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missionszentrale der franziskaner e.V. Der Draht zu Gott Gebet in den abrahamitischen Religionen 116 Grüne Reihe
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Der Draht zu Gott Gebet in den abrahamitischen Religionen

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Der Draht zu Gott Gebet in den abrahamitischen Religionen

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Impressum Heft 116, April 2017

Herausgeber: Missionszentrale der Franziskaner e.V.V.i.S.d.P.: P. Matthias Maier OFM

Redaktion und Anschrift: Albertus-Magnus-Str. 3953177 Bonn

Postfach 20 09 5353139 Bonn

Telefon: 0228 / 95354 – 0Telefax: 0228 / 95354 – [email protected]://www.mzf.org

Abbildungsnachweis: Umschlag:Franziskaner beim Gebet, Natanael Ganter

Bankverbindung: Sparkasse KölnBonnIBAN: DE83 3705 0198 0025 0014 47

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Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort P. Matthias Maier ofm 5

Einführung in das Gebet P. Hermann Schalück ofm 6

Teil 1: Basistexte

I. Das Christliche Gebet Thomas M. Schimmel 12

II. Die Praxis des Stundengebets- Die Tagzeitenliturgie in der katholischen Kirche P. Stefan Federbusch ofm 19

III. Gebet im Judentum Thomas M. Schimmel 22

IV. Das Gebet im Islam Juanita Villamor-MeyerThomas M. Schimmel 34

Teil 2: Teilnehmende Beobachtungen

V. Heute ist der Tag Gottes- Beobachtungen einer Muslimin während einer katholischen Messfeier Feride Funda Gencaslan 43

VI. Christliche Wissenschaft- Die Worte „Pastor“ und „Kommunion“ haben eine andere Bedeutung Juanita Villamor-Meyer 48

VII. Kabbalat SchabbatMein Besuch in der Synagoge zum Freitagsgottesdienst Alexandra Dornhof 53

VIII. Besuch der Ahmadiyya-Moschee Tabea Perger 57

IX. Was ich „verstehe“, wenn ich nichts verstehe.Zikir-Gottesdienst in der Nurettin-Cerrahi Tekke Ernst Keim 60

Autorinnen und Autoren 63

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Vorwort 5

Im Gebet drückt der Mensch seine Bezie-hung zu Gott aus. Zu allen Zeiten und in al-len Religionen haben Menschen gebetet.Entsprechend groß ist die Vielfalt, in denendas Beten seinen Ausdruck findet.

Dieses Grüne Heft widmet sich dem Gebetin den abrahamitischen Religionen. Es sollgezeigt werden, auf welch unterschiedlicheWeise Menschen sich mit ihrem Lobpreis,ihren persönlichen Sorgen und Nöten undihren Bitten an Gott wenden.

Im ersten Teil dieses Heftes wird Grund-sätzliches zum Gebet gesagt.

Der zweite Teil will Formen und Rituale desGebetes in den großen Religionen Christen-tum, Judentum und Islam aufzeigen.

Der dritte Teil enthält einige Texte, die inForm der teilnehmenden Beobachtung ent-standen sind. Die Autorinnen und Autorenhaben sich auf das Abenteuer eingelassen,Gottesdienste z.T. anderer Religion zu be-suchen und in persönlichen Texten ihre Ein-drücke von den Besuchen niederzuschrei-ben. Hierbei handelt es sich nicht umwissenschaftliche Texte im engen Sinn, son-dern um Momentaufnahmen, die nicht nurdeutlich machen, auf welch unterschiedlicheWeise sich Menschen versammeln, um Gottzu loben und zu preisen sondern auch, wiedies von Menschen mit anderem spirituel-lem Hintergrund empfunden wird.

Br. Matthias Maier OFM

Vorwort

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Wie wir beten können

Das Gebet stellt zunächst ein allgemeinmenschliches und religiöses Problem dar.Quer durch alle Religionen ist es eine Tat-sache, dass Menschen beten. Deswegen hatman das Gebet als ein Grundexistential desMenschen bezeichnet. Mit „Existential“bezeichnet die moderne Philosophie (Mar-tin Heidegger) die wesentliche Bestimmungdes Menschen oder im Menschen, ohne dieer eben nicht Mensch wäre. Diese Richtunggeht phänomenologisch vor: Sie beschreibtdie Befindlichkeiten wie Angst, Liebe,Scham, Furcht. Das Gebet wäre also in die-sem Sinn ein Ausdruck des Menschseins.Dieser Aspekt kann verschüttet, vielleichtauch bewusst aufgegeben werden. Aber esist eine Tatsache, dass sich das Gebet in be-stimmten Momenten zurückmelden kann,etwa als „Stoßgebet“.

Auf jeden Fall ist das Gebet Ausdruck derTatsache, dass der Mensch die Grundfähig-keit (Existential) der Kommunikation be-sitzt. Gemeint ist damit die Kommunikationnicht nur in Worten, sondern auch in Gestenund Körperhaltungen. Ja, auch Schweigenkann ein Akt der Kommunikation sein. Je-mand hat gesagt, Gebet sei ein „geschöpfli-cher Grundakt“ (Ferdinand Ulrich), alsoAusdruck des Bestrebens, die Begrenzun-gen, die er erfährt, zu überschreiten, etwaseine Hinfälligkeit und Sterblichkeit.

Gebet ist weiter in allen Religionen ein Aus-druck von Zuwendung, d. h. der Suche nacheinem Gegenüber. Die Religionsphilosophie(Friedrich Heiler) spricht etwa von einem„Gebetsdrang“, einem „unausrottbaren Ge-betstrieb“ des Menschen. Wir können also

das Gebet als ein ursprüngliches, dem Men-schen mitgegebenes dialogisches Gesche-hen bezeichnen, das mit dem Wesen unddem Dasein dem Menschen gegeben ist.

Natürlich kennen wir auch einige Leitworteder Religions- und Gebetskritik. Sie hat dasGebet radikal in Frage gestellt und sieht da-rin nichts anderes als eine denkerische Not-lösung, als Selbstbetrug oder Selbsttäu-schung. Weiter gilt das Gebet nicht selten alsZwanghaftigkeit, als ein fetischistisch – ma-gisches – automatisches Geschehen. Umsodringender ist es deshalb, das christliche Ge-bet von seinem Ursprung her zu begründen.

Judentum und Christentum

Von Anfang an ist es wichtig anzuerkennen,wie sehr das christliche Gebet mit der jüdi-schen Tradition verwandt ist. Beide – Ju-dentum wie Christentum – haben ja den-selben Ursprung und deshalb auchmannigfaltige Gemeinsamkeiten in derTheologie und Praxis des Gebetes. Bleibenwir zunächst im Alten Testament: Die bib-lischen Kennzeichen des Gebets sind mit de-nen des modernen Verständnisses durchausverwandt: Gemeint ist ein „Existential“ derSchöpfung. Das heißt: Alles was Atem,Geist und Seele hat, besitzt auch eine Stim-me und Fähigkeit zum Beten. Es ist so, alsob das Lob Gottes und der Dank für die jeeigene Existenz in allem steckt, was ge-schaffen ist. Der Mensch ist gleichsam derVorbeter und Chorleiter. In Psalm 8 heißt esetwa: „Herr, unser Herrscher, wie gewaltigist dein Name auf der ganzen Erde. Seh’ ichden Himmel, das Werk deiner Finger, Mondund Sterne, die du befestigt. Was ist der

6 Einführung in das christliche Gebet

EINFÜHRUNG IN DAS CHRISTLICHE GEBET

Hermann Schalück

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Mensch, dass du seiner gedenkst, des Men-schen Kind, dass du dich seiner annimmst?Du hast ihn nur wenig geringer gemacht alsGott, hast ihn mit Herrlichkeit und Machtgekrönt.“ Dieses im Alten Testament vor-findliche Beten ist in erster Linie das Stau-nen über die Schönheit und Ordnung desKosmos und des Menschen. Es bezieht Ster-ne, Himmel, Regen, Wolken und Hagel ein,Wachstum und Ernte. Es fußt auf der Vo-raussetzung, dass Gott überall ist und dasser in seiner Schöpfung und in seinen Wegenmit dem Menschen grundsätzlich erkennbarund auch ansprechbar bleibt. Auch wenn esim Alten Testament immer wieder heißt,dass Gott ein „verborgener Gott“ sei.

Beten als Rufen

Durch das Alte Testament zieht sich wie einLeitfaden die Erfahrung, dass Beten im „Zu-ruf“ geschieht und das Miteinander von Gottund Beter charakterisiert. Das kann man-cherlei bedeuten, nämlich zurufen und he-rausrufen, anrufen und herbeirufen. Auchdas Zusammenrufen ist gemeint. Der Beterkennt Aufrufe, Hilferufe, Notrufe und Freu-denrufe (vgl. Ps 14,4; 27,7; 31,18). Dem Ru-fen des Menschen entspricht bei Gott dasHören. Gott hört. Er er-hört. Dieses Hörenist für ihn maßgebend. Bei Jesaia heißt esdementsprechend: „Schon ehe sie rufen, ge-be ich Antwort. Während sie noch reden, er-höre ich sie“ (Jes 65,24). Der Gott, der denRuf des Beters hört, ist „ganz Ohr“. Augus-tinus sagt: „Gott hat sein Ohr an deinemHerzen“. Gott ist ein hörender, dem Men-schen und der Schöpfung zu-hörender Gott.Ein sie erhörender Gott. Das ist bis heute auch im Christentum gül-tig. Eine Initiative junger Christen in Paläs-tina entstand angesichts der jüngsten Eska-lationen von Gewalt. Bashar Fawadleh,Seelsorger in

Palästina, betont, dass das Gebet vor allemdem Frieden in Jerusalem gelte, der „heili-gen Stadt des Friedens, die in diesen Tagenerneut zum Schauplatz von blutiger Gewalt,Unterdrückung und Tod geworden ist. Zudem Gebet sind alle Menschen eingeladen,auch Nicht-Christen: „Wir würden uns freu-en, wenn auch Muslime und Juden kommenwürden, damit wir gemeinsam zu Gott demAllmächtigen und Barmherzigen beten, da-mit er die Herzen der Menschen berührt undalle von Hass, Angst und Rachegefühl be-freit“,

Beten als Loben und Klagen

Biblisches Beten hat das Leitwort: „Schönist es, Gott zu loben“ (Ps 147,1). Lob ist diespontane Antwort auf empfangene Güte. Essetzt die Erfahrung von Bejahung voraus, alldessen, was man erfahren und erhalten hat.In der Schöpfung wie in der Zuwendungzum Menschen ruft Gott ihn aus Liebe anund teilt ihm seine Zuwendung mit. Lobenist die Antwort des Geschöpfes auf Gottesheilendes Handeln. Es befreit den Men-schen und macht ihn heil. Das Lob Gotteskommt einem nicht immer leicht von denLippen. Das Loben steht in einer Spannungzum Klagen. Beide, das Beten aus der Freu-de und das Beten aus der Not gehören zummenschlichen Leben, wie schon Koheletsagt: „Es gibt eine Zeit zum Weinen und ei-ne Zeit zum Lachen, eine Zeit zum Klagenund eine Zeit zum Tanzen“ (Koh 3,4). In der Tat, ein Großteil der alttestamentli-chen Gebete sind Klagen (vgl. Ps 13; 17; 22;31; 35-38; 140-143; Klagelieder 3; 5 u.a.).Denn dazu treibt die Klage, nämlich auszu-sprechen, was belastet. In der Regel sind esweniger die Symptome als vielmehr die ge-störten Beziehungen zu Gott, zu sich selber,zum Leben. Das führt zur Aussage darüber,woran man letztlich leidet: An Gott, der sich

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ganz anders verhält als erwartet. Das Kla-gen vollzieht sich oft in Fragen: Warum? Biswann? Wie lange? Wozu? Darin liegt einetiefe Sehnsucht nach einer gültigen Antwort.Indem er klagt, ist der Beter bereits auf demWeg zur Hoffnung, zur Wendung seinesSchicksals.

