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Visdp 197

Date post: 20-Mar-2016
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Magazin für Medienmacher.
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„Die Leute in Amerika gucken, was auf dem NEW YORKER ist. Wenn man in Deutschland fragt, was vor drei Wochen auf V.i.S.d.P.-Cover war, weiß das kein Mensch mehr.“ # 197 25. März 2011 Illustrator Christoph Niemann im Interview
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„Die Leute in Amerika gucken, was auf dem NEW YORKER ist. Wenn man in Deutschland fragt, was vor drei Wochen auf

V.i.S.d.P.-Cover war, weiß das kein Mensch mehr.“

#19725. März 2011

Illustrator Christoph Niemann im Interview

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KolumneV.i.S.d.P.-Herausgeber Hajo Schumacher über deutsche Kontinuitäten bei der Erosion von Kan-zlermacht

Mögen die politischen Verhältnisse auch noch so turbulent erscheinen – die Erosion der Kanzlermacht verläuft in Deutschland nach einem sehr ver-lässlichen Prinzip: Erst kippen die Län-der, dann kippt die Partei. Helmut Kohl verlor in seiner Amtszeit seine Heimat Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schles-wig-Holstein und die meisten Ost-Bun-desländer an die SPD. Nachfolger Ger-hard Schröder wiederum musste machtlos mit ansehen, wie Hessen, Niedersachsen, Hamburg, Saarland und Schleswig-Holstein an die CDU gingen. Als im Frühjahr 2005 auch noch das SPD-Kernland Nordrhein-Westfalen fiel, blieb Schröder nur die verzweifelte

Flucht in Neuwahlen. Ihren jeweils letzten Wahlkampf führten die beiden Kanzler eher gegen ihre als mit ihrer Partei. Kohl wie Schröder versprachen den Apparaten keine Perspektive, keine Posten, kein Selbstbewusstsein mehr. Es waren nicht nur die Wähler, son-dern auch die eigenen Gefolgsleute, die ihrer Anführer überdrüssig gewor-den waren.

Die derzeitige Regierungschefin erlebt eine ähnliche Erosion. Hamburg und NRW gingen zurück an die SPD, Hessen und Saarland wackeln, Schles-wig-Holstein bleibt unübersichtlich. Der Wahl in Baden-Württemberg an

Schicksalswahlen einer Kanzlerin

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diesem Wochenende kommt mithin zentrale Bedeutung für Berlin zu. Was NRW für die SPD, das ist BaWü für die CDU: Kerngebiet, Macht- und Identi-tätsfaktor. Ein Verlust von Jahrzehnten stabiler Mehrheit träfe die Union an ihrer empfindlichsten Stelle – dem Selbstwertgefühl. Die seit Beginn der Ära Merkel schwelende Debatte um den konservativen Kern der Chefin dürfte erneut aufbrechen.

Wie einst Gerhard Schröder hat auch Angela Merkel versucht, ihre Macht mit einem großen Schritt ins feindliche Lager zu verteidigen. So wie Schröder mit den Hartz-Gesetzen die Partei spaltete und Lafontaine mit der Linkspartei stärkte, so spielt Angela Merkel seit jeher mit der Identität der CDU, zuletzt bei eher rotgrünen The-men wie Atomausstieg und Pazifismus. Das Ergebnis ist ähnlich dürftig wie bei ihrem Vorgänger. Wähler der Gegen-seite trauen dem Kurswechsel nicht, die Traditionsbataillone wiederum wenden sich ab. Im Gegensatz zu Schrö-

der hat die Kanzlerin es auch noch mit zwei Koalitionspartnern zu tun, auf die nur in einem Punkt Verlass ist – bei ihrer Unzuverlässigkeit.

Womit ist im Fall einer Schlappe in Stuttgart zu rechnen? Bestimmt nicht mit Neuwahlen. Durchhalten bis 2013 ist alternativlos. Paradox, aber wahr: Die Kanzlerin gewinnt womög-lich sogar frische Handlungsfreiheit. Erleichtert um das taktische KleinKlein, das ein Superwahljahr erzwingt, ist die Kanzlerin plötzlich wieder zu richtiger Politik gezwungen. Sie muss fraktions-übergreifend werben, überzeugen, Mehrheiten gewinnen, im Bundesrat, im ganzen Land. Das ist mühsam, ande-rerseits aber das Kerngeschäft der Poli-tik. Und: Wer nichts mehr zu verlieren hat, kann mal wieder Überzeugungs-politik machen. Einziges Problem: Die CDU-Chefin muss ihre Partei bei Laune halten. Denn die größte Gefahr droht nicht von der Opposition, sondern aus dem eigenen Laden. Das war schon bei Schröder und Kohl so.

