angesehen. Ansonsten wird der Durchschnittswert
beider Klassierungen verwendet. Als Ergebnis erhält
man eine Karte der unvergänglichen Faktoren (Abb. 4).
Die Karte der vergänglichen Faktoren erhält man, in-
dem man die Risiken, die mit den Anbaukulturen und der
Bodenbearbeitung im Zusammenhang stehen, verbindet,
das heisst indem man das durchschnittliche Risiko berech-
net, es sei denn eines der Risiken ist null (Abb. 5).
Die Synthesekarte der Transferrisiken von Pestiziden
durch Oberflächenabfluss (Abb. 6) erhält man, indem
man die Karten der unvergänglichen und vergänglichen
Faktoren verknüpft. Es wurde wiederum der Durch-
schnittswert der Risiken berechnet, es sei denn, eines
der Risiken war null.
R e s u l t a t e u n d D i s k u s s i o n
Die Methode erlaubt einen Überblick über die Vertei-
lung der Transferrisiken von Pestiziden für Parzellen ei-
ner Region zu erhalten. Abb. 7 zeigt die Verteilung des
Risikos für Wiesen, Ackerbau, Weinbau sowie für die
gesamte Landwirtschaftsfläche. Das Risiko ist auf 260
ha Ackerbau und 80 ha Weinbau stark, dass heisst res-
pektive für 32 % und 10 % der gesamten Landwirt-
schaftsfläche. Dieses starke Risikoniveau ist das Ergeb-
nis von Bodenverbesserungen, durch die viele Strassen
und Wege geschaffen sowie die Parzellen vergrössert
wurden, um die Mechanisierung zu erleichtern. Fünf
Prozent, das heisst 39 ha, der gesamten Landwirtschaft-
fläche, fallen in die Klasse «sehr starkes Risiko». Dies
sind 4 % der Ackerbaufläche (20 ha) und 19 % der Wein-
baufläche (19 ha). Die temporären und permanenten
Wiesenflächen sowie das Brachland wurden immer als
risikolos klassifiziert.
Diese Methode ermöglicht es, auch die problemati-
schen Parzellen auf der Synthesekarte zu lokalisieren und
die ursächlichen Faktoren zu identifizieren. Der Karten-
auszug (Abb. 8) zeigt vier besondere Fälle. Die Parzelle 1
Abb. 5 | Erstellung der Karte der vergänglichen Faktoren.
+
+
Abb. 6 | Erstellung der Synthesekarte.
114 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 110–117, 2010
Vergängliche Faktoren
Synthesekarte
Faktor BodenbearbeitungFaktor Anbaukulturen
Vergängliche FaktorenUnvergängliche Faktoren
Umwelt | Beurteilung der Transferrisiken von Pestiziden durch Oberflächenabfluss
weist ein sehr starkes Risiko auf, denn diese ist lang und
wird in Fliessrichtung des Wassers bearbeitet, welches auf
eine Strasse fliesst. Die Nachbarparzellen 2 und 3 besitzen
dieselben Eigenschaften, haben aber ein anderes Risiko.
Parzelle 2 wurde in die Klasse kein Risiko eingestuft, weil
es eine temporäre Wiese ist und Parzelle 3 in die Klasse
mittleres Risiko, weil das Wasser auf andere Parzellen
fliesst. Die Weinbauparzelle 4 zeigt ein sehr starkes Risiko,
weil die Hangneigung mehr als 20% beträgt, sich eine
Strasse am unteren Ende der Parzelle befindet, und die
Reihen parallel zum Hang bearbeitet sind.
Die Methode ermöglicht es ebenfalls, gezielte Mass-
nahmen für risikoreiche Parzellen zu empfehlen, da die
ursächlichen Faktoren bekannt sind. Es gilt den Wasser-
abfluss von den Parzellen auf Strassen und Wege einzu-
schränken oder zu vermeiden. Jedoch sind die mögli-
chen Massnahmen mitunter schwer anzuwenden. Für
die Parzelle 2 (Abb. 7) zum Beispiel ist eine Bearbeitung
quer zum Hang in Anbetracht der langen Form der Par-
zelle schwer zu verwirklichen. Sie aufzuteilen, würde die
Bearbeitung erschweren und wäre für den Bauern nicht
akzeptabel. Dagegen wäre die Anlage eines Grünstrei-
fens eine denkbare Maßnahme (Gouy und Gril 2001).
Man könnte ebenfalls vorsehen, die Fruchtfolge zu än-
dern, zum Beispiel, indem man in den Risikozonen kein
Gemüse anbaut oder Direktsaat anwendet. Diese Prakti-
ken vermindern die Belastung des Bodens, begrenzen
die Bodenverschlämmung und ebenfalls den Oberflä-
chenabfluss (Labreuche et al. 2007). In den Weinbergen
(Parzelle 4) sind die Möglichkeiten für Massnahmen be-
schränkt. Um den Transfer zu limitieren, wäre eine Be-
grünung zwischen den Reihen zu erwägen.
