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Wird die Relevanz von Ertragsteuern für die Unternehmensrechnung nach rechtlichen oder...

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DOI 10.1007/s11573-012-0601-0 Z Betriebswirtsch (2012) 82:191–215 Zf B-SPECIAL ISSUE 5/2012 Wird die Relevanz von Ertragsteuern für die Unternehmensrechnung nach rechtlichen oder ökonomischen Kriterien beurteilt? Franz W. Wagner Reinhard Sill Zusammenfassung: Die Lehrbuchliteratur zur Kostenrechnung und Investitionsrechnung/Unter- nehmensbewertung unterscheidet sich trotz einer fortschreitenden konzeptionellen Annäherung der Teilgebiete der Unternehmensrechnung sehr stark, wenn es um die Einbeziehung von Steuern geht. Während Modelle der IR/UB zunehmend Steuerwirkungen integrieren, machen Darstellungen der KR die Einbeziehung von Steuern noch immer von deren „Kostencharakter“ abhängig, der nicht nach ökonomischen, sondern steuerrechtlichen Merkmalen bestimmt und vor allem der Gewerbe- steuer zugeschrieben wird. Diese hat auch Eingang in Regulierungsvorschriften der Kostenrechnung gefunden, für die der Wegfall der für den Kostencharakter der GewSt ursprünglich relevanten recht- lichen Merkmale infolge der UntStR 2008 folgenlos blieb. Eine zur Überprüfung der Relevanz ökonomischer und rechtlicher Kriterien vorgenommene Befragung von Unternehmen und Wirt- schaftsverbänden/IHK zeigt, dass deren Auffassungen hinsichtlich des Kostencharakters der GewSt stark divergieren. Während Unternehmen mehrheitlich die GewSt nicht zu den Kosten zählen und offensichtlich nicht in den Preisen überwälzen, zählen Wirtschaftsverbände/IHK die GewSt auch nach der UntStR 2008 nach wie vor zu den Kosten. Schlüsselwörter: Kostenrechnung · Besteuerung · Regulierung · Gewerbesteuer JEL Classification: M41 · M48 · H25 © Gabler-Verlag 2012 Prof. Dr. Dr. h.c. F. W. Wagner () Abteilung für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Eberhard Karls Universität Tübingen, Mohlstraße 36, 72074 Tübingen, Deutschland E-Mail: [email protected] Dipl.-Kfm. R. Sill PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Stuttgart, Deutschland
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Page 1: Wird die Relevanz von Ertragsteuern für die Unternehmensrechnung nach rechtlichen oder ökonomischen Kriterien beurteilt?; Are profit taxes judged by legal or economic criteria in

DOI 10.1007/s11573-012-0601-0Z Betriebswirtsch (2012) 82:191–215

Zf B-SPECIAL ISSUE 5/2012

Wird die Relevanz von Ertragsteuern für dieUnternehmensrechnung nach rechtlichen oderökonomischen Kriterien beurteilt?

Franz W. Wagner • Reinhard Sill

Zusammenfassung: Die Lehrbuchliteratur zur Kostenrechnung und Investitionsrechnung/Unter-nehmensbewertung unterscheidet sich trotz einer fortschreitenden konzeptionellen Annäherung derTeilgebiete der Unternehmensrechnung sehr stark, wenn es um die Einbeziehung von Steuern geht.Während Modelle der IR/UB zunehmend Steuerwirkungen integrieren, machen Darstellungen derKR die Einbeziehung von Steuern noch immer von deren „Kostencharakter“ abhängig, der nichtnach ökonomischen, sondern steuerrechtlichen Merkmalen bestimmt und vor allem der Gewerbe-steuer zugeschrieben wird. Diese hat auch Eingang in Regulierungsvorschriften der Kostenrechnunggefunden, für die der Wegfall der für den Kostencharakter der GewSt ursprünglich relevanten recht-lichen Merkmale infolge der UntStR 2008 folgenlos blieb. Eine zur Überprüfung der Relevanzökonomischer und rechtlicher Kriterien vorgenommene Befragung von Unternehmen und Wirt-schaftsverbänden/IHK zeigt, dass deren Auffassungen hinsichtlich des Kostencharakters der GewStstark divergieren. Während Unternehmen mehrheitlich die GewSt nicht zu den Kosten zählen undoffensichtlich nicht in den Preisen überwälzen, zählen Wirtschaftsverbände/IHK die GewSt auchnach der UntStR 2008 nach wie vor zu den Kosten.

Schlüsselwörter: Kostenrechnung · Besteuerung · Regulierung · Gewerbesteuer

JEL Classification: M41 · M48 · H25

© Gabler-Verlag 2012

Prof. Dr. Dr. h.c. F. W. Wagner (�)Abteilung für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Eberhard Karls Universität Tübingen,Mohlstraße 36, 72074 Tübingen, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Dipl.-Kfm. R. SillPricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft,Stuttgart, Deutschland

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1 Wie ist die unterschiedliche Behandlung von Ertragsteuern in der Literaturzur Kostenrechnung und Investitionsrechnung/Unternehmensbewertungzu erklären?

In der modernen Unternehmensrechnung sind die methodischen Differenzen zwischenKostenrechnung (KR) einerseits und Investitionsrechnung (IR) und Unternehmensbewer-tung (UB) andererseits konzeptionell überwunden1. Die Konzepte sind über das Preinreich/Lücke-Theorem verknüpfbar, wobei das in den Rechenwerken jeweils thematisierte Ent-scheidungsfeld über einen als gegeben bzw. als variabel angenommenen Anlagenbestandabgegrenzt wird. Als Entscheidungskriterien werden je nach Annahme über Konstanz oderVariabilität des Anlagenbestandes Deckungsbeiträge und Kapitalwerte bzw. Ertragswer-te verwendet. Während einperiodige Probleme von Kostenrechnung und Controlling oftinnerhalb eines Prinzipal-Agent-Kontexts als Anreizthematik diskutiert werden2, ist diesbei mehrperiodigen Problemen der IR/UB seltener der Fall. Um die Einbeziehung vonSteuern in KR und IR/UB jeweils innerhalb des gleichen Kontexts zu diskutieren, wird imFolgenden auf die Diskussion von Lenkungs- und Kontrollproblemen verzichtet und dieBerücksichtigung von Steuern auf Entscheidungsrechnungen beschränkt.

Obwohl konzeptionelle Divergenzen zwischen Kosten- und Investitionskalkülen über-wunden sind, sind hingegen die Sichtweisen der Lehrbuchliteratur völlig unterschiedlich,wenn es um die Einbeziehung von Ertragsteuern in die jeweiligen Rechenwerke geht. EineInhaltsanalyse von 160 innerhalb des Vierzigjahreszeitraumes von 1970–2009 erschiene-nen Lehrbüchern zur KR (98), IR (38) und UB (24) im Hinblick auf die Berücksichti-gung von Ertragsteuern im Allgemeinen bzw. einzelner Steuerarten ergibt folgendes Bild3

(Tab. 1):Die Publikationsanalyse führt zu folgenden Beobachtungen:

1. Der Anteil derjenigen Autoren, die die Steuerbelastung vernachlässigen, ist in der KRhöher als in der IR und der UB.

2. Am häufigsten werden Ertragsteuern in der UB berücksichtigt.3. In zahlreichen Lehrbüchern der IR/UB werden Steuerwirkungen rechtsformspezifisch

differenziert, während dies in Darstellungen der KR nahezu nie geschieht.4. Die GewSt hat in keiner Darstellung der IR und UB einen Sonderstatus, während dies

nahezu in einem Drittel aller Lehrbücher der KR der Fall ist.

Tab. 1: Anzahl der Publikationen mit steuerlichen Aspekten (Soweit sich Aussagen den Kategoriender Übersicht nicht zweifelsfrei zuordnen ließen, blieben sie unberücksichtigt)

Teilgebiete der Unternehmensrechnung IR UB I + UB KR

Gesamtzahl der Publikationen 38 24 62 98Keine Aussage über Ertragsteuern 15 5 20 42Modelltheoretische Erfassung der Steuerlasten durch allg.Steuersatz

9 5 14 0

Rechtsformdifferenzierte Modellierung einzelner Ertragsteuern 14 10 24 0Eigene Behandlung der Gewerbesteuer 0 0 0 30

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Sowohl die Vernachlässigung von Steuern als auch der Sonderstatus der GewSt wird nurin Einzelfällen begründet4. Unter der unübersichtlichen Meinungsvielfalt in der Litera-tur findet sich erstaunlich oft die Feststellung, dass der Kostencharakter von Ertragsteuern„umstritten“ und „nicht geklärt“ sei5; zahlreicheAutoren verzichten auf ein eigenständigesUrteil und ziehen sich auf die „herrschende Meinung“ und damit auf eine bei Vorliegen un-entscheidbarer Wertungen übliche Begründungsformel zurück. Eine derartig fatalistischeEinstellung gegenüber steuerlichen Problemen ist in der IR/UB nicht festzustellen.

Weshalb erfolgt die Thematisierung von Ertragsteuern in IR/UB und KR in so ver-schiedener Weise, obwohl die Konzeptionen sich nur graduell durch Konstanz und Varia-bilität der Modellparameter unterscheiden? Grundsätzlich sind für das unterschiedlicheVerständnis der Besteuerung ökonomische und rechtliche Erklärungen möglich. Währendzu Beginn der Literaturdiskussion von Steuerwirkungen sowohl in der KR als auch in derUB die Relevanz von Steuern in gleicher Weise nach qualitativen rechtlichen Merkmalenund Kriterien beurteilt wurde6, da die konzeptionellen Voraussetzungen für eine ökonomi-sche Wirkungsanalyse noch fehlten, werden in der modernen Lehrbuchliteratur der IR/UBSteuerwirkungen seit langem nach quantitativen ökonomischen Kriterien ermittelt7. ImGegensatz hierzu wurden in der Literatur der KR die zu Beginn der Diskussion in denfünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts als relevant angesehenen rechtlichen Merkmale derBesteuerung als Kriterium für ihre Einbeziehung beibehalten8.