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update„Fehlt nur noch, dass bei Face-book Deine Leberwerte steh‘n.“ Udo Jürgens bleibt auch mit 75 kritisch. Von Google, Twitter und dem ganzen Kram hält er im Song “Du bist durchschaut” von der neuen CD “Der ganz normale Wahnsinn” jedenfalls nichts.

Fotos: WA

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FREITAG: Das Kartellamt verbietet wie erwartet eine gemeinsame Online-Fernseh-Plattform der Privatsender, weil ein “wettbewerbsloses

Duopol im TV-Markt” entstehe.

MONTAG: Das Arbeits-gericht Berlin verhandelt einen spektakulären Fall: Verena Wiedemann,

Generalsekretärin der ARD, klagt gegen ihren Arbeit-

geber wegen Mobbings. Wie-demanns Anwalt berichtet von massiver „Aus-grenzung, Diskriminierung und Missachtung“, die zu psychischer Erkrankung geführt habe.

DIENSTAG: Karl-Theodor zu Gut-tenberg spricht per Facebook-Video aus einem kahlen Wald zu seinen zahlreichen Unterstützern: “Wir werden voneinander hören, ich werde mich melden.”

DONNERSTAG: Die aktuelle Ausgabe der BRAVO erscheint mit einem Anti-Atomkraft-Poster.

Das Tagebuch

Millionen Euro beträgt der Schaden, den ein Mitarbeiter des KINDERKANALs durch Betrug verursacht hat. Nettes Sümmchen.

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update 7

SooKieweil das grandioses US-Süd-staaten-Vampir-Werwolf-Kel-lnerin-Techtelmechtel “True Blood”, in dem Anna Paquin die Hauptrolle spielt, endlich auch im richtigen Fernsehen kommt, nicht mehr nur auf DVD. Danke RTL 2. Sowas wünschen wir uns jetzt noch in der Schwarzwald-Version.

Knutweil der Berliner Bär nicht nur überraschend verstor-ben ist, sondern jetzt auch noch Streit auslöst, wie er ausgestopft werden soll: Winke-Tatze, gymnastische Beinstreckungen oder relaxte Rückenlage? Eine letzte Knut-Debatte spaltet die Nation.

Gewinner

Foto

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Lieber Hans Rosenthal, die ARD plant

doch tatsächlich, “Dalli Dalli” wieder-

zubeleben – mit Kai Pflaume in Ihrer

Moderatoren-Rolle. Ist das spitze? Hm.

Wir könnten uns eher Mesut Özil gut

vorstellen. Der sieht genauso aus wie Sie.

Sportlich in die Luft springen könnte er

auch. Nur die Sache mit dem Reden...

Verlierer

Liebling der Woche

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“Wie die Atom-Lobby Yogeshwar hofiert”, lautet die Überschrift dieses MEE-DIA-Artikels. Marvin Oppong berichtet darin, der WDR-Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, Atomunfall-Erklärer und Titelheld der vergangenen V.i.S.d.P.-Ausgabe, pflege “seit Jahren enge Beziehungen zur Kraftwerksbranche”. Er sei Gastredner bei einer Eon-Veranstaltung gewesen; er habe eine Preisverleihung moderiert, zu deren Sponsoren Enbw gehört habe; er sei bei einer Thyssenkrupp-Veranstaltung aufgetreten; er werde demnächst für den Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie den Siemens-Chef interviewen, und er habe rund drei Jahre lang Experimente an einem For-schungsreaktor des Forschungszentrums Jülich durchgeführt. Oppongs Schlussfolge-rung: “Die Äußerungen des Wissenschafts-erklärers in der ARD könnten für den einen oder anderen Zweifel an der Ausgewogen-heit seiner Einschätzungen wecken.”

