Regionaler Kongress zur Bildungsplanreform 2016
Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung
Auf die Lehrkraft kommt es an! Befunde der Empirischen Bildungsforschung Prof. Dr. Ulrich Trautwein Hinweis: leicht gekürzte Version;
z.T. wurden Fotos entfernt
Irrtum # 1 Der Lehrerberuf ist
ein Auffangbecken für Studienversager, Mittelmäßige, Unentschlossene, Ängstliche und
Labile,
kurz gesagt für Doofe, Faule und Kranke. Siehe Marga Bayerwalters, Focus 9/2002, S. 48
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Praktisch -technisch
Intellektuell-forschend
Künstlerisch-sprachlich
Sozial
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Vgl
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(nicht sign.)
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Soziale Ängstlichkeit
Soziale Ängstlichkeit
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Unveröffentlichte Analysen aus TOSCA-2006 UNI > Rest
4 | Trautwein – Erbach 2016
„Studienversager“?
Problem des „Zwei-Fach-Studiums“?!
5 | Trautwein – Erbach 2016
Irrtum # 2: Lehrerinnen und Lehrer sind besonders freizeitorientiert
6 | Trautwein – Erbach 2016
Lehramtsstudierende: Keine auffällige Überrepräsentation bei Schontypen nach Schaarschmidt (Roloff-Henoch et al., 2015)
Unterricht als vielschichtige und herausfordernde Situation (nach Doyle, 2006)
7 | Trautwein – Erbach 2016
Unterricht als vielschichtige und herausfordernde Situation (nach Doyle, 2006)
nicht vorhersagbar
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8 | Trautwein – Erbach 2016
Irrtum # 3: Lehrkräfte töten bei Schülerinnen und Schülern die Interessen ab
9 | Trautwein – Erbach 2016
Interessenabnahme und Differenzierung
Daten von Gottfried, Fleming & Gottfried (2001)
10 | Trautwein – Erbach 2016
Unterricht und Interessenentwicklung
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Fast alle Schülerinnen und Schüler sind manchmal interessiert
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Irrtum # 4: Lehrkräfte sind schlechte Diagnostiker
13 | Trautwein – Erbach 2016
Soziale Herkunftseffekte bei gleicher Schulleistung Sozialschichtabhängige Beurteilungspraxis durch die Lehrer
§ Chancen auf eine Gymnasialempfehlung größer für Kinder der oberen Sozialschichten (vgl. Arnold et al., 2007; Bos et al., 2004; Ditton, 2005)
§ „Hellseher-Effekt“: Überprotektives Empfehlungsverhalten
In mehreren Studien zeigt sich, dass Empfehlung weniger sozial selektiv ist als die elterlichen Aspirationen (vgl. Helbig & Gresch, 2013)
Unterschiedliches Entscheidungsverhalten der Eltern
§ Höhere Bildungsaspiration in bildungsnäheren Schichten; wahrscheinlicherer Übergang ins Gymnasium bei fehlender Gymnasialempfehlung (Jonkmann et al., 2010)
14 | Trautwein – Erbach 2016
Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung in Baden-Württemberg
15 | Trautwein – Erbach 2016
Irrtum # 5: Die Schülerinnen und Schüler werden immer schlechter § d
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Irrtum # 6: Es gibt den besten Lehrer Deutschlands
17 | Trautwein – Erbach 2016
Irrtum # 7: Nur individualisierter Unterricht ist guter Unterricht
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18 | Trautwein – Erbach 2016
Aktivierendes vs. ermöglichendes Lehrerverhalten
Lehrer als „activator“ d Lehrer als „facilitator“ d Reziprokes Lehren 0.74 Inquiry based teaching 0.31 Feedback 0.72 Kleine Klassengrößen 0.21 Verteilte Übung 0.71 Individualisierte Instruktion 0.20 Meta-kognitive Strategien 0.67 Problembasiertes Lernen 0.15 Direkte Instruktion 0.59 Geschlechterspezifischer
Unterricht 0.12
Mastery Learning 0.57 Web-basiertes Lehren 0.09 Anspruchsvolle Ziele 0.56 Induktives Lehren 0.06 Advance Organizers 0.41 Mittelwert 0.62 Mittelwert 0.16
Quelle: Hattie, 2009, S. 243
Trautwein - Erbach 2016
Trautwein - Erbach 2016
Quelle: Bohl, Wacker u.a. (2016). Bericht der Wiss. Begleitung der Gemeinschaftsschule. S. 36
Weinert: Gefahren der Neuen Lernkultur Frage: Gibt es „die“ Methode? Kann man fehlendes Fachwissen durch modernen Unterricht wettmachen? Antwort: „Kompetent realisierte Unterrichtsmodelle, sachgerechter und nicht willkürlicher Methodenpluralismus, ein flexibles, aber nicht beliebiges pädagogisches Handeln werden auch in der künftigen Lernkultur den guten Lehrer kennzeichnen; der Glaube an die eine, eigene Methode und deren Instrumentalisierung für eine wissenschaftliche oder gesellschaftliche Ideologie dürften demgegenüber auch in der Zukunft die gefährlichen Wurzeln eines neuen pädagogischen Dilettantismus sein“ (Weinert, 1997, S. 26f)
21 | Trautwein – Erbach 2016
Irrtum # 8: Hattie hat gezeigt...