Beten als Warten

Das Gebet setzt den Beter in den Zustanddes Wartens. „Ich hoffe auf den Herrn. Eshofft meine Seele. Ich warte voll Vertrauenauf sein Wort. Meine Seele wartet auf denHerrn, mehr als die Wächter auf den Mor-gen. Mehr als die Wächter auf den Morgensoll Israel harren auf den Herrn“ (Ps 130, 5-7). Das Blickfeld des Beters geht oft vonder Vergangenheit in die Zukunft. Von dertiefsten Verzweiflung geht es in die über-schäumende Freude am Leben. Dazwischenliegen Bitten, Vertrauen, Harren, Hoffen,Schweigen, Leiden, Wünschen. Sein Gebetnimmt nicht selten einen Charakter an, derpersönlich ist, aber doch überindividuell. Eswird zur Schule der Erwartung, die Grenzenübersteigt. Dem Beter verwandelt sich dieZeit und das eigene Leben. Das Gebet wirdzur Ausrichtung auf Gott und seine Verhei-ßung. Die darin steckende Ausdauer und Zu-versicht machen die Seele des Betens aus.

Das Gebet Jesu

Neutestamentliches Beten steht auf dem Bo-den des Alten Testamentes. Und es hängtentscheidend mit der Person Jesu und sei-nem Werk zusammen. Das Herzstück ist dieAbba-Anrede an Gott, in dem sich sein ein-maliges Verhältnis zum Vater spiegelt. Gottals Abba ist derjenige, dem er unbedingt ver-traut. Er erscheint ihm als das große mütter-lich-väterliche Du. Es will nur Gutes, ihn inunbedingter und freier Liebe bejahen und

tragen. Es macht den absoluten Grund desVertrauens offenbar. Dieses Gegenüber er-fahren und dazu Du zu sagen fallen bei Jesuszusammen. Gebet und Existenz sind bei ihmeins.„Jesus hat mit Gott geredet wie ein Kind mitseinem Vater: vertrauensvoll und geborgen,zugleich aber auch ehrerbietig und bereitzum Gehorsam“ (Joachim Jeremias). SeinLeben ist vom Gebet getragen (vgl. Lk 1,5-5; Mk 14,3-4; Joh 17). Das Gebet ist dieKraft, aus der Jesus lebt und leidet. Oft tritter Außenstehenden und vor allem seinenJüngern als Lehrer des Gebets entgegen(vgl. Mt 6,5-8; Lk 11,1-4; Joh 14,13ff). DieEinmaligkeit und die Einzigartigkeit des Be-tens Jesu schlägt sich nieder in der Bitte derJünger: „Herr, lehre uns beten“ und der ihrentsprechenden Unterweisung Jesu.

Das Gebet als Suche und Bitte

Im Mittepunkt steht bei Jesus die Person desVaters. Sinn und Ziel allen Betens sind beiihm seine Nähe und Gegenwart, das He-reinbrechen seines Reiches und das Lebenin der Welt. Beten im Sinne Jesu heißt da-her vor allem Suchen (vgl. Lk 11,9f). Werbetet, leidet unter dem unhaltbaren Zustandder Ferne, Fremde und Abwesenheit. Siewird versinnbildlicht in der geschlossenenTür (vgl. Mt 25, 10; Lk 13, 22-30). Wer be-tet, muss hartnäckig sein und klopfen. Erdarf sich nicht abschrecken lassen. So wirdes zugleich zur Kraft um Widerstand, die al-len Hindernissen trotzt. Der Beter weiß imGrunde, dass Jesus die Tür ist (vgl. Joh10,7), durch die er Zugang hat (vgl. Röm5,2; Eph .18; Hebr 4,16).Bitten ist in den Augen Jesu eine Kurzfor-mel des Betens. Es gilt die Aufforderung:„Bittet, dann wird euch gegeben“ (Mt 7,7).Das weckt großen Mut und Vertrauen. Ähn-lich klingt seine Aussage: „Alles, was ihr im

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Gebet erbittet, werdet ihr erhalten, wenn ihrglaubt“ (Mt 21,22). Das ist aber nur glaub-würdig, wenn man Jesus selber als Bitten-den sieht: Denn er bittet mit einer Intensität,deren ein Sohn dem Vater gegenüber fähigist. Alles empfängt er aus der Hand des Va-ters, sein Leben und seine Sendung und seinSterben. Es gibt nichts, worüber er verfügt.Er erbittet alles im Gehorsam von seinemVater.Es kann für den Glaubenden keinen Zwei-fel geben, dass Gott alle Bitten hört. Dasgilt, auch wo die konkrete Bitte nicht erhörtwird. Hans Schaller hat in diesem Zusam-menhang vorgeschlagen, zwischen Erhö-rung und Erfüllung zu unterscheiden: „MitErhörung soll die ursprüngliche Zusiche-rung Gottes, das Gebet jedenfalls in Betrachtzu ziehen, gemeint sein. Mit Erfüllung be-ziehungsweise der Nichterfüllung soll dasbezeichnet werden, was die geschichtlicheManifestation der göttlichen Antwort, daskonkrete Ja oder Nein betrifft. Deshalb gibtes nach dieser Sprachregelung zwar nicht-erfüllte, aber keine nicht-erhörten Gebete.“

Das immerwährende Gebet

Zu den Unterweisungen Jesu gehört, allezeitzu beten und nicht nachzulassen (Lk 18,1).Das wird verbunden mit Fasten und Dienen(vgl. Lk 18,1), mit Wachsamkeit (Lk 21,36)und dem Wachbleiben Tag und Nacht (vgl.Lk 6,12; 18,7). Das wird in der neutesta-mentlichen Briefliteratur ständig wiederholt(vgl. etwa Röm 1,10; Eph 1,16; 2 Thess1,11). Es entspricht der Grundhaltung Jesu,der sich ständig im Angesicht des Vaterswusste. Im gleichen Sinne steht, wer betet,als Erwählter und Gerechtfertigter ständigvor Gott. Hinzu kommt noch ein anderesMotiv – das Verlangen und Ausschauhaltennach dem wiederkommenden Herrn. DasGebet wird so zu einem Kennzeichen des

Christen und der Kirche zwischen der Him-melfahrt und dem endgültigen Erscheinendes Herrn. Damit auch ein Wort zum Jesusgebet, dasvor allem der Ostkirche eigen ist. Diese Ge-betsform, die vor allem den slawischen undbyzantinischen Christen vertraut ist, bestehtaus einer kurzen Anrufung des Namens Je-su, verbunden mit einer Anrufung seinerBarmherzigkeit: „Herr Jesus Christus, er-barme dich meiner. – Herr Jesus Christus,Sohn Gottes, erbarme dich unser“. Mit die-ser Anrufung wollte man das immerwähren-de Gebet verwirklichen. Schon im 13. und14. Jahrhundert wurde damit eine psycho-somatische Technik verbunden, die durchdie äußeren Bedingungen des Sitzens undvor allem durch die Verlangsamung des At-mens gekennzeichnet ist. Das Aussprechender Formel „Herr Jesus Christus, erbarmedich meiner“ wurde mit dem Ein- und Aus-atmen synchronisiert. Die „Aufrichtigen Er-zählungen eines russischen Pilgers“, dessenUrsprünge im Dunkel liegen, machten dasJesusgebet als immerwährendes Gebet auchim Westen bekannt.

Ein Leitgebet - das Gebet des Herrn

Das Gebet des Herrn (Vater unser) ist diewichtigste neutestamentliche Form des Be-tens. Es verbindet alle christlichen Konfes-sionen und ist zweifach in der synoptischenTradition überliefert: Mt 6,9-13 im Rahmender Bergpredigt und Lk 11, 2-4 als Episodedes lukanischen Reiseberichtes. Der Unter-schied liegt nicht nur im Kontext, sondernauch im Umfang. Lukas hat fünf Bitten,Matthäus sieben.Der Text stellt eine geschlossene Gestalt dar.Auf die Vateranrede mit dem Eröffnungs-wunsch der Heiligung des Namens folgt derGebetswunsch nach dem Kommen des Rei-ches. Bei Matthäus ist er noch konkretisiert

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mit dem Wunsch nach dem Geschehen desWillens Gottes. Daraus ergeben sich dreiBitten im engeren Sinn: Um die irdischeGrundlage für ein Leben auf das Reich Got-tes hin (Brot), um Vergebung der Schuld unddie Bitte um Bewahrung vor dem Abfall.Heinz Schürmann sagt dazu: „Was könntees daneben noch für Bitten geben? Jesussagt uns erschöpfend dargestellt, was wirwünschen und erbitten sollen.“So ist es in der Tat: Als „Leitgebet“ gibt dasVaterunser für das Beten nicht nur inhaltli-che Anweisungen, sondern auch eine for-male Anleitung. Und es ist ein „Kerngebet“

für alle Zeiten. Bei Wahrung seiner Form-gesetze und seines Inhaltes kann und darf esvariiert und ausgebaut werden.