Diese Zweifel an Yogeshwars Unab-hängigkeit teilen wir nicht, es fehlen in Oppongs Text auch überzeugende Belege für diese These. Aber die Nebenjobs des Mode-rators sind trotzdem ein Beispiel dafür, mit welchen fundamentalen Fragen sich Journa-lismus auseinandersetzen muss.

Das Geschäftsmodell Journalismus verändert sich. Viele Journalisten beziehen ihr Einkommen heute und in Zukunft nicht

mehr ausschließlich von Verlagen und Sen-dern. Das liegt an der Krise der klassischen Medien, die immer weniger Journalisten immer schlechter zahlen. Wirtschaftsunter-nehmen werden zu Medienmachern – sie geben eigene Zeitschriften heraus, gründen Fernsehsender oder betreiben Nachrichten-portale. Und es entstehen neue Medien, die sich anders finanzieren. Journalisten werden zu Mini-Verlegern – von Blogs, Clips, Online-Magazinen wie diesem hier. Das bedeutet auch, dass sie selbst Werbung im Umfeld ihrer journalistischen Arbeit verkaufen. Die klassische Trennung von Anzeigen und Redaktion gibt es dann nicht mehr – schon, weil es sich oft um ein und dieselbe Person handelt.

Daraus entstehen Probleme der Glaub-würdigkeit und Unabhängigkeit von Jour-nalismus. Wie unabhängig ist ein Journalist, der für seine Arbeit von einem Unterneh-men bezahlt wird – das naturgemäß eigene Interessen verfolgt? Entweder man stellt sich auf den Standpunkt: Journalisten schreiben nur für Medien, die von seriösen Verlagen herausgegeben werden; ihre Beiträge bieten sie nur klassischen Sendern an; sie verkaufen Anzeigen grundsätzlich nicht selbst. Oder man akzeptiert, dass es aufgrund des Medi-enwandels unvermeidlich ist, dass Journa-listen auch Einkommen aus anderen Quel-len beziehen, als das bisher der Fall war.

Zeit für Offenheit

Ranga Yogeshwars Nebenjobs und die Zukunft des Journalismus

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Dann muss man aber eine Lösung finden für das Unabhängigkeits- und Glaubwürdig-keitsproblem.

Die einzig denkbare Lösung lautet: Transparenz. Wer PR macht, wer für das ADAC-Magazin schreibt oder auf Firmen-Podien Interviews führt, der muss seine Leser und Zuschauer darüber informieren, damit sie selbst beurteilen können, ob sie weiterhin Vertrauen in seine journalistische Arbeit haben.

Ranga Yogeshwar verdient genug, um auf Gelder der Atomwirtschaft verzichten zu können. Aber diese Entscheidung sollte man ihm wie jedem anderen Freibe-rufler selbst überlassen. Er hat sich stets kritisch über Atom-kraft geäußert. Wenn er den Sie-mens-Chef zu diesem Thema befragt, ändert das nichts an der Glaubwürdigkeit dieser Hal-tung, selbst wenn er dafür vom Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie bezahlt wird – unter einer Bedingung: Finanzielle Bezie-hungen zwischen Wirtschaft und Journalisten dürfen grund-sätzlich kein Geheimnis sein.

Yogeshwars Nebenjobs waren kein Geheimnis, die Ver-anstaltungen öffentlich zugäng-lich. Trotzdem waren sie nicht allgemein bekannt. Es wäre eine gute Idee, für solche Infor-mationen eine zentrale Stelle zu schaffen, die freiwillige Aus-künfte über die Einkünfte von Journalisten sammelt. Solche Offenheit ist viel verlangt. Jour-nalisten müssten dann mehr über sich preisgeben als die

meisten anderen in der Gesellschaft – Politi-ker vielleicht ausgenommen. Aber es wäre ein Weg, unter neuen Bedingungen das Ansehen des Journalismus zu sichern.

Im Kern geht es darum: Wer mit Infor-mationen arbeitet, muss selbst zu besonderer Transparenz bereit sein, um glaubwürdig unabhängig zu bleiben. Sind wir das?

