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Versorgungsausgaben für Beamte – Hypothek für … · Rückstellungen für Versorgungszusagen zu...

Date post: 17-Sep-2018
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Klartext 3|12 8 Versorgungsausgaben für Beamte – Hypothek für kommende Generationen Grundgesetzlich geschützte Versorgungszusagen in Bayern in Höhe von 220 Milliarden Euro Der Bund der Steuerzahler in Bayern sieht in den stetig anwachsenden Versorgungs- ausgaben für Beamte in Bayern eine schwere Hypothek für kommende Gene- rationen. Die demografische Entwicklung zwinge zu Einschnitten in den Versor- gungssystemen, um deren Finanzierung nachhaltig zu sichern. Niemand verlange ein Sonderopfer von den Beamten, aber es dürfe auch keine Privilegien geben. Es müsse sichergestellt werden, dass sich Be- amtenversorgung und Rentenversiche- rung im Gleichklang entwickeln. Der Bund der Steuerzahler in Bayern habe deshalb Professor Dr. Bernd Raffelhüschen und sein „Forschungszentrum Generationen- verträge“ an der Albert-Ludwigs-Univer- sität Freiburg, beauftragt, die Lage der Be- amtenversorgung im Freistaat Bayern und mögliche Reformen wissenschaftlich unter die Lupe zu nehmen, so Präsident Rolf von Hohenhau im Vorwort der jetzt in einer sehr gut besuchten Pressekonfe- renz vorgestellten Studie:„Ausgabenpro- jektion und Reformszenarien der Beam- tenversorgung in Deutschland unter be- sonderer Berücksichtigung des Freistaates Bayern“. Das große Medienecho und vie- le unterschiedliche Reaktionen zeigten, dass der Bund der Steuerzahler wieder einmal in ein Wespennest gestochen hat- te. Mit der Vergabe des Gutachtens habe der Bund der Steuerzahler, so Präsident von Hohenhau, eine seiner vornehmsten satzungsgemäßen Aufgaben erfüllt, nämlich die Politik und Verwaltung in Bayern nicht nur zu kontrollieren oder zu kritisieren, sondern auch durch wissen- schaftlich fundierte Erkenntnisse, wie sie im aktuellen Gutachten zum Ausdruck kommen, zu beraten. Das Interview mit Professor Dr. Bernd Raffelhüschen dient nach Missverständnissen, ausgelöst auch durch Medienkommentare, mit Zahlen und Fakten der Wahrheit und Klarheit und damit der Versachlichung der Diskussion. Die Fragen an den Wissenschaftler stellte Chefredakteur Rudolf G. Maier:
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Versorgungsausgaben für Beamte –Hypothek für kommende GenerationenGrundgesetzlich geschützte Versorgungszusagen inBayern in Höhe von 220 Milliarden EuroDer Bund der Steuerzahler in Bayern siehtin den stetig anwachsenden Versorgungs-ausgaben für Beamte in Bayern eineschwere Hypothek für kommende Gene-rationen. Die demografische Entwicklungzwinge zu Einschnitten in den Versor-gungssystemen, um deren Finanzierungnachhaltig zu sichern. Niemand verlangeein Sonderopfer von den Beamten, aber esdürfe auch keine Privilegien geben. Esmüsse sichergestellt werden, dass sich Be-amtenversorgung und Rentenversiche-rung im Gleichklang entwickeln. Der Bundder Steuerzahler in Bayern habe deshalbProfessor Dr. Bernd Raffelhüschen undsein „Forschungszentrum Generationen-

verträge“ an der Albert-Ludwigs-Univer-sität Freiburg, beauftragt, die Lage der Be-amtenversorgung im Freistaat Bayernund mögliche Reformen wissenschaftlichunter die Lupe zu nehmen, so PräsidentRolf von Hohenhau im Vorwort der jetztin einer sehr gut besuchten Pressekonfe-renz vorgestellten Studie: „Ausgabenpro-jektion und Reformszenarien der Beam-tenversorgung in Deutschland unter be-sonderer Berücksichtigung des FreistaatesBayern“. Das große Medienecho und vie-le unterschiedliche Reaktionen zeigten,dass der Bund der Steuerzahler wiedereinmal in ein Wespennest gestochen hat-te. Mit der Vergabe des Gutachtens habe