Die Faktoren, welche bei der vorgestellten Methode
in Betracht gezogen wurden, sind diejenigen, die allge-
mein als verantwortlich für den Transfer von Pestiziden
durch Oberflächenabfluss und Erosion angesehen wer-
den. Der Beitrag dieser Methode, im Vergleich zu ande-
ren auf Parzellenebene entwickelten Methoden (Au-
rousseau et al. 1998; Laubier 2001), ist die Benutzung
eines DGM mit einer hohen Auflösung, die spezielle Be-
achtung des steilsten und des mittleren Hangabschnit-
tes, die Berücksichtigung der Strassen und Wege und
das Einbeziehen der phytosanitären Behandlungen der
Kulturen vor Ort. Insbesondere die Berücksichtigung
des steilsten und des mittleren Hangabschnittes erlaubt
eine bessere Risikoeinschätzung für Parzellen mit unre-
gelmässigen Hängen, als wenn man nur die mittlere
Hangneigung betrachten würde. Die Berücksichtigung
der Strassen und Wege erlaubt im Übrigen, den direkten
Transfer zu den Oberflächengewässern zu berücksichti-
350
300
250
200
150
100
50
0Wiese Ackerbau Weinbau
kein Risikogeringes Risiko
mittleres Risikostarkes Risiko
sehr starkes Risiko
Gesamteanbaufähige
Fläche
Abb. 8 | Auszüge aus der Synthesekarte der Transferrisiken von Pestiziden (blaue Linie = Wasserfliessrichtung).
Abb. 7 | Histogramm der Risikoklassen von Wiesen, Ackerbau, Weinbau und der gesamten Landwirtschaftfläche.
115Agrarforschung Schweiz 1 (3): 110–117, 2010
Beurteilung der Transferrisiken von Pestiziden durch Oberflächenabfluss | Umwelt
gen. Sie tragen sicher massgeblich dazu bei, dass stark
mit Feinerdepartikeln und Pestiziden belastetes Wasser
bis zu den Oberflächengewässern weiter geleitet wird.
S c h l u s s f o l g e r u n g e n
Die angewandte Methode erlaubt:
• Die Transferrisiken von Pestiziden in Oberflächen-
gewässern auf Parzellenebene zu definieren;
• Die ursächlichen Faktoren für diesen Transfer
zu bestimmen;
• Gezielte Massnahmen vorzuschlagen, um den
Transfer zu begrenzen;
• Risikokarten zu erstellen und die verantwortlichen
Faktoren zu erkennen, welche ein optimales
Management des gesamten Einzugsgebietes und
die Beratung der Bauern erlauben. n
116 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 110–117, 2010
Literaturb Aurousseau P., Gascuel-Odoux C. & Squividant H., 1998. Eléments pour
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b CORPEN (Comité d’Orientation pour des Pratiques agricoles respectueuses de l’Environnement), 2001. Diagnostic de la pollution des eaux par les produits phytosanitaires. Base pour l’établissement de cahiers des charges des diagnostics de bassins versants et
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b Gouy V. & Gril J.-J., 2001. Diagnosis of pesticide diffuse pollution and management practices to reduce transfer to water. Ingénieries eau agriculture territoires n° spécial, 81 – 90.
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Umwelt | Beurteilung der Transferrisiken von Pestiziden durch Oberflächenabfluss
117Agrarforschung Schweiz 1 (3): 110–117, 2010
Ria
ssu
nto
Sum
mar
y
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b SIGALES (Etude de Sols et Terroirs), 2004. Etude des terroirs viticoles vaudois. Géo-pédologie. Prométerre-Office de conseil viticole, Lausanne, 124 S.
Metodo di valutazione dei rischi
di trasferimento di pesticidi attraverso
le acque che scorrono in superficie
Questo studio illustra un metodo di
stima dei rischi di passaggio dei pestici-
di nelle acque superficiali attraverso il
trasporto di superficie (erosione,
ruscellamento) in una parte del bacino
imbrifero del Boiron de Morges
(Vaud, Svizzera). Tale metodo abbina
osservazioni sul terreno e l’utilizzo di si-
stemi d’informazione geografico (SIG),
considerando fattori perenni e fattori
temporanei. Una griglia di valutazione
permette di classificare i diversi fattori
secondo l’intensità del rischio generato.
La loro combinazione permette in
seguito la realizzazione di una mappa
di sintesi dei rischi dovuti al passaggio
di pesticidi nell’insieme della zona
studiata. Il metodo permette di identifi-
care le parcelle a elevato rischio, di
individuare i fattori all’origine del
fenomeno e di proporre delle misure
mirate per limitare l’erosine di terra e il
conseguente trasferimento di pesticidi.
Assessment of risks of pesticides
transfer by surface runoffs
This work presents a method for asses-
sing pesticides transfer risks to the
surface water by erosion and runoff.