Während die in der Literatur der UB ermittelten Steuerwirkungen mittlerweile auch dieBerufspraxis prägen9, ist bislang offen geblieben, welcher Sichtweise die Praxis der KRfolgt. Zur Einbeziehung der Besteuerung in die Praxis der IR und UB liegen zahlreiche em-pirische Untersuchungen vor10. Demgegenüber fehlen neuere empirische Untersuchungenvon Steuerwirkungen in der KR11, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen der Unter-nehmenssteuerreform, die 2008 zu einer tiefgreifenden Änderung für den Kostencharakterder GewSt relevanter rechtlicher Besteuerungsmerkmale führte.

1.1 Quantitative ökonomische Kriterien

Die Häufigkeit der Einbeziehung von Ertragsteuern in die UB könnte ökonomisch da-durch erklärt werden, dass Probleme der UB tendenziell mit globalen, die Verwendungdes gesamten Unternehmensvermögens umfassenden Entscheidungsmodellen bearbei-tet werden, die wegen der Vielfalt der Modellparameter zahlreiche steuerliche Zeit-,Bemessungsgrundlagen- und Tarifeffekte erzeugen, deren vollständige Vernachlässigungals zu deutliches Defizit der Modellbildung empfunden würde. Dies zeigt sich z. B. ander Position des HFA des IdW: Obwohl die Einbeziehung der ESt in die UB lange Zeitabgelehnt wurde, räumte das IdW 1997 nach jahrzehntelangem Zögern den Einfluss derESt auf die UB ein12 und zeigt sich in jüngerer Zeit für die Berücksichtigung steuerlicherEffekte aufgeschlossen13.

In Darstellungen der IR für Einzelinvestitionen, die aus Gründen der Komplexitäts-reduktion auf die Erfassung von Steuerwirkungen verzichten, wird deren Relevanz nichtgrundsätzlich bestritten, da z. B. die Vernachlässigung der aus Abschreibungen entste-henden steuerlichen Zeiteffekte bei der Modellierung von mehrperiodigen Einzelinvesti-tionen zu nicht vertretbaren Mängeln führt. Demgegenüber treten in einperiodigen Ko-stenkalkülen keine steuerlichen Zeiteffekte und nur in geringem Umfang Tarifeffekte auf,

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weshalb sich potentielle Steuerwirkungen weitgehend auf Bemessungsgrundlagen-Effektebeschränken, was die geringere Aufmerksamkeit gegenüber Steuerwirkungen in der KR-Literatur durch Motive der Komplexitätsreduktion erklären könnte14. Dies liefert jedochkeine ökonomische Erklärung für die besondere Aufmerksamkeit der KR-Literatur gegen-über der GewSt und auch nicht dafür, dass ein ausgeprägtes Interesse für die GewSt in dermodernen IR/UB fehlt.

1.2 Qualitative rechtliche Kriterien für den Kostencharakter von Ertragsteuern

Da die den Kostencharakter der Ertragsteuern bestimmenden rechtlichen Merkmale derGewSt in der KR bereits in einer Zeit geprägt wurden, als eine modelltheoretische Begrün-dung von Steuerwirkungen noch nicht entwickelt war, ist es denkbar, dass im Gegensatzzu IR/UB in der KR die Steuerkriterien seither nicht aktualisiert wurden und somit dieEntwicklung der Steuerwirkungsdiskussion versäumt wurde. Deshalb wird im Folgendendie Vermutung überprüft, dass anstelle ökonomischer Kriterien nach wie vor rechtlicheMerkmale der GewSt wie deren „Objektsteuercharakter“, ihre Klassifikation als „Betriebs-steuer“ sowie die bis 2007 bestehende steuerlicheAbziehbarkeit als „Betriebsausgabe“ undihre „Substanzsteuerelemente“ einen Erklärungsgrund für die spezifische Behandlung derGewSt in der KR liefern können. Diese These wird in Teil III erläutert, in Teil IV miteiner modelltheoretischen Analyse der Steuerwirkung in der KR konfrontiert und in TeilV empirisch überprüft.

Da im Jahr 2008 die Abziehbarkeit der GewSt als Betriebsausgabe abgeschafft wurdeund die ihren „Objektsteuercharakter“ betreffenden „Substanzsteuerelemente“ reformiertwurden, besteht die Möglichkeit empirisch zu überprüfen, ob die Handhabung der Ertrag-steuern in der Praxis der KR vor und nach der UntStR 2008 eher durch rechtliche Merk-male der GewSt oder durch auf der Theorie von Steuerwirkungen basierende Erklärungenbestimmt wird. Zu diesem Zweck wird in Kap. V eine 2010 durchgeführte empirischeUntersuchung hinsichtlich der Wahrnehmung des Kostencharakters der GewSt durch Un-ternehmen und Wirtschaftsverbände/IHK präsentiert, wobei sich deutliche Diskrepanzenzwischen beiden Probandengruppen zeigen.

Die aus der stattgefundenen partiellen Reform der GewSt resultierenden empirischenBefunde können u. U. wertvolle Hinweise auf die Wirkungen einer weiterreichenden Re-form oder einer Abschaffung der GewSt, die in Österreich bereits vollzogen wurde15,liefern. Da die Preisbildung als die wichtigste Funktion der KR angesehen wird, kanndie Einbeziehung der GewSt in die KR für deren Überwälzung in den Absatzpreisen unddamit allgemein für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Preisniveaus nach einerAbschaffung der GewSt wichtige Anhaltspunkte liefern.

2 Geschichte der GewSt und Reformvorschläge

Die GewSt in ihrer heutigen Form basiert auf dem Reichsgewerbesteuergesetz, das 1937in Kraft trat und seither mehrere Dutzend mal geändert wurde16. Sie sollte den Gemeindeneinen Ausgleich für die Kosten bieten, die ihnen der Betrieb der Industrie, des Handwerksund des Handels verursacht, basierte also auf dem sog. Äquivalenzprinzip17. Zunächst

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45.00040.000

35.00030.000

25.00020.000

15.00010.0005.000

0

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2009

Körperschaftsteuer Gewerbesteuer

Abb. 1: Aufkommen aus Körperschaft- und Gewerbesteuer in Mio. EUR . (Quelle: BMF (2010))

stützte sich die GewSt auf die drei Bemessungsgrundlagen Gewerbeertrag, Gewerbekapi-tal und Lohnsumme, von denen nach Abschaffung der Lohnsummensteuer im Jahr 1980und der Gewerbekapitalsteuer im Jahr 1998 nur noch die Gewerbeertragsteuer verbliebenist. Die Kennzeichnung der GewSt als „Realsteuer“ in § 3(2) und § 22 AO und in derjuristischen Dogmatik soll zum Ausdruck bringen, „dass der Betrieb als solcher, losgelöstvon den Beziehungen zu einem bestimmten Rechtsträger von der Steuer erfasst wird“18.Häufig wird die GewSt auch als „Objektsteuer“ bezeichnet. Dies bezeichne „den Sachver-halt, dass die Gewerbesteuer ausschließlich den Gewerbebetrieb belaste. Der Inhaber seinur der Steuerschuldner“19. Die Begriffe der Objektsteuer und Realsteuer werden meistsynonym und zur gemeinsamen Klassifizierung von GewSt und Grundsteuer verwendet.An der rechtlichen Klassifikation der GewSt als Realsteuer in der AO hat auch der Wegfallder GewKSt und der Lohnsummensteuer nichts geändert, obwohl sie sich jetzt nur noch aufeine der Gewinnbesteuerung sehr ähnliche Ertragsteuer stützt. Falls Elemente der Lohn-summensteuer und der GewKSt während deren Geltungsdauer Entscheidungsrelevanz fürdie Kostenrechnung besaßen, so sind diese Gründe mittlerweile entfallen20.

Trotz der Abschaffung einzelner GewSt-Elemente ist das GewSt-Aufkommen im Zeit-verlauf deutlich stärker als das Aufkommen der KSt gestiegen, die in der Steuerliteratursehr stark thematisiert wird, mittlerweile fiskalisch aber als „Zwerg“ angesehen wird.Wenngleich steuerliche Belastungswirkungen nicht zwingend zu Entscheidungswirkun-gen führen, kann die Handhabung der GewSt in der Unternehmensrechnung schon wegenihres Aufkommens aus Relevanzgründen kaum vernachlässigt werden (Abb. 1).

Wie auch immer die GewSt in ihren Ursprüngen motiviert gewesen sein mag, stellt sienun eine zu ESt und KSt hinzutretende, gegenüber beiden im Tarif und der Bemessungs-grundlage modifizierte Ertragsteuer dar. Da die Bemessungsgrundlage im Durchschnitt101,44 % des der ESt und KSt unterliegenden Gewinns entspricht, ist es in Modellrech-nungen aus Vereinfachungsgründen üblich, von der Gleichheit der Bemessungsgrundlageder Ertragsteuern auszugehen (Tab. 2).

Die 2008 durchgeführten Reformen der GewSt betreffen ihre Abziehbarkeit als Be-triebsausgabe und eng mit ihrem Objektsteuercharakter zusammenhängende Modifikatio-nen des Gewerbeertrags und somit diejenigen Elemente, die der GewSt eine rechtliche

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Tab. 2: Verhältnis der Summe des Gewinns aus Gewerbebetrieb zum Gewerbeertrag unterschiedli-cher Rechtsformen (Daten: 2004). (Quelle: BMF (2008), S. 37)

Rechtsform Summe der Gewinneaus Gewerbebetrieb(T€)

Summe dessteuer-pflichtigenGewerbeertrags (T€)

Verhältnis vonGewerbeertrag zuGewinn (%)

Einzelunternehmen 36.271.452 21.675.809 59,76Personengesellschaften 53.966.587 48.387.814 89,66Körperschaften (insb.Kapitalgesellschaften)

65.092.472 87.507.853 134,44

Summe 155.330.511 157.571.476 101,44

Sonderstellung innerhalb der Ertragsteuern verschafft haben und als auslösendes Elementihrer Qualifikation als Kostensteuer angesehen wurden. Wenn die GewSt in die KR einge-hen und in den Preisen überwälzt würde, würde ihreAbschaffung eine Reduktion der Preiseermöglichen, die z. B. durch eine zur Gegenfinanzierung erforderliche USt-Erhöhung vonca. 4 %-Punkten aufkommensneutral ausgeglichen werden könnte. Falls die GewSt jedochnicht als Kostenbestandteil kalkuliert wird, würde die aufkommensneutrale Gegenfinan-zierung durch eine USt-Erhöhung vermutlich nicht preisniveauneutral bleiben, da dasKonstruktionsprinzip der USt ihre Überwälzung in den Absatzpreisen vorsieht21.

