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Wurstelbach in Schwulitäten

Date post: 04-Jan-2017
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Ein humoristischer Roman von E. Heitermann

Ein Auto müßte man haben und an die Riviera reisen, denkt Emil Wurstelbach.

Mißmutig starrt er in den grauen Dezemberabend, in den Regen und auf die letzten, armseligen Blätter, die müde an der nassen Erde trei­ben.

Am runden Eßtisch sitzt Frau Willi über das Haushaltungsbuch gebeugt und seufzt hörbar. Sie trägt eigentlich den stolzen Namen Wil­helmine, aber da sie in ihrer frü­hen Jugend wie ein Lausbub aus­sah - übrigens auch heute noch ein bißchen - blieb der Name Willi an ihr haften.

„Es reicht wieder nicht!" stellt sie betrübt fest.

„Hast du jemals erlebt, daß es reicht?" fragt der Gatte Willi ge­reizt zurück.

Man ist bei Gott kein Krösus, wenn man als Angestellter in einer Konservenfabrik tätig ist!

Gewiß, Willi ist eine tapfere Frau, die es meisterhaft versteht, einzu­teilen, und die selten einmal klagt. Aber, zum Teufel, er, Emil Wurstel­bach, kann doch nicht plötzlich Ge­neraldirektor werden!

Frau Willi schweigt und rechnet. Es ist nicht leicht, eine fünfköpfige Familie durchzubringen, wenn das Einkommen nur schmal ist!

Als sie geheiratet haben, damals, vor zwanzig Jahren, hat sie es sich doch ein bißchen leichter vorge­stellt. An sich selbst darf sie über­haupt nicht denken, das hat sie in­zwischen längst gelernt. Zuerst kommen die Kinder und dann der Mann und dann - ist die Börse er­schöpft. Mutter muß verzichten, das ist ganz selbstverständlich.

Frau Willi ist mit ihren knapp vierzig Jahren noch eine sehr hüb­sche Frau. Braunes Kraushaar um­schmiegt ein rundes, frisches Ge­sicht, darin zwei große blaue Augen lebendig sind und ein schön ge­schwungener Mund so gerne lacht! Aber manchmal gibt es beim besten Willen nichts zu lachen.

In dem runden Kachelofen singt das Feuer. Es duftet ein bißchen nach Tannenreis und gebratenen Äpfeln.

Emil Wurstelbach gibt es auf, in den Regen zu starren.

Da ist man fünfundvierzig Jahre alt geworden und hat nichts gehabt au­ßer Arbeit und Sorgen und - wieder Arbeit. Den Urlaub verbrachte man zu Hause und begnügte sich damit, am Stadtrand spazieren zu gehen. Ein Höhepunkt des Daseins bedeu­tet schon ein Kinobesuch - lächer­lich! Wie ihm das alles auf die Nerven geht!

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Auch Emil Wurstelbach ist ein gutaussehender Mann, hochgewach­sen und stattlich, mit einem mar­kanten Gesicht, dunklen Augen und dichtem braunen Haar. Aber was nützt ihn das alles?

Chauffeur bei einer Film-Diva hätte man werden sollen, denkt er böse und nimmt die Zeitung vom Radiotisch. Oder Croupier oder Cowboy oder so etwas. Aber doch um Himmels willen nicht Angestell­ter in einer Konservenfabrik.

Tagaus, tagein sitzt man hinter seinem Schreibtisch, addiert endlose Zahlenreihen und sieht den krum­men Buckel seines Vordermannes. Alle drei Jahre gibt es Gehaltszu­lage, und damit hat sich's. Die küh­nen, hochfahrenden Pläne der Ju­gend sind schon lange begraben.

Da ist freilich ein Silberstreifen am Horizont der Familie Wurstel­bach, und das ist - Tante Hen­riette Pusterling. Niemand kann sich recht an Tante Henriette er­innern. Außer Emil. Denn Henri­ette ist seine Schwester. Aber sie ist bedeutend älter als er und in früher Jugend mit Eustachius Pusterling nach Amerika ausgewandert.

Eustachius machte überm Wasser in Margarine und wurde steinreich. Dann starb er.

Tante Henriette ist die Fata Mor­gana der ganzen Familie Wurstel­bach, denn sie pflegt in ihren regel­mäßig eintreffenden Briefen zart an­zudeuten, daß ihre Margarine-Dol­lars einmal nach ihrem Ende an die Familie ihres Bruders übergehen würden.

Man bedenke! Tausende und aber Tausende von Dollars!

So beginnen denn alle Gespräche der Familie Wurstelbach, die eine bessere Zukunft betreffen - es muß leider gesagt werden - mit dem wenig pietätvollen Satz: „Wenn Tante Henriette erst mal tot ist -"

Aber Tante Henriette lebt und

erfreut sich bester Gesundheit, ob­wohl sie in ihren Briefen immer über irgendein Leiden zu klagen hat.

Ich wünsche ihr ja ein langes Le­ben, denkt Emil pflichtschuldigst als guter Bruder; aber sterben müssen wir alle einmal. Henriette ist jetzt siebenundsechzig und hat ihr Le­ben genossen. Wenn ich ein Mum­melgreis bin, brauche ich keine Dollars mehr, spinnt er seine Zu­kunftsträume weiter. Dann sitze ich im Stadtpark auf einer Bank und wackle mit dem Kopf . . .

Gewiß, Emil Wurstelbach hängt an seiner Familie und an seinem Heim - aber manchmal, so wie heute, sind ihm Heim und Familie einfach zuwider. Diese Sonntage sind entsetzlich. Und seit die Kinder erwachsen sind, da wird es eher schlimmer als besser.

Noch nicht einmal Platz zum Zei­tunglesen hat man, stellt er wü­tend fest und faucht Stups an: „Mach Mutter gefälligst Platz, mein Sohn!"

Stups ist ein bildhübscher Bengel, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigt. Stups kommt von Stups­nase. Sein Name ist Peter. Peter Wurstelbach. Augenblicklich muß sich Frau Willi mit einer beschei­denen Ecke des großen runden Tisches begnügen, da Stups den Tisch für sein Segelflugbastelzeug benötigt.

Am Radio hockt Tüpfchen und liest. Auf der Couch, malerisch hin­gegossen, blättert Romy, die ältere Tochter, in einem Modenheft.

Emil Wurstelbach rückt sich ge­kränkt einen Stuhl vor den Ofen und nimmt die Zeitung vor das Ge­sicht.

Zwanzig Jahre war Willi alt, als sie geheiratet haben, und er nur fünf Jahre älter. Herrgott, wie schön hatten sie sich alles vorge­stellt, damals, unter dem Flieder­busch, als sie sich zum ersten Male

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küßten und von der gemeinsamen Zukunft träumten ... .

Da haben wir jetzt die Pastete, denkt er und hat keine Ahnung von dem politischen Artikel, den er liest. Glück im Winkel, Dreizimmer­wohnung mit geringem Komfort und ewig Sparen! Sparen! Sparen!

Wie ihm dieses Wort schon auf die Nerven geht!

Wie Willi das nur aushält? Na ja, Willi ist eben eine Frau und fin­det ihr ganzes Glück in der Familie.

Emil Wurstelbach kann ja schließ­lich nicht wissen, daß seine Willi manchmal mit brennenden Augen vor einem Modegeschäft steht oder mit klopfendem Herzen ein Hutge­schäft betrachtet, das besonders ent­zückende Modelle zur Schau stellt.

Nein, über so etwas spricht Willi nicht, denn sie hat ihren Emil lieb und will ihm das Herz nicht un­nötig schwer machen. Schließlich arbeitet er ja für seine Familie, und ihre Sache ist es, das schmale Ge­halt so einzuteilen, daß es reicht.

Drei prachtvolle Kinder haben Emil und Willi. Romy ist die Älteste; zwanzig, bildhübsch und Schneiderin in einem guten Atelier. Sie kann etwas und verdient recht gut. Aber - ach, du liebe Zeit, Frau Willi war ja auch einmal jung, und sie bringt es nicht über sich, Romy mehr abzunehmen, als sie für ihr Zimmer, das sie mit Tüpfchen teilt, und das Essen tatsächlich braucht. Schließlich hilft Romy, Stups Stu­dium zu ermöglichen.

Stups will einmal Ingenieur wer­den, und offensichtlich hat er auch das Zeug dazu, denn seine Lehrer sprechen mit ehrlichem Wohlgefal­len von ihm.

Tüpfchen ist nicht ganz so hübsch wie Romy, aber dafür ausgegliche­ner und ruhiger. Augenblicklich ist sie in der Lehre bei einem Buch­händler, liest Klassiker und liebt Beethoven.

Später, denkt Frau Willi, und ein winziges Lächeln spielt um ihren Mund, später, wenn sie erst ein­mal richtig erwachsen sind, wird es uns auch besser gehen, Emil und mir!

Später, denkt Emil Wurstelbach hinter seiner Zeitung, wenn sie erst einmal richtig erwachsen sind, wer­den sie uns was husten!

Romy erhebt sich, stellt sich in Pose und schaltet das Radio ein. Emil wartet nur darauf, daß sie Jazzmusik suchen würde — tatsäch­lich!

„Zum Donnerwetter!" schnaubt er hinter seiner Zeitung und ist tat­sächlich beglückt, daß er seine Wut endlich los wird. „Stell das Ding ab! Dieses Gejaule macht ja den Hund in der Pfanne verrückt!"

„Es ist Advent, Mile", mahnt Frau Willi leise.

Emil Wurstelbach knallt die Zei­tung auf den Tisch, sagt: „Geseg­nete Mahlzeit", und - geht.

Ja, wirklich, er wirft die Tür recht unsanft hinter sich zu, reißt Mantel und Hut vom Haken und verläßt das traute Heim samt Familie.

Entgeistert starren ihm seine Lie­ben nach.

Dann sagt Frau Willi rasch: „Sieh nach, Stups, ob Vater den Schal umgebunden hat - - "

Die Gute! Selbst in diesem Augen­blick macht sie sich zuerst Sorgen um ihn, weiß sie doch, wie empfind­lich er auf den Bronchien ist.

Verstört blickt Tüpfchen von ihrem Wälzer auf: „Was hat er denn?"

„Männer sind manchmal so - - " sagt Frau Willi still. „Das hat nichts weiter zu bedeuten." Aber in ihren Augen schimmern Tränen.

Eigentlich sind sie glücklich ver­heiratet; doch von Zeit zu Zeit ­ach, Frau Willi kennt das schon ­da packt ihren Emil der Menschheit Jammer.

Stups mischt den Leim für sein

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Segelflugzeug und stellt kopfschüt­telnd fest: „Vater müßte Sport trei­ben!"

Romy lächelt und meint überle­gen: „Er wird sich einen antrin­ken!" Womit sie leider recht hat.

Nein, es ist nicht etwa so, daß Emil Wurstelbach öfter und tiefer ins Glas schauen würde, als unbe­dingt notwendig ist - aber für sei­nen augenblicklichen Seelenkatarrh ist Alkohol die einzig richtige Me­dizin.

Der Wind zerrt Emil den Hut vom Kopf und veranlaßt ihn, einige Sprünge zu machen, um den Aus­reißer wieder einzufangen. Dabei stellt er fest, daß er seinen Schal vergessen hat. Na ja - das kann die schönste Bronchitis werden!

Flüchtig fesselt ein Kinoplakat seine Aufmerksamkeit, das einen tollen Streifen in lockenden Bildern zeigt. Was habe ich von einem schönen Garten, fragt sich Emil Wurstelbach, wenn andre drin spa­zieren gehn? Für was soll ich mir Strandbilder vom Lido vorgaukeln lassen, wenn ich nachher durch den Regen nach Hause gehen muß?

Oberhaupt - dieser Regen! Man müßte ein Auto haben und

an die Riviera reisen - denkt er, womit er wieder am Ausgangspunkt seiner Überlegungen angelangt wä­re. Aber leider: Auto und Riviera sind so unerreichbar für ihn wie der Mond.

Also zieht er es vor, in der näch­sten Schankstube seine durchfrore­nen Glieder zu wärmen und seinen anfälligen Bronchien einen versöh­nenden Trunk zu bieten.

Wahrscheinlich wäre es bei dem einen Gläschen Roten geblieben, wenn da nicht - etwas Entsetz­liches passiert wäre!

Nicht etwa, daß eine tolle Frau aufkreuzen würde, die Emils Moral, die heute so anfällig ist wie seine Bronchien, in Gefahr brächte ­

nein! Es ist die nüchterne, sachlich­ruhige Stimme des Radio-Ansagers, die den Sportfreunden die Totoer­gebnisse verkündet.

Dabei wäre nun an und für sich auch noch nichts Schreckliches ge­wesen. Aber Emil Wurstelbach zieht den Tippzettel aus der Brief­tasche, den er nicht abgegeben hat, weil Stups ihm die hierfür notwen­digen zwei Mark aus der Tasche luchste; für Modellfarbe oder ähn­lichen Blödsinn.

Emil Wurstelbach ist ein eifriger Tipper: Seit genau sieben Jahren versucht er jeden Sonntag sein Glück - erfolglos. Nicht einmal im dritten Rang hat er bisher gewon­nen. Es ist schon so, daß Fortuna nicht allzuviel für ihn übrig hat, wenn man davon absieht, daß sie ihm seine Willi bescherte.

Gewissenhaft, wie es Emils Art ist, vergleicht er - und das hätte er besser nicht tun sollen! Denn sein markantes Gesicht verzieht sich zu einer fürchterlichen Gri­masse.

Das - das ist ja einfach ausge­schlossen - - das kann doch gar nicht sein! Das ist ja unmöglich! ­E i n e n Z w ö l f e r ! ! !

Und er hat den Zettel nicht ab­gegeben, weil Stups ­

Wenn Emil Wurstelbach an die­sem Abend noch einen Funken Zärtlichkeit für sein Familienglück empfand, dann verlischt jetzt auch dieser Funke!

Mit heiserer Stimme bestellt er sich einen doppelten Kognak; jeder Zoll ein gebrochener Mann!

Wäre es nicht das Vernünftigste, in den Rhein zu springen? In sei­nem ganzen zukünftigen Leben wird er diesen Schlag nicht verwinden! Nie mehr wird er sich mit seinem Schicksal aussöhnen können!

„Herr Ober! Noch einen Roten!" Herrgott! Man hätte an die Ri­

viera reisen, einen Wagen sich lei­

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sten können! Dem Chef hätte man den Bettel vor die Füße schmeißen können - ­

Und jetzt - - ? Jetzt kann man gar nichts! Nur

den Mund halten, daß man zum Schaden nicht auch noch den Spott hat!

Arme, kleine Willi! Ein Schloß auf dem Mond hätte ich dir gekauft. Oder doch den neuen Kühlschrank und eine Waschmaschine dazu.

Warum sind sie auch auf die wahnwitzige Idee verfallen, Kinder großziehen zu wollen? In Frieden hätten wir alt werden können, Willilein - du und ich - ­

,,Herr Ober! Noch einen Roten!" Und jetzt - jetzt gibt zu allem

Unglück der Rundfunk auch noch die vermutlichen Quoten bekannt. Im ersten Rang ist noch kein Ge­winner ermittelt!

Vierhunderttausend Mark! Emil Wurstelbach durchleidet die

Qualen des Tantalus. Dieser Stups - dieser Lauselüm­

mel! In den Mond schreiben kann er sich sein Fahrrad! Zu Fuß gehen soll er! Wozu braucht er seinem armen Vater die letzten zwei Mark aus der Tasche zu luchsen?

Aber das kommt davon, wenn man zu gutmütig ist; verweichlicht durch dieses ewige Familienleben! Ha, sie werden ihn kennenlernen! Alle! Auch Willi! Endlich wird er zeigen, daß er ein Mann ist!

Dabei kann die arme Frau Willi doch ganz bestimmt nichts dafür!

Aber Emil Wurstelbach ist nicht mehr in der Lage, Recht von Un­recht zu scheiden. Er befindet sich in jenem Zustand beginnenden Ver­dämmerns, da der Alkohol alle be­stehenden Probleme löst - ­

Laut singend - er hat schon immer eine heimliche Vorliebe für Wag­ner gehabt - mit einer fürchter­

lichen Fahne und rasantem Schwung wankt Emil Wurstelbach heim.

Längst hat der Dezemberwind sei­nen Hut entführt. Aber was küm­mert dies Emil? Er ist ein Mann, der mit Fug und Recht von sich behaupten kann, ein Königreich mit einer Handbewegung verschenkt zu haben. Braucht der - hick - einen Hut?

Nicht einmal der Gedanke an Willi und die zu erwartende Gar­dinenpredigt belastet ihn! Das arme Willilein! Alle werden sie ihn jetzt kennenlernen! Jawohl! Und Geld hat er - hick - auch keins mehr!

Vierhunderttausend Mark - - ! Vielleicht schläft Willi schon? Aber Willi schläft nicht! Hell er­

leuchtet sind sämtliche Fenster der häuslichen Wohnung.

Sekundenlang wird Emil Wurstel­bach fast nüchtern. Dann kramt er umständlich den Hausschlüssel aus der Hosentasche und sucht das da­zugehörige Schlüsselloch, was ihm erhebliche Schwierigkeiten bereitet.

„Vater hat einen Affen!" stellt Stups drinnen sachlich fest. „Hört nur! Er singt den Lohengrin!"

„Nie sollst du mich befragen -" klingt es von draußen in den höch­sten Tönen.

Frau Willi ist ganz blaß. „Lacht nicht!" verweist sie die hoffnungs­vollen Sprößlinge. „Geht lieber raus und macht ihm die Tür auf."

„Aber er singt doch märchen­haft", meint Tüpfchen ernst. „Er hat gleich das hohe C!"

Das hohe C hat er zwar nicht ­aber dafür das Schlüsselloch. Unter erheblichem Gepolter wird der Garderobenständer bearbeitet.

„Nee", stellt Romy fest, „man kann einen Mann doch keine halbe Stunde allein lassen!"

„Sieben Stunden", verbessert Stups, der Mathematiker. „Über­haupt: Was verstehst du schon von Männern?"

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„Ihr sprecht von eurem Vater!" sagt Frau Willi empört.

In diesem Augenblick öffnet sich die Tür, und in ihrem Rahmen steht eine verwegene Gestalt, hutlos, den Mantel wie eine römische Toga umgeschlagen, und eine heisere Stimme verkündet: „Die Sterne lü­gen nicht! Von falschen Freunden stammt mein ganzes Unheil!"

„Jetzt liest er auch noch das Ho­roskop!" bemerkt Romy.

Und Tüpfchen stellt, als klassi­kerbewanderte junge Dame, richtig: „Wallensteins Tod von Schiller."

Der Mann, der Frau Willis Gatte und der Vater ihrer Kinder ist, die­ser Mann, der sich geschworen hat, daß seine Familie ihn kennenlernen würde - lächelt und sieht freund­lich und milde auf seine Lieben.

„Warum - hick - warum seid ihr nicht schlafen gegangen?"

Da stürzt Frau Willi auf ihn zu, preßt ihr tränennasses Gesicht an seine Wange und stammelt unter Lachen und Weinen: „Weil - weil wir ein Telegramm bekommen ha­ben, Mile!"

So dicht auch der Schleier ist, den der Alkohol um Emil Wurstelbachs Sinne zog - er beginnt zu denken: „Ein Te - hick - Telegramm?"

Aber ganz gerade steht der Raum noch nicht. Aber daß Romy und Tüpfchen nur mühsam das Lachen verbeißen, das kann er doch schon feststellen.

Und außerdem: „Du Lümmel!" faucht er Stups an. „Was - du trinkst? - - Genügt es nicht ­hick - wenn euer Vater trinkt? ­Auch noch - hick - sehe ich recht - hick - Sekt? Seid ihr eigentlich wahnsinnig geworden?"

„Niemand ist wahnsinnig gewor­den", erklärt Frau Willi sichtlich gerührt. „Wir haben ein Telegramm bekommen."

Der Mantel gleitet endgültig von Emil Wurstelbachs Schulter.

„Ein Te - Telegramm?" stammelt er, und seine Stimme klingt brüchig. „Ach - was ist schon - hick ­ein Te-Telegramm? Wir hätten im Toto gewonnen, meine Lieben, wenn dieser Lümmel, der hier Sekt trinkt - hick - mir nicht die zwei Mark für den Tippzettel - - "

Stups schlägt ihm kameradschaft­lich auf die Schulter: „Tröste dich, Papa! In dem Telegramm, das wir bekommen haben, steht, daß Tante Henriette gestorben ist!"

Fassungslos starrt Emil Wurstel­bach in die Runde! Henriette Puster­ling - - !

„Tante - Tante Henriette - ge­storben?" fragt er.

„Jawohl!" klingt es im Chor zu­rück.

„Ja, dann - dann hätten wir ja - hick - "

„Geerbt!" vollendet Frau Willi ergriffen, während sich die Tränen über ihre Wangen eifrig einen Weg suchen. „Jetzt kriegt Stups zu Weih­nachten sein Fahrrad."

„Sein Moped!" verbessert Stups freundlich.

Emil faßt es noch immer nicht. „Willilein - " stammelt er zum

offensichtlichen Vergnügen seiner Kinder, ,,- ich liebe dich!"

Und dann liest er es, schwarz auf weiß, dieses Kabel, das da gekom­men ist und Reichtum in ihre be­scheidene Etagenwohnung schüttet: Henriette Pusterling ist tot! Die Gute! Tot! Und ihre vielen, vielen Margarine - Dollars rollen alle mit­einander nach Old Germany zu Emil Wurstelbach und seinen Lieben!

Oh, Emil sieht sich schon im Golde wühlen! Pah - er pfeift auf diesen lächerlichen Tototip, nun, da er lachender Erbe ist!

Triumphierend, wenn auch noch etwas unsicher auf den Beinen, hebt er das Sektglas Tüpfchens: „Auf

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Tante Henriette!" lallt er. „Sie soll leben!"

In diesem Augenblick schrillt die Flurklingel.

,,Es wird der Hauswirt sein —" flüstert Frau Willi. „Bei dem Krach - - "

Es ist nicht der Hauswart. Aber das wissen sie noch nicht. Sie sehen sich nur verdutzt an. Männlich und würdevoll, soweit es ihm möglich ist, wendet sich Emil Wurstelbach zur Tür.

„Laß man", sagt Stups und wirft einen schiefen Blick auf das Fami­lienoberhaupt: „Ich gehe schon in Vertretung!"

„Sei höflich", mahnt Frau Willi. Stups ist schon an der Tür. Auf dem Tisch stehen zwei leere

und eine halbvolle Sektflasche, Ku­chenteller und überhaupt Zeichen eines fröhlichen Festes.

Emil Wurstelbach kümmert sich nicht weiter um die schrillende Flurklingel. Er trinkt. Und singt: „Hoch soll sie leben, hoch soll sie leben! Dreimal hoch - - "

Es ist offensichtlich, daß er die tote Tante Henriette meint.

Und dann geschieht es - - ! Der Rahmen der offengebliebenen

Tür ist plötzlich von einer rundli­chen Gestalt ausgefüllt. Diese Ge­stalt trägt ein schottisch kariertes Reiseplaid um die Schultern und ein dunkles Reisekostüm. Auf dem im­posanten Haupt sitzt ein groteskes Hutgebilde. Die Augen werden ver­deckt von funkelnden Gläsern einer überdimensionalen Hornbrille. Die nicht eben graziös zu nennenden Füße stecken in hohen Pumps.

„Guten Tag!" donnert eine tiefe Stimme.

Sie sitzen wie versteint und star­ren die Erscheinung an. Auch Emil Wurstelbach unterbricht seinen Ge­lang und wendet sich langsam zur Tür. Sein Antlitz wird bleich.

„Dein frommer Wunsch ist in Er­

füllung gegangen, mein lieber Bru­der", donnert eine tiefe Stimme. „ I c h l e b e !"

Emil Wurstelbach werden die Knie weich! Wie kann Henriette Puster­ling, die laut Telegramm in Ameri­ka eines sanften Todes gestorben ist - leibhaftig im Rahmen dieser Tür stehen?

Das Geschehen übersteigt sein augenblickliches Fassungsvermögen. Er schüttelt mehrfach den Kopf. Er gluckst, deutet mit zitterndem Zei­gefinger auf die Erscheinung und flüstert schwach: ,,Seht ihr es auch?"

Sie sehen es. Aber sie fassen es genau so wenig wie Emil.

„Ist - ist es - ein Geist - - ?" stammelt Emil Wurstelbach.

Es ist kein Geist! Es ist Henriette Pusterling! Die tote Tante Henriette aus Amerika!

„Henriette - - ", stammelt Emil Wurstelbach. „Henriette - - !"

„Umarme mich!" dröhnt die tiefe Stimme, die Gestalt im schottischen Reiseplaid breitet die Arme aus.

Und Emil Wurstelbach sinkt an den fülligen Busen der Totgeglaub­ten.

Henriette Pusterling aber richtet sich triumphierend auf: „Ich wußte es!" donnert ihr Baß über die er­schreckten Häupter der Familie Wurstelbach. „Ich wußte es, daß ihr nicht an das Telegramm glauben würdet! Verzeiht mir, meine Lieben, daß ich euch in einen solchen Ab­grund des Schreckens gestürzt habe. Aber es war ein Test -ein Experi­ment, nichts weiter. Und ich wußte, daß dieses Experiment glücken würde: Niemals habt ihr an mein plötzliches Ende geglaubt - eure Träume haben euch die Wahrheit gesagt! I s t e s n i c h t s o ? "

Tiefes Schweigen. Henriette Pusterling schreitet zum

Familientisch und ergreift Tüpf­chens Glas. Sie leert es in einem Zug.

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„Dieser Augenblick", verkündet sie feierlich den aufhorchenden Wurstelbachs, „ist die Krönung meines Lebenswerkes!"

Frau Willi, die sich am ersten ge­faßt hat, fragt sich im geheimen allen Ernstes, ob Henriette Puster­ling vielleicht über ihren Margari­ne-Dollars den Verstand verloren hat Aber sie wird allsogleich eines besseren belehrt.

Zuvor allerdings umarmt Henriette Pusterling der Reihe nach die Fa­milienmitglieder, indem sie jedem versichert, daß er ihr gleich seinen Traum erzählen müsse.

Dies dürfte nun einigermaßen auf Schwierigkeiten stoßen, da kein Mitglied der Familie Wurstelbach in dieser Nacht auch nur ein hal­bes Auge zugetan hat und demzu­folge auch nicht geträumt haben kann.

Aber Henriette Pusterling läßt sich nicht beirren. Sie nimmt um­ständlich in dem größten der vor­handenen Sessel Platz, nestelt eine dicke Zigarre aus ihrem Umhänge­beutel und setzt sie in Brand. Dann befördert sie ein nicht minder um­fangreiches Notizbuch zutage, zückt einen gewaltigen Füllfederhalter, und beginnt feierlich:

„Ein Leben ohne Ziel ist zweck­los, meine Lieben! Seit mein Eu­stachius selig die Augen für immer schloß und mich allein zurückließ auf dieser kalten, bösen Welt, ist es mein Ziel, ein umfassendes Werk über Träume und ihre Deutung zu schreiben. Ich habe es fast vollen­det, und ich weiß, daß es der Menschheit neue Wege weisen wird. Ihr glaubt nicht, meine Lieben, wel­che Verwirrungen entstehen durch die Unterschiede der Deutungen im goldenen ägyptischen Traum­buch, im großen arabischen Traum­buch und im vollständigen Zigeune­rinnen-Traumbuch. Geradezu haar­sträubende Widersprüche treten zu­

tage! Und um diese Widersprüche zu beseitigen, habe ich mein Leben darauf verwandt - Träume zu deuten."

Langsam begreifen sie. Sogar Emil wird klar, daß seine Dollars sich genau so in Nichts verflüchtigen wie sein Tototip. Er begreift, daß er nach wie vor ein armer Schluk­ker bleibt, und diese Erkenntnis treibt ihm die Tränen in die Augen.

Henriette Pusterling aber wertet diese Tränen auf ihre Weise. „Du bist erschüttert, lieber Bruder - ich sehe es dir an", sagt sie. „Ich gebe zu, es ist ein seltsames Wieder­sehen nach über drei Jahrzehnten - aber eben doch: ein Wieder­sehen! Und nun, meine Lieben, ehe wir uns zur wohlverdienten Ruhe begeben, laßt mich beginnen. Oh, ich kenne euch schon so gut durch eure vielen lieben Briefe, daß ich euch eure Träume fast voraus­sagen könnte! Ich weiß ganz genau, wie es war: Ihr alle lagt im tiefen Schlummer - und plötzlich schrillte die Klingel: ein Telegramm! Ihr er­schreckt zu Tode, - aber ihr wißt durch eure Träume, daß es n i c h t w a h r s e i n k a n n , was in diesem Telegramm steht, und trinkt Sekt auf die Gesundheit eurer Tante Henriette!"

Der Baß zittert unmerklich; Hen­riette Pusterling ist ergriffen. Dann aber nimmt sie ihren Füllhalter und wendet sich an Frau Willi.

„Was also - ", fragt Henriette Pusterling inquisitorisch, „was also, meine Liebe, hast du in dieser Nacht geträumt?"

Frau Willi tritt der Angstschweiß auf die Stirne. Es fällt ihr beim besten Willen nicht ein, was sie geträumt haben könnte . . .

„Nun, nun", ermuntert Tante Henriette, und ihre Augen hinter der funkelnden Hornbrille wollen Frau Willi offensichtlich durchboh­ren. „Nur heraus mit der Sprache,

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meine Liebe! Waren da nicht ­flatternde Fahnen?"

Frau Willi atmet erleichtert auf: ,,Ja - - ", stammelt sie verwirrt, ,,ich muß dir ehrlich gestehen, liebe Tante Henriette - - Fahnen - ­Fahnen, also mit einer Fahne hat es jedenfalls etwas zu tun gehabt!"

„ F a h n e n ! " triumphiert Tante Henriette. „Ich habe es gewußt. Du mit deinem Naturell, mein liebes Kind, konntest in diesem Fall nur von Fahnen träumen. Und kannst du mir vielleicht auch sagen, wie diese Fahnen aussahen - - hatten sie Farben?"

„N - ein", zögert Frau Willi, „Far­ben hatten sie nicht."

„Haben sie sich bewegt?" will die Tante weiter wissen.

„Ab - ab und zu - - ", gesteht Frau Willi und blickt auf Emil Wur­stelbach, der sich verstohlen ein Pfefferminzplättchen in den Mund schiebt.

Tante Henriette notiert in ihr No­tizbuch und wendet sich an Stups: „Und du, mein Sohn?"