It was developed in a part of the water-
shed of the Boiron de Morges (Vaud,
Switzerland). This method combines
observations in the field with the use
of Geographic Information Systems
(GIS). It considers timeless and timely
factors. An evaluation grid permits to
classify the different factors by the risk
severity they generate. Their combina-
tion then allows to produce a synthetic
map showing the transfer risks of pesti-
cides in the whole zone examined. This
method makes not only possible to
identify the plots with an inherent risk
of high transfer, but also the factors
responsible for it. Once the plots have
been identified, targeted measures can
be envisaged to limit the soil loss and
the pesticides transfer.
Key words: erosion, runoff, GIS,
pesticides, DEM, transfer.
Beurteilung der Transferrisiken von Pestiziden durch Oberflächenabfluss | Umwelt
Michel Rérat: Forschung für das Tierwohl
Michel Rérat ist ein junger Veterinär aus dem Berner Jura,
der erst auf den zweiten Blick seine Bestimmung in der
tiermedizinischen Forschung fand. Als Kind war es lange
sein Berufswunsch, Kellner zu werden. Erst während der
Zeit im Gynasium in La Chaux de Fonds begann er sich für
Medizin zu interessieren. «Bei der Tiermedizin sagt nicht
der Patient, wo es weh tut. Das finde ich noch spannend!»,
erklärt Rérat seine Entscheidung zu Gunsten des Veteri-
närstudiums. «Instinkt und Sensibilität für Tiere sind des-
halb wichtige Charakterzüge für diesen Beruf».
Im Anschluss ans Veterinärstudium in Bern arbeitete
er als Assistent in einer Praxis in Bulle. Die Doktorarbeit
an der Abteilung für Veterinärphysiologie der Universität
Bern mit dem Thema «Wachstum von Kälbern, die in vitro
gezeugt wurden» wies bereits in Richtung seiner heuti-
gen Forschung bei ALP: die Gesundheit von Kälbern.
Kälbermast mit gesunden Tieren
Lungenentzündungen stellen bei der Kälbermast das
grösste Problem dar. «Treffen im Mastbetrieb 30 Kälber
aus 30 verschiedenen Betrieben aufeinander, so werden
Krankheitskeime munter ausgetauscht. Zudem werden
Kälber häufig in einer heiklen Phase ihrer Entwicklung
vom ursprünglichen Hof zu einem Kälbermastbetrieb
transportiert. In dieser Übergangszeit sind sie beson-
ders anfällig für Krankheiten.» Durch ein gezieltes Her-
denmanagement und optimierte Haltung im Stall
versucht Michel Rérat mit seiner Arbeit als Forscher die
Kälber möglichst gesund zu halten und den Einsatz von
Antibiotika zu reduzieren.
Die Herausforderung, einerseits wissenschaftlich in-
ternational mitzumachen und andererseits gangbare
Lösungen für die Praxis zu finden, nimmt Rérat mit Be-
geisterung an. Sein aktuelles Projekt in Zusammenar-
beit mit anderen schweizerischen Instituten läuft im
Rahmen der Revision der Tierschutzverordnung. Das
Projekt hat zum Ziel, herauszufinden, welche Arten von
Raufutter den Anforderungen an Gesundheit und Phy-
siologie des Kalbes am besten gerecht werden.
Stadtmensch und Theaterliebhaber
«Jetzt muss ich französisch sprechen!» lacht Michel
Rérat. Nach den umfassenden Ausführungen über seine
Forschungsprojekte in Deutsch ist nun für den Hobby-
bereich die Muttersprache dran. «Ich entspreche wohl
nicht dem gängigen Bild vom Tierarzt, der die Natur am
liebsten hat und in den Bergen wandern geht.» Michel
Rérat zieht die Stadt mit ihren kulturellen Angeboten
vor. Er liebt das Theater, spielt selber im Théâtre de la
Cité in Freiburg – seinem Wohnort – mit.
Andrea Leuenberger, Redaktion Agrarforschung Schweiz,
Agroscope Liebefeld-Posieux ALP, 1725 Posieux
118 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 118, 2010
Michel Rérat (Foto: Olivier Bloch, ALP)
P o r t r ä t
Aktuell
119Agrarforschung Schweiz 1 (3): 119–123, 2010
Neues ERA-Net RURAGRI gegründetIn europäischen Ländern betreffen die urbane Landnut-
zung und die urbanen Lebensstile immer mehr auch
ländliche Räume und die Agrarproduktion. Innovative
politische Massnahmen erfordern interdisziplinäre For-
schungsansätze. Vor diesem Hintergrund wird von der
Europäischen Kommission das ERA-Net RURAGRI unter-
stützt. RURAGRI zielt darauf ab, die Forschungsbereiche
Landwirtschaft, Nachhaltigkeit und ländliche Entwick-
lung zu verbinden und die Forschungstätigkeiten trans-
national zu vernetzen.