3 Beurteilung des Kostencharakters der GewSt nach rechtlichen Kategorienin der Literatur und in Regulierungsvorschriften

Während die Entscheidungsrelevanz der Besteuerung in der IR/UB in Bezug auf die Bar-werte von Steuerbemessungsgrundlagen ökonomisch erfolgsäquivalenter Alternativen aufGleichheit (Neutralität) und Ungleichheit hin beurteilt, ist die nach rechtlichen Wesens-merkmalen der Besteuerung erfolgende Beurteilung des „Kostencharakters“ von Steuernheterogenen Ursprungs.

3.1 Rechtliche Merkmale der GewSt

3.1.1 GewSt als Realsteuer/Objektsteuer

Dass die rechtliche Klassifizierung der GewSt als „Realsteuer“ bzw. „Objektsteuer“ undihre Unterscheidung von der ESt und der KSt als Personensteuern in der KR noch alsBestimmungsgrund für ihre Relevanz angesehen wird22, liegt möglicherweise daran, dassder den Zielen der KR zugrunde liegende Bezug zu den persönlichen Einkommenszielender Kapitaleigner weniger ausgeprägt ist. Im Gegensatz zu IR und UB, deren Cashflow-basierte Zielkriterien wegen der expliziten Erfassung der durch den Kalkulationszinsfußrepräsentierten Opportunitätskosten einen klaren Shareholder-Bezug aufweisen, bleibendie Zielgrößen der traditionellen KR meist auf die Institutionenebene beschränkt, weshalbes manchem als nahe liegend erscheint, die als relevant angesehenen Steuerlasten ebenfallsauf die von der persönlichen Sphäre des Kapitaleigners abstrahierende Objektsteuer dessteuerrechtlichen „Gewerbebetriebs“ zu reduzieren.

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Da das Design und die Elemente des Steuersystems aber auf eine eignerbezogeneSicht von Unternehmen abgestimmt sind und sowohl die Steuern der Institutionen- alsauch die der Personenebene umfassen, bleibt die Erfassung der für Kapitaleigner rele-vanten Steuerlast ohne steuerlichen Durchgriff auf die Eignerebene unvollständig. Zwi-schen der Beschränkung von Partialmodellen der KR auf die Unternehmensebene undder Erfassung aller zielrelevanten Elemente des Steuersystems, die eine Erweiterung dessteuerlichen „Verursachungsprinzips“ über den Partialkalkül hinaus erfordern würde, liegtsomit ein Konflikt vor23. Außerdem lassen sich aus einer auf Objektsteuern beschränktenBeurteilung des Kostencharakters von Steuern keine eindeutigen Schlussfolgerungen fürdie Besteuerung von Opportunitätskosten ziehen. Während das Problem der um Steuerngekürzten Netto-Kalkulationszinsen vor allem die jüngere Diskussion der UB geradezudominierte, finden sich zur Besteuerung von Opportunitätskosten in der Lehrbuchliteraturder KR kaum Hinweise24.

3.1.2 Abziehbarkeit der GewSt als Betriebsausgabe

Eine andere für den Kostencharakter der GewSt verantwortlich gemachte Begründungihrer Einordnung als „Betriebssteuer“ basiert nicht auf rechtlicher Dogmatik, sondern aufderAbleitung des Kostenbegriffs aus demAufwandsbegriff25. In Lehrbüchern der KR wirdtypischerweise zwischen neutralemAufwand, aufwandsgleichen Kosten und Zusatzkostenunterschieden. Die bis 2007 bestehende Abziehbarkeit der GewSt als steuerliche Betriebs-ausgabe verlieh der GewSt gewinnmindernden Aufwandscharakter. Durch Ableitung derKosten aus dem Aufwand gelangt die GewSt in die Kontenklasse der aufwandsgleichenKosten (IKR 770). Während am Kostencharakter der KSt als Steuer der juristischen Personin der Literatur Zweifel bestanden26, wurde an dem der GewSt als Betriebssteuer aufgrundihres steuerlichen Aufwandscharakters nicht gezweifelt.

3.1.3 Substanzsteuercharakter der GewSt

Der Gewerbeertrag unterscheidet sich gegenüber dem körperschaftsteuerlichen Einkom-men bzw. den Einkünften aus Gewerbebetrieb durch Hinzurechnungen und Kürzungen, diehinsichtlich der Hinzurechnungen häufig als Substanzsteuerelemente bezeichnet werden.Die im Gewerbeertrag enthaltenen erfolgsunabhängigen Elemente bewirken im Ergeb-nis, dass die GewSt gegenüber der gewinnabhängigen ESt und KSt verstetigt wird. DieHinzurechnungen betreffen bestimmte Prozentsätze der Fremdfinanzierungsaufwendun-gen, der Miet- und Pachtzinsen einschließlich Leasingraten und von Konzessions- undLizenzgebühren27.

Neben der Verstetigung des Steueraufkommens haben die gewerbesteuerlichen Modi-fikationen die rechtsdogmatische Funktion, die Bemessungsgrundlage der GewSt von derFinanzierung und damit auch vom ökonomischen Erfolg unabhängig zu machen und in-soweit den gewinnunabhängigen „Objektsteuercharakter“ der GewSt zu unterstreichen28.Soweit die gewerbesteuerlichen Modifikationen Kalkulationsobjekten zugerechnet wer-den können und bei der Unterlassensalternative nicht auftreten, können sie als potentiellentscheidungsrelevant angesehen werden. Da die meisten Hinzurechnungsvorschriften auf

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Fixkostenbestandteile gerichtet sind, sind auch die hierdurch ausgelösten Steuern in Bezugauf Partialentscheidungen der KR ebenfalls als entscheidungsfix anzusehen29.

3.2 Einfluss der rechtlichen Merkmale auf Regulierungsvorschriften der Kostenrechnung

Die rechtlichen Merkmale der GewSt könnten als periphere Qualifikationen angesehenwerden, wenn sie nicht dafür verantwortlich wären, dass sie im Gegensatz zu anderen Er-tragsteuern Eingang in mehrere, die KR betreffende Regulierungsvorschriften gefundenhat.

3.2.1 Normierte Kalkulationsrichtlinien

(1) LSP Die LSP regeln die Preisbildung von Unternehmen bei öffentlichen Aufträgenund differenzieren zwischen „kalkulierbaren Steuern“ (LSP 30a) und „nicht kalkulierbarenSteuern“ (LSP 30b), wobei die GewSt ohne weitereAngabe von Gründen als „kalkulierbar“und ESt und KSt als „nicht kalkulierbar“ bezeichnet werden. Da für diese Klassifikationkeine Begründung angegeben wird und außer der GewSt auch die als Betriebsausgabeabziehbare Grundsteuer und die bis 1973 ebenfalls als Sonderausgabe abziehbare Vermö-gensteuer als kalkulierbare Steuern angegeben wurden, spricht viel dafür, dass das Kriteri-um der ertragsteuerlichen Abziehbarkeit für die Differenzierung des Kostencharakters derSteuern in den LSP ursächlich war und dass nach deren Wegfall hieraus Konsequenzen zuziehen wären, die in den LSP bisher ausgeblieben sind30.

(2) Strom- und Gasnetzentgeltverordnungen Auch in den aktuellen Stromnetz- und Gas-netzentgeltverordnungen (StromNEV, GasNEV) vom 25.7.2005 wird jeweils in § 8 ohneBegründung die „sachgerecht zuzuordnende Gewerbesteuer“ explizit als „kalkulatorischeKostenposition“ genannt. Die Verordnungen lösen im Rahmen des Energiewirtschaftsge-setzes die bis dahin geltenden Branchenvereinbarungen der Energiewirtschaft ab, bei denendie Gewerbesteuer ebenfalls als kalkulatorische Steuer betrachtet wurde. Die Verordnun-gen wurden zwar nach der UntStR 2008 im Jahr 2009 und 2010 aktualisiert; hierbei wurdetrotz Abschaffung der Abziehbarkeit der GewSt der Fortbestand deren Kostencharaktersnicht problematisiert.

(3) Praxisempfehlungen der Branchenverbände Die 1951 im Gemeinschafts-Kostenrah-men der Industrie (GKR) vorgenommene und 1971 im IKR aktualisierte Zuordnung derGewSt als Kostensteuer wurde durch eine 1980 veröffentlichte Stellungnahme des BDIbestätigt und ist lt. Nachfrage beim BDI am 3.9.2010 nach wie vor gültig.

3.3 Steuerliche Bilanzierungsvorschriften zur Vorratsbewertung

Die für die Erstellung von Jahresabschlüssen und Steuerbilanzen erforderliche Bewertungvon Vorräten und selbst erstellten Anlagen erfordert zumindest rudimentäre Regelungender aktivierbaren Kosten und der darin enthaltenen Steuern. Während das HGB auf eineexplizite Regelung verzichtet und Kommentierungen zu § 255 HGB die Zurechnung der

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GewESt zu den Herstellungskosten verneinen, sowie IFRS dies verbieten, ist in der Steu-erbilanz die Aktivierbarkeit von Steuern als Herstellungskosten bislang ausdrücklich vonihrer Abziehbarkeit als steuerlicher Betriebsausgabe abhängig gewesen. Im Gegensatz zuden vorstehend genannten Regulierungsvorschriften wurden in den EStR aus der Reformder GewSt 2008 Konsequenzen gezogen, da seit Wegfall ihrer Abziehbarkeit die Aktivie-rung der GewESt ausdrücklich untersagt ist (R 6.3 (5) S. 2). Dies lässt den eindeutigenSchluss zu, dass der Fiskus bislang die steuerliche Abziehbarkeit einer Ertragsteuerart alsdas zentrale Merkmal für ihren Kostencharakter für Zwecke der steuerbilanziellen Vorrats-bewertung betrachtet hat und aus deren Wegfall nun konsequenterweise Schlüsse gezogenhat.

