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Naturstoffe aus dem “Regenwald der Österreicher”

Date post: 27-Jan-2017
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I Der „Regenwald der Österrei- cher“ befindet sich im Süden Costa Ricas. Er liegt nahe des Golfo Dulce in einem Gebiet des Esquinas-Waldes, das im Jahr 1991 zum Nationalpark Piedras Blancas erklärt worden ist. Dort kaufen seit mehr als zwei Jahr- zehnten verschiedene Schutzinitiati- ven weite Teile des Geländes auf, um die natürliche Vegetation vor Rodung durch Einheimische zu schützen. Ei- nes dieser Naturschutzprojekte wur- de vom Wiener Musiker und Natur- freund Michael Schnitzler initiiert. Heute wird dieses Projekt von einem Verein getragen, der aktuell ca. 40 km 2 des Regenwaldes erworben hat. Dieses Areal trägt den symbolischen Namen „Regenwald der Österrei- cher“ (Abbildung 1). Der Verein fi- nanziert zwei Wildhüter und Wieder- bewaldungsprojekte in der Region. Er beteiligt sich auch an der Auswilde- rung bedrohter Tierarten und unter- stützt soziale Projekte in der Ge- meinde La Gamba. 1) Tropenstation La Gamba I Nahe der Ortschaft La Gamba be- findet sich die im Jahr 1993 gegrün- dete, gleichnamige Tropenstation (Abbildung 2), an der unter optima- len Bedingungen tropenrelevante Forschungen durchgeführt werden können. Ihre Aufgaben liegen in der Erforschung und im Erhalt der Regen- wälder sowie in der Vertiefung des Naturverständnisses. Sie bietet einen Ausgangspunkt für Exkursionen und Studienreisen. Diese Möglichkeiten werden von Studierenden und For- schern aus Österreich sowie aus an- deren Ländern genutzt. Die Station beherbergt heute in fünf Gebäuden Unterkünfte für 40 Personen sowie einen Arbeitsbereich mit einem La- bor, dessen Ausstattung grundlegen- de zoologische, botanische und phy- tochemische Arbeiten erlaubt (Abbil- dung 3). Die Koordination und wis- senschaftliche Betreuung wird durch das Department für Botanik und Bio- diversitätsforschung der Universität Wien sichergestellt. Anfallende Kos- ten der Station werden aus Kosten- Die Station La Gamba im „Regenwald der Österreicher“ bietet die Möglichkeit zur wissenschaftlichen botanischen Arbeit im tropischen Regenwald. Aus den dort heimischen Pflanzen lassen sich viele meist bioaktive Naturstoffe isolieren und charakterisieren. Naturstoffe aus dem „Regenwald der Österreicher“ Abb. 1. Morgendliche Ne- belschwaden über dem „Regenwald der Österreicher“. (Foto: J. Schinnerl) Abb. 2. Geographische Lage der Tropenstation La Gamba. (Grafik: Tro- penstation La Gamba) Nachrichten aus der Chemie| 62 | Mai 2014 | www.gdch.de/nachrichten 582
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Page 1: Naturstoffe aus dem “Regenwald der Österreicher”

I Der „Regenwald der Österrei-

cher“ befindet sich im Süden Costa

Ricas. Er liegt nahe des Golfo Dulce in

einem Gebiet des Esquinas-Waldes,

das im Jahr 1991 zum Nationalpark

Piedras Blancas erklärt worden ist.

Dort kaufen seit mehr als zwei Jahr-

zehnten verschiedene Schutzinitiati-

ven weite Teile des Geländes auf, um

die natürliche Vegetation vor Rodung

durch Einheimische zu schützen. Ei-

nes dieser Naturschutzprojekte wur-

de vom Wiener Musiker und Natur-

freund Michael Schnitzler initiiert.

Heute wird dieses Projekt von einem

Verein getragen, der aktuell ca. 40

km2 des Regenwaldes erworben hat.

