Post on 28-Sep-2020
transcript
1
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
E-learning als „globalisierte Didaktik“? Kritische Anmerkungen zur lokalen Einbindung Neuer Medien in universitäre Didaktik und Lehre
Maria Dabringer & Barbara Reisner
Abstrakt: Seit der „Privatisierung“ der Universitäten mit der Umsetzung des Universitätsgesetzes 2002
sind der Ökonomisierung und Vermarktung von Bildung in Österreich auch formal alle bis
dahin noch verschlossenen Türen geöffnet worden. Gleichzeitig wurde damit der „Markt“ für
Bildungseinrichtungen auf die vormals staatlich verwalteten Universitäten ausgeweitet. Diese
Entwicklungen sind auch außerhalb Österreichs zu beobachten. In ganz Europa sind die
Bildungsorganisationen mit Umstrukturierungsmaßnahmen „á la Bologna“ beschäftigt.
Verschiedene strukturelle Umänderungen und Neuerungen wurden im Zuge dessen an den
Universitäten installiert, um „marktfähig“, „aktuell“ und „modern“ zu sein. Das Bestreben, am
globalen Bildungsmarkt mitzuspielen, drückt sich auch in der Etablierung und Verwendung
neuer Technologien aus. An Hand von praktischen Beispielen soll in vorliegendem Beitrag
gezeigt werden, welche „Alltagsmythen“ mit globalen Kommunikationstechnologien und im
Speziellen mit e-learning Werkzeugen verbunden sind. Die Autorinnen konstatieren innerhalb
aller Zielgruppen, die e-learning und neue Kommunikationstechnologien in der Lehre
einsetzen, die Erwartungshaltung, Lehre damit ökonomischer gestalten und einen
didaktischen Mehrwert erzielen zu können. Verschiedene Erwartungshaltungen werden in den
Blick genommen, benannt und relativiert. Gleichzeitig wird gezeigt, dass durch die Devise
„Modernität der Lehre durch Einbindung von Technologien“ die Wichtigkeit der
Fachkompetenz und der didaktischen Ausbildung oft unbeachtet bleibt. Das bedingt in der
Folge, dass die Identität von Lehrenden, Lernenden und des Systems von Wissensvermittlung
in Frage gestellt wird.
Um das volle Potential – für eine positive Lern- und Lehrerfahrung mit neuen Technologien im
universitären Rahmen – auszuschöpfen zu können, müssen Stärken und Schwächen,
Möglichkeiten und Grenzen derselben benannt und vermittelt werden, um Lehre und Didaktik
danach auszurichten. Der Beitrag zeigt, dass ohne zusätzliche ökonomische Ressourcen,
ohne Engagement und ohne Bereitschaft aller Beteiligten sich auf neue, „globalisierte“ Lern-
und Lehrtechniken einzulassen, diese modernisierenden Trends strukturell nicht greifen
können.
Schlüsselwörter: e-learning, technologiegestützte Hochschuldidaktik, Lokale Lehr- und
Lernkulturen, eBologna
2
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
1. Einleitung In der österreichischen Tageszeitung Der Standard vom 19./20.April 2008 (2008: B1)
behandelt Christian Scholz, Professor für Personalmanagement in Saarbrücken, in einer eher
knappen und vereinfachten Weise das Thema e-learning. Er verweist schon in der Überschrift
darauf, dass e-learning (als Trend) bereits „tot“ sei. Seine Stellungnahme subsumiert die im in
weiten Teilen des Bildungsbereichs zu konstatierende Ernüchterung und Frustration
gegenüber e-learning und die diesbezüglich geweckten und unerfüllt gebliebenen
Erwartungen (vgl. Schulmeister 2006). Im folgenden Artikel werden Probleme diskutiert, die in
der universitären Bildung im Kontext von online-Lehre offensichtlich geworden sind und denen
grundsätzliche Missverständnisse im Umgang mit technologisierter Lernkultur zu Grunde
liegen (vgl. Bang, 2006; Oblinger/Hawkins, 2005).
Eigene didaktische Erfahrungen bei der Implementierung von e-learning an der
Universität Wien bzw. im Rahmen eines ALFA-Projekts (América Latina - Formación
Académica; EU-Förderprogramm für die Hochschulzusammenarbeit mit Lateinamerika)
fließen hier ein. In beiden Kontexten wird, geleitet von der durch Bologna neu definierten
Bildungspolitik, technologiegestützte Lehre im universitären Rahmen eingesetzt. Die oben
erwähnten Missverständnisse im Umgang mit e-learning im didaktischen Bereich der
Universitäten sollen im Folgenden identifiziert werden. Die eingebrachten Erfahrungen sollen
helfen, Missverständnisse genauer zu beleuchten und auf Ursprünge derselben einzugehen.
Mit den Ausführungen laden wir ein, eine erweiterte, aus der didaktischen Lehrpraxis
abgeleitete Perspektive gegenüber e-learning einzunehmen.
2. Institutionell-lokale Verankerung „europäisch“-globaler Entwicklungen Mit der Umsetzung und Implementierung des Universitätsgesetzes 2002 (bm:bwk 2006)
wurde in Österreich ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur „Privatisierung“ der
Universitäten getan. Der global immer bedeutender werdenden Vermarktung und
Ökonomisierung von Bildung wurden damit formal noch verschlossene Türen geöffnet.
Gleichzeitig erfuhr der „Markt“ für Bildungseinrichtungen eine Erweiterung: die vormals
staatlich verwalteten Universitäten wurden Teil desselben. Diese Entwicklungen sind auch
außerhalb Österreichs zu beobachten: In ganz Europa sind die Bildungsorganisationen (und
deren MitarbeiterInnen) mit Umstrukturierungsmaßnahmen im Sinne der
Bologna-Vereinbarung (EC 1999) beschäftigt. Bei diesen europaweiten
„Bildungsanpassungsprojekten“ werden die in den Sozialwissenschaften viel analysierten
Widersprüchlichkeiten von Globalisierungsprozessen (Appadurai, 1996; Eriksen, 2007;
Inda/Rosaldo, 2002) einmal mehr deutlich: Einerseits erreichen die allerorts eingeleiteten
Anpassungsprozesse in den verschiedenen historisch gewachsenen nationalen
Bildungsstrukturen in Europa eine strukturelle und oft auch inhaltliche Homogenisierung des
universitären Sektors – mit allen Vor- und Nachteilen. Andererseits werden lokal und national
3
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
für ebendiese Umsetzung und Anpassung der Bologna-Deklaration sehr unterschiedliche
Strategien angewendet. Regional-nationale Bildungsstrukturen werden dabei in der Folge
hinterfragt, innerinstitutionell diskutiert, kontroversiell und manchmal von Grund auf neu
verhandelt. Vorgeschlagene oder „top-down“ implementierte Neuerungen werden durch lokal
handelnde AkteurInnen – mehr oder weniger gelungen – in das bestehende lokale System von
Bildung integriert und adaptiert. Neue Praktiken entstehen. Das funktioniert innerinstitutionell
nicht immer reibungslos. Im Zuge dessen treten Probleme auf, die Institutionen und Strukturen
herausfordern, die MitarbeiterInnen zeitlich umfassend beschäftigen und die wertvolle Energie
– nicht nur kreativ – binden.
Strukturelle Veränderungen und Neuerungen (u. a. die strukturelle Angleichung der
Studienpläne für erhöhte Kompatibilität zwischen den europäischen Universitäten, etc.)