„Ich träume nie!" kommt es wie aus der Pistole geschossen.

„Das habe ich mir gedacht!" seufzt Tante Henriette. „Ich habe es nicht anders erwartet. Ich fürch­te, du wirst genau so phantasielos sein, wie dein Vater in seiner Ju­gend war. - Aber das Uta-Kind ­wie sagt ihr so hübsch? - Tüpfchen, nicht wahr? - Ihr seht, ich habe eure Briefe aufmerksam gelesen. Also - was hat das Utakind ge­träumt?"

Das Utakind hat zwar genau so wenig geträumt wie seine Lieben, aber es hat den Vorteil, im Buch­handel gerade verschiedene Traum­bücher studiert zu haben, und ant­wartet nunmehr versonnen: „Ich weiß nicht, Tante Henriette, es war ein sehr komischer Traum . . ."

Frau Willi stockt der Atem. Stups verschwindet unter dem

Tisch, um irgend etwas aufzuheben, das überhaupt nicht heruntergefal­len ist; aber sein Gesicht ist toma­tenrot vor unterdrücktem Lachen.

„Sprich es aus, mein Kind", er­muntert Tante Henriette liebevoll.

„Ich habe - ", verkündet Tüpf­chen und richtet den Blick in ima­ginäre Fernen, „ich habe von einem Mann mit einer Glatze geträumt - "

„ G l a t z e !" schreit Tante Hen­riette. „Hast du wirklich Glatze ge­sagt, mein Kind?"

„Ich habe Glatze gesagt, Tante Henriette", versichert Tüpfchen tiefernst.

Tante Henriettes Stimme zittert: „Und weißt du, w a s eine Glatze nach dem goldenen ägyptischen Traumbuch bedeutet?"

Tüpfchen schüttelt andachtsvoll den Kopf.

„Eine Glatze kündet ein fröhli­ches, listiges Vorkommnis an", strahlt Henriette Pusterling. „Da haben wir's! Meine Theorie ist ein­wandfrei bewiesen! Und wie habe ich gerade um den Beweis der Glat­zen-Deutung gekämpft! Während das goldene ägyptische Traumbuch nämlich, wie schon gesagt, die Glat­ze als Künderin eines fröhlichen, listigen Vorkommnisses anzeigt, will das große arabische Traumbuch wissen, daß eine Glatze ein üppiges Leben voraussagt, und das vollstän­dige Zigeunerinnen-Traumbuch er­klärt völlig widersinnig: man würde einen lieben Freund verlieren. Tüpf­chen, mein Kind - ich danke dir!"

Der Füllhalter wird in Bewegung gesetzt. Henriette Pusterling faßt dann Romy ins Auge: „Und du, meine Liebe?"

Romy wirft Tüpfchen einen hilfe­flehenden Blick zu, und Tüpfchen sagt rasch: „Wie war das mit der Vogelscheuche, Romy? Du hast es doch gleich erzählt, als das Tele­gramm kam - - "

„Eine Vogelscheuche!" stammelt

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Henriette Pusterling, und ihr üppi­ger Busen wogt vor Glück. ,,Du hast von einer Vogelscheuche geträumt?"

Romy nimmt den Rettungsring, den Tüpfchen ihr zugeworfen hat, geschickt auf und rettet sich ans Ufer: „Es war eine abscheuliche Vogelscheuche, Tante Henriette. Sie stand mitten in einem Acker - "

,,Hast du Acker gesagt?" Romy zuckt zusammen. „Jawohl.

Tante Henriette: Acker. Also da war aber vor allem die Vogelscheu­che, und sie war wirklich abscheu­lich."

„Das wissen wir. Und sonst?" „Sonst - sonst nichts - " stam­

melt Romy verschüchtert. „Es genügt", erklärt Henriette

Pusterling. „Es ist eine sogenannte Doppeldeutung: Acker und Vogel­scheuche. Sehr interessant, mein Kind; du scheinst ein ausgeprägtes Seelenleben zu haben. Nehmen wir das große arabische Traumbuch in Kombination mit dem vollständigen Zigeunerinnen-Traumbuch, so will die Vogelscheuche besagen: Du fällst auf plumpe Täuschung herein - und zugleich warnen: Laß dich nicht ins Bockshorn jagen! - Der Acker aber - war er verwildert?"

„Ich - ich glaube ja!" stammelt Romy.

Henriette Pusterling nickt: „Ver­wildert! Also dieser verwilderte Acker warnt nach dem großen ara­bischen Traumbuch vor einer un­liebsamen Überraschung. Du wirst es nicht leicht haben im Leben, mein armes Kind, denn du bist un­erhört sensitiv!"

Henriette Pusterling vollendet ihre Notizen und beginnt, ihren Bruder scharf ins Auge zu fassen.

„Und du?" fragt sie. „Wie hat sich bei dir das große Ereignis ange­zeigt?"

Emil Wurstelbach fühlt sich jäm­merlich in die Enge getrieben, und

auch seine Augen gehen hilfe­flehend zu Tüpfchen.

Aber Tüpfchen ist auf dem Posten. Sie macht hinter dem Rücken von Henriette Pusterling wilde Armbe­wegungen.

Emil Wurstelbach sagt mühsam: „Von - von einem Ballon - habe ich geträumt, Henriette!"

„ S o o o ! " sagt Henriette Puster­ling. „Das hätte ich mir denken können! Von einem Ballon! Das be­deutet, wenn wir dem großen ara­bischen Traumbuch Glauben schen­ken wollen: Dir entgeht ein Ge­winn!"

Emil Wurstelbach zuckt zusam­men. Er starrt auf Tüpfchen.

Tüpfchen schüttelt heftig den Kopf und wird deutlicher mit ihren Be­wegungen.

"Ja -", stammelt Emil, ,,da war aber noch etwas, Henriette - nicht nur ein Ballon - sondern ein ­wie soll ich es nur sagen - - " Emil bricht der kalte Angstschweiß aus. „Ein Nachttopf, Henriette!" sagt er dann kühn.

Henriettes Augen leuchten auf: „War es zerbrochen?"

Tüpfchen signalisiert heftig nik­kend: Ja!

„Ja! Ja! Ja!" sagt Emil Wurstel­bach.

,,Du bist besser, als ich dachte!" erklärt Henriette Pusterling. „Ein zerbrochener Pot de Chambre be­deutet Glück im Unglück!"

Sie schließt ihr Notizbuch. „Und jetzt möchte ich schlafen",

erklärt sie kategorisch. „Mein Ge­päck ist noch auf dem Flugplatz. Ich bin mit einem Taxi gekommen. Aber meine Anstrengungen haben sich gelohnt. Ich danke euch! Hast du eine Zahnbürste für mich, liebe Willi?"

Frau Willi hat keine. Emil bietet großzügig seine an. Henriette straft ihn mit einem vernichtenden Blick: „Du hast dir zwar in deiner Jugend

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prinzipiell die Zähnee nur unter Auf­sicht geputzt; daher könnte ich von deinem Angebot Gebrauch machen; aber ich hoffe, daß du dich in der Zwischenzeit gebessert hast! Danke! Ich werde mir die Zähne morgen putzen."

Das ist ein heroischer Entschluß. Frau Willi bearbeitet mit Romys

und Tüpfchens Hilfe die Couch und zaubert ein wundervolles Bett für Tante Henriette. Diese betrachtet die Bemühungen mißbilligend: „Ich ziehe es vor, auf dem Boden zu schlafen", erklärt sie kühl. „Diese modernen Sitten der Gastcouch ver­abscheue ich."

Frau Willi und ihre Töchter sehen sich an. Guter Rat ist teuer. Wo soll man ein Bett herkriegen für Tante Henriette?

„Ich - ich kann ja auf der Couch schlafen - hick - ", läßt sich Emil Wurstelbach vernehmen und hält entsetzt den Mund. Dieser blöd­sinnige Schluckauf!

„Sehr liebenswürdig!" donnerte Henriette Pusterling. „Aber ich ver­abscheue es, mit einer anderen Per­son in einem Raum zu schlafen!"

„Dann rollen wir Vaters Bett eben rüber", schlägt Stups prak­tisch vor.

Das ist eine glorreiche Idee! Hen­riette Pusterling erhebt keine Ein­wendungen.

Leider läßt sich Emils Bett aber nicht ,rollen'. Man muß es abschla­gen. Und das morgens gegen vier.

Es gibt ein entsetzliches Getöse. Der Hauswirt klopft vernehmlich an die Decke.

Emil Wurstelbach sieht bereits einen polizeilichen Räumungsbefehl wegen nächtlicher Ruhestörung vor sich schweben.

Aber auf Henriette Pusterling macht das alles keinen Eindruck. Sie thront im größten Sessel des Wurstelbachschen Mobiliars und unterstreicht Emils und Stups Be­

mühungen mit ermunternden Zu­rufen: „Hau ruck - jawohl! Du hast immer noch keine Muskeln, lieber Bruder! Und noch einmal: Hau ruck! Und noch einmal! Und jetzt haben wir's!"

Als sie es wirklich haben, schägt es fünf. Ermattet sinken sie in ihre verschiedenen Betten; nicht ohne von Tante Henriette ermahnt wor­den zu sein, sich die Träume die­ser Nacht gut zu merken.

Emil liegt entsetzlich unbequem auf der neben das halbierte Ehebett gerückten Couch. Er ist vernichtet. Dabei hat er ein unheimliches Schä­delbrummen und, wenn er den Mund auftut, immer noch Schluck­auf.

„Es ist - hick - entsetzlich, ­Willi", flüstert er schwach.

Aber Frau Willi ist nicht nur eine mustergültig sparsame Hausfrau und vorbildliche Mutter, sondern auch ein prachtvoller Kamerad. Sie tastet nach Emils Hand und hält sie fest Das ist schon so etwas wie ein Trost, spürt Emil Wurstelbach dank­bar.

„Erst das - hick - Toto - - ", stammelt er, „und dann - hick ­Henriette!"

Frau Willi sieht mit großen, sehr wachen Augen in das sie umgeben­de Dunkel. „Vielleicht - ", sagt sie leise, „ist es ein Fingerzeig vom Schicksal. Wir sollen zufrieden sein mit dem, was wir haben. Vielleicht wäre alles andere nicht gut für uns - Reichtum und so!"

Mißbilligend schüttelt Emil den Kopf: „Du wirst doch nicht auch unter die Traumdeuter - hick ­gehen?"

„Nein", sagt Willi. „Aber - es könnte schon sein, daß wir gar nicht mehr glücklich wären, wenn wir plötzlich viel Geld hätten. Das hat uns das Schicksal vielleicht sa­gen wollen."

Mit dieser Deutung des wahrlich

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schicksalsschwangeren Tages ist Emil Wurstelbach nicht einverstan­den.

„Willi - - ", sagt er, ,,ich glau­be, das Schicksal hält uns zum Nar­ren, weil wir arme Teufel sind."

Und mit diesem weisen Satz schließt er die Augen und sinkt in einen abgrundtiefen Schlaf, in des­sen Traumgefilden es nur so von bunten Kinderballons, Vogelscheu­chen, die verzweifelte Ähnlichkeit mit Henriette Pusterling haben, und zerbrochenen Pots de Chambre ­wie Henriette es kultiviert aus­drückte, wimmelt.

Der nächste Tag beginnt damit, das Emil Wurstelbach zum ersten Male in seinem Leben mit einer ge­schlagenen Stunde Verspätung in seine Konservenfabrik kommt, um die Brötchen zu verdienen. Er hat einen fürchterlichen Kater und kann sich beim besten Willen nicht auf die endlosen Additionsreihen kon­zentrieren, die er zu bewältigen hat.

Auch die Addiermaschine hilft ihm nicht, weil er die Zahlen falsch her­austippt, und diesen verhängnisvol­len Irrtum kann bei Gott die beste Addiermaschine der Welt nicht richtigstellen.

Es ist ein entsetzlicher Tag! Aber es sollen noch weit entsetzlichere Tage kommen. Tage, da sich Emil Wurstelbach inbrünstig nach seinem stillen Büro sehnen, da ihm das Rattern der Addiermaschine wie liebliche Schalmeienklänge in den Ohren klingen und der krumme Buckel des Vordermannes wie ein elysischer Hügel erscheinen wird.

Denn - bei Wurstelbachs ist der Teufel los!

Henriette Pusterling bringt mühe­los die ganze geheiligte Familien­ordnung und Tradition ins Schwan­

ken! Sie tyrannisiert mit Ausdauer und Geschick alle und jeden, beim Familienoberhaupt angefangen bis zu Tüpfchen. Sie bringt Frau Willi, die wahrlich duldsam ist, zur Ver­zweiflung und hat die Absicht, für mehrere Monate zu Gast zu blei­ben. Eine geradezu erschütternde Aussicht!

Nicht nur, daß Henriette Puster­ling nach wie vor das halbierte Ehe­bett Emil Wurstelbachs in der guten Stube beschlagnahmt - sie wünscht als Morgentrunk einen Sherry und als Nachttrunk Grapefruit. Zum zweiten Frühstück verzehrt sie vier hartgekochte Eier und zum Mit­tagsmahl ein Steak gewaltigen Aus­maßes.

Dabei stiftet sie keinen einzigen Penny in Frau Willis jäh geleerte Haushaltskasse - mit dem schlich­ten Hinweis, daß nach ihrem Tode ja doch einmal ihr ganzes Vermö­gen den Wurstelbachs gehören wird.

Was aber - so fragt man sich mit Recht - fangen die Wurstelbachs mit einem Vermögen an, das ihnen vielleicht in vielen Jahren einmal zufällt, während im Augenblick Henriette pro Tag mindestens fünf­zehn bis zwanzig bare D-Mark ver­zehrt?

Ihr Appetit ist gewaltig. Aber sie hat auch noch andere Wünsche. Sie will ins Kino, ins Theater und in Konzerte geführt werden - und selbstverständlich aus Emils Kasse.

Jetzt erinnert sich Emil Wurstel­bach auch wieder daran, daß man einst in seinem Heimatdorf den ar­men Eustachius Pusterling allseits bedauerte, weil er nicht o h n e Henriette nach Übersee gegangen war.

Als das Weihnachtsfest vorüber­gezogen ist, selbstverständlich ohne daß auch der bescheidenste Wunsch der Familie erfüllt werden konnte, ist Emil Wurstelbach gezwungen, einen Kredit aufzunehmen. Der

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Ruin, dem er sich entgegentreiben sieht, nagt an seinem Herzen!

Aber das Schrecklichste an Hen­riette Pusterling ist zweifelsohne ­i h r W e r k , dessen Vollendung sie sich hingebungsvoll widmet.

Wenn irgendwo in der Wohnung ein Wecker klingelt, steht Henri­ette wie aus dem Boden gewachsen vor dem betreffenden Schläfer, das Notizbuch gezückt und inquisito­risch fragend, wie nun genau der Traum dieser Nacht gewesen sei.

Längst hat Tüpfchen das goldene ägyptische, das große arabische und das vollständige Zigeunerinnen-Traumbuch nach Hause gebracht. Denn woher, beim Himmel, soll die Familie Wurstelbach, die glücklich, tief und traumlos schläft, all die vielen Träume nehmen, die Hen­riette Pusterling zur Vollendung ihres Werkes benötigt?

Wahrlich: Es ist keine Lust mehr zu leben, seit Henriette Pusterling in Europa ist!

Zu allem Übel muß im Hause Wurstelbach auch noch tiefe Stille herrschen, da Henriette gerade das vierundzwanzigste Kapitel ihres Werkes deutet, das von dem be­rühmten „Familienskelett" handelt, das jede Familie im Schrank habe, wie Tante Henriette versichert.

Henriette Pusterling schreibt, daß dieses Familienskelett zu werten sei als eine Umschreibung für ir­gendeine unangenehme Affäre, die sich in der Vergangenheit zugetra­gen hat und im Schranke der Ver­gessenheit verstaubt, bis es jeman­den einfällt, sie wieder hervorzu­holen.

Tüpfchen behauptet steif und fest - natürlich nicht vor Tante Henri­ette - daß sie das schon einmal irgendwo gelesen habe.

Auf einem gewissen Örtchen fin­det allabendlich die geheime Fami­lienratssitzung statt, welche Träume für die künftige Nacht zu wählen

seien, denn nirgendwo sonst Ist man vor Henriette Pusterling sicher. Tüpfchen knobelt die Träume aus und verteilt sie; immer schön auf­einander abgestimmt, in der Hoff­nung, daß Henriette Pusterlings Werk auf diese Weise bald vollen­det sei.

Man richtet sich abwechslungs­weise nach dem goldenen ägypti­schen, dem großen arabischen und dem vollständigen Zigeunerinnen-Traumbuch.

Wenn Romy zum Beispiel Abend­rot sieht, dann kann sich Frau Willi allenfalls in frisches, grünes Gras setzen, denn beides bedeutet, daß Ereignisse bevorstehen.

Es ist aber ganz ausgeschlossen, daß das Familienoberhaupt Juwelen sieht, was gleichbedeutend ist mit Armut und Not, während Tüpfchen durch einen Briefträger auf mühe­lose Art das Vermögen aufbessert. Streng vermieden werden Traum­begriffe wie ein Haus in Brand, Angeln, schleichende Diebe oder Flöhe - denn diese Dinge bedeu­ten Erbschaft, Geld oder glückliches Gelingen.

Die ganze Familie Wurstelbach leidet nach vier Wochen an einem Traumkomplex und wäre reif für den nächsten Psychiater. Denn nicht genug damit, daß Henriette des Mor­gens wie eine Schildwache vor den Betten steht, um die Träume zu no­tieren - welchem Umstand es zu verdanken ist, daß die Familienmit­glieder den Wecker eine Viertel­stunde früher rasseln lassen müs­sein - nein, nicht genug damit: Sie schließt ihr Tagewerk mit einem abendlichen Interview der einzel­nen Familienmitglieder über den Tagesablauf, um festzustellen, ob die Träume nun auch tatsächlich eingetroffen sind.

Hier ist freilich auch Tüpfchens Kunst am Ende; denn kann sie viel­leicht am Abend vorher voraus­

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sehen, was am kommenden Tag passieren wird? Tüpfchen ist ja nun mal Buchhändler-Lehrling und kein Hanussen.

Da man aber um jeden Preis Tante Henriette gerecht werden will, schildert man den Tagesablauf eben nach den von Tüpfchen vor­hergesagten Träumen, wodurch sich jeweils nach der Phantasie der Fa­milienmitglieder wirklich haarsträu­bende Dinge begeben.

Henriette Pusterling findet das so amüsant, daß sie gar nicht daran denkt, abzureisen. Emil Wurstel­bach trägt sich mit dem finsteren Gedanken des Brudermordes, zumal Henriette seine Autorität bewußt untergräbt. Sie schildert anzüglich seine Dummen-Jungen-Streiche, die er selbst schon vergessen hat, und versäumt es nie, ihn bei jeder pas­senden und unpassenden Gelegen­heit zu tadeln.

,,Emil, deine Kravatte sitzt schief! - Emil! Ein frisches Taschentuch könnte dir nützlich sein! - Emil! Dir gehen die Haare aus! - Emil! Wann warst du zum letzten Mal beim Zahnarzt? - Emil! Emil!! ­Emil!!!"

Nun haben ja sämtliche Wurstel­bacher die Möglichkeit, Henriette Pusterling durch ihre Tätigkeit we­nigstens tagsüber zu meiden. Stups geht zum Technikum, Romy in ihr Modeatelier, Tüpfchen in ihren Buchhandel und Emil zu seinen Konserven.

Nur - Frau Willi ist zu Hause, mit anderen Worten: Ihr bleibt nichts erspart. Sie muß es beim Staubwischen über sich ergehen las­sen, einen Vortrag über die Träume von Tieren und deren symbolischer Bedeutung anzuhören, und beim Ge­müseputzen darüber aufgeklärt zu werden, welchen tieferen Sinn die Symbolik von rechts und links im Traum hat.

Frau Willi ist gerecht genug, zu­

zugeben, daß die wissenschaftliche und psychologische Traumdeutung durchaus notwendig und gut ist. Aber sie ist der Ansicht, daß man diese Deutung eben den Wissen­schaftlern überlassen soll.

Natürlich hütet sie sich, dieser Ansicht vor Henriette Pusterling Ausdruck zu verleihen. Sie be­schränkt sich vielmehr auf bewun­dernde ,Achs!' und ,Ohs!' und ist überzeugt, daß sie, gleich welchen Traum sie haben mag, nach Tante Henriettes Abreise im Irrenhaus landen wird.

Aber - wer spricht da von Tante Henriettes Abreise? Tante Henri­ette denkt gar nicht daran, abzurei­sen. Sie fühlt sich ganz wie zu Hause im Schoße der Familie Wur­stelbach. Ihr Werk schreitet vor­wärts, und sie kann damit rechnen, es noch vor ihrem Tode zu voll­enden.

Da aber kommt es - zur Kata­strophe.

Die Katastrophe beginnt damit, daß Henriette Pusterling ihrem Bru­der eröffnet, sie erwarte von ihm, daß er ihr die deutsche Heimat zeige.

Emil Wurstelbach, dessen Kredit fast erschöpft ist, faßt sich an den Kragen, als sei ihm dieser plötzlich zu eng geworden.

,,Ich fürchte, ich werde dich ent­täuschen müssen, liebe Henriette. Ich bin kein Dollarkönig, sondern nur bescheidener Angestellter einer mittleren Konservenfabrik."

„Eben!" bemerkt Henriette Pu­sterling. „Ich habe es immer ge­wußt, daß du es nicht weit bringen wirst in deinem Leben. Du bist phan­tasielos, mein I ieber. Phantasie aber ist die erste Voraussetzung für Er­folg!"

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Stups grinst. Emil Wurstelbach sieht seine Autorität in Gefahr und erklärt daher unerwartet brüsk: „Du mußt es schon mir überlassen, lie­be Henriette, den Erfolg oder Miß­erfolg meines Lebens zu beur­teilen."

Sekundenlang ist Henriette Pu­sterling sprachlos. Dann aber nickt sie anerkennend, nimmt sich die saftigste Bratenscheibe von der Platte und meint: ,,Es sind die ersten wahrhaft männlichen Worte, die ich von dir höre, lieber Bruder."

Dem lieben Bruder platzt der Kra­gen. Obwohl ihn Frau Willi nach­drücklich gegen das Schienbein tritt und ihm beschwörende Blicke zuwirft, erklärt er kühn: „Diese Reise mußt du dir aus dem Kopf schlagen, wenn du sie nicht selbst finanzieren willst!"

Ein durchbohrender Blick Tante Henriettens trifft das Familien­oberhaupt: „Und an später denkst du gar nicht?" droht ihr Baß.

„Nein!" sagt Emil Wurstelbach laut. „Du erfreust dich bester Ge­sundheit, liebe Henriette, was dir zu wünschen ist. Wenn du so wei­termachst und mich meine Träume nicht täuschen, wirst du den hun­dertsten Geburtstag in körperlicher und geistiger Frische begehen - bis dahin werde ich ein zahnloser Mummelgreis sein und beruhigt auf das schöne Stück Braten verzichten können, das du eben mit bemer­kenswerter Bescheidenheit auf dei­nen Teller gebracht hast."

Henriette Pusterling scheint amü­siert. Sie bemerkt nur freundlich: „Würdest du regelmäßig zum Zahn­arzt gehen wie ich - könntest du auch mit hundert Jahren noch Bra­ten essen."

Das ist zuviel! Emil Wurstelbach sieht rot. Aber - er schweigt; denn Frau Willi hat ihn schon wieder äußerst schmerzvoll gegen das Schienenbein gestoßen.

Henriette Pusterling aber entwik­kelt in größter Ruhe ihr Reisepro­gramm; sie möchte die Mosel ent­lang fahren und dann in den Schwarzwald und vom Schwarzwald zum Bodensee und vom Bodensee nach Bayern und von Bayern - ­

Krach! fliegt Emil Wurstelbachs Stuhl um, und das Familienober­haupt verläßt die Tafel.

Entgeistert bleiben die Seinen zu­rück, neigen die Köpfe tief über die Teller und warten auf Henriettens Entrüstungsschrei.

Aber dieser Schrei bleibt aus. Henriette widmet sich mit größtem Behagen dem wundervollen Braten und scheint den Zornesausbruch ihres Bruders ganz einfach nicht ernst zu nehmen.

An diesem Abend läßt sich Emil Wurstelbach den Traum der Nacht nicht von Tüpfchen vorschreiben. Mit grimmig entschlossener Miene wälzt er auf dem geheimen Örtchen, allwo allein man vor Henriette Pu­sterling sicher ist, das goldene ägyptische, das große arabische und das vollständige Zigeunerinnen-Traumbuch.

Dann geht er mit hungrigem Ma­gen und bitterem Lächeln zu Bett.

Als Frau Willi spät und nachdem sie Tante Henriette ihre Grapefruit gebracht hat, das halbierteEhebett zu nächtlichem Schlummer aufsuchen will, richtet sich Emil Wurstelbach gebieterisch auf und sagt finster: „Geh zu Tüpfchen und Romy! Sie werden diese unselige Nacht ein Plätzchen für ihre Mutter haben!"

„Um Gottes willen, Mile", flüstert Frau Willi. „Wo sind die Traum­bücher?"

Mit einer tragischen Geste weist Emil Wurstelbach unter sein Kopf­kissen: „Hier! Und hier bleiben sie!

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Du sollst diese Nacht nicht miter­leben müssen. Geh, Wilhelmine!"

Nur einmal in ihrer langjährigen Ehe hat Emil Wurstelbach „Wilhel­mine" zu seiner Frau gesagt, und das war, als ihr zum zehnten des Monats schon das Haushaltsgeld ausgegangen war.

„Was willst du tun?" flüstert Frau Willi bang.

Emil schweigt. ,,Du willst sie doch - nicht tö­

ten?" fragt Frau Willi zitternd. „Willst du nicht gehen, Wilhel­

mine?" mahnt Emil Wurstelbach. Langsam und schweren Herzens

verläßt Frau Willi das eheliche Schlafgemach und wankt zu ihren Töchtern.

„Er wird sie töten!" flüstert Frau Willi. Tüpfchen löscht das Licht Aber sie liegen alle drei mit ange­haltenem Atem und lauschen.

Da - - ! Tappende Schritte! Ganz deutlich vernehmbare tappen­de Schritte!

Romy fällt das Familienskelett im Kleiderschrank ein, dem Tante Hen­riette ein ganzes Kapitel ihres Wer­kes gewidmet hat. Eine Gänsehaut läuft Romy über den Rücken.

Und in diesem Augenblick pocht es gedämpft an die Tür. Romy schreit leise auf.

„Halt die Klappe!" läßt sich drau­ßen eine vertraute Stimme verneh­men. Das ist ganz bestimmt nicht das Familienskelett aus dem Klei­derschrank!

Die Tür öffnet sich einen Spalt breit, und Stups fragt flüsternd: „Habt ihr keinen Traum vorrätig?"

Sie haben keinen. Es ist trostlos. Alle nur möglichen und unmög­

lichen Träume haben sie wäh­rend Tante Henriettens Aufenthalt bereits geträumt. Es ist ausgeschlos­sen, daß sie ohne Traumbuch auch nur den kleinsten Traum träumen.

Unverrichteter Dinge zieht Stups ab. Frau Willi, Romy und Tüpf­

chen aber lauschen angestrengt weiter . . . .

Herrgott, fleht Frau Willi, ich kann ihn ja verstehen, meinen Mile - aber laß ihn nicht zum Bruder­mörder werden!

Das Dunkel der Nacht ist tief! Plötzlich schrillt ein Wecker. ­

Er schrillt unverschämt, als stände er auf einem ganzen Porzellanberg. Es ist Emil Wurstelbachs Wecker.

Entsetzt fährt Frau Willi im Zim­mer ihrer Töchter in die Höhe. „Hört ihr?" flüstert sie angsterfüllt. „Es ist soweit!"

Romy und Tüpfchen hören es. Die Schlafzirmwertür knarrt und

- Henriette Pusterlings Baß fragt prompt: „Emil! Was hast du ge­träumt?"

Lässig stellt Emil Wurstelbach den Wecker ab, gähnt, dreht sich auf die andere Seite und meint: „Es ist erst zwei Uhr, Henriette. Entschul­dige, aber ich habe noch nicht zu Ende geträumt."

Kaum hat Henriette Pusterling mit mühsam verhehlter Entrüstung die Tür hinter sich geschlossen, da dreht Emil Wurstelbach mit Seelen­ruhe den Wecker wieder auf, wen­det sich zur Seite und legt sein ge­quältes Haupt zu kurzem Schlum­mer nieder.

Nach einer Stunde schrillt erneut der Wecker. Das gleiche Schauspiel rollt ab.

Und der Spuk ist noch nicht zu Ende. Er wiederholt sich Stunde um Stunde dieser unseligen Nacht. Um drei, um vier, um fünf, um sechs. Um sieben steht Emil Wur­stelbach tatsächlich auf.

Jedesmal fragt Henriette Puster­ling, was er geträumt habe - und jedesmal antwortet er ihr höflich und durchaus liebenswürdig, daß er noch nicht zu Ende damit sei.

Um sieben allerdings steht er ihr Rede und Antwort, düster, das Ra­siermesser bedrohlich in der Rech­

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ten: ,,Es waren mehrere Träume, Henriette. Und sie waren grauen­voll! Zunächst sah ich unheimliche Totenköpfe auf Giftflaschen." Er legt eine wirkungsvolle Pause ein und wartet, bis Henriette diese wunderliche Traumvision in ihr dickes Notizbuch eingetragen hat.

Als sie erwartungsvoll aufblickt, wiederholt er sicherheitshalber noch einmal: „Totenköpfe auf Gift­flaschen; hast du, Henriette? Schön. Und diese Totenköpfe auf Gift­flaschen wurden von einer Meute wütender Hunde umbellt. Hast du wütende Hunde? Also. Das ist aber beileibe noch nicht alles. Plötzlich nahte ein Gerichtsvollzieher."

„Weißt du ganz bestimmt, daß es ein Gerichtsvollzieher war?" will Henriette Pusterling nun aufgeregt wissen.

„Ich weiß es", antwortet Emil, und alles Leid der Welt schwingt in seinen Worten. „Ich werde bald die Ehre haben. Verlasse dich darauf: Es war ein Gerichtsvollzieher!"

„Woran willst du das festgestellt haben? überlege genau, Emil, es ist wichtig!"

„Am Kuckuck, zum Kuckuck!" „Hat er gepfändet?" will Henri­

ette wissen. „Noch nicht", sagt Emil Wurstel­

back ahnungsvoll. „Höre, Henriette! Plötzlich aber erblickte ich - dich!"

