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Zum Wahnsinn um die NSU, Version 0.0.3
-‐ Geschehnisse um die vermutete Verbindung Kiesewetter hinzugefügt u.a. -‐
Grundsätzliches ...................................................................................................................................................1
Aufgaben und Struktur der Verfassungsschutzbehörden.................................................................2
Aufgaben und Struktur der Polizeien.........................................................................................................4
Abgrenzung in Hinblick auf rechtsstaatliche Grundsätze .................................................................5
Arbeitsweisen von Geheimdiensten und der Unterschied zur Arbeitsweise der Polizeien
.....................................................................................................................................................................................7
Abgrenzung in Hinblick auf politische und staatsorganisatorische Zwänge.........................10
Ungefährer chronologischer Ablauf und Erklärungen für die behördlichen Reaktionen
.............................................................................................................................................................................17
Bekannte oder vermutete Maßnahmen der Polizeibehörden.................................................18
Bekannte oder vermutete Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörden........................18
„Skandalträchtigkeit“ unter Berücksichtigung der Aufgaben der Behörden....................20
Reformüberlegungen ................................................................................................................................21
Kritik an den Reformüberlegungen in Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit ..............21
Verbot der Vermischung.....................................................................................................................21
Bisherige Aufweichungen des Verbotes.......................................................................................21
Gefahren.....................................................................................................................................................21
Fazit .......................................................................................................................................................................21
Grundsätzliches
Es ist immer schwer, aus der Distanz des in die konkreten Geschehnisse Uneingeweihten
heraus, Sachlagen zu beurteilen, wenn man nur ungefähres Wissen hat, das
überwiegend vom Hörensagen stammt. Mit Ausnahme von Originalaussagen der
Beteiligten wie sie in der Presse wiedergegeben wurden, sind fast alle zugänglichen
Quellen solche des Hörensagens aus der Presse.
Nach nunmehr 2 Jahrzehnten Erfahrung auf dem Gebiet verdeckter operativer Tätigkeit
meine ich mich dennoch zumindest teilweise zu dem Fall äußern zu können, nämlich
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insoweit, als wiederkehrende Handlungsmuster erkennbar sind und aus diesen Mustern
heraus Wahrscheinlichkeiten der Geschehenabsläufe rekonstruierbar sind. Ich versuche
diesen „Bericht“ so objektiv wie möglich und ohne jedes Links-‐Rechts-‐Schema im Kopf
zu verfassen und werde mich bemühen meine Argumente mit so viel von den wenig
verfügbaren Fakten zu untermauern, dass ich damit meine wenn schon nicht auf
Zustimmung, dann zumindest auf Verständnis zu stoßen. Um den Fall der Organisation
„Nationalsozialischer Untergrund (NSU)“ zu erklären bedarf es jedoch zunächst einiger
eingehender Erläuterungen bestehender Strukturen und Sach-‐ und Rechtszwänge.
Zum Copyright: Jeder kann diesen Bericht vervielfältigen und zu seinen Zwecken nutzen
wie er will, solange er den Textinhalt nicht verändert und keinen anderen Autor unter
diesen Bericht setzt. Ich veröffentliche zunächst Version 0.1, warte dann auf Anregungen
und Rückmeldungen und behalte mir die Veröffentlichung weiterer Version vor.
Die Stimme aus dem Off
Aufgaben und Struktur der Verfassungsschutzbehörden
Die Verfassungsschutzbehörden der Bundesrepublik Deutschland sind eines nicht:
Strafverfolgungsbehörden. Das ist sich im Folgenden immer wieder in Erinnerung zu
rufen und zu verdeutlichen, sonst wird es nicht zu einem Verständnis der Problemlage
kommen.
Rechtsgrundlage der Verfassungsschutzbehörden ist auf Bundesebene das „Gesetz über
die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des
Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz“. Auf Landesebene
gibt es natürlich für jedes Bundesland ein eigenes Gesetz, das die Tätigkeit der
jeweiligen Landesämter für Verfassungsschutz legitimiert.
Wir lernen bis hierher also: Es gibt ein Bundesamt für Verfassungsschutz und für jedes
Bundesland ein eigenes Landesamt für Verfassungsschutz.
Wenn ich im Folgenden also über „den“ Verfassungsschutz schreibe, dann ist damit
immer die jeweilige Landes-‐ oder die Bundesbehörde gemeint.
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Zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes sei § 3 BVerfSchG zitiert, dieser lautet:
1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist
die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von
sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen,
über
1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung,
den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet
sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der
Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder
zum Ziele haben,
2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im
Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht,
3. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung
von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige
Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
4. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken
der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes),
insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel
26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind.
(2) Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder wirken mit
1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen
Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder
Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn
sich verschaffen können,
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2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheits–
empfindlichen Stellen von lebens- oder verteidigungswichtigen
Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen,
3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen
Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder
Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte,
4. bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten
Fällen.
Die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung
nach Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 sind im Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 20.
April 1994 (BGBl. I S. 867) geregelt.
(3) Die Verfassungsschutzbehörden sind an die allgemeinen
Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes).
Noch einmal zur Verdeutlichung: Es ist KEINE Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden,
Strafverfolgung zu betreiben. Noch nicht einmal die Gefahrenabwehr ist Aufgabe der
Verfassungsschutzbehörden. Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden ist die
Sammlung und Auswertung von Informationen. Etwas untechnischer als im Gesetz
beschrieben lässt sich die Aufgabe in etwa so beschreiben: Der Verfassungsschutz dient
dazu, die Regierung in Kenntnis aller erforderlichen Tatsachen zu setzen, die sie
benötigt um die Sicherheitslage einzuschätzen. Und hier liegt auch schon die Krux.
Aufgaben und Struktur der Polizeien
Anders als beim Verfassungsschutz ist die Aufgabe der Polizei die Gefahrenabwehr und
die Strafverfolgung. An dieser Stelle wird es etwas kompliziert und führt in die Tiefen
des Grundgesetzes: In der föderalen Struktur des Grundgesetzes liegt die originäre
Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr bei den Ländern, Art. 70 Abs. 1 GG. Ebenso liegt die
regelmäßige Zuständigkeit für die Strafverfolgung bei den Länderpolizeien mit den
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verschiedenen Landeskriminalämter (LKA) einerseits und den örtlichen
Polizeibehörden andererseits bzw. den Staatsanwaltschaften auf Landesebene als
eigentliche Ermittlungs-‐ und Anklagebehörde. Nur in seltenen Fällen der
grenzüberschreitenden Kriminalität, insbesondere dem weltweiten organisierten
Drogenhandel und dem weltweiten Terrorismus liegt die Zuständigkeit beim Bund, der
seine Aufgaben im Bereich der Strafverfolgung durch die Bundesanwaltschaft und das
Bundeskriminalamt (BKA) wahrnimmt, in Fällen der Breitenkriminalität mit der
Bundespolizei, dem ehemaligen Bundesgrenzschutz. Für die Waren Ein-‐ und Ausfuhr
gibt es da noch den Zoll mit dem Zollkriminalamt (ZKA), für den Bereich der
militärischen Sicherheit den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und für die
Auslandsaufklärung den Bundesnachrichtendienst (BND).
