24 schwerpunkt Hochschulfinanzierung
wissenschaftsmanagement 1 • januar/februar • 2013
Universitätsmedizin der Zukunft Ein Gespräch mit Professor Jens Scholz, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein
Die Suche nach alternativen Formen der Fi-nanzierung von Forschung und Infrastruktur in der Wissenschaft erhält künftig eine grö-ßere Bedeutung. Viele Hindernisse – vor allem rechtliche Fragen zur Gemeinnützigkeit – ste-hen diesen Ideen entgegen, bei denen z.B. privates Kapital akquiriert, zur Finanzierung von Forschungsprojekten oder Baumaßnah-men eingesetzt und nach einer Zeit mit einem verabredeten Zins zurückgezahlt wird. Aus Großbritannien gibt es erste Fonds-Beispiele, und auch in Deutschland beginnen inzwi-schen einige Einrichtungen, das Thema wahr-zunehmen.
Wie umreißen Sie die Position der Univer-sitätsklinika und des UKSH im System der deutschen Krankenversorgung?
Jens Scholz: Universitätsklinika sind der
Garant für Fortschritt im Kampf gegen die Krank-
heiten der Zukunft. Hier versammeln sich die Köpfe der Wissenschaft, deren aktuelle For-
schungsergebnisse direkt dem Patienten zugutekommen. Nirgendwo sonst im Gesundheitssys-
tem haben Ärztinnen und Ärzte die Freiheit, ihre Fähigkeiten und Kenntnisse weiterzuentwickeln.
Das Selbstverständnis der Universitätsmedizin basiert auf einer über Jahrhunderte gelebten
Tradition der Erkenntnisgewinnung, die zu jeder Zeit und in jedem politischen System funktio-
niert hat. Somit waren Universitätsklinika bereits eine „Marke“, lange bevor es diesen Begriff
gab. Und diese Strahlkraft hat auch ihren Grund: Der überwiegende Teil des medizinischen Fort-
schritts wird an Universitätsklinika entwickelt und dann dem ambulanten und stationären Sektor
zur Verfügung gestellt. Alle medizinischen Versorgungseinrichtungen – und damit die Patienten
– profitieren also von der Universitätsmedizin.
Universitätsklinika sind auch der Motor für das personelle Funktionieren des Gesundheitswe-
sens. Sie stehen gleichwohl qualitativ für medizinischen Fortschritt in der Bereitstellung von
ärztlichem Nachwuchs, wie quantitativ für eine flächendeckende Versorgung. Damit profitieren
nicht nur die Leistungserbringer von den Errungenschaften der Universitätsmedizin, sondern
auch die Kostenträger verlassen sich auf die Bereitstellung von Personal für das System sowie
die ständige Entwicklung effizienterer Diagnostik und Therapie, die hilft, die Ausgaben im volks-
wirtschaftlichen Sinne zu reduzieren.
Enttäuschend ist allerdings die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Wert des universitären
Problemlösungsvermögens für die Herausforderungen der Medizin des 21. Jahrhunderts einer-
StichwörterUniversitätsmedizinZukunftssicherungWettbewerblicher Dialog
Die richtige Medizin bei Unterfinanzierung: eine öffentlich-private Partnerschaft
Foto: Andrea Damm/pixelio
Öffentlich-private Partnerschaft 25
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seits und der Finanzierung andererseits, die keine Vergütung dieser unverzichtbaren Leistungen
für die Daseinsvorsorge vorsieht.
Wie sah es im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein noch vor einigen Jahren aus?
Warum gab es für die Krankenversorgung, für den Betrieb des Klinikums und die notwen-
digen Baumaßnahmen eigentlich keine ausreichende Finanzierung?
Jens Scholz: Ich kenne kein anderes Klinikum, das in den vergangenen Jahren einem derarti-
gen Wechselbad der Gefühle ausgesetzt war. Nach der aus synergetischen Gründen notwendi-
gen Fusion der Universitätsklinika Kiel und Lübeck zum Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
(UKSH) in 2003 wurde ein Change Management der beiden ehemaligen Standorte versäumt.
Dringende Investitionen wurden unterlassen, die Gebäude verfallen. Stattdessen wurde eine
schmerzhafte Sanierungsphase eingeleitet. Dann folgte in 2009 das Versprechen des Neubaus
der maroden Bausubstanz. Die Schuldenbremse der Bundesregierung bescherte noch im selben
Jahr den Widerruf des Versprechens eines Neubaus – stattdessen zielte die eingesetzte Haus-
haltsstrukturkommission auf den Verkauf des UKSH. Zwischendurch gab es immer wieder Rufe
nach Defusionierung oder Eliminierung eines unserer Campus. Als Krönung mussten wir uns
vom Landesrechnungshof auch noch anhören, dass wir pleite sind.