wurden im Zuge dessen an den Universitäten auch deshalb installiert, um „marktfähig“,
„aktuell“ und „modern“ zu sein. Was heißt das jedoch genau? „Marktfähig“ und „modern“ zu
sein heißt für Bildungseinrichtungen, im internationalen Vergleich anerkannt zu sein und im
globalen Vergleich „exzellent“ abzuschneiden (vgl. Wölfing/Lenhart 2003). Dieses Bestreben,
am globalen Bildungsmarkt „ein Wort mitzureden“, drückt sich auch in der Etablierung und
Verwendung neuer Technologien durch Studierende, Lehrende und Verwaltende aus. Die
globalen technologischen Errungenschaften und Möglichkeiten veranlassten auch
BildungspolitikerInnen, die durch Neue Medien gestützte Lehre („e-learning“) und deren
Implementierung in den institutionellen Strukturen als ein erklärtes Ziel im Sinne der
Umsetzung der Deklaration von Bologna für den gesamten europäischen Bildungsraum
festzuschreiben. Dieser Entschluss wurde nicht explizit in die erste „Bologna Deklaration“ (EC
1999; BMBF 1999) inkludiert. Hier war vor allem vom Ziel der größeren Kompatibilität und
Vergleichbarkeit der Hochschulsysteme die Rede. Erst im Rahmen eines Bologna Follow up
Seminars in Ghent (Belgien) im Jahr 2004 wurden die Möglichkeiten und Chancen diskutiert,
die im Zuge der Bildung eines Europäischen Hochschulraums durch e-learning und Fernlehre
erreicht werden können (BFUG, 2004). Auf diese Überlegungen und Prozesse bezieht sich
auch der oft verwendetes Begriff „eBologna“. Diese haben die Errichtung eines „virtuellen“
Europäischen Hochschulraumes zum Ziel. E-learning wird damit als geeignetes Instrument zur
Erreichung der Ziele von Bologna auf europäischer Ebene begriffen. Zugleich bringt der
Bologna-Prozess theoretisch die Möglichkeit mit sich, die Voraussetzungen für eine
nachhaltige, sinnvolle Integration von e-learning an europäischen Hochschulen zu schaffen
(vgl. Pauschenwein, 2008; Loebe/Severing, 2004). Ob e-learning nun im Dienste von Bologna
steht oder der Bologna-Prozess im Dienste von e-learning, mag von der Sichtweise des/-r
Betrachters/-in abhängen. Tatsache ist jedoch, dass Strukturreformen und
Anpassungsprozesse auf Ebene der Studienpläne und deren Kompatibilität hier strategisch
mit der Etablierung und Nutzung Neuer Medien im universitären Kontext verschränkt werden,
jedoch zwei unterschiedliche Maßnahmen sind, die von Beginn an immer in einem Atemzug
4
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
genannt wurden und umgesetzt werden wollten. Das lässt eine „getrennte Analyse“ der beiden
völlig unterschiedlichen Phänomene für manche AkteurInnen innerhalb des akademischen
Alltags nicht zu und führt zu Missverständnissen. Auch wenn der Bologna-Prozess (mit oder
ohne „e“) von seinen BefürworterInnen als ein „europäisches“, modernes Projekt zur
Internationalisierung der Hochschulen propagiert wird, muss jenseits des „Europa
vereinenden“ Charakters unbedingt berücksichtigt werden, dass die Umsetzung desselben in
den lokal-nationalen Institutionen innerhalb des „Europäischen Bildungsraums“ stattfinden
muss. Bildungspolitische Entscheidungen reichen hier nicht aus. Insofern sind wir im Sinne
Doris Carstensens (2005: 3) von der Universität Graz/Österreich der Meinung, dass „Bologna“
„zu Hause“ beginnt, nämlich als Teil nationaler Hochschulstrategien und als Teil des
individuellen akademischen Alltags.
3. Zu Begrifflichkeiten im Kontext von technologiegestützter Lehre Grundlage für das Entstehen von Missverständnissen im Bereich der Anwendung Neuer
Medien im Bildungskontext ist oft eine – auf Unwissenheit basierende – unklare Verwendung
von einschlägigen Begriffen oder das Fehlen eindeutiger Definitionen eben dieser Begriffe.
„E-learning“, „distance learning“, „blended learning“, „webbased training“, „tele-Lernen“, etc. –
all dies sind Worte, die, zumeist aus dem Englischen kommend, Eingang in den deutschen
Sprachgebrauch gefunden haben und hier in ihrer Verwendung oft sehr beliebig und
undifferenziert in Erscheinung treten. Dadurch sorgen sie für Verwirrung. Es ist also nicht
weiter verwunderlich, dass, trotz der zunehmenden Anzahl an gängigen Definitionen, einige
einschlägige AutorInnen dazu anraten, stets nachzufragen, was denn genau mit den
verwendeten Begriffen gemeint sei (Spindler/Mayer, 2006 :1; Sauter u.a., 2004: 31).
Baumgartner u.a. (2002) etwa verstehen e-learning als Überbegriff für alle Arten
mediengestützten Lernens und schließen somit auch lokale Software-Anwendungen wie
Lernprogramme oder CD-ROMs mit ein. Zugleich betonen die AutorInnen jedoch die
Bedeutung der sozialen Interaktion und der „(menschlichen) Begleitung der Lernprozesse“
(Baumgartner u.a., 2002: 5). Interessant und bemerkenswert ist dabei, dass die „menschliche“
Betreuung der Lernprozesse – eine Selbstverständlichkeit für jede/-n Lehrenden – besondere
Erwähnung findet. Die Sorge, dass technische Geräte, Software oder Internet basierte
Lerntools, die menschliche Leistung in der Lehre relativieren oder gar ersetzen könnten,
schwingt in der Diskussion um die Sinnhaftigkeit von Neuen Medien im Bildungsbereich sehr
oft mit. Dies unterstreicht für uns die Annahme, dass die „traditionelle“ Lehre technische
Hilfsmittel bewusst und unbewusst als Konkurrenz wahrnimmt. Denn auch didaktisch
erfahrene Lehrende stehen dem Einsatz Neuer Medien häufig kritisch bis ablehnend
gegenüber.
5
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
Die in diesem Artikel vertretene Auffassung von e-learning deckt sich in weiten Teilen mit
jenen von Baumgartner u.a. (2002): Im engeren Sinne geht es dabei um Lehr- und
Lernprozesse, die durch Nutzung des Internets ermöglicht werden. Dabei wird die technische
Infrastruktur zur Darstellung der (multimedialen) Lerninhalte und als Kommunikationsmedium
genutzt. Wesentlich dabei ist, dass die Lernenden dabei nicht (ausschließlich) mit einem
elektronischen System interagieren, sondern in ihren Lernprozessen von anderen Menschen
(DozentInnen, TutorInnen, KollegInnen, etc.) begleitet werden und sich gleichzeitig selbst aktiv
in einer didaktisch gestalteten und vorbereiteten Lernumgebung einbringen. Für DozentInnen
und TutorInnen, die die Lernenden „begleiten“, bedeutet dies, die Lernumgebung vorab
didaktisch zu gestalten und den ganzen Lernprozess über konzeptionell zu betreuen. Die
Technik steht dabei im Dienste der Didaktik und nicht an deren Stelle. Dabei ist die persönliche
Betreuung der Studierenden unserer Ansicht nach untrennbar mit dem verbunden, was wir
unter e-learning verstehen.
3.1. Blended "hybrid" learning
Eine Spezialform des e-learning nimmt das so genannte „blended learning“ ein. Dabei
wird e-learning „mit klassischen Lernformen zu einem sinnvollen Gesamtkonzept verknüpft“
(Sauter u.a., 2004: 282). Kerres (2002) bezeichnet die Mischung aus mediengestütztem
Unterricht und Präsenzlernen auch als „hybride Lernarrangements“. Die etablierten lokal
existierenden und entwickelten Lehrmethoden der Präsenzlehre werden also mit neuen,
„global“ ähnlich vermarkteten, Internet basierenden Lehrelementen verknüpft. Es entstehen
„hybride“, lokal-globale Formen der Lehre, die in den lokalen, etablierten Lernsystemen in
ganz Europa manchmal mehr, manchmal weniger gerne akzeptiert werden. Diese neu
entstandenen Formen werden mit vielen, positiven wie negativen Vorurteilen aufgenommen.
Sie erzeugen berechtigte, konstruktiv-kritische bis wenig nachvollziehbare Widerstände bei
Lehrenden, weil sie die etablierte akademische Lehre indirekt in ihren Grundfesten in Frage
stellen und neue Flexibilitäten und Kompetenzen von Lehrenden einfordern, die diese nur
bedingt zur Verfügung stellen können und möchten (vgl. Kerres, 2007). Gleichzeitig treten
auch die so genannten „positiven Vorurteile“ in Erscheinung, die e-learning als vorbehaltlos
grundsätzlich positiv, „modern“, „innovativ“ und „spannend“ beurteilen. In diesem
Spannungsfeld wird e-learning an Universitäten diskutiert und praktiziert.
Während die Gründung einiger europäischer „virtueller Universitäten“ wenig erfolgreich
verlief (Bang 2006), hat das blended learning Konzept als Online-Angebot, das ergänzend zur
Präsenzlehre eingesetzt wird, in die österreichische Universitätslandschaft rasch Eingang
gefunden. Heute verfügt jede österreichische Universität über eine Lernplattform, über die
blended learning-Lehrveranstaltungen abgehalten werden können. Eine Lernplattform ist eine
Software-Anwendung, die über das Internet zugänglich ist. Über eine spezielle Oberfläche
werden verschieden Werkzeuge und Funktionalitäten zur Verfügung gestellt, welche die
6
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
Administration der TeilnehmerInnen, die Erstellung und Verwaltung von Inhalten und
Übungsaufgaben, verschiedene Kommunikationsformen, etc. ermöglichen. Die technischen
Möglichkeiten reichen dabei u. a. von umfangreichen multimedialen Simulationen komplexer
technischer Abläufe über (Live-)Videostreaming bis hin zur Nutzung von Diskussionsforen. Die
Bandbreite der didaktischen Gestaltungsmöglichkeiten ist dabei – ebenso wie in der
Präsenzlehre, in der die Lehrformen ebenfalls von frontalem hin bis zu kollaborativen
Methoden reichen – sehr breit. Der Einsatz von Lernplattformen reicht von der reinen
Distribution von Lernmaterialen und Informationen (e-learning by distribution) über die
Interaktion mit „intelligenten“ Systemen, also Softwareanwendungen wie beispielsweise
automatisierte Feedbacksysteme bei Multiple Choice-Tests (e-learning by interacting mit dem
bereitgestellten technischen System), bis hin zu didaktisch gestalteten
Kollaborationsmöglichkeiten zwischen den Lernenden einerseits (e-learning by collaboration)
und zwischen Lernenden und Lehrenden andererseits (vgl. Reinmann-Rothmeier, 2003: 32).
