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Wort und Gedanke (Zur Kritik sprachlicher Vermittlung bei Platon und Plotin) || III. Persönliches...

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III Persönliches Engagement 1 Προθυμα An Stellen, wo das Gespräch sich den höchsten Dingen nähert und nicht mehr auf ein Abbild, sondern auf ,das Wahre selbstausgeht (rep. VII 533 a) oder, wie es im Symposion (210 a 14) heißt, τδτλεα καὶἐποπτικ, ν νεκα κατατα στιν, äußert der Gesprächsführer Zweifel, ob sein Schüler ihm hier noch folgen können werde. Man gelangt offensichtlich an einen Bereich, dessen adäquate Erkenntnis die Fassungskraft auch eines willigen und lerneifrigen Schülers zu übersteigen droht. Es ist das Reich der Ideen, des Seins und der Wahrheit in einem reinen Sinne, dessen Grenzen zu überschreiten dem Menschen der kontingenten Sin- nenwelt des Werdens und Vergehens und der Unbeständigkeit eine äußerste Geistesanstrengung und existentielle Erhebung über sich selbst hinaus abver- langt. Und doch ist sie nötig, soll alle bisherige, darauf hinführende Erkennt- nisbewegung nicht ins Leere laufen und infolgedessen auch alle Klärung der ir- dischen Dinge und Verhältnisse und mit dieser die Möglichkeit eines vernünftigen Handelns in dieser Welt nicht ihres Grundes und letzten Zweckes entbehren. Mithin tritt das Lehrgespräch an diesem Punkt in eine kritische, über Erfolg oder Scheitern des Gedankens schlechterdings entscheidende Phase. Und da sagt nun der Lehrer zu, an seiner προθυμα solle es nicht fehlen. Diese Bereitschaft, alles Geeignete zu tun, das Gespräch über die gefährliche Hürde zu heben, hat die Erkenntnis der Sache, welche den Fortgang verlangt, und den Schüler zugleich im Auge, welcher der Hilfe bedarf. Diese besteht intellektuell in der tieferen Be- gründung des Gesagten,welche doch auch das Vermögen des anderen zu folgen berücksichtigen muß, und psychologisch in der emotionalen Unterstützung und Ermutigung des Partners,² welcher nach seinen unzulänglichen Voraussetzungen in Gefahr gerät, an der entscheidenden Klippe zu scheitern, indem er sie entweder übersähe und einem eitlen Scheinwissen verfiele (wie Dionysios II. von Syrakus) oder angesichts der Schwierigkeit der Aufgabe resignierte. Indirekt ist damit auch der Leser angesprochen: Wie dem lernenden Gesprächspartner wird ihm Zuspruch gewährt und Vertrauen in die überlegene Regie des Redners und Autors einge- flößt. Er erhält ein Signal, daß die folgenden Ausführungen besonders an- spruchsvoll sein werden, und wird so zu erhöhter Aufmerksamkeit und Konzen- tration gemahnt, die der zugesagten προθυμα des Lehrers gleichsam antwortet. Wie dieser nicht nur einer tieferen Einsicht und der Fähigkeit bedarf, sie auch einem anderen zu eröffnen und ihn schauen zu lassen, was die Dinge offenbaren Paränese, vgl. Gaiser 1959. Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 11/5/13 3:49 AM
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  • III Persnliches Engagement

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    An Stellen,wo das Gesprch sich den hchsten Dingen nhert und nicht mehr aufein Abbild, sondern auf ,das Wahre selbst ausgeht (rep.VII 533 a) oder, wie es imSymposion (210 a 14) heit, , ,uert der Gesprchsfhrer Zweifel, ob sein Schler ihm hier noch folgen knnenwerde. Man gelangt offensichtlich an einen Bereich, dessen adquate Erkenntnisdie Fassungskraft auch eines willigen und lerneifrigen Schlers zu bersteigendroht. Es ist das Reich der Ideen, des Seins und der Wahrheit in einem reinenSinne, dessen Grenzen zu berschreiten dem Menschen der kontingenten Sin-nenwelt des Werdens und Vergehens und der Unbestndigkeit eine uersteGeistesanstrengung und existentielle Erhebung ber sich selbst hinaus abver-langt. Und doch ist sie ntig, soll alle bisherige, darauf hinfhrende Erkennt-nisbewegung nicht ins Leere laufen und infolgedessen auch alle Klrung der ir-dischen Dinge und Verhltnisse undmit dieser die Mglichkeit eines vernnftigenHandelns in dieser Welt nicht ihres Grundes und letzten Zweckes entbehren.Mithin tritt das Lehrgesprch an diesem Punkt in eine kritische, ber Erfolg oderScheitern des Gedankens schlechterdings entscheidende Phase. Und da sagt nunder Lehrer zu, an seiner solle es nicht fehlen. Diese Bereitschaft, allesGeeignete zu tun, das Gesprch ber die gefhrliche Hrde zu heben, hat dieErkenntnis der Sache,welche den Fortgang verlangt, und den Schler zugleich imAuge, welcher der Hilfe bedarf. Diese besteht intellektuell in der tieferen Be-grndung des Gesagten, welche doch auch das Vermgen des anderen zu folgenbercksichtigen mu, und psychologisch in der emotionalen Untersttzung undErmutigungdes Partners, welcher nach seinen unzulnglichen Voraussetzungenin Gefahr gert, an der entscheidenden Klippe zu scheitern, indem er sie entwederbershe und einem eitlen Scheinwissen verfiele (wie Dionysios II. von Syrakus)oder angesichts der Schwierigkeit der Aufgabe resignierte. Indirekt ist damit auchder Leser angesprochen:Wie dem lernenden Gesprchspartner wird ihm Zuspruchgewhrt und Vertrauen in die berlegene Regie des Redners und Autors einge-flt. Er erhlt ein Signal, da die folgenden Ausfhrungen besonders an-spruchsvoll sein werden, und wird so zu erhhter Aufmerksamkeit und Konzen-tration gemahnt, die der zugesagten des Lehrers gleichsam antwortet.Wie dieser nicht nur einer tieferen Einsicht und der Fhigkeit bedarf, sie aucheinem anderen zu erffnen und ihn schauen zu lassen, was die Dinge offenbaren