Daraus lernen wir, dass Universitätsklinika immer zu bescheiden gewesen sind, und sicherlich
wurde diese Bescheidenheit auch ausgenutzt. Nur so kann es passieren, dass die öffentliche
Hand in private Klinikbetreiber investiert und gleichzeitig bei landeseigenen Universitätsklinika
spart. Private Klinikbetreiber können einen erheblichen Teil ihrer Investitionskosten im Gesund-
heitsministerium einklagen. Das UKSH, als einziges Haus im Eigentum des Landes Schleswig-
Holstein, kann dies aber nicht. Absurd ist, dass das UKSH dennoch den steigenden Druck auf die
sozialen Sicherungssysteme am deutlichsten zu spüren bekommt: Längst weisen uns die Klini-
ken im Land nicht nur die Patienten zu, die sie selbst nicht versorgen können, sondern immer
mehr Patienten, die sie selbst aus wirtschaftlichen Gründen nicht versorgen wollen.
Erschwerend kommt hinzu, dass das UKSH durch den niedrigsten Landesbasisfallwert in der
Bundesrepublik im Vergleich etwa zum Standort Rheinland-Pfalz jährlich fast 40 Millionen Euro
verliert. Es ist eine unbegreifliche Tatsache, dass dieselbe medizinische Leistung per Gesetz
schlechter bezahlt wird – bei gleichen Tariflöhnen und Kosten für Medizintechnik. Ebenso wenig
ist die besondere High-End-Ausstattung für die maximale oder supramaximale Versorgung von
schwerstkranken Patienten im Vergütungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung abge-
bildet. Daneben hat das UKSH die Kürzung des Landeszuschusses für Forschung und Lehre um
17 Millionen Euro in den letzten Jahren zu verkraften. Unbeantwortet ist auch die Frage nach der
Vergütung der Hilfeleistung aus der nationalen EHEC-Katastrophe von rund vier Millionen Euro.
Im Umkehrschluss kann man sagen, dass das UKSH unter diesen extrem schwierigen Bedin-
gungen hocheffizient arbeitet. Wir empfehlen, diese Effizienz mit Anreizen zu versehen und nicht
die volkswirtschaftlichen Fehler zu machen, die es erlauben, Geld aus dem System zu saugen,
ohne dass ein produktiver Vorteil entsteht. Und die Leistungen der Universitätsmedizin müssen
mit einer eigenen Berechnungsgrundlage vergütet werden, die sich auf einem höheren Niveau
befinden muss als die der stationären Grund- und Regelversorgung. Die einfache und gerechte
Lösung ist ein eigener Basisfallwert für Universitätsklinika, der die Hochleistungsmedizin be-
rücksichtigt und die Wettbewerbsnachteile ausgleicht.
Da wir aber nicht auf eine solche ordnungspolitische Lösung warten können, haben die Mitar-
beiter des UKSH gewaltige Anstrengungen unternommen, damit ihr Haus nicht privatisiert wird
Es ist ein bekannter politischer Reflex, sich finanzieller Probleme durch Verkauf zu ent- ledigen. Diesem Reflex kommt entgegen, dass sich Uniklinika im „Ak- quisitionsvisier“ privater Klinikketten befinden.
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abstract
The university hospital UKSH wants to undertake a major real estate investment by means of a pbulic-private-partnerschip (PPP). An investor is sought to take over and renovate hospital build-ings and rent them to the UKSH for 25 years.
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– und sie haben ihr Ziel erreicht. Ab 2014 werden mit Unterstützung der neuen Landesregierung
auf unseren Campus Kiel und Lübeck im Rahmen eines ÖPP-Projektes die Bagger rollen, und
die Universitätsmedizin der Zukunft entsteht.
Wie haben Sie argumentiert, um die drohende Privatisierung abzuwenden?
Jens Scholz: Es ist ein bekannter politischer Reflex, sich finanzieller Probleme durch Verkauf
zu entledigen. Diesem Reflex kommt entgegen, dass sich Uniklinika im „Akquisitionsvisier“ pri-
vater Klinikketten befinden. Es reizt, den Markenwert eines Universitätsklinikums im Bestand
seiner Krankenhäuser zu haben. Ich persönlich würde allerdings viel davon halten, wenn die
Diskussion über die beste Form der Trägerschaft von Universitätsklinika von den Bedürfnissen
der Patienten geführt wird und nicht von den Entschuldungsbestrebungen der öffentlichen Hand.