der Bund der Steuerzahler, so Präsidentvon Hohenhau, eine seiner vornehmstensatzungsgemäßen Aufgaben erfüllt,nämlich die Politik und Verwaltung inBayern nicht nur zu kontrollieren oder zukritisieren, sondern auch durch wissen-schaftlich fundierte Erkenntnisse, wie sieim aktuellen Gutachten zum Ausdruckkommen, zu beraten. Das Interview mitProfessor Dr. Bernd Raffelhüschen dientnach Missverständnissen, ausgelöst auchdurch Medienkommentare, mit Zahlenund Fakten der Wahrheit und Klarheit unddamit der Versachlichung der Diskussion.Die Fragen an den Wissenschaftler stellteChefredakteur Rudolf G. Maier: !

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haushalteSchatten

203,3 Mio. Euro. In den Versorgungsfondswerden derzeit für alle Beamten, derenDienstverhältnis nach dem 31. Dezember2007 begründet wurde, monatlich 526Euro zugeführt. Tatsächlich müsste man,um langfristig eine nachhaltige Finanzie-rung der Beamtenversorgung zu errei-chen, für jeden Beamten monatlich ca. 35Prozent seiner Besoldung in die Rücklagenzuweisen. Die angeführten schwebendenPensionsverpflichtungen entsprechen 51Prozent des im Jahr 2009 in Bayern er-wirtschafteten Bruttoinlandsproduktes(BIP). Diese versteckten, sogenannten im-pliziten Schulden übersteigen damit dietatsächlich sichtbare Verschuldung desFreistaates von 6,4 Prozent des BIP um dasAchtfache.

Klartext: Der Bund der Steuerzahlersieht in den anwachsenden Versorgungs-ausgaben für Beamte eine schwere Hy-pothek für kommende Generationen.Wurde diese Befürchtung durch Ihre Stu-die bestätigt?

Prof. Dr. Raffelhüschen: Auf alle Fälle. Be-reits in der Vergangenheit haben sich dieVersorgungsausgaben Bayerns für dieLandesbeamten stark erhöht. Zwischen1994 und 2009 wuchsen sie von 1,8 Mrd.Euro auf 4 Mrd. Euro. Dies entspricht etwa10 Prozent der bereinigten Gesamtausga-ben des Landeshaushaltes. Unsere Be-rechnung geht davon aus, dass die jährli-chen Versorgungsausgaben, also die Sum-me aus Ruhegehältern, Beihilfen und Hin-terbliebenenversorgung, bereits im Jahr2015 5,6 Mrd. Euro betragen werden. ImJahr 2020 wären es dann bereits 7,3 Mrd.Euro, zehn Jahre später 10,7 Mrd. Euro. ImJahr 2040 bzw. 2050 würde sich dieserAusgabenposten auf 14 bzw. 14,6 Mrd.Euro belaufen. Dabei muss man berück-sichtigen, dass wir bei unseren Berech-nungen nur vom heutigen Bestand anLandesbeamten ausgegangen sind unddamit vollständig von Neueinstellungenabstrahiert haben. Grund für den rasantenAusgabenanstieg ist die Altersstrukturder Landesbeamten. Die Einstellungswel-le der 70er und frühen 80er Jahre wird in-nerhalb der nächsten 15 Jahre vollständigin den Ruhestand eingetreten sein. Ne-ben den Pensionen und der Hinterbliebe-nenversorgung werden besonders die

Klartext: Herr Professor Dr. Raffelhüs-chen, Sie haben zusammen mit ihren Mit-arbeitern Christian Hagist und TobiasBenz unter anderem die Reformszenariender Beamtenversorgung in Bayern imAuftrag des Bundes der Steuerzahler gut-achterlich untersucht. Zu welchen Er-kenntnissen und Bewertungen sind Siezusammenfassend gekommen?