Es kann also nicht verwundern, dass zwar viele homogenisierend-vereinfacht von e-learning
sprechen, aber nur wenige gleiche Vorstellungen teilen, was e-learning ist, was es leisten und
wie es „lokal“ konkret eingesetzt werden kann. Dieser Graubereich begünstigt Phantasien und
Utopien bezüglich e-learning sowie deren individuell gestaltete (!) Einbindung in die eigene
Verstehenswelt.
3.2. Zur Vielfältigkeit der Online-Lehrpraxis
Als Erfahrungspools und Möglichkeit zur Erweiterung unserer eigenen Verstehenswelt
in puncto e-learning dienten uns in den letzten drei Jahren u. a. zwei Projekte: das Projekt
ALFA-Amelat XXI, dessen zentrales Element die Durchführung eines
Online-Master-Programms für zeitgenössische Lateinamerika-Studien mit interdisziplinärer
Ausrichtung ist, kann als „klassisches“ Beispiel für e-learning dienen. Sowohl die etwa 25
Studierenden als auch die 15 Lehrenden nehmen – jede/-r in seiner/ihrer Rolle – in
unterschiedlichen europäischen und lateinamerikanischen Ländern an diesem Lehrprojekt teil,
sie interagieren ausschließlich über eine Lernplattform miteinander und treffen innerhalb des
zwei Jahre dauernden EU-geförderten Programms lediglich einmal im Rahmen einer inhaltlich
unabhängigen dreiwöchigen Summer School persönlich an einem Ort zusammen. Als
Lehrende bzw. Tutorin eines fünfwöchigen online-Lernmoduls waren wir in diesem Projekt in
den Jahren 2006 – 2008 eingebunden und hatten die Möglichkeit, Chancen und Grenzen
technologisierter Lehr- und Lernprozesse kennen zu lernen und zu analysieren. Den zweiten
Erfahrungspool bot uns ein e-learning-Projekt der Universität Wien („Strategien für vernetztes
Lernen. Eine Lernumgebung zu Methoden und Grundlagenwissen“, vgl. Institut für Kultur und
Sozialanthropologie 2006-2008), das von uns als Konsulentin bzw. als Lehrende zum Teil
inhaltlich mitgestaltet wurde. Primäres Ziel dieses Projektes war es, e-learning-Inhalte zu
produzieren und diese im Rahmen von blended learning-Szenarien an Studierende zu
7
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
vermitteln (Mader/Budka 2007). Dieses Projekt geht Hand in Hand mit einer Reihe konkreter
institutionell-hochschulpolitischer Initiativen der Universität Wien, in deren Rahmen finanzielle
Mittel zur Implementierung von e-learning-Plattformen und für die Einschulung der Lernenden
und Lehrenden zur Verfügung stellte (vgl. eLearning Center Universität Wien 2006).
Diese beiden Beispiele zeigen aufgrund ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen,
Anwendungsgebiete und Zielsetzungen die große Bandbreite der Umsetzungsmöglichkeiten
von e-learning auf. Beide Projekte haben eine eindeutig europäische Dimension und bedienen
sich finanzieller Unterstützung, die zur Umsetzung ebendieses eBologna-Prozesses bereit
gestellt wurden. Interessant ist dabei, dass die Umsetzungsstrategien lokal sehr verschieden
aussehen. Die Implementierungskonzepte sehen die Berücksichtigung lokaler Lern- bzw.
Lehrkulturen – wie von Bang (2006: 2) gefordert – zwar zum Teil vor, oft werden jedoch die
Abhängigkeiten von institutionellen Rahmenbedingungen unterschätzt und Folge dessen die
konkreten Bedürfnisse der Studierenden und Lehrenden nicht ausreichend berücksichtigt.
Dieses Übersehen lokaler Parameter stellt das für die AkteurInnen bis zu diesem Zeitpunkt
existierende identitätsstiftende Referenzsystem „Bildung“ in Frage und damit – wenn auch in
zweiter Linie – das Handeln der AkteurInnen selbst.
3.3. Die sprachliche Einbettung einer globalen Idee
Wie unterschiedlich allein die sprachlichen Begriffe für technologisierte Lernkultur sein
können, zeigt ein Vergleich zwischen dem Deutschen und dem Spanischen. Während im
Deutschen vor allem englischen Begriffe wie „e-learning“ oder „blended learning“ verwendet
werden, um das online Lernen zu beschreiben, so wird im Spanischen viel häufiger von
„educación virtual“ (deutsch: virtuelle Bildung), „educación a distancia“ (deutsch: Fernlehre)
oder „educación semipresencial/virtual“ (deutsch: virtuelle oder semipräsenziale Lehre)
gesprochen. Einerseits mag dies mit der Bereitschaft bzw. Tendenz der Deutsch bzw.
Spanischen Spechenden zu tun haben, Anglizismen in den allgemeinen Sprachgebrauch zu
integrieren. Andererseits transportiert jeder dieser Begriffe – trotz seiner wie bereits erwähnten
oft beliebigen Verwendung – auch bestimmte Herangehensweisen an und Konzepte von
Bildung, Lernen oder Lehren. Während „e-learning“ und „blended learning“ ihren Ursprung in
einer angloamerikanischen Lernkultur haben, die sich in vielen Bereichen vom Alltag einer
österreichischen Massenuniversität unterscheidet – wie beispielsweise dem zahlenmäßigen
Verhältnis zwischen ProfessorInnen und Studierenden -, bezieht sich „educación a distancia“
(oder „Fernlehre“) auf völlig andere Lern- bzw. Lehrkonzepte, die bereits sehr lange vor der
Entwicklung des Internets entstanden sind und regional unterschiedlich ausgeprägt sind. Die
Verwendung von Medien spielte zwar beispielsweise im Bereich von Bildungsfernsehen und
–radio eine wichtige Rolle, die Nutzung des Internets für Bildungszwecke ist aber ein
vergleichsweise junges Phänomen. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass die
didaktischen Zugänge zu „e-learning“ und/oder „educación a distancia“ oft sehr
8
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
unterschiedlich sind. Interessant dabei erscheint vor allem die unterschiedliche
Kontextualisierung ein und desselben Phänomens und die lokal unterschiedlichen Strategien,
neue Entwicklungen in die eigene Praxis zu integrieren. In diesem Zusammenhang ist
relevant, dass nationale Bildungssysteme in einer gewissen „Lehr- und Lerntradition“ stehen.
Sie haben eine Entstehungsgeschichte, eine Identität und ein kollektives Selbstverständnis,
das von den Lernenden, Lehrenden und sonstigen AkteurInnen wie auch der Öffentlichkeit
geteilt wird. Dieses regional verankerte „commitment“ und der identitätsstiftende Rekurs auf
gemeinsame Werte im Bereich Bildung, macht das Funktionieren von Institutionen erst
möglich. Werden diese aus welchen Gründen auch immer verändert bzw. in Frage gestellt, so
werden diese Prozesse als Einschnitte auf individueller und institutioneller Ebene empfunden.
4. Globale Chancen und lokale Grenzen der Umsetzung technologisierter Lernkultur Was bewirkt nun eine – auf Ebene globaler Hochschulpolitik beschlossene –
Technologisierung von Lehre im konkret lokalen Lehralltag an Universitäten? Wie tritt sie in
Erscheinung? Welche Phänomene zeigen, inwieweit Neuerungen angenommen und
Adaptierungsleistungen eingebracht werden? Was bedeutet dies für die Identität der
Lernenden, Lehrenden und für die Institutionen der „marktfähigen“ Universität?
4.1. Reden über Zeit und Geld
In der kapitalistischen Welt der Arbeit (und Bildung) zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind
sowohl Zeit als auch Geld für jede/-n Einzelnen als auch für Institutionen knapp geworden.
Deshalb werden auch im Bildungssektor kaum andere Themen so intensiv und
widersprüchlich diskutiert wie diese. Auch im Kontext der Einführung von e-learning an
Universitäten spielen diese beiden Themen eine bedeutende Rolle.