    Parnese, vgl. Gaiser 1959.

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  • und was aus einer vorgngigen Wesensverwandtschaft in ihm selbst ihnen ant-wortet, sondern auch bereit seinmu, dasmhsame undgerade dort,wo es daraufankommt, alles andere als unproblematische Geschft der Vermittlung undkontinuierlichen Lehre fr einen oft noch unreifen und entwicklungsbedrftigenSchler auf sich zu nehmen, so mu dieser willens und fhig sein, sich von ge-wohnten und vielleicht liebgewordenen, aber den Blick auf die Wahrheit ver-fehlenden Sichtweisen zu lsen und ohne Eitelkeit und falschen Stolz preiszu-geben, was eine tiefere Einsicht verstellt, und im Vertrauen auf die Sorgfalt desLehrers, den nicht eigene, gar materielle Interessen leiten, auf den eigenen,Wahres von Falschem unterscheidenden Verstand bauen und aus lauterer, allesandere geringschtzender Liebe zur Weisheit alle Geistes- und Willenskraft demeinen Ziel der Erkenntnis der Wahrheit weihen. Damit die daraus resultierende,Lehrer und Schler in gemeinsamem Streben einende GedankenbewegungDurchschlagskraft und Dauer gewinne, bedarf es bei aller Verschiedenheit desAlters, persnlichen Entwicklungs- und Wissensstandes einer wechselseitigenAnerkennung der am philosophischen Gesprch beteiligten Personen. Sie msseneinander wohlwollen.

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    Wie oben bei der Behandlung des siebenten Briefes erwhnt, sagt der Autor imZuge der Erluterung der vier Erkenntnisweisen, Name, Definition, Sinnenbildund Wissen(schaft): Aber das Durchfhren durch diese alle, welches zu jedemEinzelnen hinauf- oder herabsteigt, erzeugt doch endlich ein Wissen des seinerNatur nach Richtigen in dem seiner Natur nach Befhigten. (343 e 13) Das letzte,die gute Natur von Erkenntnisgegenstand und -subjekt, wird dahingehend er-lutert, da dem Philosophiebeflissenen fr eine erfolgversprechende Wahr-heitssuche diese Eigenschaften nicht mangeln drfen: Gelehrigkeit, ein starkesGedchtnis und insbesondere die wesentliche Verwandtschaft mit der Sache, die,als Tugend, vor allem Gerechtigkeit, bestimmt (344 a 2b 1), eine sittliche Ver-fassung der Seele und entsprechende geordnete Lebensfhrung impliziert, ohnewelche die wahre Natur von Tugend und Laster nicht verstandenwerden kann. Alssolche hat sie naturgemwiederum Auswirkungen auf das Leben. Dieses nimmt,welchem (Brot)beruf man auch immer nachgehen mag, einen philosophischen

    Wie einen Sophisten. S. o. Anm. 80. 340 e 1 f.: , vgl. 340 d 25.

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  • Charakter an. Nur auf der Grundlage einer sittlichen Charakterbildung und Le-bensgestaltung kanndie groeAufgabe einer vollstndigen und reinen Erkenntnis und dies noch immer mit Mhe gelst werden.

    Denn sowohl das haben sie zu erlernen, als auch durch allseitige bung und mit groemZeitaufwand,wie ich anfangs sagte, das Tuschende und dasWahrhafte des gesamten Seins.Indem nun das Einzelne, Namen, Begriffe, Anschauungen und Wahrnehmungen unterein-ander verglichen und in guter Absicht durch aller Migunst entbehrende Fragen und Ant-worten geprft wird, so flammt ber jedes Einsicht auf und Denken, wenn man sich an-strengt, wie es nur menschlichen Krften mglich ist.

    Was soll das heien - ? Die Folie mu die in den frhen platonischenDialogen fabare Eristik,Wortstreit um des Streites und Sieges willen, bilden,wiesie insbesondere im Euthydemos vor- und ad absurdum gefhrt wird. Platons ei-genes Verfahren in dieser Auseinandersetzung mit der groen, aber spekulativdoch begrenzten Aufklrung der Sophisten zeigt den wesentlichen Unterschied.Seinem Sokrates geht es nicht primr darum, imWortstreit das Feld zu behauptenund recht zu behalten, sondern die Sache verfehlende Auffassungen zu korri-gieren,was demjenigen, der sie vertrat, am meisten nutzt,wird er doch von einemIrrtum geheilt. So kann er im Gorgias, in ironischer Brechung, dem radikalenVertreter eines rabiaten Rechts des Strkeren, Kallikles, neben Wissen und Frei-mut Wohlwollen als Bedingung einer erfolgversprechenden Seelenprfung zu-sprechen. Andere sind zwar weise, sie wollen mir aber nicht die Wahrheit sagen,weil sie sichmeiner nicht so annehmenwie du.Die Sorge umdie Seele, die eigeneund die des Gesprchspartners, an dessen Wohl einem liegt, uert und realisiertsich darin, da sie von falschen, sie schdigenden Vorstellungen befreit, oder,positiv gewendet, da ihr ein Zugang zur Wahrheit erffnet wird. Eine falsch-verstandene Eigenliebe erschwert allerdings die Anerkennung dieser Wohltat inder Widerlegung, wie Sokrates gegenber Theaitetos im gleichnamigen Dialog inder Sprache der Maieutik sagt:

    Undwenn ich bei der Untersuchung etwas,was du sagst, fr ein Mondkalb und nichts Echtesbefunden habe, also es ablse und wegwerfe, so erzrne dich darber nicht, wie die Frauen

    344 b 1c 1, s. 344 e 2 f., o. Anm. 111: . 486 e 5487 d 4; 486 a 4f. von Kallikles selbst beansprucht. Zur vgl. Helmut Kuhn, Sokrates. Versuch ber den Ursprung der Meta-physik, Mnchen 21959 (Berlin 1934), aufgenommen von Peter M. Steiner, Psyche bei Platon(Neue Studien zur Philosophie 3), Gttingen 1992 (Diss. Mnchen 1989), S. 5. Ferner Mark Moes,Platos Dialogue Form and the Care of the Soul, Bern/Frankfurt am Main 2000. Zu dieser vgl. u. S. 49f.

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  • es bei der ersten Geburt zu tun pflegen. Denn schon viele, mein Guter, sind so gegen michaufgebracht gewesen, wenn ich ihnen eine Posse abgelst habe, da sie mich ordentlichhtten beien mgen, und wollen nicht glauben, da ich das aus Wohlmeinen () tue,weil sie weit entfernt sind einzusehen, da kein Gott jemals den Menschen mignstig ist,und da auch ich nichts dergleichen aus belwollen tue, sondern mir nur eben keineswegsverstattet ist, Falsches gelten zu lassen und Wahres zu unterschlagen. (151 c 2d 3)

    Hier wird das philosophische Gesprch einerseits gttlich legitimiert, was sichbiographisch auf das delphische Orakel, das nach der Apologie Sokrates Frageninitiiert und als eine Art Gottesdienst begrndet hat, zurckfhren lt, an-derseits in die Rechtssphre gerckt: Tuschung zuzulassen und die Wahrheit zuverdecken ist nicht recht. Beides gehrt zusammen:Wie der gttliche Demiurg desTimaios selbst gut ist, so will er, da auch die von ihm geschaffene Welt gut sei,weil er neidlos ist. Entsprechend wird der Wissende, der wei, da auf diesemWissen seelische Gesundheit und glckliches Leben beruhen, und seinen Ge-sprchspartnern wirklich wohlwill, d.h. mit dem Gorgias und der Tradition zusprechen ihr Freund ist, ihnen seine tiefere Einsicht nicht verhehlen. Darum im siebenten Brief (344 b 6). Eine solche moralische und rechtlicheBegrndung philosophischer Mitteilung lt sich mit einer auf aristokratischemHochmut beruhenden Esoterik, wie sie Kullmann Platon unterstellt, nur schwervereinbaren.

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    SindWohlwollen und Freundschaftmit demGesprchspartner,mit sich selbst undmit Gott, dem wir hnlich zu werden streben, Grundlagen einer fruchtbarenGeistesbewegung, die das ganze Leben ergreift und trgt, so erscheint Eros, wieihn Diotima, die weise Frau aus Mantineia, nach Sokrates (und Platons) Berichtzeichnet, gleichsam als Protophilosoph, indem er das menschliche Streben nachWeisheit verkrpert, oder besser: seine dmonische, zum Gttlichen hin vermit-telnde Gestalt wird. Die anthropologische Fundierung, welche der philosophi-

    Apol. Socr. 20 eff. Tim. 29 e30 a. Gorg. 487 b; ebenso im Beweis fr das Wohlwollen des Kallikles vorausgesetzt (mit dererwhnten Erklrung des Wohlwollens ironisch kombiniert, dem anderen sein Wissen nichtvorzuenthalten): Das, was dieser seinen engsten Gefhrten geraten hatte, hat er nun auchSokrates kundgetan. S. o. Anm. 23. Theaet. 176 ab, legg. IV 716 cd; s. o. S. 26 f.