Prof. Dr. Raffelhüschen: In den 1970erund 1980er Jahren sind in allen westdeut-schen Bundesländern und damit auch inBayern im öffentlichen Dienst zahlreicheneue Beamte eingestellt worden. Beamtehaben für das Land als Dienstherren denVorteil, dass für sie im Vergleich zu einemAngestellten während der aktiven Zeitkeine Beiträge zu den Sozialversiche-rungssystemen abgeführt werden müs-sen. Sie sind also zunächst die günstigerenArbeitskräfte. In der langen Frist ändertsich aber das Bild: Während der Angestell-te des öffentlichen Dienstes nach Eintrittin den Ruhestand Leistungen der Gesetz-lichen Rentenversicherung erhält, ist die Altersversor -gung des Be-amten und sei-ner Angehöri-gen vollständigaus dem lau-fenden Haus-halt zu bezahlen. Eigentlich hätte derDienstherr, wie bei handelsrechtlich bi-lanzierenden Unternehmen üblich, fürdie für seine Landesbeamten eingegange-nen Versorgungszusagen entsprechendeRückstellungen bilden müssen. Dies istaber jahrzehntelang unterblieben, erst ab1999 wurde mit der Rücklagenbildungganz zaghaft begonnen.

Klartext: Wie hoch wären denn dieRücklagen, wenn man den für die priva-te Wirtschaft geltenden Regeln auch alsFreistaat Bayern gefolgt wäre?

Prof. Dr. Raffelhüschen: Der Barwert derschwebenden Versorgungszusagen inBayern beträgt rund 220 Mrd. Euro. DiesenBetrag bräuchte man heute, um die bis2050 anfallenden Versorgungsausgabenfür die Landesbeamten und ihre Angehö-rigen zu finanzieren. Den größten Postenmachen dabei die Pensionen mit 138 Mrd.Euro aus, gefolgt von den Beihilfeleistun-gen (52 Mrd. Euro) sowie der Hinterbliebe-nenversorgung (27 Mrd. Euro). Tatsächlichwurden bis dato in Bayern nur Rücklagenin Höhe von 1,2 Mrd. Euro gebildet. Dieverpflichtende Versorgungsrücklage ent-hielt Ende 2010 1,08 Mrd. Euro, der 2007 ge-bildete freiwillige Versorgungsfonds

Beihilfeausgaben stark ansteigen. Grün-de hierfür sind der medizinisch-techni-sche Fortschritt sowie der Umstand, dasssich langfristig die Anzahl der über 80-jährigen Beamten gegenüber der Gegen-wart um den Faktor 4,5 erhöhen wird. InVerbindung mit der mit dem Alter steigen-den Wahrscheinlichkeit, Gesundheitsleis-tungen in Anspruch zu nehmen oder pfle-gebedürftig zu werden, kommt es dann zueinem extrem starken Ausgabenanstieg.

Klartext: Was konkret bedeutet diesdann für zukünftige Landeshaushalte inBayern?

Prof. Dr. Raffelhüschen: Als Folge derskizzierten Entwicklung wird der Ausga-benanteil für die Beamtenversorgungstark ansteigen. Die demografischen Ver-änderungen werden auch in Bayern zueinem tendenziell stagnierenden Steuer-aufkommen führen. Ab 2020 ist zudemaufgrund der grundgesetzlich veranker-ten Schuldenbremse die Aufnahme neu-er Schulden verboten. Um die erhöhten

Versorgungsausga-ben für Beamte zufinanzieren, wirddaher an andererStelle des Haushal-tes gespart werdenmüssen. All dies

führt dazu, dass die Haushaltsspielräumeder Landespolitik stark zurückgehen undunter dieser Entwicklung insbesondereAusgaben in die LänderschwerpunkteForschung und Bildung leiden könnten.

Klartext: Können wir bitte ins Detail Ih-rer Berechnungen und notwendiger Kon-sequenzen gehen, welche Weichen sollteaus Ihrer Sicht die Staatsregierung heutestellen?