Gemeinsam mit der Einführung von e-learning an Universitäten und im
Hochschulbereich, wurde auch das weit verbreitete Missverständnis transportiert, e-learning
spare die Zeit der Lehrenden und Lernenden als auch das Geld der Institutionen ein. Diese
Halbweisheit besagt, dass durch ausgelagerte Interaktionen über das Internet Raummieten
innerhalb der Universität gespart werden, weil alle AkteurInnen „von zu Hause“, wann immer
sie wollen (Tag und Nacht, also jederzeit) arbeiten können und damit „Orte der
Wissensvermittlung“ nicht mehr zur Verfügung stehen müssen. Lehrende sparen demnach
Zeit, weil sie „alles von zu Hause“ machen können, Lernende sparen Zeit, weil „alles im Netz
verfügbar ist“. Solche leicht zu entkräftenden „Einstiegsmythen“ argumentierten gegenüber
den meist in der Präsenzlehre tätigen AkteurInnen an den jeweiligen Instituten, mit einem nur
scheinbaren Mehrwert. Vorrangig rationale Beweggründe für die Einführung der Technologie
gestützten Lehre werden damit transportiert. Wie sieht jedoch die Realität auf institutioneller
9
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
und individueller Ebene aus?
Allein die Anschaffung und Wartung einer kommerziell vermarkteten Lernplattform (wie
z.B. WebCT) für universitäre Kontexte benötigt – auf institutioneller Ebene – enorme
finanzielle Ressourcen. Ebenso ist zu bedenken, dass Lehrende, TutorInnen und Studierende
für den aktiven Gebrauch der Plattform eingeschult werden müssen. Auch diese strukturelle
Maßnahme kostet Geld. Nachbearbeitungen (angepasste Programmierungen) der
Lernplattformen, um die lokalen Bedürfnisse der Lehrenden und der Institute zu befriedigen,
sind - soweit überhaupt möglich - ebenfalls an finanzielle Mittel und qualifizierte Arbeitskräfte
gebunden. Im Falle eines Umstiegs von einer Lernplattform auf eine andere – beispielsweise
an der Universität Wien wegen negativer Erfahrungen im Bereich Wartung durch den
Hersteller – werden wiederum Zeit und Geldmittel benötigt. Umschulungen für Lehrende,
Lernende und technische MitarbeiterInnen müssen in solchen Fällen möglich gemacht
werden.
Im Kontext international umgesetzter e-learning-Programme schlägt sich die erwähnte
„Zeit-Geld-Logik“ in anderer Form nieder und muss unter anderen Gesichtspunkten beleuchtet
werden als lokal, mit Präsenzlehre kombinierte Formen der Implementierung. An der
Universidad Complutense werden durch den dort installierten interdisziplinären
Master-Studiengang für Lateinamerika-Studien Raumkosten nur fiktiv „eingespart“: Alle
Beteiligten in vielen verschiedenen Ländern greifen auf dieselbe Plattform zu und interagieren
auf diese Weise miteinander. Dies „spart“ definitiv Raum für Hörsäle und Reisekosten der
Teilnehmenden ein, nicht aber Ressourcen: die „Überwindung von Raum“ muss durch
vermehrte Kommunikation und verstärkte Studierendenbetreuung wettgemacht werden, damit
sich der Lehr- und Lernerfolg ebenso einstellen kann.
Erwähnt werden muss jedoch, dass online Lehrgänge dieser Art meistens komplementär zum
bestehenden akademischen Angebot implementiert werden und nicht anstelle dessen. Es wird
sichtbar, dass unterschiedliche Lehrangebote (blended learning und reine online
Lern/Lehrangebote) für völlig unterschiedliche Zielgruppen (Studierende an
Präsenzuniversitäten am selben Ort bzw. online Studierende an verschiedenen Orten der
Welt) mit den gleichen Argumenten (e-learning spart Zeit und Geld) diskutiert werden.
Auf individueller Ebene kosten der aktive Gebrauch von Lernplattformen sowie die
Digitalisierung von Unterlagen (z. B. Erstellen von multimedialen Lernmaterialien, Einscannen
von Lernunterlagen, etc.) den Lehrenden bei der Einrichtung sowie Aktualisierung der Kurse
Zeit und erfordert die Bereitschaft, technische Rahmenbedingungen mitzudenken. Zusätzliche
konzeptionelle Schritte sind einzukalkulieren. Großer Vorteil dabei ist, dass die Ressourcen
jedoch wiederverwertet und „andernorts“ digital eingesetzt werden können. Die Betreuung der
Studierenden hat sich – auch bei der Verwendung der Lernplattformen – als äußerst
arbeitsintensiv herausgestellt. Es kostet sowohl Zeit als auch privaten Raum, den
Studierenden diese Betreuung quasi rund um die Uhr – auch jenseits des universitären
10
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
Hörsaals – zu Gute kommen zu lassen. Online-Foren müssen moderiert werden, neue
Materialien laufend bereitgestellt werden, Lernprozesse müssen gesteuert werden. Die
Konsekutivität von Kommunikationsprozessen (z.B. E-Mail-Schreiben und auf Antwort warten
müssen, etc.) ist ein Faktor, der eine zeitlich anders strukturierte Form von Kommunikation
erfordert. Ein Vergleich mit der Präsenzlehre hinkt. Allein der missverständliche Anspruch,
dass e-learning gestützte Lehre „etwas sparen“ sollte, setzt die bestehenden Systeme und
AkteurInnen unter Druck, dies auch umzusetzen. Das bindet Energie, findet häufig keine
Resonanz in der Institution und sorgt für Enttäuschung und Frustration e-learning gegenüber.
Denn dass Arbeit ohne Anerkennung durch die jeweilige Institution demotiviert, Selbstzweifel
bestärkt und Lustlosigkeit begünstigt, zeigen nicht nur die Praxis, sondern auch diverse
neuerdings erschienene Veröffentlichungen zur Thematik (vgl. brand eins, 2008:49-134;
Sennett, 2008). Dass dabei auch die Identifikation mit der eigenen Arbeit in Frage gestellt wird
und auf die Identität des/-r Einzelnen rückwirkt, erklärt sich von selbst.
E-learning spart weder Zeit noch Geld. E-learning ist in keinerlei Hinsicht „billig“. Richtig
ist allerdings, dass Geld und Zeit im Kontext von e-learning eine entscheidende Rolle spielen:
Andere Formen der Zeitnutzung müssen einkalkuliert und diskutiert werden und es müssen
genügend finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, um eine gelungene und sinnvolle
Implementierung technologisierter Lern- und Lehrkultur auf Seiten der Institution als auch auf
jener der Lehrenden möglich zu machen. Mehr noch: Der oft verschwiegene Mehraufwand für
Lehrende durch die Einbindung online-gestützter Maßnahmen müsste zusätzlich honoriert
werden (vgl. Ecker/Pflichter 2007) – symbolisch als auch finanziell:
Solange Engagement in der Lehre – und e-Learning-Angebote zu machen,
erfordert erhebliches Engagement – nicht honoriert wird, solange qualitativ gute
Lehre unter Nutzung neuer Medien bei Berufungsverfahren faktisch keine Rolle
spielt, solange das Eintreiben von Drittmitteln wichtiger bleibt als die Betreuung
von Studierenden, werden Motivation und Wille seitens der Hochschullehrer das
kritische Ausmaß nicht erreichen, das für sinnvolles e-Learning erforderlich ist. Es
liegt in der Hand der Universitäten, diese Bedingungen zu ändern [...] (Reinmann
2005:76)
Vergessen wird in diesem Zusammenhang, dass der Gewinn von e-learning für Universitäten
– im Falle eines professionellen Umgangs mit dem neuen Medium – nicht im ökonomischen,
sondern im didaktischen Bereich zu finden ist und in diesem Sinne so manches möglich wird,
was von allen Beteiligten als Bereicherung empfunden wird.
