Date post: | 05-Apr-2015 |
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Verhaltensstörungen
empirische Befunde, theoretische Erklärungsmodelle und diagnostische Konsequenzen
Häufigkeit von Verhaltens-störungen I
Metaanalyse verschiedener Lehrerbefragungen in den USA (Kaufmann 1989):- 20 – 30% „problematische Schüler“- ca. 7% „schwere Fälle“
Medizinische Untersuchungen in den USA (National Institut of Medicine, Washington 1989): - 12% schwere psychische Störungen
Metaanalyse verschiedener medizinischer Untersuchungen in der BRD (Myschker 1993):- 12,5 – 31% psychische Störungen
Häufigkeit von Verhaltens-störungen II
Deutscher Bildungsrat 1973:-1% verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche- 4 –5% von Verhaltensstörung bedroht
Staatl. Anerkannter sonderpädagogischer Förderbedarf in den USA („seriosly emotionally disturbed“) (Bahr 1989):- 1% verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche
Metaanalyse wissenschaftlicher Studien in der BRD zu speziellen Auffälligkeiten (Borchert 1996):Aggression 2 –10%Delinquenz 4 – 10%Aufmerksamkeitsstörung 2 – 5%Angst 2 – 5%
Grundkomponenten des Verhaltens und Erlebens
Individuale Disposition
somatischemotionalkognitiv
Bedingungen des Verhaltens und Erlebens
materiellsozialkulturell
Anforderungen des Umfeldes
Inhaltlich formal
Quelle: Bach: Grundlagen der Sonderpädagogik. Verlag Paul Haupt; Bern, Stuttgart, Wien 1999, S. 13
Klassifikationsansätze von Verhaltensstörungen
-externalisierende und internalisierende Verhaltensstörungen
-primäre und sekundäre Verhaltensstörungen
•Aggression, •Hyperaktivität, •Regression, •Delinquenz, •Sucht•Angst
Verstoß gegen Regeln •der Schule,•des Unterrichts,•der Eltern,•der Gemeinschaft,•der Gesellschaft
VerhaltensbeeinträchtigungPseudoverhaltensstörung-unterstellte Verhaltensstörungen-Wahrnehmungsfehler des Beobachters-Unangemessener Beurteilungsmaßstab- zufälliges Verhalten- Verhalten unter Zwang- Unkenntnis der Norm
Verhaltensstörung
Verhaltensbehinderung-extrem autistisch,-Psychotisch,-Auf Grund von Hirnschädigungen auftretend
Quelle: (Bach: Verhaltensstörungen und ihr Umfeld. In: Goetze/Neukäter (Hrsg.): Pädagogik bei Verhaltensstörungen. Wissenschaftsverlag Volker Spiess; Berlin, 1993 S. 8)
„Unter Verhaltensstörung soll die Art des Umgangs eines Menschen mit anderen, mit sich selbst und mit Sachen verstanden werden, die von der erwarteten Handlungsweise negativ abweicht, indem sie als sinnvolle Zustände oder Handlungsabläufe, Zusammenleben oder individuale Entwicklung gefährdend, beeinträchtigend oder verhindernd angesehen wird“
(Bach: Verhaltensstörungen und ihr Umfeld. In: Goetze/Neukäter (Hrsg.): Pädagogik bei
Verhaltensstörungen. Wissenschaftsverlag Volker Spiess; Berlin, 1993 S. 6)
Erzieherischer Anspruch
„Der speziell sonderpädagogische Aspekt vorliegender Verhaltensstörungen liegt in der Frage nach den erzieherischen Möglichkeiten, Zielen und Verfahren einer Anbahnung fehlender oder einer Korrektur negativ wirkender Dispositionen von Personen“ (Bach 1999, S. 9).
Normabhängigkeit von Verhaltensstörungen
Normüberschreitung(zu häufig, stark, lange)
Toleranzbereich
Norm
Toleranzbereich
Normunterschreitung (zu selten, schwach, kurz, gar nicht)
NormenStatistische NormDie Tatsache, dass dieser oder jener Deutsche über 40 Jahre nicht täglich Sport treibt, entspricht einer statistischen Norm
IdealnormDie Forderung, dass sich alle Deutschen über 40 Jahre jeden Tag sportlich betätigen sollen, setzt eine Idealnorm
Funktionale NormTreibt jemand täglich Sport, wobei es ihm um seine körperliche Gesundheit geht, ihm aber gleichgültig ist, was andere tun, so richtet er sich nach einer funktionalen Norm
Quelle: Mutzeck: Verhaltensgestörtenpädagogik und Erziehungshilfe. Klinkhardt; Bad Heilbrunn 2000, S. 18
Erklärungsmodelle
- medizinische Sichtweise- psychoanalytische Sichtweise- individualpsychologische Sichtweise- Erklärungsmodell der humanistischen
Psychologie- soziologische Sichtweise- ökologische Sichtweise- lerntheoretische Sichtweise- kommunikationstheoretische
Sichtweise
Medizinische Sichtweise
Verhaltensstörungen resultieren aus Schädigun-gen oder Besonderheiten des Organismus
- Anlagebedingte Verhaltensstörungen (z.B. Charakter)- Störendes Verhalten als Symptom einer Krankheit (z.B. Unkonzentriertheit durch Schlafstörungen, ...)- Störende Verhaltensweisen aufgrund falscher Ernäh-rung (z.B. Aggressivität wegen Phosphorüberschuss)
Psychoanalytische SichtVerhaltensstörungen sind Symptome tiefer liegender, relativ konstanter Persönlichkeitsstörungen (z.B. der Triebstruktur, der Motivation, der Steuerungssysteme).