Schluss

Das christliche Gebet ist eine ständige Auf-gabe und eine nie erfüllte Sehnsucht. Es istein wichtiger Baustein im Chor der Mensch-heit, die auf verschiedene Weise auf Gotthört und stammelnd zu ihm spricht. DerHeilige Gregor von Nazianz sagt: „Man sollsich häufiger an Gott erinnern als man at-met.“

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Teil 1:

Basistexte

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1. Vorbemerkung

Wie Muslime und Juden sind auch Christin-nen und Christen frei, sich ohne zeitlicheVorgaben und Umwege mit seinem Klage-,Bitt-, Lob- oder Dankesgebet an Gott zuwenden. Anders als im Judentum und im Is-lam kennt das Christentum dabei neben die-sem freien Gebet allerdings kein täglichesPflichtgebet für den Normalgläubigen1. Der sonntägliche Gottesdienst nimmt jedochin vielen Konfessionen eine zentrale Rolleein. Der Besuch wird häufig als obligato-risch angesehen. Die 2000jährige Traditiondes Christentums hat dabei viele Formenund Arten des Betens hervorgebracht. In denverschiedenen Konfessionen und Strömun-gen entstanden unzählige Formen von Ge-betspraxis, Andacht und Sonntags- oderWerktagsgottesdienst. Diese können imRahmen eines solchen Textes nicht alle vor-und dargestellt werden. Dieser Text be-schränkt sich daher auf einen kleinen Aus-schnitt aus der westlichen, also der römisch-katholischen bzw. der protestantischenTradition und reißt das Thema daher nur an.

2.Das Gebet im Neuen Testament:

Jesus und Paulus

In diesem Abschnitt soll ein kurzer Blick aufdas Gebet im Neuen Testament geworfenwerden. Dabei soll zum einen geschaut wer-den, wie Jesus, als zentrale Figur des christ-lichen Glaubens, gebetet hat und zum ande-ren zwei Aspekte des Gebets vorgestelltwerden, die Paulus, der dem Christentumzur globalen Ausbreitung verholfen hat,beim Beten wichtig waren.

2.1 Jesus

Aus den Evangelien, den kanonisierten Be-richten2 über das Leben Jesu, wissen wir,dass Jesus selbst gebetet hat. Er hat als gläu-biger Jude regelmäßig verschiedene Syna-gogen3 und den Tempel4 in Jerusalem be-sucht und dort an Gottesdiensten aktivteilgenommen. Doch auch bei anderen Ge-legenheiten wird berichtet, dass Jesus betet.So erzählen die Evangelisten, dass Jesus im-mer wieder die Einsamkeit suchte, um inRuhe zu beten: Mal besteigt er einen Berg5,mal verlässt er den belebten Ort im Mor-gengrauen6. Seine Gebete sind Dankgebete7,Lobpreisgebete8 und auch Fürbittgebete9.Aber auch in der Verzweiflung wendet sichJesus mit Gebeten an seinen Vater, so z.B.

I. Das christliche Gebet

I. Das christliche GebetThomas M. Schimmel

1 Allerdings kennt das Christentum das Pflichtgebet für die Geistlichen. Vgl. Psalmengebet S.19.2 Die Synoden von Karthago und Hippo legten Ende des 4./Anfang des 5. Jahrhunderts fest, welche Berichte als gültige Schriften des Chri-

stentums zum Neuen Testament gehören sollten.3 Vgl. z.B. Mk 1,21.4 Vgl. z.B. Joh 5,14.5 Vgl. z.B. Mk 6, 46 oder Lk 6, 12.6 Vgl. Lk 4,42.7 Vgl. z.B. Joh 11, 41 – Dank für die Erweckung des Lazarus.8 Vgl. z.B. Lk 10, 21 – Bei der Rückkehr der 72 Jünger. 9 Vgl. z.B. Lk. 22, 32 – Gebet für Simon Petrus.

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in der Stunde seiner Verhaftung10 oder sei-nes Todes11. Dabei benutze er durchaus tra-ditionelle jüdische Texte wie die Psalmen12

als Gebet oder formuliert frei13. Auffällig da-bei ist, dass Jesus im Gebet Gott „Abba(aram.) - Vater“ nennt14 und so seine ver-trauensvolle Verbindung zu Gott zeigt.Jesus gibt in den Evangelien aber auch immerwieder Hinweise, welche Wirkung Gebete ha-ben bzw. wie man betet. So betont er, dass bö-se Geister15 „nur durch Gebet“ ausgetriebenwerden können16. An anderer Stelle sagt Je-sus, dass Gott die Bittgebete der Gläubigenerhört und ihre Bitten erfüllt17. In der Berg-predigt gibt Jesus klare Hinweise, wie man zubeten habe: Er warnt vor öffentlichem undostentativem Beten und dem gedankenlosenBeten mit vielen Worten. Jesus rät vielmehr,im Verborgenen zu beten18. In diesem Zusam-menhang, empfiehlt er seinen Anhängerinnenund Anhängern, das „Vaterunser“ zu beten19.

2.2 Paulus

Nach Paulus Auffassung, einem gesetzes-treuen Juden mit römischem Bürgerrecht,der vor seiner Bekehrung der jüdischenTheologenschule der Pharisäer angehörte,hat mit dem Messias Jesus etwas vollkom-men Neues begonnen20. Sicherlich haben diefrühen Christinnen und Christen jüdischerPrägung noch in ihrer Tradition gebetet unddas jüdische Pflichtgebet vollzogen. Mit der

zunehmenden Globalisierung des christli-chen Glaubens und dem Anwachsen dergriechisch-christlichen Gemeinde geriet die-se Form des Gebets allerdings in den Hin-tergrund und neue Formen des Gebets unddes Gottesdienstes entstanden. Als Nachhalldes jüdischen Gebets bekräftigen Christin-nen und Christen allerdings bis heute ihreGebete mit dem hebräischen Wort „Amen“,das so viel wie „so sei es, gewiss, wahrhaf-tig“ bedeutet21. Paulus zeigt allerdings inseinem Brief an die Korinther den Unter-schied zur jüdischen Gebetsbekräftigungauf, wenn er schreibt: „Und Gottes Sohnwar ja nicht Ja und Nein zugleich, sonderner ist das Ja in Person. Durch ihn sagt GottJa zu allem, was er je versprochen hat. Des-halb berufen wir uns auf ihn, wenn wir„Amen“ sagen“22. Christinnen und Christenbestätigen also mit jedem Amen, dass Gottdurch Jesus in dieser Welt handelt. Als Betende stehen Christinnen und Chris-ten nach Paulus als Kinder vor Gott dem Va-ter. Paulus benutzt hier das gleiche Wort wieJesus: Gott ist „Abba“, der Vater, der Chris-tinnen und Christen mit seinem Geist ausder Sklavenschaft des Alltäglichen und derSachzwänge befreit und sie als Kinder zuErben seiner Herrlichkeit beruft23. DieserGeist hilft den Gläubigen zu beten, denn sieselbst sind unfähig, die angemessenen Wor-te für die Ansprache an Gott zu finden24.

I. Das christliche Gebet

10 Vgl. Mt 26, 39.11 Vgl. Mt. 27, 46.12 Vgl. Mt 27,46 – Jesus zitiert am Kreuz Psalm 22.13 Vgl. Joh 11, 41f: Dank für die Erhörung durch Gott.14 Vgl. Mk 14,36.15 Böse Geister würde man heute als psychische Störung bezeichnen, die durch die Schatten der Vergangenheit ausgelöst werden.16 Vgl. Mk 9,29.17 Vgl. Mk 11,24 oder Joh 16,24.18 Vgl. Mt 6, 5ff.19 Vgl. Kap. 8.20 Vgl. 2. Kor 5,18.21 Auch Muslime bekräftigen ihre Gebete mit Amen.22 2. Kor 1, 19,20. Alle Bibelzitate in diesem Beitrag aus: BasisBibel, Stuttgart 2010.23 Vgl. Röm 8,14ff.24 Vgl. Röm 8, 26.

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3. Ort des Gebets

Christinnen und Christen können an allenOrten beten. Sie müssen zur Vorbereitungdes Ortes keine besonderen Vorkehrungentreffen oder sich einer bestimmten Richtungzuwenden25. Ort des gemeinschaftlichen Ge-bets, des Gottesdienstes, ist in der Regel dasKirchengebäude. In der römisch-katholi-schen Kirche sind Kirchengebäude beson-ders geweihte (konsekrierte) Räume, die fürdie Feier der heiligen Messe bestimmte Vo-raussetzungen erfüllen müssen26. Die pro-testantische Kirche kennt diesen besonderenWeihebegriff für gottesdienstlich genutzteRäume nicht. Viele, vor allem ältere Kir-chengebäude, sind in west-östlicher Rich-tung gebaut: Der Altar als Sinnbild der An-wesenheit Christi, steht dabei im Osten, alsoin Richtung der aufgehenden Sonne, die einSymbol für den auferstandenen Jesus Chris-tus ist27.

4. Gebet im Gottesdienst

Der christliche Gottesdienst hat eine zwei-tausendjährige Entwicklung hinter sich und

es gibt ihn in unzähligen Variationen. So ha-ben die einzelnen christlichen Konfessionenviele eigene unterschiedliche Formen ent-wickelt: Die Feier der Heiligen Messe in derrömisch-katholischen Kirche über Gospel-gottesdienste der afroamerikanischen Pro-testanten bis zu Predigtgottesdiensten refor-mierter Gemeinden. Aber auch innerhalb derKonfessionen gibt es unterschiedliche Got-tesdienstarten: Feierliche Pontifikalämterunter der Leitung eines Bischofes, schlichteWerktagsmessen, Wort-Gottes-Feiern oderMaiandachten seien als Beispiele aus der ka-tholischen Welt genannt. In fast allen christlichen Konfessionen giltder Sonntag, also der Wochentag, an demJesus von den Toten auferstanden ist, als derTag, an dem die Gläubigen zum Gottes-dienst zusammenkommen28. In der römisch-katholischen Kirche gilt die Teilnahme ander Heiligen Messe sonntags und an Festta-gen sogar als Plicht29. Gottesdiensten aller christlichen Konfessio-nen eigen ist, dass in ihnen gebetet wird. Beiden Sonntagsgottesdiensten der großenchristlichen Konfessionen, also der evange-lischen und der katholischen Kirche, scheintin den Sonntagsliturgien30 das Grundmuster

I. Das christliche Gebet

25 Vgl. Haasen, Jens: Gott am Bahnhof, in: Riewe, Wolfgang (Hg.): Glauben praktisch, Bielefeld 2012: S. 179 ff.26 Vgl. Berninger, Simon: Katholische Kirche - Ort des aufgerissenen Himmels, in: Missionszentrale der Franziskaner (Hg.): Dem Glauben