17 Ämter für Verfassungsschutz, 1 Bundesanwaltschaft, viele Staatsanwaltschaften auf
Länderebene, 16 Landeskriminalämter, 1 Bundeskriminalamt, 1 Bundespolizei, 16
Länderpolizeien und dazu noch der BND, Zoll und ZKA, MAD...
Ihnen schwirrt an dieser Stelle der Kopf? Das ist nur normal. Selbst Leute vom Fach
haben manchmal große Mühe die Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden richtig
einzuordnen. In Grenzfällen ist das manchmal auch ausgesprochen schwierig.
Erschwerend kommt hinzu, dass viele dieser Organisationen auch gemeinsame
Arbeitsgruppen bilden, die aus gemischten Teams bestehen, wie zum Beispiel im Fall
des „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“s (GTAZ).
Wir wollen an dieser Stelle jedoch mitnehmen, dass das Grundgesetz die Zuständigkeit
für die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr auf die Polizeibehörden der Länder
gelegt hat und nicht auf die Geheimdienste und nicht auf den Bund.
Abgrenzung in Hinblick auf rechtsstaatliche Grundsätze
Jetzt wo feststeht, dass es nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes ist, Strafverfolgung
und Gefahrenabwehr zu betreiben, wollen wir auf die Gründe dafür eingehen, warum
die Arbeit der Geheimdienste und der Polizeibehörden in Rechtsstaaten strikt getrennt
werden (sollten).
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Will man einem Straftäter eine Straftat nachweisen und ihn durch ein Gericht aburteilen
lassen, kann man das nur, wenn man sich dabei an rechtsstaatliche Grundsätze hält: Ein
Gerichtsverfahren ohne die Beachtung der Strafprozessordnung ist undenkbar.
Das Strafverfahren ist von bestimmten Prozessmaximen geprägt. So müssen alle
wesentlichen Ermittlungsmaßnahmen Eingang in die Prozessakte finden. Der
Beschuldigte, der einer Tat wegen angeklagt wird, muss die Chance haben alle gegen ihn
gerichteten Ermittlungsmaßnahmen in Zweifel zu ziehen und den Wahrheitsgehalt der
konkreten Anklage durch ein Gericht prüfen zu lassen. Denn – dies wird den einen oder
anderen überraschen – es ist die Aufgabe des Richters, den Angeklagten insoweit zu
schützen, als er ihn nur dann verurteilen darf, wenn die Schuld des Angeklagten in
einem ordentlichen Gerichtsverfahren bewiesen wurde. Nur dann darf er ihn
verurteilen. Auch diese Tatsache wollen wir uns in Gedächtnis legen und uns zu
gegebener Zeit daran erinnern.
Anders als viele andere Staaten kennt Deutschland das Instrument der „Geheimpolizei“
nicht (mehr). Der Grund liegt in den schlechten Erfahrungen von 1933 an, denn man hat
gemerkt, dass eine Polizei, die mit geheimdienstlichen Mitteln arbeitet – welche das sind
wird sogleich erörtet – eine große Gefahr für den Rechtsstaat ist.
Da man in einem Rechtsstaat alle Bürger gleich behandeln soll, gilt für die
Strafverfolgungsbehörden das sogenannte „Legalitätsprinzip“. Dies besagt, dass die
Strafverfolgungsbehörden bei jeder Kenntnis einer Straftat Ermittlungen aufzunehmen
haben. Ein Ermessen steht ihnen nicht zu. Es soll und kann also regelmäßig nicht dazu
kommen, dass die Behörden bei Straftaten einzelner Günstlinge wegsehen und bei
Straftaten ihnen missliebiger Personen Ermittlungen aufnehmen. So jedenfalls in der
Theorie. In der Praxis sieht das zwar regelmäßig ganz anders aus, aber das ist eine ganz
andere Frage.
Anders als bei den Strafverfolgungsbehörden verhält es sich bei den Geheimdiensten. Da
ihre Aufgabe die Informationsgewinnung ist und die Strafverfolgung nicht nur nicht ihre
Aufgabe ist, sondern von ihnen auch nicht wahrgenommen werden darf, sind sie dem
Legalitätsprinzip natürlich nicht unterworfen. Für sie gilt das sogenannte
Opportunitätsprinzip. Sie können Straftaten anzeigen und damit durch die
Ermittlungsbehörden verfolgen lassen, aber sie müssen es nicht.
Ermittlungsmaßnahmen dürfen sie jedoch nicht ergreifen. Auch dies wollen wir uns
merken.
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Arbeitsweisen von Geheimdiensten und der Unterschied zur
Arbeitsweise der Polizeien
Für die Strafverfolgungsbehörden wurden im Laufe der Zeit bestimmte wiederkehrende
Ermittlungsmaßnahmen eingeführt, mit deren Hilfe diese Straftaten erforschen können.
Dem Leser sind vermutlich einige dieser Maßnahmen aus Krimis wie dem „Tatort“
zumindest laienhaft bekannt: Die Polizei kann (und muss) Vernehmungen von
Beschuldigten und Zeugen durchführen, Tatorte untersuchen, Durchsuchungen von
Wohnungen und Personen vornehmen, Gegenstände beschlagnahmen und untersuchen
lassen und Personen observieren. Sie kann auch verdeckte Ermittler einsetzen, Telefone
abhören und sich allerlei behördlicher Informationen bedienen, wie sie z.B. Einsicht in
behördliche Register nehmen kann. Für die meisten dieser Maßnahmen benötigt die
Polizei vor der Maßnahme die Erlaubnis eines Gerichts in Form eines Beschlusses, das
bedeutet, dass grundsätzlich ein Richter die Maßnahme auf Sinnhaftigkeit und
dahingehend prüfen muss, ob die Maßnahme nicht vielleicht einen unverhältnismäßig
schweren Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen darstellt.
