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Veröffentlichung von Urteilen im berufsgerichtlichen Verfahren bei Vorliegen eines “besonderen...

Date post: 23-Dec-2016
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„höchstens weitere sechs Monate zu verlängern“. Der Antrag auf Fristverlängerung wurde außerhalb der 6-Monats-Frist am 16. 3. 2012 (Eingang bei der Bezirksstelle am 19. 3. 2012) gestellt. Der Zulassungsausschuss und ihm folgend der An- tragsgegner haben eine Fristverlängerung verweigert. Pro- blematisch erweist sich, dass angesichts der Formulierung des BSG unklar bleibt, wie die Voraussetzung „besondere Fälle des Misslingens rechtzeitiger Nachbesetzbarkeit“ und die Rechtsfolge, nämlich die „Frist nochmals um höchs- tens weitere sechs Monate zu verlängern“, miteinander ver- knüpft sind. Das BSG besetzt die Verknüpfungsebene mit dem Substantiv „Befugnis“. Offen bleibt, ob diese Befugnis eine Zuständigkeitszuweisung oder Ermessensermächti- gung enthält. Im erstgenannten Fall muss die Frist verlän- gert werden, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind. Im zweiten Fall bedingt die Fristverlängerung eine pflichtge- mäße Ermessensausübung. Die Rechtsfrage bedarf keiner Entscheidung. Wird eine Zuständigkeitszuweisung ange- nommen, hätten die Zulassungsgremien die Frist verlän- gern müssen, da die „Tatbestands“voraussetzungen – wie aufgezeigt – erfüllt sind. Wird eine Ermessenszuweisung angenommen, hätten die Gremien deswegen fehlerhaft gehandelt, weil sie die „Tatbestands“voraussetzungen un- zutreffend verneint haben und deswegen den Bereich der Ermessens[aus]übung nicht erreicht haben (Ermessensaus- fall). Im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte, die die Gremien zu einer Verweigerung der Fristverlängerung hät- ten berechtigen können (Ermessensreduzierung auf Null). Nach alledem erweist sich der angefochtene Bescheid des Antragsgegners als fehlerhaft. Er wäre aufzuheben. Dem- zufolge ist ein Anordnungsanspruch gegeben. b) Anordnungsgrund Der unbestimmte Rechtsbegriff „zur Abwendung we- sentlicher Nachteile nötig erscheint“ in § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG erfordert eine Interessenabwägung nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls. Ein Anordnungsgrund ist danach anzunehmen, wenn dem Antragsteller ein Abwar- ten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zumut- bar ist (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl. 2012, § 940, Rdnr. 1; vgl. Vollkommer, in: Zöl- ler, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 940, Rdnr. 4); dabei sind die öffentlichen Interessen jenen der Verfahrensbeteiligten gegenüberzustellen. Insbesondere sind die Folgen abzuwä- gen, die mit dem Erlass bzw. dem Nicht-Erlass einer einst- weiligen Anordnung verbunden sind. Einzubeziehen sind u. a. die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Intensität einer drohenden (Grund-)Rechtsverletzung und sonstige unbil- lige Härten der Beteiligten. Die mit jedem Hauptsachever- fahren zwingend verbundenen zeitlichen Nachteile reichen für den Erlass einer Regelungsanordnung nicht aus (LSG Nieders.-Bremen, Beschl. v. 3. 11. 2011 – L 3 KA 104/10 B ER –; Senat, Beschl. v. 27. 2. 2013 – L 11 KA 8/13 B ER – und v. 25. 1. 2012 – L 11 KA 77/11 B ER –). Gemessen an diesen Vorgaben ist der Anordnungsgrund dargetan. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ste- hen sich nicht isoliert gegenüber, vielmehr besteht zwischen ihnen eine funktionelle Wechselbeziehung dergestalt, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zu- nehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Eingriffs (Anordnungsgrund) zu verringern sind oder um- gekehrt; dabei dürfen keine zu hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Eilverfahren gestellt werden, die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinem Begehren verfolgt (BVerfG, Beschl. v. 29. 7. 2003 – 2 BvR 311/03 – und v. 19. 3. 2004 – 1 BvR 131/04 –; Senat, Beschl. v. 21. 5. 2012 – L 11 KR 113/12 B ER –, v. 4. 10. 2011 – L 11 KA 50/11 B ER –, v. 21. 6. 2010 – L 11 B 26/09 KA ER –; LSG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 14. 2. 2011 – L 12 B 50/09 AS ER –). Daraus folgt, dass sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund vermindern, wenn eine Klage in der Hauptsache offensichtlich begründet wäre. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anord- nung stattzugeben, dennoch kann auch in diesem Fall nicht gänzlich auf das Bestehen eines Anordnungsgrundes ver- zichtet werden (Senat, Beschl. v. 5. 4. 2012 – L 11 KA 85/11 B ER –; Frehse, in: Jansen [Hrsg.], SSG, § 86b, Rdnrn. 87, 93). Ist ein Anordnungsgrund nicht dargetan, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG auch dann nicht in Betracht, wenn der Antragsteller im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird (zur abweichenden Rechtslage nach Maßgabe des § 86b Abs. 1 SGG vgl. Senat, Beschl. v. 3. 2. 2010 – L 11 KA 80/09 ER –). Anderenfalls würden die den Anordnungsgrund bezeich- nenden Tatbestandsmerkmale des § 86b Abs. 2 SGG („ver- eitelt“ bzw. „wesentlich erschwert“ und „zur Abwendung wesentlicher Nachteile“) gesetzwidrig hinweg interpretiert (Senat, Beschl. v. 4. 10. 2011 – L 11 KA 50/11 B ER – und v. 16. 5. 2011 – L 11 KA 132/10 B ER –). Im Übrigen ist einst- weiliger Rechtsschutz insbesondere dann zu gewähren, wenn eine Verletzung des Gebotes, effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG zu gewähren, zu besorgen ist (LSG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 30. 6. 2003 – L 10 B 9/03 KA ER – und v. 24. 11. 2004 – L 10 B 14/04 KA –). Letzteres ist der Fall. Die Antragstellerin kann nicht auf das Hauptsachever- fahren verwiesen werden. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt vorliegend nicht. Die Rechtsverletzung wäre irreparabel (hierzu Frehse, in: Jansen [Hrsg.], a. a. O., § 86b, Rdnr. 109). Die Antragstellerin könnte ihren durch § 95 Abs. 2 S. 8 und S. 5 SGB V eingeräumten Anspruch auf Nachbesetzung nicht realisieren. Sie hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Anstellung von Dr. E. scheitern wird und ihr in der Folge die Arztstelle eines Neurologen verloren geht. Losgelöst von ökonomischen Beeinträchti- gungen droht ihr damit ohne einstweilige Regelung ein endgültiger Rechtsverlust. Dieser ist wegen Art. 19 Abs. 4 GG jedenfalls bis zur abschließenden Klärung im Haupt- sacheverfahren zu verhindern. DOI: 10.1007/s00350-013-3545-7 Veröffentlichung von Urteilen im berufs- gerichtlichen Verfahren bei Vorliegen eines „besonderen Falls“ GG Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1, 12 Abs. 1; HeilBerG NRW § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, Abs. 2 u. 3; StGB § 17; GOÄ § 5; BO-NW § 10 Abs. 1 1. Eine die Vorschriften der Gebührenordnung für Ärzte – GOÄ – nicht beachtende Abrechnung ist ge- eignet, einen berufsrechtlich relevanten Verstoß gegen die Berufspflichten i. S. des § 29 Abs. 1 HeilBerG NRW zu begründen (Fortführung der Senatsrechtsprechung, vgl. Beschl. v. 29. 9. 2012 – 6t E 1060/08.T –, ArztR 2011, 150). 2. Die gegen einzelne Vorschriften der GOÄ versto- ßende Rechnungsstellung ist unabhängig davon un- angemessen i. S. des § 12 Abs. 1 S. 1 der Berufsord- nung für die Nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte, ob durch eine andere Rechnungsstellung unter Ansatz anderer Gebührenziffern oder höherer Steigerungsfak- toren nach § 5 GOÄ ein gleich hoher oder sogar ein Eingesandt von der Veröffentlichungskommission der Richter des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, Münster, Deutschland; bearbeitet von Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. iur. Franz-Josef Dahm, Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Sozietät Schmidt, von der Osten & Huber, Haumannplatz 28, 45130 Essen, Deutschland Rechtsprechung 690 MedR (2013) 31: 690–697
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„höchstens weitere sechs Monate zu verlängern“. Der Antrag auf Fristverlängerung wurde außerhalb der 6-Monats-Frist am 16. 3. 2012 (Eingang bei der Bezirksstelle am 19. 3. 2012) gestellt. Der Zulassungsausschuss und ihm folgend der An-tragsgegner haben eine Fristverlängerung verweigert. Pro-blematisch erweist sich, dass angesichts der Formulierung des BSG unklar bleibt, wie die Voraussetzung „besondere Fälle des Misslingens rechtzeitiger Nachbesetzbarkeit“ und die Rechtsfolge, nämlich die „Frist nochmals um höchs-tens weitere sechs Monate zu verlängern“, miteinander ver-knüpft sind. Das BSG besetzt die Verknüpfungsebene mit dem Substantiv „Befugnis“. Offen bleibt, ob diese Befugnis eine Zuständigkeitszuweisung oder Ermessensermächti-gung enthält. Im erstgenannten Fall muss die Frist verlän-gert werden, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind. Im zweiten Fall bedingt die Fristverlängerung eine pflichtge-mäße Ermessensausübung. Die Rechtsfrage bedarf keiner Entscheidung. Wird eine Zuständigkeitszuweisung ange-nommen, hätten die Zulassungsgremien die Frist verlän-gern müssen, da die „Tatbestands“voraussetzungen – wie aufgezeigt – erfüllt sind. Wird eine Ermessenszuweisung angenommen, hätten die Gremien deswegen fehlerhaft gehandelt, weil sie die „Tatbestands“voraussetzungen un-zutreffend verneint haben und deswegen den Bereich der Ermessens[aus]übung nicht erreicht haben (Ermessensaus-fall). Im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte, die die Gremien zu einer Verweigerung der Fristverlängerung hät-ten berechtigen können (Ermessensreduzierung auf Null).