Dieses Areal trägt den symbolischen

Namen „Regenwald der Österrei-

cher“ (Abbildung 1). Der Verein fi-

nanziert zwei Wildhüter und Wieder-

bewaldungsprojekte in der Region. Er

beteiligt sich auch an der Auswilde-

rung bedrohter Tierarten und unter-

stützt soziale Projekte in der Ge-

meinde La Gamba.1)

Tropenstation La Gamba

I Nahe der Ortschaft La Gamba be-

findet sich die im Jahr 1993 gegrün-

dete, gleichnamige Tropenstation

(Abbildung 2), an der unter optima-

len Bedingungen tropenrelevante

Forschungen durchgeführt werden

können. Ihre Aufgaben liegen in der

Erforschung und im Erhalt der Regen-

wälder sowie in der Vertiefung des

Naturverständnisses. Sie bietet einen

Ausgangspunkt für Exkursionen und

Studienreisen. Diese Möglichkeiten

werden von Studierenden und For-

schern aus Österreich sowie aus an-

deren Ländern genutzt. Die Station

beherbergt heute in fünf Gebäuden

Unterkünfte für 40 Personen sowie

einen Arbeitsbereich mit einem La-

bor, dessen Ausstattung grundlegen-

de zoologische, botanische und phy-

tochemische Arbeiten erlaubt (Abbil-

dung 3). Die Koordination und wis-

senschaftliche Betreuung wird durch

das Department für Botanik und Bio-

diversitätsforschung der Universität

Wien sichergestellt. Anfallende Kos-

ten der Station werden aus Kosten-

Die Station La Gamba im „Regenwald der Österreicher“ bietet die Möglichkeit zur wissenschaftlichen

botanischen Arbeit im tropischen Regenwald. Aus den dort heimischen Pflanzen lassen sich viele meist

bioaktive Naturstoffe isolieren und charakterisieren.

Naturstoffe aus dem „Regenwald der Österreicher“

Abb. 1.

Morgendliche Ne-

belschwaden über

dem „Regenwald

der Österreicher“.

(Foto: J. Schinnerl)

Abb. 2.

Geographische Lage

der Tropenstation La

Gamba. (Grafik: Tro-

penstation La Gamba)

Nachrichten aus der Chemie| 62 | Mai 2014 | www.gdch.de/nachrichten

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Page 2: Naturstoffe aus dem “Regenwald der Österreicher”

beiträgen der Besucher, Spenden und

einer Basissubvention der Universität

Wien bestritten.2)

Phytochemie

I Die Flora der tropischen Regen-

wälder stellt ein großes Reservoir

verschiedener Naturstoffe dar. Trotz

intensiver Feldforschung über viele

Jahrzehnte ist eine große Zahl ver-

schiedener Pflanzenarten diesbe-

züglich nur teilweise erforscht. Heu-

te werden die untersuchten Pflan-

zengattungen in vielen Fällen durch

deren lokale ethnobotanische Nut-

zung ausgewählt. So deutet ein Ge-

brauch als Heil- oder Gewürzpflan-

zen durch die heimische Bevölke-

rung auf bioaktive Inhaltsstoffe hin.

Diese Verbindungen können Leit-

strukturen für die Entwicklung neu-

er, natürlicher Wirkstoffe im Pflan-

zenschutz oder für die Suche nach

pharmazeutisch aktiven Substanzen

sein.3) Im Fall einer solchen Anwen-

dung ist es notwendig, synthetische

Zugänge zu erschließen, um die

Pflanzen als natürliche Quellen

nicht auszurotten.

Für eine systematische phytoche-

mische Untersuchung sind sowohl

die molekularen Strukturen der Na-

turstoffe, als auch deren Vorkommen

in unterschiedlichen Arten einer Gat-

tung interessant. Dazu werden ver-

schiedene Pflanzenteile gesammelt

und im Labor extrahiert. Durch chro-

matographische Trennmethoden im

analytischen Maßstab gewinnt man

einen Überblick über die Verteilung

charakteristischer Inhaltsstoffe in

den verschiedenen Pflanzenarten.