Das klingt in dieser Form erst einmal ganz vernünftig, allerdings muss man wissen, dass
diese Prüfungen von den an die Richter herangetragenen Anträgen auf Zustimmung zu
den Ermittlungsmaßnahmen, regelmäßig keine Prüfung durch das Gericht nach sich
zieht, sondern eher dazu führt, dass der Richter den Antrag blanko unterschreibt. Das
glauben Sie nicht? Sie halten das für Phantasterei?
Dann zitiere ich einmal die Universität Bielefeld:
„Die auf Aktenanalysen und Interviews beruhende empirische Studie geht der Frage
nach, wie der gesetzlich vorgeschriebene Richtervorbehalt die der
Telefonüberwachung in der Praxis gehandhabt wird. Sie führt zu dem Befund, dass
die Richter fast immer dem Überwachungsantrag stattgeben und der
Richtervorbehalt eher selten auf einer, wie vom Verfassungsgericht gefordert,
eigenständigen Entscheidung der Richter beruht.“ Quelle: Universität Bielefeld,
http://www.jura.uni-
bielefeld.de/lehrstuehle/barton/institute_und_projekte/rechtstatsachen/wer_kontr
olliert_die_telefonueberwachung
Eine Zusammenfassung der Arbeit von Otto Backes/Christoph Gusy unter Mitarbeit
von Meik Begemann, Siiri Doka und Anja Finke, 2003
Peter Lang Verlag Frankfurt (Bielefelder Rechtsstudien Band 17)
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Wie Sie sehen, kann der Staat also schon im Rahmen der Strafverfolgung im Grunde
machen was er will. Eine Kontrolle durch den Richter, wie sie vom Grundgesetz verlangt
wird, findet tatsächlich nicht statt.
Die Geheimdienste haben jedoch noch ganz andere Möglichkeiten zu arbeiten:
Auch sie können Telefone abhören, benötigen dafür aber nicht einen ohnehin leicht zu
bekommenen Beschluss eines Gerichts. Sie holen sich ihre Erlaubnis über das
sogenannte G-‐10-‐Gesetz http://www.gesetze-‐im-‐internet.de/g10_2001/.
Dies besagt, dass die Geheimdienste Überwachungsmaßnahmen auch ohne
Richtervorbehalt durchführen dürfen, einen Richter also nicht zu fragen brauchen. An
Stelle eines Richters fragt man einfach einen Beamten.
Alle sechs Monate hat die Behörde laut diesem Gesetz dem Parlamentarischen
Kontrollgremium Bericht über die durchgeführten Überwachungsmaßnahmen zu
erstatten. Ich erspare mir unnötige Einzelheiten, ist doch dem aufmerksamen Leser
nicht entgangen, dass die Kontrolle selbst durch die Richter nicht klappt. Wie Schutz vor
Missbrauch bestehen soll, wenn bezüglich der Überwachungsmaßnahmen noch nicht
einmal ein Gericht gefragt werden muss, sondern die Beamten gleich selbst entscheiden
was gemacht wird, bleibt in Frage zu stellen. Man darf und muss also nach den
bisherigen Erkenntnissen davon ausgehen, dass das Fernmeldegeheimnis in
Deutschland mittlerweile nicht mehr existiert und der Staat nach Lust und Laune
Telefone mithört und das Internet überwacht, ohne dass es irgendeine Kontrollinstanz
gibt.
Wir halten also fest: Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs ist den Geheimdiensten
schrankenlos möglich.
Doch natürlich bleibt es nicht bei bloßer Überwachung des Fernmeldeverkehrs. Sonst
könnte man sich das Geld für die Geheimdienste sparen und mit der Überwachung
Postbeamte bzw. – nunmehr heißen sie anders – Beamte der Regulierungsbehörde
beauftragen.
Die Geheimdienste haben natürlich noch weitere Möglichkeiten. So sprechen sie gezielt
Personen an, die für sie interessant sind und bieten ihnen Geld, um über sie an
Informationen zu kommen. Das Handlungsspektrum ist hier groß. Es reicht von
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gelegentlichen Ankäufen bis soweit, einzelne Personen als sogenannte „V-‐Person“ also
„Vertrauensperson“ zu führen. Diese sogenannten V-‐Leute sind Leute, die sich in
kriminellen oder extremistischen Umfeld bewegen und die man für so vertrauensvoll
hält, dass man ihren Informationen Glauben schenkt. Über die Glaubwürdigkeit von
Terroristen und Extremisten – gleich welcher Richtung – mag sich jeder selbst seine
Gedanken machen. Es ist aber schon lange bekannt, dass V-‐Leute oftmals Märchen
erzählen und Leute zu Unrecht verdächtigen bzw. ihre extremistische Gesinnung nicht
ganz ablegen und dann – nunmehr als bezahlte V-‐Person staatlich subventioniert –
ihrem Hobby mit neuer Energie nachgehen. Der niedersächsische Innenminister
Schünemann, der in seiner Karriere durch die Anordnung einer ganzen Reihe von
unrechtmäßigen polizeirechtlich begründeten Maßnahmen auffiel, hat aktuell
vorgeschlagen, für V-‐Leute eine Art „Qualitätsmanagement“ einzuführen. Soll heißen:
Extremisten und Terroristen sollen auf ihre „Gütequalität“ hin überwacht werden und
bei Zweifeln aussortiert werden.
Wir werden auch auf dieses Thema noch zu sprechen kommen.
Man muss an dieser Stelle allerdings noch wissen, dass die Geheimdienste es natürlich
nicht bei Geldzahlungen lassen. Ist die fragliche Person nicht willig für den Geheimdienst
zu arbeiten, ist auch die „Erpressung“ ein übliches Mittel. Das funktioniert in der Regel
so:
Der Geheimdienst, der, wie wir nunmehr wissen, über praktisch unbegrenzte
Möglichkeiten der Überwachung verfügt, eine Person überwacht, bekommt natürlich
schnell mit, ob, wie und wann diese überwachte Person Straftaten begeht oder nicht.
Wir haben zuvor ja auch gelernt, dass die Geheimdienste nicht dem Legalitätsprinzip
unterfallen, sie also nicht gezwungen sind Straftaten zu verfolgen. Das bedeutet
natürlich nicht, dass es ihnen nicht möglich ist Straftaten verfolgen zu lassen.
In der Praxis sieht das so aus, dass man beispielsweise einen Brandstifter dabei filmt
wie er ein paar Autos in Berlin anzündet. Diesen Film mit dem Beweismaterial führt man
der Person vor und „bittet“ sie nun, doch – beispielsweise – ihre Freunde und Bekannten
aus der linksextremistischen Szene an den jeweiligen Geheimdienst zu verraten. Sollte
die Person nicht mitspielen würde die entsprechende Staatsanwaltschaft Ermittlungen
in dieser Angelegenheit aufnehmen, was zu einer Freiheitsstrafe von nicht unter X
Jahren führen würde...