„Mich?" „Ja: dich! Freischwebend über ei­

nem gähnenden Abgrund. Aber das ist noch nicht alles. Du bist gehetzt! Von einer großen Horde brummen­der Bären - - "

Henriette Pusterling wird blaß. „Ist das alles?" „Alles!" antwortet Emil mit fester

Stimme. Dann beendet er schwung­voll seine Morgentoilette.

Seit Wochen hat ihn niemand mehr pfeifen gehört. Jetzt pfeift er. Das Steuermannsmotiv aus dem fliegen­den Holländer.

Henriette Pusterling aber sitzt über dem goldenen ägyptischen, dem gro­ßen arabischen und dem vollständi­gen Zigeunerinnen-Traumbuch, um Emil Wurstelbachs seltsamen Traum zu deuten.

Blaß und verstört schleichen die übrigen Familienmitglieder durch die Gegend. Stups erwischt aus Ver­sehen Romys Kollegmappe und stellt auf dem Technikum tiefsinnig fest, daß die Modeschöpfung nichts mit Turbinen zu tun hat. Wohin­gegen Romy die fantastische Mög­lichkeit hat, den Kundinnen eine abstrakte Turbinen-Abendrobe an­zubieten, statt der üblichen Gebilde aus Perlon und Taftsatin.

Auch Tüpfchen ist völlig aus dem Geleise. Und ausgerechnet an die­sem Vormittag muß sie beim Ver­kauf mithelfen. Einer literaturbe­flissenen Dame, die sich für Nietz­sche interessiert, legt sie die ge­sammelten Werke von Wilhelm Busch vor; dafür empfiehlt sie einem älteren Herrn, der gern etwas hei­teres haben möchte, ein Schauer-Drama aus der Ritterzeit. Es ist nicht abzusehen, was Tüpfchen an diesem Vormittag noch alles tun wird.

Frau Willi aber hat das schlimm­ste Los. Heftig mit dem Schlafe kämpfend, müht sie sich, Tante Henriettens lichtvollen Ausführun­gen zu folgen, die sich mit Emils gewaltigem Traumgebilde beschäf­tigen.

„Heute braucht sie keinenSherry", hat Emil zum Abschied zu seinem Weibe gesagt. „Ich habe ihr einen Traumcocktail gemixt, an dem sie zu schlucken hat!"

Tatsächlich braucht Henriette Pu­sterling keinen Sherry! Sie trinkt ihren Mokka und sagt: „Meine Lie­be - dein Mann ist ein Phäno­men! Was er da geträumt hat, ist unerhört! Unerhört, habe ich ge­sagt!"

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„Ich habe es gehört - ", bemerkt Frau Willi sanft.

„Totenköpfe auf Giftflaschen ­das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß eine Sache zum äußersten kommt!"

Frau Willi zuckt gequält zusam­men. Ihr schwanen fürchterliche Dinge.

„Nicht genug damit, werden die­se Totenköpfe von Hunden um­bellt - das bedeutet nach dem gol­denen ägyptischen Traumbuch ein­deutig: Streit in der Familie! Das große arabische Traumbuch sagt schlicht: Verdruß! Und das voll­ständige Zigeunerinnen-Traumbuch sagt: Unruhe! Du siehst, meine liebe Willi, die Sache ist klar!"

Henriette Pusterling schöpft tief Atem und fährt fort: „Ganz klar ist auch der Gerichtsvollzieher ­im Traum eine absolut freudige Er­scheinung, denn er sagt Freude, Glück, Überwindung großer Schwie­rigkeiten an. Kannst du mir folgen, meine Liebe?"

Frau Willi kann. ,,Allerdings - ", fährt Henriette

fort, „begreife ich nicht ganz, was der Abgrund bedeuten soll, über dem ich schwebe - Abgründe sind nie gut! Und dann die Bären - das würde üble Nachrede bedeuten. Ja wirklich, ich begreife nicht!"

Aber nur zu bald wird ihr alles fürchterlich klar werden. Denn statt in seiner Konservenfabrik die Ad­diermaschine in Bewegung zu set­zen, kehrt Emil Wurstelbach zu völlig ungewohnter Stunde zurück.

Er strahlt. „Henriette", sagt er, „mein Traum geht in Erfüllung! Ich habe im Flugbüro nachgefragt und festgestellt, daß in der heutigen planmäßigen Maschine nach New York noch ein Platz für dich frei ist."

Henriette Pusterling starrt ihren Bruder entgeistert an. Ihre Lippen

beben: „Was - w-w-was soll das heißen?"

„Das soll heißen - ", erklärt Emil Wurstelbach männlich fest, ,,daß du noch heute nach New York zurück­kehrst, falls du es nicht vorziehen solltest, hier ein Hotel mit deiner Anwesenheit zu beehren. Ich jeden­falls will meine Ruhe haben! Ich pfeife auf deine Margarine-Dollars! Mein häuslicher Friede ist mir lie­ber! Ich habe es satt, jede Nacht etwas zu träumen. Ich will endlich wieder traumlos schlafen können. Ich habe es satt, meinem Ruin ent­gegenzutreiben, weil dein gesegne­ter Appetit mir die letzten Groschen aus dem Portemonnaie zieht! Werde selig mit deinen Dollars, liebe Hen­riette - wir werden es auf unsere Weise! Willi - hilf Henriette die Koffer packen!"

Dies wäre Emil Wurstelbachs Ver­wirklichung der im goldenen ägypti­schen, im großen arabischen und im vollständigen Zigeunerinnen-Traum­buch zusammengemixten Traumdeu­tungen.

Henriette Pusterling spricht kein Wort mehr. Sie hat genug von ihrem Bruder. Ihre letzten Worte sind: „Ich werde dich enterben!"

Dann rauscht sie mit einer Taxe davon.

Emil Wurstelbach aber sinkt sei­ner Willi gerührt in die Arme. Denn, so meint er, nun sei der häusliche Friede wieder hergestellt, und vielleicht habe Willi ganz recht gehabt: Das Schicksal hat ihnen nur zeigen wollen, daß sie ohne Reich­tum glücklicher sind als mit.

Drei ganze Tage lang ist der Fa­milie Wurstelbach ein ungestörter Frieden beschieden. Obwohl sie nun mehr sparen müssen als je zuvor in ihrem Leben, sind sie glücklich. Denn - sie haben ihre Ruhe wieder!

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Page 20: Wurstelbach in Schwulitäten

Romy legt aus lauter Begeisterung, daß Henriette Pusterling abgereist ist, ihr volles Monatsgehalt auf den Tisch, und Tüpfchen erklärt sich bereit, bei Lagerarbeiten im Buch­handel mitzuhelfen, um sich ein paar Mark zusätzlich für den Fa­milienunterhalt zu verdienen.

Stups aber setzt dem Familien­opfersinn die Krone auf, indem er sofort sein Segelflug-Hobby auf­gibt und sich bereit erklärt, in sei­ner Freizeit Nachhilfestunden zu geben.

Gerührt blickt Emil Wurstelbach auf seine tapferen Lieben.

,,Es geht nichts über eine Familie!" erklärt er tief ergriffen. „Vielleicht waren diese ganzen Vorkommnisse notwendig, um mich dies erkennen zu lassen!"

Die gute Stube wird wieder gute Stube, das halbierte Ehebett wird wieder ganz. Frau Willi braucht keine Sherrys, Grapefruits, keine hartgesottenen Eier und Steaks zu­sätzlich aus ihrer schmalen Haus­haltskasse zu bestreiten. Und - was das Wichtigste ist - kein Mensch braucht mehr zu träumen!

Aber nun geschieht das Seltsame, daß plötzlich die ganze Familie träumt. Entsetzliche, furchterregen­de Dinge! Wie zum Beispiel, daß Henriette Pusterling plötzlich doch zurückkehren werde . . . .

Außerdem wimmelt es in diesen Träumen von Symbolen. Von schrecklichen Symbolen, die er­neute Schwierigkeiten und unglaub­lich viel Unglück ankündigen.

Familie Wurstelbach ist ganz ver­stört. Was, so fragt man sich, kann nach all dem, was geschehen ist, n o c h geschehen, um den häuslichen Frieden zu gefährden?

Obwohl im Familienrat einstim­mig beschlossen wurde, die Traum­bücher zu vernichten, werden sie hoch und heilig gehalten, und Tüpf­chen verbringt die Abende damit,

die verschiedenen Träume der Fa­milie nach dem goldenen ägypti­schen, dem großen arabischen und dem vollständigen Zigeunerinnen-Traumbuch zu deuten.

Aber es kommt bei dieser ganzen Deuterei nichts Gutes heraus. Im Gegenteil: Entsetzliche Ereignisse kündigen sich an.

„Tante Henriette wird uns tatsäch­lich enterbt haben", stellt Frau Willi trübsinnig fest. „Das wird es sein."

„Natürlich hat sie uns enterbt", stimmt Emil Wurstelbach melan­cholisch zu. „Ich kenne Henriette doch. Aber, liebe Willi - wäre dir eine eventuell in Jahren erfolgende Erbschaft und ein Mann im Irren­haus lieber als keine Erbschaft und ein gesunder Mann?"

Auf diese Frage erübrigt sich eine Antwort.

Aber auch die Kinder sagen sich im stillen, daß die hochfliegenden Zukunftspläne zu Ende sind. Nie­mals werden Henriette Pusterlings Margarine-Dollars zur Familie Wur­stelbach rollen, sondern wahrschein­lich einem Institut für Traumdeu­tung zugeteilt werden.

Es ist sehr schmerzlich, wenn man heimliche Träume, wie die vom plötzlichen Reichtum, mit einem Male begraben muß. Niemand aber würde es wagen, Emil Wurstelbach auch nur den leisesten Vorwurf für sein Handeln zu machen. Denn sie sind alle erlöst, daß Henriette Pu­sterling europäischen Boden verlas­sen hat.

Emil Wurstelbach kann also mit tiefer Befriedigung feststellen, daß seine häusliche Autorität wieder hergestellt ist. Er hat gehandelt wie ein Mann!

Und überdies hat er die tiefschür­fende Erkenntnis gewonnen, daß Eintracht und häusliches Glück wichtiger sind als Dollars und Reichtum!

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Page 21: Wurstelbach in Schwulitäten

Aber der Friede, der dieser Er­kenntnis folgt, ist trügerisch - ­er wird jäh zerstört, sogar vernich­tet werden, und die tatsächlichen Geschehnisse werden alle düsteren Traumankündigungen noch weit übertreffen.

Es geschieht am vierten Tag nach Tante Henriettens überstürzter Ab­reise.

Müde sitzen sie um den runden Familientisch und verzehren mit mehr oder weniger Behagen Kraut und Kartoffel, ein Menü, das es in Zukunft sechsmal wöchentlich geben wird, bis die Finanzen der Wurstel­bachs wieder erholt sein werden. Dennoch sind sie alle sehr bemüht, die Kärglichkeit des Mahles mit frohen Reden zu würzen.

Es ist ein anstrengender Arbeits­tag gewesen, aber die Freude, Hen­riette Pusterling los zu sein, läßt sie die Müdigkeit fast vergessen.

Draußen fällt Schnee. Es ist kalt Im Ofen prasselt ein lustiges Feuer, und noch immer riecht es ein we­nig nach Tannenreis in der gemüt­lichen Stube.

Behaglich streckt Emil Wurstel­bach die Füße unter den Tisch, zün­det sich eine Zigarre an und ver­tieft sich in die neuesten Nachrich­ten. Stups verläßt die Tafel, denn er erwartet noch einen Nachhilfe­schüler für Mathematik. Romy zieht sich in ihr Zimmer zurück, um Mo­dellentwürfe zu zeichnen, für die sie von einer Frauenzeitschrift gut honoriert wird.

Tüpfchen hilft Frau Willi den Tisch abräumen und setzt sich dann gleichfalls in ihrem und Romys Zim­mer an die Arbeit - sie schreibt endlose Bestandslisten ab; das gibt auch wieder Geld.

Frau Willi beugt sich über einen

unheimlichen Flickkorb und sagt mit Tränen in den Augen: ,,Wir können stolz sein auf unsere Kin­der, Mile. Wie tapfer fügen sie sich in die augenblickliche Lage!"

„Es sind ja auch m e i n e Kinder", brummt Emil Wurstelbach hinter seiner Zeitung.

Frau Willi lächelt. Wenn die Kin­der etwas angestellt haben, dann waren es noch immer i h r e Kinder. Aber so sind Väter nun einmal. Frau Willi hat es längst aufgegeben, sich zu wundern.

Überdies liebt sie ihren Mile von ganzem Herzen; freilich ist es keine himmelstürmende Leidenschaft mehr wie damals in den ersten Jahren. Sie sind beide stiller geworden und auch ein wenig müde. Der Alltag verbraucht die Erlebnisfähigkeit. Aber dennoch sind sie sich herzlich und innig zugeneigt.

Frau Willi könnte sich ein Leben ohne ihren Mile - auch ein Leben in Glanz und Reichtum ohne ihn - einfach nicht vorstellen. Was würde ich mit Geld anfangen, denkt sie, während sie eine riesengroße Kartoffel am Sonntagssocken Emil Wurstelbachs kunstvoll zustopft, wenn ich Mile nicht mehr hätte? Nein, nein, da sind mir meine viele Arbeit und alle Sorgen lieber!

Und Emil Wurstelbach denkt im gleichen Augenblick hinter seiner Zeitung: So schön es ja wäre, wenn man einen vollen Geldsack hätte, - meine Willi gäbe ich für alles Geld der Welt nicht her!

Womit eigentlich alles in bester Butter wäre, das heißt: Augenblick­lich kocht Frau Willi mit Marga­rine . . . .

Böse Ereignisse im Hause Wur­stelbach pflegen sich durch schril­les Läuten anzuzeigen, sei es nun das Läutewerk eines Weckers oder der Flurklingel.

Zur Abwechslung ist es dieses Mal wieder die Flurglocke, die schrillt

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,, Es wird der Nachhilfeschüler von Stups sein", sagt Frau Willi.

„Der ist schon gekommen, als du noch in der Küche warst", sagt Emil Wurstelbach und steht auf.

Die Klingel schrillt schon wieder. Männlich festen Schrittes geht

Emil zur Tür, entschlossen, jede er­neute Gefahr, gleich, aus welcher Richtung sie kommen möge, von seiner Familie fernzuhalten.

Aber von der Tür steht nur ein Postbote. „Telegramm", sagt er la­konisch und streckt Emil Wurstel­bach das gelbliche Kuvert entgegen.

„Danke", sagt Emil. Er steht wie vom Donner gerührt. Bis er sich von seiner Verblüffung erholt hat, ist der Telegrammbote bereits ver­schwunden.

Langsam geht Emil Wurstelbach in die Wohnstube zurück. Er trägt das Telegramm zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, als könne er eine ansteckende Krankheit davon erben.

„Was war es, Mile?" fragt Frau Willi angstvoll.

„Ein Telegramm!" Langsam öffnet Emil das Kuvert

und starrt auf den Inhalt des Ka­bels. Er traut seinen Augen nicht; sie werden immer größer, während er liest, und drohen herauszufallen:

„henriette pusterling durch tragischen Unglücksfall bei ankunft in new york plötz­lich verstorben - dick sher­man rechtsanwalt und notar"

„Um Gottes willen!" flüstert Emil Wurstelbach. „Sie wird gleich kom­men - - "

Jetzt stürzt sich auch Frau Willi auf das Telegramm.

Henriette Pusterling, der Schrek­ken der Familie, sollte - einem tra­gischen Unglücksfall zum Opfer ge­fallen sein? Sie können es fast nicht glauben. Sie befürchten das Schlimmste - nämlich, daß Henri­

ette alsbald wie eine Erscheinung unter dem Rahmen der Tür stehen könnte.

„Es wird wohl wieder ein Test sein - - " flüsterte Emil tonlos. „Um Himmels willen, was hast du geträumt, Willi?"

„Ich weiß es nicht mehr", gibt Frau Willi ebenso kraft- und tonlos zurück.

Gebrochen sinkt Emil Wurstel­bach in seinen Sorgensessel. Der Angstschweiß steht ihm auf der Stirn. Im Tiefsten seines Herzens ist er durchdrungen von dem Glau­ben, daß die fürchterliche Tante jede Minute erscheinen muß.

„Was werden nur die Kinder da­zu sagen?" stöhnt Frau Willi bleich.

„Ich lasse sie nicht herein!" er­klärt Emil Wurstelbach düster. „Ich schwöre es dir, Willi! Henriette ist meine einzige Schwester, und ich wünsche ihr ein langes Leben, aber ich lasse meine Familienangehöri­gen nicht als Versuchskaninchen für Traum-Tests martern! Einmal war ich schwach genug, im Gedan­ken an die zu erwartende Erbschaft alles zu erdulden. Ein zweites Mal werde ich den Mut, die Kraft und die Stärke haben, ohne Rücksicht auf Verluste den Frieden meines Heimes zu schützen!"

Und während er das sagt, wirkt Emil Wurstelbach wie ein Held. ­Dann sitzen sich Frau Willi und Emil stumm gegenüber und harren der Dinge, die da kommen werden.

Aber es bleibt alles still. Keine Klingel schrillt. Keine Tante Henri­ette kommt!

Weder Frau Willi noch Emil wa­gen es, den Kindern die Hiobsbot­schaft mitzuteilen. Dazu würde es immer noch Zeit sein, wenn Henri­ette erst da wäre - ­

Aber Henriette Pusterling kommt nicht!

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Sie kann auch nicht kommen; denn sie ist wirklich tot .

Obwohl sie sich in ihrem letzten Traum, den sie träumte, selbst im Sarge liegen sah, was nach dem goldenen ägyptischen Traumbuch viel Glück bis ins hohe Alter, nach dem großen arabischen Traumbuch ein langes Leben und nach dem voll­ständigen Zugeunerinnen -Traum­buch sogar ein besonders langes Leben bedeutet - sie ist tot.

Als sie bei ihrer Ankunft in New York ein Taxi bestieg, um sofort zu ihrem Rechtsanwalt Dick Sherman zu fahren und das Testament zu­gunsten der Familie Wurstelbach für null und nichtig zu erklären, rutschte sie auf der berühmten Apfelsinenschale aus und stürzte so unglücklich, daß sie nicht mehr da­zu kam, ihr Testament abzuändern.

Das Schicksal geht seltsame Wege. Wie kann der Rechtsanwalt und

Notar Dick Sherman wissen, daß seine langjährige Mandantin auf dem Weg zu ihm war, um ihre un­dankbaren Verwandten in Deutsch­land total zu enterben? Auch ein Rechtsanwalt und Notar ist nicht allwissend! So kommt es, daß be­reits alles in die Wege geleitet ist, um Familie Wurstelbach in Deutsch­in den Genuß der Erbschaft zu set­zen, während diese Familie noch angsterfüllt auf das Erscheinen von Henriette Pusterling wartet.

Um den runden Eßtisch in der gu­ten Stube sind sie fröstelnd ver­sammelt, denn das Feuer haben sie vor Entsetzen ausgehen lassen: Frau Willi und Emil, Tüpfchen, Ro­my und Stups.

Mitternacht ist lange schon vor­über. Und noch immer tut sich nichts!

„Vielleicht - ist sie tatsächlich - - ?" wagt Stups zu bemerken; aber ein entrüsteter Blick des Fa­milienoberhauptes bringt ihn zum Schweigen.

Es schlägt eins. Und zwei. Tüpf­chen und Stups fallen die Augen zu vor Müdigkeit

Um drei Uhr beschließt Emil Wurstelbach, die Sitzung aufzu­heben. Vorsichtshalber klettert er auf einen Küchenstuhl und stopft einen grünen Wollsocken in die Türklingel, um gegen alle Eventua­litäten gesichert zu sein.

Allerdings kippt der Küchenstuhl, und Emil Wurstelbach landet un­sanft auf der buntgeblümten Stra­gulawiese des Flurbelags.

Aber eines steht fest: In dieser Nacht werden sämtliche Wurstel­bacher von fürchterlichen Schauer­träumen gepeinigt. Vor allem Emil, das Familienoberhaupt, fährt mehr­fach angstgefoltert aus den Kissen und fragt mit schreckentstellter Stimme: „Willi!! Hat eben nicht die Flurklingel - - ?"

Es ist an einem Frühlingstag in Nizza, als ein Mercedes 300 mit deutschem Nummernschild vor­nehm-lässig über die Promenade des Anglais gleitet.

Ein sanfter Wind streift durch die Palmen, und die Rivierasonne taucht die Stadt an der Engelsbucht in ein märchenhaft goldenes Licht.

Azurblau wölbt sich der Himmel über Nizza. Malerisch duckt sich die enge Altstadt zwischen dem Wild­bach Paillon und dem Schloßberg, dessen Ruine hoch aufragt.

Dem Strand zu dämmert der Jar­dín du Roi Albert. Von den Hängen der nahen Hügel herab träumen prachtvolle Villen, und auf dem Boulevard Gambetta herrscht ein buntes, lärmendes Leben und Trei­ben.

In der Geschäftsstraße von Nizza, der Avenue de la Voctoire, flanie­ren erste superelegante Saisongäste.

Der Mercedes 300 hält mit sanf­

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tem Schwung vor dem fürstlichen Portal des Hotelpalastes Bellevue auf der Promenade des Anglais. Ein Piccolo stürzt aus dem Portal und auf den Wagen zu; er reißt den Schlag auf.

Der Herr, der mit Grandezza dem Mercedes entsteigt, ist jeder Zoll ­e i n B a r o n !

Er wirft dem Piccolo ein Trinkgeld zu und setzt betont langsam die glä­serne Schwingtür des Hotelpalastes in Bewegung - ein Mann, der sehr viel Zeit hat und dem es auf etliche Hundertmarkscheine nicht ankommt.

Lässig nimmt er die elegante Son­nenbrille ab. Sein Anzug kommt aus einem erstklassigen Maßatelier, das sieht man auf den flüchtigsten Blick. Er ist überhaupt mit ausge­wählter und dezenter Eleganz ge­kleidet, dieser Herr.

„Herr Baron von Wuttelsbach", verbeugt sich der Empfangschef sehr tief. „Wir haben den Herrn Baron bereits erwartet. Das Appar­tement ist reserviert. Haben der Herr Baron eine gute Reise gehabt?"

Der Herr Baron dankt. Ein loyales Lächeln im markanten Gesicht, nimmt er die Schlüssel seines Ap­partements in Empfang.

„Wir hoffen, daß Herr Baron sich in unserem Hause wohlfühlen wer­den!"

Der Baron ist zwar außerordent­lich beeindruckt von der überwälti­genden Eleganz der Hotelhalle, aber er hofft seinerseits das gleiche.

„Haben Herr Baron besondere Wünsche?"

Herr Baron hat keine. Wenigstens im Augenblick noch nicht.

Die erste Schrecksekunde ist überstanden. Und der Herr Baron Mil von Wuttelsbach s c h r e i t e t lässi dem Lift zu, gefolgt von zwei goldbetreßten Pagen.

In einer der Stahlrohrwippen lehnt eine Dame und blättert gelangweilt in einer französischen Illustrierten.

Sie wirft Herrn Baron von Wuttels­bach einen aufreizenden Blick nach. Das ist ein Mann - - mon Dieu! ­wie aus dem Modemagazin ge­schnitten; jeder Zoll ein Aristokrat und Gentleman!

Die Dame lächelt träumerisch und nimmt ihre Illustrierte wieder auf. Sie nennt sich Kim Howard und ist eine blendende Erscheinung: kna­benhaft schlank und doch betont fraulich.

Die dunklen Haare trägt sie á la Audrey Hepburn und den Mund á la Marylin Monroe. Der Neid muß ihr lassen, daß ihr diese Kombina­tion ausgezeichnet steht.

Kim Howard trägt mit Vorliebe grellfarbene, knallende Pullis und schmale Kniehosen.

Wuttelsbach - denkt sie - war der Name nicht so? Baron von Wuttelsbach; klingt so nach Wit­telsbach, wie? Auf jeden Fall: un­erhört vornehm und exklusiv!

Unterdessen steht der Träger die­ses Namens in seinem Appartement wie ein Mann, dem eine solche luxuriöse Umgebung eine glatte Selbstverständlichkeit ist, und be­obachtet gelangweilt die Pagen, die dienstfertig sein Gepäck anschlep­pen.

Dann zündet er sich nonchalant eine Zigarette an, die er einem gol­denen Etui entnimmt und mit einem goldenen Feuerzeug in Brand setzt. Genüßlich bläst er den Rauch in die Luft.

„Haben der Herr Baron sonst noch Wünsche?" dienert der Page.

„Danke! Im Augenblick nicht." Herr Baron Mil von Wuttelsbach

ist allein. Aufatmend läßt sich Emil Wurstelbach in einen der tiefen Sessel gleiten und wischt sich mit einem cremefarbenen Taschentuch über die Stirn.

Dann sieht er sich mit glänzenden Augen um. Ja, das ist Luxus! Weiß der Teufel! So - genau so und kein

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Haar anders hat er sich das alles vorgestellt.

Hier also lebt die „große Welt". Ein verdammt vornehmer Laden.

Langsam steht er auf und tritt auf die Veranda.

Als gehöre ihm die Welt, so liegt Nizza, oder doch die Promenade des Anglais zu seinen Füßen. Und jen­seits der Promenade, deren Palmen sich malerisch in das Bild fügen, blaut das Meer.

Emil Wurstelbach - pardon! Ba­ron Mil von Wuttelsbach ist über­wältigt; einfach hingerissen. Flüch­tig denkt er an Frau Willi, an Ro­my, Tüpfchen und Stups. Aber wirklich, nur - flüchtig!

Trotzdem kann er ein leises, zie­hendes Gefühl nicht verhindern, das sein Herz seltsam berührt.

Hah! Das wäre ja gelacht! Er hat doch nicht etwa - Heimweh?

Freilich, der Abschied war etwas turbulent gewesen. Und dann vor­her die Geschichte mit dem Führer­schein. Beinahe hätte er während der Fahrprüfung versagt. Na, noch mal Glück gehabt! Man kann doch als halber Millionär von Henriette Pusterlings Gnaden nicht als schä­biger Fußgänger durch die Straßen kreuzen.

Aber auch Autofahren will ge­lernt sein. Und nicht einmal ein Mercedes 300 SL steuert sich von selbst.

Ja, also dieser turbulente Ab­schied . . .

Frau Willis entsetzte, weitaufge­rissene Augen verfolgen ihn ein bißchen, und ihr zitterndes Stimm­chen kann er auch nicht auslöschen aus seinem Herzen: „Ja, - nimmst du mich denn nicht mit, Mile?"

Eine alberne Frage! Und über­haupt: ,Mile'! Einfach unpassend.

Tüpfchen hatte völlig überflüssi­gerweise geweint, und Romy be­merkte: „Geld verdirbt den Charak­ter! Ich habe es ja immer gesagt.

Glückliche Reise!" Und Stups hatte den Kopf geschüttelt, als wollte er sagen: „Sowas hätte ich dem Alten im Leben nicht zugetraut!"

Aber, lieber Himmel - so fragt Mil von Wuttelsbach, - man kann seine Familie doch nicht immer und ewig hinter sich herschleppen! Ein­mal „Ferien vom Ich" stehen doch wohl jedem Menschen zu.

Wenn Baron Mil von Wuttelsbach wüßte, was ihm alles in seinen „Fe­rien vom Ich" bevorsteht, er würde vermutlich sofort zurückfahren zu seiner Familie, die er so schmählich zu verlassen beliebte.

Vorläufig freilich - ist der Herr Baron noch im Glück. Er wandelt in das violett gekachelte Badezim­mer. Wie ein Junge spielt er an der Brause und beschließt, sich zu­nächst ein Bad bereiten zu lassen.

Deshalb setzt er einen der zahl­reichen grünen Knöpfe auf weißer Schalttafel in Bewegung, und sofort erscheint ein blitzschönes Mädchen in schwarzem Kleid mit weißem Häubchen.

Donnerwetter! Wenn hier schon die Stubenmädchen so hübsch sind, wie mögen da erst - - ?

Emil Wurstelbach hat, es muß lei­der gesagt werden, offensichtlich Abgründe in seinem Seelenleben, von denen er bisher nicht einmal selbst etwas ahnt.

„Herr Baron befehlen?" fragt das blitzhübsche Mädchen.

Herr Baron befehlen selbstver­ständlich nicht, sondern ,wünschen' allerhöchstens ein Bad.

Wieder fällt ihm Willi ein, die Gute. Was war das nur für ein Theater im vergangenen Winter, als bei der Eiseskälte die Wasser­rohre platzten und Willi das Was­ser eimerweise aus dem Keller her­aufholen mußte, damit ihr Mile nicht auf sein Bad zu verzichten brauchte! Was würde Willi wohl

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dazu sagen, wenn sie ihn hier so sehen könnte!

Ach, zum Kuckuck mit Willi! Kuckuck! Wie war das doch mit

dem Gerichtsvollzieher? Schwamm drüber! befiehlt sich Emil Wurstel­bach.

Und der Herr Baron begibt sich hoheitsvoll in den lilagekachelten Baderaum, so, als habe er sein gan­zes Leben noch nie anders als in lila Kacheln gebadet.

Eigentlich, stellt er bei sich fest, ist es lächerlich einfach, vornehm zu sein - wenn man über das not­wendige Kleingeld verfügt. Nie­mand in diesem eleganten Hotelpa­last würde es wagen, seine Persön­lichkeit anzuzweifeln oder gar den ehemaligen Angestellten einer Kon­servenfabrik in ihm vermuten.

Das war übrigens ein Spaß, als er dem Chef kühl und freundlich er­klärte, daß er auf sämtliche Konser­ven pfeife - hahaha!

Herr Prokurist Maier hatte seinen Zwicker gerückt und ihn höflich ge­fragt, ob er vielleicht den Verstand verloren habe? Oh nein! Den Ver­stand nicht! Aber eine einzige, dol­larschwere Schwester namens Hen­riette Pusterling, deren Eustachius selig so liebenswürdig war, durch Margarine ein immenses Vermögen zu erwerben und dann zu sterben.

Hocherhobenen Hauptes verließ Emil Wurstelbach den fassungs­losen Prokuristen, der ihm entgei­stert nachstarrte, und begab sich in ein Herrenmaßatelier, aus welchem er verwandelt wieder herauskam.