11
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
4.2. E-learning als „Chefsache“ oder Die „moderne“ top-down-Falle
Wie eingangs von uns bereits erwähnt wurde, drückt sich die "Modernität" von
Bildungseinrichtungen auch darin aus, inwiefern „moderne“ Technologien während der letzten
Jahre in die Lehre Eingang gefunden haben. E-learning gehört somit „einfach dazu“, ist
internationaler „Standard“ und bindet das allen vertraute Internet mit all seinen Vorteilen und
Nachteilen mit ein. E-Mailing, online-Journale, Internetrecherche, Homepages,
wissenschaftliche Blogs oder auch inhaltliche Foren gehören heute unwidersprochen
identitätsstiftend und selbstverständlich in den wissenschaftlichen Arbeitsalltag. Auf Grund
dieses Modernitätsanspruches und um die Umsetzung des eBologna-Prozesses zu
bewerkstelligen, wurden an vielen Universitäten Europas e-learning-Aktivitäten „top-down“,
also als „Chefsache“, innerinstitutionell implementiert. E-learning gestützte
Lehrveranstaltungen galten als „innovativ“ und wurden zum „Muss“. Die Teilinstitutionen
zogen mit. Die Einbindung von e-learning oder blended learning in die disziplinären Lehrpläne
wurde jedoch nicht immer an die Bedürfnisse der Disziplin und den Lehrenden und Lernenden
ausgerichtet. Disziplinäre Besonderheiten wurden in diversen e-learning Projekten nur
fragmentarisch berücksichtigt. Zu sehr waren viele e-learning-Beauftragte und
ProjektmitarbeiterInnen damit beschäftigt, Lehrende für die Verwendung von Lernplattformen
zu gewinnen – mit mehr oder weniger Erfolg. Zu sehr wurde auf die selbstverständliche
Technik-Gläubigkeit der Lehrenden gesetzt und zu sehr unterschätzte man Widerstände, neue
Technologien „top down“, also ohne Reflexion des individuell-praktischen Bedarfs in die Lehre
zu integrieren. Es wurde – vor Einführung des e-learning – verabsäumt, die
Technik-Bedürfnisse des lokalen Lehrsystems zu evaluieren und seine AkteurInnen als aktive
und tägliche GestalterInnen desselben zu begreifen. „Top-down“ verordnete Änderungen in
einem solch bestehenden System erzeugen Widerstand, dieser mündete zum Teil in
Motivationslosigkeit, e-learning sinnvoll und nützlich zu integrieren. Folge ist eine mangelnde
Bereitschaft, sich fortzubilden oder auch, sich mit den technischen Rahmenbedingungen von
z.B. Lernplattformen auseinander zu setzen. Wird e-learning als „top-down“-Maßnahme der
Organisation Universität wahrgenommen, so wird dessen Verwendung immer halbherzig sein
und sich ganz konkret auf die Arbeitsatmosphäre zwischen Studierenden und Lehrenden
auswirken. Wird e-learning als Erweiterung der Lehrmöglichkeiten zu begriffen, so sehen
Lehrende als auch Studierende die „Neuerung“ als Zugewinn und Chance. Verantwortliche
sind dann bereit, Adaptierungsleistungen zu erbringen, wenn die Sinnhaftigkeit und der
Mehrwert für den/die Einzelne/-n gegeben ist. E-learning-Strategieprojekte haben diese
Umstände zum Teil außer Acht gelassen und die Einführung von Lernplattformen nicht als
didaktisches Projekt erkannt, das bei den Lehrenden und Lernenden ansetzen muss, um
erfolgreich zu sein. Die Chance, international wirksame Maßnahmen mit einem gesteuerten
und gestalteten „bottom up“-Zugang für eine letztlich didaktisch sinnstiftende Integration von
12
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
e-learning zu verknüpfen, wurde übersehen (vgl. Apostolopoulos 2007:218, Kerres 2007:
245).
Doch warum sollten Lehrende nun e-learning bzw. blended learning betreiben? Worin
liegen die Vorteile, der tatsächliche Mehrwert, wem „nützt“ e-learning? Im Falle des genannten
Beispiels des internationalen (Online)Masterprogramms an der Universidad Complutense liegt
der Vorteil auf der Hand: Räumliche Distanzen werden überwunden, Studierende und
Lehrende aus Lateinamerika und Europa interagieren miteinander, tauschen ihr Wissen und
ihre Erfahrungen aus, lernen – gesteuert durch didaktische Maßnahmen – miteinander und
voneinander. Es bilden sich internationale Netzwerke – die „Raumschranke“ wird
durchbrochen (vgl. Schulmeister 2006, vgl. Baumgartner/Reinmann 2007). E-learning
ermöglicht hier etwas, das mittels Präsenzlehre praktisch nicht möglich wäre.
Bei der Einführung von blended learning an einer Präsenzuniversität ist die Sache
allerdings etwas anders gelagert: Studierende und Lehrende befinden sich ohnehin bereits
mehr oder weniger am selben Ort. Argumente zugunsten des e-learning, wie etwa die
Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Lehrenden und Lernenden (auch außerhalb der
Präsenzveranstaltungen), neue Kooperations- und Kollaborationsmöglichkeiten zwischen den
Studierenden, Nachvollziehbarkeit und Transparenz von strukturierten Kommunikations- und
Diskussionsprozessen, Aneignung von Medienkompetenz, „automatische“ Dokumentation
und Wiederholbarkeit oder die multimediale Darstellung von Lerninhalten und deren
Wiederverwendbarkeit werden SkeptikerInnen nicht überzeugen. Nur durch positive
Erfahrungen bestärkt, werden sie die Sinnhaftigkeit von blended learning-Ansätzen
anerkennen und in ihnen eine Möglichkeit zur qualitativen Verbesserung der eigenen Lehre
sehen. Voraussetzung dafür ist das Bestehen entsprechender Rahmenbedingungen, die
Förderung von Kompetenzentwicklung jenseits „traditioneller“ Schulungen (Kerres 2007: 262)
sowie die (finanzielle) Anerkennung derselben. Um diese Forderungen in die Realität
umsetzen zu können, erscheint es uns im Sinne Apostolopoulos (2007) unausweichlich, den
top down-Ansatz (= der Wille zur Bereitstellung ausreichender Mittel und
Rahmenbedingungen) mit dem bottom up-Ansatz (= Ausrichtung von Maßnahmen an den
Bedürfnissen von Fakultäten, Instituten, Disziplinen, Lehrenden und Lernenden) als zentrale,
Erfolg versprechende Strategie für die Implementierung von e-learning zu verknüpfen.
Gleichzeitig mit der Einführung der e-learning-Strukturen an der Universität Wien
wurden Veränderungen im Sinne der Studienplanumstellung zur Angleichung auf
europäischer Ebene (dreistufige Baccalaureat-Master-PhD-Struktur) umgesetzt. Dies brachte
viele innerinstitutionelle Änderungen mit sich, die innerhalb der Universitäten viele personelle
und strukturelle Umbrüche zur Folge hatten. Die Institute waren und sind mit diesen
vielfältigen, System verändernden Prozessen konfrontiert und damit beschäftigt, allen
Beteiligten und deren Bedürfnissen Raum zu geben. Denn: Verändert sich das System,
verändert sich auch das jeweilige Rollenverständnis von Gruppen und Individuen. Die eigene
13
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
Identität und das eigene Selbstverständnis als Akteur/-in wird hinterfragt. Dabei werden
E-learning-Strukturen manchmal „nebenbei“, manchmal als lästiges Anhängsel mitintegriert.
Das führt indirekt zu einer Abwertung dieses „modernen“ Bereichs der Hochschuldidaktik, die
von Institutionen und AkteurInnen mitgetragen, vertieft und gestaltet wird.
4.3. Über die Unmöglichkeit einer homogenen Lehre
Auf die Problematik der Verknüpfung von e-learning und der Umsetzung des
Bologna-Prozesses an Hochschulen, so wie sie etwa im Entwicklungsplan der Universität
Wien (2008) festgeschrieben sind, wurde bereits kurz eingegangen. Wenn der
Bologna-Prozess in erster Linie die Harmonisierung bzw. Homogenisierung der europäischen
Hochschulen zum Ziel hat und e-learning als ein geeignetes Werkzeug zur Erreichung dieses
Zieles angesehen wird, so ist es nur verständlich, dass e-learning als ein Mittel zur
Homogenisierung der Lehre dargestellt und auch verstanden wird.
„Homogenisierung“ bedeutet im akademischen Gebrauch meist „Vereinfachung“ und
„Gleichmacherei“, sie bedroht individuelle und lokale Strategien des Umgangs mit strukturellen
Rahmenbedingungen. Dies wird vor allem in einem System wie dem universitären relevant, in
dem individuell angehäuftes Wissen und die individualisiert-gestaltete Einzelkarriere in
höchstem Maße angesehen sind. Umso mehr wird das Gespenst der „Homogenisierung“ als
Bedrohung empfunden.