Reaktionen auf diesem Kommentar finden Sie ab Seite 30. Diskutieren Sie selbst mit: www.visdp.de

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Herr Mertin, aus Japan erreichen uns der-zeit die Informationen zum Unfall in Fuku-shima nur scheibchenweise: Erleben Sie ein Déjà-vu?

Gewisse Parallelen sind erkenn-bar. Man gibt nur so viel zu, wie schon allge-mein bekannt ist. Man darf es aber nicht zu sehr vergleichen. In Japan geht es wohl eher darum, eine Panik zu verhindern, die mögli-cherweise genauso verheerend sein kann wie das Erdbeben. Japan ist viel dichter besiedelt. Die Russen dagegen wollten sich im Kampf der Systeme keine Blöße geben. Das Wort „Havarie“ in der offiziellen Meldung zu Tscher-nobyl war ja schon der blanke Euphemismus.

Dieses Eingeständnis eines Unfalls haben Sie als erster ausländischer Journalist über-haupt vermeldet. Wie kam es dazu?

Zwei Tage nach dem Störfall hatten die Schweden als Erste erhöhte Mess-werte gemeldet. Alle Welt wartete auf Infor-

mationen. Moskau schwieg am dritten Tag immer noch. Ich hatte guten Kontakt zum Chefredakteur der WREMJA, der sowjetischen Nachrichtensendung. Der erwartete am sel-ben Tag noch einen Fahrer mit einer A4-Seite aus dem Kreml. Ich bin dann sofort hinge-fahren und setzte mich beim Chefredakteur still in die Ecke. Tatsächlich kam der Fahrer dann. Ich bekam den Zettel als Kopie, aber mit der Maßgabe, nicht vor der Verlautba-rung in den sowjetischen Nachrichten zu berichten. Ich rannte also zurück in unser Studio. Die WREMJA-Nachrichten begannen um 19 Uhr Berliner Zeit. Wie üblich kam das Wichtigste zum Schluss. Um 19 Uhr 25 zeich-nete ich auf, um 19 Uhr 30 begann die „Aktu-elle Kamera“. Ich war also kaum fertig, als es auch schon auf Sendung ging. Man hat mir angemerkt, dass ich ein wenig nervös war. Schließlich wurde erstmals von Toten und Evakuierungen gesprochen.

“Wir hattennicht den Auf-trag, zu rech-

erchieren”Aus den Unglücksreaktoren in Fukushima gibt es noch

immer keine verlässlichen Nachrichten. Dem Filmemacher Wolfgang Mertin, 1986 Korrespondent des DDR-Fernsehens

in Moskau, kommt das bekannt vor

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update 11

Erst zwei Wochen später äußerte sich auch Gorbatschow im Fernsehen. Das DDR-Fernsehen zeigte keine Bilder, sondern nur einen Kommentar eines Redakteurs.

Es gab politische Differenzen zwischen der Perestroika in Moskau und dem Politbüro der SED in Berlin. Wenn es nicht unumgänglich war, wurde Gorbatschow nicht gezeigt. In diesen Zeiten wurde jede Information aus Moskau noch mal geprüft und umformuliert. Eine Korrespondenten-tätigkeit in Moskau ohne Abstimmung des Textes war nicht denkbar. Dass ich über die erste Meldung quasi live berichtete, war die eigentliche Sensation. Es blieb auch eine Ausnahme.

Konnten Sie selbst recherchieren? Wir hatten nicht den Auftrag

zu recherchieren. Es wäre auch nie gesendet worden. Wir sollten nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Das DDR-Fernsehen hatte bereits zwei Professoren präsentiert, die alles herunterspielten.

Trotzdem weigerten sich die DDR-Bürger, das plötzlich üppige Angebot an Gemüse zu kaufen, weil der Westen den für den Export bestimmten Kohl nicht mehr abnahm.

Die meisten DDR-Bürger waren natürlich über das Westfernsehen informiert. Die Leute haben die Pilze auch nicht mehr gegessen, obwohl von offizieller Seite beschwichtigt wurde. Auf Westmedien hat-ten wir in Moskau keinen Zugriff, und der Austausch mit den Westkollegen wurde von beiden Seiten nicht gesucht. Über Freunde und Bekannte zuhause waren wir dennoch im Bilde. Aber wir hatten nur die Aufgabe, das zu vermelden, was Moskau vermeldete.