Prof. Dr. Raffelhüschen: Die Versor-gungszusagen für die Landesbeamtenund ihre Angehörigen bestehen und sindauch grundgesetzlich geschützt. Der Aus-gabenanstieg der Beamtenversorgung istdeterminiert durch die Einstellungswelleder 1970er und 1980er Jahre und die lan-ge unterbliebene Rücklagenbildung. Ver-hindern lässt sich die dargestellte Ent-wicklung nicht, wohl aber zumindest et-was abfedern. Die Eins-zu-eins-Übertra-gung der rentenrechtlichen Reformen, al-so die Erhöhung der Regelaltersgrenze bis2029 auf 67 Jahre, die Einführung desNachhaltigkeitsfaktors sowie die Ab-schaffung der Ruhegehaltsfähigkeit derAusbildungszeiten (GRV-Reformpaket),würde den Barwert der reinen Pensions-verpflichtungen um ca. 10 Prozent von

» »Der Barwert der schwebenden Versorgungszusagen inBayern beträgt rund 220 Milliarden Euro. Diesen

Betrag bräuchte man heute, um die bis 2050 anfallenden Versorgungsausgaben zu finanzieren.

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138,1 Mrd. Euro auf 124,1 Mrd. Euro verrin-gern. In Bayern wurde immerhin die Pen-sion mit 67 bereits eingeführt, im Gegen-satz zu einigen anderen Bundesländern,die sogar Nehmerländer des Länderfi-nanzausgleichs sind und zusätzliche Kon-solidierungshilfen beziehen. Daneben ha-ben wir in unserem Gutachten ein weiter-gehendes Reformpaket entworfen, das ei-ne wirkungsgleiche Übertragung der inder Rente bereits durchgeführten Refor-men auf die Beamtenversorgung vor-sieht. Aufgrund der statistisch betrachtethöheren Lebenserwartung der Beamtenwürde hier die Altersgrenze bereits biszum Jahr 2019 auf 67 Jahre erhöht werden.Neben der Ab-schaffung derRuhegehaltsfä-higkeit von Aus-bildungszeitenschlagen wirferner einen so-genannten sys-temkonformen Nachhaltigkeitsfaktorvor. Dieser berücksichtigt, vereinfachtausgedrückt, das Verhältnis von Pensionä-ren zu gewichteten Einkommensteuer-zahlern und trägt so der Finanzierungs-form der Beamtenversorgung Rechnung.Dieses weitergehende Reformpaket ver-ringert den Barwert der Pensionsver-pflichtungen um 14,2 Prozent und sorgt imAusgabenverlauf gerade in jenen Jahrenbis 2025 für eine zusätzliche Entlastungdes Landeshaushaltes, in denen die Pen-sionierungswelle ihren Höhepunkt er-reicht. Man sieht aber, dass selbst eineumfassende Reform die Folgen einer jahr-zehntelang unterbliebenen Rücklagen-bildung nicht ausmerzen kann. Wichtig istaußerdem, dass Bayern endlich beginnt,für alle aktiven Beamten ausreichend

Rücklagen zu bilden, deren aktuarischeHöhe bei etwa 35 Prozent der monatlichenBesoldung liegen müsste. Nur dadurchkann in der langen Frist, also nach Erfül-lung der Versorgungsverpflichtungen dervorhandenen Beamten, eine nachhaltigeFinanzierung der Beamtenversorgung er-reicht werden.

Klartext: Eine besondere Bedeutung ha-ben bei der Beurteilung dieser sogenann-ten Schattenhaushalte bestehendeRechtsnormen und einschlägige Gesetze.Davon ist sicher auch die Bewertung derunterschiedlichen Prioritäten abhängig.Beispielsweise die Alternativen Schulden-

abbau oder Rückstellungen für die Beam-tenversorgung. Was ist Ihre konkreteEmpfehlung?