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  • schen Existenz, dem , bei aller Besonderheit und eigentmlichenGestalt doch eine Art humaner Allgemeingltigkeit verleiht,wird im Seelenmythosdes Phaidros gegeben: Nmlich, wie bereits gesagt, jede Seele eines Menschenmu zwar ihrer Natur nach das Seiende geschaut haben, oder sie wre in diesesGebilde nicht gekommen; sich aber bei dem Hiesigen an jenes zu erinnern, istnicht jeder leicht Mit der allen Menschen gemeinsamen Schau des wahren(und schnen) Seins vor ihrer Einkrperung ist zugleich das Streben, dorthinzurckzukehren, mitgegeben. Der Weg dahin, die Methode ist die Philosophie, dieden seins- und selbstvergessenen Menschen an das einst Geschaute erinnert undsich vom Sinnlichen abkehren und dem Sittlichen und Geistigen zuwenden lt,mit dem er ursprnglich verwandt ist, wie aus der Beschreibung der einstigenSchau in der Sprache der Mysterien und Lichtmetapher erhellt,wo Reine in reinemGlanze das Ganze, Einfache, Unvernderliche und Glckliche schauten; das Lichtder Gerechtigkeit und des Maes wird stellvertretend fr die anderen Tugendengenannt und als glnzende Schnheit bezeichnet. Damit ist die Natur desMenschen wesentlich mit dem wahrhaft Seienden verbunden, und die Aufgabeseines Lebens besteht in nichts anderem als darin, dieses Wesen intellektuell undpraktisch einzuholen, d.h. mit demwahren Sein zugleich sich selbst zu erkennen,den Vorrang sittlicher vor sinnlicher Schnheit einzusehen und entsprechend zuhandeln, so da er auf diese Weise sich selbst aktualisierend glcklich wird.sthetik, Ethik und Ontologie stehen in einem Zusammenhang und impliziereneinander. Freilich scheinen dieser Zusammenhang und die Herkunft der Seeleverdeckt, vergessen. Aufgabe der Philosophie ist unter diesen Voraussetzungen,bei der , der Wiedererinnerung an das einst Geschaute bzw. an die ei-gene ursprngliche Natur, zu helfen.

    Der platonische Sokrates bestreitet vor dem athenischen Volksgericht in de-zidierter Absetzung von den geschftstchtigen Sophisten, als Lehrer aufgetretenzu sein und Geld dafr genommen zu haben. Wenn er gem dem delphischenOrakel in irgendetwas weiser als die anderen Menschen sei, dann darin, da erdas, was er nicht wisse, auch nicht zu wissen vermeine. Gleichwohl wirkte erzweifellos als eine Art Erzieher jener begabten und wissensdurstigen Jnglinge,

    249 e 4250 a 2. Zurckbezogen auf 249 b 5 f. (s. u. S. 50 f.) und den , 248c 2e 3. 250 bc. Zur unlsbaren Verbindung insbesondere von Tugend und Glck vgl. legg. II 664 b 3c 2 unddie Eudemos-Elegie des Aristoteles, carmina Fr. 2 Ross. Dazu Konrad Gaiser, Die Elegie desAristoteles an Eudemos, Museum Helveticum 23, 1966, S. 84 106. Apol. Socr. 19 d 8e 1. Apol. Socr. 21 d 6 f. mit 21 a 47.

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  • die sich um ihn scharten, um aus seinem Gesprche zu lernen. GegenberTheaitetos, dem spter so bedeutenden Mathematiker, beschreibt er in dem nachihm benannten und der Bestimmung der Erkenntnis gewidmeten Dialog seineKunst alsMaieutik.Wie die Hebamme selbst nicht (mehr) gebiert, aber die Kinderanderer Frauen ans Licht der Welt bringen hilft, so bezeichnet sich Sokrates selbstals nicht fruchtbar und weise, aber tchtig, die zu prfen und wahre vonfalschen und eitlen zu unterscheiden. Er sagt von sich selbst da ichweiter nichtswei als nur dieseswenige, nmlich die Rede eines anderenWeiseren aufzufassenund gehrig zu behandeln. (161 b 35) Seine Kunst ist die des auf die Wahrheitgerichteten elenktischen Gesprchs und zwar nicht, wie es auf Grund der jeweilsEinzelgesprche nachahmenden platonischen Dialoge scheinen knnte, dereinmaligen aus einem mehr oder weniger zuflligen Zusammentreffen sich er-gebenden und unverbindlichen Errterung einer bestimmten Frage, sondern umein langes gemeinsames Bemhen um Klrung der Dinge. Im Theaitetos ist dieRede von solchen, die nicht lange genug bei Sokrates aushalten und deshalb umdie Frchte eines tieferen Studiums gebracht werden, whrend andere, die wieTheaitetos bereit sind, geistige Anstrengungen auf sich zu nehmen und die ent-sprechende Begabung mitbringen, im Zuge der zusammen mit Sokrates ange-stellten Forschung, erstaunliche Fortschritte machen; und der Dialog schlietmit der durchaus selbstbewuten Prophezeiung des Sokrates, da sein jugend-licher Adept auf Grund dieses Gesprchs knftig bessere Erkenntnisse hervor-bringen werde. D. h. es wird trotz der scheinbar offenen Dialogform ein me-thodischer und auf einmal Erkanntem aufbauender Fortschritt des Gedankens zuimmer hheren Erkenntnissen behauptet und vorgefhrt.

    Der erste Schritt dazu ist, Scheinwissen zu entlarven und dieMenschen ratlos(zu) mache(n), sie damit gleichsam auf die Stufe des sokratischen Wissens,nmlich des Nichtwissens, zu heben. Der eigentmliche Nutzen solcher Aporieliegt darin, da die in ihr geschehene Enttuschung ber ein angenommenes undbeanspruchtes, aber eitles Wissen nun zum stimulus wird, nach dem wahrenWissen zu forschen, um es zu erringen. So erwchst aus der subjektiv gewi

    Zum Wirken des historischen Sokrates vgl. Andreas Patzer (Hg.), Der historische Sokrates(Wege der Forschung 585), Darmstadt 1987; Klaus Dring, Sokrates, die Sokratiker und die vonihnen begrndeteten Traditionen, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begrndet vonFriedrich Ueberweg. Vllig neubearbeitete Auflage. Die Philosophie der Antike. Band 2/1. So-phistik Sokrates Sokratik Mathematik Medizin. Hg. v. Hellmut Flashar, Basel 1998,Zweites Kapitel, S. 139364, hier S. 141178 und S. 324341 (Bibl.). S. ep. VII 340 d 15, 341 c 6d 2. Dazu u. Nheres. Theaet. 150 b151 d, 210 bd. Theaet. 149 a 9.