Aus dem ehemaligen Angestell­ten einer Konservenfabrik, Emil Wurstelbach, war ein Mann gewor­den, ein H e r r , der es sich durch­aus leisten konnte, eigenmächtig den Namen Mil von Wuttelsbach anzunehmen, sich das Adelsprädi­kat eines Barons zuzulegen und mit einem Mercedes 300 SL an die Ri­viera zu reisen.

Und da sitzt er nun in der lilage­kachelten Wanne des Bellevue und überlegt, was er dem Prokuristen n o c h alles hätte sagen können.

Doch: Vorhang über die Vergan­genheit - sagt sich Emil Wurstel­bach und dreht die Brause auf ­für einige glückliche Wochen nennt man sich ,Baron', lebt, jawohl, l e b t, und dann wird immer noch Zeit ge­nug sein, sich über die Zukunft den Kopf zu zerbrechen.

Den ganzen Tag verbringt der Herr Baron damit, sich für den Abend vorzubereiten - denn an diesem ersten Abend seines neuen Lebens will er selbstverständlich etwas erleben. Und er erlebt etwas!

Sternenhimmel über Nizza. Duft und Zauber einer blauen Nacht an der Riviera. Musik und Eleganz. Flimmernde Lichter auf der Prome­nade, Palmensilhouetten und mon­däne Frauen. - Herz, was begehrst du noch mehr, wenn der Geldbeu­tel voll ist?

Auf der Terrasse des Bellevue flackern malerische Windleuchten, und das Rauschen der Wellen klingt gedämpft in die zärtlichen Weisen einer dezenten Kapelle.

Herr Baron Mil von Wuttelsbach nimmt einen Cocktail auf der Ter­rasse. Und bei diesem Cocktail trifft er Kim Howard; ganz zufällig, versteht sich, denn die Dame Kim kann solche „zufälligen Begegnun­gen" meisterhaft inszenieren.

Donnerwetter, denkt der Herr Ba­ron, das ist eine Frau - sowas kennt man nur aus den Illustrier­ten!

Kim Howard trägt ein hautenges Cocktailkleid aus schlangengrünem Taftsatin, das die Umrisse ihrer zweifellos hübschen Figur glücklich betont Zwei runde Brillantohrringe

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fesseln vor allem die Aufmerksam­keit des Herrn Barons.

Qh, die Dame Kim macht es ihm leicht! Sie verwickelt den Herrn Baron sofort in ein interessantes Gespräch über die neuesten Skan­dälcben der Riviera; klangvolle Na­men fallen, bei deren Nennung sich der Herr Baron von Wuttelsbach in die Brust wirft.

Kims Deutsch ist nicht fehlerfrei, oft leistet sie sich kleine, entzük­kende Schnitzer; der amerikanisch­gutturale Akzent steht ihrer dunk­len, fast ein wenig heiseren Stimme bezaubernd. Der Herr Baron sind hingerissen.

„Und wie lange gedenken Sie in Nizza zu bleiben, Baron?" fragt Kim betörend.

,,Oh -", der Herr Baron macht die Miene eines schwer beschäftig­ten Mannes, der sich kaum von sei­nen Geschäften losreißen kann, und erklärt: „Das kommt ganz darauf an, wie ich mich amüsiere!"

Kim lacht aufreizend dunkel: „Es kann nicht sein schwer für eine Mann wie Sie, Baron, sich in Nizza zu amüsieren."

Wieder wirft sich der Herr Baron in die Brust. Das will er wohl mei­nen - mit seiner Brieftasche! Aber darüber spricht ein feiner Mann natürlich nicht.

Kaviar und Sekt rollen an - ge­nau so, wie es Emil Wurstelbach immer neiderfüllt in den Stories der Magazine gelesen hat.

Was wohl Tüpfchen für Augen machen würde, denkt er, während er den Kelch zum Munde führt. Was für ein Glück, daß er ihr unauffällig den „Knigge von heute" entwendet hat. Schließlich gibt es da immer Zweifelsfragen, deren Beantwortung man besser schwarz auf weiß besitzt und also getrost an die Riviera tra­gen kann.

Tüpfchen! In die Hölle mit Tüpf­chen!

„Sie natürlich waren schon öfter an der Riviera?" erkundigt sich Kim.

„Oh ja - ja - natürlich", bestä­tigt der Herr Baron und leert sein Glas in einem Zug. Mit dem Finger auf der Landkarte war Emil Wur­stelbach schon verschiedentlich an der Riviera, Aber so genau will das die reizende Kim gar nicht wissen.

„Wo schon überall?" fragt sie. Der Herr Baron macht eine weit­

ausgreifende Handbewegung. Und Kim nickt verständnisvoll: „Ich weiß! Weitgereiste Mann wie Sie."

„Eben, eben!" bestätigt der Herr Baron geschmeichelt.

„Und was machen Sie, wenn Sie nicht sind auf Reisen'?"

Der Herr Baron murmelt etwas von einer Konservenfabrik - wo­mit er nicht einmal die Unwahrheit sagt, nicht wahr?

Kim Howard aber ist beruhigt. Es muß gesagt sein: Ihrem ge­

schulten Auge entgeht es keines­wegs, daß dieser Baron von Wut­telsbach trotz seines fabelhaften Aussehens und seines weltmänni­schen Gehabens im Grunde ein äu­ßerst biederer Zeitgenosse ist. Aber das kann ihr persönlich nur recht sein.

„Und Ihre family?" forscht sie mit einem verführerischen Blick aus den Augenwinkeln.

Emil Wurstelbach zuckt zusam­men. „Keine fämili - ", stammelt er und ist sehr bemüht, sein Schuleng­lisch aus der hintersten Gehirn­schublade zu kramen. „Oh - ich ­ich - - Wie kommen Sie eigent­lich darauf, daß ich fämili haben könnte?"

Wieder lacht Kim dunkel und auf­reizend: „Eine Mann wie Sie, Ba­ron, hat immer family."

„Nein!" erklärt der Herr Baron kategorisch. „Ich habe keine fämili. Ich bin alleinstehend und unabhän­gig. Ich bitte Sie, man wird sich

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doch nicht einen solchen Ballast an den Hals hängen, wenn - wenn man - hm - sozusagen im besten Alter ist!"

„Meistens - ", meint Kim Howard,, und ihr Deutsch klingt plötzlich ganz natürlich, „hängt man sich den Bal­last an den Hals, ehe man ins beste Alter kommt."

Dieser Bemerkung kann Emil Wur­stelbach im stillen nur zustimmen.

Schuldbewußt senkt der Herr Ba­ron das Haupt. Vor seinem geisti­gen Auge erscheint Frau Willis wehes Gesichtchen, erscheint Tüpf­chens Tränenstrom, Romys überle­gen-spöttisches Lächeln und Stups' Kopfschütteln.

Darum bestellt er noch eine Fla­sche Sekt - nur vom teuersten, versteht sich! Man kann es sich ja leisten, oder wie? Es lebe Henriette Pusterling!

„Sorry -", reißt Kims heisere Stimme den Herrn Baron aus seinen Träumen. „Wie sein das mit die Konserven?"

„Sörri -", erklärt der Herr Baron seinerseits. „Aber ehrlich gestan­den: Im Urlaub habe ich nicht gern mit Konserven zu tun!"

Seine Zunge ist schon ein wenig schwer, und seine Augen gleiten mit unverhüllter Bewunderung über Kim Howards rassige Erscheinung.

Sie trinken sich zu . . . Dann neigt sich der Herr Baron

mit der Grandezza eines Porfirio Rubirosa über Kims Hände. Mit einem kleinen Lächeln läßt sie es geschehen.

„Wenn es Ihnen wird sein okay, Baron - ", sagt sie und blitzt ihn unmißverständlich an, „ich will Ihnen zeigen der Riviera - sie hat viele Gesichter, dieser Riviera ­jedesmal man erlebt alles neu - ja? Waren Sie schon in Monaco?"

Nein, in Monaco war der Herr Baron noch nicht. Zeitmangel. Time is money.

Der Herr Baron spricht es sogar aus: „Taim is monni!" Wofür die Dame Kim volles Verständnis ha t .

Nun aber will der Herr Baron seinerseits etwas über die Dame Kim wissen. Ihr Antlitz verschleiert sich allsogleich, und ihre Stimme taucht noch ein wenig tiefer in Moll, als sie ihm erzählt - wahr­lich, eine traurige Geschichte!

Eine glühend leidenschaftliche Liebe in der Blüte taufrischer Mäd­chentage spielt eine große Rolle darin, ein brutaler Mann, der sie rasend betrog, und schließlich eine eklatante Scheidung. „And now", schließt Kim, „bin ich gekommen zu die Riviera, um zu suchen Verges­sen."

Ihre beryllschimmernden Augen sind tränenfeucht.

Jawohl - das war die richtige Platte. Denn der Herr Baron Mil von Wuttelsbach ist hingerissen und hergezerrt. Und der brave Emil Wurstelbach schwört sich, dieser armen, gequälten Frau beizustehen auf ihrer Suche nach dem Vergessen.

Die diskrete Kapelle spielt einen noch diskreteren Tango, unter des­sen einschmeichelnden Klängen Kim und Mil - es muß gesagt sein: Sie nennen sich bereits beim Vorna­men - unter dem Sternenhimmel von Nizza berauschende Pläne für die kommenden Wochen schmieden.

Übrigens spielt Monte Carlo eine sehr bedeutende Rolle in diesen Plänen . . .

Als der Herr Baron zu später oder besser früher Stunde mit leicht schwankenden Knien und wohlig verwirrten Gedanken sein Apparte­ment aufsucht, stellt er mit einem wenig intelligenten Lächeln fest, daß die Zeche dieses sektbeschwing­ten Abends das einstige Gehalt des Emil Wurstelbach um ein Beträcht­liches überstiegen hat.

Dafür hätte ich Willi einen Staub­sauger kaufen können - ist sein

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letzter Gedanke, ehe er sanft und selig entschlummert.

Frau Willi Wurstelbach schneidet Zwiebelchen klein, übergießt sorg­fältig den Braten, schiebt ihn in den Ofen, setzt sich an den Küchentisch und - weint.

Seit ihr Mile gegangen ist und kein Mensch weiß, wo er ist, weint sie nur noch: morgens, mittags, abends und nachts. Zwischendurch erledigt sie gewissenhaft ihre Hausarbeit; denn die Kinder dürfen natürlich nicht unter ihrem Kummer leiden.

Ach ja! Frau Willis Herz ist bit­ter schwer. Nie, in ihrem ganzen Leben, nie wird sie es verwinden, können, daß ihr Mile ohne sie fort­gefahren ist in die weite Welt.

Und noch nicht einmal eine Nach­richt über seinen Verbleib gibt er den trauernden Hinterbliebenen!

War sie ihm nicht immer eine treusorgende und liebevoll ver­stehende Gefährtin? Hat sie ihm nicht drei gesunde Kinder geboren und aufopfernd nächtelang Kamil­lendämpfe gemacht, wenn er es an den Bronchien hatte?

Herzzerreißend schluchzt Frau Willi auf. Sie weiß doch, wie un­achtsam Mile ist. Ganz gewiß hat er wieder die schönste Bronchitis, und niemand ist bei ihm, der ihm Ka­millendämpfe macht und den Inha­lierapparat richtet.

Ein Leben lang hat sie immer nur an ihren Mile gedacht - - nur an ihn - - und jetzt hat er sie einfach allein gelassen - ­

Oh, diese fürchterliche Tante Hen­riette Pusterling hat nur Verwir­rung, Leid und Kummer in das fried­volle Leben der Familie Wurstel­bach gebracht!

In der Wohnstube deckt Tüpfchen mit verweinten Augen den Tisch; sie erträgt es einfach nicht, daß die

Mutter so leidet. Mißmutig bastelt Stups an seinem Segelflugzeug, und beide atmen erleichtert auf, Stups und Tüpfchen, als Romy eintritt.

Romy trägt eine entzückende Kom­bination aus reiner Seide mit tin­tenblau schattierten Dessins auf eierschalenfarbigem Grund. Es ist ein nachmittägliches Complet von zugleich damenhafter und kindlicher Grazie.

Mit einem Schwung wirft Romy ihre Kollegtasche auf den Tisch und erklärt kategorisch: ,,So geht das nicht weiter! Jetzt ist er schon ge­schlagene vierzehn Tage weg und hat noch keine Nachricht gegeben."

Tüpfchen weint herzzerreißend: „Und seinen Inhalierapparat hat er auch vergessen!"

Ein vernichtender Blick Romys trifft die Schwester: „Der inhaliert schon!" sagt Romy ungerührt. ,,Es fragt sich nur - mit w a s ! "

„Na ja - ", mischt sich Stups ein. „Ich kann es schon verstehen, daß er mal raus will. Aber wo er ist, das könnte er uns doch wenig­stens schreiben. Schließlich hat der Mann ja Familie!"

„Und ich habe so entsetzlich ge­träumt", gesteht Tüpfchen angst­voll. „Von lauter - - "

„Hör auf!" sagt Romy böse. „Nichts über Tante Henriette! Sie ruhe in Frieden, denn wir verdanken ihr viel. Aber von Träumen habe ich ein für allemal genug in meinem Leben! Ich will euch mal was sagen: Ganz erbärmliche Jammerlappen seid ihr! Wer hat nun eigentlich Tante Henriettens Margarinedollars geerbt - nur Vater - - oder wiir alle?"

„Wir alle!" antworten Stups-und Tüpfchen wie aus einem Munde. „Schön!" verkündet Romy. „Und

was tun wir wackeren Erben? Da­sitzen und jammern! Mami weint sich die Augen rot, Tüpfchen weint nächtelang, und - na, von dir rede

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ich gar nicht, Stups! Ich aber - Ich habe gehandelt! Wie sieht unser leben denn aus? Na? Kein bißchen anders als früher. Ich renne in mein Schneideratelier, Tüpfchen in ihren Buchladen - und du mußt ja ohne­hin zum Technikum, Stups. Nun ­sei es, wie es sei: Ich habe gekün­digt!"

„ W a a a a s ?' ' Entgeistert starren Tüpfchen und Stups die unterneh­mungslustige Schwester an.

„Jawohl!" antwortet Romy sehr entschieden. „Wenn unser Vater schon ein pflichtvergessenes Leben führt und sich nicht um seine Fa­milie kümmert, so sehe ich nicht ein, daß wir in einer Ecke hocken und Trübsal blasen! Wie gesagt: Ich habe gehandelt! Und - - - "

Große Pause, - erwartungsvolle Stille.

Dann Romy: „ I c h w e i ß a u c h , w o e r i s t ! "

Triumphierend blickt sie auf die fassungslosen Geschwister.

„Ja, aber - ", will Tüpfchen klein­laut wissen, „woher hast du das denn erfahren?"

„Von einem - ", Romy verschluckt sich etwas, aber dann fährt sie fort: „Von einem Detektiv! Noch nie et­was von Detektiven gehört? Unser Vater nennt sich Baron Mil von Wuttelsbach und lebt auf großem Fuße im Hotel Bellevue auf der Promenade des Anglais in Nizza!"

Tüpfchen fällt ein Teller aus der Hand, daß er an der Erde klirrend zerspringt.

„Deshalb brauchst du nicht gleich das Geschirr zu zertöppern", stellt Romy ungerührt fest und zündet sich eine Zigarette an, „Vater ist offenbar imstande, den allergrößten Blödsinn zu machen, wenn wir ihm nicht auf die Finger gucken!"

Stups läßt sogar sein Segelflugzeug im Stich: „Ja - aber - - ", erkun­digt er sich vorsichtig, „wie sollen wir das denn machen?"

Ein geringschätziger Blick Romys trifft ihn: „Natürlich - ", erklärt sie salbungsvoll, „muß ich für euch alle denken. Das ist mir schon eine ganze Weile klar. Hört also her: Erstens habe ich Vater den - eh ­Detektiv nachgeschickt, einen sehr netten jungen Mann übrigens; und zweitens h a b e i c h e i n e n P l a n ! "

„Na, schieß schon los!" drängt Stups. „Mach's nicht so spannend!"

„Also - ", beginnt Romy, „Eile tut not!"

„Das wissen wir selber", bemerkt Tüpfchen.

„Bitte - ", Romy schnippt die Asche ihrer Zigarette ab, „dann brauche ich es ja auch nicht zu sagen."

Besänftigend legt Tüpfchen ihren Arm um Romys Schulter: „Also - ?"

„Also: Wie denkt ihr euch eure Zukunft?"

„Frauen sind unausstehlich!" stellt Stups fest. „Das weißt du doch ge­nau so gut wie wir. Was hat denn das mit Vater im Bellevue in Nizza zu tun?"

„Sehr viel! Wenn wir nämlich nicht etwas unternehmen, ist das Geld zum Teufel, ehe wir für un­sere Zukunft gesorgt haben."

Romy denkt wirklich an alles. Von der Seite haben sie die Ge­schichte noch gar nicht betrachtet. Man muß es ihr schon lassen, sie ist die Vernünftigste und Praktisch­ste von der ganzen Familie.

„Ist es euch schon aufgefallen", fährt Romy fort, „daß Mami sich noch nicht einmal ein Paar neue Strümpfe gekauft hat seit der Erb­schaft? Und daß sie immer noch in ihrem schäbigen Mäntelchen aus dem vorigen Jahr umherläuft?"

Es stimmt! Romy hat recht! Aber es ist auch alles so plötzlich gekom­men!"

„Jetzt aber - ", verkündet Romy mit Pathos, „werden wir handeln! Wißt ihr, was Vater tut? Er char­

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miert in Nizza mit einer Dame na­mens Kim Howard!"

Es ist wirklich erstaunlich, was Romy alles festgestellt hat; ihr De­tektiv schein ein sehr tüchtiger jun­ger Mann zu sein.

,,Er besucht das Spielkasino von Monte Carlo", fährt Romy fort. „Seine tägliche Zeche übersteigt sein früheres Monatsgehalt ganz erheblich. Und wenn wir nicht han­deln, läßt er sich eines schönen Tages noch scheiden, so wahr ich Romy Wurstelbach heiße und ihr Tranmützen seid!"

„Hat der Mensch denn gar keine Moral?" entrüstet sich Stups.

Tüpfchen ist einfach fassungslos. „Ich habe so etwas Ähnliches schon mal in einem Film gesehen", erklärt sie aufgeregt und verstört.

„Also -", stellt Romy die Ver­trauensfrage, „seid ihr einverstan­den, daß wir handeln?"

Sie sind es. Aber: w i e ? Und was noch erheblich schwieriger ist: Wie bringen sie es Frau Willi bei?

„Das übernehme ich", erklärt Ro­my. „Und nun paßt gut auf, was ich mir ausgedacht habe. Der Plan m u ß glücken, oder wir sind in spä­testens einem Jahr ruiniert und ­haben einen Vater gehabt!"

So einfach, wie es sich Romy ge­dacht hat, ist es freilich nicht, Frau Willi den Tatbestand schonend bei­zubringen. Stups und Tüpfchen ha­bin sich diskret zurückgezogen, um am Schlüsselloch zu horchen und einzugreifen, wenn es notwendig werden sollte.

„Der Braten ist verbrannt", sagt Frau Willi in der Küche tief be­kümmert. „Es tut mir sehr leid, Romy."

„Schadet nichts, Mami", tröstet Romy. „Wir gehen eben einfach in ein Restaurant essen."

„In ein Restaurant?" fragt Frau Willi entsetzt. „Das kostet ja ein Vermögen!"

Romy schluckt und klärt ihre Mut­ter freundlich auf: „Nicht soviel wie ein Sektfrühstück im Hotel Bellevue in Nizza."

Frau Willis Augen werden rund. „Aber Kind", mahnt sie vorwurfs­voll. „Niemand denkt daran, im Hotel Bellevue in Nizza ein Sekt­frühstück - - "

„Mami", nimmt Romy einen er­neuten Anlauf, „wir wissen nicht, wo Papi ist, nicht wahr?"

„Nein!" Schon wieder füllen sich Frau Willis Augen mit heißen Trä­nen. „Diese Erbschaft hat nur Un­glück über uns gebracht. Und ich hatte diese Nacht einen entsetzlichen Traum. Tüpfchen muß nachher ein­mal im Traumbuch nachschlagen. Stell dir vor, da war eine Lokomo­tive - - "

„Eine Reise von goßer Bedeu­tung", unterbricht Romy. „Ich weiß es genau. Steht im goldenen ägyptischen. Mami - also wir wis­sen nicht, wo Papi ist?"

„Nein! Sicher ist er krank und kann uns keine Nachricht geben."

„Wärst du sehr beruhigt, Mami", erkundigt sich Romy mit der Diplo­matie eines Politikers im Auswärti­gen Dienst, „ich meine, würdest du dich sehr freuen, wenn du wüßtest, daß er - nicht krank ist?"

Frau Willis Augen leuchten sofort auf: „Ich wäre glücklich, Romy Und wie glücklich ich wäre - ich kann es dir gar nicht beschreiben! Ich mache mir entsetzliche Sorgen um Vater. Das viele Geld - nach­dem der Tototipp schiefgegangen war und die Erbschaft auch für end­gültig verloren schien - es ist alles so plötzlich gekommen. Er ist ganz kopflos geworden. Sogar seinen In­halierapparat hat er vergessen."

Romy schnappt nach Luft. „Also, Mami, ich kann dir die tröstliche

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Nachricht bringen, daß Papi nicht krank ist, sondern - sondern sich bester Gesundheit erfreut."

Man hört den Wackerstein förm­lich plumpsen, der Frau Willi vom Herzen rutscht. Ihr Mile - gesund! Und sie hat schon die fürchterlich­sten Versionen gehabt. Jede Nacht sieht sie ihn in einer anderen Ge­fahr. Kein Auge kann sie mehr schließen, ohne nicht von entsetz­lichen Angstträumen gefoltert zu werden.

Komisch - früher hat sie nie ge­träumt oder doch wenigstens nichts von Bedeutung! Aber seit Henriette Pusterling mit ihren Traumdeutun­gen die ganze Familie Wurstelbach durcheinander brachte, träumen sie alle.

„Kind", ruft Frau Willi selig, „weißt du es ganz genau, daß Vater gesund und munter ist?"

„Ganz gewiß, Mami!" „Und woher?" „Ja - also: nein", erklärt Romy

gedehnt, „krank ist er nicht! Ganz im Gegenteil! Es geht ihm sozusa­gen hervorragend in - in - Nizza - im Hotel Bellevue!"

Jetzt ist es heraus! Tüpfchen und Stups am Schlüsselloch halten den Atem an.

Frau Willi starrt ihre Tochter Ro­my zunächst an, als käme sie mit einer fliegenden Untertasse ins Zimmer gesegelt.

„In - wo?" fragt sie dann tonlos. „In Nizza!" antwortet Romy fest.

„In Nizza im Hotel Bellevue auf der Promenade des Anglais. - ­Mami, nicht weinen! Bitte, bitte nicht! Das kann ich nicht sehen! Bitte, hör zu weinen auf - hör mir lieber zu! Ich habe ja schon einen Plan! Einen ganz phantastischen Plan! Nein, es wird bestimmt noch alles gut! Du mußt aber tun, was ich dir sage!"

Frau Willi schluchzt fassungslos. Ihr Mile in Nizza! Während sie sich

zu Hause die Augen aus dem Kopf weint und sich schlaflos in den Kis­sen wälzt, weil sie glaubt, er liege irgendwo sterbenskrank - ist ihr Mile quietschvergnügt in Nizza!

Oh, diese Männer - - ! „Was - was werden nur die

Kinder dazu sagen?" stammelt sie unter heißen Tränen.

Die „Kinder" stehen am Schlüs­selloch und atmen auf.

„Hm - ", macht Romy. „Die Kin­der werden ihren Vater freundlich, aber nachdrücklich daran erinnern, daß er Familie hat. Du darfst es auch nicht schlimmer nehmen, als es ist, Mami. Wir werden das Kind schon schaukeln - vorausgesetzt, daß du mitmachst! Wir dürfen nur keine Zeit verlieren, hörst du? Eile tut not!"

Schluchzen. „Nun hör doch mit Weinen auf,

Mami! Was ist denn schon weiter dabei? Vater wollte sich eben die Welt einmal ein bißchen ansehen! Jeder Mann macht mal einen Blöd­sinn in seinem Leben, sonst ist er gar kein rechter Mann! Im Grunde ist Vati doch ein guter Kerl!"

Das Schluchzen bricht jäh ab. Durch allen Schmerz meldet sich Frau Willis Mutterherz, und sie er­kundigt sich mißtrauisch: „Woher weißt du eigentlich so genau über Männer Bescheid?"

„Ich?" Romy wirft den Kopf zu­rück. „Oh - ich habe allerlei dar­über gelesen."

Ehe sie eine weitere Erklärung abgeben kann, tanzen Tüpfchen und Stups mit einem wahren Indianer­geheul in die Küche: „Mami weint nicht mehr - hurraaaa! Mami weint nicht mehr!"

„Ja - aber - ", fragt Frau Willi und begreift noch immer nicht recht. „Woher wißt ihr eigentlich so ge­nau Bescheid, daß - ich - Vater ­ich fürchte - daß -"

„Es hat sich ausgefürchtet, Mami",

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erklärt Stups männlich. „Wir wer­den Papi sanft, aber„mit Sicherheit in den Schoß seiner Familie zurück­führen!"

Frau Willi wischt sich die Augen. Und Romy fragt praktisch: „Hast

du eine Bankvollmacht?" „Ja - ", zögert Frau Willi, „das

schon. Ja, doch. Vor seiner Ab­reise - - "

„Einen guten Kern hat er", ent­scheidet der Sohn.

„Kinder", empört sich Frau Willi, „wie sprecht ihr nur von eurem Vater?"

„Unser Vater", jubelte Tüpfchen, „wird uns kennenlernen! Von einer ganz neuen Seite! Hören und Sehen wird ihm vergeben und wahrschein­lich auch der Appetit auf diverse Sektfrühstücke!"

„Zunächst einmal, Mami", sagt Romy sanft, „gehen wir zur Bank und holen Geld. Das ist wichtig! Ohne Geld taugt die beste Idee nichts. Es lebe Tante Henriette! Und dann gehen wir in einen Modesalon und kleiden dich von Kopf bis Fuß neu ein, Mami. Du wirst dich selbst nicht mehr wiedererkennen. Und zwischendurch müssen wir natür­lich irgendwo etwas essen - - "

„Aber - ", jammert Frau Willi, „ihr müßt doch ins Geschäft, und überhaupt - "

„Und überhaupt", verkünden die jungen Wurstelbacher im Chor, „müssen wir zu allererst - die Fa­milie retten!"

Eines Morgens ist er plötzlich da. im Hotel Bellevue in Nizza. Er nennt sich Julius Pfifferlein und be­hauptet, Kriminalschriftsteller zu sein.

Er sieht gut aus, dieser Julius Pfifferlein, vor allem der Sportdreß kleidet ihn ausgezeichnet. Er ist ein

drahtiger Boy, nach dem sich die Frauen nur so die Köpfe verdrehen - und das will auf der Promenade des Anglais etwas heißen!

Erstaunlich ist an diesem Julius Pfifferlein der graumelierte Spitz­bart, der zwar sehr gepflegt und reif wirkt, aber irgendwie nicht zu dem jungenhaften Wesen seines Be­sitzers passen will. Indes, vielleicht verleiht gerade diese Zwiespältig­keit dem Julius Pfifferlein einen ge­wissen Zauber - ­

Offensichtlich sucht er Anschluß, denn bereits am Mittag seiner An­kunft sitzt er am Tisch des Herrn Barons Wuttelsbach, hochbegeistert, einen Landsmann gefunden zu ha­ben, und unterhält sich mit ihm an­geregt.

Er läßt sich auch nicht von sei­nem Platz vertreiben, als Kim ange­rauscht kommt. Dem Herrn Baron von Wuttelsbach bleibt nichts an­deres übrig, als ihn Kim vorzustel­len. Er tut es offensichtlich nicht gern - was Kim begreiflicherweise leicht verärgert.

Herr Pfifferlein aber doziert un­gestört weiter: „Es gibt da die toll­sten Dinge, Baron - Sie glauben es gar nicht! Man braucht nicht einmal sehr viel Phantasie als Kriminal­schriftsteller. Man muß nur die Augen offen halten und seinen Röntgenblick umherschweifen las­sen. Überall und zu jeder Zeit ge­schieht irgend etwas, das man mit einiger Kombinationsgabe zu einer Kriminalstory verarbeiten kann!"

Herr Baron beliebt zu lächeln. Aber es ist nicht absolut echt, die­ses Lächeln . . .

„Ich wette", fährt Herr Julius Pfifferlein fort und streichelt mit der gepflegten Rechten den gepflegten Spitzbart, „auch in diesem Augen­blick, hier auf der Terrasse des Bellevue - geschieht irgend etwas, das man als Story verwerten könnte."

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Dem Herrn Baron scheint der Kragen etwas eng zu sein, denn er fährt sich mit dem Finger an den Hals. Dann zieht er an seiner Kra­watte und wendet sich an Kim: „Was willst du trinken, Darling?"

„Nichts!" antwortet Kim gelang­weilt und sieht den beharrlichen Herrn Pfifferlein herausfordernd an. „Ich möchte Ruhe - und ein wenig gehen spazieren - - "

„Eine wunderbare Idee!" freut sich Herr Pfifferlein aufrichtig. „Ich bin ohnehin auf der Suche nach ge­eigneten Kulissen. Wissen Sie ­das ist nämlich das Wichtigste für einen gutgebauten Kriminal-Roman: Kulissen! Wenn man die hat, rollt die Handlung fast wie von selbst ab. Deshalb bin ich ja auch hierher­gekommen. Die Riviera ist unheim­lich ergiebig - "

Kim Howard erhebt sich brüsk. Auch Julius Pfifferlein steht auf. Aber nicht, um sich zu verabschie­den - oh, nein! Mit einer gelasse­nen Selbstverständlichkeit, die ein­fach entwaffnend wirkt, schließt er sich dem Herrn Baron von Wuttels­bach und seiner charmanten Beglei­terin Kim Howard an.

Kim ist rasend. So etwas hat ihr gerade gefehlt. Sie kennt diese lästigen Anhängsel, die einem wie Briefmarken anhaften. Überdies wä­re das Abschütteln Sache des Herrn Baron, aber der Herr Baron ist hoffnungslos ungeschickt in solchen Dingen.

Er ist ein braver kleiner Spießer, stellt Kim bei sich wieder fest, wäh­rend sie unter Palmen am blauen Meeresstrand dahinwandeln, ein kleiner Spießer - trotz seines mar­kanten Aussehens und seiner dik­ken Brieftasche.