Da e-learning durch Einsetzung neuer Studienpläne „verpflichtend“ und meist
gemeinsam mit vielen anderen „Bologna-Maßnahmen“ implementiert wurde und immer in
einem Atemzug mit der „Homogenisierung der Lehre“ (verstanden als Innovation) genannt
wurde, führte dies folgerichtig zu einer zum Teil ablehnenden Haltung seitens des
akademischen Lehrkörpers gegenüber e-learning bzw. blended learning. Diese
„Bologna-e-learning-Koppelung“ halten wir für problematisch. Denn die Angst vor der
„Homogenisierung der Lehre“ gehört an österreichischen, vielleicht auch europäischen
Universitäten zur Alltagsrealität. Es existiert die Angst der einzelnen AkteurInnen, sich
individuell der „Homogenisierung der Lehre“ unterwerfen zu müssen. Diese Ängste müssen
unbedingt ernst genommen werden. Verstärkt wird diese Dynamik häufig durch die Ansicht,
dass e-learning generell, also per se zu einer Standardisierung der Lehre beiträgt, was
aufgrund unserer Erfahrung jedoch nicht der Realität entspricht. Die Nutzung von
Multiple-Choice-Tests, deren Erstellung über eine Lernplattform ein Leichtes ist, der Einsatz
automatisierter Selbsttest, die kein unmittelbares individuelles Feedback zulassen, die
weltweite Nutzung einiger weniger Lernplattformen (z.B. Blackboard, WebCT, moodle, etc.),
die alle nur über ein beschränktes Repertoire an Funktionen verfügen und die beliebige
Austauschbarkeit und Reproduzierbarkeit digitalisierter Lern- und Lehrmaterialien tragen
allerdings gleichzeitig nicht unbedingt zu einer Entkräftung dieser grundsätzlich
kritisch-skeptischen Argumentationen bei. Klar ist, dass der weltweite Einsatz von ein und
14
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
derselben Lernplattform mit einer vorgegebenen Struktur und einer gewissen Bandbreite an
Aktionsmöglichkeiten sehr wohl einschränkt und die Lehrenden in gewissen Belangen limitiert.
Die Erfahrung zeigt allerdings, dass es durch die Verwendung von
technologiegestützter Lehre keinesfalls zu einer Homogenisierung der Lehre kommt, weil
e-learning nicht losgelöst von der individuellen „menschlichen Begleitung“ von Lernprozessen
zu sehen ist und ohne diese eigentlich nicht erfolgreich realisiert werden kann. Jede/r
Lehrende wird immer – sei es bewusst oder unbewusst – bei der Gestaltung einer
e-learning-Lehrveranstaltung (im Sinne von blended learning oder konzipiert als Fernlehre) auf
seinen bisherigen Erfahrungen im Hörsaal und didaktischen Grundsätzen aufbauen.
Ohne diese Erfahrungen und diese so wichtige didaktische Kompetenz ist eine
sinnvolle Nutzung nicht möglich und für Studierende nicht sinnstiftend darstellbar. Qualitativ
gutes e-learning wird immer individuell gestaltet und durch die Persönlichkeit der Lehrenden
geprägt sein. Insofern wird e-learning die Lehre nie per se „gleichschalten“. Wenn
homogenisierende Entwicklungen Platz greifen, sei es in der Präsenzlehre oder im
e-learning-Bereich, so passiert dies unabhängig von der Nutzung technischer Hilfsmittel, aktiv,
von Menschen und durch die Umsetzung ihrer Ideen. Das Zusammenwerfen nebeneinander
existierender und ineinander greifender Prozesse verschleiert die realen Verantwortlichkeiten
für bestimmte Tendenzen innerhalb der Universitäten.
An dieser Stelle sei auf das in diesem Zusammenhang häufig geäußerte Vorurteil
hingewiesen, e-learning sei „unsozial“, weil unpersönlich. Dies deckt sich nicht mit den
durchaus positiven Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren mit e-learning machen durften.
Unbestritten ist, dass Kommunikationsstrukturen online völlig anders verlaufen als in der
Präsenzlehre. Denn sowohl e-learning als auch Präsenzlehre haben ihre eignen Qualitäten
der Kommunikation, die jedoch erst dann zum Tragen kommen, wenn die Lehrenden diese
sinnvoll zu gestalten wissen. Denn es gilt: Präsenzlehre und online-Lehre sind so
persönlich/unpersönlich, wie dies vom Lehrenden und den Lernenden zugelassen wird.
Weiters sei hier noch angemerkt, dass der Universitätsalltag vor allem in präsenzialen
Massenvorlesungen auch einiges an „Persönlichkeit“, was den unmittelbaren Kontakt
zwischen Lehrenden und Lernenden betrifft, einbüßt.
Universitäre Lehre – durchgeführt mit oder ohne technische Hilfsmittel – wird immer
didaktisch individuell, im Sinne des/der Lehrenden gestaltet sein. Sie wird immer „lokal“,
eingebettet in universitäre Strukturen und institutionelle Besonderheiten stattfinden.
Außerdem wird sie in Hinkunft immer auch „global“, „transinstitutionell“ und „transuniversitär“
sein, weil Einflüsse von außen, von europäischer oder internationaler Ebene auf das soziale
System Universität einwirken und dieses mitbestimmen. Der Umgang des „Systems“ und
seiner verantwortlichen AkteurInnen mit diesen individuellen Stärken und auch Ängsten
gegenüber Neuerungen, mit den regional-lokalen, kulturellen Besonderheiten der einzelnen
Standorte und mit den „modernen“, globalen Einflüssen ist allerdings entscheidend, wie leicht
15
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
und wie erfolgreich gesellschaftliche „Adaptierungsleistungen“ wie jene gegenüber e-learning
bewerkstelligt werden können. Wissen um soziale und kulturelle Prozesse innerhalb der
jeweiligen Lern- und Lehrkultur ist hier gefragt.
4.4. Über selbstbestimmtes Lernen und didaktische Verantwortung
„Technologisierte“ Lehr- und Lernumgebungen alleine bringen keine Qualitätsverbesserung
der Lehre, der Universität als Institution und von Bildung im Allgemeinen (vgl. Bang 2006).
Allerdings gehen wir davon aus, dass der Zugriff auf technische Hilfsmittel, um Lehre zu
gestalten, eine Erweiterung der didaktischen Möglichkeiten für den/die Lehrende bedeutet,
jedoch keinen Ersatz für didaktische Gestaltung.
Damit treten wir einem weiteren Missverständnis entgegen, das durch die Einführung
von Neuen Medien in der Lehre an Universitäten zu Tage getreten ist. Die enge Verknüpfung
von e-learning mit konstruktivistischen Ansätzen, die auf einem „selbstbestimmten“ und
„selbstgesteuerten“ Lernen der Studierenden basieren, führen oft zu der Annahme, dass die
Lernenden in einer „virtuellen“ Lernumgebung die alleinige Verantwortung für ihren Lernerfolg
zu tragen haben. Dieses Missverständnis, dass Lehrende aus ihrer didaktischen
Verantwortung entlassen würden, basiert auf der Idee, dass e-learning-Umgebungen „von
alleine“, „automatisch“ funktionieren. Dieser Zugang ist naiver Weise mit einer subtilen
Technikgläubigkeit gekoppelt, die bewirkt, dass „alles“ für möglich gehalten wird.
Universitäre Lehre anders und vielfältiger gestalten zu können, wird durch e-learning
ermöglicht. Dies passiert weniger „automatisch“ oder „von selbst“ als viel mehr durch aktives
Engagement, laufende Kompetenzerweiterung und durch das Vorverständnis, dass
Lernplattformen ausschließlich von Menschen gemacht sind und deren An- und Verwendung
sowohl zeitliche Ressourcen als auch kompetente inhaltliche und didaktische Gestaltung
benötigt.
Eine klare Struktur und Organisation der eingerichteten Kurse auf den jeweils
verwendeten Lernplattformen ist unerlässlich. Die Nachvollziehbarkeit der Kursstruktur mit
verschiedenen Inhalten für die Studierenden muss gewährleistet sein, andernfalls werden
Lernplattformen als „chaotisch“ empfunden. Ebenso verhält es sich mit didaktisch unklug
genutzten Lerntools, die von Studierenden nicht sinnstiftend in den Lernprozess integriert
werden können. Dies verstärkt zusätzlich die negative Rezeption von „e-learning-Initiativen“.
Somit können wir auch das Missverständnis entkräften, dass online verfügbare Lern- bzw.
Lehrmaterialien – die oft von Studierenden selbstverständlich gefordert werden – diese
automatisch zufriedener machen. Denn oftmals wird die online-Verfügbarkeit von Übungen,
Werkzeugen und Materialien als Belastung empfunden: In diesem Zusammenhang erwähnen
Studierenden (und Lehrende) oft ihre Überforderung gegenüber e-learning. Denn nicht alle
Menschen gehen mit Neuen Medien in derselben Weise um. Oft hört man/frau den O-Ton
„Wozu soll ich jetzt (zusätzlich zur Vorlesung) auch noch etwas online machen?“. Den Sinn
16
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
von e-learning-Komponenten für Studierende sichtbar zu machen, ist Aufgabe der Lehrenden,
den Sinn von e-learning-Komponenten für Lehrende sichtbar zu machen, ist Aufgabe der
Institution, die dieselben dafür gewinnen möchte.