Nach alledem erweist sich der angefochtene Bescheid des Antragsgegners als fehlerhaft. Er wäre aufzuheben. Dem-zufolge ist ein Anordnungsanspruch gegeben.

b) AnordnungsgrundDer unbestimmte Rechtsbegriff „zur Abwendung we-

sentlicher Nachteile nötig erscheint“ in § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG erfordert eine Interessenabwägung nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls. Ein Anordnungsgrund ist danach anzunehmen, wenn dem Antragsteller ein Abwar-ten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zumut-bar ist (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl. 2012, § 940, Rdnr. 1; vgl. Vollkommer, in: Zöl-ler, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 940, Rdnr. 4); dabei sind die öffentlichen Interessen jenen der Verfahrensbeteiligten gegenüberzustellen. Insbesondere sind die Folgen abzuwä-gen, die mit dem Erlass bzw. dem Nicht-Erlass einer einst-weiligen Anordnung verbunden sind. Einzubeziehen sind u. a. die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Intensität einer drohenden (Grund-)Rechtsverletzung und sonstige unbil-lige Härten der Beteiligten. Die mit jedem Hauptsachever-fahren zwingend verbundenen zeitlichen Nachteile reichen für den Erlass einer Regelungsanordnung nicht aus (LSG Nieders.-Bremen, Beschl. v. 3. 11. 2011 – L 3 KA 104/10 B ER –; Senat, Beschl. v. 27. 2. 2013 – L 11 KA 8/13 B ER – und v. 25. 1. 2012 – L 11 KA 77/11 B ER –).

Gemessen an diesen Vorgaben ist der Anordnungsgrund dargetan. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ste-hen sich nicht isoliert gegenüber, vielmehr besteht zwischen ihnen eine funktionelle Wechselbeziehung dergestalt, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zu-nehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Eingriffs (Anordnungsgrund) zu verringern sind oder um-gekehrt; dabei dürfen keine zu hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Eilverfahren gestellt werden, die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinem Begehren verfolgt ( BVerfG, Beschl. v. 29. 7. 2003 – 2 BvR 311/03 – und v. 19. 3. 2004 – 1 BvR 131/04 –; Senat, Beschl. v. 21. 5. 2012 – L 11 KR 113/12 B ER –, v. 4. 10. 2011 – L 11 KA 50/11 B ER –, v. 21. 6. 2010 – L 11 B 26/09 KA ER –; LSG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 14. 2. 2011 – L 12 B 50/09 AS ER  –). Daraus folgt, dass sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund vermindern, wenn eine Klage in

der Hauptsache offensichtlich begründet wäre. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anord-nung stattzugeben, dennoch kann auch in diesem Fall nicht gänzlich auf das Bestehen eines Anordnungsgrundes ver-zichtet werden (Senat, Beschl. v. 5. 4. 2012 – L 11 KA 85/11 B ER –; Frehse, in: Jansen [Hrsg.], SSG, § 86 b, Rdnrn. 87, 93). Ist ein Anordnungsgrund nicht dargetan, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs.  2 SGG auch dann nicht in Betracht, wenn der Antragsteller im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird (zur abweichenden Rechtslage nach Maßgabe des § 86 b Abs. 1 SGG vgl. Senat, Beschl. v. 3. 2. 2010 – L 11 KA 80/09 ER –). Anderenfalls würden die den Anordnungsgrund bezeich-nenden Tatbestandsmerkmale des § 86 b Abs. 2 SGG („ver-eitelt“ bzw. „wesentlich erschwert“ und „zur Abwendung wesentlicher Nachteile“) gesetzwidrig hinweg interpretiert (Senat, Beschl. v. 4. 10. 2011 – L 11 KA 50/11 B ER – und v. 16. 5. 2011 – L 11 KA 132/10 B ER –). Im Übrigen ist einst-weiliger Rechtsschutz insbesondere dann zu gewähren, wenn eine Verletzung des Gebotes, effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG zu gewähren, zu besorgen ist (LSG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 30. 6. 2003 – L 10 B 9/03 KA ER – und v. 24. 11. 2004 – L 10 B 14/04 KA –). Letzteres ist der Fall. Die Antragstellerin kann nicht auf das Hauptsachever-fahren verwiesen werden. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt vorliegend nicht. Die Rechtsverletzung wäre irreparabel (hierzu Frehse, in: Jansen [Hrsg.], a. a. O., § 86 b, Rdnr. 109). Die Antragstellerin könnte ihren durch § 95 Abs. 2 S. 8 und S. 5 SGB V eingeräumten Anspruch auf Nachbesetzung nicht realisieren. Sie hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Anstellung von Dr. E. scheitern wird und ihr in der Folge die Arztstelle eines Neurologen verloren geht. Losgelöst von ökonomischen Beeinträchti-gungen droht ihr damit ohne einstweilige Regelung ein endgültiger Rechtsverlust. Dieser ist wegen Art. 19 Abs. 4 GG jedenfalls bis zur abschließenden Klärung im Haupt-sache ver fahren zu verhindern.

DOI: 10.1007/s00350-013-3545-7

Veröffentlichung von Urteilen im berufs­gerichtlichen Verfahren bei Vorliegen eines „besonderen Falls“

GG Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1, 12 Abs. 1; HeilBerG NRW § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, Abs. 2 u. 3; StGB § 17; GOÄ § 5; BO-NW § 10 Abs. 1

1. Eine die Vorschriften der Gebührenordnung für Ärzte – GOÄ – nicht beachtende Abrechnung ist ge-eignet, einen berufsrechtlich relevanten Verstoß gegen die Berufspflichten i. S. des § 29 Abs. 1 HeilBerG NRW zu begründen (Fortführung der Senatsrechtsprechung, vgl. Beschl. v. 29. 9. 2012 – 6t E 1060/08.T  –, ArztR 2011, 150).

2. Die gegen einzelne Vorschriften der GOÄ versto-ßende Rechnungsstellung ist unabhängig davon un-angemessen i. S. des § 12 Abs.  1 S.  1 der Berufsord-nung für die Nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte, ob durch eine andere Rechnungsstellung unter Ansatz anderer Gebührenziffern oder höherer Steigerungsfak-toren nach § 5 GOÄ ein gleich hoher oder sogar ein

Eingesandt von der Veröffentlichungskommission der Richter des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, Münster, Deutschland; bearbeitet von Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. iur. Franz-Josef Dahm, Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Sozietät Schmidt, von der Osten & Huber, Haumannplatz 28, 45130 Essen, Deutschland

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höherer Gesamtbetrag für die erbrachte ärztliche Leis-tung hätte gefordert werden können.

3. „Sitzung“ i. S. von Nr. 2 der Allgemeinen Bestim-mungen zu C Vl. GOÄ ist der gesamte auf den Leis-tungsinhalt bezogene Arzt-Patienten-Kontakt bzw. die entsprechende Arzt-Patienten-Begegnung.

4. Zur Veröffentlichung des rechtskräftigen vollstän-digen berufsgerichtlichen Urteils unter Nennung des Namens des Beschuldigten und zu den dabei zu beach-tenden Vorgaben des Verfassungsrechts:

a) Ein besonderer Fall i. S. des § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW liegt regelmäßig dann vor, wenn für ein beson-ders schwerwiegendes Berufsvergehen eine Maßnah-me nach § 60 Abs.  1 HeilBerG NRW verhängt wird, eine Kombination der Maßnahmen i. S. des § 60 Abs. 2 HeilBerG NRW nicht ausreicht und der Fall besondere Bedeutung für die Allgemeinheit oder für die in der Kammer zusammengeschlossenen Berufsangehörigen hat.

b) Liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 Heil-BerG NRW vor, ist die antragstellende Kammer zur Veröffentlichung des Urteils in ihrem Veröffentli-chungsorgan zu verpflichten.LandesberufsG f. Heilberufe beim OVG Nordrh.-Westf., Urt. v. 6. 2. 2013 – 6 t A 1843/10.T (BerufsG f. Heilberufe beim VG Köln)

Problemstellung: Die Entscheidung befasst sich mit einem „besonderen Fall“.

Hintergrund ist die fehlerhafte „Falschabrechnung“ eines Arztes (dazu Schmidt/Dahm, in: Rieger/Dahm/Kat-zenmeier/Steinhilper [Hrsg.], Heidelberger Kommentar, 18. Akt. Mai 2007, „Falschabrechnung (Abrechnungs-betrug)“, Nr. 1780, Rdnrn. 9, 25), der nach seinen An-gaben bis zu 90-minütige (!) sonographische Untersu-chungen auf mehrere Leistungsdaten verteilt hatte, an denen Patienten nicht in den Praxisräumen waren, um diese mehrfach abrechnen zu können.