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Sie können sich vorstellen, dass viele Leute derartige Angebote einfach nicht ablehnen
können. An Stelle des Brandstifters können Sie natürlich auch den Mörder,
Vergewaltiger, Einbrecher, Räuber, Drogen-‐ oder Waffenhändler setzen. Wichtig ist
dabei nur zu wissen, dass je höher die zu erwartende Strafandrohung ist, desto eher die
Bereitschaft sein wird sich zum Spitzel machen zu lassen.
Ich möchte das an dieser Stelle nicht unbedingt kritisieren. Derartige Handlungen
können durchaus vernünftig sein. Auch auf dieses Thema werde ich noch zu sprechen
kommen, wenn etwas mehr Verständnis für den Gesamtzusammenhang vorhanden ist.
Nach der Lektüre so wenig Textes kann man das allerdings noch nicht erwarten. Darum
später mehr. Wir halten an dieser Stelle jedoch fest, dass es Polizeien grundsätzlich
verboten ist Straftäter laufen zu lassen, während Geheimdienste dieses Mittel
regelmäßig verwenden, es für ihre Arbeit geradezu essentiell ist.
Abgrenzung in Hinblick auf politische und staatsorganisatorische
Zwänge
Warum ist es eigentlich so, dass es neben der Polizei einen Geheimdienst (für Inneres)
gibt?
Ich habe ja schon geschrieben, dass man dem Angeklagten gewisse Rechte zugestehen
muss, zu denen in einem Rechtsstaat auch gehört, sämtliche Ermittlungsmaßnahmen in
Zweifel ziehen zu können. Nach den vorangegangen Zeilen dürfte aber jedem Leser klar
sein, dass die typische V-‐Person sich in einer ganz anderen Situation befindet, als der
glückliche Angeklagte eines Strafverfahrens. Moment mal, glücklich? Wie kann man
glücklich sein, wenn man sich in einem Strafverfahren befindet und womöglich die
nächsten Jahre im Gefängnis verbringen muss, weil der Richter der Anklagebehörde
glaubt? Ist die V-‐Person, die vom Geheimdienst „erpresst“ wird nicht viel besser dran,
schließlich bleibt sie doch auf freiem Fuß?
Wer so denkt, denkt ausgesprochen kurzsichtig. Um es ganz klar zu sagen: Ich möchte
lieber in der Haut eines Angeklagten stecken als in der Haut einer derartigen V-‐Person.
Denn oftmals rutschen diese V-‐Personen durch die geheimdienstliche Erpressung
immer tiefer in den Sumpf aus (legalisierter) Erpressung und Straftaten, die sie zu
begehen hat. Denn es hört regelmäßig ja nicht mit einer klitzekleinen Erpressung auf,
die dann bloß zu einem einzigen Verrat führt. Man hat natürlich ein Interesse daran die
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V-‐Person fest und fester an sich zu binden. Aus diesem Grund ist man natürlich auch
geneigt ihr immer weitere Straftaten nachweisen zu können.
Ein weiterer Grund für das Nebeneinander von Geheimdienst und
Polizei/Staatsanwaltschaft liegt darin, dass die durch das Strafverfahren gebundenen
Strafvollzugsbehörden nur begrenzt wertvoll für die Politik sind. Jedes Gericht verbittet
sich Einmischungen der Politik, aus gutem Grund. Die Politik aber will zuverlässige
Informationen über Bedrohungslagen haben, sie will ihre Entscheidungen an diesen
Bedrohungslagen ausrichten können. Ein klassisches Feld der geheimdienstlichen
Tätigkeit ist daher der Auslandsnachrichtendienst, der in Deutschland eben vom BND
wahrgenommen wird. Es leuchtet jedem ein, dass in Fragen der Außenpolitik die
Informationsbeschaffung von überlebenswichtiger Bedeutung für einen Staat ist.
Schwieriger wird es allerdings, wenn es um die Informationsbeschaffung im Inland, für
inländische politische Zwecke, geht. Und hier sind wir beim Problem des
Verfassungsschutzes. Man muss sich nämlich einmal fragen, wozu die
Informationsbeschaffung im Inland mit geheimdienstlichen Mitteln eigentlich gut sein
soll. Welche Gefahren will die Politik mit Hilfe des Geheimdienstes abwehren? Dabei
muss natürlich berücksichtigt werden, dass es gerade keine Aufgabe der Geheimdienste
ist, Straftaten zu verfolgen. Denn wir haben ja schon gelernt, dass das nicht geht, weil es
dem Angeklagten so nicht möglich wäre, sämtliche Beweise in Zweifel zu ziehen.
Wenn es aber nicht um die Abwehr von Straftaten geht, was bleibt dann eigentlich noch
über? Der Laie – und zu denen zähle ich auch viele Juristen – ist geneigt hier
schlagwortartig das Stichwort „Prävention“ zu bringen, sich auf das juristische Feld der
„Gefahrenabwehr“ zu begeben und zu argumentieren, dass Terrorismusabwehr auch
Gefahrenabwehr sei und dies keine Angelegenheit sei, bei der die strafrechtlichen
Privilegien des Angeklagten Anwendung finden würden.
Ich halte das für zu kurz gegriffen und will im Folgenden erläutern warum.
Zunächst einmal muss man sich doch fragen, ob das Gefahrenabwehrrecht, wie es
derzeit Anwendung findet, nicht selbst eine Gefahr für den Rechtsstaat darstellt. Denn
durch die Ausuferung des Gefahrenabwehrrechts werden strafrechtliche Privilegien
langsam aber sicher ausgehöhlt. Dabei ist wichtig zu wissen, dass es dafür, ob man
gefahrenabwehrrechtlich als „Störer“ behandelt wird, nicht auf die Schuld oder
Unschuld eines Betroffenen ankommt. Wer aus der halbwegs objektivierten Sicht der
Behörde eine Gefahr zumindest mittelbar verursacht, ist Störer. Es ändert nichts daran,
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dass der Betroffene vielleicht keine verbotene Handlung, also eine erlaubte Handlung,
begeht. Auch erlaubte Handlungen können nach gefahrenabwehrrechtlicher
Betrachtung (so die ganz herrschende Ansicht) eine Störung darstellen und somit zur
polizeirechtlichen Verantwortlichkeit führen, unjuristisch formuliert: Wenn ich etwas
erlaubtes tue, das aus Sicht der Behörde eine Gefahr darstellt, dann kann die Behörde
bestimmte Maßnahmen gegen mich ergreifen.