• Ha#e et al. haben die Ergebnisse aus über 52000 Studien mit über 83 Mio. Teilnehmern zu 138 Einflussfaktoren aufgearbeitet
22 | Trautwein – Erbach 2016
Aktivierendes vs. ermöglichendes Lehrerverhalten
Lehrer als „activator“ d Lehrer als „facilitator“ d Reziprokes Lehren 0.74 Inquiry based teaching 0.31 Feedback 0.72 Kleine Klassengrößen 0.21 Verteilte Übung 0.71 Individualisierte Instruktion 0.20 Meta-kognitive Strategien 0.67 Problembasiertes Lernen 0.15 Direkte Instruktion 0.59 Geschlechterspezifischer
Unterricht 0.12
Mastery Learning 0.57 Web-basiertes Lehren 0.09 Anspruchsvolle Ziele 0.56 Induktives Lehren 0.06 Advance Organizers 0.41 Mittelwert 0.62 Mittelwert 0.16
Quelle: Hattie, 2009, S. 243
23 | Trautwein – Erbach 2016
§ Wechselseitige Kompensierbarkeit und Substituierbarkeit - Man kann auf ganz unterschiedliche Art und Weise guten und
schlechten Unterricht machen - Bedeutung der „Orchestrierung“ des Unterrichts - Kein „standardisierter Unterricht“ erwünscht
24 | Trautwein – Erbach 2016
Abschätzung der Lehrerwirkung
§ Anteil der Varianz (=Unterschiede) im Lernerfolg, der auf die Lehrkraft zurückgeht (bisher nur recht grobe Abschätzungen):
- ~ 10 bis 25% der Unterschiedlichkeit des Lernerfolgs über ein Schuljahr lässt sich „erklären“, wenn man weiß, bei welcher Lehrkraft die Schüler gelernt haben
§ [Zu beachten: Es fehlt noch an genügend Studien auf methodisch höchstem Niveau.]
25 | Trautwein – Erbach 2016
Betrachtungsebenen des Unterrichts
• Sichtstrukturen geben Rahmen der Unterrichtsgestaltung vor
• Tiefenstrukturen als Merkmale des Lehr-Lern-Prozesses, nicht auf den ersten Blick zugänglich
• Variieren unabhängig voneinander
• Tiefenstrukturen haben größere Erklärungsmacht
(Hattie, 2009; Seidel & Shavelson, 2007; Wang, Haertel, & Walberg, 1993)
(aus Kunter & Trautwein, 2013, S.63)
Tiefenstrukturen des Unterrichts (Klieme, 2006; Klieme, Lipowsky, Rakoczy, & Ratzka, 2006; Klieme & Rakoczy, 2003; Kunter & Voss, 2011; Lipowsky et al., 2009; Pianta & Hamre, 2009; Rakoczy et al., 2007)
Dimension Erklärung Beispiele
Klassenführung (Classroom Management)
Wie gut gelingt es, den Unterricht so zu steuern, dass möglichst wenige Störungen auftreten, alle Schüler beim Lernen beteiligt sind und Unterrichtszeit somit effektiv genutzt werden kann?
Frühe Einführung von Regeln und Routinen Konsequenter Umgang mit Störungen Gut geplante Bereitstellung von Unterrichtsmaterial
Potenzial zur kognitiven Aktivierung
Zu welchem Grad werden die Lernenden angeregt, sich aktiv mit dem Lernstoff auseinander zu setzen und sich dabei vertieft mit den Inhalten auseinanderzusetzen?
Aufgaben, die an Vorwissen anknüpfen Diskurs, der Meinungen der Schüler aufgreift Inhalte, die kognitive Konflikte auslösen
Konstruktive Unterstützung
Auf welche Weise hilft die Lehrkraft den Lernenden, wenn Verständnisprobleme auftreten und wie sehr ist die Interaktion zwischen Lehrkräften und Lernenden durch Wertschätzung und Respekt geprägt?
Konstruktiver Umgang mit Fehlern Geduld und ein angemessenes Tempo Freundliche, respektvolle Beziehungen
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Tiefenstrukturen des Unterrichts (Klieme, 2006; Klieme, Lipowsky, Rakoczy, & Ratzka, 2006; Klieme & Rakoczy, 2003; Kunter & Voss, 2011; Lipowsky et al., 2009; Pianta & Hamre, 2009; Rakoczy et al., 2007)
Dimension Erklärung Beispiele
Klassenführung (Classroom Management)
Wie gut gelingt es, den Unterricht so zu steuern, dass möglichst wenige Störungen auftreten, alle Schüler beim Lernen beteiligt sind und Unterrichtszeit somit effektiv genutzt werden kann?
