Wie kann man Psychotraumata erkennen und welche
Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Priv. Doz. Dr. Regina A. Kurth
Ulm, 21.10.15
Traumatisches Ereignis I
Außergewöhnlich: weil dieses die normalen
Anpassungsstrategien überfordert
tatsächliche oder subjektiv so erlebte
Bedrohung für das Leben oder die
körperliche Unversehrtheit
unmittelbare Begegnung mit Gewalt und
Tod für die eigene oder andere Personen
Reaktion = extreme Angst, Hilflosigkeit,
Kontrollverlust und drohende Vernichtung
Traumatisches Ereignis II
durch „höhere Gewalt“ = Katastrophen
Naturkatastrophen
berufsbedingte Traum.
technische Katastrophen
Verkehrs- und Arbeitsunfälle
Krankheiten mit infauster Prognose
schwere Operationen
man made disaster = Gewalttaten
Sex. und körperliche Misshandlung und Vernachlässigung
Mobbing
kriminelle und familiäre Gewalt
Vergewaltigung
Geiselhaft
Krieg, KZ und Folter
Traumatisches Ereignis III
Typ I-Trauma (Terr 1989):
kurzdauernd, einmalig
(z.B. Unfall)
Typ II-Trauma:
länger dauernd,
wiederholte Traumen
(jahrelange sex.
Missbrauch)
kumulatives Trauma (Herman 1992): viele, wiederholte, subtraumatische Erfahrungen, die zwar einzeln nicht traumatisierend wären, aber in ihrer Gesamtheit traumatisierend wirken (z.B. chron. emotionale Vernachlässigung oder Mobbing)
Allgemeine Belastungsfaktoren –
sequentielle Traumatisierung (nach Heidinger 2011)
Biografische Vulnerabilität – unzureichende med.-soziale Versorgung
– fehlende oder unzureichende Bildung
Traumatische Erfahrungen im Heimatland – Bei 58% der Klienten in Kindheit und Jugend:
Gewalt innerhalb (38%) oder außerhalb (20%) Tod wichtiger Bezugsperson (33%),
emotionale Vernachlässigung (24%)
– Als Erwachsene:
– Sex. (26%), Körperl (56%), verbale (43%) Gewalt
– Bedrohung (29%) o. Gewalt (27 %) von Angehör.
– Zeuge von Gewalt gegen andere (36%)
– Zeuge von Krieg, Bombard., Tod (37%)
Allgemeine Belastungsfaktoren
traumatisierter Flüchtling II
Traumatische Erfahrungen im Kontext der Flucht – plötzliche Trennung von Heimat und Familie
– Gewalt oder Lebensgefahr auf der Flucht
Belastende Erfahrungen im Aufnahmeland – jahrelanges Asylverfahren
– Unterbringungssituation
– fehlende Beschäftigung und Sprache
– oft isoliert, keine sozialen Kontakte
Übersicht traumareaktiver Entwicklungen
www.
awmf.org
Wichtigste Beschwerden bei
traumatisierten Flüchtlingen
Ängste
Belastendes Wiedererleben als Flashback oder Alpträumen, bei Kindern: auch im Spiel
Trauer und Verluste, Depressionen
Überregung: Schlafstörungen, fehlende Entspannungsfähigkeit, Schreckhaftigkeit
Schmerzen und andere psychosomatische Beschwerden
Traumafolgestörungen II
PTBS erhöht Risiko u. a. für: Infektionen, Herz- Kreislauf-, Atemwegs-, und neurologische Erkrankungen (Boscarino 1997)
Ausmaß psychosozialer Belastung bis 18. Lebensjahr korreliert mit 10 wichtigsten Risikofaktoren (u.a. Rauchen, Adipositas, Depression, Suizidversuche) (Felitti et al. 1998)
4 traumatische Ereignisse in Kindheit erhöht Risiko für somatische Erkrankung mit früher Mortalität (Felitti et al. 1998)
Traumafolgestörungen III
einfache Traumatisierung
ein traumatisches Ereignis
Zusammenhang mit traumatischem Ereignis erkennbar
geringe Amnesien
Diagnose: PTBS i.e.S.
geringe Komorbidität
Therapie: trauma-spezifische Ansätze
komplexe Traumatisierung
viele, kumulative Ereignisse
Symptome (affektiv/ somatisch) werden berichtet
ausgeprägte Amnesien
Diagnose: DESNOS: Disorder of Extreme Stress, not other specified
hohe Komorbidität
Therapie: je nach Störungsbild
Diagnostik
Kontaktaufnahme: ängstlich-misstrauisch,
verschlossen
Anzeichen Intrusionen (berichtet –
beobachtet? Abdriften –> Panik)
Anzeichen von Vermeidung?
Anzeichen von Dissoziation? (Wegdriften,
Fehlen von Zeit, körperliche unerklärliche
Schmerzen u. U.)
Vegetative Symptomatik: Übererregbarkeit
(berichtet oder beobachtet)
Behandlungsmöglichkeiten
Balance zwischen Empathie und
professionelle Distanz
Wer gibt wen welchen Auftrag
Medikamente: cave Benzos!
Krisenintervention: Ängste
Psychiatrische Anbindung
Stationäre Einweisung
Längerfristig: Psychotherapie
Psychopharmaka
häufig und bewährt: selektive Serotonin-
Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) in Kombination
mit Psychotherapie
– aber SSRI allein: 38% Abbrecher vs. 14% bei PT
Cave: hochpotente Neuroleptika und
Benzodiazepine (Kontrollverlust, Abhängigkeit),
nur im Akutfall
Anfangsphase PT von Schwersttraumatisierten:
mittelpotente Neuroleptika
Betablocker und Carbamazepin: bisher nur
Kasuisktiken, keine systematischen Studien
Stolpersteine
DD: schwere Depression, primär
psychotische oder paranoide Störung
Viele Komorbiditäten
„Gelernter Patient“
Absichtliche Simulation, Vortäuschung
selten, Aggravation häufig
Finanzierung
Interkulturelle
Kommunikation
Dolmetschereinsatz
Ziel: wortwörtlich 1 : 1,
nur für Wort-Wort Übersetzung, nicht
fürs Verstehen zuständig
Notfall-Übersetzung:
Familienangehörigen und Unbekannte
Günstige Voraussetzungen
Kontinuierliche Übersetzer im selben
Kontext
Weiterbildungen für Dolmetscher
Supervision für Dolmetscher
Wenn wortwörtlich nicht möglich,
informiert und fragt
Dolmetscher gibt Hinweise, z. B. Tabu-
Verletzung, Arzt entscheidet
Wie geht Verstehen?
Empathie
Nonverbale Verständigung
Schichtspezifische Verständigung
Beeinträchtigung durch
– Emotionale Starre/ Beeinträchtigung
– Fehlende/ unzureichende Bildung
– Andere nicht klärbare kulturelle Einflüsse
– Unbekannte Tabus (z. B. sexuelle
Gewalt)
Dolmetschen und kulturelle
Vermittlung
„Ich bin depressiv“
Beachten: Wenn Dolmetscher
Landsmann – gegnerische Gruppe
oder gleiche Gruppe (Vertrauen – vs.
Spaltung zum Arzt)
Wenn Dolmetscher andere Kultur in
der Regel am problemlosesten
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit !