I Der „Regenwald der Österrei-
cher“ befindet sich im Süden Costa
Ricas. Er liegt nahe des Golfo Dulce in
einem Gebiet des Esquinas-Waldes,
das im Jahr 1991 zum Nationalpark
Piedras Blancas erklärt worden ist.
Dort kaufen seit mehr als zwei Jahr-
zehnten verschiedene Schutzinitiati-
ven weite Teile des Geländes auf, um
die natürliche Vegetation vor Rodung
durch Einheimische zu schützen. Ei-
nes dieser Naturschutzprojekte wur-
de vom Wiener Musiker und Natur-
freund Michael Schnitzler initiiert.
Heute wird dieses Projekt von einem
Verein getragen, der aktuell ca. 40
km2 des Regenwaldes erworben hat.
Dieses Areal trägt den symbolischen
Namen „Regenwald der Österrei-
cher“ (Abbildung 1). Der Verein fi-
nanziert zwei Wildhüter und Wieder-
bewaldungsprojekte in der Region. Er
beteiligt sich auch an der Auswilde-
rung bedrohter Tierarten und unter-
stützt soziale Projekte in der Ge-
meinde La Gamba.1)
Tropenstation La Gamba
I Nahe der Ortschaft La Gamba be-
findet sich die im Jahr 1993 gegrün-
dete, gleichnamige Tropenstation
(Abbildung 2), an der unter optima-
len Bedingungen tropenrelevante
Forschungen durchgeführt werden
können. Ihre Aufgaben liegen in der
Erforschung und im Erhalt der Regen-
wälder sowie in der Vertiefung des
Naturverständnisses. Sie bietet einen
Ausgangspunkt für Exkursionen und
Studienreisen. Diese Möglichkeiten
werden von Studierenden und For-
schern aus Österreich sowie aus an-
deren Ländern genutzt. Die Station
beherbergt heute in fünf Gebäuden
Unterkünfte für 40 Personen sowie
einen Arbeitsbereich mit einem La-
bor, dessen Ausstattung grundlegen-
de zoologische, botanische und phy-
tochemische Arbeiten erlaubt (Abbil-
dung 3). Die Koordination und wis-
senschaftliche Betreuung wird durch
das Department für Botanik und Bio-
diversitätsforschung der Universität
Wien sichergestellt. Anfallende Kos-
ten der Station werden aus Kosten-
Die Station La Gamba im „Regenwald der Österreicher“ bietet die Möglichkeit zur wissenschaftlichen
botanischen Arbeit im tropischen Regenwald. Aus den dort heimischen Pflanzen lassen sich viele meist
bioaktive Naturstoffe isolieren und charakterisieren.
Naturstoffe aus dem „Regenwald der Österreicher“
Abb. 1.
Morgendliche Ne-
belschwaden über
dem „Regenwald
der Österreicher“.
(Foto: J. Schinnerl)
Abb. 2.
Geographische Lage
der Tropenstation La
Gamba. (Grafik: Tro-
penstation La Gamba)
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beiträgen der Besucher, Spenden und
einer Basissubvention der Universität
Wien bestritten.2)
Phytochemie
I Die Flora der tropischen Regen-
wälder stellt ein großes Reservoir
verschiedener Naturstoffe dar. Trotz
intensiver Feldforschung über viele
Jahrzehnte ist eine große Zahl ver-
schiedener Pflanzenarten diesbe-
züglich nur teilweise erforscht. Heu-
te werden die untersuchten Pflan-
zengattungen in vielen Fällen durch
deren lokale ethnobotanische Nut-
zung ausgewählt. So deutet ein Ge-
brauch als Heil- oder Gewürzpflan-
zen durch die heimische Bevölke-
rung auf bioaktive Inhaltsstoffe hin.
Diese Verbindungen können Leit-
strukturen für die Entwicklung neu-
er, natürlicher Wirkstoffe im Pflan-
zenschutz oder für die Suche nach
pharmazeutisch aktiven Substanzen
sein.3) Im Fall einer solchen Anwen-
dung ist es notwendig, synthetische
Zugänge zu erschließen, um die
Pflanzen als natürliche Quellen
nicht auszurotten.
Für eine systematische phytoche-
mische Untersuchung sind sowohl
die molekularen Strukturen der Na-
turstoffe, als auch deren Vorkommen
in unterschiedlichen Arten einer Gat-
tung interessant. Dazu werden ver-
schiedene Pflanzenteile gesammelt
und im Labor extrahiert. Durch chro-
matographische Trennmethoden im
analytischen Maßstab gewinnt man
einen Überblick über die Verteilung
charakteristischer Inhaltsstoffe in
den verschiedenen Pflanzenarten.
Diese Trennmethoden werden auch
im semipräparativen Maßstab zur
Isolierung weniger Milligramm ein-
zelner Stoffe eingesetzt. Dafür wer-
den meist die Extrakte aus den gut
zugängigen Blättern genutzt. Die
Strukturen von dabei gewonnenen,
bislang unbekannten Verbindungen
werden unter Anwendung spektro-
skopischer Methoden aufgeklärt.
Hierbei sind NMR und MS die wich-
tigsten Techniken. Parallel dazu wer-
den von einzelnen Individuen der un-
tersuchten Arten „Herbarbelege“ an-
gefertigt. Dies sind gepresste und ge-
trocknete Pflanzenteile, die die mor-
phologischen Merkmale zur botani-
schen Bestimmung aufweisen und
die für eine genaue Identifikation der
Arten unerlässlich sind (Abbil-
dung 4).
Weiterhin ist die Funktion der In-
haltsstoffe in den ausgewählten
Pflanzen ein wichtiger Aspekt der
phytochemischen Untersuchungen.
Diese Verbindungen haben sich in ei-
ner botanischen Art im Laufe der
Evolution über einen Zeitraum von
vielen Millionen Jahren entwickelt.
Daher ist davon auszugehen, dass sie
wesentliche Bedeutungen für die In-
teraktionen der Pflanzen mit ihrer
Umwelt besitzen. Neben der Vertei-
digung gegen unterschiedliche Orga-
nismen wie Insekten und Pilze, ist als
Aufgabe vor allem die Anlockung von
Blütenbesuchern zu nennen.
Insbesondere in tropischen Pflan-
zen weisen viele Naturstoffklassen
eine große strukturelle Diversität
auf, die nur schwer fassbar ist. Ein
Grund für diese Vielzahl sehr ähnli-
cher Molekülstrukturen ist die Not-
wendigkeit für die Pflanze, sich rela-
tiv rasch an wechselnde Umweltbe-
dingungen und andere Organismen
anzupassen. Diese wechselseitigen
oft antagonistisch geprägten Anpas-
sungsprozesse von Organismen wer-
den mit dem Begriff „co-evolutionary
arms race“ zusammengefasst.4)
Naturstoffe
I Die Region um den Golfo Dulce
ist ein Hot Spot der Biodiversität,
eines der artenreichsten Gebiete
583BGesellschaft Österreichischer ChemikerV
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Abb. 3. Gelände der Tropenstation mit einigen Unterkünften auf der linken Seite, dem zentralen Bürogebäude in der Mitte und dem Gebäude mit den Laborein-
richtungen auf der rechten Seite. (Foto: A. Weissenhofer)
Abb. 4. Herbarbeleg von Psychotria acuminata aus dem Herbari-
um der Universität Wien. Teile der Pflanze sind in Abbildung 6
dargestellt.
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584 BGesellschaft Österreichischer ChemikerV
der Neotropen. Die Tropenstation
La Gamba bietet somit beste Mög-
lichkeiten zum Sammeln pflanzli-
chen Materials. Aktuell sind hierbei
die Gattungen Psychotria, Rudgea
und Palicourea aus der Pflanzenfa-
milie der Rubiaceae (Kaffeegewäch-
se) von Interesse. Arten dieser Gat-
tungen akkumulieren Monoterpen-
Indol Alkaloide, deren Verbreitung
im Pflanzenreich auf wenige Famili-
en beschränkt ist. Verbindungen
dieser Alkaloidgruppe sind struktu-
rell sehr divers und bestehen in den
meisten Fällen aus einem Trypta-
min-Gerüst, das mit einem oder
zwei Iridoidglykosiden verknüpft
ist. Unterschiedliche Formen der
Verknüpfung sowie diverse Folgere-
aktionen in der Biosynthese sind für
die strukturelle Variabilität verant-
wortlich. Es gibt kein eindeutig de-
finierbares alleiniges Wirkungs-
spektrum dieser Stoffgruppe. Im
Gegenteil: die beobachtete struktu-
relle und biogenetische Vielfalt er-
möglicht eine differenzierte Reakti-
on der Pflanzen auf Änderungen im
Lebensraum, etwa im Rahmen co-
evolutiver Prozesse.