Abschließend ist im Zusammenhang mit der universitären Lehre zu vermerken, dass
die didaktische Verantwortung und Gestaltung für Lehrveranstaltungen immer bei den
universitär Lehrenden bleiben wird. Mehr noch: Die Verwendung von Lernplattformen macht
das didaktische Konzept von Lehrenden sichtbar. Dieses wird (zum Teil) mit allen Stärken und
Schwächen auf der Plattform abgebildet und macht Struktur und Aufbau der entsprechenden
Lehrveranstaltung sichtbar. Studierende reagieren auch darauf, manchmal mit Verwirrung,
manchmal mit Begeisterung für Form und Inhalte. Mit all diesen Komponenten und Aspekten
umzugehen bedeutet auch, dass durch zusätzliche didaktisch zu nutzende Hilfsmittel (z.B.
e-learning) zusätzlich Energie seitens der Lehrenden und der Studierenden für Lehre bzw. das
Lernen investiert werden muss:
Designing elearning environments requires that educational actos clarify,
rationalise and formalise their practises. In order to introduce more coherence and
relevancy, implicit cultural assumptions had to be revisited, bringing about a
deeper awareness of the kind of learning that schools and universities are
specialised in and of the underlying choices of values and beliefs. Two different
cultural dimensions are at stake there: the pedagogical culture and the values,
beliefs, attitudes, theories and models involved; and the digital culture and the
emerging transformations in relation to knowledge and in pedagogical modelling.
(Bélisle, 2008: 4)
Gleichzeitig muss die lokal sehr unterschiedliche pädagogische Kultur des Lernens und
Lehrens und der „digitalen“ Kultur in Einklang gebracht und sinnstiftend verbunden werden.
Die Erfüllung dieser Aufgabe ist eine zu honorierende Leistung, die von Lehrenden und
Lernenden zu erbringen ist um den „Lernort Universität“ aktiv mitzugestalten im Sinne eines
„Wandel[s] der Lehr-Lernkultur zusammen [Hervorhebung im Original] mit einem Wandel der
ganzen Organisation“ (Reinmann, 2005: 77).
4.5. Wanted: Technic freaks for the classroom?
Auch innerinstitutionell lassen sich auf Grund der Einführung von e-learning interessante
Phänomene feststellen. Im Sinne Reimanns nehmen wir hier den oben erwähnten Aspekt der
„Transparenz in der Lehre“ noch einmal auf:
E-Learning macht Lehre transparenter – transparenter für Studierende ebenso wie
für Kollegen. Damit drängt der Wettbewerb nicht nur in die Forschung, sondern
auch in die Lehre, was verunsichert und Versagensängste hervorrufen kann. Dazu
kommt, dass sich Professoren in erster Linie als Forscher und – wenn überhaupt –
17
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
erst in zweiter Linie auch als Lehrer verstehen: Die Forderung nach E-Learning
und einem Überdenken der traditionellen Lehre samt neuer Produktions- und
Betreuungsformen klingt nicht danach, als hätte es viel mit dem „Kerngeschäft“
eines Wissenschaftlers zu tun. (Reinmann 2005: 76)
Es ist festzustellen, dass e-learning für viele implizit als Entwertung der Präsenzlehre
wahrgenommen wird. Manchmal wird darauf sogar mit einer unbewussten „Gegenoffensive“
reagiert, die all jene, die sich mit e-learning beschäftigen (wollen) ihrerseits als Technikfreaks
degradiert und diesen gleichzeitig ihre inhaltliche Kompetenz abspricht, da sie sich
anscheinend nur „mit Technik“ auskennen und nicht mit disziplinären Inhalten. E-learning stellt
die Identität von WissenschaftlerInnen als Lehrende in Frage und wird vielleicht auch deshalb
– unbewusst – als unangenehm und „nicht passend“ für die Universität empfunden.
DozentInnenen werden zu „facilitators“, also zu LernbegleiterInnen, deren Wissensvermittlung
nicht durch Vortrag im Hörsaal zustande kommt, sondern – diesen Vorurteilen zu Folge –
ausschließlich durch online Präsentationen (multimedialer) Lerninhalte im Internet.
Diese Vorurteile kommen zu Stande, weil grundlegende Kenntnisse der „digitalen“
Lernkultur nicht oder nur bruchstückhaft vorhanden sind. So sollte zumindest verstanden
werden, dass z.B. das Beherrschen von grundlegenden Kenntnissen der
online-Kommunikation notwendig sind, um Lernplattformen zu benutzen, nicht jedoch
technische Fähigkeiten im engeren Sinn. Von „Technikfreaks“ kann nur „am Rande“
gesprochen werden. Jedenfalls ist in der universitären Praxis oftmals eine sanfte Spaltung der
Lehrenden in „User“ und „Nicht-User“ zu beobachten, der eigentlich keine reale Entsprechung
in Form von nachvollziehbaren Tatsachen zu Grunde liegt. Denn: E-learning wird die
Präsenzlehre nie ersetzen. E-learning hat wichtige erweiternde didaktische Qualitäten, die in
der Präsenzlehre je nach Lehrender/-m bereichernd eingesetzt werden können. Nicht mehr
und auch nicht weniger. Allerdings sei hier nochmals explizit erwähnt: Um qualitativ gutes
e-learning betreiben zu können, müssen kein technisches Vorverständnis oder besondere
Fähigkeiten bei Lehrenden vorhanden sein. Qualitativ gutes e-learning erfordert lediglich den
Sinn für klare Strukturen, Transparenz, klar definierte Lernziele und methodische Kenntnisse,
diese zu erreichen. So mag es nicht erstaunen, dass qualitativ gutes e-learning meist jenen
gelingt, die auch in der Präsenzlehre bei der aktiven und engagierten Arbeit mit Studierenden
erfolgreich sind.
18
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
5. Plädoyer für eine differenzierte Sicht auf e-learning
Die Implementierung von e-learning an Universitäten fordert die Institution selbst und alle
seine AkteurInnen heraus. In unserer persönlichen Auseinandersetzung mit e-learning wurde
uns bewusst, wie sehr die Einführung „neuer“ Lern- und Lehrformen die Universität als
gewachsenes System beeinflusst. Die Marktorientierung der Universitäten, Stärken und
Schwächen von Institutionen und Individuen, die Bedeutung didaktischer Kompetenzen im
Kontext universitärer Lehre, Missverständnisse und Konfliktlinien entlang globaler, lokaler und
digitaler Lernkulturen wurden für sichtbar. E-learning in der universitären Lehre wird von uns –
trotz der diskutierten Missverständnisse und der aufgezeigten Konfliktfelder – als sinnvolle
Bereicherung und kreative Erweiterung der individuellen didaktischen
Gestaltungsmöglichkeiten erlebt. Auch wenn dadurch die eigenen Identitäten als Lehrende
und Lernende hinterfragt werden.
Die Potentiale von e-learning können dann ausgeschöpft werden, wenn e-learning in
der Vielfältigkeit seiner Erscheinungsformen (inklusive seiner Stärken und Schwächen) erfasst
wird und gleichzeitig als europäisch-globale Strategie und institutionell-lokale Praxis
verstanden wird. Dieser Beitrag will zu einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit
e-learning im universitären Kontext einladen. Diskussionen darüber sollten Ängste,
Widerstände und Euphorien in Bezug auf Veränderungen im Kontext Neuer Medien ernst
nehmen und hinterfragen. Jenseits einer polemischen Pro- und Contra-Diskussion kann so die
konkrete lokale Lern- und Lehrpraxis gestärkt und bereichert werden. Eine differenzierte
Diskussion birgt das Potential in sich, den Begriff des e-learning zu dekonstruieren und mit ihm
alle seine dazugehörigen Vorurteile, Missverständnisse und Konnotationen. Was dann
überbleibt ist ein freier Blick auf das, was e-learning ist: eine Möglichkeit, Lehre und Lernen im
Bereich der Hochschuldidaktik aktiv zu gestalten.