Raum geben - Grüne Reihe Nr. 112, Bonn 2014: S. 16ff.27 Vgl. Bärsch, Jürgen: Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, Regensburg 2015: S. 39.28 Vgl. Bärsch, Jürgen: Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, Regensburg 2015: S. 32.29 „Die Kirche hat nie aufgehört, diese auf das innere Bedürfnis begründeten Gewissenspflicht, die die Christen der ersten Jahrhunderte so

stark empfanden, geltend zu machen, auch wenn sie es zunächst nicht für notwendig hielt, sie als Gebot vorzuschreiben. Erst spätermusste sie angesichts der Lauheit oder Nachlässigkeit mancher Christen die Pflicht zur Teilnahme an der Sonntagsmesse deutlich zumAusdruck bringen: In den meisten Fällen hat sie das in Form von Ermahnungen getan, manchmal aber musste sie auch klare kirchenrecht-liche Verfügungen treffen. Das war der Fall bei verschiedenen Partikularsynoden seit dem 4. Jahrhundert (so bei der Synode von Elvira imJahr 300, die nicht von Pflicht, sondern von strafrechtlichen Folgen nach dreimaliger Abwesenheit von der Sonntagsmesse spricht) und vorallem ab dem 6. Jahrhundert (wie bei der Synode von Agde im Jahr 506). Diese Dekrete von Partikularsynoden führten, was ganz selbst-verständlich ist, zu einer allgemeinen Gewohnheit mit verpflichtendem Charakter. Der Codex des kanonischen Rechtes von 1917 fasstezum ersten Mal die Überlieferung in einem allgemeinen Gesetz zusammen. Der derzeitige Codex bekräftigt es, indem er festlegt: »AmSonntag und an den anderen gebotenen Feiertagen sind die Gläubigen zur Teilnahme an der Meßfeier verpflichtet«. Ein solches Gesetzist normalerweise als Auferlegung einer ernsten Pflicht verstanden worden: das lehrt auch der Katechismus der Katholischen Kirche, undman versteht wohl den Grund dafür, wenn man sich überlegt, welche Bedeutung der Sonntag für das christliche Leben hat.“ Papst Johan-nes Paul II.: Apostolisches Schreiben „Dies Domini - an die Bischöfe, den Klerus, die Ordensleute und an die Gläubigen über die Heiligungdes Sonntags“ vom 31. Mai 1998.

30 Liturgie ist die Ordnung des Ablaufes eines Gottesdienstes.

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der alten Gottesdienste31 durch: Der Gottes-dienst beginnt in der Regel mit einemPsalmgebet. Darauf folgt das Schuldbe-kenntnis, das in der Anrufung Jesu und inder Bitte um Erbarmen und Vergebung gip-felt (Kyrie). Danach wird Gott in den höchs-ten Tönen gelobt (Gloria). Nach Gebeten,die der inneren Sammlung dienen und aufLesungen aus der Bibel vorbereiten, folgtnach Evangeliumslesung bzw. Predigt (Aus-legung) das Bekenntnis des Glaubens unddie Fürbitten, mit denen die Gläubigen derAbwesenden, Toten und der in Not gerate-nen gedenken. Der Gottesdienst endet, ggfs.nach der Mahlfeier mit ihren eigenen Gebe-ten, mit Segenssprüchen und Dankgebet. ImGottesdienst sind zwei Arten von Gebetenzu finden: Diejenigen, die immer gleich sind(Ordinarium) wie Kyrie oder Gloria und sol-che, die von Sonntag zu Sonntag verschie-den sind (Proprium) wie das Fürbittengebet.Zwischen den einzelnen Abschnitten desGottesdienstes wird in der Regel gesungen.Der heilige Augustinus soll gesagt haben:„Wer singt, betet doppelt“ und so ist es keinWunder, dass die Texte der KirchenliederLob- und Dankgebete sind, die sich unmit-telbar auf den Abschnitt des Gottesdienstesoder die Themen der Lesungen beziehen.

5. Gebete außerhalb des Gottesdienste

Christinnen und Christen beten zu sehr un-terschiedlichen Anlässen. So beten Ordens-leute und Geistliche fünf Mal am Tag dasStundengebet32. Luther empfiehlt den Gläu-bigen, morgens nach dem Erwachen undabends vor dem Schlafen zu beten33. VieleMenschen sprechen vor und nach dem Es-sen Tischgebete. Geburt, Krankheit, Tod undandere einschneidende Ereignisse im Lebensind Anlässe für Bitt,-, Lob-, Dank- oderKlagegebet, die frei formuliert oder aus Ge-betsbüchern gelesen werden können.Für viele katholische Christinnen und Chris-ten ist das „Rosenkranzgebet“ ein ständigerBegleiter: Das Rosenkranzgebet ist eine Ab-folge von verschiedenen Gebeten und Me-ditationen zum Leben, Leiden und SterbenJesu35. Durch ständige Wiederholung hilftder Rosenkranz, in besonderer Weise medi-tativ zu beten36.Franziskus von Assisi hat seinen Anhänge-rinnen und Anhängern empfohlen, immer,wenn sie eine Kirche sehen, zu beten: „Wirbeten Dich an, Herr Jesus Christus - hier undin allen Deinen Kirchen auf der ganzenWelt. Und wir preisen Dich, weil Du durchDein heiliges Kreuz die Welt erlöst hast!"

I. Das christliche Gebet

31 Vgl. Bärsch, Jürgen: Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, Regensburg 2015: S. 30 und S. 44 ff.32 Vgl. Psalmengebet S. 19.33 Z.B. Luthers Morgensegen: Des Morgens, wenn du aufstehst, kannst du dich segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und sagen:

„Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist! Amen.“ Darauf kniend oder stehend das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser. Willstdu, so kannst du dies Gebet dazu sprechen: „Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, dass dumich diese Nacht vor allem Schaden und Gefahr behütet hast, und bitte dich, du wollest mich diesen Tag auch behüten vor Sünden und al-lem Übel, dass dir all mein Tun und Leben gefalle. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiligerEngel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.“ Als dann mit Freuden an dein Werk gegangen und etwa ein Lied gesun-gen oder was dir deine Andacht eingibt.

34 „Vaterunser“, Ave Maria, Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist.35 Ausführlich zum Rosenkranz: Bouyer, Louis: Einführung in die christliche Spiritualität, Main 1965: S. 89ff.36 Ähnlich auch das das Jesusgebet (Herzensgebet oder immerwährendes Gebe), bei dem der Name Jesus oder der Satz „Jesus, erbarme

dich meiner“ immer wieder wiederholt wird. Vgl. Rasch, Simone: Meditation mit dem Herzensgebet, in: Riewe, Wolfgang (Hg.): Glaubenpraktisch, Bielefeld 2012: S. 83ff.

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6. Gebetshaltungen

Beten hat neben dem sprachlichen Ausdruckimmer auch einen körperlichen Aspekt. Mi-mik und Gestik spielen eine Rolle in derKommunikation und Begegnung mit Gott37.Bestimmte Gebetshaltungen oder Gebets-richtungen sind Christinnen und Christen al-lerdings nicht vorgeschrieben. So haben sichim Lauf der Jahrhunderte vielfältige Gestenund Körperhaltungen entwickelt, die oft anprofane höfische Gesten aus der Antike unddem Mittelalter angelehnt sind38.

Stehen

Das Stehen ist die ursprüngliche Haltungwährend des christlichen Gebetes, wie esdas Konzil von Nicaea schon im Jahr 325festlegte39. Man wandte sich dabei nach Os-ten, der aufgehenden Sonne zu, die dasSymbol der Auferstehung Christi ist. Stehensymbolisiert dabei die Ehrfurcht vor und dieHinwendung zu Gott.

Knien

Die Kniebeuge oder das Knien sind Aus-druck der Nichtigkeit des Beters gegenüberder Größe und Erhabenheit Gottes. Mit derKniebeuge, also einer kurzen Bodenberüh-rung des rechten Knies, grüßen GläubigeGott huldigend. In der katholischen Kirchegeschieht dies in Richtung des Taberna-kels40. Kniet der Gläubige beim Gebet, istdies ursprünglich Zeichen der Bußfertigkeitund war nur an Bußtagen in der Kirche üb-lich. Heute wird in der katholischen Kirchebei der Eucharistiefeier häufig während derWandlung gekniet und ist Ausdruck der An-

betung des Allerheiligsten, in dem Jesus an-wesend ist.Verneigen/Verbeugen

Die Verneigung oder Verbeugung ist eineForm der Ehrerbietung. Sie wird vor allembei der Nennung des Namen Jesu oder Lob-formeln (Doxologien) von Gläubigen prak-tiziert. In vielen katholischen Ordensge-meinschaften ist die tiefe Verbeugung anStelle des Kniens üblich. Sitzen

Sitzen ist eigentlich ein Zeichen von Herr-schaft: Der Regent oder der Bischof throntsitzend, während das Volk und die Gemein-de steht. Diese Aufteilung war bis zur Ein-führung von Kirchenbänken in der Refor-mationszeit auch in der Kirche üblich.Kirchenbänke sollten den Gläubigen helfen,die langen, oft über Stunden dauernden Got-tesdienste zu überstehen. Seitdem ist das Sit-zen Ausdruck des aufnahmebereiten Hö-rens41.Liegen

Liegend gebetet wird heute nur noch in sel-tenen Fällen. So liegen z.B. Geistliche in derkatholischen Kirche während der Anrufungder Heiligen während ihres Weihegottes-dienstes. Beim Liegen verbirgt der Betendesein Gesicht, um nicht in Gottes Antlitz zuschauen. Es ist die körperlich drastischsteForm, seine Demut und Unterwerfung vorGott zu zeigen.Händefalten

Während des Gebetes falten Christinnenund Christen in der Regel die Hände. Dabeilegen sie entweder die Handflächen flach

I. Das christliche Gebet

37 Heiler verweist darauf, dass es vor dem gesprochenen Gebet das Gebet der Gebärde gab. Vgl. Heiler, Friedrich: Das Gebet, Eine religi-onsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung. Basel, 1969: S, 98.

38 Vgl. Heiler, Friedrich: Das Gebet, Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung. Basel, 1969: S, 109.39 Vgl. Podhradsky, Gerhard: Lexikon der Liturgie, München 1962: S. 359. Das Konzil verbietet sogar das Knien an Sonntagen und in der

Osterzeit.40 Aufbewahrungsort der gewandelten Hostien.41 Vgl. Berger, Rupert: Gebetshaltung, in: Schütz, Christian (Hg.): Lexikon der Spiritualität, Freiburg 1988: S. 448.

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aufeinander oder sie legen die Hände inei-nander oder sie verschränken die Finger mit-einander. Das Händefalten ist eine Hilfe,sich in das Gebet zu vertiefen und die inne-re Mitte zu finden. Die Hände bleiben ruhigund der Gläubige macht deutlich, dass jetztnichts zu tun ist, außer ruhig zu sein. Essymbolisiert aber auch die Gebundenheitdes Gläubigen: Wie ein Gefangener, dem dieHände gebunden sind, steht der Gläubigevor Gott und muss sich dessen Willen un-terwerfen. Er kann aber auf Erhörung hof-fen. Eine ähnliche Bedeutung hat die Ge-betshaltung, bei der die Arme über der Brustgekreuzt werden.Bei manchen Gebeten öffnen Gläubige diegefalteten Hände nach oben, wie um Wasserzu schöpfen42. Diese Geste zeigt die Bereit-schaft, Gottes Wort und seinen Entschlusszu empfangen und offen zu sein, für seineEntscheidungen.Arme ausbreiten/Arme in die Höhe recken

Bei manchen Gebeten heben Gläubige dieArme. Es ist die Steigerung des Stehens. DerGläubige wendet sich ganz Gott zu undreckt, wie ein kleines Kind, das auf die Ar-me seiner Eltern will, die Arme in die Höhezu Gott43.

