Akutes Nierenversagen auf
der Intensivstation
Weiterbildungsveranstaltung im Elbe-Elster-Klinikum GmbH – Standort Herzberg
Akutes Nierenversagen – Chronische Niereninsuffizienz - Hyperlipidämie
Februar 2012 in Kooperation mit dem Dialysezentrum Elsterland
Akutes Nierenversagen ? Plötzlicher - aber prinzipiell reversibler - Ausfall der inkretorischen und
exkretorischen Funktionen der Nieren.
Inzidenz:
ITS = 5-20 % (Metnitz, Krenn et al., Crit. Care Med. 2002;30:2051-2058) , Cave: Bei septischen Pat. bzw. sept. Schock ≥ 50% (Lameire, Biesen et al., Lancet 2005; 365: 417-430)
Auslöser:
durch ein vom Organ unabhängiges Ereignis
Folge:
Anstieg der Konzentration harnpflichtiger Substanzen (~100%), Flüssigkeitsretention duch Oligo-/Anurie (~80%), metabolische Veränderungen, Azidose, Elektrolytstörungen
Bisher:
Versuch Zuordnung in ein hämodynamisch und ein septisch-toxisch verursachtes ANV = schwierig und überholt ↔ Teil eines MOD/MOV
Ätiologie des ANV (Sylvester et al., Crit Care Med 29:1910-1915, 2001)
0 10 20 30 40 50
Ischämie
Sepsis
sept. Schock
Rhabdomyolyse
Toxine
andere
Pat. (%)
… und pathophysiologisch ?
ITS-Patienten → überwiegend renale Minderperfusion als Ursache
↓
pO2-Nierenmark physiologisch 10 mmHg = bei Minderperfusion weiterer Abfall mit Folgen für
Tubuluszelle
↓
Hypoxie → Membranpotential → Polaritätsverlust
↓
Nekrose → Detritus im Tubuluslumen → GFR
+ Verlust Barrierefunktion → „Backleak“
+ Kapilläres Leck (Capillary leak Syndrome CLS)
+ DIG
↓
Obstruktion, Hypoxie
↓
Akute ischämisch/nephrotoxische Tubulusnekrose
Mortalität 50-80 % ! (Haller M, Schelling G. Akutes Nierenversagen. Pathophysiologie - klinische Bedeutung –
Therapie. Anaesthesist (2000) 49: 349-352)
„Es gibt mehr Ärzte die ein
ANV verursachen als Ärzte
die es behandeln.“
Jan T. Kielstein
Vasomotorischer Vas aff.-Beeinflussung
→ dilatatorisch: z.B. Prostaglandine
Kinine
NO
ANP
KM
→ konstriktorisch: z.B. Renin
Endothelin
AT II
ADH
Tranexam
„Das ANV ist nicht selten Folge eines
gerechtfertigten ärztlichen
Bemühens, gelegentlich auch einmal
Folge eines ärztlichen Versagens.“
Curt Moeller (1910-1965)
Intensivmedizinisches
Grundproblem
Überwiegend Ischämie und Nephrotoxizität
aber
Oft keine singuläre Causa
und
„multifaktorielles Geschehen“
„Patients die of acute renal failure
not with acute renal failure.“
Claudio Ronco
„Wie mich experimentelle Versuche über Blutauswaschung mit Hilfe der Dialyse am lebenden Organismus belehrten,
gelingt es so unter Umgehung der Nieren, einen großen Teil der Schlackenstoffe aus dem Körper zu beseitigen.“
Georg Haas (1886-1971)(führte erste Dialyse am Lebenden 1924 durch)
Beispiel Polytrauma - VKU ♀ , 70 Jahre: APACHE 66
SHT I-II°
stumpfes Thoraxtrauma mit Rippenserienfrakturen beidseits und instabilem Thorax, Kontusionslunge, kardiale Kontusion, Skapulafraktur li.
Unterarmfraktur re.
stumpfes Bauchtrauma mit Hämato-Abdomen und multiplen Darmverletzungen, Leberkontusion mit Hämatomen, Milzhämatom
distale Oberschenkelfraktur gelenkübergreifend re.
Multiple Prellungen, Exkoriationen, …
Blutungsschock, Myoglobinämie
Polytrauma - internistisch ♂, 64 Jahre:
Einweisung via NAW wg. kardialer Dekompensation mit Lungenödem, …
Beschwerden seit 1 Woche, Diabetes und „Nierenschaden“ bekannt, auch „Herzprobleme“ nach einem Infekt und Luftnot, Ex-Raucher mit COPD, …
aVWI, ATA, Zentralisation, ausgeprägte Zyanose, kaltschweißig, brodelnd, rosa Schaum ex ore, hypotherm, hypoton, nicht ansprechbar, anurisch …
Sepsis ♂, 50 Jahre, aktiv im Beruf, am Vortag 500
km mit dem Auto …
Seit 4 Jahren (!) Fußbefund
41°C, Tachypnoe, Zentralisation, hypoton, tachykard, Leukozytose, CRP + PCT, eingeschränkt ansprechbar und zunehmend somnolent, anurisch, Azidose, pO2art ~ 50
MiBi: Mischflora, u.a. mit MRSA, Klebsiellen, Proteus, Candida, …; Urin(-rest) mit Staph. aur.
Diagnostik beim ANV – Cave !
Akute oder chron. Nierenfunktionsstörung ?
Ist behandelbare nierenparenchymatöse Erkrankung ausgeschlossen? NEPHROLOGE !!