Der Verstoß gegen Bestimmungen der GOÄ war schon deshalb offenkundig, weil nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 GOÄ (vom LBG unerwähnt) bei der Rechnungslegung die Rechnung „insbesondere“ das „Datum der Erbrin-gung der Leistung“ enthalten muss. Insofern wurde bereits bei der Rechnungserstellung über die Fälligkeit der Rechnung getäuscht. Auf die vom LBG erörterte Frage, ob und inwieweit die Rechnung (selbstredend) nicht abrechnungsfähige Gebührenpositionen enthielt, konnte es danach bei der gebührenordnungsrechtlichen Betrachtung schon wegen der unrichtigen Datumsanga-ben nicht ankommen.

Der Verstoß gegen § 12 Abs. 1 BO NW war damit eindeutig gegeben. Hinzu kommt die vom LBG erörter-te Problematik, ob der Sitzungsbegriff i. S. der allgemei-nen Bestimmungen Nr. 2 des Kap. VI. (sonographische Leistungen) erfüllt war. Hiernach sind die Leistungen nach Nrn.  401 bis 418 sowie 422 bis 424 „je Sitzung jeweils nur einmal berechnungsfähig“.

Die im Hinblick auf eine eventuelle strafrechtliche Relevanz gemachten Ausführungen des LBG sind daher von deutlicher Zurückhaltung geprägt, obwohl der Se-nat zu Recht von „verschleiernder Rechnungsstellung“ spricht und es sich um eine „rechtliche Grauzone“ al-lenfalls bei wohlwollender Betrachtung gehandelt haben kann.

Die hier von dem Beschuldigten gepflogene Op-timierung der Abrechnung schadet dem Ansehen der Ärzteschaft, mag es sich bei der zur Entscheidung ste-henden Sachverhaltsgestaltung auch um einen Einzelfall handeln. Festzuhalten ist, dass die Bestimmungen der GOÄ aus sich heraus verständlich sind und nur in gewis-sem Rahmen – positiv wie negativ – einer Interpretation

unterliegen. Daran ändert nichts der Umstand, dass der Gesetzgeber seit nahezu 30 Jahren versäumt hat, Inhalt und Gebührensätze der GOÄ der allgemeinen Kosten- und Einnahmenentwicklung anzupassen (dazu kritisch Bäune/Dahm/Flasbarth, MedR 2012, 91; Dahm, in: FS f. Gernot Steinhilper, 2013, S. 26), und eine Anpassung auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist.

Dies mag unter dem Aspekt der Artt. 3, 12, 14 GG zwischenzeitlich verfassungsrechtliche Relevanz auf-weisen, rechtfertigt aber nicht offenbare Verstöße gegen die GOÄ an sich.

Die Annahme eines „besonderen Falls“ mit der da-raus resultierenden Rechtsfolge einer Veröffentlichung der Entscheidung ist daher im Ergebnis nicht zu bean-standen und gerechtfertigt (zur Veröffentlichung vgl. auch Willms, Das Verfahren vor den Heilberufsgerich-ten, 2009, S. 206 f.).

Zum Sachverhalt: Der Beschuldigte ist Facharzt für Innere Me-dizin. In mehreren Fällen nahm er an Patienten bis zu 90-minütige sonografische Untersuchungen vor. Bei der Rechnungsstellung teil-te er die jeweilige Untersuchung mit der Begründung auf weite-re „Leistungsdaten“, an denen die Patienten nicht in seiner Praxis gewesen sind, auf, er interpretiere den Sitzungsbegriff der GOÄ in sinnvoller Weise nach medizinischen Zusammenhängen und Indi-kationen. Das Berufsgericht für Heilberufe erkannte auf die Entzie-hung des passiven Berufswahlrechts und eine Geldbuße und ordnete an, dass die Antragstellerin berechtigt sei, das Urteil im Ärzteblatt zu veröffentlichen. Die Berufung des Beschuldigten war im Wesentli-chen erfolglos.

Aus den Gründen: Der Beschuldigte hat seine Berufs-pflichten vorsätzlich und schuldhaft verletzt (1.). Die Ent-ziehung des passiven Berufswahlrechts, die Auferlegung ei-ner Geldbuße und die Veröffentlichung der Entscheidung sind tat- und schuldangemessene berufsgerichtliche Maß-nahmen (2.).

1. Der Beschuldigte hat seine Berufspflichten, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm im Zusam-menhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen (§ 29 Abs.  1 HeilBerG NRW), in dem vom Eröffnungsbeschluss erfassten Umfang verletzt. Er hat vor-sätzlich gegen § 12 Abs. 1 S. 1 und 2 BO verstoßen, indem er unangemessene, nicht nach den Vorschriften der GOÄ bemessene Honorarforderungen gestellt hat.

a) Eine die Vorschriften der GOÄ nicht beachtende Ab-rechnung ist geeignet, einen Verstoß gegen die Berufs-pflichten zu begründen. Zwar stellt nicht jede Abweichung von einer bestmöglichen Handhabung der Abrechnungs-vorschriften einen Verstoß gegen die dem Arzt obliegende Berufspflicht dar. Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Einhaltung der generalklauselartigen Grundpflicht des § 29 Abs.  1 HeilBerG NRW in Rede steht, die nicht auf ein konkretes Verhalten, sondern auf die Zielrichtung ärztli-cher Bemühungen abstellt (vgl. LandesberufsG f. Heilberu-fe bei dem OVG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 29. 9. 2010 – 6t E 1060/08.T  –, ArztR 2011, 150 [ juris, Rdnr.  56]; zum Disziplinarrecht Köhler/Ratz, Bundesdisziplinargesetz, 3. Aufl. 2002, S. 83 f.). Das ist auch dann der Fall, wenn die Anwendung von Vergütungsregelungen von komplexen medizinischen und juristischen Bewertungen abhängig ist, selbst wenn sich die – jedenfalls im Ansatz vertretbare – Bewertung durch den Arzt im Nachhinein als unzutreffend herausstellt. Es ist nämlich nicht Sinn des berufsgerichtli-chen Verfahrens, bei differierenden rechtlichen Bewertun-gen einer Gebührenforderung inzident über die zivilrecht-liche Berechtigung der Gebührenforderung zu entscheiden und einen Berufsverstoß schon immer dann anzunehmen, wenn sich eine Rechnungsstellung im Nachhinein als un-zutreffend erweist. Jedenfalls solange, wie die Gebühren-forderung nicht vorsätzlich fehlerhaft vorgenommen wird

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oder sie sich nicht offensichtlich außerhalb jeder vertretba-ren rechtlichen Meinung befindet, kann ihr Ansatz nicht als [als] erheblich anzusehender und deshalb ahndungs-würdiger Sorgfaltspflichtverstoß angesehen werden. Auch wenn der Arzt berufsrechtlich zur gewissenhaften Berufs-ausübung verpflichtet ist und in diesem Zusammenhang nur angemessene und auch im Übrigen den Anforderun-gen der GOÄ entsprechende Honorarforderungen stellen darf, ist ein Streit über die Berechtigung dieser Forderung ungeachtet einer etwaigen außergerichtlichen Inanspruch-nahme der Vermittlungsversuche der Antragstellerin vor-nehmlich im Innenverhältnis zwischen Arzt und Patient zu regeln. Jede andere Betrachtungsweise würde den Arzt bei in der Rechtsanwendung im Einzelfall umstrittenen Ge-bührenansätzen dem Risiko aussetzen, nach einer etwaigen zivilgerichtlichen Feststellung zu seinen Lasten auch noch mit berufsrechtlichen Sanktionen belegt zu werden.

Letztlich sprechen auch verfassungsrechtliche Erwägun-gen dafür, nur erhebliche Sorgfaltsverstöße bei der Erstel-lung einer ärztlichen Liquidation als berufsrechtlich relevant anzusehen. Es ist zwar grundsätzlich Sache des Verord-nungsgebers der GOÄ, darüber zu befinden, wie ärztliche Leistungen, ggf. auch unter Berücksichtigung nach Erlass der Verordnung eingetretener Veränderungen des techni-schen Standards oder der Fortentwicklung wissenschaftli-cher Erkenntnisse, zu bewerten sind. Eine Bindung an die Verordnung besteht allerdings dann nicht, wenn sie wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht – etwa Art. 3 oder Art. 12 GG – nichtig ist (vgl. BGH, Urt. v. 18. 9. 2003 – III ZR 389/02 –, NJW-RR 2003, 1639 [ juris, Rdnr. 24]).

Es muss dem Arzt auch in Anbetracht seiner Berufsfrei-heit zugestanden werden, sich auf behauptete Verletzungen seiner Grundrechte zu berufen, ohne zugleich berufsrecht-liche Sanktionen fürchten zu müssen. Dies wäre aber der Fall, wenn ein Berufsrechtsverstoß bereits dann vorläge, wenn der Arzt etwa mit vertretbarer Begründung vorträgt, die GOÄ trage nach ihrem Erlass eingetretenen Verände-rungen nicht hinreichend Rechnung, seine Auffassung aber im Nachhinein keine (zivil)gerichtliche Billigung findet (vgl. LandesberufsG f. Heilberufe bei dem OVG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 29. 9. 2010 – 6t E 1060/08.T  –, ArztR 2011, 150 [ juris, Rdnr. 73]).

Mit diesem Verständnis des § 29 Abs. 1 HeilBerG NRW sind auch mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG keine verfas-sungsrechtlichen Bedenken ersichtlich. Zwar müssen auch berufsrechtliche Normen, die mit einer Sanktion bewehrt sind, den Anforderungen des Art.  103 Abs.  2 GG genü-gen, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat began-gen wurde. Auch stellen berufsgerichtliche Verurteilun-gen Eingriffe in die Berufsausübung dar, die an Art.  12 Abs. 1 S. 1 GG zu messen sind, wonach Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung einer gesetzlichen Grundla-ge bedürfen, die den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22. 5. 1996 – 1 BvR 744/88 u. a. –, BVerfGE 94, 372 [ juris, Rdnr. 97]; und v. 11. 6. 1969 – 2 BvR 518/66 –, BVerfGE 26, 186 [ juris, Rdnrn. 50, 52]).