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  • schmerzlichen (und wohl auch rgerlichen und Unmut ber Sokrates erregenden)Befreiung von Scheinwissen das Verlangen und in edleren Gemtern wohl auchdie Sehnsucht nach wahrem Wissen, Philosophie wird in der Seele entzndet.

    Bevor Sokrates, nachdem die Aporie erreicht ist, fortfhrt den jungen SklavendesMenon, der noch nie etwas vonMathematik gehrt hat, ber die Verdoppelungdes Quadrats zu befragen, sagt er: Sieh nun aber auch zu, was er von dieserVerlegenheit ausmitmir suchend auch findenwird, indem ich ihn immer nur frageund niemals lehre. Und gib wohl acht, ob du mich je darauf betriffst, da ich ihnbelehre und ihm vortrage und nicht seine eigenen Gedanken nur ihm abfrage.(84 c 10d 2). Nicht wie ein Lehrer, der aus seinem reicheren Wissen dem Schleretwas mitteilt, sondern eben gleichsam als Hebamme bei einer geistigen Geburt,indem er fragend den unbedarften Knaben selbst das Richtige finden lt, fhrt erdas Gesprch. Denn das Suchen und Lernen ist ganz und gar Erinnerung.(81 d 4 f.) Oder wie es wenig spter mit geistreichem Rckbezug auf das aktuelleLehrgesprch heit:

    Menon: Ja, Sokrates, aber meinst du dies so schlechthin, da wir nicht lernen, sondern da,was wir so nennen, nur ein Erinnern ist? Kannst du mich wohl belehren, da sich dieses soverhlt? Sokrates: Schon eben sagte ich, da du schlau bist, Menon; auch jetzt fragst du, obich dich lehren kann, der ich doch behaupte, es gebe keine Belehrung, sondern nur Erin-nerung, damit ich nur gleich mit mir selbst im Widerspruch erscheine. (81 e 382 a3)

    Lernen sei also, knnte man sagen, Wiedererinnerung in einem intransitiven,Lehren die Hilfe dazu, bzw.Wiedererinnerung in einem transitiven Sinne.

    Im Phaidon (72 e76 d) wird diese Erkenntnis- und Lerntheorie zu einemArgument fr die Prexistenz und damit auch fr die Unsterblichkeit dermenschlichen Seele. Aber auch hier ist mit der berschreitung der zeitlichenGrenzen unseres Lebens, Geburt und Tod, zugleich das Wesen der Seele ber dieWelt des Wandelbaren und Vergnglichen erhoben und ihre ursprngliche Ver-wandtschaft mit den Dingen an sich, den Ideen, insbesondere jenen des Guten,Schnen und Gerechten, nahegelegt.Wiedererinnerung wird damit zugleich zueiner Art Selbstfindung und Rckkehr in die eigentliche Heimat. Doch sowohlim Phaidon als auch im Phaidros wird derart auf die Sinneswahrneh-mung bezogen, da wir von ihren Eindrcken an das eine erinnert werden, wasihnen gemeinsam und doch von ihnen als die Sache selbst verschieden ist. Oderanders gewendet, der Allgemeinbegriff erlaubt die Einzeldinge berhaupt erst

    Meno 84 a 1c 9. Vgl. Phdr. 278 d 27. Phd. 75 c 7d 5, bes. c 10d 3. S. u. S. 176 f.

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  • wahrzunehmen und als das, was sie sind, zu erkennen, die Idee ist mithin Be-dingung der Mglichkeit der Wahrnehmung und Erkenntnis.

    Denn eine (sc. Seele), die niemals die Wahrheit erblickt hat, kann auch niemals diese (sc.menschliche) Gestalt annehmen; denn der Mensch mu nach Gattungen Ausgedrcktesbegreifen, indem er von vielen Wahrnehmungen zu einem durch Denken Zusammenge-brachten fortgeht. Und dies ist die Erinnerung () an jenes, was einst unsere Seelegesehen, Gott nachwandelnd und das bersehend,was wir jetzt als seiend bezeichnen, undzu dem wahrhaft Seienden das Haupt emporgerichtet. Daher auch wird mit Recht nur desPhilosophen Seele befiedert: denn sie ist immer durch Erinnerung () soviel als mglichbei jenen Dingen, bei denen Gott sich befindend eben deshalb gttlich ist. (Phdr. 249 b 5c 6)

    Die (onto)logische Bewegung der Reduktion des Vielen auf das Eine wird vomschlufolgernden Denken geleistet, dessen Stoff die Daten der Sinneswahrneh-mung, Erfahrung und dessen Ermglichungsgrund der (Allgemein)begriff, d.h.die Idee, ist, insofern unter ihm das sich unterscheidende Einzelne zusammen-gefat und so geordnet und erkannt werden kann. Daran wird sichtbar, daWahrnehmung,begriffliches Denken und Ideenschau, , , ,als Formen menschlichen Erkennens aufeinander verwiesen sind, wobei freilichErfahrungundDenken durch die Idee allererst ermglicht werden. Auf diese ist dieErkenntnisbewegung ausgerichtet, doch ihren Ausgang nimmt sie von den sinn-lichen datis und klrt sie mittels des begrifflichen und schlufolgernden Denkens.Ihr Subjekt ist der Mensch, dessen Seele mit den Ideen ursprnglich verwandt ist,aber ihrer gleichsam vergessen hat und sich ihrer wiedererinnern mu, um sichzum einen mit Sinn und Verstand in der materiellen Welt zurechtzufinden und sievernnftig zu gestalten und zum andern sich selbst als geistiges Wesen zu er-kennen, indem er sich von den Sinnendingen und ihrem Reiz abwendet und derSchnheit der Ideen zukehrt und darber er selbst und glcklich wird.