Prof. Dr. Raffelhüschen: Der FreistaatBayern hat es im Jahr 2011 erneut ge-schafft, seinen Haushalt ohne Nettokredit-aufnahme auszugleichen. Dies ist grund-sätzlich lobenswert. Nun wird eine Dis-kussion darüber geführt, ob man dieHaushaltsüberschüsse, die aufgrund vonSteuermehreinnahmen entstanden sind,für die Schuldentilgung oder für die Ver-sorgungsrücklage und den Versorgungs-fonds für die Beamtenversorgung ver-wenden soll. Die Zuführungen an diesebeiden Sondervermögen waren ja ausge-setzt worden. Jenseits aller Diskussionenüber eine Zinsarbitrage, also das Verhält-nis von Soll- zu Habenzinsen, sollte man

sich grundsätzlich vor Augen führen, dassder Haushalt streng genommen erst dannohne die Aufnahme neuer Schulden aus-geglichen ist, wenn auch die notwendi-gen Rücklagen für die Beamtenversor-gung gebildet wurden. Erst wenn dies ge-lingt und Bayern dann immer noch Haus-haltsüberschüsse ausweist, kann man andie Tilgung der bestehenden Schulden ge-hen. Bayern kam 2011 zwar ohne die Auf-nahme neuer expliziter Schulden aus,durch die nicht erfolgte Rücklagenbildungerhöhte sich aber die implizite, nicht sicht-bare Verschuldung, die in der langen Fristaber natürlich ebenfalls zum Vorscheinkommen wird. Ein Unternehmen kann ja

auch nicht Gewinnan seine Besitzerausschütten, ohnezuvor die bilanziellerforderlichen Rück-stellungen für er-teilte Versorgungs-zusagen gebildet zu

haben. Wir sollten daher keine Scheindis-kussion führen, sondern einen Haushaltohne Nettokreditaufnahme vorlegen, deraber auch sämtliche erforderlichen Rück-lagen enthält. Alles andere sind Taschen-spielertricks.

Klartext: Sie haben in Ihrer Studie undin der Pressekonferenz die Versorgungs-ausgaben des Freistaats Bayern im Jahr2009 hochgerechnet beziehungsweise indie Zukunft projiziert und damit die tat-sächliche Schuldenlast des Freistaates re-lativiert. Im Mittelpunkt des Medien-echos nach der Pressekonferenz mit Ih-nen standen sensationelle Zahlen. Wiegroß ist die tatsächliche Belastung, dieaus den Versäumnissen der Vergangen-heit resultiert?

» »Ein Unternehmen kann ja auch nicht Gewinn an seine Besit-zer ausschütten, ohne zuvor die bilanziell erforderlichen

Rückstellungen für Versorgungszusagen zu bilden. Es solltedaher ein Haushalt vorgelegt werden, der die erforderlichen

Rücklagen enthält. Alles andere sind Taschenspielertricks.

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Der Bund der Steuerzahler in Bayern stellte in einer gut besuchten Pressekon-ferenz mit entsprechend großem Medienecho die Studie: ,,Ausgabenprojek-tion und Reformszenarien der Beamtenversorgung in Deutschland unter be-sonderer Berücksichtigung des Freistaates Bayern“ mit erheb licher Brisanz undFolgewirkung vor.

das Bild sich etwas. Mit einer Gesamtver-schuldung von 57,4 Prozent des BIP liegtBayern im vorderen Mittelfeld aller Bun-desländer. Bei der Gesamtbetrachtung lie-gen die ostdeutschen Bundesländer vorne,die zwar eine hohe explizite Verschuldungaufweisen, dafür aber als Folge einer zu-rückhaltenden Verbeamtungspraxis seitder Wiedervereinigung relativ geringeVersorgungslasten aufweisen. Bayernsteht in dieser Betrachtung aber deutlichbesser da als Hamburg, Niedersachsen,Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein oderdas Saarland, die alle eine Gesamtver-

schuldung über 80 Prozent des BIP aufwei-sen. Geradezu griechische Verhältnisseherrschen in Bremen und Berlin, die aufWerte von 120 bzw. 140 Prozent des Brutto-inlandsproduktes 2009 kommen.

Klartext: Welchen Rat geben Sie als Kon-sequenz aus Ihrer Studie folgerichtig Bay-erns Ministerpräsidenten und dem Fi-nanzminister, um das Haushaltsrisiko Be-amtenpensionen nachhaltig in den Griff zubekommen?