19
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
6. Bibliographie APOSTOLOPOULOS, Nicolas (2007): „Strategien zur Einführung von E-Learning“, In: BAUMGARTNER, Peter and Gabi REINMANN: Überwindung von Schranken durch E-Learning, Innsbruck, StudienVerlag, S. 203-223. APPADURAI, Arjun (1996): Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization, University of Minnesoty Press, Minneapolis, London. BANG, Joergen (2006): Elearning auf dem Prüfstand. Haben e-Learning und virtuelle Universitäten an die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt?, In: elearning.info Directory (Verzeichnis von e-Learning-Materialien und Informationsquellen aus ganz Europa), http://www.elearningeuropa.info/directory/index.php?page=doc&doc_id=7778&doclng=3, letzter Zugriff: 09-06-2008. BAUMGARTNER, Peter u.a. (2002): e-Learning. Didaktische und technische Grundlagen. Handreichung für den IT-Einsatz im Unterricht, CD Austria 5/2002, Sonderheft des bm:bwk, Perg, CDA. BAUMGARTNER, Peter und Gabi REINMANN (2007): Überwindung von Schranken durch E-Learning, Innsbruck, StudienVerlag. BÉLISLE, Claire (2008): „eLearning and Intercultural dimensions of learning theories and teaching models”, In: eLearning Papers No. 7 (Februar) „Lernen und Interkulturalität”: S.1-18 http://www.elearningeuropa.info/files/media/media14903.pdf, letzter Zugriff: 12-06-2008 BFUG/ BOLOGNA FOLLOW UP GROUP Seminars (2004): „4-5 June 2004, Ghent, Belgium (Flemish Community), http://www.bologna-bergen2005.no/EN/Bol_sem/Seminars/040604-05Ghent.htm, letzter Zugriff: 10-06-2008. BMBF/ Bundesministerium für Bildung und Forschung/ Germany (1999): Der Europäische Hochschulraum. Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsminister (Bologna Deklaration), 19. Juni 1999, Bologna/Italien, S. 1-8, www.bmbf.de/pub/bologne_deu.pdf, letzter Zugriff: 10-06-2008. bm:bwk/ BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG, WISSENSCHAFT und KULTUR (2006): Universitätsgesetz 2002. Österreichisches Hochschulrecht, [Bearbeitung: Heinz Kasparovsky und Christine Perle], Stand: 1. Dezember 2006, Heft 14, S.1-139, http://www.bmwf.gv.at/uploads/media/0oehs_ug02.pdf, letzter Zugriff: 15-06-2008. BOLOGNA PROCESS Benelux 2009 (2007-2009): The Bologna declaration of June 1999. Joint declaration of the European Ministers of Education, In: The official website 2007-2009 - From London to Benelux and beyond, S.1-6, http://www.ond.vlaanderen.be/hogeronderwijs/bologna/documents/MDC/BOLOGNA_DECLARATION1.pdf, letzter Zugriff: 15-06-2008. BUDKA, Philipp (2006): „E-Learning in den Sozialwissenschaften. Erfahrungen mit einem Blended Learning Modell am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien“ (E-Learning in the social sciences: experiences with a blended learning model at the Department of Social and Cultural Anthropology of the University of Vienna), In: Soziale Technik, 2/2006, S. 9-11.
20
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
BRAND EINS, Wirtschaftsmagazin (2008): „Schwerpunkt Leistung“ In: Wieder was geschafft? Mythos Leistung. 10.Jg., Heft September/09, S.49-134. CARSTENSEN, Doris (2005): E-Learning im Bologna-Prozess - Chancen der Präsenzhochschulen. Beitrag bei ExpertInnenworkshop „E-Learning und die Herausforderungen von Bologna = E-Bologna?“, 28.02. - 01.03.2005, University of Frankfurt/Main, Germany, http://www.kfunigraz.ac.at/~lvevalu/wsbologna/teilnehmer.php?ag=3, letzter Zugriff: 10-06-2008. EC/ EUROPEAN COMMISSION (1999): Joint declaratin of the European Ministers of Education, convened in Bologna on the 19th of June 1999. An explanation, S. 1-10. http://ec.europa.eu/education/policies/educ/bologna/bologna.pdf Letzter Zugriff:: 15-06-2008 ECKER, Andrea und Felicitas PFLICHTER (2007): „Neue Medien in der Lehre an Universitäten und Fachhochschulen in Österreich“, In: BAUMGARTNER, Peter and Gabi REINMANN: Überwindung von Schranken durch E-Learning, Innsbruck, StudienVerlag, S. 225-244. ELEARNING CENTER Universität Wien (2006): Strategieprojekt eBologna, http://elearningcenter.univie.ac.at/index.php?id=442, letzter Zugriff: 09-06-2008. ERIKSEN, Thomas Hylland (2007): Globalization. The Key Concepts. Oxford, New York, Berg Publishers. INDA, Jonathan Xavier and Renato ROSALDO (Eds.) (2002): The Anthropology of Globalization. A Reader, Malden, Oxford, Blackwell Publishers. INSTITUT FÜR KULTUR- UND SOZIALANTHROPOLOGIE (2006-2008): Strategien für vernetztes Lernen. Eine Lernumgebung zu Methoden und Grundlagenwissen, Universität Wien, http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/, letzter Zugriff: 09-06-2008. KERRES, Michael (2007): „Strategische Kompetenzentwicklung und E-Learning an Hochschulen. Chancen für die Hochschulentwicklung“, In: BAUMGARTNER, Peter and Gabi REINMANN: Überwindung von Schranken durch E-Learning, Innsbruck, StudienVerlag, S. 245-264. KERRES, Michael u.a. (2002): „E-Learning. Didaktische Konzepte für erfolgreiches Lernen“, In: SCHWUCHOW, Karlheinz und Joachim GUTTMANN: Jahrbuch für Personalentwicklung und Weiterbildung 2003, München, Luchterhand Verlag, S. 1-14, http://ltn.unibas.ch/doc/doc_download.cfm?uuid=3A52C63030059AAD3D38D7721533679C&&IRACER_AUTOLINK&&, letzter Zugriff: 01-07-2008. LOEBE, Herbert und Eckart SEVERING (Eds.) (2004): eLearning für internationale Märkte. Entwicklung und Einsatz von eLearning in Europa, Bielefeld, Bertelsmann Verlag. MADER, Elke und Philipp BUDKA (2007): „Das eLearning Schwerpunktprojekt ‘Strategien für vernetztes Lernen: eine Lernumgebung zu Methoden und Grundlagenwissen’ am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie“, In: Die Maske. Zeitschrift für Kultur- und Sozialanthropologie, Nr. 1, S. 76-78, http://www.univie.ac.at/ksa/elearning/maske2007_mader_budka.pdf, letzter Zugriff: 01-07-2008.
21
© Dabringer/ Reisner (2009) in: Schröttner, Barbara/ Hofer Chrsitian (HgInnen)
Bildung-Identität-Globalisierung. Graz. Grazer Universitätsverlag Leykam: 73-87.
MAIER-HÄFELE, Kornelia und Hartmut HÄFELE (2004): 101 e-le@rning Seminarmethoden. Methoden und Strategien für die Online und Blended-Learning-Seminarpraxis, ManagerSeminare, Bonn. OBLINGER, Diana G. and Brian L. HAWKINS (2005): The Myth about E-Learning: „We Don’t Need to Worry about E-Learning Anymore“, In: EDUCAUSE Review, Vol. 40, Nr. 4 (July/August 2005), S.14–15 http://connect.educause.edu/Library/EDUCAUSE+Review/TheMythaboutELearning/40560, letzter Zugriff: 17-08-2008. PAUSCHENWEIN, Jutta (Ed.) (2008): Festschrift - 10 Jahre E-Learning in Österreich. Festschrift zum 10jährigen Bestehen des «ZML – Innovative Lernszenarien» an der FH JOANNEUM, S. 1-155, http://www.fh-joanneum.at/aw/home/Forschung_und_Entwicklung/zml/Ueber_uns/ Jahre_ZML/~bjzk/festschrift_-_jahre_e-learning_in_oest/?lan=de, letzter Zugriff: 17-06-2008. REINMANN, Gabi (2005): „Lernort Universität? E-Learning im Schnittfeld von Strategie und Kultur, In: Zeitschrift für Hochschuldidaktik, 06, 2005, S. 66-84, http://www.zfhd.at/resources/downloads/ZFHD_06_009_REINMANN_Lernort_Universit_t_1000605.pdf, letzter Zugriff: 19-06-2008. REINMANN-ROTHMAIER, Gabi (2003): Didaktische Innovation durch Blended Learning. Leitlinien anhand eines Beispiels aus der Hochschule, Bern, Hans Huber Verlag. SÁNCHEZ SORONDO, Marcelo and others (Eds.) (2007): Globalization and Education, Berlin, New York, Walter de Gruyter. SAUTER, Annette u.a. (2004): Blended Learning. Effiziente Integration von E-Learning und Präsenztraining, München, Luchterhand. SCHOLZ, Christian (2008): „Warum E-Learning ‘tot’ ist – und was ‘lebt’“, In: Der Standard, Teil „Bildung & Karriere“, 19./20. April, Wien, S. B1. SCHULMEISTER, Rolf (2006): eLearning: Einsichten und Aussichten, München, Wien, Oldenbourg Verlag. SENNETT, Richard (2008): Handwerk, Berlin, Berlin Verlag. SPINDLER, Maria und Alexandra MAYER (2006): „Blended Learning Situationen am Beispiel der Entwicklung von Forschungsprojekte“. Homepage Maria Spindler – Beratung und Forschung, S.1- 14, http://www.maria-spindler.at/htdocs/resources/download/ Blended_Learning_Situationen_1184678361.pdf, letzter Zugriff: 15-06-2008. UNIVERSITÄT WIEN (2008): Universität Wien 2012. Entwicklungsplan der Universtität Wien, S. 1-155, http://www.univie.ac.at/rektorenteam/ug2002/entwicklung.pdf, letzter Zugriff: 19-06-2008. WÖLFING, Willi und Volker LENHART (Eds.) (2003): Globalisierung und Bildung, Weinheim, Basel, Berlin, Beltz Verlag.