Und wie reagierten die Menschen in Mos-kau?

Auch für die Russen war Tscher-nobyl weit weg. Sie haben weiter ihre Pfif-ferlinge gekauft. So wie wir auch. Ich war erstaunt darüber, was alles in Deutschland gedacht und getan wurde, als ich es erfuhr. Um mögliche Spätfolgen machte sich in Mos-kau niemand einen Kopf.

interview: till Schröder

Wolfgang Mertin 1986 und 2010

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leuteFotos: Prom

o, dapd, VIVA

, Radio Eins, ND

RFoto

: Pro

mo

Josef-Otto Freudenreich, Ex-Chefreporter der STUTTGARTER ZEITUNG, gründet eine Online-Zeitung für Baden-Württem-berg. KONTEXT erscheint dann gleichzei-tig als Beilage der TAZ.

Ulrich Kühne-Hellmessen ist neuer Koor-dinator des neuen DAPD-Sportdienstes, der im August mit 50 Mitarbeitern startet.

Gülcan Kamps und VIVA trennen sich. Die Dauerquasslerin war acht Jahre auf

Sendung, nun wird ihr Vertrag nicht ver-längert.

Robert Skuppin wird dem TAGESSPIE-GEL zu Folge neuer Chefredakteur des RBB-Senders RADIO EINS. Vorgänger Flo-rian Barckhausen geht in Ruhestand.

Joachim Böskens ist neuer Gesamt-Chef-redakteur des NDR-Landestudios Mecklen-burg-Vorpommern, gleichzeitig zuständig für Hörfunk, Fernsehen und Online.

DIE WEcHSEl DER WOcHE

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Fotos: Promo, dapd, V

IVA, Radio Eins, N

DRFo

to: P

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leute 13

ZurücK Zu lücK SAT.1 mottet die 90er-Jahre-Sendung „Wochen-

schow“ aus. Ingolf Lück ist wieder dabei. Ab und

an werden Anke Engelke und Bastian Pastewka

vorbeischauen, ansonsten machen Nachwuchs-

Scherzkekse mit. Na dann (seufz): Danke, Anke.

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christoph Niemann ist einer der bekanntesten und

erfolgreichsten deutschen Illustratoren. Nach zwölf

Jahren in New York lebt er seit 2008 in Berlin und ar-

beitet weiter für große amerikanischer Blätter wie die

NEW YORK TIMES, ATlANTIc MONTHlY oder den

NEW YORKER, dem er in der vergangenen Woche ein

beeindruckendes und viel diskutiertes cover über

Fukushima gestaltete.

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Worte 15

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Herr Niemann, wie sind Sie an den Auftrag herangegangen, ein NEW YOKER-Cover über die Katastrophe in Japan zu gestalten?

Am vergangenen Mon-tag habe ich von der Art Direktorin eine Mail mit der Bitte um Ideen bekom-men. Eigentlich war es die Aufgabe, etwas zum Erdbeben und zum Tsu-nami zu entwickeln. Aber für mich war das nicht illustrierbar. Die Fotos waren so beeindruckend – im negati-ven, deprimierenden Sinn –, dass keine Zeichnung dagegen ankommen konnte. Außerdem: NEW YORKER-Cover haben immer einen Standpunkt. Zu einem Erdbeben kann man aber schlecht einen Standpunkt haben. In der Nacht von Montag zu Dienstag eskalierte die Atomkraft-Situation. Nun war es eine wirkliche Geschichte, weil es um menschliches Handeln und mensch-liche Entscheidungen ging.

Was war Ihre ursprüngliche Idee?Ich wollte eigentlich

ein Atomkraftwerk in einem Hain von Pflaumenblüten zeigen. Aber die Atom-kraftwerke in Fukushima haben keine wiedererkennbare Form. Dann kam ich auf die Idee, die Kirschblüten als Nuklear-Symbol zu machen. Ich wollte ein sehr leises Bild machen, weil es ein beängstigend leises Desaster ist. Die radioaktive Verseuchung riecht man nicht, man spürt nichts, es hat etwas Schleichendes. Ich wollte auch etwas spezifisch Japanisches zeigen, das zerstört wird. Etwas, das auf den ersten Blick schön und ästhetisch ist und auf den zweiten Blick zeigt, um was es tatsächlich geht. Dienstag Nacht habe ich dann den Auftrag bekommen und musste bis Donnertag morgens liefern. Das war eine 36-Stunden-Geschichte.