Prof. Dr. Raffelhüschen: Um die langfris-tige Finanzierbarkeit der Beamtenversor-

Die Fragen der zahlreichen Medien-vertreter zur Beamtenversorgung imFreistaat Bayern sowie möglichen Reformen beantworteten von rechts:Rechtsanwältin und VizepräsidentinMaria Ritch, Präsident Rolf von Hohenhau, Professor Dr. Bernd Raffel -hüschen, Dipl.-Volkswirt Tobias Benzund Rechtsanwalt Volker Eichelbaum,stellvertretender Vorsitzender desVerwaltungsrates.

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vorschlägeReform

Prof. Dr. Raffelhüschen: Den zukünfti-gen jährlichen Ausgabenverlauf habe ichja bereits dargestellt. Wir sprechen alleinbis zum Jahr 2015 über eine Erhöhung derVersorgungsausgaben im Vergleich zumJahr 2009 um 36 Prozent, bis 2025 bzw.2035 wird es sogar zu einem Wachstumum 120 bzw. 200 Prozent kommen. DiePresseberichterstattung über unsere Stu-die stellte besonders den gesamten Um-fang der schwebenden Versorgungsver-pflichtungen Bayern, in Höhe von 219,4Mrd. Euro in den Mittelpunkt. Dabei han-delt es sich um den Barwert, also die Sum-me, die man heute bräuchte, um sämtli-che bis zum Jahr 2050 anfallenden Versor-gungsverpflichtungen aller vorhandenenBeamten des Freistaats und deren Ange-hörigen unter den unterstellten Annah-men hinsichtlich Zins und Wachstums-rate finanzieren zu können.

Klartext: Der Bayerische Beamtenbundübte massive Kritik, Ihre Studie basiereauf Horrorszenarien. Es seien „wichtigeAspekte“ ausgeblendet worden. Was sa-gen Sie zu diesem Vorwurf?

Prof. Dr. Raffelhüschen: Dieser Vorwurfist für mich nicht nachvollziehbar. Wir ha-ben eine jährliche nominale Wachstums-rate der Pensionen und der Hinterbliebe-nenversorgung in Höhe von 2 Prozent un-terstellt. Dies entspricht, geht man vomdem Inflationsziel der Europäischen Zen-tralbank aus, gerade einmal einem Aus-gleich der jährlichen Teuerungsrate. Beiden Beihilfeleistungen sind wir aufgrunddes medizinisch-technischen Fortschrittsvon jährlichen nominalen Wachstumsra-ten von maximal 4,5 Prozent ausgegan-gen. Dieser Wert liegt deutlich unter dertatsächlichen durchschnittlichen jährli-chen Kostensteigerung je Beihilfefall inden zurückliegenden Dekaden. Wir sinddamit im Basisszenario der Studie ehervon optimistischen Annahmen ausge-gangen. Unsere Ergebnisse decken sichim Übrigen der Höhe nach mit entspre-chenden Berechnungen des bayerischenFinanzministeriums. Der Beamtenbundmöge außerdem auf den Tisch des Hausesbringen, welche „wichtigen Aspekte“ wirausgeblendet hätten. Die harsche Kritikdes Beamtenbundes wundert mich inso-weit, als dass wir ja die in den vergange-nen Jahrzehnten von der Politik unterlas-sene Rücklagenbildung für die Beamten-versorgung brandmarken, die die eigent-liche Ursache für die zukünftigen Ausga-bensteigerungen ist. Wir möchten keineNeiddebatte über angebliche Privilegienvon Beamten entzünden, sondern auf das

bestehende Problem des absehbarendeutlichen Anstiegs der Versorgungsaus-gaben hinweisen und zumindest dämp-fende Reformmaßnahmen vorschlagen.Eine zukünftige nachhaltige Finanzie-rung der Beamtenversorgung liegt nichtzuletzt besonders im Interesse der jungenBeamten, die am Anfang ihrer Laufbahnstehen.

Klartext: Wie steht Bayern im Vergleichzu den anderen Bundesländern da? Bleibtder Freistaat mit Haushalten ohne Neu-verschuldung seit dem Jahr 2006 unter

Einbeziehung der Erkenntnisse Ihrer Stu-die das große Vorbild in Deutschland?