7. Gebetsutensilien

Zur aktiven Teilnahme am Gottesdienst mitseinen zahlreichen Liedern und Gebetstex-ten benötigt der Gläubige in der Regel einGesangbuch, in dem die wichtigsten Liederund Gebetstexte sowie der Ablauf des Got-

tesdienstes zu finden sind. Evangelische undkatholische Kirche haben für den deutschenSprachraum eigene Gesangbücher, die in al-len Kirchen- und Pfarrgemeinden benutztwerden. Diese Gesangbücher können auchfür das persönliche Gebet herangezogenwerden. Einige Kirchengemeinden habenzusätzliche Gesangbücher mit eigenen Lie-dern und Texten.Für den oben erwähnten Rosenkranz oderdas Jesusgebet gibt es eine Perlenkette mit59 verschiedengroßen Perlen. Sie soll denGläubigen helfen, sich in das Gebet zu ver-tiefen.

8. Anrufung der Heiligen

Eine besondere Form des Gebetes in der katholischen Kirche ist die Anrufung der Hei-ligen. Sie wird oft missverstanden als Anbe-tung von Heiligen, was dem monotheistischenCharakter des Christentums wiedersprechenwürde. Viele Gläubige rufen Heilige in Notsi-tuationen zur Hilfe im Gebet an44. Dass Hei-lige angerufen werden können, hängt mit demBegriff der Katholizität zusammen, der all-umfassend oder weltumspannend bedeutet.Dies ist nicht nur räumlich gemeint, sondernauch zeitlich: Auch durch die Zeit sind wir mitallen Menschen verbunden und können aufsie hoffen. Zum anderen werden biblischeTexte so ausgelegt, dass die Verstorbenenschon jetzt bei Gott sind. So etwa, wenn es im1. Thessalonicherbrief des Paulus heißt: „undseid bereit, wenn unser Herr Jesus mit allenHeiligen wiederkommt“45.

I. Das christliche Gebet

42 Z.B. beim „Vaterunser“.43 Vgl. Heiler, Friedrich: Das Gebet, Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung. Basel, 1969: S, 105.44 Hier haben sich traditionelle Zuständigkeiten ergeben, die oftmals mit dem Lebenslauf der Heiligen zu tun haben: So ist der heilige Antoni-

us für Verlorenes zuständig, weil ein junger Ordensbruder seinerzeit das Gebetsbuch des Heiligen mitgenommen, es aber wieder zurückgebracht hat, nachdem ihm Antonius wiederholt erschienen war.

45 1. Thess 3, 13.

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9. Grundgebete

Das „Vaterunser“ ist das Gebet, dass Jesusseinen Anhängern zu beten aufgetragen hat.Es verdichtet die christliche Spiritualität inwenigen Worten:„Vaterunser“ im HimmelGeheiligt werde dein Name.Dein Reich komme.Dein Wille geschehe,wie im Himmel, so auf Erden.Unser tägliches Brot gib uns heute.Und vergib uns unsere Schuld,wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.Und führe uns nicht in Versuchung,sondern erlöse uns von dem Bösen.

Das Apostolische Glaubensbekenntnis istneben dem Nicänischen Glaubensbekennt-nis46 wohl das bekannteste Bekenntnis desGlaubens der Christen. Es fasst die Grund-sätze des christlichen Glaubens kompakt inzwölf Artikeln zusammen. Der Legendenach sollen diese zwölf Artikel von denzwölf Aposteln verfasst worden sein. Ent-standen ist das Apostolische Glaubensbe-kenntnis vermutlich aber erst im 4. Jahrhun-dert aus einem römischen Taufbekenntnis.

Ich glaube an Gott, den Vater,den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische47 Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.Amen.

I. Das christliche Gebet

46 Das Nicänische Glaubensbekenntn,auch das Große Glaubensbekennnis genannt, weil es umfänglicher ist. Es wurde auf den Ökumeni-schen Konzilien in Nizäa (325) und Konstantinopel (381) verfaßt.

47 Evangelische Christen beten aus einem Missverständnis heraus „christliche“ Kirche. Katholisch meint an dieser Stelle nicht die römisch-katholische Kirche sondern die allumfassende, weltumspannende Kirche.

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Zu den verschiedenen Gebetsarten desChristentums gehört das Stundengebet.Praktiziert wird es vor allem von den Mit-

gliedern der Ordensgemeinschaften sowievon Priestern. Den meisten Christen ist eseher fremd und gilt es Gebet für „Spezialis-ten“. Für die ersten Christen war die Feierder Tagzeiten die normale Form des tägli-chen Gemeindegottesdienstes. Die Eucha-ristiefeier war dem Sonntag und besonderenFesttagen vorbehalten. Heute gilt die „hl.Messe“ als die liturgische Form des katholi-schen Christseins. Ursprünglich also ein Ge-

bet aller Christen, wird das Stundengebetals solches heute zunehmend von „Laien“wieder entdeckt. Neben dem persönlichenGebet ist das Stundengebet als das „öffent-

liche“ und gemeinschaftliche Gebet der

Kirche die zweite Säule der Gebetsformen.Sinn und Zweck dieses Gebetes ist die „Hei-

ligung“ des Tages und aller menschlichen

Tätigkeiten. Es geht nicht um religiösenHochleistungssport, sondern um ein Sein inder Gegenwart Gottes gemäß dem gebot Je-su, allezeit zu beten (vgl. Lk 18,1 und 1Thess 5,17: „Betet ohne Unterlass!“). Ge-mäß der kürzesten Definition für Religion,nämlich Unterbrechung (Johann BaptistMetz), unterbricht das Stundengebet dasAlltagsgeschehen und ordnet es auf Gotthin. Es schafft ein fruchtbares Wechselspiel

aus Gebet und Arbeit (ora et labora). Ausdem Lobpreis und der Verherrlichung Gottes

erwächst die Kraft für die christliche Durch-dringung des Alltags. Das dort Erfahreneund Gelebte wird wieder vor Gott getragen.Die Bezeichnung „Stundengebet“ verweistnicht auf den Inhalt oder die Methode desBetens, sondern auf dessen Zeitpunkt. Eswird daher auch „Tagzeitenliturgie“ ge-nannt. Zu bestimmten Zeiten des Tages wirddas dafür vorgesehene Gebet verrichtet. Dieneun Gebetszeiten tragen lateinische Namenund zeigen mit ihnen ihren Zeitpunkt imLaufe eines Tages an. Den Rahmen bildenals Angelpunkte das Morgengebet „Lau-

des“ (laus = Lobpreis) und das Abendgebet„Vesper“ (vespera = Abendstunde). Dazwi-schen finden sich die drei kleinen Horen(von lat. hora = Stunde). Nach römischerZählung beginnt der Tag mit dem Sonnen-aufgang gegen 6 Uhr am Morgen. Dement-sprechend ist die „Terz“, die dritte Stunde,um 9 Uhr am Vormittag, die „Sext“, diesechste Stunde, um 12 Uhr am Mittag, unddie „Non“, die neunte Stunde, um 15 Uhram Nachmittag. Diese Zeiten beziehen sichauf die Kreuzigung Jesu zur dritten Stunde(Mk 15,25), auf die Finsternis zur sechstenStunde (Mk 15,33) und auf den Tod Jesu zurneunten Stunde (Mk 15,34). Gebete wäh-rend der Nacht nennen sich „Vigilien“ (vi-gilia = soldatischer Wachdienst – in der mi-litärischen Praxis wurde die Nacht in viervigilae unterteilt) oder „Nokturnen“

(nocturnus = nächtlich). Der Tag wird be-

19II. Die Praxis des Stundengebets

II. Die Praxis des Stundengebets

Die Tagzeitenliturgie in der katholischen KircheStefan Federbusch ofm

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gonnen mit der „Matutin“ (matutina =Morgenstunde) und beendet mit der „Kom-

plet“ (completorium = Vollendung / Ab-schluss), dem Nachtgebet. Zusätzlich gibt esdie „Lesehore“ (= Lesestunde), die zeitlichfrei gewählt werden kann. Angemerkt sei,dass nach biblischer und frühchristlicherTradition der Tag mit dem Sonnenuntergangbeginnt. Im Stundengebet macht sich diesnoch bei (Hoch)Festen bemerkbar, wenn ei-ne sogenannte Erste Vesper am Abend desVortages gebetet wird.

Die Zahl der gemeinschaftlichen Gebetszei-ten wird in den Ordensgemeinschaften je-weils eigenständig festgelegt. In den soge-nannten „monastischen“ Gemeinschaften,die ihren Schwerpunkt auf den Gottesdienstund das Gebet legen (deren bekannteste sinddie Benediktiner), werden mehr Zeiten ge-meinsam gebetet (vgl. Ps 119,164: „Sieben-mal am Tag lobe ich dich“) als in den „apos-

tolischen“ Gemeinschaften, die ihrenSchwerpunkt eher in der Seelsorge und pas-toralen Arbeit nach außen haben (wie bei-spielsweise die Franziskaner). Letztere be-schränken sich zumeist auf Laudes, Sextund Vesper. Die anderen Zeiten werden „pri-vat“ gebetet. Dies entspricht der Mindest-formel „dreimal tägliches Gebet“ (vgl. Dan6,11.14), die auch das Judentum kennt.

Das Stundengebet ist ein Gebet, das sich zugroßen Teilen aus der Bibel speist. Kern sinddie Psalmen, die ersttestamentlichen uraltenGebete, die das Christentum mit dem Juden-tum teilt. Ähnlich der Psalmen werden wei-tere biblische Gebetstexte, die Cantica, hin-zugezogen, so dass die franziskanischenGebetszeiten zumeist aus drei Psalmen (bzw.zwei Psalmen und einem Canticum) beste-

hen1. Vorgeschaltet ist ein Hymnus, der aufdie jeweilige Tageszeit abgestimmt ist. Es fol-gen eine Kurzlesung aus der Bibel, ein Re-

sponsorium (Antwortdialog), ein Lobpreis

(Benedictus am Morgen, Magnificat amAbend), Bitten (am Morgen) bzw. Fürbitten

(am Abend), das Vater unser, ein Schluss-

gebet und der Segen. Herausgebildet hat sichder „Vierwochenpsalter“, d. h. alle Psalmensind auf vier Gebetswochen verteilt. In derfünften Woche beginnt der Rhythmus wiedervon vorn. Zudem finden sich für die gepräg-ten Zeiten von Advent / Weihnachten sowieFastenzeit / Ostern bis Pfingsten eigene Tex-te. Dies gilt auch für Festtage und Heiligen-gedenktage. Für „Neueinsteiger“ ist dies aufden ersten Blick häufig verwirrend und esbraucht einige Zeit, sich in die Strukturen die-ser Gebetsform einzufinden2.