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NEW YORKER,28. März 2011

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Das Cover ist poetisch und empha-tisch und unterscheidet sich dadurch von den vielen Bildern, die die Medien bisher gefunden haben. Wollten Sie sich absetzen?

Das versuche ich immer. Aber journalistisch urteilend wusste ich schon nach dem Erdbeben, dass zum Beispiel die Hokusai-Welle ein nicht mehr brauchbares Klischee sein würde. Genauso die japanische Flagge, die eigentlich ein fantastisches grafisches Symbol ist.

...und inzwischen auf vielen Titel-seiten und überall im Internet ver-wendet wurde.

Ich will und kann das nicht machen, weil es zu durchgekaut und für den Leser dadurch nicht ver-blüffend ist. Der NEW YORKER kam natürlich auch erst zehn Tage nach der Katastrophe heraus. Nach all dem

noch einmal einen Meta-Scherz zu machen, das wollte ich auch nicht.

Sie wohnen in Berlin und sind also dem deutschen Medien-Alltag aus-gesetzt. Hat sich das niedergeschla-gen?

Das versuche ich aus-zublenden. Ich verfolge das amerika-nische Geschehen immer noch sehr eng. Ich weiß, dass die Diskussionen, die hier um den Atomausstieg geführt werden, in Amerika kaum relevant sind. Gerade für diese Art von visuel-lem Kommentar wäre es aber auch zu früh gewesen, eine politische Geschichte daraus zu machen.

Was in Deutschland innerhalb von Minuten der Fall war.

Wenn das bei Twitter, Facebook und SPIEGEL ONLINE dis-kutiert wird, dann ist das halt so. Aber Fo

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2004

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dann ist immer noch die Frage, ob ein Magazin so titeln will. Und beim NEW YORKER bezieht sich das Cover nie auf einen Artikel. Das Cover steht als eigenständiges Statement.

Ihr Bild ist wie ein Artikel selbst. Die Illustration ist eine journalisti-sche Herausforderung.

Ja, das ist eine tolle Auf-gabe, aber andererseits auch schwie-rig.

Die Amerikaner lieben Sie. Warum sind Sie aus New York nach Berlin gezogen?

Nach zwölf Jahren woll-ten wir noch mal etwas Neues zu pro-bieren. In meinem Alter und dem meiner Frau und meiner Kinder hat-ten wir das Gefühl, dass es noch ein-mal ein Schritt nach vorne sein würde statt ein Rückzug. Außerdem hatte

ich die Hoffnung, meine Arbeit ein-fach so weitermachen zu können, unabhängig von meinem Wohnort. Und das klappt im Moment ganz gut.

Ihre Illustrationen haben eine ame-rikanische Ausstrahlung, finde ich. Was ist deutsch an Ihrer Arbeit?

Ich finde eher, dass ame-rikanische Grafik deutsch ist, als dass meine Grafik amerikanisch wäre. Spe-ziell die NEW YORKER Art der edito-rial illustration, eine prägnante Idee grafisch reduziert zu machen, hat für mich design-geschichtlich deutsche Wurzeln, beim SIMPLICISSIMUS zum Beispiel. Ich höre oft: Eigenartig, ein Deutscher, der lustig ist! Was meiner Meinung nach daran liegt, dass die Amerikaner kein Deutsch sprechen. Ich sehe grundsätzlich keinen sehr großen Unterscheid – außer, dass es gerade bei den New Yorker Zeitschrif-

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ten größeres Vertrauen für das Bild gibt. Die Deutschen neigen dazu, die Bildidee in der Headline nochmal zu wiederholen. Wenn ich einen Men-schen zeichne, der mit einer Akten-tasche die Treppe hinauf geht, dann steht in der Zeile: „Es geht aufwärts.“ Na, dann muss ich auch keinen Men-schen zeichnen, der eine Treppe hoch-geht!

Wer setzt in Deutschland Illustra-tionen gut ein?