3.4 Fazit zur Beurteilung des Kostencharakters aufgrund rechtlicher Kategorien

Zwischen den rechtlichen Merkmalen der GewSt, aufgrund derer für ihren Kostencharak-ter plädiert wird, besteht nur ein lockerer gedanklicher Zusammenhang. Im Ergebnis sinddie rechtlichen Merkmale der GewSt offensichtlich für ihren Eingang in Regulierungsvor-schriften der KR verantwortlich. Ob aus der durch GewSt-Reform 2008 beseitigten Ab-ziehbarkeit der GewSt als Betriebsausgabe Konsequenzen bzgl. deren „Kostencharakter“zu ziehen sind und welche Auswirkungen sich aus der Veränderung der Hinzurechnungs-vorschriften für den Objektsteuercharakter ergeben haben, ist in der Literatur bislang nichtdiskutiert worden. Schlussfolgerungen bzgl. einer Änderung derjenigen Regulierungsvor-schriften, für die ursprünglich die Abziehbarkeit der GewSt als Betriebsausgabe und ihrObjektsteuercharakter bestimmend waren, sind bislang nur in steuerlichen Regelungender Bewertung von Herstellungskosten gezogen worden. Mit Ausnahme dieser befindensich die mit rechtlichen Kriterien begründeten Auffassungen und Regelungsvorschriftenzum Kostencharakter von Steuern im Zustand einer gewissen Unordnung.

4 Modelltheoretische Begründung der Entscheidungsrelevanz der GewSt

4.1 Ergebnisrelevanz

Bei der Feststellung von Steuerwirkungen ist zwischen einer materiellen Betrachtung derErgebnisrelevanz und einer formellen der Entscheidungsrelevanz zu unterscheiden31. Inder Terminologie der KR gehen ergebnisrelevante Steuern in die Kostenarten ein, währendentscheidungsrelevante Steuern sich in der Kalkulation von Kostenträgern auswirken. Mo-delltheoretische Steuerwirkungen sind sowohl vom Kalkültyp als auch vom Steuersystemabhängig und deshalb in doppelter Hinsicht modellgebunden, da sie sowohl durch dieKomplexität der betriebswirtschaftlichen Basis-Modelle als auch durch die Feinheit derModellierung steuerlicher Systemelemente bestimmt werden. Während die Komplexitätder Modellierung einer a priori vorgenommenen Abwägung des jeweiligen Informations-nutzens der Modellbildung entspringt und insoweit eine gewisse Subjektivität aufweist,sind die Steuerwirkungen bei gegebener Modellkomplexität letztlich nur Implikationender Modellbildung. Innerhalb eines gegebenen Modellrahmens ist die Einbeziehung vonSteuerwirkungen deshalb keine Sache des persönlichen Geschmacks, sondern der Voll-ständigkeit der Modellbildung.

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Angesichts des sachlich und zeitlich begrenzten Partialkalküls der KR stellt sich aller-dings die Frage derTiefe des steuerlichen Durchgriffs inAbhängigkeit von der Organisations-und Rechtsform des Unternehmens. Während es bei Personengesellschaften aufgrund desZurechnungsprinzips der Gewinne auf die Gesellschafter als selbstverständlich erscheint,den auf Unternehmensebene getroffenen Entscheidungen auch die dadurch verursachtenSteuern der Kapitaleigner zuzurechnen, wird bei Kapitalgesellschaften die persönlicheSteuerlast der Kapitaleigner zusätzlich durch die Höhe der sofort oder später vorzuneh-menden Ausschüttungen bestimmt, um die der Kalkül zur Feststellung der Steuerlast zuerweitern ist. Hierbei stellt sich die Frage, inwiefern in sachlich und zeitlich ohnehin be-grenzte Partialkalküle die ausschüttungsbedingte Steuerlast ebenso eingerechnet werdensoll, wie es in globalen Kalkülen der UB als selbstverständlich erscheint. Wenn dies fürpersonenbezogene Kapitalgesellschaften noch als naheliegend erscheint, können bei Pu-blikumskapitalgesellschaften mit weltweit gestreuten Anteilseignern Zweifel entstehen,inwieweit angesichts der sachlichen und zeitlichen Beschränkung des Partialmodells ei-ne Durchgriffstiefe bis auf die steuerlichen Verhältnisse der Gesellschafter als adäquaterscheint32. Außerdem muss die Grenze der Modellbildung wie bei der UB immer auch inBezug auf die Steuerbelastung der Opportunitätskosten in gleicher Weise gezogen werden,damit es nicht zu modellbedingten Verzerrungen aufgrund unterschiedlicher Durchgriff-stiefen kommt.

Wie auch immer der Kalkül formuliert wird: Es gibt keine Gründe, den steuerlichenDurchgriff auf die GewSt zu beschränken:

1. Bei KapG müsste eine Beschränkung der Besteuerung auf die Unternehmensebeneneben der GewSt auch die KSt erfassen.

2. Bei PersG ist die isolierte Erfassung der GewSt ebenfalls nicht zulässig, da zur Redu-zierung ihrer Zusatzbelastung die ESt nach § 35 EStG bereits ermäßigt wird.

Sowohl bei Kapital- als auch bei Personengesellschaften sind Annahmen zu treffen, obdie Unterlassensalternativen innerhalb oder außerhalb der Unternehmen realisiert werden.Insgesamt zeigt sich hinsichtlich der Ergebnisrelevanz der Besteuerung in der KR, dassdiese zahlreichere, durch die optimale Kalkülkomplexität bestimmte Ermessensproble-me aufwirft als die UB, was u. U. eine Erklärung dafür liefert, dass keine vergleichbarehomogene Literatursparte entstanden ist.

4.2 Entscheidungsrelevanz

Während hinsichtlich der Steuerwirkungen in der IR auch deshalb weitgehend Konsensbesteht, da diese als Entscheidungskalkül konzipiert ist, werden der KR und dem Control-ling eine größereVielfalt vonAufgaben übertragen. Um die Parallele von Steuerwirkungengegenüber der IR besser herausarbeiten zu können, wird hier die Problemstellung eben-falls auf die Entscheidungsfunktion der KR beschränkt. Auch für die Einbeziehung vonSteuern in andere Aufgaben der KR ist es sinnvoll, vorab eine Klärung innerhalb ihrerEntscheidungsfunktion herbeizuführen.

Im Folgenden wird ein traditioneller Typus der Kostenrechnung zugrunde gelegt, derauf der herkömmlichen Unterscheidung von variablen und fixen Kosten basiert, wobeials Partialziel der Deckungsbeitrag als Differenz von Erlösen E und variablen Kosten

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Wird die Relevanz von Ertragsteuern . . . 201

K verwendet wird. Mit der Verwendung einer herkömmlichen Kostenrechnung soll zumeinen der Bezug zur ausgewerteten Literatur erhalten werden. Zum anderen schließt sichan die Modelltheorie der Steuerwirkungen eine Befragung an, die auf der Praxis ver-traute Kategorien der KR aufbauen musste, um die Verständlichkeit der Fragestellungenzu gewährleisten. Innerhalb dieses Basismodells der Kostenrechnung ist die Ermittlungvon Steuerwirkungen modellbedingt ebenfalls sehr stark vereinfacht. Zum einen schei-den die für Steuerwirkungen in IR und UB konstitutiven Zeiteffekte modellbedingt aus,so dass nur Bemessungsgrundlagen- und Tarifeffekte verbleiben, die letztlich nur darausresultieren können, dass Zielgröße und Bemessungsgrundlage nicht deckungsgleich sindund Kalkulationsobjekt und Unterlassensalternative mit verschiedenen Tarifen besteuertwerden.

4.2.1 Bemessungsgrundlageneffekte der Besteuerung in kurzfristigenEntscheidungsmodellen33

Es sind alle einer Entscheidung zurechenbaren Erlöse E, Kosten K und Steuern zu be-rücksichtigen. Dies ist nur möglich, wenn diese auf der Entscheidungsebene disponibelsind. Um die Zurechnung der Steuern auf das Kalkulationsobjekt vorzunehmen, ist eineeigene Steuerverursachungsrechnung durchzuführen, die nur teilweise durch die Kosten-verursachungsrechnung unmittelbar bestimmt wird, teilweise aber auch eigenen Gesetz-mäßigkeiten folgt. Die Steuerbemessungsgrundlage entspricht der Differenz G zwischensteuerlich relevanten Erträgen Er und Aufwendungen Au, resp. „Betriebseinnahmen“ und„Betriebsausgaben“ (G = Er − Au). Für den Deckungsbeitrag nach Steuern DBs gilt füreinen einheitlichen Steuersatz s:

DBs = E − K − s(Er − Au). (1)

Während z. B. bei einer globalen UB die Annahme begründet erscheint, dass alle Steu-erparameter durch den Erwerb oder die Veräußerung von Unternehmen modellendogenbestimmt werden, sind die Steuerfolgen in der KR häufig nur modellexogen bestimmbar.Ob die dem Partialkalkül zuzurechnenden Bemessungsgrundlagen zu tatsächlichen Steu-erzahlungen führen, hängt u. U. vom Gesamteinkommen des Entscheidungsfeldes ab, dasaufgrund anderer modellexogener Entscheidungen positiv oder negativ sein kann. Wenn z.B. der Deckungsbeitrag einer Handlungsalternative positiv ist, kann das steuerliche Ein-kommen wegen aus früheren Entscheidungen resultierender, steuerlich abziehbarer Fix-kosten trotzdem negativ sein.Auch die generelleVerwendung der aus dem Standardmodelldes Steuereinflusses auf Investitionsentscheidungen vertrauten Prämisse eines sofortigenvollständigen Verlustausgleichs ist angesichts des in deutschen Kapitalgesellschaften bis2006 aufgelaufenen Volumens von insgesamt 569 Mrd. körperschaftsteuerlicher Verlust-vorträge auf Gesellschaftsebene34 nicht unproblematisch, da den Partialentscheidungender KR zurechenbare Verluste faktisch erst in modellferner Zukunft zur Verrechnungkommen und hierdurch die Parameter des einperiodigen Partialkalküls gesprengt wür-den. Während im Rahmen der UB der Bewertung von steuerlichen Verlustvorträgen eineigener Literaturzweig gewidmet wird35, stellt sich die Frage, ob unter den vielen gutenGründen, den Partialkalkül der KR zu erweitern, die steuerliche Verlustverrechnung derwichtigste ist.

