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KIT – Universität des Landes Baden-Württemberg und nationales Forschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
Prof. Dr. Armin Grunwald Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
www.kit.edu
Die Energiewende: ein sozio-technischer Transformationsprozess
Tagung „Perspektiven auf Industrie“, Bochum, 10.6.2013
Prof. Dr. Armin Grunwald – Die Energiewende: Ein sozio-technischer Transformationsprozess Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
10.06.2013
Überblick
1. Welche Energiewende bitte?
2. Das deutsche Energiekonzept 2011
3. Sozio-technische Herausforderungen
4. Was steht an?
Prof. Dr. Armin Grunwald – Die Energiewende: Ein sozio-technischer Transformationsprozess Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
10.06.2013
1. Welche Energiewende bitte?
§ 2000: Atomausstieg (Atomkonsens) der rot-grünen Bundesregierung: Ausstieg bis 2024
§ 2010: Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke als „Brückentechnologie“: schwarz-gelbe Koalition, durchgesetzt unter erheblichen Anstrengungen
§ 2011: Fukushima: komplette Kehrtwendung, Atomausstieg geplant bis 2022
§ Vorgängerdebatten ab den 1970er Jahren (Ölkrisen, ‚Grenzen des Wachstums‘, Tschernobyl …)
§ Energieeinspeisungsgesetz (Vorläufer des heutigen EEG) unter der Kohl-Regierung 1990
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10.06.2013
Aus der Energiedebatte 1980
Der Bericht, den die Kommission im Juni 1980 zum Ende der Legislaturperiode als "Zwischenstand der Arbeit" vorlegte, sorgte für Zündstoff zwischen Koalition und Opposition. Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder war darin zu dem Ergebnis gekommen, die Nutzung von Atomenergie sei nicht unbedingt notwendig; bei Verringerung des Energiebedarfs und einem Ausbau von alternativen Energien sei ein Ausstieg möglich. Zudem empfahl das Gremium, bis zum Jahr 1990 keine endgültige Entscheidung für oder gegen Atomkraft zu treffen, sondern beide Optionen offen zu halten. Ein Ergebnis, das die CDU/CSU-Fraktion heftig kritisierte: Der Kompromiss, so Lutz Stavenhagen, verberge vor den Bürgern die wirklichen Positionen der Kommissionsmehrheit. Zudem sei der Ausbau regenerativer Energien um ein zehnfaches "unrealistisch" - und ein "totaler Energiesparstaat" den Bürgern dazu nicht vermittelbar (www.bundestag.de/).
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10.06.2013
Quantitative Ziele der Bundesregierung Klima Erneuerbare
Energie Effizienz
THG (ggb. 1990)
Anteil Strom
Anteil gesamt
Primär-energie
Strom Energie-produktivität
Gebäude-sanierung
2020 - 40% 35% 18% - 20% -10%
Anstieg um 2,1% p.a.
Verdopplung
der Rate 1% -> 2%
Heizwärme
-20% bis 2020 Primärenergie -80% bis 2050
ggb. 2008
2030 - 55% 50% 30%
2040 - 70% 65% 45%
2050 - 80-95% 80% 60% - 50% - 25%
2. Das deutsche Energiekonzept 2011
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10.06.2013
Herausforderung in historischer Perspektive
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10.06.2013
Anteile der Energieträger am Primärenergieverbrauch Deutschlandweit im Jahre 2010 – gesamt 14 057 PJ (479,6 Mio. t SKE) Vorjahr in Klammern
Quelle: AG Energiebilanzen e.V. (AGEB)
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10.06.2013
Aspekte eines Energiekonsens
Quelle: J. Lambertz, RWE, 08.06.11
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10.06.2013
3. Sozio-technische Herausforderungen
" technologische Innovation gefordert (vor allem zur Effizienzsteigerung und zur Netzsteuerung)
" Infrastrukturen (Leitungen und Speicher) müssen transformiert und teils neu errichtet werden
" traditionelle Grenzen zu anderen Infrastrukturen lösen sich auf (Verkehr, IKT), was die Komplexität erheblich erhöht
" die Energieinfrastruktur ist mehr als „nur“ ein technisches System – sie ist eng mit Menschen und gesellschaftlichen Strukturen verbunden
" „transformatives Wissen“ gefordert, das technische, natürliche und gesellschaftliche Anteile integriert
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10.06.2013
Herausforderung Stromtransport
Quelle : 6. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung, 2011
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10.06.2013
Herausforderung: Flexibilisierung der Stromerzeugung
" technisch gut geeignet u.a. Biomasse-, Wasserkraft- und Geothermieanlagen
" Biomasseanlagen könnten einen substanziellen Beitrag zur Flexibilität des Kraftwerksparks leisten
" Neubau von (technisch bzw. ökonomisch) auf den Grundlastbetrieb hin ausgerichteter Kraftwerke ist kritisch zu sehen
" zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit werden flexible konventionelle Kraftwerke gebraucht
" »Kapazitätsmechanismen« erforderlich? " wäre ein weitreichender Eingriff in die Strommärkte
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10.06.2013
Herausforderung: Flexibilisierung der Nachfrage
" gesamtwirtschaftlich attraktive Potenziale bei industriellen und großen gewerblichen Verbrauchern " Aluminiumproduktion, Chloralkalielektrolyse,
große Kühlhäuser " Potenziale im Haushaltssektor müssen genauer
untersucht werden " intelligent zu- bzw. abschaltbare Haushaltsgeräte,
Lademanagement von Elektrofahrzeugen " geeignete Instrumente
" stärkere Öffnung der Märkte für Regelenergie
" zeit- bzw. lastvariable Stromtarife
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Herausforderung: Neue Knappheiten (a) Verfügbarkeit von Rohstoffen
• Li • Co • Mn • C • La • Sc • Ge • Gr • ...