Das BVerfG hat bezogen auf die Ehrengerichtsbarkeit der Rechtsanwälte ausgeführt, dass sich in den Disziplinarge-setzen seit jeher nicht wie im allgemeinen Strafrecht ein-zelne Straftatbestände mit entsprechenden Strafdrohungen, sondern Generalklauseln finden, wonach die schuldhafte Verletzung von Berufspflichten mit einer der gesetzlich vor-gesehenen Disziplinarstrafen geahndet wird. Diese Gene-ralklauseln sind deshalb gerechtfertigt, weil eine vollständi-ge Aufzählung der mit einem Beruf verbundenen Pflichten nicht möglich ist. Eine Einzelnormierung ist hier – anders als im allgemeinen Strafrecht – in der Regel auch nicht nö-tig; denn es handelt sich um Normen, die nur den Kreis der Berufsangehörigen betreffen, sich aus der ihnen gestellten

Aufgabe ergeben und daher für sie im Allgemeinen leicht erkennbar sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11. 6. 1969 – 2 BvR 518/66 –, BVerfGE 26, 186 [ juris, Rdnr. 521]).

Die Generalklausel des § 29 Abs.  1 HeilBerG NRW, die diese Beziehung zwischen Berufsaufgabe und Berufs-pflicht zum Ausdruck bringt, ist daher sowohl im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG als auch des Art. 12 Abs. 1 GG eine hinreichend bestimmte Grundlage für eine berufsgericht-liche Sanktion.

b) Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung des Se-nats fest, dass der Beschuldigte durch die Anfertigung und Übersendung der im Eröffnungsbeschluss bezeichneten Rechnungen objektiv seine Berufspflichten verletzt hat (aa). Der Beschuldigte hat im Zeitpunkt der Rechnungs-stellung vorsätzlich (bb) und schuldhaft (cc) gehandelt.

aa) Die vom Beschuldigten persönlich gefertigten Rech-nungen verstoßen gegen Vorschriften der GOÄ. Alle vier Rechnungen enthalten mit Blick auf die tatsächlich vom Beschuldigten erbrachte Leistung nicht abrechenbare Ge-bührenpositionen.

Der Senat legt hierbei – ebenso wie das Berufsgericht – folgendes Verständnis des Sitzungsbegriffs der GOÄ, wie er u. a. in Nr. 2 der Allgemeinen Bestimmungen zu C VI. GOÄ (Sonografische Leistungen) verwendet wird, zugrunde:

Eine Sitzung ist der gesamte auf den Leistungsinhalt be-zogene Arzt-Patienten-Kontakt bzw. die entsprechende Arzt-Patienten-Begegnung (vgl. BSG, Urt. v. 26. 6. 2002 – B 6 KA 5/02 R –, juris, Rdnr. 21 zu Nr. 505 EBM-Ä; Urt. v. 24. 8. 1994 – 6 RKa 40/92 –, juris, Rdnr. 14 zu GO-Nrn. 4 und 61 BMÄ/ E-GO; LSG Nds., Urt. v. 31. 3. 2004 – L 11 KA 15/02 –, juris, Rdnr. 21 zu EBM-Nr. 827; LSG Bad.-Württ., Urt. v. 4. 9. 1996 – L 5 Ka 2851/95 –, juris, Rdnr. 49 zu Nrn. 2170 und 2173 E-GO; BayLSG, Beschl. v. 15. 3. 2010 – L 15 SF 69/10 –, juris, Rdnr. 14 zu GOÄ-Nrn. 1408 und 1409; Urt. v. 26. 2. 2003 – L 12 KA 193/01 –, juris, Rdnr. 18 zu Nrn. 1242 und 1251 BMÄ/ E-GO; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 5. 8. 2008 – 18 U 49/06 –, juris, Rdnr. 21 zu GOÄ-Nr. 1409).

Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung ist der Sitzungsbegriff der GOÄ mit der ebenfalls dort verwende-ten Formulierung „neben“ bzw. „nebeneinander“ gleich. „Neben“ bezieht sich auf alle Leistungen eines Arztes im Rahmen eines Arzt-Patientenkontaktes, somit vom Betre-ten der Praxis durch den Patienten bis zu deren Verlassen (vgl. Hoffmann/Kleinken [Hrsg.], GOÄ, Stand: Mai 2012, C II Vorbemerkungen Gebührenverzeichnis, Nr. 4 a) und Komm. Gebührenverzeichnis Nrn. 401–424, Rdnr. 3). Das Vorliegen zweier Sitzungen kann erst dann angenommen werden, wenn die Arzt-Patienten-Begegnung beendet und eine neue begonnen ist. Wann die Begegnung im Einzel-nen endet, ist nicht abschließend geklärt. Zuweilen wird gefordert, dass der Patient zumindest die Arztpraxis verlas-sen haben müsse; zuweilen wird dies allein nicht für aus-reichend gehalten (vgl. LSG Bad.-Württ., Urt. v. 4. 9. 1996 – L 5 Ka 2851/95 –, juris, Rdnrn. 51 f. zu Nrn. 2170 und 2173 E-GO; differenzierend Hoffmann/Kleinken [Hrsg.], GOÄ, Stand: Mai 2012, C II Vorbemerkungen Gebühren-Verzeichnis, Nr. 4 a)).

Unter Anlegung dieses Sitzungsbegriffs sind die – hier allein interessierenden jeweils erstmaligen – Rechnungs-stellungen durch den Beschuldigten in den angeschuldig-ten Fällen objektiv fehlerhaft, da es zu mehreren Arzt-Pa-tienten-Kontakten nicht gekommen ist; zur Begründung nimmt der Senat insoweit auf die jeweiligen tatsächlichen Feststellungen des Berufsgerichts Bezug. Der Senat teilt die überzeugenden, auf einer umfassenden Beweiserhebung beruhenden Feststellungen des Berufsgerichts, die der Be-schuldigte in tatsächlicher Hinsicht im Berufungsverfahren nicht in Abrede gestellt hat. Der Senat hatte daher keinerlei Anlass, erneut in eine – vom Beschuldigten auch nicht be-antragte – Beweiserhebung einzutreten.

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Der Verstoß gegen einzelne Gebührenziffern der GOÄ bleibt unabhängig davon bestehen, ob der Beschuldigte ggf. durch eine andere Rechnungsstellung unter Ansatz anderer Gebührenziffern oder höherer Steigerungsfakto-ren nach § 5 GOÄ in der jeweiligen Rechnungsgesamt-summe einen gleich hohen oder sogar einen höheren Betrag für die erbrachten sonografischen Untersuchun-gen hätte fordern können. Für privatärztliche Leistungen bestimmt die GOÄ den Inhalt der abrechnungsfähigen ärztlichen Leistungen und deren taxmäßige (standardi-sierte) Honorierbarkeit abschließend. Die Anspruchsvor-aussetzungen sind jeweils nach den materiell-rechtlichen Vorschriften der GOÄ fest umschrieben, eine tatbestand-liche „Schadens“kompensation allein mit erbrachter ärztli-cher Leistung ist dadurch ausgeschlossen (vgl. näher BGH, Beschl. v. 25. 1. 2012 – 1 StR 45/11 –, BGHSt 57, 95 [ juris, Rdnrn. 83 ff.] [= MedR 2012, 388] m. w. N.).

Die gegen einzelne Vorschriften der GOÄ verstoßende Rechnungsstellung durch den Beschuldigten ist hiernach unangemessen i. S. des § 12 Abs. 1 S. 1 BO, weil für die Bemessung der Honorarforderung mangels anderer gesetz-licher Vergütungsregelungen (allein) die GOÄ die Grund-lage ist (§ 12 Abs.  1 S.  2 BO) und deren Vorgaben nicht eingehalten worden sind.

bb) Die Berufspflichtverletzung ist dem Beschuldigten vorwerfbar. Der Beschuldigte hat im maßgeblichen Zeit-punkt der von ihm begangenen Berufspflichtverletzung – der Ausstellung der oben bezeichneten Rechnungen – vor-sätzlich gehandelt.

Vorsatz ist nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsät-zen, die auch für berufsrechtliche Verfehlungen gelten, Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung zum Zeitpunkt der Tat. Der Täter muss hierbei nicht die Be-rufsrechtswidrigkeit seines Verhaltens kennen; es reicht das Bewusstsein, Unrecht zu tun. Weiß der Täter, dass er ein Gesetz verletzt, so hat er das Unrechtsbewusstsein auch dann, wenn er die Verbindlichkeit der Norm für sich ablehnt, etwa weil er sich als Überzeugungstäter bewusst gegen die Werte- und Rechtsordnung der Gemeinschaft auflehnt (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 15, Rdnr. 3 § 17, Rdnrn. 3 und 3a).

Wer eine Leistung einfordert, bringt damit zugleich das Bestehen des zugrunde liegenden Anspruchs zum Ausdruck (vgl. BGH, Beschl. v. 25. 1. 2012 – 1 StR 45/11 –, BGHSt 57, 95 [ juris, Rdnr. 44] [= MedR 2012, 388] m. w. N.). Der Beschuldigte hat durch die Rechnungsstellung in den an-geschuldigten Fällen gegenüber den Patienten konkludent zum Ausdruck gebracht, dass ihm die geltend gemachten Forderungen nach den Vorschriften der GOÄ zustehen, ob-wohl er wusste, dass seine Rechnungsstellungen gegen die von ihm zur Begründung seiner Forderung herangezoge-nen Gebührenziffern verstießen. Dies ergibt sich zur Über-zeugung des Senats schon aus den konkreten Umständen der Rechnungsstellung, die auch das Berufsgericht maß-geblich zur Begründung des Vorsatzes herangezogen hat.