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Um die Entscheidungswirkungen der Besteuerung zu analysieren, kann regelmäßigdavon ausgegangen werden, dass die positiven Erfolgsbeiträge Er und E sowohl in derSteuerbemessungsgrundlage als auch im Deckungsbeitrag übereinstimmen, die Unterneh-mung also ausschließlich Leistungen erbringt, die zu Einzahlungen führen, die gleichzeitigsteuerliche Betriebseinnahmen sind.

Die negativen Erfolgsbeiträge der variablen Kosten K können sich aus folgenden steu-erlichen Komponenten zusammensetzen:

a. Kosten, die gleichzeitig steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben sind,b. Kosten, die nicht oder nur teilweise als Betriebsausgaben abzugsfähig sind,c. Opportunitätskosten in Form von Zusatzkosten, die wegen der bei Realisierung des

Kalkulationsobjektes anderweitig entgehenden Einnahmen anzusetzen sind,d. Wiederbeschaffungskosten, die von historischen Ausgaben abweichen können,e. Kosten, die zwar bei der ESt, aber nicht bei KSt oder GewSt abzugsfähig sind (Mo-

difikationen).

Da hierbei zahlreichere Verwerfungen zwischen der Zielgröße des Deckungsbeitrags undder Steuerbemessungsgrundlage auftreten als in der IR/UB, wo typischerweise nur Dif-ferenzen zwischen den Cashflows und der AfA erfasst werden, ist prima facie mit demAuftreten von Steuerwirkungen zu rechnen, wobei folgende Fälle zu unterscheiden sind:

(1) Entscheidungsfixe Steuerentlastung durch neutralen Aufwand und Fixkosten Der steu-erliche Gewinn wird auch durch als Betriebsausgaben abziehbaren neutralen Aufwand ge-mindert. Die dadurch ausgelöste Steuerersparnis in Höhe von s ·AuN ist entscheidungsfixund wird daher nicht im Entscheidungskriterium erfasst. Auch bei als Betriebsausgabenabzugsfähigen Fixkosten KF ist die dadurch ausgelöste Steuerersparnis in Höhe von s ·KF

ebenso wenig einer Entscheidung zurechenbar wie die Fixkosten selbst. Liegen den Fix-kosten keine steuerlichen Betriebsausgaben zugrunde, wie bspw. bei der kalkulatorischenGebäudemiete, so sind weder die Kosten, noch die Steuerentlastungen im Entscheidungs-kriterium enthalten.

(2) Betriebsausgabengleiche Grundkosten Soweit die Kosten variabel und gleichzeitig alssteuerliche Betriebsausgaben in der gleichen Periode abzugsfähig sind, wird der Deckungs-beitrag unmittelbar besteuert:

DBs = (E − K)(1 − s) (2)

Damit liegt der Fall einer entscheidungsneutralen Zielbesteuerung vor, solange der Grenz-steuersatz unter 100 % liegt. Hierunter fallen sowohl zahlungsgleiche Lohnkosten als auchdie Kosten noch zu beschaffender Einsatzfaktoren. Die Neutralität der Besteuerung erklärtsich daraus, dass der einperiodige Fall einer Cashflow-Steuer vorliegt. Da bei geringer La-gerhaltung diesem Fall sowohl Lohnkosten als auch Materialkosten subsumierbar sind,entfalten die wichtigsten Kostenarten regelmäßig keine Steuerwirkungen.

(3) Variable, nicht als Betriebsausgaben abziehbare Grundkosten Sind Kosten zwar va-riabel, jedoch nach § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG nicht (in voller Höhe) als Betriebsausgabe

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abziehbar, so ist ein Rangfolgewechsel zwischen Kalkulationsobjekt und Unterlassensal-ternative möglich. Mit Erträgen in Höhe der Erlöse, aber die Kosten unterschreitendenAufwendungen 0 ≤Au < K folgt für den Deckungsbeitrag nach Steuern:

DBs = E − K − s(E − Au) < (1 − s)DB. (3)

Art und Zahl solcher Abzugsverbote sind jedoch sehr begrenzt.

(4) Opportunitätskosten in Form von ZusatzkostenAls Zusatzkosten werden in der KR z. B.kalkulatorische Zinsen, kalkulatorische Mieten und der kalkulatorische Unternehmerlohnerfasst. Bei Kapitalgesellschaften ist zu beachten, dass für solche Kosten steuerlich ange-messene Leistungsvergütungen anzusetzen sind, deren Höhe einschließlich der dadurchausgelösten Steuerentlastung i. d. R. als entscheidungsfix anzusehen ist. Bei Personen-gesellschaften sind unter der Annahme gegebener Kapazitäten kalkulatorische Mietenals fix und kalkulatorische Zinsen nur bei auftragsabhängiger Kapitalbindung als varia-bel anzusehen. Dies gilt ebenso für variable Zusatzkosten in Form des kalkulatorischenUnternehmerlohns, deren Berechnung ebenfalls Annahmen über die Besteuerung des al-ternativen Einkommenserwerbs erfordert. Unterliegt die Standardalternative dem gleichenSteuertarif wie das Kalkulationsobjekt, so sind die steuerlich nicht abziehbaren Opportu-nitätskosten nach Steuern anzusetzen:

DBs = E − K · (1 − s) − s · E = (E − K)(1 − s). (4)

Die Neutralität der Besteuerung ergibt sich jedoch erst dann, wenn die Opportunitäts-kosten netto nach Steuern angesetzt werden, was in der UB selbstverständlich, in derKR aber unüblich ist, da der steuerliche Einfluss auf Opportunitätskosten bislang weit-gehend ignoriert wurde. Dieser Fall der Neutralität der Besteuerung ist dem klassischenFall des Ertragswertkalküls der Unternehmensbewertung vergleichbar, aus dem sich dieSteuer wegen steuerlicher Gleichbelastung von Unternehmung und Alternativinvestitionin Zähler und Nenner „herauskürzt“. Dies ist sowohl in der KR als auch in der UB nurdann der Fall, wenn nicht durch unterschiedliche Steuertarife von Kalkulationsobjekt undUnterlassensalternative noch zu diskutierende Tarifeffekte auftreten.

(5) Anderskosten Bei den Anderskosten ist anders als bei den Betriebsausgaben die wert-mäßige Geltendmachung von Kosten und die zeitliche Geltendmachung zu unterscheiden.

Wertmäßige Verrechnungsdifferenzen Zwischen Kosten und Betriebsausgaben könnensich Wertdifferenzen ergeben. Z. B. muss bei Verbrauch von Rohstoffen der Betrag alsKosten kalkuliert werden, der die auftragsbezogene Wertminderung des Entscheidungs-feldes genau ersetzt; dies sind nicht die historischen Anschaffungskosten, sondern deraktuelle Marktpreis unabhängig davon, ob der Preis seit der Anschaffung von Rohstoffengestiegen oder gefallen ist. Wenn der Verkaufserlös E und der Marktpreis der auf Lagergehaltenen Rohstoffe P1 beträgt, und die Rohstoffe zu Anschaffungskosten in Höhe vonP0 beschafft wurden, so beträgt der Deckungsbeitrag vor Steuern:

DB = E − P1 (5)

Um das Auftreten von Steuerwirkungen festzustellen, sind bei Anderskosten ebenso wiebei Zusatzkosten die Kosten netto anzusetzen.

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a. Ist P1 > P0, so sind die Netto-Erlöse (1 − s)E zunächst um die als Betriebsausgabenabziehbaren Anschaffungskosten nach Steuern (1 − s)P0 zu reduzieren. Ebenso wiedie Durchführung des Kalkulationsobjekts erfüllt jedoch auch die alternative Verwen-dungsmöglichkeit der auf Lager gehaltenen Rohstoffe steuerlich relevante Tatbestän-de, da eine Lagerräumung einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn in Höhe vonP1 − P0 zur Folge hat, so dass auch der Wertbeitrag der Unterlassensalternative nachSteuern mit (1− s)(P1 −P0) anzusetzen ist. Der Deckungsbeitrag nach Steuern ergibtsich dann als:

DBs = (1 − s)E − (1 − s)P0 − (1 − s)(P1 − P0) = (1 − s)(E − P1) (6)

b. Ist P0 > P1, so kann bei dauernder Wertminderung entweder eine steuerliche Teil-wertabschreibung in Höhe vonP0 − P1 vorgenommen werden, oder es ist bei einerLagerräumung ein Veräußerungsverlust zu realisieren. Infolge dessen sind die Erlösenach Steuern (1 − s)E nur um Betriebsausgaben in Höhe von (1 − s)P1 zu kürzen,und der nachsteuerliche Deckungsbeitrag beträgt:

DBs = (1 − s)E − (1 − s)P1 = (1 − s)(E − P1) (7)

Die Steuerwirkung entfällt also entweder aufgrund einer dem Partialkalkül der Kosten-rechnung fremden Bewertungsregel, nämlich der Teilwertabschreibung in der Steuerbilanzoder durch den Netto-Ansatz der durch eine Lagerräumung erzielbaren Erlöse. Im Gegen-satz zur bei der UB üblichen generellen Unterlassensalternative der Nettoverzinsung einerKapitalmarktanlage lässt sich im Partialmodell der KR die steuerliche Belastung der alter-nativen Verwendungsmöglichkeit der Produktionsfaktoren nur fallweise feststellen; dochstellt erst deren Nettoansatz die Voraussetzung dafür dar, dass es zur Neutralität der Be-steuerung in der KR kommt.