Mit dieser weiten Betrachtung des Gefahrenbegriffs, der auch erlaubte Handlungen
einschließt, ist der Willkür des Staates natürlich Tür und Tor geöffnet. Es sei darauf
hingewiesen, dass es auch hellsichtigere Auffassungen in der Juristerei gibt, die nämlich
erlaubte Handlungen aus dem Begriff der Gefahr von vornherein ausschließen wollen;
nur haben sich diese Auffassungen nie durchsetzen können.
Ich will um etwas Druck aus der Angelegenheit zu nehmen hier kein Beispiel im
sogenannten „Kampf gegen Rechts“ anführen, sondern Beispiele aus dem Bereich des
Islamismus bringen:
Vor einiger Zeit ordnete der Niedersächsische Innenminister Schünemann an, dass die
Besucher von bestimmten Moscheen generell durch die Polizei überprüft wurden. Jeder
Besucher einer dieser Moscheen musste sich also ausweisen und seine Identität
offenbaren, bevor er in die Moschee eintreten konnte.
Es ist jedem klar – außer dem Innenminister des Landes Niedersachsen -‐, dass der
Besuch einer Moschee unter die Religionsfreiheit fällt und folglich eine erlaubte
Handlung ist. Trotzdem wurden die Freiheitsrechte der Moscheebesucher durch die
Polizei über einen längeren Zeitraum massiv eingeschränkt und das alles nur, weil die
Moscheebesucher aus Sicht des Politikers Schünemann eine „Gefahr“ verursachten.
Diese Kontrollen führten in der Presse bundesweit zu einer Kontroverse. Als Beispiel sei
hier der Artikel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 02.12.2009 angeführt:
http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Niedersachsen/Juristen-‐halten-‐
Moscheekontrollen-‐fuer-‐verfassungswidrig
Im internationalen Bereich sei auf das Beispiel der Anwendung von Folter zur
Informationsgewinnung durch die Amerikaner hingewiesen: Um den Angeklagten
strafrechtliche Privilegien wie das Aussageverweigerungsrecht zu entziehen, überstellte
man die Gefangenen nach Guantanamo, einem US-‐Militärstützpunkt an der Südküste
von Kuba, der dort exterritoriales Gebiet darstellt und nach Ansicht der
Verantwortlichen im US-‐Verteidigungsministerium (aber nicht nach Ansicht der US-‐
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Bundesgerichte) ein Gebiet ohne zuständige US-‐Gerichtsbarkeit darstellte. Aus diesem
Grund meinte man die dort Gefangenen der Folter unterziehen zu können, um die
Gefangenen so an ihrem Aussageverweigerungsrecht zu hindern und damit an
Informationen gelangen zu können. Damit ging man rechtshistorisch einen Schritt
zurück ins Mittelalter.
Ein weiteres prominentes Beispiel ist die Androhung von Folter im Fall Daschner bzw.
Gäfgen. Der Kindesentführer Magnus Gäfgen hatte den Sohn eines reichen Frankfurter
Bankiers entführt und sich – da er selbst Jura studiert hatte – in Kenntnis seines
Aussageverweigerungsrechts auf selbiges zurückgezogen und sich geweigert den
Aufenthaltsort des entführten Kindes preiszugeben. Herr Daschner, ein ranghoher
Beamter, drohte dem Entführer die Anwendung von Folter an, solle er nicht sagen, wo
sich das Kind befinde, wobei angemerkt werden muss, dass man zu diesem Zeitpunkt
davon ausging, dass das Kind noch lebt. Obwohl Herrn Daschner das
Aussageverweigerungsrecht durchaus bewusst war, hielt er es in der Sache für nicht
einschlägig. Denn nach einer weiteren Theorie des Gefahrenabwehrrechts kann nicht
nur erlaubtes Handeln eine Gefahr darstellen, die Polizei kann auch noch selbst
entscheiden, ob sie zu Zwecken der Strafverfolgung oder zur Gefahrenabwehr tätig wird.
Da Herr Daschner hier der Ansicht war, einzig das Leben des Kindes retten zu wollen
und keinen Wert auf die strafrechtliche Überführung des Täters legte (so muss man es
ihm zu seinen Gunsten zumindest auslegen), handelte er also einzig zur
Gefahrenabwehr: Er selbst legte damit fest, wie weit die Rechte des Betroffenen gehen.
Das Urteil des Strafgerichts lautete später zwar, dass die Androhung von Folter
unrechtmäßig war, dieses Urteil ist jedoch mit großer Vorsicht zu genießen. Das
Strafgericht selbst hat sich in seinem Urteil an den Grenzen seiner Zuständigkeit bewegt,
denn streng genommen ist die Überprüfung der Rechtmäßigkeit polizeilicher
Maßnahmen Aufgaben der Verwaltungsgerichte und eben nicht der Strafgerichte. Folgt
man nämlich der ganz herrschenden Ansicht in der Polizeirechtslehre, dass nämlich der
Beamte entscheidet ob er strafrechtlich oder gefahrenabwehrrechtlich tätig wird, dann
ist ein Urteil eines Strafgerichts in dieser Angelegenheit an der Grenze dessen, was der
Jurist als „ultra vires“ bezeichnet, ein unrechtmäßiges Urteil, unrechtmäßig deshalb, weil
das Gericht nicht zuständig war. Ich will aber nicht weiter auf die Details eingehen. Mir
ist etwas ganz anderes wichtig:
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Am Fall Daschner sieht man sehr schön, dass die Ausuferung des Gefahrenabwehrrechts
die „Einschläge“ näher an den Bürger bringt. Kann man sich als Durchschnittsdeutscher
nach dem ein oder anderen phantasievollen Spielfilm unter Moscheekontrollen
vielleicht noch potentiell gefährliche Terroristen vorstellen und unter „Guantanamo“
vielleicht noch wirklich auf gefährliche Terroristen schließen, so kommen doch
spätestens im Fall Daschner Zweifel auf, ob das mit der Anwendbarkeit von
Gefahrenabwehrrecht auch bei erlaubten Handeln und nach mehr oder weniger freiem
Ermessen durch die Beamten wirklich so seine Richtigkeit haben kann.
Damit schließt sich der Kreis und wir sind wieder beim Ausgangsproblem: Es geht um
die Frage, wofür man eigentlich einen Geheimdienst braucht, wenn dessen Aufgabe
„nur“ die Informationsgewinnung ist und er keinerlei Strafverfolgungsaufgaben
wahrnehmen darf. Die Politik ist derzeit bemüht die Aufgaben der Geheimdienste immer
weiter auszudehnen, die Geheimdienste sollen im Bereich der Gefahrenabwehr wildern.