Denn allen Rechnungsstellungen ist gemeinsam, dass der Beschuldigte formal Abrechnungen erstellt hat, die den Anschein erwecken sollten, unter Anlegung eines vertret-bar interpretierten Sitzungsbegriffs der GOÄ gefertigt wor-den zu sein. Dem liegt offensichtlich die Überlegung des Beschuldigten zugrunde, dass der jeweilige Leistungser-bringer (Krankenversicherer, Beihilfestelle) bei der Angabe mehrerer Leistungsdaten von jeweils beendeten Arzt-Pati-enten-Kontakten und mithin von mehreren – die zulässi-ge Abrechnung eröffnenden – Sitzungen ausgehen würde. Dies geschah jeweils in der Erwartung, dass die Patienten – solange ihre Rechnungen von den Leistungsträgern er-stattet würden – die Rechnungsstellung gegenüber dem Beschuldigten nicht reklamieren würden. […]

Diese Vorgehensweise ergibt unter Anlegung des Sit-zungsbegriffs, wie ihn der Beschuldigte vertritt, keinen

erkennbaren Sinn, sodass hieraus auf Vorsatz geschlossen werden kann. Der Beschuldigte hat wiederholt darauf ver-wiesen, dass seiner Ansicht nach für die Auslegung dieses Begriffs Zeitraum und Behandlungszweck maßgebend sei-en. Sitzung sei der gesamte Zeitraum der Befassung mit einem definierten Behandlungszweck. Wenn der Beschul-digte aber wie z. B. im Fall X. den Patienten am 5. und 13. 1. 2006 untersucht, ist es unter Anlegung des vom Be-schuldigten vertretenen Sitzungsbegriffs nicht notwendig, zum Zwecke der Anfertigung der Rechnung für den 10., 11. und 12. 1. 2006 Leistungsdaten zu erfinden. Identisch ist – wie oben dargestellt – die Vorgehensweise in den an-deren angeschuldigten Fällen. Dies belegt, dass das in den angeschuldigten Taten zum Ausdruck kommende Abrech-nungssystem des Beschuldigten darauf angelegt war, den von ihm vertretenen Sitzungsbegriff durch eine die tat-sächlichen Vorgänge verschleiernde Rechnungsstellung durchzusetzen.

Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass der Beschuldig-te – wie in der Hauptverhandlung vorgetragen – meint, die Leistungserbringung dauere bis zur Rechnungserstel-lung. Zum einen trifft dies ersichtlich nicht zu. Die hier in Rede stehenden Gebührenziffern setzen an der Erbringung der sonografischen Leistung an. Mit den Gebühren für die Zuschläge bzw. Leistungen nach den Nrn. 401 bis 242 ist die erforderliche Bilddokumentation abgegolten (Nr. 5 der Allgemeinen Bestimmungen zu C VI. GOÄ). Schließlich ist auch die Erstellung eines schriftlichen Befundes mit der Gebühr abgegolten; hierzu ist der Arzt gemäß § 10 Abs. 1 BO verpflichtet. Die Erstellung der Rechnung schließlich ist keine (sonografische) ärztliche Leistung mehr. Zum anderen hat der Beschuldigte in keinem Fall etwas dafür vorgetragen, welche konkreten ärztlichen Leistungen er an den fingierten Leistungsdaten erbracht haben will. Hierfür ist auch nichts ersichtlich. Vielmehr ist es lebensfremd, dass der Beschuldigte – wie im Fall X. – einen Patienten am 5. und 13. 1. 2006 untersucht und sich an drei dazwischen liegenden Tagen (10., 11. und 12. 1. 2006) jeweils mit ein-zelnen sonografischen Aufnahmen befasst oder eine Rech-nung erstellt.

cc) Der Beschuldigte hat schuldhaft gehandelt. Ihm steht kein Entschuldigungsgrund entsprechend § 17 StGB zur Seite (vgl. zur Berücksichtigung der Rechtsgrundsätze des § 17 StGB auch in anderen Rechtsbereichen BGH, Beschl. v. 27. 1. 1966 – KRB 2/65–, BGHSt 21, 18 [ juris, Rdnr. 46] zum Ordnungswidrigkeitenrecht; BVerwG, Beschl. v. 21. 2. 2008 – 2 B 1.08 –, Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr.  5 zum Disziplinarrecht; LandesberufsG f. Heilberu-fe bei dem OVG Nordrh.-Westf., Urt. v. 6. 7. 2011 – 6t A 1816/09.T –, ArztR 2012, 15 [ juris, Rdnrn. 98 f.] zum Heilberufsrecht).

Ein solcher Verbotsirrtum setzt voraus, dass dem Täter die Einsicht fehlt, Unerlaubtes zu tun; er erfasst auch Rechts-irrtümer (vgl. BGH, Urtt. v. 7. 3. 1996 – 4 StR 742/95 –, NJW 1996, 1604 –; und v. 18. 12. 1985 – 2 StR 461/85 –, wistra 1986, 219). Ausreichende Unrechtseinsicht liegt al-lerdings bereits dann vor, wenn der Täter bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH, Beschl. v. 24. 2. 2011 – 5 StR 514/09-, BGHSt 56, 174 [ juris, Rdnr. 34]; OLG Ros-tock, Beschl. v. 23. 11. 2011 – 2 Ss (OWi) 187/11 u. a. –, ju-ris, Rdnr. 18; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 17, Rdnr. 5).

Nutzt der Täter eine von ihm als eine solche verstan-dene rechtliche Grauzone aus, setzt dies regelmäßig eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen straf-baren Verhaltens voraus und schließt, wenn höchstrich-terliche Entscheidungen noch nicht vorliegen, jedenfalls die Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (vgl. BGH, Beschl. v. 24. 2. 2011  – 5 StR 514/09  –, BGHSt 56, 174 [ juris, Rdnr.  35]). Diese Unrechtseinsicht hat der Beschuldigte

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gehabt, da ihm nach den jahrelangen Auseinandersetzun-gen mit der Antragstellerin klar gewesen ist, dass seine In-terpretation des Sitzungsbegriffs jedenfalls möglicherwei-se, wenn nicht sogar aller Wahrscheinlichkeit nach nicht vertretbar ist. Die Antragstellerin hatte den Beschuldigten bereits mit Schreiben v. 15., 23. und 27. 11. 2001 und mit Schreiben v. 24. 6. 2005 unter Beifügung von Beiträgen von Frau Dr. Q1. im Deutschen Ärzteblatt zur Abrechnung so-nografischer Leistungen (Hefte 16, 18, 20, 22 und 24/2005) darauf hingewiesen, dass je Sitzung u. a. die Nr. 410 GOÄ nur einmal und die Nr. 420 je Sitzung nur dreimal abrech-nungsfähig seien.

Das in den angeschuldigten Taten zum Ausdruck kom-mende Abrechnungssystem des Beschuldigten war darauf angelegt, den von ihm vertretenen Sitzungsbegriff durch eine die tatsächlichen Vorgänge verschleiernde Rech-nungsstellung durchzusetzen. Dies setzt notwendig eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen berufs-pflichtwidrigen Verhaltens voraus. Dass der Beschuldigte selbst von einer erheblichen Wahrscheinlichkeit einer nicht vertretbaren Forderungsstellung ausging, zeigt gerade sein Bemühen, den tatsächlichen Untersuchungsgang durch das künstliche, unter Verstoß gegen § 12 Abs.  2 Nr.  1 GOÄ erfolgende Aufteilen einer an einem Tag erbrachten ärzt-lichen Leistung – die jeweilige Durchführung der Ultra-schalluntersuchung – auf erfundene „Leistungsdaten“ zu verschleiern.

2. Der Senat hält die Entziehung des passiven Berufs-wahlrechts, die Auferlegung einer Geldbuße in Höhe von 20.000,00 € (a) und die Veröffentlichung der Entscheidung (b) für eine tat- und schuldangemessene berufsgerichtliche Maßnahme.

a) Die Entziehung des passiven Berufswahlrechts und die Auferlegung einer Geldbuße in Höhe von 20.000,00 € gemäß § 60 Abs. 1 c) und d) HeilBerG NRW ist angemes-sen, weil der Beschuldigte vorsätzlich einen gravierenden Verstoß im Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit begangen hat und ihm eine besonders negative Vorbildwirkung zu-kommt. Nur in der gemäß § 60 Abs.  2 HeilBerG NRW zulässigen Kumulation der Maßnahmen wird nach Ansicht des Senats der Zweck einer spürbaren berufsgerichtlichen Einwirkung auf den Beschuldigten erreicht. Dass der Be-schuldigte auch bis zum Abschluss des berufsgerichtlichen Verfahrens keine Einsicht hinsichtlich des Schuldvorwurfs gezeigt hat, hat der Senat hierbei nicht strafschärfend berücksichtigt.