Ziel eines European Research Area Network (ERA-
Net) ist es, nationale und regionale Forschungsprogram-
me zu koordinieren und die Zusammenarbeit zwischen
Forschung und Wirtschaft nachhaltig zu stärken. Im
Rahmen eines ERA-NET können von den Partnerländern
gemeinsame Ausschreibungen lanciert und Forschungs-
projekte gefördert werden. Die Projektpartner werden
gemäss der nationalen Förderkriterien der jeweiligen
Mitgliedsländer finanziert.
Die zunehmend komplexeren Herausforderungen er-
fordern eine interdisziplinäre Agrarforschung und ver-
netzte Strukturen im europäischen Forschungsraum.
Vom 29. bis 30. Oktober 2009 fand in Uppsala (Schweden)
das Kick-off-Meeting von RURAGRI, ein von der Europä-
ischen Kommission im siebten Rahmenprogramm (FP7)
unterstütztes ERA-Net, statt. RURAGRI – Facing sustaina-
bility: new relationships between rural areas and agricul-
ture in Europe wird durch das INRA (Institut National de la
Recherche Agronomique, Frankreich) koordiniert. Zu den
15 Ländern, die an diesem ERA-Net teilnehmen, zählt
auch die Schweiz. Sie wird vertreten durch das Bundesamt
für Landwirtschaft und Spezialisten von Agroscope. Die
ERA-Net Tätigkeiten dauern 48 Monate.
In den europäischen Ländern ist die fortschreitende
Urbanisierung ein sehr dynamischer Prozess. Das Phäno-
men der Urbanisierung umfasst sowohl die Verbreitung
urbaner Landnutzungen, das heisst primär die Ausdeh-
nung des Siedlungsraums mit seinen Wohnflächen, In-
dustrieflächen und Infrastrukturen, als auch die Verbrei-
tung der damit verbundenen urbanen Lebensformen.
Von dieser Entwicklung sind immer mehr Regionen be-
troffen. Auch ländliche Räume, das heisst Räume, die
relativ weit von urbanen Zentren liegen und die Land-
wirtschaft selbst, werden zunehmend von der Urbani-
sierung beeinflusst, und sie sind gezwungen, sich mit ihr
auseinanderzusetzen. Einerseits werden in den ländli-
chen Räumen Nahrungsmittel für die Bewohner der ur-
banen Räume produziert, die wiederum die ländlichen
Räume als Erholungsraum nutzen. Andererseits über-
nehmen die Bewohner ländlicher Räume zunehmend
urbane Lebensweisen. Dies zeigt sich in einer abneh-
menden Einbindung der ländlichen Bevölkerung in die
Landwirtschaft und in den wachsenden Pendlerströmen
zwischen ländlichen und urbanen Räumen.
Um eine nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume
fördern zu können, müssen die Zusammenhänge zwi-
schen der Landwirtschaft und alternativen Landnutzun-
gen wie Wohnsiedlungen, Verkehrsinfrastrukturen und
Erholungsinfrastrukturen bekannt sein. Damit For-
schungsergebnisse die Ausarbeitung politischer Mass-
nahmen zur Steuerung einer nachhaltigen Entwicklung
wirkungsvoll unterstützen können, ist es wichtig, dass
die regional und national spezifischen Landnutzungsän-
derungen und -interaktionen, die politischen Steue-
rungsinstrumente und die Governance erforscht und
verglichen werden. Die europäische Vernetzung der For-
schungspartner soll dazu dienen, „Best Practices“ als
Ideen für innovative Lösungsansätze auszutauschen.
Aus diesen Gründen fokussiert RURAGRI auf eine inter-
disziplinäre Forschung, die die Themen Landwirtschaft
und Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen gleichzeitig
mit der ländlichen Entwicklung betrachtet.
Seine Ziele möchte RURAGRI mit drei Schritten errei-
chen. Erstens sollen die laufenden Forschungsprogram-
me und -projekte im erwähnten Forschungsbereich sowie
die existierenden internationalen Kooperationen und
Funktionsweisen des Informationsaustausches für alle
teilnehmenden Länder erfasst werden. Zweitens werden
die Forschungslücken identifiziert und eine strategische
Forschungsagenda entwickelt. Drittens werden Instru-
mente entwickelt, die eine nachhaltige Förderung trans-
nationaler Forschungsprogramme gewährleisten sollen.