Sie sollen also Aufgaben übernehmen, die ursprünglich einmal ordentlichen Behörden
übertragen wurden. Also weitestgehend transparenten Staatsorganisationen, deren
Kontrolle durch die Gerichte in den meisten Fällen effektiv war.
Alles dreht sich also um die Frage, wo genau die Grenze zwischen erlaubten
polizeilichem Handeln und durch die Verfassung verbotenen geheimpolizeilichem
Handeln liegt, das den Bürger nicht zum Angeklagten, sondern zum Spielzeug des
Geheimdienstes macht.
Und hier sind wir endlich bei der Überschrift des Kapitels angekommen:
Was für Zwänge in Bezug auf die Staatsorganisation bestehen, die es dem Staat
dermaßen zwingend erscheinen lassen, dass er seinen Bürgern nicht mit dem Mitteln
des Strafverfahrens gegenübertritt, sondern mit geheimdienstlichen Methoden?
Dazu will ich mich mit einer Reihe von Argumenten auseinandersetzen.
1. Das Argument der Terrorismusabwehr
In den letzten Tagen ist wegen des Phänomens „Nationalsozialistischer Untergrund
(NSU)“ viel Aufhebens um den „braunen Terrorismus“ bzw. zur „Braunen Armee
Fraktion“ gemacht worden. Schon die Bezeichnung stellt eine Nähe zur „Roten Armee
Fraktion (RAF)“ her. Abgesehen davon, dass alle bislang erlangten Erkenntnisse keinen
Beleg dafür hergeben, dass diese Gruppe aus mehr als 3 Personen zuzüglich weniger
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Unterstützer bestand, halte ich einen Vergleich mit der RAF oder anderer
Terrororganisationen aber auch in „qualitativer“ Hinsicht für vollkommen überzogen.
a) Die RAF war eine Terrororganisation, die von der Bundesrepublik
Deutschland feindlich gesinnten Staaten wie der DDR massiv unterstützt
wurde. Man weiß heute, dass die RAF bei der Staatssicherheit ein und aus
ging, sie geschult wurde, mit Geld versorgt wurde und internationale
Kontakte zu anderen Terrororganisationen erster Güte hatte. Der NSU
hingegen ist – soweit es bekannt ist – eine Gruppe von zwei Männern (die
mittlerweile tot sind) und einer Frau gewesen, die keinerlei Unterstützung
durch fremde Mächte hatte und die praktisch über keinerlei Verbindung
nach Außen hatte. Der NSU hatte keine falschen Originalpässe, wie einige
Terroristen der RAF, er hatte bloß einen Handlanger, der seinen
Führerschein für die Anmietung eines Fahrzeuges hergab, jedenfalls
soweit man aktuellen Presseberichten Glauben schenken mag. Um mit der
Literatur zu sprechen: Bei der RAF denkt man an James Bond. Beim NSU
eher an die Olson-‐Bande in einer psychisch gestörten Version.
Weil die RAF über derart weitreichende Kontakte und Möglichkeiten
verfügte, war die Bekämpfung der RAF mit den Mitteln des
Strafverfahrens nur sehr eingeschränkt möglich. Denn bitte wie soll man
Terroristen bekämpfen, die selbst über beste Kontakte zum Geheimdienst
verfügen und von einem solchen unterstützt werden? Die RAF konnte man
nur bekämpfen, indem man sich selbst geheimdienstlicher Methoden
bediente.
Der NSU hingegen ist ein klarer Fall für die Polizei. Es spricht derzeit
nichts dafür, dass der NSU die Unterstützung eines fremden
Geheimdienstes hatte. Es spricht streng genommen noch nicht einmal
etwas dafür, dass ein ominöser Beamter des hessischen
Verfassungsschutzes dieser Organisation Hilfe leistete. Ich gehe später im
„Fall“ näher darauf ein. An dieser Stelle soll nur darauf hingewiesen
werden, dass es grundsätzlich erforderlich sein kann, die Arbeit fremder
Nachrichtendienste, die terroristische Gruppen unterstützen, hier mit den
Mitteln der eigenen Geheimdienste zu bekämpfen. Das setzte aber voraus,
dass es eine Verstrickung eines solchen Geheimdienstes gibt. Gibt es sie
nicht, besteht dafür kein Anlass. Mehr noch: Da auch hier wieder dem
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Betroffenen das Abrutschen in die sklavische Abhängigkeit als V-‐Person
droht, ist der Einsatz von Geheimdiensten natürlich immer dann zu
unterlassen, wenn polizeiliche Mittel angesichts des Fehlens fremder
geheimdienstlicher operativer Tätigkeiten vollkommen ausreichend sind.
b) Abgesehen von der Gefahr der Anwendung rechtsstaatswidriger
Methoden bei der Terrorbekämpfung stellt sich noch ein weiteres
Problem: Der Einsatz von Geheimdiensten zur „Gefahrenabwehr“ im
Bereich des Terrorismus ist nicht erforderlich, weil es beim Terrorismus
keinen Bereich gibt, der sich in einem strafrechtslosen Bereich abspielt
und daher mit den Mitteln des Gefahrenabwehrrechts aufgeklärt werden
müsste. Oftmals argumentieren Sicherheitspolitiker nämlich so, dass es
„im Vorfeld“ zur „Prävention“ bereits möglich sein müsste, Maßnahmen zu
ergreifen. Anders ausgedrückt: Im Bereich des Terrorismus will man auch
schon dann handeln können, wenn das konkrete Handeln erlaubt ist. Sie
erinnern sich? Ich habe das Thema oben schon einmal angesprochen. Der
Staat möchte also bereits dann, wenn noch keine Straftat vorliegt, handeln
können. Das Problem im Bereich des Terrorismus ist nur: Es gibt hier
nichts, was nicht strafbar wäre! Oder anders ausgedrückt: Versuchen Sie
doch einmal eine Terrorgruppe zu gründen, ohne sich dabei strafbar zu
machen. Ich will Ihnen ein paar Beispiele geben: Die Bildung einer
terroristischen Vereinigung ist strafbar, § 129a StGB. Wenn Sie sich also
mit Ihren Fußballfreunden zusammenfinden um demnächst Anschläge zu
begehen und das Ganze bei einem Bier zu besprechen, dann sind Sie
schneller im Gefängnis, als sie denken. Doch nehmen wir einmal an, diese
Zusammenkunft würde klappen, Sie würden nicht erwischt und würden
nun weitermachen mit ihrer Planung. Sie planen also eine Bombe zu
bauen und schon wieder: Die Planung ist strafbar, § 89a, b StGB. Ich
erspare mir hier strafrechtliche Einzelheiten bei der Abgrenzung,
insbesondere zum Waffengesetz. Aber auch das Verwenden eines
gefälschten Führerscheins ist strafbar, ebenso der unerlaubte Besitz von
Waffen und Sprengstoff und wenn Sie „nur“ ein Auto stehlen, um zur
Finanzierung ihrer Terrorgruppe Banküberfälle begehen zu können… Sie
machen sich mit all diesen Vorbereitungshandlungen strafbar. Dabei ist
natürlich wichtig zu wissen, dass in den allermeisten Fällen auch der
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Versuch strafbar ist, es also nicht zum Erfolgseintritt gekommen sein
muss. Wenn Sie es schaffen eine Terrorgruppe zu bilden, ohne sich
strafbar zu machen, dann haben sie die Quadratur des Kreises geschafft.