    Eine solche Abstraktions- und Aufstiegsbewegung wird in der Diotima-Rededes Symposion geschildert: die Hinwendung zum sinnlichen Schnen in einemund in allen Krpern, dann zur seelischen Schnheit, wie sie sich in Hand-lungsweisen und Sittenmanifestiert,von da zu den Erkenntnissen und schlielichzur Erkenntnis des einen Schnen selbst. Hier werden Sinnlichkeit, Praxis undTheorie verbunden durch die Liebe zum Schnen, welche zugleich die Liebe zumGuten und Wahren ist. Die Weisheit ist das Schnste und eigentlich eine Eigen-schaft der Gtter, nicht aber von Menschen, die als Philosophen nach ihr streben,eben weil sie zunchst ihrer entbehren, aber diesen Mangel fhlen und zu be-heben suchen. So wird Eros, der nach dem Schnen verlangt, zum Prototypen

    Conv. 210 a 4212 c 7. Vgl. Sier 1997, S. 160 ff. 204 a 17.

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  • des Philosophen. Das Streben zur Schnheit verrt auch hier den Mangel,weshalb er kein Gott sein kann, sondern, zwischen Gott und Mensch angesiedelt,als zwischen ihnen vermittelt. Der menschliche Philosoph, der ihmfolgt, erhebt sich mit ihm ber die sterblichen Dinge, wird in diesem Sinne d-monisch. Ein solchermaen erotisches Leben, das zugleich nach dem wahrenSchnen und Guten strebt, allein mag, wenn es sein Ziel erreicht, auch dieSehnsucht desMenschen nach Glck erfllen: Und an dieser Stelle des Lebens,lieber Sokrates, sagte die Mantineische Fremde, wenn irgendwo, ist es demMenschen erst lebenswert, wo er das Schne selbst schaut. (211 d 13). D. h.zunchst: das von der Liebe nach Weisheit getragene philosophische Leben ist daseigentlich humane, und dann: sein Ziel, die Schau der Idee, ist prinzipiell, wennauch unter Mhen und an der Grenze menschlichen Vermgens, erreichbar.Lessings demtige Wahl des Forschens nach der Wahrheit statt ihres Gott alleinvorbehaltenen Besitzes Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit, und inseiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit demZusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte, und sprche zu mir:whle! Ich fiele ihm mit Demut in seine Linke, und sagte: Vater gib! die reineWahrheit ist ja doch nur fr dich allein! , die, verkrzt um die theologischeDimension,weithin das moderne (und postmoderne) Bewutsein bestimmt, kann

    204 b 25 202 d 1203 a 4 Vgl. 203 a 4 f. 204 e 5205 a 8 und insbesondere 205 d 13. 211 d 13, vgl. ep. VII 340 c 14, Phdr. 277 a 3 f. Gotthold Ephraim Lessing, Eine Duplik (1778), in: Ders., Werke. Achter Band. Theologie-kritische Schriften III. Philosophische Schriften. In Zusammenarbeit mit Karl Eibl, Helmut Gbel,Karl S. Guthke, Gerd Hillen, Albert von Schirnding und Jrg Schnert hg. v. Herbert G. Gpfert.Bearbeiter dieses Bandes: Helmut Gbel, Lizenzausgabe Darmstadt 1996 (Mnchen 1979), S. 33;voraus geht diese Stellungnahme, S. 32 f.: Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend einMensch ist, oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mhe, die er angewandt hat, hinterdie Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sonderndurch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Krfte, worin allein seine immerwachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, trge, stolz Wenn dies ge-wissermaen doch dem sokratisch-platonischen Verzicht auf die Gott allein vorbehaltene im Namen der dem Menschen aufgegebenen zu entsprechen scheint und man sichhten sollte, Platon fr einen schroff und herrscherlich den sicheren Besitz der Wahrheit be-hauptenden Dogmatismus zu vereinnahmen, so lt er sich ebensowenig zum Kronzeugen einessich im unendlichen Streben erschpfenden Denkens anrufen, dessen Bewegung, des Zielesverlustig, schlielich zum Selbstzweck zu werden droht. Philosophie in platonischem Verstandedarf ihres Grenzwertes, der Mglichkeit, sich im glckhaft geschenkten Augenblick der Schaunach langem ernsten Bemhen zu erfllen, nicht beraubt werden. S. den folgenden Text.