Der Herr Baron fühlt sich keines­wegs wohl in seiner Haut, obwohl er krampfhaft sein loyales Lächeln feststellt. Dieser Herr Pfifferlein ist tatsächlich alles andere als an­

genehm. Er fragt Kim ein Loch in den Bauch.

„Sie kommen aus dem Rheinland, Baron?"

Emil Wurstelbach zuckt zusam­men.

„Wieso?" fragt er sehr geistreich zurück.

„Hehe!" lacht Herr Pfifferlein. „Ein Kriminalschriftsteller hat ein Röntgenauge, ich habe es Ihnen be­reits zart angedeutet. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich habe Ihren Wagen gesehen, Baron! Daher. Das Nummernschild ist der Fingerabdruck des Autofahrers ­ein guter Satz, finden Sie nicht? Muß ich mir merken! übrigens ­ein toller Schlitten, Ihr Wagen!"

„Ja, ja -", bemerkt der Baron leichthin.

Und Julius Pfifferlein fährt trium­phierend fort: „Zu was Konserven nicht alles gut sind, wie? Sie er­sparen der Hausfrau Zeit und Ar­beit und bringen ihrem Hersteller einen tollen Schlitten! Das ist eine Wolke! Ja, ja - da kommen wir armen Schriftsteller nicht mit. Al­lenfalls mit Werbeversen - zum Beispiel:

Darum kochen Muttels, ach ­Rüben nur von Wuttelsbach!

Wie? Das ist ein Slogan, was? Oder: Nichts im Hause wird verderbsen, kauft man Wuttelsbacher Erbsen!

Oder - warten Sie! Also in Wer­beversen bin ich ganz groß! Wenn ich nicht Kriminalschriftsteller ge­worden wäre, wäre ich Werbetex­ter - ah, ich hab's:

Denn der Kochkunst golden Krönchen ­

das sind Wuttelsbacher Böhnchen!

Toll, wie? Sind Sie nicht begeistert, Baron?"

„Ich habe rasende Kopfschmer­zen", bemerkt Kim deutlich. Und

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der rührige Herr Pfifferlein bietet sofort hilfsbereit Tabletten an.

Dieser Mensch scheint überhaupt kein Taktgefühl zu haben. Merkt er eigentlich nicht, daß er überflüssig ist und daß sich kein Mensch für seine Werbeverse interessiert?

Er wankt und weicht nicht. Ja, er folgt Emil Wurstelbach und Kim wie ein Schatten, Promenade auf ­Promenade ab, ins Café und in die Eisdiele, auf die Segeljacht und in den dancing-room.

Er redet und redet und redet ­als werde er dafür bezahlt. Seine Bonmots sind hinreißend blöd, und Kim könnte ihn erdrosseln.

Auch dem Herrn Baron geht er auf die Nerven, aber der Herr Ba­ron schafft es einfach nicht, sich den lästigen Röntgenaugenmenschen vom Halse zu schaffen!

Wohin der Herr Baron auch seine Schritte lenkt - er kann ganz sicher sein, in bäldester Bälde Herrn Pfif­ferlein zu begegnen, der ihn bereits „mein lieber Freund" nennt und so­fort die Schleusen seiner Bered­samkeit öffnet.

Kim macht ihrem Darling die bit­tersten Vorwürfe. Aber Julius Pfif­ferlein ist stärker. Sie kommt kei­nen Schritt weiter . . .

Vor allem des Abends fühlt sich Julius Pfifferlein dazu auserkoren, den Herrschaften Gesellschaft zu leisten. Und er versteht es meister­haft, den Baron mittels erheblicher Mengen Alkohol kampfunfähig zu machen.

Er kann offensichtlich einen Stie­fel vertragen, dieser Tintenkuli, wie ihn der Baron bei sich betitelt. Ein fürchterlicher Mensch! Fast so fürchterlich wie Tante Henriette!

Aber wenigstens schreibt er Kri­minalromane und beschäftigt sich nicht mit Träumen!

Dies hätte der Herr Baron besser nicht denken sollen. Denn Julius Pfifferlein scheint nicht nur Rönt­

genaugen zu haben, - er scheint auch Gedanken lesen zu können.

Sie lustwandeln wieder einmal am Meeresstrand, und die Palmen we­deln sanft im Wind. Pfifferlein blickt versonnen auf die Wogen und bemerkt: „Man sollte sich viel­mehr mit dem übersinnlichen be­schäftigen, beispielsweise mit Träu­men - - "

Der Herr Baron kann einen hefti­gen Hustenanfall nicht unterdrük­ken, und Herr Pfifferlein klopft ihm kameradschaftlich auf den Rücken.

Er läßt sich von dieser Unter­brechung indes nicht beirren, son­dern fährt sanft fort: „Wenn ich nicht Kriminalschriftsteller gewor­den wäre, hätte ich mich zweifellos der Traumdeutung zugewandt. Ein hochinteressantes Gebiet, wenn man sich erst einmal näher damit befaßt. Alles das, was im Unterbewußt­sein schlummert, tritt zutage. Phan­tastisch! Haben Sie schon mal über Ihre Träume nachgedacht, Baron?"

„Nein! Ich halte es für Humbug." „Aber - aber!" weist ihn Herr

Pfifferlein liebenswürdig zurecht. „Sie schauen nicht hinter die Dinge, lieber Freund! Ich werde es Ihnen versymbolisieren!"

Der Herr Baron legt gar keinen Wert darauf, etwas versymbolisiert zu erhalten, aber Pfifferlein ist be­reits im besten Zug: „Stellen Sie sich einmal einen gewaltigen Berg roher, geschnittener gelber Rüben vor. Ja? Also! Das ist ein gelber Berg Schnipsel, die keinen Men­schen reizen. A b e r - sind sie erst verarbeitet, eingedost und hübsch etikettiert, dann fehlt nur noch der Werbetext, beispielsweise so:

öffne stets dem Glück ein Törchen,

Kaufe Wuttelsbacher Möhrchen!

Und die Sache ist gelackt! Sehen Sie, lieber Freund, so ist es auch

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mit den Träumen. Flüchtig besehen, sind sie ein gewaltiges Durcheinan­der, ein Wust bedeutungsloser Din­ge. Aber wenn man diesen Dingen auf den Grund geht, wenn man die Träume sozusagen eindost und eti­kettiert - um im Branchenjargon zu bleiben - dann sieht die Sache ganz anders aus. Ich gebe zu, der Vergleich von Mohrrüben und Träu­men ist etwas gewagt - aber bitte­schön: Sie verstehen, was ich damit symbolisch ausdrücken will?"

Der Baron versteht. Aber er hat keinen sehnlicheren Wunsch, als nichts mehr von Träumen und Kon­serven zu hören.

Pfifferlein verkündet strahlend: ,,Wie wäre es, wenn wir uns jede Nacht unsere Träume merken wür­den - und morgens, im goldenen Rivierasonnenschein am Strand, werde ich diese Träume deuten?"

Dem Baron bricht der Angst­schweiß aus. Er erwägt allen Ern­stes den Gedanken einer Abreise — nur um diesem Pfifferlein zu ent­gehen.

Überdies zwickt ihn Kim schmerz­haft in den Arm und sagt laut:

„Sehr interessant, Herr Pfiffer­lein! Aber wie wäre es, wenn Sie sich auch noch nach anderen Op­fern umsehen würden? Ich glaube, wir sind keine geeigneten Objekte, der Baron und ich!"

Aber von Opfern und Objekten könne ja gar nicht die Rede sein, versichert Herr Pfifferlein gekränkt Er halte dieses Träumedeuten für ein sehr Interessantes Gesellschafts­spiel, zumal unter Freunden.

Die „Freunde" haben keinen an­deren Wunsch, als den quasselnden Pfifferlein loszuwerden - erfolglos!

„Und was machen wir heute abend?" fragt er freundlich, als ge­höre er ganz zur Familie.

„Heute abend fahren wir nach Monte Carlo - Missis Howard und

ich!" antwortet der Herr Baron unvorsichtigerweise.

Pfifferleins Antlitz strahlt, und sein Spitzbart zittert vor Freude und Er­wartung. „Aber das ist ja wunder­voll!" erklärt er gerührt. „Da habe ich immer schon mal hingewollt!"

Sternenhimmel über Monte Carlo. Behutsamer Mondschein versilbert märchenhaft die prachtvolle Kulisse Monaco. Das nachtblaue Meer raunt sein ewiges Lied. Duft nach Was­ser, Blüten und Erde erfüllt die Nacht. - Paradies Monte Carlo ­

Im Casino rollt die Kugel des Glücks. Die Eleganz und Prominenz aus allen Ländern der Erde gibt sich hier ein Stelldichein. Der äußere Rahmen ist der gleiche geblieben wie in der „guten alten Zeit", da es üblich war, daß russische Großfür­sten hier ihr Vermögen verschleu­derten, um sich dann stilecht zu er­schießen.

Es wird nicht mehr so viel ge­schossen in Monte Carlo, weil nicht mehr so hoch gespielt wird. Viele der Casino-Gäste kommen auch nur aus Neugier; sie wagen ein bißchen - aber eben nur ein bißchen.

Es ist schon lange her, daß die Bank gesprengt wurde. Aber heute wie damals werfen die kristallenen Lüster der Spielsäle ihr schimmern­des Licht über eine exquisite Ge­sellschaft. Wahrlich, hier läßt sich's wohl sein!

So denkt auch Emil Wurstelbach - pardon!- denkt der Herr Baron, der sich selbst zwar kaum am Spiel beteiligt, es dafür aber seiner raffi­niert eleganten Partnerin überläßt, das Geld mit vollen Händen aus­zustreuen.

Kim trägt eine phantastische kleine Abendrobe, deren chartreusefarbe­ne Seide mit Bordüren von Gold­

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Stickerei besetzt ist, und darüber einen duftigen Abendmantel aus Faille.

Sie sieht zauberhaft aus und fast wie eine Dame. Aber dieses „fast" bemerkt der Herr Baron nicht.

Der Herr Baron ist hingerissen und beobachtet wie ein Junge un­ter dem Weihnachtsbaum die ent­zückenden, wohlmanikürten Hände Kims mit den cyklamenfarbenen Fingernägeln, die es meisterhaft verstehen, sehr hohe Jetons - auf das falsche Feld zu setzen.

„Mesdames, Messieur, faites votre jeu - - !" erklingt die leise Stimme des Croupiers.

Baron von Wuttelsbach nickt. Auf ein paar Tausender kommt es ja nicht an. „Fabelhafte Sache!" wen­det er sich über Kims matt schim­schimmernde Schulter hinweg an seinen Schatten, der ihn auch im Casino von Monte Carlo nicht ver­läßt. „Einfach phänomenal!"

Julius Pfifferlein sieht seinen „lie­ben Freund" sekundenlang ernst an und sagt: „Ich habe nichts übrig für das Spiel - es ist schon zuviel Unglück daraus entstanden!"

Der Baron zuckt die Schultern. „Na ja", meint er lässig, „wer es nicht hat, soll es eben bleiben lassen!"

„Madame hat schon beträchtlich verloren, lieber Freund", mahnt Ju­lius Pfifferlein erstaunlich ernsthaft.

Der Herr Baron lächelt und schiebt diese Einwendung mit einer groß­zügigen Handbewegung von sich fort: „Und wenn schon!"

Ja - und wenn schon? Emil Wur­stelbach hat es ja!

Wie fasziniert folgen Kims grün­schillernde Augen der unberechen­baren Kugel des Glücks.

„Riens ne va plus!" Die leise, mo­notone Stimme des Croupiers erregt sie auf wunderliche Weise.

Allem nach zu schließen, scheint Kim Howard kein Neuling zu sein

am Roulettetisch; diese Feststellung trifft sogar der Herr Baron. Aber­es überrascht ihn nicht weiter. Eine Frau wie Kim - du liebe Zeit, doch ganz klarer Fall, daß sie ihr Glück im Spiel versucht, wenn man be­denkt, welch schreckliche Enttäu­schung in der Liebe sie überwinden muß!

Kim hat die weise Bemerkung des Julius Pfifferlein wohl vernommen. Flüchtig ziehen sich ihre Brauen zu­sammen, und dann meint sie mit einem betörenden Lächeln zu dem Herrn Baron: „Ist es sehr schlimm, Mile? Very, very?"

Es ist eine schreckliche Ange­wohnheit von Kim, daß sie den Herrn Baron ,Mile', statt kurz und zackig ,Mil" nennt.

„I'm so happy!" fügt sie noch hin­zu. „Wirklich, ich sein so glücklich - und nicht wahr, Mile, wenn alles Geld fort ist - dann machen wir eben wieder Konserven!"

Ein einsiger Schauder jagt bei diesen ihren Worten über den Rük­ken des Herrn Baron. „Ja", stam­melt er ziemlich fassungslos, „dann - machen wir eben wieder Kon­serven!"

„Ich habe kein Recht, mich ein­zumischen, lieber Freund", bemerkt Julius Pfifferlein. „Aber ich halte es doch für - verzeihen Sie ­leichtsinnig, so hoch zu setzen."

Der Herr Baron ist ärgerlich. Was erlaubt sich dieser Tintenkuli ei­gentlich? Schließlich weiß er, Emil Wurstelbach, selbst, wie er sein Geld an den Mann bringt, dazu braucht er keinen Julius Pfifferlein!

„Dies zu beurteilen, müssen Sie schon mir überlassen," antwortet er böse.

Pfifferlein nickt gleichmütig: „Ja, selbstverständlich, Baron! Es war ja nur meine unmaßgebliche Meinung."

Ein wütender Blick Kims trifft ihn; sie hat schon wieder verloren, und zwar eine recht hübsche Summe.

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Sie mir bringen Unglück, Mister Pfifferlein!" sagt sie unumwunden.

Julius Pfifferlein versteht und wendet sich mit einer kleinen Ver­beugung vom Spieltisch. Soviel Taktgefühl auf einmal hat man bei ihm noch nicht erlebt. Langsam ver­läßt er das Casino und geht hinaus in die Sternennacht über Monte Carlo.

Sehr, sehr nachdenklich steht er da und sieht in das funkelnde Fir­mament, während seine Zigarette leise verglüht. Er denkt an Deutsch­land und ein bezauberndes, tapfe­res junges Mädchen mit strahlenden Blauaugen und ährenblondem Haar.

Dann freilich beginnt er sehr nüchtern und kühl zu rechnen, und seine Stirne zieht sich in bedenk­liche Falten. Nervös wirft er einen Blick auf die Uhr . . .

Ja, Kim Howard und der Herr Ba­ron kommen schon. Sie sind beide verstimmt. Kim hat eine ungewöhn­lich hohe Summe verloren. Aber sie ist überzeugt, daß sich diese Tat­sache, die sich in den letzten drei Wochen mehrfach wiederholte, ihrem Darling gar nicht so fürch­terlich auf den Magen geschlagen wäre, wenn dieser blödsinnige Pfif­ferlein seinen Mund gehalten hätte.

Ärgerlich wirft sie sich in das Polster des Wagens. So früh sind sie noch nie aufgebrochen! Es ist ja kaum Mitternacht vorüber.

Pfifferlein schleicht um den Baron herum wie sein leibhaftiges Gewis­sen. „Sie mir nicht nur bringen Un­glück, Sie mich machen auch ner­vös, Mister Pfifferlein!" erklärt Kim böse.

,,Das bedaure ich unendlich!" ver­sichert Julius Pfifferlein treuherzig.

Schweigend fahren sie durch die wundervolle Nacht zurück nach Nizza. Zwischen Kims ebenmäßigen Brauen gräbt sich eine steile Falte. Dieser lächerliche Pfifferlein macht sie tatsächlich nervös. Gewiß, sie kann mit ihrem Erfolg bei dem

Konservenfritzen Zufrieden sein: Er streut das Geld mit vollen Händen aus und schlägt ihr keinen einzigen Wunsch ab. Aber - sonst - ist sie noch keinen Schritt weitergekom­men! Nicht, daß Kim nun gerade darauf besonderen Wert legte. Ganz im Gegenteil! Sie ist im Grunde ihres Wesens kühl wie eine Hunde­schnauze. Aber es scheint ihr doch unumgänglich notwendig zu sein, denn solange man einen Mann nicht in den Banden der Liebe oder doch wenigstens der Leidenschaft hält, ist alle Mühe hoffnungslos.

Dabei ist dieser komische Baron gewiß kein Fischblütler - nur so merkwürdig verschlossen, wenn das Gespräch oder gar die Situation auf Liebe kommt. Wahrscheinlich wäre Ihr trotzdem alles längst gelungen, wenn dieser Pfifferlein nicht auf­getaucht wäre. Seit er im Bellevue ankam, ist sie kaum mehr allein mit dem Baron. Es ist wirklich entner­vend, wie dieser Mensch immer in den unpassendsten Augenblicken aus der Versenkung auftaucht.

Kim streift den Baron, der schwei­gend am Steuer sitzt, mit einem hal­ben Blick. Wäre keine schlechte Partie, dieser Konservenonkel, bei Gott nicht!

Zwar ist sie nicht so ganz über­zeugt davon, daß er tatsächlich frei und unabhängig ist. Aber solche kleinen Schönheitsfehler lassen sich korrigieren.

Heute nacht - beschließt Kim grimmig - - heute nacht - - !

Als sie Im Bellevue ankommen, meint Julius Pfifferlein, daß die Nacht so wunderbar mild und ei­gentlich viel zu schade zum Schla­fen sei, so daß er vorschlagen wür­de, mit seinen lieben Freunden doch noch einen kleinen Drink in der Bar zu nehmen.

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Kim schleudert ihm einen wüten­ Der Mixer mixt. Und dem Baron den Blick zu, aber der Herr Baron ist begeistert. Der Spielverlust ist ihm doch erheblich in die Knochen gerutscht.

Gemeinsam schlendern sie zur Bar. Sie postieren sich auf den feu­dalen, aber unbequemen Hockern.

Im gleichen Augenblick erstarrt der Baron zu einer Bildsäule. Ihnen gegenüber lehnt lässig eine elegante junge Dame in aufreizend dezentem schwarzen Cocktailkleid, die ähren­den Haare glatt zurückgestrichen und im Nacken zu einem tiefen Knoten gebannt. Ihr zur Seite ist ein sehr junger Mann in blauem Abendanzug bemüht, eine Zigarette zu rauchen.

„Hallo!" sagt die junge Dame zum Mixer. „Einen Martini!"

Dem Baron bleibt buchstäblich die Spucke weg. Er ist nahe daran, sich auf die junge Dame zu stürzen und sie rechts und links zu ohrfeigen. Der junge Mann reizt seinen Grimm nicht so sehr, aber diese - diese ­

„Was du haben, Darling?" fragt Kim, „Ich will einen Victoris-Flip."

Der Herr Baron starrt noch immer wie gebannt auf die junge Dame, die ihn zunächst mit einem acht­losen Blick streift und sich dann hingebungsvoll ihrem Martini wid­met, einige Worte mit dem jungen Mann wechselt und genüßlich an ihrer Zigarette zieht.

Kim entgeht das veränderte Ge­sicht ihres Darlings keineswegs.

„Wer ist das?" fragt sie den Mixer.

„Eine Lady aus Germany", ant­wortet der leise. „Eine Komtesse Romy von Falkenauge."

Romy von Falkenauge! So leise der Mixer auch gesprochen hat — der Herr Baron hat es verstanden.

„Und wer ist der junge Herr?" will Kim wissen.

„Ihr Bruder!"

schwanen fürchterliche Dinge. Zu allem Überfluß hebt die Kom­

teß Romy von Falkenauge, die of­fensichtlich schon ziemlich unter Alkohol steht, das Glas und trinkt dem Baron zu.

„Hälou!" ruft sie. „Sind wir uns nicht schon mal bei der Gräfin Eisenstein begegnet?"

Verwirrt hebt nun auch der Ba­ron sein Glas und trinkt der Kom­teß zu. „Doch - ", stammelt er, aus dem Konzept gebracht. „Ja - ja ­ich glaube. Auf Ihr Wohl, Kom­teß - "

Ungeniert rutscht die Komteß von ihrem Barhocker und kommt zu ihm herüber.

„Reizend!" sagt sie. ,,Ja, ja! Ich erinnere mich ganz genau! Wir haben damals einen Walzer tanzen wollen, aber leider konnten Sie Walzer nicht. Was machen denn Ihre Bronchien? Müssen Sie immer noch so viel inhalieren? Ihre Gat­tin sagte mir damals, daß Kamillen­dämpfe - ah, jetzt inhalieren Sie mit Flips! Prost, Baron!"

Der Herr Baron errötet fassungs­los. Und Kim starrt die Komteß Romy von Falkenauge an, die trotz ihrer etwas gelockerten Haltung sichtlich eine Dame ist.

Aber Romy von Falkenauge läßt sich nicht durch Kims böse Blicke vertreiben! Sie scheint gegen so etwas genau so immun zu sein wie dieser Pfifferlein; vielleicht ist auch der Alkohol schuld daran!

„Ja - ", lächelt sie dem erblaß­ten Baron zu, „Uta von Naumburg kennen Sie doch auch? Richtig! Sie hat Ihnen ja mal einen Werbevers für eine Konservenmischung ent­worfen. Wie geht denn das Ge­schäft?"

Die Situation für den Baron ist schlechthin fürchterlich. Mit Lei­chenbittermiene erhebt er sich: „Hat mich außerordentlich gefreut,

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Komteß - ah, der Herr Bruder! Charmant! Charmant!"

Der Herr Bruder grinst über das ganze Gesicht: „Freut mich, Baron", stellt er kameradschaftlich fest. „Sind Sie immer noch so sportlich? Beim Tischtennis haben Sie ja leider immer verloren."

Der Herr Baron von Wuttelsbach zieht es vor, sich in keine weitere Unterhaltung einzulassen, sondern das Feld zu räumen.

Taktvoll, wie man es ihm niemals zutrauen würde, hält Julius Pfiffer­lein Kim zurück: „Einen Victoris-Flip?" fragt er laut. Und fügt leise hinzu: „Man kann den Baron ja nicht kompromittieren - sichtlich war ihm diese Begegnung peinlich. Reizende junge Leute übrigens, die Falkenaugen! Finden Sie nicht?"

Die Komteß und ihr Bruder haben sich in einen gemütlichen Winkel zurückgezogen und wollen sich aus­schütten vor Lachen. Kim Howard aber tut das Dümmste, was sie über­haupt tun kann: Sie betrinkt sich fürchterlich.

Ohne eine Miene zu verziehen, ganz Kavalier, zahlt Julius Pfif­ferlein die Zeche, inklusive der Flips des geflohenen Barons, und bringt Kim unter sehr erheblichen, Schwierigkeiten bis zu der Tür ihres Appartements . . .

Dann kehrt er, eine Zigarette rau­chend, in die Bar zurück und setzt sich zu den Falkenaugen, als habe er sie erst vor einer halben Stunde verlassen.

Tatsächlich ein aufdringlicher Mensch, dieser Julius Pfifferlein!

Die bezaubernde Komteß Romy aber sieht ihm tief in die Augen ­eigentlich etwas zu tief, wenn man bedenkt, daß die beiden sich doch eben erst kennengelernt haben ­und hält seine Hand wie die eines Verschwörers in einer gemeinsamen Sache. - Armer Emil Wurstelbach!

Kim erwacht am nächsten Morgen mit einem fürchterlichen Kater und versucht krampfhaft, sich an die Vorgänge des vergangenen Abends zu erinnern.

Richtig - diese Komteß Romy von Falkenauge hat da in aller Ruhe erklärt, daß es ihr Darling, Kims Darling, an den Brochien und überdies eine Frau habe!

Also doch! Gereizt läutet Kim dem Zimmermädchen und bestellt sich einen Mokka-double. Dann belehrt sie ein flüchtiger Blick in den Spie­gel, daß es unmöglich sein würde, in dieser verkaterten Fassung dem Darling gegenüberzutreten.

In solchen und ähnlichen Augen­blicken kann Kim es beim besten Willen nicht mehr verheimlichen, daß sie viel älter ist, als man auf den ersten Blick glaubt. Dem Dar­ling gegenüber aber muß sie die junge, verführerische Frau bleiben, - wenn sie ihr Spiel nicht verloren geben will.

Also packt Kim kunstvoll heiße Kompressen auf Stirn und Wangen und flucht dabei wie ein galizischer Eselstreiber.

Nur zu gut weiß sie, daß ihre Zeit vorbei ist. Es m u ß ihr gelin­gen, den Darling in den Hafen der Ehe zu locken oder - ihn zumin­dest für dauernd an sich zu binden.

Der Baron seinerseits geht unruhig in seinem Appartement auf und ab und hat nicht einen einzigen Blick für die luxuriöse Umgebung. Auch er rekonstruiert den vergangenen Abend.

Diese Komteß Romy von Falken­auge und ihr Bruder - das hat ihm gerade noch gefehlt!

Was wird Kim sagen? Er hatte schon immer eine ausgesprochene Aversion gegen Szenen.

Willi - ach ja, Willi war immer einfach zu besänftigen gewesen, die gute, treue Seele! Aber Kim ist nicht Willi.

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Eine leise, heimliche Sehnsucht befällt den Baron plötzlich. Willi! Ach, sie ist ihm so fern, daß sein Herz sie gar nicht zu erreichen ver­mag! Einfach allein gelassen hat er sie, ohne sich darum zu kümmern, wie sie es tragen würde.

In sein Herz zieht heiße Reue ein. Allerdings nicht für lange - denn, so fragt er sich, handeln seine ge­wissenlosen Kinder vielleicht an­ders? Hat er als Familienoberhaupt nicht viel eher das Recht - - ?

Und dann ruft er Kim an und kann es sich nicht verbergen, daß seine Knie leicht zittern. Aber zu seinem höchstenVerwundern schlägt eine Turteltaubenstimme an sein Ohr: „Hälou? Darling? - How do you do? - Thank's. Well! - Ah - ich habe gehabt ein very Pech gestern. Noch böse, Darling? ­Hm? Ich dir versprechen, auch zu sein very artig! Well. Ich kommen zu Frühstück, Darling! So long!"

Der Baron wirft sich nach Beendi­gung dieses Gesprächs in die Brust - jeder Zoll ein Mann und Held.

Na ja, man muß es eben ver­stehen, mit Frauen umzugehen, wie bitte? Er wird der reizenden Kim die Brillantohrringe kaufen, die sie sich so sehnlichst wünscht, und der Friede ist gesichert. Gebe Gott, daß diese - diese Falkenaugen alsbald von der Bildfläche verschwinden!

Aber die Falkenaugen denken gar nicht daran. Die fangen gerade an, sich in Nizza wohlzufühlen.

Der junge Graf Peter von Falken­auge streift bereits am Strand her­um und unterzieht die von einem gewissen Baron von Wuttelsbach gemietete Privatjacht einer sehr in­teressierten Inspektion.

Zu dem Bootsmann bemerkt er lässig: „Graf von Falkenauge. Net­ter Kahn, wie? Gehört einem Inti­mus von meinem alten Herrn!" ­und ist an dem verblüfften Mann vorbei hineinspaziert.

Komteß Romy von Falkenauge aber lustwandelt im Rivierasonnen­schein mit einem gewissen Herrn Julius Pfifferlein auf der Terrasse des Bellevue.

Obwohl sie absolut sicher und selbstbewußt, ja, vielleicht sogar ein wenig emanzipiert wirkt, kann sie es nicht verhindern, daß ihr Herzchen heiß und stürmisch pocht. Zuweilen steigt eine feine Röte in ihr Gesicht, und ihr Lächeln ist gar nicht so spöttisch - überlegen wie sonst.

„Sie haben wirklich alles fabel­haft gemacht", sagt sie leise und glücklich. „Ich glaube, ohne Ihre Hilfe wäre ich doch nicht weiter­gekommen."

Julius Pfifferlein lacht: „Die Grundidee stammt von Ihnen, teu­erste Komteß — oder erinnern Sie sich nicht?"

Wieder errötet Romy von Fal­kenauge und schlägt sekundenlang die Augen nieder.

Oh, sie erinnert sich sehr gut! Es war ein kalter Morgen gewe­

sen, und sie hetzte mit ihrer Kolleg­mappe die Treppe zur Redaktion hinauf. Die Aufträge der Frauen­zeitschrift mußten erfüllt werden, auch wenn plötzlich Tante Henri­ettens Dollarsegen die Familie er­schütterte.

Schließlich hatte Romy einen Ver­trag mit der Zeitschrift. In der Eile stieß sie nun an einen Herrn - und dieser Herr war Julius Pfifferlein, seines Zeichens tatsächlich Krimi­nalschriftsteller. Er hatte sich ge­rade sein Honorar für den letzten Roman abgeholt und war demzufolge heiterster Laune.

Nicht so Romy Wurstelbach. „Passen Sie doch auf!" sagte sie

böse. „Da - jetzt sind die Zeich­nungen eingeknickt!"

Aus dieser kleinen Begebenheit entwickelte sich ein längerer Dia­log, und schließlich saßen sie zu­

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sammenn in einem kleinen Café, tranken einen Espresso und plau­derten angeregt.

Herr Pfifferlein war sehr vertrauen­erweckend, und ehe sich's Romy versah, hatte sie ihm ihren ganzen Kummer anvertraut

Herr Pfifferlein blickte sehr nach­denklich vor sich hin und meinte dann, daß das Kind schon zu schau­keln wäre. Seine Meisterdetektive in den Kriminalstories müßten noch ganz andere Probleme lösen.

So war es gekommen. Julius Pfif­ferlein nahm sich erfolgreich des Falles Emil Wurstelbach an und mimt schmunzelnd selbst den De­tektiv, den er sonst nur auf dem Papier mit schwarzen Druckbuch­staben zu gestalten pflegte.

„Ich bin im rechten Augenblick gekommen", bemerkt er lächelnd. „Und ich denke, es wird noch alles gut werden."

„Glauben Sie?" fragt Romy, und ihre Augen leuchten auf. „Ich bin nämlich gar nicht so siegessicher, wie ich aussehe!"

„Warten Sie nur, bis die Bombe platzt!"

„Eben vor dieser Bombe habe ich etwas Angst!"

Julius Pfifferlein hält die Hand des Komteßchens ganz fest: „Un­sinn! Wir haben alles so fabelhaft organisiert - es kann gar nicht schiefgehen!"