Bislang ist das niemanden gelungen.
c) Schließlich ist anzumerken, dass es sich auch überhaupt nicht erschließt
inwieweit die Politik eigentlich „Terrorismusabwehr“ mit den Mitteln
reiner Informationssammlung erreichen können soll. Es gibt zwar
Konstellationen, in denen das möglich ist, dies sind jedoch alles
Konstellationen, in denen Einfluß auf fremde Staaten bzw. auf Territorien
genommen werden soll, deren Kontrolle zumindest teilweise nicht
besteht. Innerhalb eines Staatsgebietes genießen die Bürger des Staates
aber umfassende Bürgerrechte, die die Regierung binden und operative
Tätigkeiten gegen einzelne Personen daher gar nicht möglich sind.
d) Das Einzige was als Tätigkeit für den Verfassungsschutz im Bereich der
Terrorismusabwehr Sinn ergibt, ist die von den
Verfassungsschutzbehörden bereits jetzt durchgeführte
Informationssammlung zur Bewertung des Extremismus zwecks
politischer Bildung und Aufklärung. So können in den Schulen Dank der
Verfassungsschutzbehörden Aufklärungsprogramme durchgeführt
werden. Nur stehen derartige Aktivitäten in keinem Zusammenhang mit
dem Problem der Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“.
Ungefährer chronologischer Ablauf und Erklärungen für die behördlichen
Reaktionen
Ich werde an dieser Stelle nicht alle Details wiederholen, die jeder bei der Wikipedia in
den Artikeln „Nationalsozialistischer Untergrund“ http://de.wikipedia.org/
wiki/Nationalsozialistischer_Untergrund und „Mordserie Bosporus“
http://de.wikipedia.org/wiki/Mordserie_Bosporusnachlesen kann.
Wichtig ist hier nur zu wissen, dass die Mordserie 2000 begann und sich dann bis in den
April 2006 hinzog. Die Opfer waren über ganz Deutschland verteilt. Es waren alles
Kleingewerbetreibende, eines der Opfer war griechischer Abstammung, der Rest Türken
bzw. türkischer Abstammung. Die Polizei ging die ganze Zeit davon aus, dass es sich um
Auftragsmorde im Milieu handelte, denn der Täter hatte keine Hemmungen am
helllichten Tag vorzugehen. Das lässt darauf schließen, dass der Täter das Opfer und den
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Tatort vor der Tat ausgekundschaftet haben musste, seine Tat also sorgfältig geplant
und vorbereitet hatte. Soweit bekannt war, fehlte kein Geld. Ein Raub schied damit aus.
Bekannte oder vermutete Maßnahmen der Polizeibehörden
Es ist bekannt, dass sämtliche Tatorte untersucht wurden. Ob und welche Spuren
gefunden wurden, ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. Die ballistische Untersuchung der
Tatwaffe ergab jedoch, dass die Opfer mit einer schallgedämpften Waffe getötet wurden.
Die vermuteten Maßnahmen ergeben sich aus den Tatabläufen:
Zunächst einmal ist wichtig, dass es nie zu einem Bekennerschreiben kam. Damit
deutete nichts auf eine terroristische Tat hin. Im Gegenteil: Da die Opfer mit einer
schallgedämpften Waffe am helllichten Tag förmlich hingerichtet wurden, lag der
Verdacht nahe, dass es sich um Auftragsmorde handelte. Schon nach der ersten Tat wird
die Polizei das gesamte Privatleben des Opfers durchforstet haben. Dabei wird man sich
wegen des Tatablaufes auch sehr genau mit der finanziellen Situation der Opfer befasst
haben. Es ist anzunehmen, dass die finanzielle Situation – wie bei der überwiegenden
Zahl der Kleingewerbetreibenden – angespannt war.
Man hatte also einen Kleingewerbetreibenden ausländischer Herkunft in finanziell
schwieriger Situation, der am helllichten Tag von einem Profikiller mit einer
schallgedämpften Waffe hingerichtet wurde, den das Geld der Opfer nicht interessierte.
Dies erlaubt keinen anderen Schluss, als dass es sich um eine Tat im Zusammenhang mit
organisierter Kriminalität oder Spionage handeln musste. Für Terrorismus sprach in
diesem Zusammenhang nichts. Für rechtsextremistischen Terrorismus sprach noch
weniger. In der Folge kam es bis zum Jahr 2006 zu weiteren Taten. Eine Verbindung
zwischen den Opfern bestand nicht, wenn man mal von der Verwendung derselben
Waffe absieht.
Bekannte oder vermutete Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörden
Nun da die polizeiliche Lage einigermaßen klar ist, ist auch klar, von welcher Lage die
Verfassungsschutzbehörden ausgegangen sein müssen:
Ein oder mehrere Profikiller zogen durch Deutschland und töteten eine Reihe von
Kleingewerbetreibenden, die (vermutlich) allesamt in angespannten finanziellen
Verhältnissen lebten. Die Tatorte lagen über ganz Deutschland verteilt.
Jeder der sich mit geheimdienstlichen Strukturen schon einmal befasst hat, wird nun
von folgenden Gedanken übermannt:
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1. Die über ganz Deutschland – von Rostock bis München, vom Ruhrgebiet bis in die
Neue Bundesländer – verteilten Tatorte ließen darauf schließen, dass die Opfer
einem Netzwerk angehörten, dass die Opfer vermutlich Filialen irgendeiner
Organisation betrieben.