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  • nicht als Leitlinie einer historisch korrekten Platonerklrung dienen. Diotimabehauptet am Ende ihrer Rede, da die Schau des Schnen selbst zu erreichen sei,und zieht die praktischen Konsequenzen:

    Oder glaubst du nicht, da dort allein ihm begegnen kann, indem er schaut,womit man dasSchne schauenmu, nicht Abbilder der Tugend zu erzeugen,weil er nmlich auch nicht einAbbild berhrt, sondern Wahres,weil er das Wahre berhrt? Wer aber wahre Tugend erzeugtund aufzieht, dem gebhrt, von den Gttern geliebt zu werden, und wenn irgendeinemanderen Menschen, dann gewi auch ihm, unsterblich zu werden. (212 a 27)

    Wenn berhaupt wahre Tugend realisiert werden kann, dann aus demWissen umjenes eine Schne und Gute, das ihr Grund und Ziel ist.Undder Philosoph, der,wieSokrates am Ende seiner zweiten Rede auf Eros sagt, , wird, wenn berhaupt ein Mensch, gott-gefllig und unsterblich werden. Der schon mehrmals erinnerte Zusammenhangvon sthetik, Ethik und Seinswissenschaft ist gewahrt und die ihn voraussetzendeund einlsende Philosophie als eigentliche Form menschlichen Lebens, die eserfllt und zum Gttlichen hin berschreitet, begrndet. Da sie nur von wenigengewhlt wird und wiederum nur von einem Teil dieser wenigen zu ihrem Ziele zutreiben ist, nimmt ihrer Allgltigkeit fr das Menschenwesen schlechthin nichts,so wie sichmit ihr derMensch,wenn irgendwie, zugleich erfllt und transzendiert.Denn dies ist seine Natur, offen und seiner selbst nicht sicher undwesentlich bersich hinaus zu sein. Er kann, mit dem Seelenmythos des Phaidros zu sprechen,unter sein Niveau sinken und zum Tiere werden, oder seiner Herkunft ,von obensich erinnern eben in der philosophischen Denkanstrengung und Lebensfh-rung und so heimkehren in das Reich des Geistes.

    Wenn Philosophie mithin kein offenes Streben nach dem Unerreichbaren undals solches Ausdruck einer wesentlichen Unvollkommenheit des Menschen undSignum existentieller berforderung seines Wesens ist, sondern zur ernstestenund das Leben entscheidenden Ttigkeit des Menschen wird, dann darf das Ge-sprch der Seele mit sich selbst und anderen als Form des Philosophierens nichtein unverbindliches und eines ermangelndes DurchspielenvonArgumentensein. Der Interpret mu sich hten, seine eigene Vorstellung von dem, wasPhilosophie sein kann und soll, naiv Platon zu unterstellen. Daraus mag sichgnstigenfalls eine zufllige, gleichwohl ahistorische Koinzidenz ergeben, eheraber eine anachronistische Verzerrung des Platonbildes. So verfehlt jene auf

    Ebert, Wieland, Heitsch und Blner scheinen in diese Richtung zu gehen. Phdr. 257 b 5 f. S. o. S. 11 f.

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  • Schlegel und Schleiermacher zurckgehende, aus der richtigen Beobachtung, dadie dialogische Form des platonischen Schriftwerkes auch inhaltlich relevant seiund eine adquate Darstellung seines Denkens ermgliche, gefolgerte Meinung,Platon nhere sich dem Ziel immer nur an, ohne es je zu erreichen, ja erreichen zuknnen, die soeben aus dem Symposion gezogene und aus dem Phaidros er-hrtete (undweiter, insbesondere aus der Politeia, zu vertiefende) Einsicht in dieMglichkeit der Erhebung zum reinen Geiste durch Philosophie als kathartischeWeise des Denkens und Lebens. Ja, solche ist fr den Menschen, welcherihrermchtig ist und das ist grundstzlich jeder , eine bindende Forderungunddurch freie Wahl zu verwirklichende humane Notwendigkeit.

    Gegen eine sophistische Wort- und Argumentationskunst, welche vermeint,sich mit dem Scheine des Wissens begngen zu knnen, um ihre blo utilitari-stischen Zwecke zu erreichen was im Phaidros als Abkrzung des Teisias vor-getragen und widerlegt wird: der Betrger und Lgner mu selbst die Sachekennen, sonst tuscht er mit den anderen sich selbst und trgt keinen Nutzendavon beharren Sokrates und Platon auf einem grndlichen, auf die Wahrheitselbst gerichteten Studium, fr das keine Mhe zu gro sei. Jenseits gesell-schaftlicher und politischer Opportunitt, die ihrerseits, wie gezeigt, ohne echtesWissen auf Sand gebaut ist, wei sich der platonische Sokrates einer hherenInstanz, den Gttern verpflichtet: ihnen, den guten Herren, nicht den Menschenzugefallen, ist keinWeg zuweit, denn umgroer Gter willen gilt es den Umweg grndlichen Denkens, das die Dinge selbst, d. s. die Ideen, und nicht ihrewandelbaren Abbilder in der Sinnenwelt zu erkennen sucht. Wieder zeigt sichdie Bindung des Menschen an das Hhere: von dort ist er und dorthin kehrt er,wenn er sich selbst mit seinem Ursprung nicht vergit, wieder zurck. Zugleichkann nur aus diesem berirdischen Bezug das irdische Werk recht vollbrachtwerden. Weltflucht oder Hingabe an die Welt bilden keine einander ausschlie-enden Gegenstze.Wie ohne das Wissen um das eigentliche Wesen seiner selbstund der Dinge eine vernnftige und den Dingen angemessene,wahrhaft sachlicheTtigkeit in der Welt nicht mglich ist, so mu nach dem alten Grundsatz derErkenntnis von Gleichem mit Gleichem der Denker seinem Gegenstand selbsthnlichwerden,will er ihnwahrhaft erfassen, und die gewonnene Einsicht wirdwiederum praktische Folgen haben.