Zeitliche Verrechnungsdifferenzen Der Zusammenhang von steuerlichen Abschreibun-gen und Kosten wird in jüngerer Zeit in der öffentlichen Meinung problematisiert, wennvon Betreibern von Kraftwerken eine Senkung des Strompreises gefordert wird, da de-ren Kosten sich reduziert hätten, da die Anlagen längst steuerlich abgeschrieben seien.Hierbei wird offensichtlich Übereinstimmung von steuerlicher AfA und kalkulatorischerAbschreibung unterstellt, für die es ebenso wenig Gründe gibt, wie dafür, in der KR Sonder-abschreibungen zu verrechnen und in den Preisen zu überwälzen. Vielmehr ist zwischender Funktion der AfA in der IR und der KR zu unterscheiden: Während bei Investiti-onsentscheidungen die Anschaffungsauszahlung noch disponibel ist und die steuerlichenAbschreibungen Einfluss auf den Kapitalwert nehmen, gehören in der Kostenrechnungdie Anschaffungskosten für die geschaffenen Kapazitäten und die Steuerersparnisse ausden Abschreibungen zu den „sunk costs“ bzw. „sunk benefits“, weshalb weder steuerlichzwingend vorzunehmende AfA, noch Unterschiede gegenüber kalkulatorischen Abschrei-bungen entscheidungsrelevant sind.

(6) GewSt-Modifikationen Steuerwirkungen können sich zusätzlich ergeben aus Bemes-sungsgrundlageneffekten, die aus gewerbesteuerlichen Modifikationen entstehen. Hierzu

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Wird die Relevanz von Ertragsteuern . . . 205

kommt es aber nur dann, wenn die aus den Modifikationen entstehenden Bemessungs-grundlagenteile den kurzfristigen Entscheidungen der Kostenrechnung zurechenbar sindund wenn sie bei der Unterlassensalternative nicht in gleicher Höhe anfallen, da ansonstendie Steuern entscheidungsfix sind. Da die KR von gegebenen Kapazitäten ausgeht unddie meisten Hinzurechnungen entscheidungsfix sind, könnte dies nur unter der Annah-me auftragsabhängiger Finanzierungskosten der Fall sein, die ebenfalls netto anzusetzenwären36. Daher ergeben sich auch bei der Abweichungen von Gewerbeertrag und Gewinnnur selten Steuerwirkungen. Dies würde sich in Investitionskalkülen ändern, wenn dieSchaffung der die Modifikationen auslösenden Kapazitäten selbst zur Disposition stünde.

4.2.2 Tarifeffekte

Im Bereich der UB basieren Steuerwirkungen in starkem Maße auf Tarifeffekten, da Unter-nehmung und Unterlassensalternative häufig nicht dem gleichen Steuerregime unterliegen,insbesondere wenn Veräußerungsgewinne ermäßigt besteuert werden und der Abgeltungs-steuer unterliegende private Finanzanlagen als Alternative dienen. In der KR treten Tari-feffekte nur selten auf, da im Gegensatz zur UB die Unterlassensalternative entweder zukeiner Steuerbelastung oder zur gleichen Tarifbelastung wie das Kalkulationsobjekt führt,sofern nicht von der Annahme ausgegangen wird, dass die Alternativen in Gemeinden mitunterschiedlichen GewSt-Hebesätzen realisiert werden. Allerdings kann auch ein der UBanaloges Problem der Besteuerung von Opportunitätskosten, z. B. beim kalkulatorischenUnternehmerlohn von Personenunternehmen, konstruiert werden, wenn diese nicht zu ge-werblichen Einkünften, sondern zu Einkünften aus selbständiger oder nicht selbständigerArbeit führen, die dem Steuersatz sA unterliegen. In diesem Fall bleibt die Besteuerungentscheidungsrelevant.

DBs = E − K(1 − sA) − s · E (8)

In der KR kann nicht mit einer einheitlichen Besteuerung einer Standard-Unterlassensalter-native wie in IR/UB gerechnet werden, wenngleich die Tarifunterschiede einerseits geringsind und sich andererseits in Einperiodenmodellen arithmetisch gering auswirken.

4.3 Zwischenfazit

Somit ergibt sich, dass nahezu alle Kosten entweder gleich den Betriebsausgaben sind,wobei eine neutrale Zielbesteuerung vorliegt oder dass die Besteuerung durch außerhalbdes Kalkulationsobjekts liegende Einflüsse bestimmt wird, wodurch sie entscheidungsfixund damit ebenfalls irrelevant wird. Damit ergibt sich für eine Vernachlässigung vonSteuerwirkungen eine Entwarnung:

1. Die steuerartenspezifischen Differenzierungsversuche zwischen Betriebssteuern(GewSt) und anderen Ertragsteuern (ESt, KSt) erweisen sich als unnötig.

2. Der gänzliche Verzicht auf die Berücksichtigung von Steuern in der KR dürfte zugeringeren Kalkulationsfehlern führen, als bisher vermutet wurde.

Für eine Sonderbehandlung der GewSt haben sich keine generellen Hinweise, sondernnur in konstruierten Ausnahmefällen Anlässe von vernachlässigbarer Bedeutung ergeben,

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die keine Rechtfertigung für die der GewSt in der Literatur gewidmete Aufmerksamkeitliefern. Wenngleich man nicht wird davon ausgehen können, dass die gezeigten situa-tionsspezifischen Neutralitätsbedingungen den Verfassern von KR-Lehrbüchern bei derVernachlässigung von Ertragsteuern explizit als Leitlinie gedient haben mögen, so zeigtsich doch, dass die Neutralität der Besteuerung möglicherweise intuitiv antizipiert wordenist, allerdings ohne dass der Grund ihrer Vernachlässigbarkeit deutlich geworden wäre.

5 Empirische Untersuchung der Einbeziehung der GewSt in die Kostenrechnung

Angesichts der divergierenden Ergebnisse der modelltheoretischen und rechtsdogmati-schen Begründungen für die Entscheidungsrelevanz bzw. den Kostencharakter der GewStstellt sich die Frage, ob die GewSt in die KR von Unternehmen eingeht, ob sich eineÄnderung durch das UStRG 2008 ergeben hat und welche Kriterien zur Beurteilung derKosteneigenschaft von Steuern herangezogen werden. Eine ergänzende Befragung derMitgliedsverbände des BDI und der Industrie- und Handelskammern (IHK) soll heraus-finden, ob deren Verständnis des steuerlichen Kostencharakters, das für die Durchsetzungvon Steuerreformen relevant sein kann, durch das UStRG 2008 beeinflusst wurde.

Um eine möglichst große Anzahl von Befunden zu erhalten, wurde eine anonyme,schriftliche Befragung durch postalische Zusendung von Fragebögen und themeneinfüh-rendes Anschreiben an die Untersuchungsteilnehmer durchgeführt, da eine Durchführungvon persönlichen Interviews unter Kostengesichtspunkten als ungeeignet erschien. Zu-gunsten des per Antwort-FAX erfolgenden Rücklaufs wurde die Nachfrage auf die Einbe-ziehung der GewSt beschränkt, da aufgrund ihrer Hervorhebung in der Lehrbuchliteraturam ehesten damit gerechnet werden konnte, dass sie Eingang in die KR finden würde.Da das zu einschneidenden Änderungen der GewSt führende Inkrafttreten des UStRG2008 bereits 2 Jahre zurückliegt, musste die Befragung bei den Unternehmen nicht aufhypothetische Reaktionen zielen, sondern konnte sich auf ihre tatsächliche Handhabungrichten.

Befragt wurden 760 Unternehmen aus Industrie und Handel, die alle Industrie- undHandelsunternehmen des CDAX erfassten, der u. a. die Indices DAX 30, M-Dax, S-DAXund Tec-DAX umfasst sowie zusätzlich die 500 umsatzstärksten Unternehmen, soweit sienicht im CDAX enthalten waren. Banken und Versicherungsunternehmen wurden ausge-schlossen, da von ihnen wegen branchenspezifischer Besonderheiten kein Erkenntnisbei-trag für die Untersuchungsziele erwartet wurde. Zusätzlich befragt wurden alle 80 IHKund alle 38 Mitgliedsverbände des BDI.

Als Adressaten wurden die Leiter der Abteilungen Controlling, Rechnungswesen, Fi-nanzen oder vergleichbarer Abteilungen ermittelt; bei IHK und Branchenverbänden wur-den die Verantwortlichen für Steuer- oder Finanzpolitik angesprochen. Die Untersuchungwurde in der Zeit vom 11.6. bis 31.7.2010 durchgeführt. Im Einzelnen wurde danachgefragt, ob die GewSt in die KR eingeht bzw. eingehen sollte und welchen Einfluss dieUntStR hierauf hatte bzw. hat. Außerdem wurde danach gefragt, ob hierfür ihr Objektsteu-ercharakter, ihre Substanzsteuerelemente oder ihre Abziehbarkeit als BA verantwortlichsind. Da nicht damit gerechnet werden konnte, dass die Ergebnisse der Modellanalyse inder Praxis hinreichend reflektiert sind, wurde die Feststellung der Neutralität der Zielbe-

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Abb. 2: Einbeziehung derGewerbesteuer in die Kosten-rechnung vor und nach demUStRG 2008

26,73%

1,98%

24,75%

73,27%71,29%80,00%

60,00%

40,00%

20,00%

0,00%Einbeziehung der Gewst in die

Kostenrechnung nach demUStRG 2008?

1,98%

ja nein Sonstige

Einbeziehung der GewSt in dieKostenrechnung vor dem UStRG

2008?