Maria-Pia Gennaio und Stefan Mann, Agroscope Reckenholz-Tänikon
ART; Markus Lötscher, Bundesamt für Landwirtschaft BLW
A k t u e l l
Fodder Crops and Amenity GrassesNach einem halben Jahrhundert ist erstmals wieder ein
umfassendes Werk über die Zucht von Klee- und Gras-
sorten erschienen. Mitgeschrieben haben drei Forscher
von ART. Es haben sich 44 Forschende aus 13 Nationen
am 523 Seiten dicken und 20 Kapitel umfassenden Werk
beteiligt. Ziel ist es, das Wissen um die Zucht von Futter-
pflanzen (vor allem Klee- und Grassorten) wieder auf
eine aktuelle wissenschaftliche Basis zu stellen. Neun all-
gemeine Kapitel vermitteln das Rüstzeug für die Züch-
tung, vom Einsatz genetischer Ressourcen über die
Zuchtmethodik und die Zuchtziele bis zu den Bestim-
mungen zur offiziellen Sortenzulassung. Elf artspezifi-
sche Kapitel geben Auskunft, welche Fortschritte die
Züchtung bei den wichtigsten Gattungen von Gräsern
und Leguminosen erreicht hat, wie die aktuellen Her-
ausforderungen angegangen werden und was moleku-
larbiologische Erkenntnisse dazu beitragen können. Das
letzte, ähnlich umfangreiche Standardwerk erschien vor
fünfzig Jahren. Zur Zielgruppe gehören die Futterpflan-
zenzüchtung, Lehrende und fortgeschrittene Lernende
aus dem Landwirtschaftssektor, die Saatgutbranche und
die landwirtschaftliche Beratung.
Doch auch Aussenstehende kommen auf ihre Kosten.
Denn Stellenweise liest sich das Buch wie ein Krimi. Im
ersten, vom Belgier Dirk Reheul verfassten Kapitel er-
fährt man, dass der Klee eine steile Karriere hinter sich
hat. Sie begann im 16. Jahrhundert. Damals wurden die
Wälder zur Feuer- und Schiffbauholzgewinnung so stark
abgeholzt, dass die Böden Europas durch den nachfol-
genden Ackerbau ausgelaugt wurden und degenerier-
ten. Die Grundlage für die Nahrungsmittelproduktion
drohte zu versagen. Doch dank der Aussaat von Rotklee
und des Recyclings der Nährstoffe in der Hofdünger-
wirtschaft wurde die Fruchtbarkeit der Böden wieder-
hergestellt. Der Klee rettete die Böden nicht nur, er stei-
gerte auch ihre Produktivität. Das führte bereits damals
zu einer Verdoppelung der Getreideernten.
Der Rotklee wird in den letzten Jahrzehnten zuneh-
mend von einer Pilzkrankheit bedroht, dem Südlichen
Stängelbrenner. Er hat sich in den letzten Jahren stark
ausgebreitet, wahrscheinlich aufgrund wärmerer Som-
mertemperaturen. Deshalb ist die Verbesserung der Re-
sistenz gegen diesen Krankheitserreger eine zentrale
Züchtungsaufgabe. Das Buch liefert das Grundlagenwis-
sen, um dieser Herausforderung begegnen zu können.
Boller B., Posselt U. K. und Veronesi F. (Eds.). Fodder
Crops and Amenity Grasses, Series: Handbook of Plant
Breeding Vol. 5, 523 p., Springer Science + Business
Media, New York. ISBN: 978-1-4419-0759-2
Aktuell
N e u e P u b l i k a t i o n e n
120 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 119–123, 2010
121Agrarforschung Schweiz 1 (3): 119–123, 2010
Aktuell
Betriebsführungs-arbeiten im Ackerbau
ART-Bericht 718Je Hektare und Jahr wenden grössere Betriebe deutlich
weniger Arbeitszeit für die Betriebsführung auf. Dieser
Zeitbedarf schwankt zwischen 3,6 und 26,2 Arbeits-
kraftstunden je Hektare und Jahr. Absolut betrachtet
erfordert die Betriebsführung im Ackerbau auf den un-
tersuchten Betrieben zwischen 154 und 680 Arbeits-
kraftstunden je Betrieb und Jahr. Entsprechend dieser
grossen Bedeutung der Betriebsführung muss ihr auch
im Rahmen der Arbeitsplanung eine zentrale Stellung
zukommen. Vor allem bei hochmechanisierten Produkti-
onsverfahren, wie sie im Ackerbau anzutreffen sind, ist
mit einem hohen Anteil der Betriebsführung am Ge-
samtarbeitszeitbedarf zu rechnen. Im Durchschnitt brin-
gen die untersuchten Betriebe rund 45 Prozent ihrer Ar-
beitszeit für die Betriebsführung auf. Dies ist Grund ge-
nug, sich intensiv mit dieser Thematik auseinanderzu-
setzen und auch in diesen Bereichen Optimierungsmass-
nahmen zu entwickeln.
Christoph Moriz und Andreas Mink,
Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART
Strukturproble-matik bei Misch-rationen für Hochleistungs-herden Ergebnisse einer Erhebung auf Milchviehbetrieben
ART-Bericht 719Für Rindviehhaltende und die Fütterungsberatung wird
die Beurteilung der Struktur einer Ration zunehmend
wichtig. Sie sollten sich dabei auf zuverlässige Metho-
den abstützen können und die Abhängigkeiten zwi-
schen Bearbeitung des Grundfutters und Einfluss auf
dessen Struktur kennen. Eine Untersuchung auf 17 Be-
trieben hat gezeigt, dass in der Praxis eine Strukturbe-
wertung von Gesamtrationen mit Hilfe des Struktur-
werts nach de Brabander et al. für Schweizer Verhältnis-
se mit hohen Grassilage- und Heuanteilen wenig aussa-
gekräftig ist. Trotz relativ guten Strukturwerten setzten
zirka zwei Drittel der Betriebe Pansenpuffer ein. Je hö-
her der Kraftfutteranteil in der Gesamtration wird, des-
to grösser wird auch das Risiko von Strukturproblemen.