Die inhaltlichen Motive des Stundengebetsgreifen mit ihren Bildern den Zyklus des Ta-

ges von Schlafen und Wachen, von Arbeitenund Ruhen, von Sonnenaufgang und Son-nenuntergang auf: am Morgen vor allem dasLicht, das auf die Auferstehung Jesu ver-weist und auf Christus selbst als das „Lichtder Welt“. Mittags wird vor allem um einenRuhepol in der „Mühe und Last“ des Ta-

ges, um Kraft für die Arbeit gebetet. Abendsist es die anbrechende Dunkelheit, die aufdie Sterblichkeit des Menschen verweistund die damit verbundene Bitte, dass Gottuns in der Nacht behüte. Die sich täglich wie-derholenden Naturphänomene erhalten so ei-ne theologische Deutung und werden be-wusst aus dem Glauben gelebt. Dies giltebenso für die zweite zyklische Zeiterfah-

rung, den Ablauf eines Jahres mit seinenJahreszeiten, mit den Erfahrungen von Kälte

II. Die Praxis des Stundengebets

1 Anmerkung: In der benediktinischen Tradition gibt es in der Zahl der Psalmen und der Reihenfolge der Elemente leichte Abweichungen.2 Es gibt daher neben dem „Großen Stundenbuch“ die abgespeckte Version des „Kleinen Stundenbuchs“, mit dem „Laien“ im Alltag betenkönnen. Hilfreich sind auch die Monatshefte „Magnificat“ und „Tedeum“, die jeweils für den Tag die passende Gebetszeit komplett enthaltenund damit die Frage nach den richtigen Texten erübrigen.

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und Hitze, von Regen und Trockenheit, vonWachstum, Erblühen, Reifen, Ernten und Ab-sterben. Die kirchlichen Feste sind in diesenNaturzyklus mit ihrer Symbolik eingebunden(Weihnachten als Erscheinung des Lichtesam dunkelsten Tag des Jahres, Ostern als Festder Auferstehung im Frühling usw.)

Das Stundengebet ist in unterschiedlicher Wei-se mit Leiblichkeit verbunden: Es gibt Teile,die im Stehen gebetet werden und Teile, dieim Sitzen erfolgen. In monastischer Traditionerfolgt bei der Ehrerbietung des dreifaltigenGottes („Ehre sei dem Vater und dem Sohnund dem heiligen Geist“) eine Verneigung. Jenach Tradition und Möglichkeit werden Teiledes Stundengebets gesungen. In Anlehnungan das Psalmwort „Mein Gebet steige vor dirauf wie Weihrauch, Herr, vor deinem Ange-sicht“ wird in manchen Gemeinschaften beimMagnificat Weihrauch benutzt.

Da die Psalmen in ihren Wurzeln bereits biszu dreitausend Jahre alt sind, bestehen sieaus Sprachformen, die nicht mehr die unsri-gen sind. Das macht es nicht einfach, sieheute zu beten. Dazu mögen die folgendenAspekte hilfreich sein. Die Psalmen deckendas ganze Spektrum der Gefühlslagen ab,in ihnen findet sich Jubel, Freude und Dankebenso wie Trauer, Klage und Bitte. Auchwenn ich selbst gerade in einer anderenStimmung bin, kann ich einen solchenPsalm stellvertretend als Resonanzraum fürandere beten. Ein zweiter Gedanke sind dieRückbindung an die Wurzel unseres

christlichen Glaubens und die Verbun-

denheit mit unseren jüdischen Schwes-

tern und Brüder, für die die Psalmen einebenso kostbarer Gebetsschatz sind. Dabeigilt es sich christlicherseits bewusst zu hal-ten, dass Jesus Jude war und diese Gebetegesprochen hat!

Neben dem religionsverbindenden Elementhat für mich das zeitliche eine hohe Bedeutung

und dies in doppelter Hinsicht: Beim Stun-dengebet reihe ich mich ein in die jahrtau-

sende lange Schar der Betenden, reihe michein in die vielen Menschen, die vor mir gelebt,geliebt und gelitten, gehofft und geglaubt ha-ben und die dies auch nach mir tun werden.Neben dieser eher linearhistorischen Di-

mension gibt es die erdumspannende Di-

mension. Durch die unterschiedlichen Zeit-

zonen wird permanent gebetet. Wenn ichdas Morgenlob beende, beginnen es andere inder nächsten Zeitzone, dann wieder die nächs-ten…, während weitere bereits beim Abend-lob sind. Auch hier bin ich Teil einer großen

Gebetsgemeinschaft. Als Mitglied einer Or-densgemeinschaft ist es eine weltweite Ver-bundenheit nicht nur allgemeiner Art mit mei-nen christlichen Schwestern und Brüdern,sondern eine spezifische mit den Schwesternund Brüdern der Franziskanischen Familie.

Mit diesen Aspekten kehrt das Stundenge-bet in das (Gebets-)Leben der Gemeinden

zurück. Als die lateinische Sprache als Li-turgiesprache festgelegt wurde, verlor dasStundengebet seine Bedeutung für das Volk.An seine Stelle traten volkstümliche Gebe-te wie das Vater unser, das Gegrüßet-seist-du-Maria, der Rosenkranz und verschiede-ne Andachtsformen. Stattdessen wurden dieKleriker (Priester) verpflichtet, das Stun-dengebet zu absolvieren. Zu Beginn des 2.Jahrtausends verbreitete sich eine handlicheKleinausgabe der Tagzeiten, die auf Reisenmitgenommen werden konnte und sich Bre-

vier (breviarium von brevis = kurz) nennt.„Brevier beten“ wurde zum feststehendenAusdruck des priesterlichen Tagzeitenge-bets. Heute finden sich verschiedenste Ak-tualisierungen bis hin zu „modernen“ Tex-ten, die allen Christen den Zugangerleichtern und das Stundengebet wieder anseinen ursprünglichen Ort zurückholen: indie betende Gemeinde.

21II. Die Praxis des Stundengebets

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1. Einleitung

Das Judentum ist reich an Gebeten. Für je-de Gelegenheit gibt es Segenssprüche undHeiligungsgebete, die den Menschen zei-gen, dass alles Tun auf Gottes Willen undGüte gründet. Das Gebet ist die Möglichkeitdes Gläubigen oder der Gläubigen, mit Gottin eine Beziehung zu treten und sich so be-wusst zu machen, dass es neben dem Alltagmit seinen Problemen und Abgründen etwasgibt, das erhaben ist und Erfüllung schenkt.Einen Beitrag zu schreiben, der umfassenddie Gebetstradition der jüdischen Religiondarstellt, ist unmöglich. Zu groß ist derReichtum an Spiritualität und Strömungen,die die jüdische Tradition durch die Jahrtau-sende getragen hat. Aber ein solcher Beitragkann einen Spalt der Tür zu einer Schatz-kammer öffnen und einen kleinen Eindrucküber die Gebetspraxis von Jüdinnen und Ju-den vermitteln.

2. Kurze Einführung in das Judentum

Wie alle anderen Religionen existieren imJudentum verschiedene Strömungen undGlaubensrichtungen, die sich aus unter-schiedlichen Traditionen herausgebildet ha-ben. Das Spektrum dieser Glaubensrichtun-gen reichen von liberal-säkularen bis hin zuorthodox-reaktionären Strömungen.Die jüdische Religion sieht sich selbst als äl-

teste und konsequenteste monotheistischeReligion. Der Glaube an den einen trans-zendenten Schöpfgott, der weder fassbarnoch greifbar ist, von dem man sich keinBild machen darf, dessen Namen nicht aus-gesprochen darf und neben dem es keine an-deren Götter gibt, ist für das Judentum prä-gend. Als Religionsstifter gilt Mose, der dasVolk Israel in der Sklavenschaft Ägyptenseinigte und in das von Gott versprochene ge-lobte Land führte (ca. 1200 v. Chr.), das sichnach jüdischer Auffassung zwischen demFluss Jordan und dem Mittelmehr befindet1.Gleichzeitig bezieht sich der jüdische Glau-be stark auf Abraham, der neben Isaak undJakob zu den Erzvätern des Volkes Israelzählt. Die zwölf Stämme Israels wurdennach jüdischer Auffassung durch die Uren-kel Abrahams und Söhne Jakobs, der auchIsrael2 genannt wird, begründet und warennomadische Völker, die im 2. Jahrtausendvor Christus in das heutige Palästina kamenund eine gemeinsame Sprache und einen ge-meinsamen Kult entwickelten. Da sich dasChristentum als jüdische Abspaltung undder Islam, deren Stammvater nach eigenerAuffassung Abrahams Sohn Ismail ist, aufAbraham berufen, nennt man diese drei Re-ligionen auch die abrahamitischen Religio-nen. Das Judentum ist anders als das Christentumund der Islam keine missionarische Religi-on. Sie ist soziologisch gesehen eine typi-sche Volks- oder Stammesreligion, weshalb

III. Gebet im Judentum

III. Gebet im JudentumThomas M. Schimmel

1 Vgl. Gen. 17, 7ff.2 Israel (hebr.) = Gotteskämpfer ist eigentlich ein Titel, den sich Jakob im Kampf mit dem Engel errungen hat. Vgl. Gen. 32, 25ff.

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es heute schwierig ist, zwischen Religions-zugehörigkeit und Volkszugehörigkeit3 zuunterscheiden. Jude oder Jüdin ist mandurch Geburt, wenn die Mutter Jüdin ist. EinÜbertritt von einer anderen Religion zumJudentum ist zwar möglich, aber kompli-ziert.

Geprägt wurde das Judentum jahrhunderte-lang durch die patriarchalen Gesellschafts-modelle, die in der Bibel vorzufinden sind.Die Schöpfungsgeschichte in Gen. 2-3 er-zählt, dass Eva, die erste Frau, aus AdamsRippe geschaffen wurde und ungehorsamwurde. Damit wird die Unterordnung derFrau unter den Mann begründet. Es gibt aberauch starke Frauengestalten in der hebräi-schen Bibel wie Ruth, Debora, Lea oder Es-ther.

Dass die Frau im Judentum eine herausra-gende Stellung hat, wird an der Tatsachedeutlich, dass die Zugehörigkeit zum Ju-dentum über die Frau weitergegeben wird.Sie hat zudem liturgische Aufgaben in derSabbatliturgie und wird „Priesterin des Hau-ses“ genannt.