Hüftgelenkersatz können Sie privatisieren, mit der Heilung hochkomplexer Erkrankungen oder
der Bewältigung nationaler medizinischer Katastrophen verdienen Sie aber nichts. Die Folge
eines maximal am Gewinn orientierten Unternehmens kann es also nicht sein, Kranke zu ver-
sorgen, die keine Erlöse generieren. Ein Blick nach Hessen zeigt zudem, dass sich das „Sys-
tem Universitätsmedizin“ nicht so einfach in die Unternehmensstrategien der privaten Wirtschaft
eingliedern lässt. Gießen-Marburg lehrt, dass der Versuch der Trennung von staatlicher Seite
mit Forschung und Lehre und privater Seite mit der Krankenversorgung nicht per Verordnung
funktioniert.
Dass aber Universitätsklinika Gesundheit nicht als Ware betrachten, ist gerade ihre Chance. Die
Menschen wissen, dass hier die Zukunft der Medizin gestaltet wird, von der alle profitieren –
insbesondere auch der Wettbewerb. Die Politik muss also entscheiden, was ihr der medizinische
Fortschritt und die Gesundheit der Wähler wert sind.
Im UKSH erleben wir gegenwärtig, dass die
Menschen mit den Füßen abstimmen: Unser
stationärer Marktanteil in Schleswig-Holstein
beträgt über 25 Prozent – Tendenz steigend.
Universitätsmedizin in öffentlicher Hand wird
also gebraucht – vor allem, wenn die wirt-
schaftliche Situation angespannt ist. Ich bin
mir sicher, dass wir gerade heute in einem
Land leben wollen, dass medizinisch hoch-
wertige Leistung für seine Bürger bereit hält.
Sie haben sich für einen ÖPP-Lösungsweg entschieden?
Jens Scholz: Gegenwärtig realisieren wir das
größte ÖPP-Projekt in Deutschland im Verfah-
ren des „Wettbewerblichen Dialoges“. Im ver-
gangenen Jahr haben wir über eine europa-
weite Ausschreibung Investoren gebeten, sich
am Finden einer Lösung für das beste Bau-,
Betriebs- und Finanzierungsmodell für die
Universitätsmedizin der Zukunft zu beteiligen.
Insgesamt beträgt das Investitionsvolumen für
die universitäre Krankenversorgung an den
Standorten Kiel und Lübeck 380 Millionen
Universitätsklinika sind der Garant für Fortschritt im Kampf gegen die Krankheiten der Zukunft. Hier versammeln sich die Köpfe der Wissen-schaft, deren aktuelle Forschungsergebnisse direkt dem Patienten zugutekommen.
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Professor Jens Scholz, geboren 1959 in Osnabrück, ist Anästhesiologe und Inten-sivmediziner. Im April 1996 wurde er als Professor (C3) für Anästhesiologie an das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf berufen. Zwischen 1997 und 2000 über-nahm er parallel Verantwortung als Lei-tender Notarzt der Freien und Hansestadt Hamburg. Seit August 2000 lehrt Professor Scholz als Direktor der Klinik für Anästhe-siologie und Operative Intensivmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel. Er war Landesvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Anästhe-siologie und Intensivmedizin (DGAI) in Schleswig-Holstein und leitete zwischen 2003 und 2009 die wissenschaftliche Programmkommission für die Deutschen Anästhesiekongresse (DAC). Von 2005 bis 2009 wirkte er zudem als Mitglied des wis-
senschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, zwischen 2006 und 2009 war er Pro-dekan der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Professor Scholz wurde mehrfach für seine Leistungen, insbesondere auf dem Gebiet der Anästhesi-ologie und Intensivmedizin, ausgezeichnet. Seit 2006 ist er Mitglied der Leopoldina (Natio-nale Akademie der Wissenschaften). 2009 wurde Jens Scholz zum Vorstandsvorsitzenden des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein bestellt.