à Forschung z.B. am Helmholtz-Institut Ulm
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(b) Biomasse: Nutzungskonkurrenzen
Quelle : 6. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung, 2011
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10.06.2013
Herausforderung: Systemische Risiken
Fehler im Teilsystem kann zur Dysfunktion des gesamten Systems führen
" nicht antizipierte Interaktionen von zuvor separaten Systemkomponenten (interagierende Fehler) oder Fehler können sich im Gesamtsystem fortsetzen
" „Internet der Energie“ mit Verknüpfungen aller Smart Grid Komponenten über IP Kommunikation sorgt theoretisch für systemische Risiken: " Konnektivität, große Zahl von Angriffspunkten, niedriges Sicherheitsniveaus
vieler „Endgeräte“, Schwächen des IP Standards
" Weiter steigende Komplexität der beteiligten und verantwortlichen Betreibern/Akteure: " Systeme mit mehreren Akteuren: „Freifahrerverhalten“ bei
Sicherheitsmaßnahmen und externalisierte Schäden " Unklare Verantwortlichkeiten bei Schäden
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Die Energiewende – eine gesellschaftliche Transformation
" neue Technologien notwendig aber nicht hinreichend " Anforderungen an die Industrie: nicht nur Bau und Betrieb neuer
Anlagen " neue Wertschöpfungsketten werden benötigt " Innovateure, Investoren und Anleger werden zu Mitspielern
(„Prosumer“ sind Produzenten und Konsumenten von Energie) " vielfach müssen auch die Nutzer und die Betroffenen
„mitspielen“ " davon kann nicht einfach ausgegangen werden, auch wenn die
Energiewende immer noch weitgehend Konsens ist " Ende der infrastrukturellen Utopie: auf der einen Seite die
Anbieter, auf der anderen die Verbraucher, dazwischen nur der Strom- oder Gaszähler
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10.06.2013
4. Was steht an?
• Koordination der Energiewende statt Durcheinander • Bundesministerien und Behörden, Bundesländer, europäische
Ebene
• Unternehmen, Verbände
• Zivilgesellschaft, Umweltverbände, Verbraucherschutz etc.
• Partizipative Verfahren bei Infrastruktur- und Großprojekten, bei denen etwas verhandelt werden kann
• Bereitschaft, unter Gemeinwohlaspekten individuelle Interessen in gewissem Rahmen zurückzustellen – oder kompensatorische Ausgleiche (z.B. bei Hochspannungstrassen)
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10.06.2013
• Planungssicherheit für Investoren (z.B. durch Honorierung von Systemdienstleistungen wie Stabilitätssicherung)
• Abwägen zwischen Offenhalten von Optionen und „Betonieren“ der Zukunft durch neue Kraftwerke und Infrastrukturen
• gesellschaftliches Sich-Einlassen auf eine offene Energiezukunft statt simplem Planungsdenken (kein Masterplan)
• staatliche Aufgabe: Stabilität des zukünftigen Energiesystems vorausschauend sichern (Forschung, Kapazitätsmärkte, Anreize etc.)
• Reform des EEG durchführen: weg von der Förderung der schieren Erhöhung der eingespeisten Strommenge
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10.06.2013
• die Industrie muss flexibel agieren, neue Geschäftsmodelle entwickeln und Akteurskonstellationen bedenken
• auch muss sie (noch) stärker mit Bürgern/Initiativen zusammenarbeiten
• das „Mehrebenen-System“ (Bund – Länder – lokale Ebene) muss bedient werden
• die europäische Ebene nicht vernachlässigen!
• die Energiewende als gesellschaftliche Transformation begreifen, nicht nur als technische Substitution
Prof. Dr. Armin Grunwald – Die Energiewende: Ein sozio-technischer Transformationsprozess Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
10.06.2013
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Armin Grunwald