Allerdings hält der Senat im Verhältnis zur Würdigung durch das Berufsgericht eine moderate Ermäßigung der Geldbuße für angemessen; lediglich insoweit hat die Be-rufung des Beschuldigten Erfolg. Er berücksichtigt hierbei die bisherige berufsrechtliche Unauffälligkeit des Beschul-digten, die lange, nicht vom Beschuldigten zu vertretende Dauer des berufsgerichtlichen Verfahrens vor dem Senat (vgl. zu diesem Milderungsgrund LandesberufsG f. Heil-berufe bei dem OVG Nordrh.-Westf., Urtt. v. 22. 6. 2005 – 6t A 595/04.T –, juris, Rdnr.  23; und v. 10. 3. 2010 – 6t A 712/08.T  –, MedR 2010, 812 [ juris, Rdnr.  114]), die wirtschaftliche Belastung des Beschuldigten durch die ge-genüber seinen vier minderjährigen Kindern bestehenden Unterhaltsverpflichtungen und den zu seinen Gunsten als wahr unterstellten Umstand, dass eine finanzielle Schädi-gung der Patienten in den angeschuldigten Fällen nicht eingetreten ist.

Demgegenüber findet maßnahmemildernd keine weitere Berücksichtigung, dass sich die vorsätzliche Falschabrech-nung durch einen höheren Steigerungssatz oder durch den Ansatz anderer Gebührenziffern in der Summe der Forde-rungen nach der Behauptung des Beschuldigten ggf. hät-te „kompensieren“ lassen. Selbst wenn dies zugunsten des Beschuldigten unterstellt wird, rückt dies die begangenen Berufspflichtverletzungen in kein milderes Licht, weil dem

Beschuldigten kein Vermögensdelikt, sondern eine vor-sätzlich fehlerhafte Rechnungsstellung vorgeworfen wird. Diese ist allerdings in höchstem Maße zu Lasten der Patien-ten und der Versicherungsträger schadensgeneigt.

Ebenso ist es kein Milderungsgrund, dass – wie vom Beschuldigten in der Hauptverhandlung behauptet – das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient durch die Berufspflichtverletzung nicht beeinträchtigt worden sein soll; das Gegenteil ist der Fall, da der Patient neben der gewissenhaften Durchführung der ärztlichen Behandlung auf eine die Vorschriften der GOÄ beachtende Rechnungs-stellung durch den Arzt vertrauen darf. Dieses Vertrauen hat der Beschuldigte mehrfach und hartnäckig missbraucht, wie sich in den vorliegenden Fällen in aller Deutlichkeit zeigt. […]

b) Zudem ist als zusätzliche Maßnahme gemäß § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW auf die Veröffentlichung der Entschei-dung zu erkennen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm liegen vor (aa). Die Antragstellerin ist berechtigt, die vollständige zweitinstanzliche Entscheidung im Ärzte-blatt (bb) unter Nennung des Namens des Beschuldigten zu veröffentlichen (cc).

aa) Gemäß § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW kann in besonde-ren Fällen auf Veröffentlichung der Entscheidung erkannt werden. Ein besonderer Fall liegt regelmäßig dann vor, wenn für ein besonders schwerwiegendes Berufsvergehen eine Maßnahme nach § 60 Abs.  1 HeilBerG NRW ver-hängt wird, eine Kombination der Maßnahmen i. S. des § 60 Abs. 2 HeilBerG NRW nicht ausreicht und der Fall besondere Bedeutung für die Allgemeinheit oder für die in der Kammer zusammengeschlossenen Berufsangehörigen hat (vgl. auch Willms, Das Verfahren vor den Heilberufs-gerichten, 2009, S. 206 f.).

Dieses Verständnis ergibt sich aus der historischen Ent-wicklung der Norm (aaa), ihrer systematischen Einordnung (bbb) sowie ihrem Sinn und Zweck (ccc). Hiernach liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Veröffentli-chungsanordnung vor (ddd).

aaa) Der Norm liegt folgende historische Genese zugrunde:Mit Gesetzentwurf von Landtagsabgeordneten der CDU

und der Zentrumspartei über die Errichtung von Ärzte-kammern und ärztlichen Berufsgerichten im Lande Nord-rhein-Westfalen (Nr. II-1538 v. 28. 3. 1950) wurde in § 17 Nr. 3 vorgesehen:

„In schweren Fällen kann auf Veröffentlichung der Entschei-dung erkannt werden.“

Der Antrag der Fraktion der FDP v. 25. 10. 1950 (LT-Dr. Nr. 78) sah in § 19 Abs. 3 vor:

„In besonderen Fällen kann auf Veröffentlichung der Ent-scheidung erkannt werden.“

Auf Antrag der Fraktionen der CDU und des Zentrums v. 10. 1. 1951 (LT-Dr. Nr. 175) war in § 17 Abs. 3 weiterhin vorgesehen:

„In schweren Fällen kann auf Veröffentlichung der Entschei-dung erkannt werden.“

Im Kurzprotokoll über die 31. Sitzung des Sozialausschus-ses am 22. 6. 1951 (Nr. 349/51) ist der Beschluss festgehal-ten, dass § 17 Abs. 3 unverändert bestehen bleiben solle. Im Einzelnen ist hierzu diskutiert worden:

„Medizinalrat Dr.  C schlägt vor, hier zu formulieren: ‚In geeigneten Fällen usw.‘Abg. N (CDU) warnt vor dieser Formulierung, da dadurch die Möglichkeit einer Verschleierung gegeben sei. Es sei sehr problematisch, festzulegen, was zur Veröffentlichung geeignet

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sei. Er stellt darüber hinaus die Frage, wer darüber zu ent-scheiden habe, was besondere oder schwere Fälle seien.Medizinalrat Dr. C stellt fest, dass das Gericht diese Feststel-lung treffe. Diese Feststellung sei bindend.Abg. G (CDU) bittet um Vertrauen für das Gericht. Die Aufsicht des Justizministers werde eine gewisse Sorg falt in den Erwägungen und Beschlüssen der Verantwortlichen her-beiführen.Der Ausschuß beschließt, die vorgeschlagene Fassung beizu-behalten.“

Der (undatierte) Entwurf des Gesetzes über die Stan des ver-tretun[gen] der Ärzte, Apotheker, Tierärzte, Zahnärzte und Dentisten des Sozialministers NRW (Archiv 0401/1670) sah in § 23 Abs. 3 vor:

„In besonderen Fällen kann auf Veröffentlichung der Ent-scheidung erkannt werden“.

Im Kurzprotokoll über die 41. Sitzung des Sozialausschus-ses v. 19. 10. 1951 (Nr. 489/51) ist festgehalten:

„§ 23Beschluß: Der bisherige Wortlaut wird einstimmig angenom-men.“

Unter dem 9. 11. 1951 legte der Sozialausschuss den Entwurf eines Gesetzes über die Standesvertretungen und die Be-rufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Apotheker, Tierärzte, Zahn-ärzte und Dentisten vor (Landtagsdrucksache Nr. 535). § 23 Abs. 3 lautet:

„In besonderen Fällen kann auf Veröffentlichung der Ent-scheidung erkannt werden“.

Ausführungen zum Gewicht des „besonderen“ Falles lassen sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen.

bbb) In systematischer Hinsicht besteht ein Zusammen-hang mit den repressiven Maßnahmen nach § 60 Abs.  1 HeilBerG NRW. Nur wenn solche verhängt worden sind und auch eine Kumulation nach § 60 Abs.  2 HeilBerG NRW allein zur Ahndung nicht angemessen ist, kann überdies auf eine Veröffentlichung erkannt werden.

ccc) Sinn und Zweck der Maßnahmen nach § 60 Abs. 1 a) bis e) HeilBerG NRW ist vornehmlich die individuel-le Disziplinierung des Kammerangehörigen im Falle eines Berufsvergehens. Hierbei geht es um die Zielsetzung in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 HeilBerG NRW, für die Erhaltung eines hoch stehenden Berufsstandes zu sorgen und die Erfüllung der Berufspflichten der Kammerangehörigen zu überwa-chen sowie die notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung berufsrechtswidriger Zustände zu treffen, die der Kammer als Aufgabe obliegt und in die auch die Berufsgerichte ein-gebunden sind.

Mit § 60 Abs.  3 HeilBerG NRW werden nicht (aus-schließlich) polizei- bzw. ordnungsrechtliche Zwecke – diese sind vielmehr in den Maßnahmen der Bundesärzte-ordnung angelegt –, sondern repressive Ziele verfolgt, die über die Sanktionierung eines begangenen Berufsverge-hens hinaus das künftige Verhalten des Betroffenen beein-flussen können.

Ein „besonderer“ Fall liegt nach dieser Zielsetzung da-nach nur vor, wenn – ausnahmsweise – die in § 60 Abs. 1 a) bis e), Abs. 2 HeilBerG NRW vorgesehenen Sanktionsmit-tel zur Erreichung der angestrebten Ziele nicht genügen. Es muss also ein besonderes Bedürfnis für eine zusätzliche Sanktion bestehen, die mit den Regelmaßnahmen nicht er-reicht werden kann.

ddd) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Das Berufsvergehen wiegt besonders schwer, weil mit ihm in systematischer Weise ein den Vorschriften der

GOÄ widersprechendes Abrechnungssystem verfolgt wor-den ist, dem eine hohe Schadensneigung zulasten der Ver-mögensinteressen der betroffenen Patienten bzw. der Allge-meinheit in Form der Krankenkassenträger, Beihilfeträger o. ä. zukommt, wobei es im vorliegenden Fall auf den kon-kreten Schadenseintritt – wie dargelegt – nicht ankommt. Dessen Ahndung erfordert – wie dargelegt – deutlich spür-bare berufsgerichtliche Maßnahmen in Form der Entzie-hung des passiven Berufswahlrechts und einer erheblichen Geldbuße. Diese Maßnahmen allein sind im vorliegenden Fall jedoch nach Ansicht des Senats nicht ausreichend. Das vom Beschuldigten mit erheblicher Hartnäckigkeit verfolgte und verteidigte, gleichzeitig aber verschleierte Abrechnungssystem ist Ausdruck einer berufsrechtsfeind-lichen Einstellung, die der Zielsetzung des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 HeilBerG NRW diametral zuwiderläuft. Daher ist über die verhängten Maßnahmen hinaus zur individuellen Disziplinierung des Beschuldigten auf die Veröffentlichung der Entscheidung zu erkennen.