In den verschiedenen Strömungen des Ju-dentums wird die Gleichberechtigung in denSynagogen sehr unterschiedlich gehandhabt.So sitzen in orthodoxen Gemeinden Frauenund Männer getrennt4 während des Gottes-dienstes und die Ämter werden nur vonMännern übernommen, wohingegen in pro-gressiven Synagogengemeinden Frauen undMänner gemischt sitzen können und Frauenauch die Ämter der Kantorin und der Rab-binerin übernehmen können. In ihren Litur-gien werden neben den Erzvätern auch die

Erzmütter Sarah, Rebekka, Lea und Rachelgenannt oder die erste Prophetin Miriam.

3. Das Gebet an sich

3.1 Das spontane und das

liturgische Gebet

„Mein Gott nochmal!“ – „Gott sei Dank“ –„Um Gottes Willen!“ – „So Gott will“. AlleMenschen kennen spontane Gebete. Wennman etwas Schönes sieht oder, wenn manentsetzt ist, entflieht es den Lippen. Genau-so wie das Stoßgebet oder die spontane Für-bitte: „Das möge Gott verhindern“. Es gibtunendliche viele Anlässe, in denen Men-schen spontan beten, ohne es zu merken.Auch in der Bibel finden sich Beispiele fürspontane Gebete, so z.B. wenn der Jude Je-sus am Ölberg betet5. Dabei können dieseGebete unterschiedlich lang sein: Mose be-tet für sein Volk 40 Tage und 40 Nächte langund für seine Schwester verwendet er nurvier Worte6. Alle jüdischen Gebete der Bibel sind imPrinzip spontane Gebete – denn es existier-ten bis ins 9. Jahrhundert keine Gebetsbü-cher. Auch die Psalmen sind keine liturgi-schen Gebete, sondern Poesie, die inbestimmten Lebenssituationen entstandenist, in denen Menschen sich befanden. Deramerikanische Rabbiner und Professor fürjüdische Religion, Jakob J. Petuchowskimerkt zu Recht an, dass solche Texteschwerlich in Liturgiekommissionen ent-standen sein könnten7. Erst nach und nachentstanden ab dem 9. Jahrhundert liturgische

III. Gebet im Judentum

3 Nicht zu verwechseln mit Nationalität. Menschen jüdischen Glaubens gehören zum Volk Israel, sind aber nicht unbedingt israelische Staats-bürger.

4 Der Bereich für Frauen befindet sich auf einer Empore oder im hinteren Teil der Synagoge, der in einigen Fällen durch einen Vorhang abge-trennt ist.

5 Vgl. Mk. 14, 32ff6 Vgl. Ex. 34, 28 und Num. 12, 137 Petuchowski, Jakob J.: Beten im Judentum; Stuttgart 1976: S. 12.

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Bücher, in denen die spontanen Gebete vonGelehrten, großen Rabbinern und charisma-tischen Menschen gesammelt, aufgeschrie-ben und in den Gottesdienst eingebrachtwurden. Sie werden heute noch bei Synago-gengottesdiensten und privaten Gebeten ver-wendet und sind oftmals zur Liturgie er-starrt. Lange Zeit wehrten sich die Gelehrten desJudentums dagegen, Gebete aufzuschreiben:Zu groß erschien ihnen die Gefahr, dass einsolches Gebetbuch die „Thora verbrenne“,also entwerten könne8. Das Wort Gottes unddie Beschäftigung darf nicht durch Liturgieverdrängt werden, denn das Studium derThora ist nach jüdischer Auffassung derhöchste Gottesdienst. Nicht umsonst nenntman im deutschen bzw. jiddischen Sprach-raum die Synagoge häufig auch Schul- undLehrhaus9, da dort neben dem Gottesdienstauch das Studium der Thora stattfindet.Das Gebet ist wie in allen Religionen auchim Judentum der „tiefste Ausdruck der Lie-be“10. Und zwar der Liebe der Menschen zuGott und der Liebe Gottes zu den Menschen.Im Judentum wird das besonders ausge-drückt in dem Gebot, dass der Mensch Gottvon ganzen Herzen lieben soll11. Dabeispielt die Aufrichtigkeit des Gebetes, dieKawwanah, eine besondere Rolle. Das Wortist, wie viele hebräischen Worte, schwer zuübersetzen und hat eine Vielzahl von Be-deutungen: Ausrichtung, Konzentration, An-dacht, Innerlichkeit12. Symbole, Kleidung,

Haltungen, Musik etc. bezwecken beim Ge-bet, die Kawwanah herzustellen bzw. zu hal-ten.

3.2 Das Paradoxon des Gebetes

Gott spricht nach jüdischer Auffassung zuden Menschen in der Heiligen Schrift. AlsAbbild Gottes darf der Mensch den all-mächtigen, allwissenden und majestätischenGott im Gebet antworten. Und er wiederumantwortet uns wieder mit der Erhörung un-seres Gebetes13. Aber ist das nicht paradox?Gott ist nach jüdischer, christlicher und is-lamischer Auffassung allwissend. Wenn wirmit unseren Anliegen und Sorgen zu Gottkommen, dann weiß er das alles doch schon.Wenn Gott alles vorbestimmt hat im Laufder Welt, wie können wir dann Fürbitten vorihn bringen? Man könnte es sich einfachmachen und sagen, dass Gott in seiner All-macht das Gebet schon vorgesehen habe14.Aber was hülfe das? Am Ende muss man sa-gen, dass Gott ein Geheimnis für uns Men-schen bleibt. Er entzieht sich aller Logik undallen Intellekts. Im Judentum heißt es lapi-dar dazu: „Alles ist vorgesehen und dieWahl ist gegeben“15.Im Gebet stellt sich das Judentum bewusstin die Reihe der Erzväter (und Erzmütter).Nicht umsonst beginnen viele Gebete mitder Formel „an unseren Gott und den Gottunserer Väter Gott Abrahams, Gott Isaaksund Gott Jakobs“. Petuchowski16 vergleichtdas Gebet der Juden mit einem Schmuck-

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8 Petuchowski, Jakob J.: Beten im Judentum. Stuttgart 1976: S. 11.9 Vgl. Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums. Gütersloh 1992: S. 443f (Synagoge).

10 Ben-Chorin, Schalom: Betendes Judentum. Die Liturgie der Synagoge; Tübingen 1980: S. 6.11 Vgl. Dtn. 11,13.12 Petuchowski, Jakob: Beten im Judentum. Stuttgart 1976: S. 11.13 Nach der Shoa (nationalsozialistischer Völkermord an den Juden) hat sich jüdische Theologie bezüglich der Frage, ob Gott in das Weltge-

schehen eingreift, stark verändert und zu Kontroversen geführt. Vgl. Jonas, Hans: Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stim-me, Frankfurt a.M. 1984.

14 Petuchowski, Jakob: Beten im Judentum. Stuttgart 1976: S. 17.15 A.a.O.: S. 16.16 Petuchowski, Jakob J.: Wie Juden beten. Gütersloh 1998: S. 32.

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teppich, an dem jede Generation einen Fa-den aufnimmt und den Teppich weiter webt.Der Jude steht beim Gebet in der Traditionder vorherigen Generationen und der späte-ren Generationen. Darum sind überlieferteGebete und Gebetsformeln wichtig. Gleich-zeitig steht er in Gemeinschaft mit den Ju-den seiner Zeit. Dies wird u.a. deutlich beimjüdischen Gottesdienst: Für ein gemein-schaftliches Gebet sind mindestens zehn re-ligionsmündige Juden nötig. Dieses Quorumheißt Minjan17. Der Gottesdienst soll sichzudem überall ähneln, damit sich der Judeauch in der fremden Synagoge nicht alleinfühlt.

Doch damit ergibt sich ein Dilemma: Diehöchste Form des Gebetes ist nach wie vordas das freie bzw. spontane Gebet. So heißtes bei Rabbi Elieser: „Wer sein Gebet nurals festgelegte Routine betrachtet, dessenGebet ist kein andächtiges Flehen“18. Aus-weg aus diesem Dilemma ist, dass man sichimmer dessen bewusst ist und dass manhofft, dass die vorgeschriebenen Gebete derGroßen eventuell die eigenen Sorgen besserausdrücken als die eigenen Worte.

3.3 Die Pflichtgebete

Für den gläubigen Juden sind drei Pflicht-gebete am Tag vorgeschrieben, auch wenn

sich in der Bibel kein Gebot: ‚Du sollst dreiMal am Tag beten’ findet. Doch die UrväterAbraham (Morgengebet19), Isaak (Mittags-gebet20) und Jakob (Abendgebet21) begrün-deten entsprechende Traditionen22 und auchverschiedene Propheten rufen zum dreifa-chen Gebet auf23. Nach der Zerstörung des zentralen Heilig-tums der Juden, dem Tempel im Jahr 70 n.Chr. fehlte dem Judentum der zentrale Ortdes sakramentalen Opfers24. An Stelle dervorgeschriebenen Opfer und der Gottes-dienste im Tempel traten das Morgen- undMittagsgebet als Pflichtgebete, die bis zurkünftigen Wiedererrichtung des Tempels inmessianische Zeit zwischenzeitlich Ersatzfür die Opferhandlungen darstellen. Da amAbend im Tempel nicht geopfert wurde, be-zieht das abendliche Pflichtgebet seine Be-gründung vor allem aus den biblischen Tex-ten. Der Prophet Hosea legitimiert diesenErsatz, wenn er sagt, dass wir „... die Rin-der unserer Lippen (opfern)“25. Diese tägli-chen Pflichtgebete können abends26, mor-gens und nachmittags allein zuhause27 , ambesten aber gemeinschaftlich in der Syna-goge gebetet werden.Das Maariv, das Abendgebet, soll gebetetwerden, wenn die Sterne am Himmel auf-tauchen. Es besteht aus dem Schma Jisrael28,dem Glaubensbekenntnis der Juden und

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17 Hebr. Zahl. Die Zahl Zehn ergibt sich aus Gen. 18,32. Vgl. Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums. Gütersloh 1992: S.316 (Minjan). In Reformgemeinden wird in der Regel der egalitäre Minjan praktiziert, d.h. Männer und Frauen bilden die Gruppe der religi-onsmündigen Gläubigen.

18 Zitiert nach Petuchowski, Jakob J.: Beten im Judentum; Stuttgart 1976: S. 17.19 Vgl. Gen. 19, 27.20 Vgl. Gen. 24, 63.21 Vgl. Gen. 28, 2.22 Vgl. Trepp, Leo: Der jüdische Gottesdienst. Gestalt und Entwicklung, Köln 1992: S. 12.23 Z.B. Daniel 6,11.24 Der Tempel war bis zu seiner Zerstörung 70 n. Chr. der zentrale Ort der Gottesverehrung und Kristallisationspunkt der israelitischen Identi-

tät. In ihm wurden in Gottesdiensten Tiere als Dank und zur Sühne geopfert. Vgl. Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Neues Lexikon des Juden-tums. Gütersloh 1992: S. 449 (Tempelkult).