Ein hoher Kraftfutteranteil bringt jedoch nicht zwin-
gend Strukturprobleme mit sich. Mit der Schüttelbox-
Analyse kann die Mischration untersucht werden. Sie
berücksichtigt allerdings die zusätzlich in der Kraftfut-
terstation verabreichten Ergänzungsfutter nicht, die ge-
rade bei den gefährdeten Hochleistungstieren eine ent-
scheidende Rolle spielen. Die Resultate haben gezeigt,
dass mit der Schüttelbox-Analyse allenfalls Zusammen-
hänge zwischen den Feinpartikelanteilen in der Misch-
ration und dem Auftreten von Strukturproblemen sicht-
bar gemacht werden können. Negative Auswirkungen
der mechanischen Bearbeitung des Wiederkäuerfutters
auf die Struktur konnten nicht nachgewiesen werden.
Die Untersuchung hat aufgezeigt, dass bezüglich der Be-
wertung von Struktur im Wiederkäuerfutter noch gro-
sse Unsicherheiten bestehen. Die angewandten Struk-
turbewertungssysteme lassen sich nur bedingt auf die in
der Praxis vorherrschenden Gegebenheiten anwenden.
Franz Nydegger und Simon Bolli, Forschungsanstalt
Agroscope Reckenholz-Tänikon ART
ART-Bericht Nr. 718 2009
Inhalt Seite
Problemstellung 2
Methodisches Vorgehen 2
Systematische Gliederung 2
Planbarkeit und 3 Termingebundenheit
Ergebnisse 3
Schlussfolgerungen 7
Literatur 8
Betriebsführungsarbeiten im AckerbauChristoph Moriz und Andreas Mink, Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, Tänikon, CH-8356 Ettenhausen, E-Mail: christoph.moriz@art.admin.ch
Je Hektare und Jahr wenden grössere Betriebe deutlich weniger Arbeitszeit für die Betriebsführung auf. Dieser Zeitbedarf schwankt zwischen 3,6 und 26,2 Arbeitskraftstunden je Hektare und Jahr. Absolut betrachtet erfordert die Betriebsführung im Ackerbau auf den untersuchten Betrieben zwischen 154 und 680 Arbeitskraftstunden je Betrieb und Jahr. Entsprechend dieser grossen Bedeutung der Betriebsfüh-rung muss ihr auch im Rahmen der Arbeitsplanung eine zentrale Stellung zukommen. Vor allem bei hochmecha-nisierten Produktionsverfahren, wie sie im Ackerbau anzutreffen sind, ist mit einem hohen Anteil der Betriebs-
führung am Gesamtarbeitszeitbedarf zu rechnen. Im Durchschnitt bringen die untersuchten Betriebe rund 45 Pro-zent ihrer Arbeitszeit für die Betriebs-führung auf. Dies ist Grund genug, sich intensiv mit dieser Thematik aus-einanderzusetzen und auch in diesen Bereichen Optimierungsmassnahmen zu entwickeln.
Abb. 1: Neben den Feldarbeiten muss im Ackerbau zunehmend die Betriebsführung beachtet werden. (Foto: Marion Riegel, Agroscope ART)
ART-Bericht Nr. 719 2009
Strukturproblematik bei Mischrationen für Hochleistungsherden
Ergebnisse einer Erhebung auf Milchviehbetrieben
Franz Nydegger und Simon Bolli, Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, CH-8356 Ettenhausen, E-Mail: franz.nydegger@art.admin.ch
Inhalt Seite
Problemstellung 2
Struktur im Wiederkäuerfutter 2
Vorgehen bei der 2 Datenerhebung
Bewertung der Struktur 2 im Wiederkäuerfutter
Ergebnisse 3
Diskussion der Resultate 6
Schlussfolgerungen 7
Literatur 8
Für Rindviehhaltende und die Fütterungsberatung wird die Beurteilung der Struktur einer Ration zunehmend wichtig. Sie sollten sich dabei auf zuverlässige Methoden abstützen können und die Abhängigkeiten zwischen Bearbeitung des Grundfutters und Einfluss auf dessen Struktur kennen. Eine Untersuchung auf 17 Betrieben hat gezeigt, dass in der Praxis eine Strukturbewertung von Gesamtrationen mit Hilfe des Strukturwerts nach de Brabander et al. für Schweizer Verhältnisse mit hohen Grassilage und Heuanteilen wenig aussagekräftig ist. Trotz relativ guten Strukturwerten setzten zirka zwei Drittel der Betriebe Pansenpuffer ein. Je höher der Kraftfutteranteil in der Gesamtration wird, desto grösser wird auch das Risiko von Strukturproblemen. Ein hoher
Kraftfutteranteil bringt jedoch nicht zwingend Strukturprobleme mit sich. Mit der SchüttelboxAnalyse kann die Mischration untersucht werden. Sie berücksichtigt allerdings die zusätzlich in der Kraftfutterstation verabreichten Ergänzungsfutter nicht, die gerade bei den gefährdeten Hochleistungstieren eine entscheidende Rolle spielen. Die Resultate haben gezeigt, dass mit der SchüttelboxAnalyse allenfalls Zusammenhänge zwischen den Feinpartikelanteilen in der Mischration und dem Auftreten von Strukturproblemen sicht bar gemacht werden können. Negative Auswirkungen der mechanischen Bearbeitung des Wiederkäuerfutters auf die Struktur konnten nicht nachgewiesen werden. Die Untersuchung hat aufgezeigt, dass bezüglich der Bewertung von Struktur im Wie
Abb. 1: Das Wiederkauen ist für das gute Funktionieren der Verdauung und des Stoffwech-sels der Kuh von grosser Bedeutung.