bb) Nach § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW ist die Veröffentli-chung der Entscheidung anzuordnen. Der Begriff der Ent-scheidung erfasst das vollständige Urteil und nicht nur die Entscheidungsformel (aaa). Die Veröffentlichung kommt allerdings nur bezogen auf rechtskräftige berufsgerichtliche Entscheidungen in Betracht (bbb). Die Veröffentlichung kann nur im Veröffentlichungsorgan der antragstellenden Kammer erfolgen (ccc). Diese ist grundsätzlich zur Veröf-fentlichung verpflichtet (ddd).

aaa) Der Begriff der „Entscheidung“ in § 60 Abs.  3 HeilBerG NRW erfasst das Urteil und nicht nur die Ent-scheidungsformel. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass entgegen dem herkömmlichen Begriffsverständnis unter Entscheidung nur die Entscheidungsformel oder die Ver-urteilung fallen sollen, wie dies z. B. in Art. 67 Abs. 4 S. 1 BayHKaG vorgesehen ist. Zu veröffentlichen ist daher im Grundsatz die gesamte, vollständige Entscheidung.

bbb) Das Berufsgericht darf nur auf die Veröffentlichung der rechtskräftigen Entscheidung erkennen. Hierfür müs-sen die Rechtsmittelfristen für die Beteiligten abgelaufen, mithin formelle und materielle Rechtskraft eingetreten sein. Hoheitsträger sind von Verfassungs wegen nur zu wahrheitsgemäßen Veröffentlichungen befugt. Dement-sprechend darf nur die in Rechtskraft erwachsene Versi-on der Verurteilung veröffentlicht werden. Im Falle einer zweitinstanzlichen Entscheidung, gegen die ordentliche Rechtsbehelfe nicht mehr gegeben sind, kommt daher grundsätzlich nur deren Veröffentlichung in Betracht. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn die zweitinstanzliche Entscheidung – wie hier – in einer Sachentscheidung be-steht und sich nicht in einer bloßen Zurückweisung der Berufung, z. B. aus prozessualen Gründen, erschöpft.

ccc) Als Veröffentlichungsorgan kommt nur dasjenige nach der Hauptsatzung hierfür vorgesehene Veröffentli-chungsorgan der antragstellenden Kammer, hier das S. Ärz-teblatt, in Betracht. Da es sich bei der Berufsgerichtsbarkeit um eine Standesgerichtsbarkeit handelt, die der Wahrung der Interessen der in einer Kammer zusammengeschlosse-nen Berufsangehörigen dient, ist die Veröffentlichung einer Entscheidung, selbst wenn sie von größerem überregionalen Interesse wäre, auf das Veröffentlichungsorgan beschränkt, das von der jeweiligen Kammer herausgegeben wird.

ddd) Die Antragstellerin ist nach der gesetzlichen Syste-matik zur Veröffentlichung zu verpflichten. Bei dem Aus-spruch nach § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW handelt es sich um eine berufsgerichtliche Maßnahme, die nicht in das Ermes-sen der Antragstellerin zu stellen ist. Im vorliegenden Fall hat das Berufsgericht jedoch lediglich die Berechtigung der Antragstellerin zur Veröffentlichung ausgesprochen. Eine entsprechende Verpflichtung der Antragstellerin würde sich gegenüber dem Beschuldigten als eine Verböserung der Entscheidung darstellen, die – nachdem der Beschul-

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digte das Rechtsmittel eingelegt hat – nicht zulässig ist (vgl. § 99 Abs. 3 HeilBerG NRW). Daher verbleibt es im konkreten Fall bei der vom Berufsgericht ausgesprochenen Berechtigung der Antragstellerin zur Veröffentlichung.

cc) Die Entscheidung ist in nicht anonymisierter Form zu veröffentlichen. Die Frage, ob die Entscheidung anonymi-siert veröffentlicht werden muss oder unter ausdrücklicher Nennung des Namens des Beschuldigten veröffentlicht werden darf, ist in § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW nicht aus-drücklich geregelt. Sie wirft, soweit sie die Rechtssphäre des Beschuldigten und nicht diejenige der zur Veröffent-lichung verpflichteten Ärztekammer betrifft, verfassungs-rechtliche Fragen vor allem mit Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art.  1 Abs.  1 GG), aber auch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) auf.

Auch wenn sich das Heilberufsgesetz NRW nicht aus-drücklich zu dieser Frage verhält, liegt ihm offenbar die Er-wägung zugrunde, dass mit der Wendung „Veröffentlichung der Entscheidung“ die konkrete, invidualisierte, gegenüber dem Beschuldigten ergangene Entscheidung gemeint ist; eine Anonymisierung der Daten des Beschuldigten schlösse dies aus. Einer solchen Veröffentlichung käme eine indivi-duelle Disziplinierungsfunktion, im weiteren Sinne auch eine Warnfunktion gegenüber den anderen Kammerange-hörigen und ggf. eine Schutzfunktion zugunsten der Pati-enten zu. Hierfür spricht, dass die Veröffentlichungsbefug-nis im systematischen Zusammenhang mit dem Kanon der berufsgerichtlichen Maßnahmen des § 60 Abs. 1 HeilBerG NRW steht. Sie schließt an § 60 Abs. 2 HeilBerG NRW an, wonach bestimmte Maßnahmen kombiniert werden dürfen. Zudem wäre die Veröffentlichung einer anony-misierten Entscheidung im Veröffentlichungsorgan der Kammer ohnehin jederzeit möglich, da an gerichtlichen Entscheidungen kein Urheberrecht besteht; sie ist nach der Erfahrung des Senats bezogen auf allgemein interessieren-de berufsrechtliche Fragestellungen auch weithin üblich. Einer gerichtlichen Anordnung bedürfte es dann nicht, es sei denn, ihr Sinn und Zweck läge darin, die Kammer ggf. gegen ihren Willen zu veranlassen, eine berufsgerichtliche Entscheidung zu veröffentlichen. Diese Zielrichtung lässt sich § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW allerdings nicht beilegen.

Lassen der Wortlaut des § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW und seine Zielrichtung eine nicht-anonymisierte Veröffentli-chung zu, kommt ihr eine nicht zu unterschätzende Pran-gerwirkung gegenüber dem Beschuldigten zu, wie sie an-deren Rechtsbereichen – insbesondere dem vergleichbaren Disziplinarrecht oder Strafrecht – fremd ist (vgl. in anderem Regelungszusammenhang § 103 S.  1 UrhG). Für die Be-rufsgerichtsbarkeit gilt allerdings im Grundsatz dasselbe wie für das Disziplinarrecht: Solche Sachen genießen sowohl im persönlich-privaten Interesse des Betroffenen als auch im be-ruflichen Interesse einen besonderen Vertraulichkeitsschutz. Die hierbei anfallenden personenbezogenen Daten sind durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprä-gung als Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung besonders geschützt. Sie dürfen nur auf gesetzlicher Grund-lage unter strikter Beachtung der Schutzwirkungen des Grundrechts offenbart werden (aaa) (vgl. für das Disziplinar-recht der Soldaten BVerwG, Beschl. v. 4. 4. 2007 – 2 WDB 6/06 –, BVerw GE 128, 295 [ juris, Rdnr. 35]).

Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten muss zudem vom Gesetzgeber hinsichtlich Inhalt und Umfang der Beeinträchtigung hinreichend konkret bestimmt sein (bbb). Die Regelung muss verhält-nismäßig sein (ccc). Diesen Maßstäben genügt § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW in seiner obigen vom Senat vorgenomme-nen restriktiven tatbestandlichen Auslegung (ddd).

aaa) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der be-sonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen

aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persön-lichkeit nicht nachstehen. Einer solchen lückenschließen-den Gewährleistung bedarf es insbesondere, um neuarti-gen Gefährdungen zu begegnen, zu denen es im Zuge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und gewandelter Lebensverhältnisse kommen kann. Die Zuordnung eines konkreten Rechtsschutzbegehrens zu den verschiedenen Aspekten des Persönlichkeitsrechts richtet sich daher vor allem nach der Art der Persönlichkeitsgefährdung, die den konkreten Umständen des Anlassfalls zu entnehmen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13. 6. 2007 – 1 BvR 1550/03 u. a. –, BVerfGE 118, 168 [ juris, Rdnr. 85]).

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht trägt in seiner Aus-prägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rech-nung, die sich unter den Bedingungen moderner Daten-verarbeitung aus informationsbezogenen Maßnahmen ergeben. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Spei-cherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher vom Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grund-recht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Der Schutzum-fang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung be-schränkt sich nicht auf Informationen, die bereits ihrer Art nach sensibel sind und schon deshalb grundrechtlich ge-schützt werden. Es gibt angesichts der Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten kein schlechthin, also unge-achtet des Verwendungskontextes, belangloses personenbe-zogenes Datum (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24. 1. 2012 – 1 BvR 1299/05 –, NJW 2012, 1419 [ juris, Rdnr. 122]; grundle-gend BVerfG, Urt. v. 15. 12. 1983 – 1 BvR 209/83 u. a. –, BVerfGE 65, 1 [ juris, Rdnrn. 145 ff.]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 11. Aufl. 2011, Art. 2, Rdnrn. 42 ff.).