Diese Trennmethoden werden auch

im semipräparativen Maßstab zur

Isolierung weniger Milligramm ein-

zelner Stoffe eingesetzt. Dafür wer-

den meist die Extrakte aus den gut

zugängigen Blättern genutzt. Die

Strukturen von dabei gewonnenen,

bislang unbekannten Verbindungen

werden unter Anwendung spektro-

skopischer Methoden aufgeklärt.

Hierbei sind NMR und MS die wich-

tigsten Techniken. Parallel dazu wer-

den von einzelnen Individuen der un-

tersuchten Arten „Herbarbelege“ an-

gefertigt. Dies sind gepresste und ge-

trocknete Pflanzenteile, die die mor-

phologischen Merkmale zur botani-

schen Bestimmung aufweisen und

die für eine genaue Identifikation der

Arten unerlässlich sind (Abbil-

dung 4).

Weiterhin ist die Funktion der In-

haltsstoffe in den ausgewählten

Pflanzen ein wichtiger Aspekt der

phytochemischen Untersuchungen.

Diese Verbindungen haben sich in ei-

ner botanischen Art im Laufe der

Evolution über einen Zeitraum von

vielen Millionen Jahren entwickelt.

Daher ist davon auszugehen, dass sie

wesentliche Bedeutungen für die In-

teraktionen der Pflanzen mit ihrer

Umwelt besitzen. Neben der Vertei-

digung gegen unterschiedliche Orga-

nismen wie Insekten und Pilze, ist als

Aufgabe vor allem die Anlockung von

Blütenbesuchern zu nennen.

Insbesondere in tropischen Pflan-

zen weisen viele Naturstoffklassen

eine große strukturelle Diversität

auf, die nur schwer fassbar ist. Ein

Grund für diese Vielzahl sehr ähnli-

cher Molekülstrukturen ist die Not-

wendigkeit für die Pflanze, sich rela-

tiv rasch an wechselnde Umweltbe-

dingungen und andere Organismen

anzupassen. Diese wechselseitigen

oft antagonistisch geprägten Anpas-

sungsprozesse von Organismen wer-

den mit dem Begriff „co-evolutionary

arms race“ zusammengefasst.4)

Naturstoffe

I Die Region um den Golfo Dulce

ist ein Hot Spot der Biodiversität,

eines der artenreichsten Gebiete

583BGesellschaft Österreichischer ChemikerV

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Abb. 3. Gelände der Tropenstation mit einigen Unterkünften auf der linken Seite, dem zentralen Bürogebäude in der Mitte und dem Gebäude mit den Laborein-

richtungen auf der rechten Seite. (Foto: A. Weissenhofer)

Abb. 4. Herbarbeleg von Psychotria acuminata aus dem Herbari-

um der Universität Wien. Teile der Pflanze sind in Abbildung 6

dargestellt.

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584 BGesellschaft Österreichischer ChemikerV

der Neotropen. Die Tropenstation

La Gamba bietet somit beste Mög-

lichkeiten zum Sammeln pflanzli-

chen Materials. Aktuell sind hierbei

die Gattungen Psychotria, Rudgea

und Palicourea aus der Pflanzenfa-

milie der Rubiaceae (Kaffeegewäch-

se) von Interesse. Arten dieser Gat-

tungen akkumulieren Monoterpen-

Indol Alkaloide, deren Verbreitung

im Pflanzenreich auf wenige Famili-

en beschränkt ist. Verbindungen

dieser Alkaloidgruppe sind struktu-

rell sehr divers und bestehen in den

meisten Fällen aus einem Trypta-

min-Gerüst, das mit einem oder

zwei Iridoidglykosiden verknüpft

ist. Unterschiedliche Formen der

Verknüpfung sowie diverse Folgere-

aktionen in der Biosynthese sind für

die strukturelle Variabilität verant-

wortlich. Es gibt kein eindeutig de-

finierbares alleiniges Wirkungs-

spektrum dieser Stoffgruppe. Im

Gegenteil: die beobachtete struktu-

relle und biogenetische Vielfalt er-

möglicht eine differenzierte Reakti-

on der Pflanzen auf Änderungen im

Lebensraum, etwa im Rahmen co-

evolutiver Prozesse.