derkäuerfutter noch grosse Unsicherheiten bestehen. Die angewandten Strukturbewertungssysteme lassen sich nur bedingt auf die in der Praxis vorherrschenden Gegebenheiten anwenden.
122 Agrarforschung Schweiz 1 (3): 119–123, 2010
Aktuell
www.agroscope.ch
22.02.2010 / ART Weniger Stress für die Kuh am ArbeitsplatzIn Tänikon (TG) wurde eine europaweit einzigartige expe-
rimentelle Melkwand in Betrieb genommen. Mit ihr lassen
sich die Quellen von Lärm und Vibrationen während des
Melkens messen. Die Resultate werden helfen, die Schwei-
zer Milch qualitativ an der Weltspitze zu halten.
15.02.2010 / ACW Energieeinsparung im GewächshausDie Energie – vor allem Energieeinsparung – steht heute
im Zentrum der Anliegen von Gewächshausbewirtschaf-
terinnen und -bewirtschaftern. Seit 2006 arbeitet die
Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW
an der Temperaturführung durch Temperatur-Integra-
tion (TI) bei Gewächshauskulturen. Diese besondere
Bewirtschaftung führt je nach Kultur zu Energieeinspa-
rungen im Bereich von 10 bis 30 %.
11.02.2010 / ALP Die Zahl der Imker und der Bienenvölker geht europaweit zurückDie Zahl der Bienenvölker ist in Mitteleuropa in den letz-
ten Jahrzehnten zurückgegangen. Die Zahl der Imker
sank sogar europaweit. Damit liegt erstmals ein Gesamt-
überblick auf europäischer Ebene zum Problem des Bie-
nenrückgangs vor. Da auch andere Bestäuber wie Wild-
bienen und Schwebfliegen im Rückgang begriffen sind,
besteht die Gefahr, dass Bestäuberdienstleistungen, von
denen viele Feldfrüchte abhängig sind, nicht mehr erfüllt
werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des IBRA
(International Bee Research Association – internationaler
Bienenforschungsverband). Das Zentrum für Bienenfor-
schung der Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posi-
eux ALP ist an der Studie massgeblich beteiligt.
09.02.2010 / ACW Ein amerikanischer Reben-Schädling ist im Tessin angekommenDie aus Nordamerika stammende Rebenminiermotte
Phyllocnistis vitegenella hat unsere Grenzen überschrit-
ten und ist 2009 in den Tessiner Rebbergen des Mendri-
siotto beobachtet worden. Es handelt sich um einen
Kleinfalter, dessen Raupen Miniergänge in den Blättern
bohren. Der Schädling ist wahrscheinlich von Italien her
in unsere Regionen eingewandert. In Europa wurde er
zum ersten Mal 1994 in Venetien (Italien) gemeldet. Er
kommt heute in verschiedenen Gegenden Nordostitali-
ens vor. 2004 wurde er in Slowenien und 2008 in Südita-
lien (Apulien) nachgewiesen. Die Forschungsanstalt Ag-
roscope Changins-Wädenswil ACW wird die Entwick-
lung des Schädlings verfolgen, um seine eigentliche
Schädlichkeit im Tessiner Umfeld zu ermitteln.
04.02.2010 / ART Dünger für den Klimawandel Neben Strassenverkehr, Gewerbe und Industrie trägt
auch die Landwirtschaft zur Emission von Treibhaus-
gasen und damit zum Klimawandel bei. Im Fokus einer
internationalen Konferenz in Solothurn stand die Dün-
gung von Äckern und Wiesen mit Stickstoff.