2. Die schwierige finanzielle Situation lies entweder auf Tarnung oder gescheiterte
Geldwäsche schließen. Oder beides. Denn ein Raubmord schied ja – wie bereits
dargestellt – aus. War also vielleicht gescheiterte Geldwäsche ein Grund für die
Taten? Sollten Mitwisser verschwinden?
3. Die ausländische Herkunft der Opfer ließ auf die Beteiligung einer ausländischen
Organisation schließen.
4. Die Tatsache, dass auch ein Grieche unter den Opfern war lenkte den Verdacht
von Rechtsterroristen – für deren Beteiligung wirklich nichts sprach -‐, endgültig
ab. Vielmehr lag der Verdacht vor, dass es sich um irgendetwas im Bereich
Türkei/Griechenland handeln musste. Damit waren Menschenschmuggel,
Drogen-‐ und Waffenhandel und Spionage die heißesten Tipps in dieser
Angelegenheit.
Da die Verfassungsschutzbehörden aber keinerlei Erkenntnisse über ein Spionage
oder OK-‐Netz in Deutschland hatten, wurden sie an dieser Stelle natürlich doppelt
sensibel. Noch einmal: Die Tatausführung ließ nicht darauf schließen, dass es sich
um Rechtsterrorismus handelte. Alles sprach für hochprofessionelle Täter, die ganz
gezielt vermutlich gegen ein Netzwerk vorgingen.
Aus dieser Situation ergibt sich, dass man beim Verfassungsschutz alles unternahm,
um die Hintergründe dieser Organisation zu durchleuchten, ja zumindest mal eine
Ahnung davon zu haben, wer überhaupt dahinter steckt. Es ist also anzunehmen,
dass bei den Verfassungsschutzbehörden alle Referate alle Daten danach
durchstöberten, ob irgendeines dieser Opfer schon einmal Kontakt zu irgendeiner
politisch extremen Organisation hatte. Oder ein Familienangehöriger oder ein
(vormals) regelmäßiger Kunde dieser Kleingewerbetreibenden. Und da statistisch zu
vermuten ist, dass es bei zumindest einem dieser Opfer oder eines Verwandten oder
eines Kunden schon einmal Kontakte zu einer politisch extremen Organisation gab,
werden in dieser Richtung sämtliche Drähte heiß gelaufen sein. Denn nichts
beunruhigt einen Geheimdienst mehr, als nicht zu wissen was sich auf dem eigenen
Staatsgebiet abspielt. Zumal man wissen muss, dass die Dienste eigentlich immer
eine ungefähre Ahnung davon haben, wer gerade wo oder zumindest mit wem
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operativ tätig ist. Dass ein Dienst gar keine Ahnung davon hat, wie es hier der Fall
war, kommt äußerst selten vor und lässt die Panik nur noch weiter steigen.
„Skandalträchtigkeit“ unter Berücksichtigung der Aufgaben der Behörden
Im Moment konzentriert sich die Skandalisierung der Vorgänge auf die
Verfassungsschutzbehörden. Alleine das beweist schon, wie wenig Ahnung von der
Materie in der deutschen Presselandschaft vorhanden ist. Ich wiederhole mich zwar
ungerne, komme aber nicht umhin auf das vorgenannte zu verweisen:
Die Strafverfolgung ist keine Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden, sie ist Aufgabe
der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Nach den bisherigen Ausführungen ist klar, dass
weder die Polizei noch die Verfassungsschutzbehörden auch nur den geringsten
Verdacht in Bezug auf Rechtsterrorismus haben konnten. Ich behaupte sogar, wenn sie
bei dieser Sachlage von Rechtsterrorismus ausgegangen wären, hätte ich an der
Professioonalität der Dienste gezweifelt. Jeden Beamten, der mich als Vorgesetzten mit
dem Verdacht auf Rechtsterrorismus belästigt hätte, hätte ich strafversetzt. Denn es
sprach nichts für Rechtsterrorismus. Gar nichts. Aber sehr viel sprach für einen anderen
Hintergrund.
Heute, am 21.11.2011, lese ich auf Spiegel Online einen reißerischen Bericht mit dem
Titel „Die Schuld der Behörden“. Darin wird auf die Tatsache eingegangen, dass die
erschossene Beamtin Kiesewetter höchstwahrscheinlich in persönlicher Beziehung zu
einem der Täter stand.
Es mag erstaunen, aber das ist für die Bewertung der Vorgänge vollkommen belanglos.
Als die Beamtin erschossen wurde, gab es nämlich keinen Hinweis auf eine
rechtsterroristische Tat. Und es gab auch keinen Hinweis auf die Verstrickung des
vermeintlichen Trios in diese Tat. Bekannt war ein Polizistenmord, mehr nicht. Ob die
Beamtin in irgendeiner Weise mit einem der Täter (entfernt) bekannt war, konnte
damals nicht ermittelt werden. Man verzeihe mir meine Polemik aber: Wie soll man
auch darauf kommen, dass irgendwer aus der Familie des Opfers einen Gasthof
anmieten wollte, auf dem der Schäferhund des Großcousin 3. Grades des Täters 3
Wochen im Jahr angeleint herumlag? Selbst wenn man das wüsste, wie soll man daraus
Rückschlüsse auf den konkreten Tathergang ziehen? Wie soll man aus der Tatsache,
dass irgendwer mit irgendwem entfernt bekannt ist, auf ein Mordmotiv kommen? Noch
absurder wird die Sache, wenn man berücksichtigt, dass an diesem Tag nicht nur auf die
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Beamtin Kiesewetter geschossen wurde, sondern auch auf ihren Kollegen. Wenn man
schon in Betracht zieht, dass ein persönliches Motiv eine Rolle spielte, dann müsste ein
solches für beide Beamten in Erwägung gezogen werden. Man hätte also auch den
persönlichen Hintergrund des Kollegen bis zum Schäferhund des 3. Großcousins
durchforsten müssen. Ich hoffe klargemacht zu haben, worauf ich hinaus will: Hinterher
ist man immer schlauer. Aber zu erwarten, dass ein Beamter zum Tatzeitpunkt mit den
wenigen verfügbaren Fakten auf so eine Verbindung kommt, ist schon gewagt. Als ich
das letzte Mal Einblick in die Dienstausrüstung der Polizei hatte, gehörten Glaskugeln
jedenfalls noch nicht dazu. Hellseherische Fähigkeiten wird man also nicht erwarten
dürfen.
Reformüberlegungen
Angedacht ist:
-‐ Verfassungsschutzämter zusammenzulegen
-‐
Kritik an den Reformüberlegungen in Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit
Verbot der Vermischung
Bisherige Aufweichungen des Verbotes
Gefahren
Fazit