Aktuelle Beispiele neuer, im „Re-

genwald der Österreicher“ erstma-

lig identifizierter Monoterpen-Indol

Alkaloide sind das Rudgeifoline aus

der Art Rudgea cornifolia und das

nach der Ortschaft La Gamba be-

nannte Lagamboside aus Psychotria

acuminata. Rudgeifoline zeichnet

sich durch ein 1:2 Verhältnis von

Tryptamin und Iridoidglykosiden

aus. Bei der Biosynthese führt eine

Kaskade aus Zyklisierungs- und Oxi-

dationsreaktionen zu einem charak-

teristischen tetrazyklischen Gerüst-

teil in der Struktur (Abbildung 5).5a)

Dieses Strukturelement zeichnet

die Gruppe der im Jahr 2011 erst-

malig beschriebenen Alstrostine

aus, von denen bislang nur zwei

weitere Vertreter bekannt sind. Das

Lagamboside weist ein 1:1-Verhält-

nis zwischen Tryptamin und Iridoid-

glykosid auf. Hier führen ein Gluco-

syltransfer sowie Zyklisierungsreak-

tionen zum Naturstoff, der ein sel-

ten auftretendes N-Glykosid ent-

hält (Abbildung 6).5b) Beide Verbin-

dungen stellen Beispiele für die gro-

ße Vielfalt neuer Molekülstrukturen

dar, die aus der phytochemisch bis-

her noch wenig erforschten, tropi-

schen Flora gewonnen werden kön-

nen.

Johann Schinnerl beschäftigt sich im Rahmen

seiner Dissertation im Department für Bota-

nik und Biodiversitätsforschung an der Uni-

versität Wien mit der Verbreitung und Funkti-

on von pflanzlichen Naturstoffen innerhalb

ausgewählter tropisch verbreiteter Pflanzen-

gruppen. [email protected]

Werner Huber arbeitet seit 1993 in Costa Rica

und ist Mitbegründer der Tropenstation La

Gamba. Sein Forschungsschwerpunkt ist die

Erfassung der Flora und der Biodiversität der

Region um den Golfo Dulce. Gemeinsam mit

Anton Weissenhofer leitet er die Tropenstati-

on La Gamba. [email protected].

Lothar Brecker hat an der Universität Dort-

mund im Bereich Naturstoffchemie promo-

viert und arbeitet seit dem Jahr 2002 an der

Universität Wien. Als Assoz.-Prof. untersucht

er Enzym-Substrat Bindungen sowie Natur-

stoffstrukturen. [email protected]

Literatur

1) Regenwald der Österreicher, Costa Rica,

www.regenwald.at Stand Feb. 2014.

2) Tropenstation La Gamba, Costa Rica,

www.lagamba.at Stand Feb. 2014.

3) R. Breinbauer, I. R. Vetter, H. Waldmann,

Angew. Chem. 2002, 114, 3002–3015.

4) R. Dawkins, J. Krebs, Proc. R. Soc. Lond. B

1979, 205, 489–511.

5) a) J. Schinnerl, E. Orlowska, E. Lorbeer, A.

Berger, L. Brecker, Phytochem. Lett. 2012,

5, 586–590; b) A. Berger, H. Fasshuber, J.

Schinnerl, L. Brecker, H. Greger, Phyto-

chem. Lett. 2012, 5, 558–562.

Abb. 5. Knospen und Blätter von Rudgea cornifolia mit der Struk-

tur des Rudgeifoline. (Fotos auf dieser Seite: A. Berger)

Abb. 6. Blüten und Blätter von Psychotria acuminata mit der Struktur des Lagamboside.

Siehe dazu auch Abbildung 4.


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