03.02.2010 / ACWSpirituosenbranche setzt sich die Krone aufDie Vereinigung von fünf Organisationen der Schweizer
Spirituosenbranche ist zustande gekommen: Die neue
Distisuisse wurde gegründet – dank der Vermittlung der
Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil
ACW, der Eidgenössischen Alkoholverwaltung EAV so-
wie der Plattform DARF (Destillate Agroscope Régie
Fédérale des alcools). Die Vision: Die Bündelung der
Kräfte zur Eroberung von Marktanteilen mit qualitativ
hochwertigen Edelbränden aus der Schweiz und Liech-
tenstein.
02.02.2010 / ALP Futtermittelkontrollen im Dienste gesunder LebensmittelDie Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP
hat den Auftrag, alle in den Handel gebrachten Futter-
mittel für Heim- und Nutztiere zu kontrollieren. Damit
stellt sie die erste Kontrollinstanz in der Lebensmittel-
kette dar. 2009 hat sie 1727 Proben erhoben und analy-
siert. Die Anzahl beanstandeter Proben lag im Bereich
des Vorjahrs.
M e d i e n m i t t e i l u n g e n
123Agrarforschung Schweiz 1 (3): 119–123, 2010
V e r a n s t a l t u n g e n
März 2010
19.3.2010ART-TagungAgroscope Teckenholz-Tänikon ARTReckenholz, Zürich
April 2010
15.4.2010Vergleich von FutterbewertungssystemenAgroscope Liebefeld-Posieux ALPPosieux
22.4.20105. BioforschungstagungAgroscope Liebefeld-Posieux ALPPosieux
22.4.2010Zustand der Biodiversität in der SchweizAgroscope Reckenholz-Tänikon ARTReckenholz, Zürich
30.4.20105. Jahrestagung Netzwerkpferdeforschung SchweizSchweizerisches Nationalgestüt SNGAvenches
Mai 2010
05. – 06.05.201010. Tagung – Landtechnik im AlpenraumAgroscope Reckenholz-Tänikon ART, Feldkrich, Österreich
06.05.2010Landwirtschaftliche und veterinärmedizinische Tierernährungsforschung im VerbundALP, ETHZ, Vetsuisse-Fakultäten Universitäten Zürich und Bern ETH Zürich
Informationen: www.agroscope.admin.ch/veranstaltungen und www.an.ipas.ethz.ch
Juni 2010
03.06. – 05.06.2010IGN-Tagung 2010: Internationale Gesellschaft für NutztierhaltungAgroscope Reckenholz-Tänikon ART Tänikon, Ettenhausen
18.06. – 20.06.2010Tage der offenen Tür 2010Agroscope Changins-Wädenswil ACWChangins, Nyon
Aktuell
N e u e I n t e r n e t l i n k s
Informationen zur Kälberforschung und zur Gesundheit von Milchkühen
www.calfnotes.com
Diese Webseite bietet aktuelle Informationen bezüglich
der neusten Forschungsresultate über Kälber und ihre
Bedeutung für die Praxis. CalfNotes ist eine amerikani-
sche Website. Alle Informationen werden ausschliesslich
in Englisch angeboten.
www.portal-rind.de
Interessante Artikel zur Gesundheit von Milchkühen fin-
det man auf der deutschen Website Portal-rind.de.
Informationen: www.agroscope.admin.ch/veranstaltungen
April 2010 / Heft 4
• Vogelgefährdung durch Pflanzenschutzmittel?
Risikoprognosemodelle und Monitoring,
M. Gandolfi ACW
• Kaltvernebelung – Stärken und Schwächen eines
Applikationsverfahrens für Pflanzenschutzmittel
in Gewächshäusern, J. Ruegg ACW
• Eignung verschiedener Holsteinlinien für
die Kälbermast, N. Roth und P. Kunz SHL
• Bio-Landbau Schweiz – wer sind Aus-,
wer sind Einsteigende? A. Ferjani ART
• Tagung Netzwerk Pferdeforschung, D. Burger SNG
Die Gruppe Ökotoxikologie der Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW prüft, ob und wie Pflanzen und Tiere mit einem Pflanzenschutzmittel in Kontakt kommen können, und ob sie dadurch gefährdet sind oder nicht. (Foto: Markus Jenny)
V o r s c h a u
Aktuelles zum BiorindIm Zentrum steht das Rindvieh im Biolandbau. Aktuelle For-schungsresultate zum Futterbau, zur Rindviehzucht, zur Tierge-sundheit und zur Produktqualität werden vorgestellt.
OrtForschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALPRte de la Tioleyre 4Postfach 64CH -1725 Posieux
Programm und Anmeldungwww.agroscope.admin.ch (Veranstaltungen: 5. Bioforschungs-tagung)
VeranstalterAgroscope und FiBL
Stations de rechercheAgroscope Changins-Wädenswil ACWAgroscope Liebefeld-Posieux ALPAgroscope Reckenholz-Tänikon ART
Schweizerische EidgenossenschaftConfédération suisseConfederazione SvizzeraConfederaziun svizra
22. April 2010
5.Bioforschungstagung
5_journée_information_recherche_bio_2010_V2_De.indd 1 25.01.2010 15:28:00