Es gibt tolle Zeitschrif-ten hier, Das SZ-MAGAZIN zum Bei-spiel, BRAND EINS, die FAS – die aller-dings leider zu viele Agentur-Fotos und Illustrationen verwendet. Illust-ration ist hier kein so großes Thema, vielleicht weil es die Leser nicht unbe-dingt wollen. In Amerika ist das gewachsen. Die Leute gucken, was auf dem NEW YORKER ist. Wenn man

hier fragt, was vor drei Wochen auf dem SPIEGEL war, weiß das kein Mensch mehr.

Weil sich niemand traut, Titelseiten wie die des NEW YORKER zu machen.

Der Art Direktor hat nie das letzte Wort, das ist in Amerika natürlich auch so. Entscheidungsträ-ger bei einem Magazin ist immer der Schreibende. In Deutschland gibt es sehr wenige Chefredakteure, die auf Visuelles vertrauen.

interview: Sebastian esser

“I LEGO New York” – eine Stadt in Legostein-Skulpturen

“Der kleine Drache”: Freundschaft und chine-sische Schriftzeichen

“So funktioniert das”: Ein Sachbuch für Kinder

Diese Auswahl an Büchern von Christoph Niemanns wird präsentiert von: Velbrück.

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Jeden Monat in V.i.S.d.P.

die beSten

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cover im

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Lippen – ein klassisches Cover-Thema....

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Foto: FHagena

...das inzwischen offenbar Über-treibung braucht, um zu wirken

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NEW-YORKER-Cover könnten wir immer nominieren....

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Foto: FHagena

...die von BLOMMBERG BUSI-NESSWEEK inzwischen auch.

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Worum geht es hier?

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Foto: FHagena

Das italienische PIG Magazin.

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Mode kann man so behandeln...

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...oder so. Mit Dank an Coverjunkie.com, spd.org und viele andere Coversammelseiten

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Yogeshwar I

Ranga Yogeshwar war es auch, der bei Anne Will in Beisein des japanischen Botschafters Japan unterstellte, jetzt würden die Japaner merken, über Jahr-zehnte die falsche Energiepolitik betrie-ben zu haben. Diese unsägliche Arro-ganz, zu meinen, ein Urteil darüber abgeben zu können, und das quasi in der Stunde des Unglücks, zeigt, dass er sich wieder dem widmen sollte, was er am besten kann – nämlich den Zuschau-ern mit Textmarkern und Cocktailglä-sern sein vorher bei Wikipedia angele-senes Wissen auf banalste Weise zu erklären. Gast per Kommentar

Einem Diplompyhsiker zu unterstellen, der benötige Wikipedia, um die Küh-lung eines Kraftwerks zu erklären, ist aber auch ordentlich arrogant.Glühwürmchen per Kommentar

Die ganze Dummheit und Arroganz dieses Artikels veranschaulicht dieser Satz ganz gut: „Er versuchte der Panik vieler Menschen entgegenzuwirken, die sich in teils skurrilen Zuschaueran-fragen äußerte.“3456 per Kommentar

Das von Ihnen angeführte Stimmungs-management oder Mood Management, bedeutet allerdings nicht, „dass sie genau die Sendungen auswählen, die ihren emotionalen Zustand widerspiegeln“,

sondern im Gegenteil, die Menschen immer versucht sind, positive Stim-mungen herzustellen, und je nach aktu-ellem Gefühlszustand besonders posi-tive oder hochgradig absorbierende Inhalte konsumieren.ttt. per Kommentar

Yogeshwar II

Schon häufig hat man die Öffentlich-Rechtlichen darum gebeten, die Neben-tätigkeiten ihrer Spitzenleute konsequent zu dokumentieren. Das ist bislang nicht geschehen. Das wäre aber der Job von ARD/ZDF. Schließlich zahlen die Kun-den mit den Gebühren für angebliche Unabhängigkeit der öffentlich-rechtli-chen Journaille.peterpan2010 per Kommentar

Es erinnert mich ein wenig an Fans, die sich wundern, dass Musiker für das, was ihnen Spaß macht und ihr Job ist, auch noch ‘ne Menge Kohle bekommen. Mein launiges Argument, damit solche Fans mal aufwachen: „Der Musiker lebt nicht von der Musik, sondern von dem Geld, dass er dafür bekommt.“Klaus per Kommentar