Foto: UKSH
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Öffentlich-private Partnerschaft 27
Euro. Gleichzeitig beteiligt sich die öffentliche Hand bei der Sanierung der Bauten für Forschung
und Lehre mit 160 Millionen Euro. Ziel ist die Umsetzung eines baulichen Masterplanes, um
die Infrastruktur der Universitätsmedizin in Schleswig-Holstein zukunftsfähig zu gestalten. Dabei
bleibt die Krankenversorgung in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. Die privaten Investoren sa-
nieren die Gebäude und das UKSH betreibt diese über einen Zeitraum von 25 Jahren. Mit diesem
Modell vereinigen sich sowohl die Interessen der Landesregierung als Gewährträger, die der
Universitäten bezüglich Forschung und Lehre in der Medizin, die des Wissenschaftsrates bezüg-
lich seiner Anregung einer Individualisierung der Standorte unter dem Dach einer Holding und
natürlich die der Mitarbeiter des UKSH.
Welche konkreten Voraussetzungen und Ziele verbinden sich mit dem Wettbewerblichen Dialog?
Jens Scholz: Das ÖPP-Modell ist nach sorgfältiger Analyse am besten geeignet, den baulichen
Masterplan zu realisieren und damit auch deutliche und nachhaltige wirtschaftliche Verbesse-
rungen zu erreichen. Interessant ist bei diesem Verfahren, dass nicht automatisch der billigste
Bieter gewinnt, sondern Lösungswege vorgestellt, diskutiert und verbessert werden und somit
der Kreativste den Zuschlag erhält – Geld ist also nur ein Kriterium. Gleichwohl achten wir im
Vergabeverfahren allerdings streng auf eine bestmögliche Kosten-Nutzen-Relation.
Voraussetzung ist natürlich, dass die Trägerschaft für Bauinvestitionen vom Land auf das UKSH
übergeht. Dies bringt uns eine höhere Flexibilität und Kostenersparnis. Da die Investitionen von
einem oder mehreren privaten Partnern vorfinanziert werden, wird die Schuldenbremse des
Landeshaushaltes nicht angetastet. Denn die Kapitalkosten für die Krankenversorgung werden
aus deren Erlösen finanziert – konkret mit der erzielten Effizienzrendite aus der Umsetzung der
Investitionen. Wir zahlen also erst, wenn wir aus den baulichen und infrastrukturellen Effekten
Einnahmen generieren.
Im Wettbewerblichen Dialog formuliert das UKSH keine detaillierten Leistungsverzeichnisse,
sondern beschreibt in einem medizinischen Strukturkonzept seine Anforderungen und Bedarfe.
Bei der Organisation unserer 80 Kliniken und Institute stehen dabei beispielsweise die Zentra-
lisierung und Zusammenführung der Stationen, die Konzeption wirtschaftlicher Stationsgrößen
und die Zentralisierung interdisziplinärer OP-, Diagnostik- und Interventionseinheiten im Vorder-
grund. Bauliche Prämissen sind beispielsweise die Zentralisierung der Gebäudestruktur zur Ver-
besserung der Effizienz und Vermeidung von Doppelvorhaltung, die Stilllegung von Altbauten mit
hohem Sanierungsbedarf und die Entflechtung von Flächen der Krankenversorgung einerseits
sowie Forschung und Lehre andererseits. Insgesamt geht es um die nachhaltige Nutzung der
Gebäude durch flexible und interdisziplinäre Baustruktur, bei der die Kompensation zukünftiger
Kapazitätsveränderungen mitgedacht werden muss – etwa bei Verschiebung von Prozessen von
stationär nach ambulant. Die Teilnehmer im Bieterprozess konzipieren auf dieser Basis gegen-
wärtig ihre Lösungsvorschläge – und es ist erstaunlich, zu sehen, welche kreativen Lösungen
schon im jetzigen Stadium gefunden werden.
Auf den Punkt gebracht verbinden wir mit der Errichtung der Universitätsmedizin der Zukunft die
bestmögliche Versorgung unserer Patienten mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen
der Medizin in wirtschaftlicher Unabhängigkeit durch eine nachhaltige Infrastruktur.
Die Fragen stellten Oliver Grieve und Gerhard Wolff
Kontakt:
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Pressesprecher Oliver Grieve Tel.: +49 (0) 431 597 5544 (Campus Kiel) Tel.: +49 (0) 451 500 5544 (Campus Lübeck) Mobil: 0173 40 55 000 E-Mail: [email protected] www.uksh.de
Ein Blick nach Hessen zeigt zudem, dass sich das „System Universitäts-medizin“ nicht so einfach in die Unternehmensstra-tegien der privaten Wirt-schaft eingliedern lässt.
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