Tab. 3: Einfluss des UStRG 2008 auf die Einbeziehung der Gewerbesteuer in die Kostenrechnung

Einfluss des UStRG 2008 auf die Einbeziehung der GewSt Anz. abs. Anz. rel. (%)

Keine Änderung (ja/ja; nein/nein; Sonstige) 97 96,04Nur Einbeziehung der GewSt vor dem UStRG 2008 (ja/nein) 3 2,97Nur Einbeziehung der GewSt nach UStRG 2008 (nein/ja) 1 0,99Summe 101 100,00

steuerung, in der zur Abstimmung gestellten Aussage paraphrasiert: „Die Gewerbesteuergehört unabhängig von ihrer steuerlichen Abziehbarkeit als Betriebsausgabe nicht zu denKosten, da sie als Ertragsteuer den Gewinn besteuert und somit Gewinnverwendung dar-stellt“.

5.1 Unternehmen

5.1.1 Einfluss des UStRG 2008 auf die Einbeziehung der Gewerbesteuer in dieKostenrechnung

Die Frage nach der Einbeziehung der Gewerbesteuer in die Kostenrechnung vor und nachdem UStRG 2008 wurde von 101 Unternehmen (Rücklaufquote 13,29 %) darunter 8Personengesellschaften, wie folgt beantwortet:

Abbildung 2 zeigt, dass nahezu dreiViertel der teilnehmenden Unternehmen die GewStweder vor noch nach dem UStRG 2008 in die KR einbezogen, während lediglich einViertelsie einbezog. Den Einfluss des UStRG 2008 auf die Einbeziehung der GewSt in die KRstellt Tab. 3 dar:

Es zeigt sich, dass 96,04 % der befragten Unternehmen aufgrund des UStRG 2008keine Änderung der Handhabung der GewSt in der KR vorgenommen haben und dieÄnderungen nur für einen geringen Bruchteil der Unternehmen (2,97 %) entscheidendwaren.

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100 ,0%

80 ,0%

60 ,0%

40 ,0%

20 ,0%

0 ,0%

81,2%

13,9%5,0%

29,7%

68,3%

2,0%

22,8%

76,2%

1,0%

66,3%

32,7%

1,0%

Kosten, solangeBetriebsausgabe

Kosten, daObjektsteuercharakter

Kosten, da Substanz-steuerelemente

Keine Kosten, daGewinnverwendung

Zustimmung Keine Zustimmung k.A.

Abb. 3: Beurteilung des Kostencharakters der Gewerbesteuer durch die Unternehmen

5.1.2 Den Kostencharakter der GewSt bestimmende Gründe

Die Fragen nach Ursachen und Begründungsmustern für den vermeintlichen oder fehlen-den Kostencharakter der GewSt wurden folgendermaßen kommentiert (Abb. 3):

Die Abziehbarkeit als Betriebsausgabe bildet für über 80 % der befragten Unterneh-men keine Begründung für ihren Kostencharakter; auch Objektsteuercharakter und dieSubstanzsteuerelemente haben geringe Bedeutung für die Kosteneigenschaft der GewSt.Andererseits stimmen nahezu zwei Drittel der Unternehmen der Aussage zu, dass dieGewerbesteuer zur Gewinnverwendung zu zählen ist und schließen sich somit modell-theoretisch begründbaren Schlussfolgerungen für ihre Irrelevanz an.

5.1.3 Der Zusammenhang zwischen Kostencharakter der Gewerbesteuer und ihrertatsächlichen Einbeziehung in die Kostenrechnung

Da Meinungen zum Kostencharakter sich nicht zwingend mit der tatsächlichen Handha-bung decken, wurde der Zusammenhang untersucht37. Eine bivariate Kontingenzanalysevon jeder der 4 vorgegebenen Aussagen zur tatsächlichen Einbeziehung der Gewerbe-steuer in die Kostenrechnung ergab folgende Zusammenhangsmaße und Ergebnisse derUntersuchungen auf statistische Signifikanz im Rahmen der χ2-Unabhängigkeitstests.

Tabelle 4 zeigt für alle Aussagen statistisch signifikante positive Zusammenhängezwischen ihrer Beurteilung und der tatsächlichen Einbeziehung der GewSt in die KR,was als Hinweis gewertet werden darf, dass die Handhabung in einer reflektierten Weiseerfolgt.

5.2 Branchenverbände und IHK

Bei der Abfrage der Bestimmungsfaktoren für den Kostencharakter der GewSt ergab sichfolgendes Ergebnis: (Rücklaufquote 21,19 %) (Abb. 4)

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Wird die Relevanz von Ertragsteuern . . . 209

Tab. 4: Kontingenzanalyse der Einbeziehung der Gewerbesteuer in die Kostenrechnung und derBeurteilung ihres Kostencharakters

Variable (Aussage) AnzahlabgegebenerMeinungen

Cramer’schesV

KorrigierterKontigenz-koeffizient

Signifikanz(α = 5 %)

Signifikanz(α = 1 %)

GewSt Kosten, solangeBA

90 0,559 0,690 ja ja

GewSt keine Kosten,da Gewinnverwendung

94 0,672 0,789 ja ja

GewSt Kosten, daObjektsteuer

93 0,770 0,863 ja ja

GewSt Kosten, daSubstanzsteuerlemente

94 0,769 0,862 ja ja

Abb. 4: Beurteilung des Ko-stencharakters der Gewerbe-steuer durch BV/IHK

Kosten, solangeBetriebsausgabe

Kosten, daObjektsteuercharakter

Kosten, da Substanz-steuerelemente

Keine Kosten, daGewinnverwendung

Zustimmung Keine Zustimmung k.A.

60%

28% 28%

44%48%

20%

32%

52%

12%

36%

8%

48%44%

40%

20%

0%

Etwa ein doppelt so hoher Anteil wie bei den Unternehmen macht den Kostencharakterder GewSt von deren Abziehbarkeit als Betriebsausgaben abhängig, und jeweils etwa dieHälfte der Befragten verknüpft den Kostencharakter mit dem Objektsteuercharakter undden Substanzsteuerelementen der GewSt, während nur ein geringer Anteil den Kostencha-rakter wegen der Gewinnabhängigkeit der GewSt verneint.

DerVerzicht auf Meinungsäußerungen in rückgesandten Fragebogen ist deutlich häufi-ger als bei den Unternehmen und wird in Begleitschreiben zumeist damit begründet, dassden Verbandsmitgliedern keine Empfehlungen gegeben werden. Insgesamt kann gefol-gert werden, dass BV/IHK die Begründung des Kostencharakters durch steuerjuristischeMerkmale durchaus plausibel erscheint.

5.3 Vergleichende Analyse der Ergebnisse der Unternehmen und derBranchenverbände/IHK

Aufgrund vorstehender Beobachtungen ist zwischen den beiden Probandengruppen keinKonsens in der Beurteilung von steuerjuristischen und ökonomischen Argumenten zurStützung oder Widerlegung des vermeintlichen Kostencharakters der GewSt zu erwarten.Durch eine bivariate Kontingenzanalyse soll überprüft werden, ob sich bei der Zustimmungoder Ablehnung der vorgegebenen Aussagen zum Kostencharakter der Gewerbesteuer

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Tab. 5: Kontingenztabelle der Beurteilung „Gewerbesteuer Kosten, solange Betriebsausgabe“ undder Kategorie der befragten Institution

Beurteilung „GewSt Kosten, solange Unternehmen BV/IHK SummeBetriebsausgabe“ -Kategorie

Stimme zu 14 (18,33) 7 (2,67) 21Stimme nicht zu 82 (77,67) 7 (11,33) 89Summe 96 14 110

Tab. 6: Kontingenztabelle der Beurteilung „Gewerbesteuer Kosten, da Objektsteuercharakter undBesteuerung des Betriebs als solchem“ und der Kategorie der befragten Institution

Beurteilung „GewSt Kosten, da Unternehmen BV/IHK SummeObjektsteuercharakter“ – Kategorie

Stimme zu 30 (35,84) 12 (6,16) 42Stimme nicht zu 69 (63,16) 5 (10,84) 74Summe 99 17 116

Tab. 7: Kontingenztabelle der Beurteilung „Gewerbesteuer Kosten, da Substanzsteuerelemente“und der Kategorie der befragten Institution

Beurteilung „GewSt Kosten, da Unternehmen BV/IHK SummeSubstanzsteuerelemente“ – Kategorie

Stimme zu 23 (31,03) 13 (4,97) 36Stimme nicht zu 77 (68,97) 3 (11,03) 80Summe 100 16 116

signifikante Zusammenhänge zwischen den Kategorien „Unternehmen“ oder „BV/IHK“ergeben.

Tabelle 5 verdeutlicht, dass die Anzahl der BV/JHK, die die GewSt zu den Kostenzählten, solange sie als Betriebsausgabe abziehbar war, um 162,17 % über dem theoreti-schenWert bei vollkommener Unabhängigkeit derVariablen liegt, während die tatsächlicheAnzahl der Unternehmen die erwartete Anzahl wesentlich unterschreitet.

Tabelle 6 zeigt, dass die Anzahl der BV/IHK, die den besonderen steuerjuristischenObjektsteuercharakter als solchen als Begründung für ihren Kostencharakter akzeptieren,um 94,80 % über der theoretischen Häufigkeit bei Unabhängigkeit der Variablen liegt.

Die Diskrepanz zwischen Unternehmen und BV/IHK zeigt sich auch deutlich beiden Substanzsteuerelementen, deren Bemessungsgrundlage zu den Kosten gehöre. Wie inTab. 7 zu sehen ist, übersteigt die Anzahl der BV/IHK, die dieser Aussage zustimmten,die erwartete Häufigkeit um 161,57 % (Tab. 7).

Der Vernachlässigbarkeit der Gewerbesteuer aufgrund der Zielbesteuerung bzw. feh-lenden Zurechenbarkeit in kurzfristigen Entscheidungskalkülen der Kostenrechnung stimm-ten 76,39 % weniger BV/IHK zu, als es bei einer Unabhängigkeit zu erwarten wäre, wiein Tab. 8 zu sehen ist.