Und dann erzählt er in reizendem Plauderton von den Schönheiten der Riviera, und das Komteßchen Fal­kenauge lauscht ihm andachtsvoll. Ja, als sie sich trennen - es muß gesagt sein — hält er ihre Hand länger fest als unbedingt notwen­dig gewesen wäre. - ­

Baron von Wuttelsbach aber, der am Arme Kims den Frühstücksraum betritt, glaubt, der Schlag müsse ihn treffen. An einem reservierten Eck­tischchen, genau seinem Tisch ge­genüber, sitzt eine bezaubernde

junge Dame in einem duftigen Früh­lingscomplet und lächelt ihm zu.

Total verwirrt, erwidert er den Gruß.

„Wer sein denn das schon wie­der, dammed?" fragt Kim gereizt.

„Das - das ist - ehem - Baro­neß Uta von Naumburg!" antwortet der Baron verstört.

Kim zündet sich ärgerlich eine Zi­garette an und starrt verstimmt in den strahlenden Sonnenschein.

„Das kann ja werden very char­ming!" bemerkt sie nervös. „Die ganze krumme adlige Verwandt­schaft taucht auf. Wie? Und - ", jetzt kann sie es doch nicht verhin­dern, daß sie wütend wird: „Ein wife hast du auch!?"

Der Baron wird tödlich verlegen. Er schneuzt sich umständlich die Nase und erklärt umständlich: „Ein waif? Ja, - gewiß. Wer hat das nicht?"

„Einen solchen Ballast hängt man sich doch nicht an den Hals!" höhnt Kim. Und ihr Deutsch ist plötzlich sehr sicher und absolut akzentfrei; aber das fällt dem entgeisterten Emil Wurstelbach nicht weiter auf.

„And how many children?" fragt Kim. „Wieviel Kinder?"

„Kinder???" Der Baron lächelt ge­ringschätzig. „Kinder! Gott behüte! Auch noch Kinder!"

Just in diesem Augenblick be­treten die Falkenaugen den Früh­stücksraum des Bellevue: Komteß Romy und der junge Graf Peter.

Mit einem lässig-kameradschaft­lichen Kopfnicken grüßt die Kom­teß zum Tisch des Barons und nimmt bei der Baroneß Uta von Naumburg Platz.

Kim ist schon wieder halb ver­söhnt. Denn, so sagt sie sich, wenn er keine Kinder hat, ist die Sache bedeutend einfacher.

„Und wie ist das mit deine wife?" erkundigt sie sich dennoch vorsichts­halber.

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„Wie soll das sein mit meine waif?" stellt sich der Baron erfolg­reich dumm.

„Na - ", meint Kim und verfällt wieder in ihren american Slang, „ich meine, du you lieben your wife?"

Das ist eine verfängliche, eine wahrhaft teuflische Frage! Und der Baron erwidert - es muß leider ge­sagt werden: „Liebe? Mein Gott, so große Worte! Wir sind eben ver­heiratet. Basta. Übrigens, die Bril­lantohrringe, die wir sahen - "

Aber so schnell läßt sich Kim nicht vom Thema abbringen. „Am Ende sie wird kommen auch zu hier, your wife?" fragt sie.

Der Baron will sich ausschütten vor Lachen. „Mein waif? Hahaha! Laß mich mit meinem waif in Frie­den! Die ist - eh - gesellschaft­lich außerordentlich in Anspruch genommen. Zu Beginn der Saison würde sie niemals an die Riviera reisen. Außerdem hat sie eine Ab­neigung gegen den Süden. Sie be­vorzugt den Norden, der auch ent­schieden besser zu ihrem kühlen Naturell paßt."

In diesem Augenblick setzt sich die Schwingtür In Bewegung, die von der Halle des Bellevue in den Frühstücksraum führt. Eine Dame tritt ein.

Sie ist mit hervorragender Ele­ganz gekleidet: ein elefantengrau­weißgestreiftes Kostüm, dessen Um­riß ebenso exklusiv wie großzügig wirkt; ein wenig schräg gestellte breite Taschenpatten betonen die Tunikalinie der Jacke, während drei extravagante schwarze Knöpfe sanft, doch entschieden die höher gerückte Taille markieren. Die Spitze einer schneeweißen Schweizer Bluse um­schließt den schlanken Hals.

Das Gesicht der Dame ist sorgfäl­tig getönt, während die Lippen tief­rot und verführerisch locken. Auf dem goldgetönten Haar trägt sie

einen verwegenen, pechschwarzen Hut.

Mit einem flüchtigen Blick über­fliegt sie den Saal und läßt sich dann an einem Tischchen ganz in der Nähe des Barons nieder.

Der Ober flitzt herbei: „Frau Grä­fin wünschen?"

Fassungslos starrt der Baron von Wuttelsbach auf die zierliche, bild­hübsche Dame, deren Hände tadel­los manikürt sind.

„Wie war das mit den Brillant­ohrringen?" fragt Kim.

Leider hat sie eine ziemlich laute Stimme, denn die Komteß Falken­auge dreht sich auffällig herum und lächelt infam. Die neu angekom­mene Gräfin bestellt sich einen Sherry.

Dem Herrn Baron bricht der kalte Schweiß aus. Mühsam würgt er an dem butterzarten Croissant, als sei es aus zähem Leder. „Ja - ", sagt er. „Natürlich - die Brillantohr­ringe!"

„Auf der Avenue de la Victoire habe ich das passende Halsband da­zu gesehen", verkündet Kim in ta­dellosem Deutsch, um allsogleich hinzuzufügen: „That's very nice, Darling!"

„Hälou!" ruft die Komteß Falken­auge herüber. „Kommen Sie heute mittag mit zu einer kleinen Party, Baron?"

„Very nais!" nickt der Baron zu­stimmend.

„Ausgezeichnet!" freut sich das Biest von einer Komteß. „Wir kön­nen ja Ihren Wagen nehmen. Wir wollen nämlich nach Monaco!"

Emil Wurstelbach fühlt sich der Situation nicht mehr gewachsen. Er erhebt sich brüsk und verläßt flucht­artig das Lokal.

Emil Wurstelbach stürzt zum Lift. Er rast in sein Zimmer und dreht

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dreimal den Schlüssel in der Tür um. Dann wischt er sich den Schweiß von der Stirn und starrt sich im Spiegel an - er ist gebrochen, dar­an kann kein Zweifel bestehen. Es muß etwas geschehen - so sagt er sich. Und zwar sofort! Ehe alles ein böses Ende nimmt! Und dann - in jähem Entschluß - packt er seine Koffer.

Wahllos pfeffert er hinein, was ihm unter die Finger kommt: super­elegante Pyjamas, Reisewecker mit Musik, den Knirps für den Herrn, elektrischen Rasierapparat, goldene Manschettenknöpfe, den Knigge von heute, eine Rolle Pfefferminz, eine Kiste Zigarren, drei Fahrschein­hefte - ­

In diesem Augenblick pocht es dreimal an die Tür. Kalkweiß im Gesicht läßt Emil Wurstelbach den Koffer zuschnappen und setzt sich darauf.

„Herein!" ruft er mit versagender Stimme!

Aber der da draußen steht, rüt­telt vergeblich an der Klinke, denn schließlich ist abgeschlossen.

Emil Wurstelbach steht vorsichtig auf. Er greift nach seiner Krawatte und geht dann mit hocherhobenem Haupt zur Tür. Was kann Entsetz­liches geschehen? Wer begehrt Ein­laß? Vorsichtig öffnet er die Tür einen Spalt

Vor ihm steht - Julius Pfifferlein, freundlich und rührig wie immer.

Pfifferlein tut so, als bemerke er die grauenvolle Unordnung in dem luxuriösen Appartement des Herrn Baron gar nicht Er reicht seinem lieben Freund vielmehr die Hand und sagt: „Ah, Morgen, Baron! Bißchen spät geworden, gestern, wie?" Er läßt sich in einen Sessel gleiten. „Haben Sie einen Kognak für mich?"

Der Herr Baron hat. Obwohl ihm dieser Besuch zu dieser Stunde alles andere als angenehm ist.

,,Das ist nämlich so - , erklärt Pfifferlein und öffnet die Schleusen seiner Beredsamkeit, um sie so bald nicht wieder zu schließen. „Das ist nämlich so. Ich schreibe da gerade an einem fabelhaften Kriminalreißer und komme nicht weiter." Er lä­chelt leicht mokant. „Dann muß ich mich immer eine halbe Stunde mit einem vernünftigen Menschen unterhalten. Und Sie sind doch ein vernünftiger Mensch, lieber Freund! Zigarette?"

Der Baron wünscht seinen lieben Freund zum Teufel. Aber Julius Pfif­ferlein macht es sich gemütlich. „Das ist nämlich so, Baron - ich habe da in meiner Story einen Hochstapler auftreten lassen, ver­stehen Sie? Ist ein smarter Boy, nennt sich Baron und so - ja - der verputzt seine ergaunerten Millio­nen in einem feudalen Hotel in zweifelhafter Gesellschaft, bis ihm die Familie samt angetrauter Gattin auf die Schliche kommt Wie finden Sie die Idee?"

„Fa - fabelhaft!" stammelt der Ba­ron von Wuttelsbach. „Doch, wirk­lich: fa - fabelhaft!"

„Und so aus dem Leben gegriffen, nicht wahr?" fügt Pfifferlein begei­stert hinzu. „Ja, da drin bin ich ganz groß! Ich greife immer hinein ins volleMenschenleben und schöpfe meine Themen aus der Wirklichkeit. Jeden Tag kann so etwas passieren. Ja - nun weiß ich nicht: Was macht der falsche Baron, wenn er merkt, daß ihm die Familie auf den Socken ist - natürlich befindet er sich in Gesellschaft einer charmanten Frau - sehen Sie, da bin ich hängen ge­blieben! Was macht der falsche Baron?"

Durchdringend sieht Pfifferlein seinen erbleichenden lieben Freund an.

„Ich - ich w-w-weiß nicht", lä­chelt der Baron mühsam. ,,Ich war

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noch nie in so einer Situ - Situ­eischn!"

Pfifferlein sieht ihn noch immer an; aber sein Blick bohrt gleichsam durch ihn hindurch, als sei der Herr Baron transparent und Pfiffer­lein würde durch ihn hindurch sei­nen erdichteten, sehr ehrenwerten hochstapelnden Baron erblicken.

Eine lange, bange Weile vergeht, die fürchterlich ist für Emil Wur­stelbach. Dann fragt Pfifferlein wie ein Großinquisitor vor einer Hexenverbrennung: „Wissen Sie, was das Dümmste wäre, was er tun könnte?"

„Keine Ahnung - ", stammelt der Baron.

„Sehen Sie", lächelt Pfifferlein überlegen, „Sie müßten mehr Kri­minalromane lesen, lieber Freund! Dann wüßten Sie nämlich, was jeder Lausebengel heute weiß - in solch einer Situation ist das Dümmste, was man tun kann: f l i e h e n ! Eine Flucht würde den Verdacht ja erst auf ihn lenken! Nein, das geht nicht! So geht das nicht! Das ist keine Lösung! Hah! - "

Julius Pfifferlein springt auf und beginnt, mit weitausholenden Schrit­ten im Appartement auf und ab zu spazieren, als jage er einer dichte­rischen Vision nach, und laut me­ditierend gibt er folgende Weishei­ten von sich: „Ich hab's! Ja, ich hab's! Er b l e i b t ! Jawohl! Er b l e i b t ! Und mimt weiter den Gentleman! Vielleicht, daß er so noch am ehesten eine Gelegenheit findet, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen - meinen Sie nicht auch, Baron?"

Langsam kehrt die Farbe in das Antlitz des Barons zurück. „Ja, ja - doch - - ", grinst er dümmlich. „Möglich! Durchaus möglich! Wie gesagt - ich habe da keine Erfah­rung. Aber Sie - Sie müssen es ja wissen. Ich meine - als Schrift­steller. Ja! Wie?"

Julius Pfifferlein hat es plötzlich sehr eilig.

„Verzeihen Sie, lieber Freund! So eine gute Idee muß man gleich fest­nageln. - Übrigens - Sie kommen doch auch morgen abend zum gro­ßen Saison-Ball des Bellevue?Wenn es Ihnen recht ist, lasse ich uns einen Tisch reservieren."

Er bleibt noch eine Sekunde in der Tür stehen und meint dann mit gesenkter Stimme: „Übrigens eine verteufelte Frau, die heute ange­kommen ist! Eine Gräfin Eisen­stein. Klasse! Das ist die Frau, die mir der Arzt verschrieben, tamtam - - . Hoffe, daß ich beim großen Ball Gelegenheit haben werde, mit ihr näher in Kon -"

Aus weit aufgerissenen Augen starrt Emil Wurstelbach seinen lie­ben Freund an.

„Wie - wie meinen Sie das?" er­kundigt er sich vorsichtig.

Pfifferlein lacht: „Glauben Sie, alle schönen Frauen sind für Sie reserviert, lieber Freund? Ich wer­de ihr nach allen Regeln der Kunst den Hof machen, dieser charman­ten Gräfin Eisenstein, die Cour schneiden, wie man so zu sagen pflegt - das ist Ehrensache! Sieht übrigens nicht so aus, die Gräfin, als ob sie einem kleinen Flirt ab­geneigt wäre!"

„Aber das ist doch - - ", empört sich der Baron.

„Wie beliebt?" Julius Pfifferlein grinst. „Ein bißchen Abwechslung tut mir gut. Habe lange genug Ihr Glück, lieber Freund, mit der rei­zenden Dame Kim - na, ja! Man ist ja schließlich auch nicht aus Pappe. Alsdann - horridoh!"

Womit sich der Kriminalschrift-zurückzieht, um seine Idee festzu­nageln, und Emil Wurstelbach völ­lig vernichtet auf seinem Koffer­deckel zusammensinkt.

Er hat sich das alles so schön ein­fach vorgestellt: Koffer packen,

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fliehen, zurückkehren in - ja, du liebe Zeit - in den Schoß seiner Familie?

Plötzlich hat er Heimweh. Diese Gräfin Eisenstein hat ihm den Rest gegeben.

Romy von Falkenauge und ihr Bruder und auch Uta von Naum­burg haben ihn nicht so sehr er­regt. Aber diese Gräfin Eisen­stein!

Und die Cour schneiden will er ihr auch noch, dieser Tintenkuli! Übrigens ein recht interessanter Mann mit seinem verteufelt jun­gen Gesicht und dem graumelierten Spitzbart!

Nein! Nein und nochmals nein! Er kann nicht abreisen! Er weiß, was geschieht, wenn sein wachsa­mes Auge nicht mehr gegenwärtig ist!

Außerdem hat dieser Tintenkuli mit seiner Idee nicht einmal so un­recht: Eine Flucht könnte Verdacht erwecken! Man würde vielleicht feststellen, daß er gar kein Baron ist, und ihn als Hochstapler ver­haften.

Entsetzlicher Gedanke! Wie schön wäre es jetzt zu Hause,

denkt der Baron sehnsüchtig. Ich könnte die Zeitung in Ruhe lesen und mich auf den mittäglichen Bra­ten freuen.

Und tiefsinnig stellt er fest, daß Geld das beste Mittel ist - um eine Familie zu zerstören, die bislang durch Dick und Dünn zusammen­gehalten hat.

Da - schrillt das Zimmertelefon. Mit bleicher Miene und bebenden

Knien nimmt Emil Wurstelbach den Hörer ab. Aber es ist - nur Kim.

„Hälou! Wie sein es mit die Bril­lantohrringe, Darling?"

Ob der Darling will oder nicht, er muß sein Versprechen einlösen und mit Kim in die Avenue de la Vic­toire spazieren . . .

Einige Tausender wechseln den

Besitzer. Und während Kim glück­strahlend am Arm des Barons hängt, rechnet Emil Wurstelbach, daß vier­hunderttausend Mark nicht uner­schöpflich sind. Wenn es so wei­tergeht, dann - wie hat Kim so treffend gesagt? - „Dann machen wir eben wieder Konserven!"

Auch dieser Gedanke ist entsetz­lich und keineswegs dazu angetan, seine Stimmung zu heben.

„Darling - ", flötet Kim zu allem Überfluß, als sie in die Promenade des Anglais einbiegen, „hast du ge­sehen die bezaubernde Mantel von Pelz?"

Darling hat ihn nicht gesehen; na­türlich nicht! Männer haben keinen Blick für so etwas.

„Wenn ich sein very brav - ", fragt Kim mit betörendem Lächeln, „dann - oh, Darling - du nicht wissen, wie very good Mantel of Pelz mir stehen! Nerz - - that's wonderful! Das ich haben mir ge­wunschen schon immer! Auch Grä­fin Eisenstein tragen Mantel of Nerz!"

Baron von Wuttelsbach zuckt zu­sammen: „Die Gräfin? Was für eine Gräfin?" markiert er den zerstreu­ten Mann.

„Oh, Darling - you nix hören? Gräfin Eisenstein - ich sie haben gesehen heute morning - arming in arming mit Mister Pfifferlein!"

„Arm in Arm", verbessert der Herr Baron; aber er wird zugleich kalkweiß. Julius Pfifferlein Arm in Arm mit der Gräfin Eisenstein!

„Dieser - dieser Tintenkuli!" Er schnappt nach Luft. „Der soll seine blöden Räubergeschichten schreiben und die Finger von fremden Frauen lassen!"

Kim lacht: „Oh, Darling! Was du sein mit einmal so moralisch?"

Auch der Herr Baron lächelt, aber grimmig.

Und Emil Wurstelbach ist fest entschlossen, dem Tintenkuli seine

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Freude gründlich zu versalzen.. Am Spieltisch mimt er den braven Bür­ger, dieser Pfifferlein - und jetzt entpuppt er sich als reinster Rubi­rosa. So kann man sich in einem Menschen täuschen . . .

Wie der Herr Baron seinen lieben Freund Julius Pfifferlein wohl be­urteilen würde, wenn er wüßte, daß dieser zweite Rubirosa in diesem Augenblick auf einem verschwiege­nen Weg mit - der Komteß Romy von Falkenauge lustwandelt?

Zauberhaft scheint die Sonne und spiegelt sich kokett in den blauen Fluten des mittelländischen Mee­res. Wie eine Kuppel aus Lapisla­zuli wölbt sich der Himmel über dem gesegneten Fleckchen Erde. Ein wenig duftet es nach Erde, Wasser, Sonne und Reife - ­

„Auch hier kommen andere Tage", sagt Julius Pfifferlein leise und ernst.

Träumerisch und versonnen nickt Romy. ,,Es wäre nicht gut, wenn immer die Sonne scheinen würde!" stimmt sie zu.

Behutsam nimmt Pfifferlein die Hand der kleinen Komteß und hält sie ganz fest. „Tapfere kleine Ro­my", sagt er gut.

Wieder steigt eine feine Röte in Romys Gesicht und verzaubert es wundersam. Wo nur ist die über­legen-spöttische Romy Wurstelbach geblieben?

,,Sie haben viel Sinn für Familie", sagt Julius Pfifferlein ernst. „Wenn ich denke, wie tapfer Sie um das Glück ihrer Eltern und Geschwister kämpfen - mit Klugheit und echt weiblicher List - wie ein geborener Stratege - da kann ich Ihnen nur mein Kompliment machen."

Romy lächelt ein wenig: „Ja. Eine Familie ist etwas, das man hoch

und heilig halten muß. Und meine Eltern haben eine wirklich glück­liche Ehe geführt, bis - nun ja! Zuerst wollte ich es gar nicht be­greifen, daß das viele, viele Geld, das wir so notwendig gebrauchen konnten, unsere schöne Harmonie zerstören sollte. Als Tante Henri­ette uns sagte, daß sie uns enterben würde, da haben wir so fest zu­sammengehalten - wie Pech und Schwefel! Und dann, als alles so ganz anders gekommen ist - sind wir uns plötzlich fremd geworden. Das heißt - eigentlich nur Vati. Aber Vati war immer der Mittel­punkt von uns allen, und dann auf einmal - es war wirklich schreck­lich!"

„Sie wissen ja", sagt Julius Pfif­ferlein, „daß ich Sie schon eine ganze Weile beobachtet hatte in dem Verlag. Ich hatte immer meine helle Freude daran, wenn Sie ge­kommen sind - aber ich dachte immer, Sie verkörperten so ganz den Typ der modernen, emanzipier­ten Frau."

„Ich?" Romy wirft den Kopf zu­rück. Und dann sieht sie Julius Pfif­ferlein mit ihren strahlenden Blau­augen an: „Es ist schon besser so, wissen Sie! Man hört so viel! Es gibt wenig Männer heutzutage, die es wirklich ernst meinen mit einem Mädel, und ehe man sich die Finger verbrennt, tut man gut daran, sich eine Maske zurechtzulegen, in die man hineinschlüpft - eben die Maske der modernen, emanzipierten Frau. Ins Herz sehen kann uns ja keiner."

„Keiner?" fragt Julius Pfifferlein leise.

Da senkt Romy das blonde Köpf­chen. Und sie wehrt Julius Pfiffer­lein nicht, als er sie behutsam an sein Herz zieht . . .

Sacht richtet Pfifferlein Romys Gesicht zu sich empor. „Du - - ?" fragt er zärtlich. „Romy! Kleine,

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Page 48: Wurstelbach in Schwulitäten

tapfere Frau! Weißt du - daß Ich dich - lieb habe?"

Und da schließt Romy die Augen, langsam und selig, und läßt es ge­schehen, daß Julius Pfifferlein sie küßt.

Verzaubert und glücklich träumt sie den goldenen Traum einer er­sten Liebe . . .

Auch Uta von Naumburg ist nicht allein. Genau wie die Komteß Fal­kenauge lustwandelt sie auf einem verschwiegenen Pfad am Meere, lä­chelt in die Sonne und gestattet es, daß ein jungen Mann ihre Hand küßt, nicht nur einmal . . .

Tüpfchen sieht süß aus; das weiße Leinenkleid mit den lustigen roten Pünktchen zeigt so recht, wie jung und gut gewachsen sie ist. Ihre lan­gen, schlanken Beine sind braunge­brannt, und die Lippen hat sie hell­rot, aber sehr dezent betont. Sie ist zum Anbeißen hübsch.

Das denkt auch der junge Mann, der ihr die Hand küßt. Es ist ein smarter junger Mann in weißem Tennisdreß, braungebrannt und durchaus geeignet, die Blicke der eleganten Badenixen auf sich zu ziehen.

Er wohnt, genau wie Baron von Wuttelsbach, Komteß Falkenauge und Bruderherz, Gräfin Eisenstein und Uta von Naumburg, im Belle­vue auf der Promenade des Ang­lais.

Die hübsche Baroneß von Naum­burg fiel ihm sofort ins Auge, ob­wohl er sonst nicht viel von Flirts hält; in diesem Punkt ist er ein wenig altmodisch, sehr zum Leid­wesen seines alten Herrn, der da ganz anders veranlagt ist.

Auf dem Tennisplatz haben sich Uta von Naumburg und der junge Mann getroffen und ein Spiel aus­

getragen, das nicht eben berühmt war - aber das war auch nicht so wichtig, viel wichtiger war, daß sie sich kennenlernten.

Uwe von Mering, so hat sich der junge Mann vorgestellt und Uta an­vertraut, daß er Cheflektor im Ver­lag seines Vaters sei und an der Riviera seinen Urlaub verbringe.

Tüpfchen schwindelte es ein wenig vor all den erlauchten Namen, in deren Trägerkreis sie sich seit eini­ger Zeit bewegt. Sie warf dem jun­gen Mann einen sehr prüfenden Blick zu, als wollte sie auf dem Grund seiner Seele lesen - ­

Nun aber wandeln sie zusammen durch die Sonne und sind unbe­schwert glücklich, ein wenig ver­legen und sehr erhitzt vom Spiel.

„Eigentlich - ", meint Uwe von Mering, „bin ich nicht sehr sport­lich."

„Ich auch nicht", stimmt Tüpf­chen zu. „Meine Schwester freilich und gar erst mein Bruder - ", sie beißt sich auf die Lippen und ist schnell ruhig.

Aber Uwe bemerkt es nicht wei­ter: „Ich lese lieber", stellt er un­umwunden fest. „Ein interessanter Roman ist mir lieber als ein Box­ring oder ein Autorennen. Na, es ist ja schließlich auch mein Beruf."

„Meiner auch", rutscht es Tüpf­chen voreilig heraus.

Uwe blickt verwundert auf: „Sie haben einen Beruf? Das finde ich vernünftig. Meistens haben die jun­gen Mädchen Ihres Standes keinen Beruf, sondern warten auf die reiche Partie. Ich finde das scheußlich. Wissen Sie, trotz der Gleichberech­tigung und so hat sich eigentlich nicht viel geändert. Das meiste sind Phrasen, weiter nichts. Sind Sie auch Lektorin oder gar - Schrift­stellerin?"

„Nein - ", meint Tüpfchen klein­laut. „Ich - ich will Buchhändlerin werden!"

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„Aber das trifft sich ja wunder­bar!" Uwe von Mering ist begei­stert. „Sehen Sie - die meisten Mädchen von heute lesen über­haupt nicht mehr. Sie haben nur In­teresse an schönen Kleidern und Boogie - woogie. Wenn man drei ernsthafte Worte mit ihnen spricht, laufen sie davon. Papa ist da frei­lich anderer Ansicht als ich, aber - na ja. Jedenfalls fein, daß wir uns getroffen haben!"

Sehr fein! Nur wäre es noch fei­ner, wenn Tüpfchen sich nicht in eine Baroneß von Naumburg ver­wandelt hätte, sondern schlicht und einfach Tüpfchen sein dürfte.

Uwe ist einen ganzen Kopf größer als sie, und sein Blondhaar leuchtet in der Sonne. Er hat schwarze Au­gen, die in reizvollem Gegensatz zu seinem Haar stehen.

„Wie lange bleiben Sie hier, Ba­roneß?" fragt er neugierig.

Tüpfchen zuckt ein bißchen zu­sammen: „Ich - ich weiß noch nicht", weicht sie aus. „Das kommt ganz darauf an, wie lange Papa - "

Gittigitt - das hätte sie jetzt bes­ser nicht gesagt. Sie wird rot und ärgert sich sehr.

„Ihr Herr Papa ist auch hier?" fragt Uwe begeistert.

„N - nein - - nein!" brummelt Tüpfchen sehr hilflos. „Er - er will aber noch kommen!"

„Mein alter Herr kommt heute auch, übers Wochenende und zum großen Ball des Bellevue. Forscher Mann - Schmiß, Monokel und so, Wissen Sie! Aber sonst recht ver­nünftig!"

Er nickt anerkennend und denkt, was sein alter Herr wohl zu dieser bezaubernden Baroneß sagen würde, die sogar liest und einen Beruf er­lernt und - keine gestrickten Strümpfe trägt.

An einem lauschigen Plätzchen halten sie an in stillschweigendem Einverständnis, hocken nebenein­

ander im warmen Sand und lau­schen dem Sang des Meeres - ­

Es ist wie in einem Roman, denkt Tüpfchen träumerisch versonnen; ich hätte es mir nie träumen lassen, daß ich einmal einen richtigen Ro­man erlebe - ­

Uwe von Mering aber spricht es aus: „Wenn man sowas in einem Roman liest, dann glaubt man es nicht. Man denkt, daß der betref­fende Schriftsteller eine blühende Phantasie habe, und klappt den ollen Schmöker zu. Ist es nicht so?" Er lacht ein bißchen. „Wissen Sie, ich habe wirklich nichts übrig für die Jazzfans. Nichts gegen guten Jazz - aber Beethoven ist mein Lieb­ling. Aber finden Sie heutzutage mal ein Mädchen, das mit in ein Symphoniekonzert geht! Ich finde es einfach prima, daß Sie lesen ­und Beethoven - mögen Sie den vielleicht auch?"

„Oh ja!" Tüpfchens Augen leuch­ten auf. „Meine Schwester ist auch ganz jazzverrückt. Aber ich höre lieber ein Symphoniekonzert!"

„Da sind wir ja eigentlich recht altmodische junge Leute", bemerkt Uwe von Mering sehr nachdenk­lich.

Aber ganz so altmodisch scheint Uwe von Mering doch nicht zu sein - oder war es vielleicht auch früher nicht anders? - denn er nimmt Tüpfchen mit einem Male, ohne groß zu fragen, in den Arm und küßt sie.

Verwirrt und glückselig in einem läßt sie es geschehen. Es ist schön, jung zu sein. Ich habe es noch nie so deutlich empfunden wie heute! Was für ein Tag - - !

„Auf so eine Frau wie dich habe ich immer gewartet", sagt Uwe und gibt sie ein klein wenig frei. „Jetzt halte mich nicht für verrückt, Uta - "

„Bitte, sag Tüpfchen zu mir! Alle

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die mich lieb haben, sagen Tüpf­­­en."

Er küßt sie schon wieder und streichelt ihr blondes Haar und flüstert: „Tüpfchen - das paßt zu dir! Du bist ja so süß! Richtig zum Anbeißen - du - - wir kennen uns ja erst kurz. Halt mich, bitte, nicht für verrückt! Ich bin sonst nicht so, aber wenn man so etwas wie dir begegnet, dann muß man zupacken, verstehst du - sonst geht man glatt an seinem Glück vorbei!"

„Ja - ", sagt Tüpfchen atemlos. An seinem Glück vorbei - denkt

sie, und heißer Schrecken sitzt da plötzlich in ihrem Herz und läßt es angstvoll schlagen. An seinem Glück vorbei - - Ja, du lieber Gott, wenn Uwe ein richtiger wasch­echter Freiherr von Mering ist, ­dann - dann ist es wirklich nur ein Roman, was sie da erleben.

Und sie wünscht ganz sehnlich, daß er auch ein bißchen hochsta­peln möge und vielleicht in Wirk­lichkeit Krüger, Maier oder Schulze heiße . . .

Aber ehe sie all diese schreck­lichen Gedanken weiter denken kann, nimmt Uwe sie schon wieder in seine Arme und küßt sie . . .

Und wenn es nur ein Märchen bleiben wird, spürt Tüpfchen dun­kel, dann will ich dankbar sein, daß ich ein Märchen erleben durfte.

Uwe hält Tüpfchens zierliche Ge­stalt ganz fest an sich gepreßt, er streichelt ihr seidiges Haar, und seine dunklen, blitzenden Augen sind ganz dicht über ihrem schma­len, erhitzten Gesichtchen.

„Wunderbar, daß Papa heute abend kommt - - " sagt er leise und selig. „Ich werde ihm unser Glück gleich anvertrauen. Papa hat Verständnis, er ist fabelhaft, und sicher wird er dir auch gefallen."

„Sicher - ", flüstert Tüpfchen mit geschlossenen Augen und denkt:

Dann ist er also doch ein richtiger Freiherr - ­

Freudig fährt Uwe fort, Pläne zu schmieden, und vergißt ganz, daß er sich soeben noch als altmodisch bezeichnet und jetzt ein Tempo vor­legt wie ein Düsenjäger.