Prof. Dr. Raffelhüschen: Die umfangrei-chen Konsolidierungsanstrengungen, dieBayern in der Vergangenheit unternom-men hat, verdienen grundsätzlich Lob undAnerkennung. Andere Bundesländer, fürdie der Haushaltsausgleich mittels Auf-nahme neuer Schulden seit Jahrzehntenzur Gewohnheit geworden ist, können sichdiesbezüglich ein Beispiel an Bayern neh-men. Auf die Problematik der unterbliebe-nen Rücklagenbildung, auch im Freistaat,bin ich aber schon eingegangen. Betrach-tet man die explizite Schuldenquote, alsoden Anteil der Verschuldung am Bruttoin-landsprodukt, kam Bayern 2009, dem Ba-sisjahr unserer Studie, auf einen Wert von6,4 Prozent. Das ist das beste Ergebnis al-ler Bundesländer, gefolgt von Sachsen (7,4Prozent) sowie mit einigem Abstand vonHessen (15,8 Prozent) und Baden-Würt-temberg (16,4 Prozent). Bezieht man jedochdie schwebenden Versorgungsverpflich-tungen Bayerns in einem Umfang von 51Prozent des 2009er BIP mit ein, relativiert !

VerantwortungPolitische

gung sicherzustellen, sollte man endlichbeginnen, in ausreichendem Maße Rück-lagen für die im Zuge des Rechtsaktes derVerbeamtung eingegangenen Versor-gungsverpflichtungen zu bilden. Der An-stieg der Versorgungsausgaben, gerade inden kommenden 20 Jahren, wird sich abernicht mehr aufhalten, sondern höchstensdämpfen lassen – ganz nach dem Zitat desrömischen Schriftstellers Plinius der Jünge-re: „Bei Vergangenem können nicht ein-mal die Götter Hilfe leisten.“ Das Wachs-tum ist determiniert durch die Altersstruk-tur der Beamtenpopulation, in der deut-lich die vergangenen Einstellungswellenzu erkennen sind. Wichtig ist, dass end-lich, wie in der Vergangenheit stets üblich,

eine „demografische Gleichbehandlung“mit den Versicherten der GesetzlichenRentenversicherung herbeigeführt wird,indem auch der Nachhaltigkeitsfaktor aufdie Beamtenversorgung übertragen sowiedie Ruhegehaltsfähigkeit von Ausbil-dungszeiten abgeschafft werden. Diesdämpft den Ausgabenanstieg etwas, be-sonders in den Jahren bis 2025, in denen dieWachstumsraten am höchsten ausfallen.Da Bayern im Status quo nur eine sehr ein-geschränkte eigene Steuererhebungskom-petenz besitzt und ab 2020 die Aufnahmeneuer Kredite aufgrund der Schulden-bremse verboten ist, bleibt nur die Möglich-keit, an anderen Haushaltsstellen zu spa-ren, um den absehbaren Ausgabenanstieg

der Beamtenversorgung zu finanzieren.Dies wird natürlich die Spielräume derLandesregierung für Investitionen, etwain Forschung oder Bildung, einschränken.Ich würde auf keinen Fall darauf spekulie-ren, dass sich die dargestellte Problematikdurch wachsende Steuereinnahmen fi-nanzieren lassen wird, denn der zukünfti-ge Steuerzahler wurde auch in Bayernschlicht nicht oder zumindest zu wenig indie Welt gesetzt.

Klartext: Herr Professor Dr. Raffel -hüschen, herzlichen Dank für die klare zu-sammenfassende Bewertung der Reform-szenarien der Beamtenversorgung in Bayern. "

Kein Verständnis für Reaktion von Präsident Habermann

M it großem Unverständnisreagierte der Bund der Steu-erzahler in Bayern auf die öf-

fentliche Erklärung des Präsidentendes Bayerischen Beamtenbundesüber das Gutachten des Bundes derSteuerzahler zur Beamtenversor-gung. Präsident Habermann mögeseine Äußerungen zahlenmäßig un-termauern.