Aktuelle Beispiele neuer, im „Re-
genwald der Österreicher“ erstma-
lig identifizierter Monoterpen-Indol
Alkaloide sind das Rudgeifoline aus
der Art Rudgea cornifolia und das
nach der Ortschaft La Gamba be-
nannte Lagamboside aus Psychotria
acuminata. Rudgeifoline zeichnet
sich durch ein 1:2 Verhältnis von
Tryptamin und Iridoidglykosiden
aus. Bei der Biosynthese führt eine
Kaskade aus Zyklisierungs- und Oxi-
dationsreaktionen zu einem charak-
teristischen tetrazyklischen Gerüst-
teil in der Struktur (Abbildung 5).5a)
Dieses Strukturelement zeichnet
die Gruppe der im Jahr 2011 erst-
malig beschriebenen Alstrostine
aus, von denen bislang nur zwei
weitere Vertreter bekannt sind. Das
Lagamboside weist ein 1:1-Verhält-
nis zwischen Tryptamin und Iridoid-
glykosid auf. Hier führen ein Gluco-
syltransfer sowie Zyklisierungsreak-
tionen zum Naturstoff, der ein sel-
ten auftretendes N-Glykosid ent-
hält (Abbildung 6).5b) Beide Verbin-
dungen stellen Beispiele für die gro-
ße Vielfalt neuer Molekülstrukturen
dar, die aus der phytochemisch bis-
her noch wenig erforschten, tropi-
schen Flora gewonnen werden kön-
nen.
Johann Schinnerl beschäftigt sich im Rahmen
seiner Dissertation im Department für Bota-
nik und Biodiversitätsforschung an der Uni-
versität Wien mit der Verbreitung und Funkti-
on von pflanzlichen Naturstoffen innerhalb
ausgewählter tropisch verbreiteter Pflanzen-
gruppen. [email protected]
Werner Huber arbeitet seit 1993 in Costa Rica
und ist Mitbegründer der Tropenstation La
Gamba. Sein Forschungsschwerpunkt ist die
Erfassung der Flora und der Biodiversität der
Region um den Golfo Dulce. Gemeinsam mit
Anton Weissenhofer leitet er die Tropenstati-
on La Gamba. [email protected].
Lothar Brecker hat an der Universität Dort-
mund im Bereich Naturstoffchemie promo-
viert und arbeitet seit dem Jahr 2002 an der
Universität Wien. Als Assoz.-Prof. untersucht
er Enzym-Substrat Bindungen sowie Natur-
stoffstrukturen. [email protected]
Literatur
1) Regenwald der Österreicher, Costa Rica,
www.regenwald.at Stand Feb. 2014.
2) Tropenstation La Gamba, Costa Rica,
www.lagamba.at Stand Feb. 2014.
3) R. Breinbauer, I. R. Vetter, H. Waldmann,
Angew. Chem. 2002, 114, 3002–3015.
4) R. Dawkins, J. Krebs, Proc. R. Soc. Lond. B
1979, 205, 489–511.
5) a) J. Schinnerl, E. Orlowska, E. Lorbeer, A.
Berger, L. Brecker, Phytochem. Lett. 2012,
5, 586–590; b) A. Berger, H. Fasshuber, J.
Schinnerl, L. Brecker, H. Greger, Phyto-
chem. Lett. 2012, 5, 558–562.
Abb. 5. Knospen und Blätter von Rudgea cornifolia mit der Struk-
tur des Rudgeifoline. (Fotos auf dieser Seite: A. Berger)
Abb. 6. Blüten und Blätter von Psychotria acuminata mit der Struktur des Lagamboside.
Siehe dazu auch Abbildung 4.