„Und wenn dein Papa kommt, Tüpfchen, halte ich gleich in aller Form um deine Hand an. Verstehst du? Ich weiß, so alte Herren vom Schlag unserer Väter, die sehen auf so was! Also Smoking und ein Blumenstrauß - "

Ach Gott - da ist der ganze Jam­mer wieder! Tüpfchen richtet sich auf und stammelt verwirrt: „Das ­das - geht nicht!"

„Aber warum denn nicht, kleines Dummchen?" lacht Uwe. „Weil wir uns erst so kurze Zeit kennen? Ach, du - die richtigen Ehen werden im Himmel geschlossen, weißt du? Und Leute wie wir, die immer mit Romanen zu tun haben - die dür­fen ja wohl auch einmal einen er­leben!"

„Das - das ist aber - ich meine, das ist es nicht, aber", Tüpfchen schluckt, denn mit einem Male sit­zen die Tränen ganz gefährlich nahe.

Sekundenlang ist sie versucht, Uwe die Wahrheit zu sagen. Aber sie hat ganz einfach den Mut nicht dazu. Was würde er nur von ihr denken - - er kennt ja die nähe­ren Zusammenhänge gar nicht, und es ist so schwer, das alles zu er­klären!

Stumm und still hockt sie im Gras und kaut an einem Halm.

Uwe nimmt plötzlich ihre Hand und sieht sie fast erschrocken an: „Du - bist du vielleicht schon ­verlobt? Oder gar - verheiratet?"

„Nein!" sagt Tüpfchen fest. „Nein, nein! Das nicht! Wo denkst du hin. Ich - ich habe bisher immer nur gearbeitet!" Das ist natürlich jetzt auch wieder verkehrt; eine Baroneß

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von Naumburg würde nicht immer nur arbeiten.

Zärtlich streichelt er Tüpfchens Haar: „Still - schön still sein jetzt, hörst du? Jetzt bestimme ich - und du wirst dich ganz brav fügen! Und morgen - auf dem großen Ball des Bellevue, wird unsere Verlobung gefeiert!"

Mit fliegenden Fahnen hat Tüpf­chen kapituliert, ihr bisher so un­berührtes Herz verloren und könnte wohl ihr Glück finden - das ganz große, wirkliche Glück ihres Lebens, wenn - - ! Ja, wenn eben nicht alles ganz anders wäre!

Sie blickt auf ihre kleine Arm­banduhr und erschrickt; ihre „Pflich­ten" fallen ihr wieder ein.

Hastig steht sie auf: „Ich - ich muß gehen! Verzeih. Ich -ich habe mich mit der Komteß Falkenauge und der - Gräfin Eisenstein und dem Baron von Wuttelstach zu einer Fahrt nach Monaco verabredet."

Uwe nickt: „Ich bringe dich zum Hotel, Liebes. Liebes, du - - " Und ehe sie sich trennen, küßt er sie noch einmal. ­

Die Fahrt nach Monaco findet nicht statt. Denn der Herr Baron von Wuttelsbach ist ganz plötzlich erkrankt. Er liegt in seinem feuda­len Appartement zu Bett und trinkt Kamillentee. An seinem Schmer­zenslager sitzt Julius Pfifferlein und gibt ihm weise Ratschläge.

In Wirklichkeit ist der Herr Ba­ron natürlich mopsgesund; aber es war der einzige Ausweg, der ihm einfiel, um dieser entsetzlichen Party, die von der Komteß Falken­dingsda angeregt wurde, zu ent­gehen.

Wenn man es recht genau nimmt, fühlt sich Emil Wurstelbach aller­dings kläglich elend. Ein Schnaps wäre ihm beispielsweise bedeutend lieber als dieser läppische Kamil­lentee, den Pfifferlein für notwendig erachtete. Dieser schauerliche Tin­

tenkuli hat ihm sogar Rhizinusöl mitgebracht und nicht eher geruht, als bis der Herr Baron einen Teil eingenommen hat. Denn, so er­klärte er rührend besorgt: „Lieber Freund, bis zum großen Ball des Bellevue müssen Sie doch wieder auf dem Deckel sein!"

Mit Todesverachtung hat der Herr Baron das Rhizinusöl vernascht und nun rast er in regelmäßigen Ab­ständen bleich und mit verstörter Miene in einer ganz gewissen Rich­tung seines Appartements.

Auf der Terrasse des Bellevue aber sagt die Gräfin Eisenstein ver­stört zu der Komteß Falkenauge: „Ich muß zu ihm! Er ist krank! Ihr könnt mir jetzt alle gestohlen blei­ben mit eurer fabelhaft inszenier­ten Komödie. Er braucht mich, wenn er es an den Bronchien hat!"

„Bronchien"?" lacht die Komteß Falkenauge. „Angst hat er,, das ist alles!"

Uta von Naumburg blickt traum­verloren in imaginäre Fernen; sie denkt an ihr junges Glück, an ihre erste, große, heimliche Liebe und ­

„Kind, du gefällst mir gar nicht", sagt die Gräfin Eisenstein. „Tut dir irgend etwas weh?"

„Nein!" versichert Tüpfchen treu­herzig, ohne die Augen aus den se­ligen Fernen zu lösen. „Ich habe nur Durst."

Eine chromblitzende Limousine fährt vor, ein richtiger Straßenkreu­zer, und Tüpfchens Herz tut einen raschen, heißen Schlag. Freiherr von Mering, denkt sie . . .

Er ist es wirklich. Ein blendend aussehender Mann mit Monokel, Schmiß und dem Air eines wirkli­chen Herrn.

Carsten von Mering, Uwes Vater, ist - dies läßt sich leider nicht leug­nen - ein echter Casanova. Seit dem frühen Tode seiner geliebten Frau hat er es vorgezogen, sich

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nicht mehr fest zu binden, sondern - na ja - ­

Lachend umarmen sich Vater und Sohn vor der Terrasse des Bellevue. Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich, nur daß Carsten größer und stattlicher ist als Uwe.

„Hallo, Boy! Wie ist es an der alten Riviera?"

Uwe fällt mit der Tür ins Haus. „An der alten Riviera - " verkün­

det er strahlend und hakt seinen Vater unter, „habe ich ein junges Glück gefunden. Meine zukünftige Frau!"

Carsten fällt das Monokel herun­ter: „Nanu!" äußert er verwundert. „So was ist man ja von dir gar nicht gewohnt! Ist sie sportlich?"

„Nein!" ,,Liest sie Beethoven?" „Ja." Sie kommen die wenigen breiten

Stufen zur Terrasse herauf. Carsten von Mering seufzt: „So etwas Ähn­liches habe ich immer befürchtet. — Hoffentlich trägt sie keine handge­strickten Strümpfe! - Donnerwet­ter!" Ruckartig richtet er sich auf und klemmt sein Monokel wieder ein. „Tolle Frau! —-Wer ist denn das?"

Mäßig interessiert wendet sich Uwe um: „Eine Gräfin Humsdi­bumsdi - Eisenstein oder so, weiß nicht genau. Also - du gibst deine Einwilligung, Papa?"

„Erst - ", meint Carsten von Me­ring, und läßt die Gräfin Eisenstein nicht aus dem Auge, „erst muß ich sie natürlich gesehen haben. Wie gesagt, wenn sie wollene Strümpfe trägt —-wie heißt sie übrigens?"

„Uta von Naumburg!" Carsten von Mering sieht seinen

Sohn mit gerunzelten Augenbrauen an: „Uta von - wie? Naumburg? Muß mal gleich im Gotha nach­sehen. Kein Adel wäre mir lieber, es muß frisches Blut in die alte Fa­milie. Na, das sind deine Sachen!"

Er blickt noch immer auf die Grä­fin Eisenstein und murmelt verzückt: „Bezaubernde Frau! ' Tschuldige, Sohn, ich muß mich umziehen!"

Es ist eine rauschende, glanzvolle Nacht, ein Fest, das an der Riviera berühmt ist und Gäste von allen Kurorten nach Nizza lockt. Hun­derte und aber Hunderte von Lich­tern erglühen, Musik klingt auf, verschwenderisch duften und leuch­ten Blumen in kristallenen Schalen, und der Sekt fließt in Strömen.

Aber leider - so muß Baron von Wuttelsbach feststellen - haben die Kapitalisten auch ihre Sorgen. Obwohl er einen tadellos sitzenden Frack trägt, eine wirklich blendende Erscheinung ist und an seiner Seite Kim Howard verführerisch brilliert, obwohl er Hummer, Kaviar und kaltes Geflügel verzehrt, Austern schlürft und Sekt genießt - er hat millionenfache Sorgen. Noch nie­mals in seinem ganzen Leben hat er solche Sorgen gehabt!

Dieser Tintenkuli namens Julius Pfifferlein, so stellt er fest, ist eine wetterwendische Windfahne. Kaum­hat er bei der Gräfin Eisenstein einen ernstlichen Konkurrenten er­halten, einen mehr als ebenbürti­gen Rivalen - Freiherrn Carsten Mering, vertraute ihm der Kellner an - da läßt er die Gräfin sausen und macht dieser Komteß Falken­auge den Hof, und ihr nichtsnutzi­ger Bruder sitzt dämlich grinsend dabei.

Am schlimmsten aber ist doch die Sache mit der Gräfin. Dieser Car­sten von Meerrettich, oder wie er heißt, macht ihr in geradezu unver­schämter Weise den Hof. Ständig küßt er ihre Hände - du lieber Himmel, der Mann soll doch seine Schnecken essen und diese Hand­küsserei bleiben lassen!

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Da - er fordert sie zum Tanz auf! Gehört sich das vielleicht? Die Da­me ist Mutter von drei erwachse­nen Kindern! Und jetzt - oh Him­mel - - sie hören schon zu tanzen auf und - verschwinden - - in der - - Bar - - !

Der kalte Schweiß bricht dem Ba­ron von Wuttelsbach aus. Nur mit großer Mühe bewahrt er die Hal­tung - man weiß doch schließlich als Mann von Welt, was in so einer Bar alles geschieht. Feurige Drinks lösen feurige Liebesworte, und die­ser Meerrettich sieht aus wie ein echter Casanova.

In diesem Augenblick rauscht die Baroneß Uta von Naumburg in den lichterfüllten Saal in einem Kleid - - einem Kleid - - !

Insgeheim stöhnt der Herr Baron, wenn er an sein Bankkonto denkt - und da plaudert diese Dame Kim unentwegt von einem Pelzmantel, einem Mantel of Nöörz, der sünd­haft teuer ist.

Hah - auch die Baroneß von Naumburg ist nicht allein, einen flotten Kavalier hat sie sich aus­gesucht und flirtet so selbstver­verständlich mit ihm, als ob sie ihn schon jahrelang kenne.

Beachtlich tief sieht der junge Mann der Baroneß in die Augen. Schon wieder Handkuß - diese ewige Handküsserei! erregt sich der Herr Baron. Und innerlich tobt er: Eine verkommene Familie, diese Wurstelbachs, sittlich haltlos und ohne jeden Funken von Moral! Die­ser Komteß von Falkenauge habe ich ja nie viel zugetraut! Aber Uta von Naumburg und gar erst die Gräfin - - !

Ach, was waren das für schöne Zeiten, als Willi mit dem Abend­brot auf ihn wartete und Tüpfchen Träume deutete!

„Warum du dauernd machen ,oh' Darling?" fragt Kim gereizt. „Ver­

suche der Austern - sie sein very good!"

„Weri, weri!" sagt der Baron, um sich unvermittelt zu erheben. „Ge­hen wir in die Bar!"

Er hat keine Ruhe mehr. Wer weiß, was dieser Meerrettich mit der Gräfin anstellt, während er Au­stern ißt!

Seufzend erhebt sich Kim: „Wie du wollen, Darling. Gehen wir in der Bar. Wie sein das mit der Nöörz?"

Der Teufel hole den Nerz und den ganzen vornehmen Rummel! flucht der Herr Baron im stillen. In einem gut bürgerlichen Lokal könnte er jetzt die Hemdsärmel hochkrempeln und diesem Meerrettich rechts und links - ­

In der exklusiven Bar herrscht wohliger Dämmerschein.

Hah - da ist sie schon, die Grä­fin Eisenstein mit ihrem Meerret­tich-Casanova!

Ihre Toilette muß ein Vermögen gekostet haben: fliederfarbener Perlon mit schwarzem Organza, be­stickt mit - du heiliger Strohsack, das werden doch nicht Brillanten sein?

Dicht neben dem Meerrettich schwingt sich der Baron von Wut­telsbach auf einen Barhocker, nicht ohne der Gräfin einen grimmigen Blick zuzuwerfen, der die Dame aber sichtlich ungerührt läßt.

Wo habe ich nur meine Augen gehabt? denkt der verzweifelte Ba­ron. Neben dieser Gräfin verblaßt Kim ja wie - wie eine Klatschrose neben einer Chrysantheme - !

Und Hände hat diese Gräfin, — Hände - - barmherziger Himmel! Einen Rubinring trägt sie auch! Und diese Armbanduhr mit Brillantsplit­tern - ­

„Frau Gräfin müssen unbedingt Monte kennenlernen!" hört er den Meerrettich sagen.

Auch das noch! Dieser Kerl schreckt wirklich vor nichts zurück.

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„Wo du nur haben deiner Gedan­ken?" zischt Kim böse. „Ich dir reden von Liebe, und du himmeln an dieser arrogante gräfliche Ziege!"

„Erlaube mal!'" fährt der Baron empört auf. „Diese Dame ist - " Er räuspert sich erschrocken und ­schweigt.

Kim aber flötet: „Wie sein das mit die Nöörz?"

Schon wieder der Nöörz! Himmel, wenn die Gräfin etwas hört! Aber sie hört sicher nichts, denn sie sieht dem Meerrettich tief in die Augen, und - er küßt ihr schon wieder die Hand!

„Ja - - ", sagt der Baron. „Ja, du kriegst deinen Nöörz! Aber jetzt sei still davon!"

„Oh, Darling!" Kim schmiegt ihre Wange flüchtig an die gut wattierte Schulter des Barons.

Die Kapelle in der Halle fordert mit beschwingten Weisen zu einem Tanzcocktail auf.

Elegant gleitet der Meerrettich von seinem Barhocker und hilft der Gräfin - bietet ihr den Arm.

„Das - das ist ja - " schnaubt der Baron.

„Was ist?" fragt Kim nervös. „Das - das ist ja wirklich rei­

zend, was sie da spielen! Wollen wir nicht auch tanzen, Kim?"

Kim mißt ihn mit einem Blick, der Bände spricht. „Die Komteß von Falkendings haben behauptet, du können nix dancing. Meinen du, ich will sein - blamiert? Noch einen Flip, please!"

Auf ein paar Flips mehr oder weniger kommt es jetzt nicht mehr an. Vielleicht ist es am besten, man betrinkt sich fürchterlich, um sein ganzes Elend zu vergessen - - . Ach, wär' ich geblieben auf meiner Heide, denkt der Baron. Was war ich doch glücklich als Emil Wurstel­bach - und jetzt ist die ganze Herrlichkeit im Eimer! Ich habe es immer gewußt, daß Henriette Pu­

sterling eine heimtückische Person ist - - ihre Dollars konnten nichts Gutes bringen! Ich hätte meinen Träumen folgen sollen, dann wäre alles anders gekommen.

In diesem trübsinnigen Augenblick betritt die Komteß Falkenauge den Barraum. Sie scheint sich königlich zu amüsieren, denn ihre Augen strahlen, als habe sie das ganz, ganz große Glück gefunden.

An ihrer Seite aber ist - Julius Pfifferlein!

Zärtlich hält er ihre Hand, als sie die Bar betreten und sich ungeniert neben dem Baron und Kim auf die Hocker pflanzen.

„Liebes - ", hört der Baron den Tintenkuli flüstern, ,,das Leben ist so schön geworden, seit ich dich kenne! Wir werden bald heiraten und schrecklich viele Kinder krie­gen und - "

„Erlauben Sie mal!" mischt sich der Baron empört ein. „Das ist ja wirklich die Höhe!"

„Wie beliebt?" fragt der Tinten­kuli erstaunt.

Herr Baron von Wuttelsbach räus­pert sich: „Meine liebe Komteß - ", beginnt er väterlich-wohlwollend, „ich weiß wirklich nicht, was Ihr Herr Vater dazu sagen würde, wenn er - "

„Mein Vater", unterbricht Romy von Falkenauge seine Rede fröh­lich, „geht seine eigenen Wege. Was kann er da von seinen Kin­dern anderes erwarten?"

„Warum?" fragt der Tintenkuli und grinst unverschämt. „Hätten Sie etwas gegen einen Schwieger­sohn wie mich, Baron?"

Der Herr Baron zieht es vor, zu schweigen und die Bar fluchtartig zu verlassen. Kim segelt hinter ihm her wie eine steuerlose Fregatte bei hoher See.

Pfifferlein lacht herzlich: „Die ganz große Überraschung steht ihm ja erst noch bevor."

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„Mach's gnädig!'' bittet Romy ihn leise. „Ich möchte nicht, daß er ­daß er sich schämen muß."

„Ein kleiner Denkzettel, mein süßes Herz", sagt Julius Pfifferlein, „kann nie etwas schaden. Was meinst du, was geworden wäre, wenn du nicht eingegriffen hättest! Diese Dame Kim - haha - da ist er an die richtige gekommen! Und deine Mami scheint sich ja auch glänzend zu amüsieren, wie?"

Romy seufzt: „Hoffentlich macht Willi jetzt keine Dummheiten! ­Sorgen hat man mit seinen Eltern, Sorgen - - "

Und es sieht tatsächlich ganz so aus, als ob Frau Willi auf dem besten Wege wäre, Dummheiten zu machen. Die glanzvolle Umgebung und der köstliche Sekt haben sie ein wenig außer Fassung gebracht. Über­dies ist dieser Herr von Mering ein wirklich charmanter Mann und Ka­valier.

„Wie lange gedenken Sie an der Riviera zu bleiben, Gnädigste?" fragt er mit seiner dunklen, einschmeicheln­den Stimme, während er die Grä­fin in wiegendem Walzertakt über das spiegelnde Parkett führt.

„Ich - ich weiß noch nicht", stammelt die Gräfin etwas ver­wirrt. „Das kommt ganz darauf an, wie - ich meine, wie ich mich amü­siere!"

Carsten von Mering küßt - schon wieder! - ihre Hand und versichert charmant: „Wir werden die Riviera erleben, Gnädigste, nur wir zwei! Sie sehen zauberhaft aus - - ich habe schon lange keine so ent­zückende Frau mehr getroffen. Oh, ich werde Ihnen die tausend Schön­heiten dieses gesegneten Fleckchens Erde zeigen - . Wir werden nach Monte gehen und - ach, du Him­mel! Heute habe ich ja auch eine Schwiegertochter bekommen! Liest Klassiker, schwärmt für Beethoven und trägt gestrickte Strümpfe - na,

mein Filius ist alt genug, er muß es wissen! Hoppla - da kommt er ja!"

Uwe von Mering führt Uta am Arm; sie sieht zauberhaft aus in weißem Chiffon, dessen transparente Weite mit zartgelben echten Rosen geschmückt ist

„Lieber Vater - ", sagt Uwe feier­lich, „darf Ich dir meine Braut vor­stellen?''

Mering kippt das Monokel aus dem Auge, und die Gräfin wird blaß wie eine Christrose. Ja, sie zittert richtig - und dann färbt jähe, tiefe Röte ihre Wangen. Sie öffnet die Lippen, als wolle sie etwas sagen - und schließt sie wieder.

„Donnerwetter!" sagt Carsten von Mering und beugt sich über die Rechte seiner zukünftigen Schwie­gertochter. „Na - bist doch der Sohn von deinem Vater, Junge! ­Wollte ich mir auch ausgebeten haben! Gnädigste Gräfin - was sa­gen Sie dazu?"

Nichts, bitte sehr; die Gräfin sagt gar nichts. Auch nicht, als der Char­meur Carsten von Mering sie strah­lend auffordert, auf das Wohl des jungen Paares mit schäumendem Sekt anzustoßen.

Er hält eine entzückende kleine Rede, und die Gläser klingen hell zusammen. Niemand weiß, wie schwer Tüpfchens Herz ist. Doch, vielleicht eine - die Gräfin! Aber sie kann Tüpfchen nicht helfen. Es ist jetzt alles schon so verfahren, daß auch die Gräfin keinen Ausweg mehr sieht.

Es ist ein Roman, hämmert sich Tüpfchen immer wieder ein; es tut sehr weh. Ein Märchen - morgen ist alles zu Ende. Wir reisen ab, und Uwe - .

„Liebes!" flüstert Uwe ihr zu. „Ich bin glücklich, daß du meinem alten Herrn so gut gefällst!"

„Ja - ", stammelt Tüpfchen, „ja, er gefällt mir auch sehr, sehr gut!"

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„Und dein Vater ist noch nicht gekommen?"

„N-nein!" sagt Tüpfchen verwirrt. „Nein, nein! Das heißt - ich habe ihn noch nicht gesehen."

Und dann hält sie es nicht mehr aus - - es tut ja so schrecklich weh! Sie kann jetzt nicht mehr ne­ben Uwe stehen und lächeln und wissen - daß bald alles zu Ende ist. Sie läuft einfach durch die Tanzen­den hindurch, fort aus dem Belle­vue, dem Strand zu.

Verwundert blickt Uwe ihr nach. Was hat Tüpfchen nur? Sollte sie Schwierigkeiten mit ihrem Vater befürchten?

Tüpfchen aber steht unter dem funkelnden Sternenhimmel von Nizza, der so hoch und unendlich weit ist, und weint, als müsse ihr das Herz brechen. Es ist ganz ein­fach zu viel für sie - ­

Da hat sie den Mann gefunden, den sie liebt und mit dem sie - oh, sie weiß es ganz genau - glücklich werden könnte - - und alles, alles wird zu Ende sein, sobald der Tag graut!

Wäre sie doch nie und nimmer auf Romys verwegenen Plan ein­gegangen! Romy nimmt das alles viel leichter, aber sie wird zer­brechen an diesem ersten großen und echten Herzeleid.

„Uta! Utaa!! Wo bist du denn?" Das ist Uwe! Hastig wischt sich

Tüpfchen die Tränen aus den Au­gen und preßt ganz fest die Lippen zusammen.

„Liebes - - Tüpfchen - - ah, da bist du ja!" Uwe ist ganz außer Atem. „Du weißt ja, daß ich mich nicht zum Marathonläufer eigne. Dummchen - du - sag mal, hast du vielleicht geweint?"

Tüpfchen nickt. Und schon wie­der kullern die Tränen heiß aus ihren Augen.

„Ja, aber - warum denn? Warum weinst du denn?"

„Weil - weil ich so schrecklich - glücklich bin!" stammelt Tüpf­chen.

Da reißt Uwe sie an sich und küßt sie ungestüm, „Du Liebes - Lie­bes du - - mein Märchen! Wie glücklich werden wir zusammen sein - - "

Am Tisch des Herrn Baron von Wuttelsbach rollt eine neue Lage Sekt an. Diese Romy von Falken­auge hatte doch tatsächlich die Stirn, ihn zu ihrer Verlobung ein­zuladen, und der Tintenkuli scheint das ganz in der Ordnung zu finden.

Dabei hat er dem Baron doch noch am Vormittag erklärt, daß er der Gräfin Eisenstein die Cour schnei­den wolle . . . Auch dieser Mensch scheint keinen Funken Moral zu be­sitzen, entrüstet sich der Baron im geheimen.

Kim findet diese Verlobung rei­zend und wünscht der Komteß über­schwenglich Glück: „Das sein die story! That's okey! Man muß finden die richtige husband - well, Dar­ling!"

„Hassbänd!" stimmt der Baron zu. „Ja, doch! Es geht nichts über einen guten Ehemann!"

„Oh - ", sagt Kim. „Ich hatten gehaben very Pech mit meiner Ehen, Ah - take it easy! Nim es nix schwer! Auf Ihrer Zukunft, Komteß!"

„Und Sie, Baron?" fragt Romy von Falkenauge mit einem infamen Lä­cheln. „Wollen Sie mir nicht auch Glück wünschen?"

Ehe indes der Baron dazu kommt, irgendeinen jämmerlichen Glück­wunsch vom Stapel zu lassen, nähert sich dem Tisch ein Herr in schlichtem Abendanzug und ver­beugt sich.

Lähmende Stille breitet sich über die eben noch so heitere Runde am Tisch des Herrn Baron von Wuttels­bach. Es ist, als sähen sie alle das­

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Unheil leibhaftig auf sich zukom­men.

"Kims Lider flattern nervös, wäh­rend sie ihre Zigarette zum Mund führt und scheinbar gleichgültig den Rauch in die Luft bläst.

Romy von Falkenauge bat sich ein wenig vorgebeugt, und der Herr Baron zerrt an seinem Windsor­knoten.

„Ja, bitte?" fragt er. „Sie wün­schen?"

Der unscheinbare Herr verbeugt sich nochmals und sagt dann ruhig, als wolle er nur einen angenehmen Abend wünschen oder mitteilen, daß er von der Heilsarmee komme:

„Mrs. Kim Howard, alias Lady Munderfield, alias Contessa Mal­vio, alias Liese Müller - Sie sind verhaftet!"

Wäre eine Atombombe vor Baron von Wuttelsbach explodiert, er könnte nicht verzweifelter und ver­dutzter dreinschauen als im Augen­blick.

Seine Haare sträuben sich, man sieht es ganz deutlich; tiefe Blässe überzieht sein Gesicht, und auf der Stirn stehen kleine Schweißperlen.

Mil von Wuttelsbach erlebt eine fürchterliche Götterdämmerung und sieht mit nacktem Entsetzen dem Ende einer glorreichen Karriere als falscher Baron entgegen.

„Ich bitte Sie, kein Aufsehen zu erregen, meine Herrschaften!" sagt der unauffällige Herr freundlich, aber bestimmt. Eine Kriminalmarke blitzt auf.

Kim Howard ist aschfahl gewor­den; ihr Gesicht wirkt plötzlich alt, grau und verfallen; Falten werden erkennbar, die man vorher gar nicht sah, und ihre beryllfarbenen Augen schimmern kalt und drohend.

Sie regt und rührt sich nicht, aber

ihre Ruhe hat etwas unheimliches, als sei sie sprungbereit wie ein ge­warntes Raubtier, das nur darauf wartet, zum Angriff übergehen zu können.

Natürlich erregt der Tisch des Herrn von Wuttelsbach d o c h Auf­sehen, wenn man auch diskret ge­nug ist, so zu tun, als bemerke man nichts.

„Ich darf um Ihre Ausweise bit­ten!" klingt die leise Stimme des Kriminalbeamten wie die Posaune von Jericho in Emil Wurstelbachs Ohren.

Julius Pfifferlein zieht emsig sei­nen Paß und übergibt ihn dem Be­amten mit dem Bemerken: „Ich bürge für meine Dame!"

Der Beamte prüft den Ausweis und reicht ihn dankend zurück.

Ganz im geheimen, irgendwo in einer Ecke seines Herzens, ist der falsche Herr Baron froh, daß wenig­stens die Komteß Falkenauge ge­rettet ist; er wirft ihr einen schiefen Blick zu. Sie wird doch so gescheit sein, die Gräfin Eisenstein und den Grafen Peter von Falkenauge zu be­nachrichtigen.

„Und Sie, Herr Baron", klingt die Stimme des Beamten wieder auf. „Darf ich Sie höflich um Ihren Aus­weis bitten?"

Emil Wurstelbach wird kalkweiß und angelt verzweifelt in seiner Frackweste herum.

Der Beamte wartet geduldig; er macht den Eindruck, als ob er sehr viel Zeit hätte und notfalls einige Stunden zugeben würde, bis der Baron seinen Ausweis zutage ge­fördert hat.

Die Dame Kim verliert langsam ihre Haltung; ihre Schultern sinken. nach vorn und die bläulich getön­ten Lider zucken nervös, während sie den Baron beobachtet

„Verdammte Schweinerei!" sagt sie dam in völlig klangreinem und akzentfreiem Deutsch.

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Von ihrer brillierenden Schönheit ist nichts mehr übrig geblieben. So können wenige Minuten einen Men­schen verändern - - !

Endlich hat der Baron seinen Aus­weis gefunden und übergibt ihn dem Beamten. Der wirft einen flüchtigen Blick hinein und dann einen prüfen­den Blick auf den Baron. Seine Hal­tung wird noch unauffälliger, seine Stimme noch eine Nuance höflicher: „Darf ich Sie gebeten haben, mir unauffällig zu folgen - Herr Wur­stelbach?"

Wurstelbach! Das Spiel ist aus!! Der Vorhang hebt sich über dem

letzten Akt der Komödie um Tante Henriette Pusterlings Margarine-Dollars. Aus dem Herrn Baron Mil von Wuttelsbach wird wieder ­E m i l W u r s t e l b a c h !

Wie ein armer Sünder verläßt der falsche Baron den Saal, gefolgt von Kim und dem unauffälligen Herrn.

Als sie an der Gräfin Eisenstein vorüberkommen, wirft der falsche Baron ihr einen hilfeflehenden und beschwörenden Blick zu.

Aber die Gräfin in ihrer flieder­farbenen Perlon-Abendrobe trinkt Sekt; wenn sie auch blaß geworden ist und ihre Hände leise zittern.

Höflich öffnet der Beamte die Saaltür für Liese Müller. Sie wirft ihm einen haßlodernden Blick zu und rauscht hinaus.

Am Tisch der Gräfin klemmt Car­sten von Mering sein Monokel fester: „Tolle Sache!" äußert er sich interessiert. „Wahrscheinlich haben sie wieder ein internationales Hoch­staplerpärchen geschnappt. Es ist unglaublich, was heutzutage alles möglich ist!"

„Ja - ", stammelt die Gräfin mit erblaßten Lippen. „Ja, ja. Es scheint so, als ob - wirklich - - "

„Dieser Baron - ", lächelt Mering, „ist mir überhaupt ein bißchen ko­misch vorgekommen. Haben Sie nicht bemerkt, Verehrteste, wie

dieser Mensch Sie unablässig und herausfordernd angestarrt hat? Zu­gegeben, Sie sind, Gnädigste, durch­aus eine Erscheinung, die unbedingt die Blicke der Herrenwelt auf sich ziehen muß. Aber - so wie dieser Baron - - so etwas tut ein echter Gentleman nicht!"