Der Verfasser des Gutachtens, Prof.Dr. Raffelhüschen, sei mit seinem For-schungszentrum an der Albert-Lud-wigs-Universität in Freiburg welt-weit einer der angesehensten Wis-senschaftler zum Thema Generatio-nenvertrag und Generationengerech-tigkeit. Er erstellte nicht nur für in-und ausländische Auftraggeber ausOrganisationen und Verbänden ent-sprechende Gutachten, sondern auchfür Staaten.

Unzweifelhaft sei, so der Präsidentdes Bundes der Steuerzahler, Rolf vonHohenhau, dass sich laut GutachtenRaffelhüschens die Aufwendungendes Freistaates Bayern für die Ver -sorgung der derzeit im Ruhestandbefindlichen Beamten auf 4,01 Milli-arden Euro im Jahr 2009, das sindzehn Prozent des Landeshaushaltes,belaufen und bis zum Jahr 2050 aufüber 14 Milliarden Euro ansteigenwerden. Nicht berücksichtigt seienbei dieser Berechnung Aufwendun-gen für zukünftig einzustellendeStaatsdiener.

Nach Berechnungen, die im bayeri-schen Finanzministerium erstelltwurden und am 7. 2. 2012 von derAugsburger Allgemeinen Zeitungveröffentlicht wurden, kommt dasMinisterium sogar auf dann zu zah-lende 15,7 Milliarden Euro.

Wenn Herr Habermann ausführe,dass seit 1999 eine Versorgungsrück-lage und ein Pensionsfonds aufge-baut worden seien, die insgesamt 1,3Milliarden Euro umfassen, wobei dieEinzahlungen in den Pensionsfondsderzeit gestoppt sind, könne dies nurein Tropfen auf den heißen Stein sein.

Weder der Bund der Steuerzahlernoch Professor Raffelhüschen sehenfür diese Situation die Schuld bei denBeamten, sondern haben ausdrück-lich die Einstellungspraxis der poli-tisch Verantwortlichen in den 70erund 80er Jahren dafür verantwort-lich gemacht. Die Politik habe massivverbeamtet, um Sozialversicherungs-beiträge zu sparen, ohne jedoch aufder anderen Seite Vorsorge für die Be-amtenpensionen zu treffen.

Anerkannt werde durch den Bundder Steuerzahler, dass in Bayern fürdie Beamten das Pensionsalter auf 67Jahre heraufgesetzt und ein Absen-kungsfaktor, der den demografischenWandel berücksichtigt, eingeführtwurde.

Großes Unverständnis herrschebeim Bund der Steuerzahler auch überdie Kritik von Präsident Habermann

an den Forderungen des bayerischenSteuerzahlerbundes, jetzt Vorsorge-leistungen in den Pensionsfonds ein-zuzahlen. Es bleibe nur zu hoffen, dasskünftige Pensionsbezieher für diesePolitik des Beamtenbundes nicht dieZeche zahlen müssen.

Die Diskussion Schuldentilgungoder Vorsorgeaufwendungen sei mü-ßig, da der Bund der Bund der Steuer-zahler den Abbau der Staatsverschul-dung vollinhaltlich unterstütze.

Bei der aktuellen Diskussion gehees in erster Linie um die Forderungdes Verbandes, die unverhofftenSteuermehreinnahmen in Bayern inHöhe von 700 Millionen Euro zumJahreswechsel ganz oder teilweise inden Pensionsfonds einzuzahlen. ImJahr 2010 hätten die Vermögenswer-te in der Versorgungsrücklage und imPensionsfonds jedenfalls eine höhereRendite erzielt, als der Freistaat Bay-ern für Schuldzinsen zu zahlen habe.

Der Bund der Steuerzahler werdesich im Übrigen dafür einsetzen, dassauch in Zukunft ein funktionierenderBeamtenapparat insbesondere in denhoheitlichen Bereichen Polizei, Finan-zen, Gerichtsbarkeit und Innere Ver-waltung erhalten bleibe. Für diese Be-amten müssten ab sofort – wie bei-spielsweise in anderen öffentlichenBereichen – entsprechende Vorsorge-aufwendungen getätigt werden. Derhierfür erforderliche Satz liege bei ca.35 Prozent des Arbeitseinkommens. "

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Bayerischer Beamtenbund lässt Fakten vermissen

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