    S. o. Anm. 23 E. S. o. S. 3134. Phdr. 272 b 7e 4. S. o. S. 24f. 273 e 4274 a 7. S. o. S. 23 mit Anm. 21.

    54 III Persnliches Engagement

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  • Und nicht luftige Spekulation oder eine das diskursive Denken bersprin-gende, argumentativ unausgewieseneMystik tragen denAufschwung, sondern dieDialektik, welche Sokrates dem Phaidros so beschreibt: Das vielfach Zerstreutezusammenschauend berzufhren in eine Gestalt, um jedes genau zu bestimmenund deutlich zu machen, worber er jedesmal Belehrung erteilen will; Ebensoauchwieder nach Begriffen zerteilen zu knnen gliedermig (265 d 35, e 1 f.)also eine nach Arten unterscheidende differenzierende und wiederum das ein-zelne zusammenfhrende, auf den Begriff, d. i. die Idee, bringende Methode, manknnte sie wohl auch als die Verstandesttigkeiten begrifflicher Analyse undSynthese bezeichnen, die der Wissenschaft gem sind. Hier zeigt sich auch, dadie Ideenlehre bei aller Rede von einem oder undbildhafter Schilderung der Schau, etwa im Phaidros, doch eine klare begriffslo-gische Funktion besitzt. Auch Sokrates philosophischer Eros ist alles andere alsnebulse Schwrmerei, sondern Leidenschaft eben fr dieses als Dialektik be-zeichnete die Begriffe scheidende und verbindende diskursive Denken:

    Hiervon also bin ich selbst ein groer Freund, Phaidros, von diesen Einteilungen und Zu-sammenfassungen ( ), damit ich doch reden und denken kann,und wenn ich einen andern fr fhig halte zu sehen,was in eins gewachsen ist und in vieles,dem folg ich wie eines Unsterblichen Futritt. Ob ich jedoch diejenigen, welche diesesimstande sind zu tun, recht oder unrecht bename, mag Gott wissen, ich nenne sie aber bisjetzt Dialektiker. (266 b 3c 1)

    Hier gilt es genau hinzuhren: es ist nicht nur vom Denken, sondern auch vomSprechen die Rede. Dialektik ist als wissenschaftliche, klare und sichere Er-kenntnis verheiende Denkmethode zugleich eine Weise philosophisch gerei-nigten Sprachgebrauchs, wie sie im Dialog vorgefhrt und eingebt wird. DieSprache ist das Medium des Denkens und als solches gnzlich unverzichtbar.Daher hngt fr seinen Erfolg viel von einem sauberen Sprachgebrauch ab. Platonist sich der Schwierigkeit, das rechte und erkenntnisvermittelnde, besser: dieWahrheit erschlieende Wort zu treffen, und der philosophischen Relevanz derReflexion auf die Sprache, ihre Mglichkeiten und Grenzen, wohlbewut. Daherrhrt die Intensitt seiner Sprach- und Schriftkritik im Phaidros.

    Das geschriebene und als solches verffentlichte Wort erlaubt nicht, auf dieindividuellen Verstndnisschwierigkeiten und Erklrungsbedrfnisse der ver-schiedenen Adepten einzugehen, indem es sich selbst vernderte, sondern es iststarr und sagt gleichsam immer dasselbe. Um so sorgfltiger will es gewogen

    S. o. S. 26 mit Anm. 27. S. o. S. 34 mit Anm. 56.

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  • und gewhlt sein, um so schrfer fllt die Schriftkritik aus. Doch auch dasSchreiben ist nicht an sich schlecht und schimpflich, sondern nur , . Und einem rechten Schrift-steller wird der Ehrentitel zugesprochen.Umgekehrt bezeichnet sichSokrates selbst als , und die Sprache ist so sehr sein Lebenselixier, daer, wie scherzhaft erzhlt wird, durch die eidlich bekrftigte Drohung des Phai-dros, ihm knftig keine Reden mehr zu berichten, wenn er nicht eine Gegenredehalte, zu dieser gezwungen wird. Die Zikaden sehen Sokrates und PhaidrosGesprch mit Wohlwollen zu und knden den Musen den Wohlklang des be-sonnenen mittglichen Gesprches der beiden wachen Gesellen. Schlielich seinoch einmal an das Ende von Sokrates zweiter, eigentlicher Rede auf Eros erin-nert: damit auch dieser sein Verehrer lediglich der Liebe mit philosophischenReden sein Leben widme. (257 b 46)

    Phdr. 258 d 17. 278 ae, 279 a: hier sogar auf Isokrates bezogen. Dazu Hartmut Erbse, Platons Urteil berIsokrates, Hermes 99, 1971, S. 183197 mit dem Versuch einer positiven Wrdigung, kritisch imSinne der Ironie dagegen G. J. de Vries, Isocrates in the Phaedrus. A reply, Mnemosyne 24, 1971,S. 387390. 236 de. Vgl. apol. Socr. 41 bc: Auch in der Unterwelt gedenkt Sokrates weiter zu fragen unddie Seelen in Gesprche zu verwickeln. Ferner Tht. 161 a 7.

    56 III Persnliches Engagement

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