Anzeichen einer Dehydratation, eines Salz-oder Wassermangels oder renalen Minderdurchblutung (im Sinne eines prärenalen Nierenversagens) ?
Anhaltspunkte für renovaskuläres Geschehen (z.B. Thrombose/Embolie) ? NEPHROLOGE, INTERNIST, GEFÄßCHIRURG !!
postrenale Ursachen der Olig-/Anurie ausgeschlossen ?
PN oder Urosepsis ?
Immer nur Kreatinin, und
manchmal auch Harnstoff …? Biomarker oder die Suche nach dem „Kreatinin-Ersatz“
Akuter Myokardinfarkt Akutes Nierenversagen
1960er LDH Serum-Kreatinin
1970er CPK, Myoglobin Serum-Kreatinin
1980er CK-MB Serum-Kreatinin
1990er Troponin T Serum-Kreatinin
2000-… Troponin I Serum-Kreatinin … !?!!
+ K, HAST, SBS, Lact., …
Therapievielfalt Unterstützende Therapie
50% Senkung Mortalität weiter hohe Mortalität
Frühprädiktoren: Intercellular Adhesion Molecule-1 (ICAM-1), Alanin-Aminopeptidase M, sE-Selectin, …
RIFLE oder lieber AKIN ? RIFLE-
Stadium
AKIN-
Stadium
Serum-Kreatinin Urin-
Ausscheidung
Risk I 1,5 – 2-fach
(Rifle/Akin) oder ≥
26,5 µmol/ (AKIN)
< 0,5 ml/kg/h
für 6 Stunden
Injury II 2 – 3 fach < 0,5 ml/kg/h
für 12 h
Failure III 3-fach oder > 354
µmol/ mit akutem
Anstieg ≥ 45 µmol/l
< 0,3 ml/kg/h
für 24 h oder
Anurie 12 h
Loss ~ Dauerhaftes NV > 4
Wochen
… sich fragen !
NET ja oder nein ??!
Wenn ja – wann ??!
Wenn klar wann – wie ??!
Wenn klar wann und wie – wieviel NET ??!
Und nicht zuletzt – Gerinnungshemmung ??!
Problem !
Bisher keine allgemein anerkannten und definierten Regeln zur bestmöglichen Vorgehensweise bei einer NET
Evidenz = mehr Erfahrungswerte und wenige kontrollierte klinische Studien
Kein objektiver Einzel-Parameter bzw. Parameter-Kombination für eine NET
ANV = Prozess = „Erfahrungs-Entscheidung“
(Heering, Schmitz; Intensivmed 2010) Ein einzelner Kreatininwert ist für die
Indikation der Akutdialyse so wichtig wie
die Maastricht-Kriterien für
Neuverschuldung Deutschlands.
Jan T. Kielstein
Wann ? Bagshaw et al., 2009
54 Zentren, 23 Länder, „früher“ bzw. „später“ Beginn NET bei ANV
Früh: Spät:
< 2 Tage ITS > 5 Tage ITS
HAST ≤ 24,2 mmo/l HAST > 24,2
Krea ≤ 309 µmol/l Krea > 309
→ Mortalität gleich bei Ausrichtung nach HAST
→ Mortalität geringer bei „spät“ über Krea
→ höhere Mortalität bei „spät“ über ITS-Tage
„spät“ = längere NET, längere Hospitalisation, längere Dialyseabhängigkeit !
Wie ?
NET täglich, kontinuierlich ?
Hämofiltration
Ultrafiltration v. Soluten, Konvektion
Hämodiafiltration
Hämodialyse
Diffusion entlang Konzentrationsgradient
Therapie-Verfahren und Einfluß auf
den Serum-Harnstoff-Spiegel
Quelle: Fresenius – Akut-Therapie-Systeme
CVVHD
tägliche IHD
Therapie-Verfahren und
hämodynamische Stabilität größere hämodynamische Stabilität bei kontinuierlichen Verfahren
gegenüber intermittierenden Verfahren (Davenport et al., Crit Care Med (1993) 21:328-38 + Paganini et
al., Trans Am Soc Artif Intern Organs (1984) 30:173-8 + Stevens et Al., Ren Fail (1990) 12:205-11, …)
iHD 33 % initial und insgesamt 68 % bei laufender iHD
hämodynamisch instabil und bei 10 % wegen hämodynamischer
Instabilität überhaupt keine iHD möglich, 8 – 10 % aller iHD müssen
beendet werden (Schortgen et al.,Am J Resp Crit Care Med (2000) 162:197-202
Konsens Nephrologen und Intensivmediziner :
hämodynamisch instabiler Patient = kontinuierliches
Verfahren
Prognose ANV ?
Isoliertes ANV – prinzipiell gute Prognose,
oft fast vollständige Restitution ohne weitere
Dialysepflicht
ITS: ANV häufig im Rahmen MOV = per
se hohe Letalität = auch heute Letalität um 50
– 80 % (de Mendoza et al., Intensive Care Med (2000) 26:915-21)
Zusammenfassung
Frühe Diagnose → Prognose-Beeinflussung
NET vor Volumenüberladung, Azotämie, …
Ausreichende Volumensubstitution, evt.
Vasokonstriktoren (Sepsis!)
Möglichst keine nephrotoxischen Medikamente
Ausnutzen der differenzierten NEV mit
hinreichender Therapiedosis (CVVH 35 ml/kg/h
bzw. tägl. IHD)