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Tab. 8: Kontingenztabelle der Beurteilung „Gewerbesteuer keine Kosten, da Gewinnverwendung“und der Kategorie der befragten Institution

Beurteilung „GewSt keine Kosten, da Unternehmen BV/IHK SummeGewinnverwendung“ – Kategorie

Stimme zu 67 (60,53) 2 (8,47) 69Stimme nicht zu 33 (39,47) 12 (5,53) 45Summe 100 14 114

Die Kontingenzanalysen aller vier Aussagen zum vermeintlichen Kostencharakter derGewSt lassen folgende Interpretationen zu:

1. Die Auffassung von Unternehmen und BV/IHK unterscheiden sich hinsichtlich derBeurteilung des Kostencharakters der Gewerbesteuer deutlich.

2. Die Begründung der Kosteneigenschaft der GewSt anhand steuerjuristischer Merkmaleist bei BV/IHK wesentlich stärker verankert als bei Unternehmen.

3. Die Vernachlässigbarkeit der GewSt in der Kostenrechnung trifft bei Unternehmenwesentlich häufiger auf Zustimmung als bei BV/IHK.

Die stärkere Betonung des Kostencharakters der GewSt durch BV/IHK und die hierfürvorgebrachten Begründungen werden erklärbar, wenn diese der KR andere Funktionenals die Unternehmen zuschreiben. Sieht man ähnlich wie bei der Argumentationsfunktionder UB die Rechtfertigung von Preissetzungen als Aufgabe der KR an, kann es sinnvollsein, den Kostencharakter der GewSt unabhängig von einer ökonomischen oder rechtli-chen Rechtfertigung zu bejahen, um einen möglichen Anspruch der Unternehmen auf ihreÜberwälzung in der Preiskalkulation oder in Regulierungsvorschriften nicht zu gefährden.Dies würde eine Erklärung dafür liefern, auch nach dem Wegfall wesentlicher steuerjuri-stischer Merkmale der GewSt, die ursprünglich zur Begründung ihres Kostencharaktersdienten, diesen trotzdem nicht in Frage zu stellen, zumal sich nach wie vor zahlreicheLiteraturquellen als Beleg hierfür mobilisieren lassen.

6 Schlussfolgerungen

Teile der Lehrbuchliteratur der KR betonen im Gegensatz zur IR/UB den besonderenKostencharakter der GewSt und begründen dies mit deren besonderen steuerjuristischenMerkmalen. Diese bestimmen nach wie vor die Handhabung der GewSt in zahlreichenRegulierungsvorschriften der KR. Demgegenüber zeigt eine analog zur IR/UB durchge-führte modelltheoretische Analyse, dass Ertragsteuern einschließlich der GewSt in der KRnur selten entscheidungsrelevant sind. Insgesamt erscheint daher ein Verzicht auf Ertrag-steuern und damit auch der GewSt in der KR aus informationsökonomischen Gründenvertretbar.

Der aktuellen empirischen Überprüfung der praktischen Geltung von rechtlichen undökonomischen Kriterien für die Einbeziehung der GewSt in die KR kam zustatten, dassdurch die UntStR 2008 grundlegende rechtliche Merkmale der GewSt verändert wurden.Im Ergebnis zeigt sich, dass die befragten Unternehmen hierauf kaum reagiert haben, da

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sie sich in der KR-Praxis offensichtlich nur wenig von rechtlichen Merkmalen der GewStleiten lassen und sich überwiegend so verhalten, als ob sie mit den modelltheoretischenAr-gumenten bezüglich der fehlenden Entscheidungsrelevanz der GewSt vertraut wären. DasVerhalten stimmt auch mit den von den Unternehmen hierfür angegebenen Begründungenüberein, die auf rechtliche Merkmale der GewSt keinen Bezug nehmen. Hinsichtlich von„policy implications“ könnte hieraus gefolgert werden, dass eine Abschaffung der GewStauf die Preiskalkulation der Unternehmen voraussichtlich ohne Einfluss bleibt, während z.B. bei einer aufkommensneutralen Gegenfinanzierung durch eine Erhöhung der USt ehermit einem Anstieg des Preisniveaus zu rechnen ist.

Demgegenüber sehen BV/IHK den Kostencharakter der GewSt häufiger als gegebenan. Dies ist aus derArgumentationsfunktion der KR heraus verständlich, wenn inVereinba-rungen oder für Regulierungsvorschriften der Nachweis höherer Kosten benötigt wird undwenn die Kalkulierbarkeit der GewSt nicht untergraben werden soll. Für diese Funktionder KR ist es unerheblich, ob die GewSt ihre Klassifikation als Kostensteuer mittlerweileobsolet gewordenen rechtlichen Merkmalen verdankt. Daher erscheint es für die künftigeDiskussion des Kostencharakters der GewSt sinnvoll, zwischen der Entscheidungs- undArgumentationsfunktion der KR deutlicher zu differenzieren; allerdings kann die weitge-hende Irrelevanz von Ertragsteuern für die Entscheidungsfunktion der KR keinen Beitragfür deren Argumentationsfunktion zur Unterstützung deren Aufnahme in Regulierungs-vorschriften liefern.

Anmerkungen

1 Vgl. Ewert und Wagenhofer (2008, S. 64 ff.).

2 Ebd., S. 451 ff.

3 Die Inhaltsanalyse erfasst die Bestände der Bibliothek des Wirtschaftswissenschaftlichen Se-minars der Universität Tübingen am 30.8.2010. Da die Thematik auf Entscheidungsrechnungenbeschränkt wird, wurde Controlling-Literatur aus der Publikationsanalyse ausgeklammert, zu-mal Stichproben zeigen, dass dort steuerliche Probleme nahezu nie angesprochen werden.

4 Z. B. verzichten Ewert und Wagenhofer (2008) gänzlich auf die Erwähnung von Steuern als Ko-steneinflussfaktor. Eine Wiedergabe des bisherigen Erkenntnisstandes findet sich bei Schweitzerund Küpper (2011, S. 117 f.).

5 Vgl. jüngst noch Kilger et al. (2007, S. 326), Hoitsch und Lingnau (2007, S. 137).

6 Vgl. hierzu die Übersicht bei Engels (1962).

7 Vgl. die Grundlagen bei Kruschwitz (2009), Ballwieser (2007), Drukarczyk und Schüler (2009).

8 Vgl. als Überblick über die traditionelle Sichtweise Wöhe (1965, S 7–113); Wöhe widmete demProblem des Kostencharakters der Steuern und ihrem Einfluss auf das Kostenniveau noch einenTextumfang von 107 Seiten und der Einbeziehung von Steuern in die Investitionsrechnung 50Seiten.

9 IDW (2008).

10 Vgl. Schwenk (2003) und die dort angegebene Literatur.

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11 Als letzte empirische Untersuchungen vgl. Wagner und Pasternak (1985), Döring (1984, S. 57ff.). In der empirischen Untersuchung der Kostenrechnungspraxis von Währisch (1998) findenSteuern keine Erwähnung.

12 Siepe (1997).

13 Vgl. Jonas (2008).

14 Modelltheoretische Analysen von Steuerwirkungen in der KR finden sich bei Geese (1972),Döring (1984), Lange (1989), Sommer (1989), Rümmele (1998), Wagner (1999).

15 Vgl. Knirsch und Niemann (2006).

16 Vgl. Zitzelsberger (1990), Schnädter (1996), Hidien et al. (2009).

17 Vgl. Zitzelsberger (1990, S. 146 ff.).

18 Ebd., S. 100.

19 Ebd.

20 Die letzte bekannt gewordene empirische Studie von Wagner und Pasternak (1985, S. 149) wiesnoch 63 Nennungen für den Kostencharakter der GewKSt und 33 für den der GewESt auf.Vereinzelt wird auch in jüngeren Darstellungen z. B. bei Fandel et al. (? , S. 121) die 1998abgeschaffte GewKSt noch als Kostensteuer genannt.

21 Vgl. auch Simon (1983), Döring (1984, S. 37).

22 Vgl. jüngst Kilger et al. (2007, S. 326).

23 Zur sachlichen Entscheidungsfeldabgrenzung vgl. Rümmele (1998, S. 12 ff.).

24 Vgl. aber Grob und Bensberg (2005, S. 86).

25 Vgl. ursprünglich Littmann (1954, S. 538 ff.); aktuell von Känel (2008, S. 183).

26 Vgl. Klinger (1954).

27 Vgl. als Überblick Scheffler (2009, S. 251 ff.).

28 Vgl. Zitzelsberger (1990, S. 107).

29 Wagner (1999, S. 674).

30 Vgl. auch Wagner und Pasternak (1985, S. 195).

31 Erste Analysen hierzu finden sie bei Swoboda (1960) und Engels (1962). Zu detaillierten Ana-lysen vgl. die Literatur aus FN 14.

32 Zu sachlichen Abgrenzungsproblemen vgl. Rümmele (1998, S. 12 ff.).

33 Zur Darstellung von Bemessungsgrundlageneffekten vgl. bereits Wagner (1999).

34 Vgl. Wirtschaftswoche Heft 44 vom 26.10.2009, S. 29.

35 Vgl. als Überblick Streitferdt (2004).

36 Vgl. auch Grob und Bensberg (2005, S. 82).

37 Zur Darstellung von Kontigenztabellen vgl. Fahrmeir et al. (2010, S. 113 f.).

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Are profit taxes judged by legal or economic criteria in accounting

Abstract: Textbooks in the areas of Management Accounting, Finance and Valuation treat taxesvery differently. Finance and Valuation increasingly consider tax effects. Management Accountingconsiders taxes only if they meet certain legal “cost” criteria. These criteria follow tax law rules, butnot economic rules and primarily consider tax effects of the local business tax only. This view isalso reflected in recent cost accounting regulations. We present evidence from a survey of managersand chambers of commerce, according to which practitioners’ views of whether the local businesstax is a cost are heterogeneous. The majority of managers do not consider the local business tax as acost and do not pass it on to customers. The chambers of commerce however still consider the localbusiness tax as a cost.

Keywords: Management accounting · Taxation · Regulation


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