Sie entstehen durch ungelöste Entwicklungsaufgaben (Erikson) oder traumatische Erlebnisse in der Kindheit, die verdrängt wurden (Freud). Das Verhältnis von „Ich“ – „Es“ – „Über-Ich“ ist gestört.
Individualpsychologische Sichtweise
Jeder Mensch verfügt über einen „Lebensplan“, der sich in der Kindheit (5 –6 Jahre) herausgebildet hat.
Zwei zentrale Motive: - Überwindung der eigenen Mangelhaftigkeit, - Streben nach Zugehörigkeit zur
Gemeinschaft.
Die Überbetonung eines der beiden Motive führt zu Verhaltensstörungen (Adler)
Das Lebenskonzept
Gesamtidee
Idee von Mir LebensideeWesen der Gesellschaft
Idee der Seele
Idee der Welt
Lebensgrundplan des Menschen
Wahrnehmungs-und Erlebensmuster
Handlungsstrategien
Zielsetzung
Meinungen, Wertungen, Vorstellungen
Wahrnehmungsverzerrung
Informationen über eigenes Handeln werden nur aufgenommen, wenn sie das Selbstbild stützen. Andernfalls werden sie
- nicht wahrgenommen, - umgedeutet im Sinne der
Selbstbestätigung, - abgewertet.
Diagnostische Konsequenzen
Stabilität des individuellen SelbstwertgefühlsGrad des Realitätsbezugs der WahrnehmungErfolgreiche und sozial anerkannte HandlungsmusterGrad der Gemeinschaftsbezogenheit
Erklärungsmodell der humanistischen Psychologie Personen vermeiden die Selbstauseinandersetzung, sie ist zu schmerzhaft;Personen suchen ihr Fühlen nicht zu beachten, das hängt mit geringer Selbstachtung zusammen;Personen suchen sich im Zusammensein mit anderen durch Unechtsein, Fassade, Rolle, Tarnung zu schützen;Im Stadium geringer Selbstachtung und ungünstigen Selbstkonzepts sind Personen nicht fähig oder willens, für sich selbst zu sorgen (vgl. Tausch/Tausch 1990, S. 302)
Soziologische Sichtweise
z.B.: labeling approach:
Aufgrund von Einzelbeobachtungen werden einem Menschen von einem Beobachter in Machtposition pauschale Urteile zugeschrieben. Damit ändern sich die Verhaltenserwartungen an den Menschen im Machtbereich des Beobachters. Der Mensch passt sein Verhalten diesen Erwartungen an.
Soziologische Sichtweise II
Das Milieu, in dem das Kind aufwächst, begünstigt bestimmte Verhaltensweisen, die in anderen Milieus als Störung empfunden werden.
Schule ist mittelschichtdominiert!
Ökologische Sichtweise
Abweichendes Verhalten entsteht durch wechsel-seitige Störungen der Anpassung des Menschen an seine Umwelt.
Ökosysteme befinden sich im Gleichgewicht, d.h. die Kind-Umwelt-Beziehungen sind harmonisch.
Verhaltensänderungen beim Kind können nur bewirkt werden, wenn das Kind-Umwelt-System insgesamt verändert wird.
Lerntheoretische Sichtweise
Verhalten wird im wesentlichen gelernt: Verhalten wird durch die vorausgehenden Ereignisse (Präsequenzen) direkt und die folgenden Ereignisse (Konsequenzen) indirekt gesteuert. Erfolgreiches Verhalten wird in vergleichbaren Situationen wiederholt.
kommunikationstheoretische Sicht
Verhaltensstörungen entstehen aus Kommunikationsstörungen:
- Nichtbeachtung des Beziehungsaspektes,
- unterschiedliche Interpunktionen, - unterschiedliche Interpretation der
Signale.