Frühe Einführung von Regeln und Routinen Konsequenter Umgang mit Störungen Gut geplante Bereitstellung von Unterrichtsmaterial
Potenzial zur kognitiven Aktivierung
Zu welchem Grad werden die Lernenden angeregt, sich aktiv mit dem Lernstoff auseinander zu setzen und sich dabei vertieft mit den Inhalten auseinanderzusetzen?
Aufgaben, die an Vorwissen anknüpfen Diskurs, der Meinungen der Schüler aufgreift Inhalte, die kognitive Konflikte auslösen
Konstruktive Unterstützung
Auf welche Weise hilft die Lehrkraft den Lernenden, wenn Verständnisprobleme auftreten und wie sehr ist die Interaktion zwischen Lehrkräften und Lernenden durch Wertschätzung und Respekt geprägt?
Konstruktiver Umgang mit Fehlern Geduld und ein angemessenes Tempo Freundliche, respektvolle Beziehungen
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Tiefenstrukturen des Unterrichts (Klieme, 2006; Klieme, Lipowsky, Rakoczy, & Ratzka, 2006; Klieme & Rakoczy, 2003; Kunter & Voss, 2011; Lipowsky et al., 2009; Pianta & Hamre, 2009; Rakoczy et al., 2007)
Dimension Erklärung Beispiele
Klassenführung (Classroom Management)
Wie gut gelingt es, den Unterricht so zu steuern, dass möglichst wenige Störungen auftreten, alle Schüler beim Lernen beteiligt sind und Unterrichtszeit somit effektiv genutzt werden kann?
Frühe Einführung von Regeln und Routinen Konsequenter Umgang mit Störungen Gut geplante Bereitstellung von Unterrichtsmaterial
Potenzial zur kognitiven Aktivierung
Zu welchem Grad werden die Lernenden angeregt, sich aktiv mit dem Lernstoff auseinander zu setzen und sich dabei vertieft mit den Inhalten auseinanderzusetzen?
Aufgaben, die an Vorwissen anknüpfen Diskurs, der Meinungen der Schüler aufgreift Inhalte, die kognitive Konflikte auslösen
Konstruktive Unterstützung
Auf welche Weise hilft die Lehrkraft den Lernenden, wenn Verständnisprobleme auftreten und wie sehr ist die Interaktion zwischen Lehrkräften und Lernenden durch Wertschätzung und Respekt geprägt?
Konstruktiver Umgang mit Fehlern Geduld und ein angemessenes Tempo Freundliche, respektvolle Beziehungen
29 | Trautwein – Erbach 2016
Irrtum # 9: Die Schule braucht keine Empirische Bildungsforschung
„Ich habe gesehen/mir haben viele Leute berichtet….“
Die Mehrzahl von Anekdote ist Anekdoten – und nicht
wissenschaftliche Evidenz.
30 | Trautwein – Erbach 2016
Irrtum # 10: Der letzte Bildungsplan hat die Lehrkräfte in Baden-Württemberg an guter Arbeit gehindert
31 | Trautwein – Erbach 2016
Leistungsveränderungen über die Zeit in großen Schulleistungsstudien
Baden-Württemberg Sachsen
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Trautwein - Erbach 2016
Leistungsveränderungen über die Zeit in großen Schulleistungsstudien
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Trautwein - Erbach 2016
Irrtum # 11: Gute Lehrkraft werden: Das wird einem in die Wiege gelegt
34 | Trautwein – Erbach 2016
a) Empirie zeigt Förderliche Merkmale für Studienerfolg (und Unterricht) § Kognitive Merkmale: Intelligenz und Vorwissen § Motivationale Merkmale: Interesse, Belastbarkeit, manche
Persönlichkeitsmerkmale
Aber: § Lerngelegenheiten im Studium sehr wichtig § Pädagogische Angebote/Fachdidaktische Angebote:
„Bildungsplan“ wäre notwendig § Schwächen sowohl bei PHn als auch bei Universitäten
Trautwein - Erbach 2016
b) Veränderte Vorstellung darüber, was qualitätsvoller Unterricht ist
Trautwein - Erbach 2016
Aus Kunter & Trautwein (2013)
Irrtum # 12: Fortbildungen für Lehrkräfte bringen nichts
Ein Lieblingssatz von Finanzministern...
Multiplikatorenschulung: Ist das „Stille Post für Lehrkräfte“? à Nicht ausgeschlossen
Benötigt wird (1) Umsetzung von Best-Practice-Modellen (2) Systematische Forschung zu effektiven Fortbildungsformaten
37 | Trautwein – Erbach 2016
Kurze Veranstaltungen: Aha-Erlebnisse, Interesse wecken, Ausgangspunkt für Vertiefungen
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Ende. Kontakt: Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung Universität Tübingen Europastraße 6, 72072 Tübingen [email protected]
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