Die Gräfin Eisenstein schluckt. Aber dann lächelt sie und ergreift ihr Glas, als sei nichts gewesen.

Im Direktionszimmer des Belle­vue. Es ist ein sehr schönes Zim­mer mit allem nur erdenklichen Komfort; aber das ist im Augenblick vollkommen gleichgültig.

Liese Müller hockt in einem tie­fen Sessel und starrt vor sich hin. Bleich und bar jeder Haltung lehnt Emil Wurstelbach am Kaminsims. Von draußen klingt Musik herein, Lachen, Gläserklirren, Plaudern und leiser Gesang - ­

Der Beamte wendet sich zunächst an den falschen Baron: „Ihr Aus­weis scheint echt zu sein, Herr ­Wurstelbach! Vorausgesetzt, daß Sie ihn nicht irgendwo entwendet haben!"

Emil zuckt zusammen. „Ich - ich heiße wirklich Wur­

stelbach - ", stammelt er verzwei­felt. „Doch, ganz bestimmt. Sie kön­nen es mir glauben! Mein Name ist Wurstelbach, Emil Wurstelbach, ge­nannt Mile. Ich war Angestellter in einer Konservenfabrik - bis ich - geerbt - verstehen Sie? Eine tote Schwester in Amerika. Und ihr Mann hatte sehr viel Margarine ­sehr viele Dollars, meine ich, mit Margarine gemacht, und - ja. Da wollte ich für einige Wochen an die Riviera und einmal leben wie ­wie - "

„Gauner!" zischt die Dame Liese Müller. „Also so ist das! Hah ­und ich habe an diese lächerliche

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Konservenfabrik geglaubt und ­der Baron ist in Wirklichkeit ein fetter kleiner Spießer - "

„Sie halten den Mund!" schnarrt der Kriminalbeamte erstaunlich scharf. „Sie werden später noch reichlich Gelegenheit haben, uns allerhand zu erzählen. Verstan­den?"

Liese Müller kriecht in sich zu­sammen, und der Beamte wendet sich wieder Emil Wurstelbach zu: „Schön! Sie haben also geerbt. Aber deshalb braucht man sich doch nicht gleich ein Adelsprädikat zu­zulegen?"

„Nein, nein! Natürlich nicht!" gibt Emil Wurstelbach kleinlaut zu. „Aber es macht ja jeder in seinem Leben einmal einen Blödsinn, und ich wollte so gerne - "

„Auf jeden Fall - ", unterbricht ihn der Beamte eisig, „werden Sie sich wegen Führung eines falschen Namens und Titels zu verantworten haben, Herr Wurstelbach! Können Sie einen Zeugen beibringen, daß Sie tatsächlich identisch sind mit diesem Emil Wurstelbach, den der Paß benennt?"

Einen Zeugen? V i e r , wenn es sein müßte. Aber leider geht das nicht. Denn diese Bürgen nennen sich von Falkenauge, von Naum­burg und von Eisenstein!

„Nein - ", stammelt Emil Wur­stelbach geknickt. „Leider - nein! Ich - ich bin ganz fremd hier."

„Das stimmt nicht!" keift Liese Müller. „Er hat eine ganze Menge Bekannte, alles Adelsfritzen! Prü­fen Sie die nur auch mal nach!"

Der Beamte geht auf ihr Gekeife nicht ein, sondern sagt kühl und sachlich zu dem verstörten Emil: „Ich bedaure, Sie so lange in Haft nehmen zu müssen, bis sich Ihre wahre Identität herausstellt!"

In diesem Augenblick öffnet sich die Tür, und - der Tintenkuli tritt

ein. Der hat dem armen Emil ge­rade noch gefehlt!

„Na, Kollege?" lacht Julius Pfif­ferlein den Beamten an. „Da ist ein netter Vogel ins Netz gegangen, wie?"

„Sie hatten recht!" sagt der Be­amte. „Diese Kim Howard und Lady Langfield und Contessa Malvio ist eine internationale Hochstaplerin, die schon mehr als einem Baron die Brieftasche geleert hat. Würden Sie die Ohrringe abnehmen, Fräulein Müller? Diesen Ohrringen verdan­ken wir es, daß wir Sie schnappen konnten. War ein bißchen unvor­sichtig von Ihnen, die Dinger so öffentlich zu tragen."

Liese Müller spuckt dem höf­lichen Beamten vor die Füße. Und dann sieht sie Pfifferlein an, als wolle sie ihm die Augen aus­kratzen.

Der zündet sich in aller Seelen­ruhe eine Zigarette an und erklärt ihr freundlich: „Damit Sie gar nicht erst auf den Einfall kommen, werte Dame, sich irgendwelche neuen Mär­chen auszudenken: Ich bin von einem gewissen Herrn in Deutsch­land beauftragt, diese Ohrringe zu suchen, die ihm in Cannes von einer gewissen Lady Munderfield entwendet wurden. Wir wissen alles! Es ist zwecklos, wenn Sie versuchen, uns zu täuschen. Das Beste für Sie wird sein, wenn Sie die Wahrheit gestehen. Na, es ist ja nicht das erste Mal, daß Sie ins Kittchen wandern!"

Fassungslos starrt Emil Wurstel­bach den Tintenkuli an. Dann fragt er verstört: „Wer - wer sind Sie nun eigentlich, Sie, Herr, Sie?"

Der Tintenkuli verbeugt sich: „Pfifferlein - Julius Pfifferlein, Pri­vatdetektiv und Kriminalschriftstel­ler. Ich habe in Deutschland einen Auftrag erhalten, wie Sie eben hör­ten, nämlich die verschwundenen Diamantohrringe eines mir persön­

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lich bekannten Herrn wieder her­beizuschaffen, da es sich um ein besonders kostbares Erbstück han­delt - nun, und dieser Auftrag ließ sich wundervoll koppeln mit einem anderen Auftrag, den mir ein be­zauberndes junges Mädchen gab, weil es Angst hatte um seinen Va­ter und das Glück seiner Familie. So ist das gewesen. Und ich konnte zu meiner großen Freude - beide Fliegen mit einer Klappe schlagen! Denn Fräulein Müller war so un­vorsichtig, die Ohrringe, die ich ver­zweifelt an der Riviera suchte, öf­fentlich zu tragen - nun, und zu­gleich war sie in Begleitung eines Herrn Baron von Wuttelsbach, den ich unschwer als den vermißten Vater meiner reizenden Auftrag­geberin erkannte. Selbstverständlich bürge ich für Sie, Herr Wurstel­bach - als zukünftiger Schwieger­sohn ist das ja Ehrensache, wie?"

Zwar noch etwas zögernd und grimmig, aber auf jeden Fall sehr erleichtert, reicht Emil Wurstel­bach Julius Pfifferlein die Hand.

Pfifferlein aber schlägt kräftig in die dargebotene Rechte: „Nichts für ungut, Schwiegervater! Sie haben mich jetzt als einen etwas aufdring­lichen Herrn kennengelernt. Aber das war nur Tarnung, wie Sie ver­stehen werden. Ich durfte weder Sie noch Mrs. Kim aus den Augen ver­lieren - einmal nicht wegen der Ohrringe und zum andern - wegen - nun, das wissen Sie ja!"

Er zwinkert dem entlarvten Ba­ron zu und überläßt es ihm, den un­vollendeten Satz zu Ende zu den­ken.

Romy - denkt Emil Wurstelbach! Diese ganze Komödie hat Romy an­gezettelt!

Und während die furchtbare Ka­tastrophe für Emil Wurstelbach langsam eine günstige Wendung nimmt - wogen in den festlich ge­

schmückten Räumen des Bellevue Musik und Tanz.

Carsten Mering erlebt die größte Überraschung seines Lebens - oder eigentlich gleich zwei!

Die schöne Gräfin Eisenstein hört seinem Plaudern nur noch sehr zer­streut zu, sie gibt falsche Antwor­ten und wird blaß und blässer.

Plötzlich erhebt sie sich und sagt zitternd, aber entschlossen: „Ich muß zu meinem Mann! Er braucht mich!"

„ I h r G a t t e ? " Casanova Mering ist erstarrt „Ja, aber - wo ist er denn?"

„Verhaftet ist er", sagt die Grä­fin Eisenstein und trifft unter der Tür Tüpfchen, am Arm Uwe von Merings.

„Mami!" weint Tüpfchen herzzer­brechend auf. „Was haben sie mit Vater gemacht?"

Aus Frau Willis Augen stürzen heiße Tränen: „Komm, Kind!" sagt sie mit leiser Stimme. „Er braucht uns! Wir dürfen ihn nicht im Stich lassen!"

Völlig versteint starrt Uwe den beiden Damen nach, die eilends ver­schwinden - - er steht so lange, bis Carsten ihn auf die Schulter klopft: „Steh nicht da wie ein Öl­götze, zum Donnerwetter! Da ­trink! Prost, Sohn! Hahaha - - "

Uwe stürzt sein Glas Sekt hin­unter und fragt entgeistert: „Du lachst? Aber Papa! Ich finde das schrecklich! Uta - "

Mering kneift ein Auge zu: „Ich weiß nicht - ", meint er, „ich habe das Gefühl, so schlimm, wie es aus­sieht, ist die Sache nicht. Macht mir gar keinen unsoliden Eindruck, die Gräfin Eisenstein. Übrigens - von Naumburg existiert nicht, hab im Gotha nachgesehen -"

„Ja, aber",, stammelt Uwe schrek­kensbleich, „dann wäre Tüpfchen ja - - "

„Abwarten, mein Sohn!" tröstet

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Mering. „Abwarten und Sekt trinken!"

Zwei Tische weiter sitzt die Kom­teß Falkenauge mit ihrem Bruder­herz und trinkt gleichfalls Sekt.

„Ich weiß nicht - ", meint Stups, „ein bißchen ungemütlich ist mir schon in meiner Haut. Man müßte sehen, was der alte Herr macht. Schließlich eine ganz verteufelte Situation, in die er da geraten ist. Übrigens seine Jacht ist dufte."

„Laß mich mit der Jacht zufrie­den!" wehrt Romy böse. „Glaubst du, ich bin so ruhig, wie ich tue?"

Unterdessen wird Liese Müller aus dem Direktionszimmer des Bel­levue abgeführt, nicht, ohne dem falschen Baron noch einen vernich­tenden Blick zuzuwerfen.

Julius Pfifferlein nimmt behutsam Tüpfchens Hand. „Kommen Sie", sagt er leise, „ich glaube, hier sind wir überflüssig!"

Frau Willi und ihr Gatte Emil stehen sich stumm gegenüber ­beide in fantastischem Abenddreß.

„Du - , stammelt Willi unter Tränen, ,, - siehst fabelhaft aus!"

Die jämmerlich zusammengesun­kene Gestalt des entlarvten Barons strafft sich ein wenig: „Wie - wie meinst du das, Willi?" fragt er mit zitternder Stimme.

In Frau Willis Augen glänzen Trä­nen der Rührung: „Wie - wie ein - richtiger Baron! Doch, Mile ­auf mein Wort!"

„Und du - ", flüstert Emil Wur­stelbach hingerissen, „siehst aus wie - wie eine richtige Gräfin! Doch, Willi - auf mein Wort! In meinem ganzen Leben und all die Jahre, die wir verheiratet sind, habe ich nicht gewußt, was für eine wundervolle Frau ich habe - wie schön du bist! Ach, Willi, kannst du mir verzeihen?"

Frau Willi nickt unmerklich ­ihre tränenschimmernden Augen können sich nicht lösen von Emil Wurstelbach, dem Wiedergefunde­nen - dem Vater ihrer Kinder - ­

„Ja - ", flüstert sie. „Ach, Mile - was gibt es überhaupt zu ver­zeihen? Wir haben uns lieb!"

Und ihre kunstvolle Haartracht kommt reichlich in Unordnung, als Emil sie an sich reißt und stürmisch küßt - fast so wie damals unter dem Fliederbusch.

„ Nie mehr -", beteuert er dabei, „nie mehr, Willi, wird so etwas vorkommen! Das schwöre ich dir! Und wenn ich auch noch wirklich im Toto gewinnen sollte oder drei Erbtanten sterben - ganz abgesehen davon, daß wir keine mehr haben, keine Erbtante meine ich! Ach, du, Willi - wie habe ich dir das nur antun können! Ich glaube, jener verlorene Totogewinn war tatsäch­lich ein Fingerzeig des Schicksals. Du hast es ja gleich gesagt - nur daß ich es dir nicht habe glauben wollen."

Er beugt sich über ihre Hände, wie ein gewisser Meerrettich, und küßt sie andachtsvoll.

Mit einem feinen Lächeln läßt es Frau Willi geschehen; und sie denkt, daß die Männer wohl immer erst merken, was sie an ihren Frauen haben, wenn ein anderer ihnen in die Quere kommt.

„Wir werden glücklich sein!" ver­sichert Emil Wurstelbach gerührt. „Diese kleine - oh, nein, große Episode als falscher Baron wird mir eine Warnung sein für mein ganzes Leben. Man soll nie mehr scheinen sollen, als man ist! Und kein trü­gerisches Glück in Glanz und Luxus suchen, auch wenn man noch so viel Geld hat; denn das wahre Glück liegt ganz woanders - - "

„Mile!" „Willilein!" Und wieder halten sie sich um­

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schlungen, der falsche Baron von Wuttelsbach und die Gräfin Eisen­stein, und küssen sich wie ein jung­verliebtes Paar!

Draußen klingt noch immer die Musik des rauschenden Festes; die Paare drehen sich im Tanz; in der Bar werden verliebte Worte ge­wechselt, und alles scheint eitel Wonne und Freude zu sein . . .

Am Verlobungstisch beugt sich Julius Pfifferlein zu einer gewissen Komteß Romy von Falkenauge und sagt leise: „Alles in Ordnung, Lieb! Es ist noch besser gegangen, als ich dachte."

Romy lächelt erleichtert: ,,Gott sei Dank!" sagt sie leise. „Ich habe mir doch große Sorgen gemacht. Ich danke dir - - "

Julius Pfifferlein schüttelt den Kopf: „Keine Ursache, mein Lieb­ling! Hauptsache - ihr werdet alle miteinander glücklich und ich mit!"

„Egoist!" droht Romy schelmisch. Auch Stups atmet sichtlich auf

und denkt bei sich, daß es viel ge­mütlicher war, als sie noch nicht im Besitz von Tante Henriette Pu­sterlings Margarine-Dollars gekom­men waren. Himmel, ist das ein Wirbel geworden! Und wegen der Jacht muß er mit dem alten Herrn noch ein vernünftiges Wort unter Männern reden - die ist dufte, und schließlich könnte man sich sowas ja nun wirklich leisten! Er hat da einen fabelhaften Traum gehabt ­ja, seit Tante Henriettens Traum­epidemie träumt Stups, der sonst tief und traumlos schlief, jede Nacht.

Aber - es ist noch lange nicht alles in Ordnung. Auch mit den schönsten Träumen nicht

Denn da kommt Tüpfchen an den Tisch des Herrn von Mering; blaß,

zitternd und mit brennenden Au­gen. Doch auch in ihrer Verzweif­lung sieht sie süß aus, und Casa­nova von Mering klemmt unwill­kürlich das Monokel fester. Er ist riesig gespannt, was nun eigentlich die Wahrheit dieser Story ist.

„Uwe - ", sagt Tüpfchen leise und bemüht sich, ihrer Stimme Festig­keit zu geben. „Ich - muß dir die Wahrheit sagen. Es hat alles keinen Sinn. Nein, bitte, Herr von Mering, - bleiben Sie! Es tut mir so bitter leid, daß ich Sie enttäuschen muß, aber - - "

„Na, nun setzen Sie sich mal erst, Baroneßchen!" lächelt Casanova Me­ring und rückt den Sessel zurecht. „Und trinken Sie einen tüchtigen Schluck! Dann wird Ihnen gleich besser werden. Sie sind ja ganz blaß um das hübsche Naschen. So ist es brav. Noch einen Schluck! Auf das Wohl Ihrer bezaubernden - wie war das doch? - Mama, nicht wahr?"

Uwe von Mering sieht das Mäd­chen an, dem er sein Herz geschenkt hat, und heiße Angst würgt ihn.

Was würde Tüpfchen Schreck­liches zu enthüllen haben?

Er begreift den Vater einfach nicht, wie leicht der alles nimmt, und lä­chelt. Was, zum Teufel, gibt es denn da noch zu lächeln?

„Das ist nämlich so - ", beginnt Tüpfchen und nimmt noch einmal einen großen Schluck Sekt, ehe sie fortfährt: „Ich bin gar keine Baro­neß von Naumburg. Und meine Mama ist keine Gräfin Eisenstein. Wir heißen alle Wurstelbach, Vater und Mutter und ich. Und Romy und Stups - das ist die Komteß Falken­auge dort drüben und der Graf Peter."

Ihre Worte überstürzen sich förm­lich, als könne sie gar nicht schnell genug loswerden, was nun doch ein­mal gesagt werden muß.

„Es war so, daß wir geerbt haben.

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Eine Schwester von Papa ist gestor­ben, Henriette Pusterling, eine Mil­lionärin aus Amerika. Und da hat Vater - ja, also - er ist an die Rivi­era gefahren und hat uns gar nichts davon gesagt und hat uns allein ge­lassen. Erst waren wir alle schreck­lich unglücklich und haben uns gar nicht zu helfen gewußt, aber dann hat Romy eine Idee gehabt. Romy ist also die Komteß dort drüben. Sie hat mit Herrn Pfifferlein in einem Verlag gearbeitet, und er ist nicht nur Kriminalschriftsteller, sondern auch noch Detektiv, Privatdetek­tiv, wissen Sie! Und er hat festge­stellt, wo Papa ist und daß er sich Baron nennt und alles das. Und dann sind wir getrennt ins Belle­vue gekommen, um Vater zur Ver­nunft zu bringen. So war das."

Tüpfchen schweigt, und ihr Ge­sicht ist leer und armselig, als wür­de nun der Himmel einstürzen oder doch die Decke des Bellevue.

Aber natürlich geschieht nichts dergleichen, sondern alles bleibt hübsch an seinem Platz. Casanova von Mering lacht, daß sein Mono­kel hüpft.

„Großartig! Einfach phänomenal! So eine gute story habe ich schon lange nicht mehr gehört, geschwei­ge denn erlebt! Hallo - wo ist meine zukünftige Schwiegertochter­schwester - wie war das? Falken­auge? Köstlich! Köstlich! Ausge­rechnet Falkenauge! Haha! Men­schenskind, Uwe, da wird ein Ro­man draus gebaut - großartig, diese Geschichte! Fabelhaft! Hallo, Kom­teß Falkenauge - - "

„Tüpfchen - ", sagt Uwe leise und zärtlich und hält ihre zitternden Hände ganz fest. „Mein armes, ar­mes Herz! Darum also hast du ge­weint?"

Tüpfchen nickt, und schon wieder kullern glitzernde Tränen über ihre Wangen.

„Dummchen - " flüstert Uwe zärt­

lich. „Hättest du es mir nur gleich gesagt - - "

Casanova Mering aber beugt sich bereits über die Rechte der Komteß Falkenauge: „Charmant, meine Gnä­digste! Einfach hinreißend! Wie ­Sie haben sich heute verlobt? Mei­nen herzlichsten, allerherzlichsten Glückwunsch! Ein Jammer - alle schönen Frauen an der Riviera sind bereits vergeben! Und auch noch gleich ein Detektiv - !"

Julius Pfifferlein und Mering rei­chen sich die Hände.

Dann fragt Mering, in dem sich bereits der Verleger zu Wort mel­det: „Taugt Ihr Zeug etwas? Ich meine - wird es nicht nur gedruckt, sondern auch gelesen?"

Julius Pfifferlein lacht: „Ich hoffe!" „Um so besser! Dann bleibt das

Geschäft in der Familie. Uwe! Den Autor für unsere Story haben wir schon - deinen künftigen Schwa­ger!"

Lachen, Händeschütteln, ein paar Rührungstränchen - jawohl, in den Augen der emanzipierten Romy. Man sitzt zusammen und freut sich königlich. Man spricht noch einmal die ganze Komödie durch und fin­det, daß Tante Henriette Pusterlings Dollars doch gut angebracht sind.

„Und denk dir nur, Tüpfchen - ", verkündet Romy strahlend, „heute Nacht habe ich von schrecklich viel - Flöhen geträumt!"

Tüpfchen zieht die Stime kraus. „Das bedeutet - ", verkündet sie ernst, „nach dem goldenen ägypti­schen Traumbuch, unheimlich viel Gtück!"

Und sie erheben wieder die Glä­ser und stoßen an. Stups findet, daß es reichlich überflüssig ist und daß es an der Zeit wäre, sich um die alten Herrschaften zu kümmern.

Er trifft Frau Willi und ihren Gat­ten in der Halle, Arm in Arm und glückselig lächelnd.

„Pack deine Koffer!" sagt Emil

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Wurstelbach zu seinem hoffnungs­vollen Sprößling. „Und ein bißchen plötzlich! Ich habe genug an einem Skandal! Wir müssen verschwinden, mein Sohn! Wenn sie rauskriegen, daß diese Falkenaugen und Eisen­steins und was weiß ich - alle nicht echt sind, dann landen wir unfehlbar im Kittchen, und daran habe ich nicht das mindeste Inter­esse!"

Stups grinst infam: ,,Quatsch!" sagt er. „Wir hatten doch die Hotel­leitung verständigt."

Emil Wurstelbach empfindet, daß Söhne recht unbequem werden können . . .

Und dann wird es wirklich eine rauschende Ballnacht, und nichts, aber auch gar nichts steht dem Glück mehr im Wege. Ja, es stellt sich sogar heraus, daß, entgegen der hämischen Bemerkung der Kom­teß Falkenauge, Emil Wurstelbach mit seiner Frau Willi vorzüglich Walzer tanzen kann.

Casanova Mering meint mit be­dauerndem Lächeln: „Wenn mir dieser Abend nicht einen so reizen­den Familienzuwachs beschert hätte, wäre ich tatsächlich unglücklich."

Jetzt findet Emil Wurstelbach den Meerrettich gar nicht mehr so übel; nur mit Julius Pfifferlein ist er noch nicht ganz ausgesöhnt.

„Nun verraten Sie mir mal, Herr Schwiegersohn", erkundigt er sich vorsichtig und mißtrauisch, „warum eigentlich wollten Sie meiner Frau die Cour schneiden?"

Pfifferlein lacht unter Tränen: „Um S i e an der Flucht zu hindern, Schwiegerpapa! Darum habe ich Ihnen ja auch die Story von dem hochstapelnden Baron erzählt - aber Eifersucht ist noch immer das sicher­ste Mittel!"

„Teufelskerl!" brummt Emil Wur­stelbach, endgültig versöhnt. „Dann - können wir ja Bruderschaft trin­ken. Aber nun sag mir noch, wo du

deinen Spitzbart und das grau­melierte Haar so plötzlich gelassen hast?"

„War alles nur Tarnung, Schwie­gerpapa!"

Hell klingen die Gläser von Emil Wurstelbach und Julius Pfifferlein zusammen.

Zwei Paare haben sich gefunden und sehen sich zärtlich und verliebt in die Augen: Tüpfchen und Uwe von Mering, Romy und Julius Pfif­ferlein.

Nein! Eigentlich sind es drei: denn Frau Willi und ihr Mile ma­chen der Jugend ganz entschieden Konkurrenz.

Casanova Mering denkt es für sich, und ein klein bißchen wird er traurig bei der Feststellung: es taugt eben doch nichts, allein zu sein!

Aber dann streift sein Blick das bezaubernde Tüpfchen, die zwar Klassiker liebt und Beethoven liebt - aber Gott sei Dank keine hand­gestrickten Strümpfe trägt. Ein sol­ches Schwiegertöchterlein wird ganz bestimmt Sonnenschein ins Haus bringen.

Die Nacht wandert schon leise dem Morgen zu, als Emil Wurstel­bach einen feierlichen Trinkspruch ausbringt auf - Henriette Puster­ling:

„Laßt uns die Gläser erheben und an die Eine denken, der wir all dies verdanken - Henriette Pusterling! Sie war ein wenig sonderbar und hat es für Wochen verstanden, uns die Hölle heiß zu machen - aber wir verdanken ihr viel! Möge sie selig und in Frieden - träumen!"

Fern über dem Wasser graut schon der Tag, als Frau Willi und ihr Emil allein sind in dem luxuriösen Appartement des falschen Barons.

Schweigend, Hand in Hand, stehen sie und sehen in den verblassenden Sternenhimmel über Nizza. Zärtlich lehnt Frau Willi ihr Köpfchen an

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Page 65: Wurstelbach in Schwulitäten

die Schulter ihres Mannes und sagt still: „Zu Hause, Mile, ist es doch am schönsten!"

Viel ist nicht mehr zu berichten über das Schicksal des falschen Ba­rons und seiner Lieben; denn das Leben kehrt in den Alltag zurück und bringt Freud und Leid in wohl­zugemessenem Maße.

Einiges freilich hat sich geändert - dank den Margarine-Dollars der Henriette Pusterling und den Erfah­rungen, die Emil Wurstelbach als falscher Baron gesammelt hat.

Romy leitet einen entzückenden kleinen Modesalon und ist zugleich Julius Pfifferleins zärtliche und für­sorgliche Gattin. Nicht ganz unbe­teiligt ist sie an seinem Schriftstel­lerruhm; denn sie hat unbezahlbare Ideen, auf die sich der Verleger Mering immer schon händereibend freut.

Die Pfifferleins bewohnen ein ent­zückendes Häuschen, ein wenig außerhalb der Stadt, und sind wunschlos glücklich. Tüpfchen aber bringt wirklich Leben und Sonnen­schein in das stille Haus der Me­ring. Sie hilft ihrem Mann bei der Arbeit und freut sich gar schreck­lich auf den kleinen Jungen; denn Tüpfchen ist überzeugt davon, daß es ein Junge sein wird.

„Aber er muß Carsten zu mir sagen!" meint Casanova Mering ernsthaft. „Ich kann doch unmög­lich vor aller Welt zugeben, daß ich Großvater bin."

Stups beendet sein Studium und hat alle Aussicht, einmal ein be­kannter und berühmter Ingenieur zu werden.

Und Frau Willi und ihr Mile? Nun, sie haben sich mit Charme

und Eleganz darein gefunden, reich zu sein. Denn auch Reichsein ist eine Kunst, die noch lange nicht jeder beherrscht, der ein tolles Bankkonto hat.

Übrigens: Emil Wurstelbach macht immer noch in Konserven - nur mit dem Unterschied, daß er Teil­haber der Firma ist, in der er ehe­mals nur als Angestellter tätig war.

Auch Emil und Frau Willi haben sich ein Häuschen gebaut; aber manchmal scheint es ihnen seltsam leer, da die Vögelchen aus dem Nest geflattert sind . . .

Jedes Jahr aber verbringen sie ihren Urlaub gemeinsam an der Ri­viera im Hotel Bellevue, in dem der Herr „Baron von Wuttelsbach" ein wirklich gern gesehener Gast ist.

Alle, alle kommen sie dann: Frau Willi und ihr Mile, Tüpfchen und Uwe, Romy und Julius Pfifferlein, Stups und Casanova Mering, der noch immer mit seiner hübschen „Gräfin Eisenstein" flirtet, obwohl der Ehegatte Emil Wurstelbach eifersüchtig über ihr wacht.

Wenn aber dann die sonnigen Tage in Nizza zu Ende gehen, dann sagt Frau Willi jedesmal zu ihrem Mile: „Es war wunderschön - ein­fach herrlich! Aber - freust du dich auch so auf zu Hause, Mile, wie ich?"

Und Emil Wurstelbach küßt seine Willi und meint ernst und nach­denklich: „Zu Hause ist es immer am schönsten! Das Glück ist nicht in den Luxushotels daheim, sondern in den Herzen der Menschen, die sich lieben!"

- E N D E ­

Page 66: Wurstelbach in Schwulitäten

In seinem vor Fröhlichkeit übersprudelnden Roman

(Band 55 des „lustigen Kelter-Romans")

berichtet

Axel Schwank

von den turbulenten Erlebnissen eines jungen Mäd­

chens am Tage vor seiner Trauung. Was viele Tau­

sende seiner Leser schon wissen, wird diese er­

frischende Geschichte erneut unterstreichen: Bei der

Lektüre von Axel-Schwank-Romanen bleibt kein

Auge trocken!

Besorgen Sie sich, bitte, diesen Roman, wie alle an­

deren neuerscheinenden Hefte unseres Verlages,

bei Ihrem Zeitschriftenhändler. Wenn Sie ältere

Romane zu lesen wünschen, die Sie bei Ihrem Zeit­

schriftenhändler nicht mehr bekommen, wenden Sie

sich, bitte, an den Verlag. Wir senden Ihnen die

Hefte gegen Voreinsendung des Betrages (auch in

Briefmarken) gern portofrei zu.

Printed in Western-Germany 1957.

Page 67: Wurstelbach in Schwulitäten

Band 36 Axel Schwank ALLOTRIA BEI METZ & CO.

Band 37 Hannes Peter Stolp DER JUNGE HERR WETTERLIND

Band 38 J. Friedrich EIN UNMÖGLICHES MÄDCHEN

Band 39 Hannes Peter Stolp DAS GLÜCKSSCHWEIN DES MINISTERS

Band 40 Friedrich Pommer BEINAH GING DIE SACHE SCHIEF

Band 41 Will Kracht ZUM KUCKUCK, ELISE !

Band 42 Hanns-Claus Roewer MEYERS TRUDE AUS BUXTEHUDE

Band 43 Hannes Peter Stolp DER GLÜCKSPILZ

Band 44 A. Müller CASANOVA WIDER WILLEN

Band 45 Hannes Peter Stolp EINE FETTE ERBSCHAFT

Band 46 Friedrich Pommer CLOTHILDE SETZT SICH IN DIE NESSELN

Band 47 Axel Schwank DER CHRISTIAN VON DER POST

Band 48 Fritzheinz van Doornick SCHLOSS BÄRNEGG STEHT KOPF

Band 49 Axel Schwank WENN EINE EHEFRAU VERREIST

Band 50 Arno Beckmann EIN TROTTEL NAMENS SAGEBIEL

Band 51 Fritzheinz van Doornick VATER WERDEN WIE NOCH NIE

Band 52 Friedrich Pommer ZUR FRÖHLICHEN ZWEISAMKEIT

Band 53 Axel Schwank DIE SCHÖNE WIRTIN VOM GOLDENEN STERN

Band 54 E. Heitermann WURSTELBACH IN SCHWULITÄTEN

Page 68: Wurstelbach in Schwulitäten

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