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst die Freiheit zu entscheiden, wie man sich in der Öffentlichkeit darstellt. Dagegen verleiht es seinem Träger keinen Anspruch, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder von anderen gesehen werden möchte. Wohl aber schützt es ihn gegenüber entstellenden oder verfälschenden Darstellungen sowie gegenüber Darstellungen, die die Per-sönlichkeitsentfaltung erheblich beeinträchtigen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8. 4. 1999 – 1 BvR 2126/93 –, NJW 1999, 2358 [ juris, Rdnr. 28]).

Der Schutz, den Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG vermittelt, hängt nicht davon ab, dass die Aussagen über eine Person unwahr sind. Er greift vielmehr auch, wenn die Aussagen wahr sind und deshalb zum Anknüpfungs-punkt einer sozialen Ausgrenzung und Isolierung werden. Der Schutz der Persönlichkeit hat die Aufrechterhaltung der Grundbedingungen sozialer Beziehungen zwischen dem Grundrechtsträger und seiner Umwelt zum Ziel (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24. 3. 1998 – 1 BvR 131/96 –, BVerfGE 97, 391 [ juris, Rdnr. 49]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grund-gesetz, 11. Aufl. 2011, Art. 2, Rdnr. 53).

Einschränkungen des Rechts auf „informationelle Selbst-bestimmung“ sind nur im überwiegenden All ge mein in-teresse zulässig. Sie bedürfen einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen muss. Bei seinen Rege-lungen hat der Gesetzgeber ferner strikt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. BVerfG, Urt. v. 15. 12. 1983 – 1 BvR 209/83 u. a. –, BVerfGE 65, 1 [ juris, Rdnr. 151]; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 11. Aufl. 2011, Art. 2, Rdnr. 60).

bbb) Ermächtigt eine gesetzliche Regelung zu einem Ein-griff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so hat das Gebot der Bestimmtheit und Klarheit auch die spezi-fische Funktion, eine hinreichend präzise Umgrenzung des

Rechtsprechung696 MedR (2013) 31: 690–697

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Verwendungszwecks der betroffenen Informationen sicher-zustellen. Auf diese Weise wird das verfassungsrechtliche Ge-bot der Zweckbindung der erhobenen Information verstärkt. Anlass, Zweck und Umfang des jeweiligen Eingriffs sind dabei durch den Gesetzgeber bereichsspezifisch, präzise und normenklar festzulegen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24. 1. 2012 – 1 BvR 1299/05 –, NJW 2012, 1419 [ juris, Rdnr. 169]).

ccc) Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die-ser mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz folgt bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher In-teressen unerlässlich ist. Angesichts der Gefährdungen durch die Nutzung der automatischen Datenverarbeitung hat der Gesetzgeber mehr als früher auch organisatorische und ver-fahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Ge-fahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwir-ken (vgl. BVerfG, Urt. v. 15. 12. 1983 – 1 BvR 209/83 u. a. –, BVerfGE 65, 1 [ juris, Rdnr. 151]; Beschl. v. 14. 12. 2000 – BvR 1741/99 u. a. –, BVerfGE 103, 21 [ juris, Rdnr. 51]).

Das Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung hängt von der Breitenwirkung der diskriminierenden Folgen ab. Diese kann je nach dem Bekanntheitsgrad des Betroffenen unter-schiedlich ausfallen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24. 3. 1998  – 1 BvR 131/96 –, BVerfGE 97, 391 [ juris, Rdnr. 51]).

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ist auch die von der Veröffentlichung ausgehende und auch bezweckte Pranger-wirkung zu beachten. Prangerwirkung i. S. der zivilgericht-lichen Rechtsprechung, die das BVerfG im Spannungsver-hältnis zwischen Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich aufgegriffen hat, ist dann zu erwägen, wenn ein nach Auffassung des Äußern-den beanstandungswürdiges Verhalten aus der Sozialsphäre einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wird und sich dies schwerwiegend auf Ansehen und Persönlichkeits-entfaltung des Betroffenen auswirkt, was insbesondere dort in Betracht kommt, wo eine Einzelperson aus der Vielzahl derjenigen, die das vom Äußernden kritisierte Verhalten gezeigt haben, herausgehoben wird, um die Kritik des als negativ bewerteten Geschehens durch Personalisierung zu verdeutlichen. Dabei kann die Anprangerung dazu führen, dass die regelmäßig zulässige Äußerung einer wahren Tatsa-che aus der Sozialsphäre im Einzelfall mit Rücksicht auf die überwiegenden Persönlichkeitsbelange des Betroffenen zu untersagen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18. 2. 2010 – 1 BvR 2477/08 –, NJW 2010, 1587 [ juris, Rdnr. 25] m. w. N.).

Die Personalisierung eines Sachanliegens in anklagender Weise ist aber in solch unterschiedlicher Form und Intensität möglich, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die für sie streiten-den Gründe stets zurücktreten zu lassen. Auch insoweit ist vielmehr eine Abwägung erforderlich, bei der es eine Rolle spielt, ob die Privatsphäre des Betroffenen oder sein öffent-liches Wirken mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von der Äuße-rung ausgehen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8. 4. 1999 – 1 BvR 2126/93 –, NJW 1999, 2358 [ juris, Rdnr. 32]).

Ist in diese Verhältnismäßigkeitsprüfung im Verhältnis zwischen Privaten zugunsten des Äußernden das Gewicht des Grundrechts des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG einzustellen, ist dies im Bereich einer Anprangerung durch mit Hoheitsbefugnis-sen ausgestattete und grundrechtsverpflichtete Funktionsträ-ger allerdings nicht zulässig. Hieraus ergibt sich in Anleihe zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu regierungs-amtlichen Warnungen der Grundsatz, dass Art. 12 Abs. 1 GG nicht vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen schützt, die für das wettbewerbliche Verhal-ten der Marktteilnehmer von Bedeutung sein können, selbst wenn die Inhalte sich auf einzelne Wettbewerbspositionen

nachteilig auswirken (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26. 6. 2002  – 1 BvR 558/91 u. a. –, BVerfGE 105, 252 [ juris, Rdnr. 42]).

ddd) Ausgehend von diesen verfassungsrechtlichen Maß-stäben ist auf der Grundlage der oben sub aa) und bb) dar-gelegten restriktiven tatbestandlichen Auslegung des – vom Wortlaut recht weit gefassten – § 60 Abs. 3 HeilBerG NRW die Veröffentlichung der Entscheidung unter Nennung des Namens des Beschuldigten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; die Norm genügt, soweit die Einzelfallum-stände sorgfältig in den Blick genommen werden, sowohl mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG als auch mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG dem Bestimmt-heitsgebot und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere ist bei der Maßnahmebemessung im Einzel-fall der Begründung des „besonderen Falls“ besondere Be-deutung beizumessen, der nur im Ausnahmefall unter den oben dargelegten restriktiven Voraussetzungen angenom-men werden kann. Zudem dient die Begrenzung der Veröf-fentlichung auf rechtskräftige Verurteilungen, die allein im Veröffentlichungsorgan der antragstellenden Kammer er-folgen darf, der weiteren, insbesondere dem Verhältnismä-ßigkeitsgrundsatz genügenden Sicherung der Grundrechte des Beschuldigten. Die Veröffentlichung mit Namensnen-nung erscheint aus den oben sub 2. b) aa) ddd) genannten Erwägungen auch im konkreten Fall verhältnismäßig.

Der Senat weist darauf hin, dass die in der Entscheidung enthaltenen personenbezogenen Daten Dritter vor der Ver-öffentlichung durch die Antragstellerin derart zu verändern sind, dass diese Daten nicht mehr einer Person zugeordnet werden können.

Ansprüche der Krankenhäuser auf Vergütung für Herzklappenersatz sowie auf Zuschläge für Zentren und Schwerpunkte

KHEntgG §§ 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 4, 5 Abs. 3, 8 Abs. 1 S. 3 u. 4, 11 Abs. 1 S. 1; WBO Hessen; SGB V § 2 Abs. 1 S. 3

1. a) Der Herzklappenersatz im Wege transfemora-len Vorgehens ist entsprechend der Weiterbildungs-ordnung nicht der Herzchirurgie, sondern der Inneren Medizin – Kardiologie – zugewiesen.

b) Erforderlich ist eine Kooperation des Kardiologen mit einem Herzchirurgen: Dieser muss während des Eingriffs unmittelbar verfügbar und weitere 24 Std. im Umkreis von max. 15 Min. erreichbar sein.

2. a) Die Vereinbarung (bzw. Schiedsstellen-Festset-zung) von Zuschlägen für Brust- und geriatrische Zen-tren und Schwerpunkte ist bundesrechtlich vorgegeben.

b) Ob überhaupt eine landesplanerische Kompetenz zur Ausweisung von Zentren und Schwerpunkten be-steht, ist zweifelhaft. Die bundesrechtlich angelegte Möglichkeit zu deren Förderung darf jedenfalls nicht durch landesrechtliche Nichtausweisung unterlaufen werden.

c) Das Vorliegen eines Zentrums bzw. Schwerpunk-tes erfordert eine Zentralfunktion i. S. der Ausrichtung anderer Krankenhäuser auf dieses Krankenhaus.Schiedsstelle für die Festsetzung der Krankenhauspflegesätze in Hessen, Beschl. v. 21. 5. 2013 – Sch. 04/2013 (2012)

Problemstellung: In den Verhandlungen zwischen einem Krankenhaus und den Krankenkassen um das Fi-nanzbudget für das jeweils nächste Jahr gibt es zahlreiche

Eingesandt und bearbeitet von RiBSG i. R. Prof. Dr. iur. Thomas Clemens, Burgfeldstraße 9, 34131 Kassel, Deutschland

Rechtsprechung MedR (2013) 31: 697–702 697


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