Journalisten sollten im Idealfall nicht nur ihre Geschäftsbeziehungen offen-legen, sondern auch, wo und wie sie ihr Geld anlegen. Hält Yogeshwar Aktien von Energieunternehmen oder inves-tiert er in Solarfonds? Steckt er sein Geld in den Strumpf oder in Staatsan-

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leihen? Das offenzulegen schmerzt wahrscheinlich viele, aber es gehört zur Transparenzpflicht der Journalis-ten.Bastian Brinkmann per Kommentar

Klar, und dann noch 24 stündliche Überwachung! Geht‘s noch? Irgendwo ist ja mal genug. Dass man öffentlich erfährt, woher ein Journalist wieviel bekommt, seh ich ja noch ein. Aber ihm auch noch bei der Anlage seines PRI-VATEN Vermögens über die Schulter schauen zu wollen, hat nichts mehr mit öffentlicher Kontrolle, sondern mit Verletzung von Persönlichkeitsrechten zu tun. CaulDron per Kommentar

Ich finde es ja richtig, dass Politiker ihre Nebeneinkünfte angeben müssen. Poli-tiker machen Meinungen direkt. Aber bei jedem Journalisten steht ja vor der Meinungsmache noch ein Sender oder eine Zeitung... und manches geht uns einfach nichts an.GaST per Kommentar

Die Reformen unter Rot-Grün werden in ihrer Wirkung leider verkannt – auch von den Journalisten. Die leiden unter dem Wandel in der sozialen Absiche-rung, der Rentensicherheit und auch der Gesundheitsvorsorge massiv. Die Unab-hängigkeit von Angestellten oder Selb-ständigen ist eben vom sozialen Netz abhängig, das eine Gesellschaft bietet.

Droht beständig der freie Fall, lässt das Ergebnis in der Qualität der Berichter-stattung nicht lange auf sich warten. Frankophon per Kommentar

Journalisten sollen also ihre Einkünfte offenlegen. Warum nur Journalisten? Warum nicht auch Experten jedweder Art? Eine Aktion ganz im Geist der Jako-biner. Warum aber machen diejenigen, die so etwas fordern, nicht einfach mal den Anfang? Ich bin gespannt auf die Offenlegung der Einkünfte von Sebas-tian Esser. Ob sein Geldgeber Schuma-cher wohl mitmacht? t.heyen per Kommentar

Wie die KollegInnen von V.i.S.d.P. ja hoffentlich noch wissen, gibt es im Bereich des deutschen (kommerziellen wie öffentlich- rechtlichen) Radios die Transparenz schon lange, als Zusam-menschluss unter der Aktion Fair Radio, www.fair-radio.net.schangel per Kommentar

Sagen Sie uns Ihre Meinung per Mail ([email protected]), Facebook-Kommen-tar, Tweet oder kommentieren sie direkt auf unserer Seite.

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V.i.S.d.P. – Magazin für MedienmacherChefredakteur: Sebastian EsserHerausgeber: Dr. Hajo SchumacherDesign: Markus Nowak, Supermarkt StudioRedaktion: Till Schröder, Wendelin Hübner, Susan Mücke, Frank Joung, Patrick WeisbrodLektorat: Carla MönigAdresse: Lietzenburger Straße 51, 10789 BerlinTelefon: 030 2196 27287E-Mail: [email protected]: http://www.facebook.com/visdpTwitter: http://www.twitter.com/visdp

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TitelgeschichteIllustrator Christoph Niemann im Interview

Schumacherüber Schicksalswahlen deutscher Kanzler

UpdateLiebling der Woche: Hans RosenthalDas Tagebuch

Zitat der Woche: Udo JürgensZahl der Woche: KIKAGewinner/Verlierer: Sookie/Knut

Interview Wolfgang Mertin: „Wir hatten nicht den Auftrag zu recherchieren“

LeuteIngolf Lück, Josef-Otto Freudenreich, Ulrich Kühne-Hellmessen, Gülcan Kamps, Robert Skuppin, Florian Barck-hausen, Joachim Böskens

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