25 Hosea 14,3.26 Der jüdische Tag beginnt am Abend mit dem Sonnenuntergang.27 Daran hat wohl auch Jesus gedacht, als er gem. Matth. 6, 6 empfahl „Geh in Dein Zimmer und schließe die Tür“. Offensichtlich empfand er

das Gebet in der Synagoge für oder Öffentlichkeit oftmals als scheinheilig.28 Siehe Abschnitt 6.1.

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dem Schmone Esre, dem Achtzehn-Bitten-Gebet29 sowie Psalmen und Segenssprüchenzu diesen beiden Hauptgebeten30.

Das Morgengebet – Schacharit – ist das um-fangreichste der drei Pflichtgebete. Es sollmöglichst bei Sonnenaufgang, auf jeden Fallaber bis zum Mittag verrichtet werden. Esbesteht aus Benediktionen, Psalmen, Se-genssprüchen und vor allem aus dem Glau-bensbekenntnis (Schma Jisrael) und demAchtzehn-Bitten-Gebet (Schmone Esre)31.Vor dem Gebet werden die Hände gewa-schen und zum Gebet werden der Tallit unddie Tefillin angeleg32.

Das Mittagsgebet (Mincha) kann zwischendem Mittag und dem Abend gebet werden.Viele Juden verbinden das Mittagsgebet mitdem Abendgebet. Der Zeitpunkt des Mit-tagsgebetes wird aus Gen. 24,63 gefolgert,wo berichtet wird, dass Isaak gegen Abendauf das Feld ging um zu beten. Im Tempelwurden um die Mittagszeit Speiseopfer dar-gebracht. Das Mittagsgebet besteht in derRegel aus dem Achtzehn-Bitten-Gebet unddem Tachanun, einem Beicht- und Flehge-bet.

Der fromme Jude bzw. die fromme Jüdin be-tet aber nicht nur zu den vorgeschriebenenZeiten. Für ihn sind alle seine alltäglichenTätigkeiten eine Art Gottesdienst und er be-gleitet sie mit Segenssprüchen: beim Genie-ßen, beim Pflichterfüllen oder zum Lob und

Dank. Die Formel ist immer ähnlich. So lau-tet der Segensspruch beim Händewaschenetwa: „Gesegnet seist Du, Herr unser Gott,König der Welt, der Du uns geheiligt hastmit Deinen Geboten und uns befohlen hast,die Hände zu waschen“33.

In der Synagoge werden die Pflichtgebeteals gemeinschaftliche Gottesdienste gebetet,wenn zehn religionsmündige Männer oderFrauen anwesend sind. Dort werden sie anMontagen und Donnerstagen34 durch Le-sungen aus der Thora ergänzt35.

Der siebte Tag der Woche, der Sabbat36, istder heiligste Tag, an dem absolute Ruhe ge-halten wird und Arbeitsverbot gilt. Dengläubigen Juden ist es nur erlaubt, den Wegin die Synagoge zu gehen. Auf Feuer- oderLichtanzünden und Kochen wird beispiels-weise verzichtet. Alles für den Sabbat Not-wendige wird am Tag vorher vorbereitet.Man badet vor Sabbatbeginn, reinigt dieWohnung und legt besondere Kleidung an.Kurz vor Sabbatbeginn werden die Kerzenvon den Frauen der Familie angezündet.Dies wird mit Segenssprüchen begleitet. An-schließend geht man zum Nachmittags- undAbendgebet in die Synagoge. Nach demGottesdienst versammeln sich die Familiendaheim zum Abendessen, das mit Segens-sprüchen, Weinsegnung (Kiddusch37), Brot-segnung, Liedern und besonderen Gebetenbegonnen wird38.

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29 Siehe Abschnitt 6.2.30 Vgl. Lau, Israel M.: Wie Juden leben. Glaube, Alltag, Feste. Gütersloh 1988: S. 50f.31 Vgl. Lau, Israel M.: Wie Juden leben. Glaube, Alltag, Feste. Gütersloh 1988: S. 28.32 Siehe Abschnitt 6.3.33 Vgl. Schoeps, Julius H.: Neues Lexikon des Judentums, Gütersloh 1995: S. 315 (Mincha).34 Für die Wahl dieser Wochentage gibt es mehrere Erklärungen: zum einen waren es in Jerusalem die Markttage an denen viele Menschen

in der Stadt waren; zum anderen sollen Juden nicht drei Tage ohne Thoralesung vergehen lassen. Dies lehnt sich an den Auszug der Is-raeliten aus Ägypten an, wo Gott sein Volk nicht drei Tage ohne Wasser gelassen hatte (Ex 15,22).

35 Eine ausführliche Beschreibung und Erläuterung der Gottesdienste an Werktagen, Sabbaten und Feiertage ist nachzulesen bei: Böckler,Annette: Jüdischer Gottesdienst, Wesen und Struktur, Berlin 2002.

36 Hebr.: Ruhen. Der Tag, an dem Gott nach dem Schöpfungswerk geruht hat. Er beginnt am Freitag mit dem Sonnenuntergang und endetam Samstag mit dem Sonnenuntergang.

37 Kiddusch (hebr.): Heiligung, Segensspruch.38 Vgl. Trepp, Leo: Der jüdische Gottesdienst, Gestalt und Entwicklung. Köln 1992: S. 12f.

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Das Morgengebet des Sabbats folgt dengleichen Regeln wie dem des Werktages.Die Gebete, Segenssprüche und Lesungensind am Sabbat jedoch umfangreicher als annormalen Werktagen. So wird im Jahreslaufdie gesamte Thora an den Sabbaten in 54Abschnitten gelesen. An den Montagen undDonnerstagen dagegen werden nur Teiledieser Wochenlesung vorgetragen.

4. Orte des Gebetes

Der Ort des Gottesdienstes ist in der Regeldie Synagoge39. Synagogein ist griechischund heißt: Zusammenkommen. Das WortKirche stammt im Gegensatz dazu von demgriechischen Wort Ecclesia ab. Das heißt„die Herausgerufenen“ und war in der Anti-ke auch der Begriff für Volksversammlung.Die beiden Begriffe zeigen aber den Cha-rakter der Religionen: Das Judentum ist ei-ne typische Volks- oder Stammesreligion40,die nicht missionarisch ist, sondern an einebestimmte Gruppe von Menschen gebundenist. Der Zugang zu Gott geschieht über dieethnische Gruppe. Das Christentum dagegenist, wie der Islam, eine Weltreligion. Das be-deutet, dass dazu gehört, wer sich zu dieserReligion unabhängig von seiner Herkunftbekennt. Der Zugang geschieht über das Individuum, was auch in den Glaubensbe-kenntnissen zum Ausdruck kommt. So lau-tet das jüdische Glaubensbekenntnis „Höre,Israel, der Herr, unser Gott, ist einer/ein-

zig41“, und das christliche apostolischeGlaubensbekenntnis mit „Ich glaube anGott“ beginnt.

Es ist nicht klar, wann die Institution der Sy-nagoge entstanden ist. Es gibt Stimmen, diedie Entstehung in die Zeit der babylonischenGefangenschaft legen (597-539 v.Chr.). Frü-heste archäologische Zeugnisse stammenaus dem 2. Jahrhundert vor Christus42. ZurZeit Jesu gab es neben dem Tempel43 alsKultort auch in den kleinen Ortschaften Ver-sammlungsstätten44, in denen die Menschenzum Gebet zusammenkamen und in denendie Thora gelehrt wurde. Erst mit der Zer-störung des Tempels, des zentralen Kultortesder jüdischen Gemeinde, 70 n. Chr. und demExil vieler Juden, dezentralisierte sich derKult und die Synagogen wurden zu denwichtigsten Orten religiösen Lebens.

Der Gebetsraum der Synagoge ist heute45,wenn möglich, nach Osten ausgerichtet. Ander Ostwand befindet sich der Schrein mitden Thorarollen, die durch Holzkästen oderSamtbezüge geschützt sind. Davor oder inder Mitte des Raumes befindet sich ein Le-setisch, auf dem die Rolle abgelegt wird,wenn aus ihr gelesen wird. Die Thora ist,wie oben schon erwähnt, in 54 Abschnittegeteilt, die am Sabbat vollständig verlesenwerden, so dass im Laufe eines Jahres dieganze Thora gelesen wird. In Reformsyna-gogen gibt es oft auch Orgeln für die musi-kalische Gestaltung des Gottesdienstes. Or-thodoxe lehnen den Gebrauch vonInstrumenten ab.

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39 Gottesdienste können aber auch an anderen Orten, z.B. Wohnungen, gefeiert werden.40 Vgl. Mensching, Gustav: Soziologie der großen Religionen. Bonn 1966: 184 ff.41 Dtn. 6,4.42 Vgl. Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums, Gütersloh 1995: S. 439f (Synagoge).43 Vgl. z.B. Mk. 12, 41.44 Vgl. z.B. Matth. 4,23.45 Vgl. Nützel, Gerdi: Wo man sich versammelt. Die Synagoge in der Oranienburger Str.; in: Missionszentrale der der Franziskaner (Hrsg.):

Dem Glauben Raum geben. Religionen anhand ihrer Gotteshäuser erklärt, Grüne Reihe Nr. 112, Bonn 2014.

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In der Diaspora, also den Orten außerhalbIsraels, sind Synagogen heute meist prächti-ge Bauten, da sie identitätsstiftende Funkti-on haben und Symbol des Selbstbewusst-seins jüdischen Lebens sind. In Israel, woSynagogen auch Bet-ha-Knesset – Haus derVersammlung genannt werden, ist dies nichtnötig.Neben der Synagoge ist das eigene Hausoder die eigene Wohnung der Ort des Gebe-tes. Die Besonderheit eines jüdischen Hau-ses wird schon an der Eingangstür sichtbar.Am rechten Türpfosten hängt in jedem jüdi-schen Haus eine Mesusa46. Dies ist ein klei-nes Röhrchen mit dem jüdischen Buchsta-ben Schin (Beginn des Gottesnamen „DerAllmächtige“), in dem ein Pergament mitWorten Gottes47 gesteckt ist, die an seineLiebe und die Pflicht des Menschen, seineGebote zu beachten, erinnern. Zu Beginn des Sabbats findet am Abendnach dem Synagogengottesdienst die Sab-bat-Feier im Kreis der Familie statt, die fastwichtiger ist als der Gottesdienst in der Sy-nagoge. Auch an Festen wie Pessach, Laub-hüttenfest oder Chanukka steht die eigeneWohnung und die Feier mit der Familie imMittelpunkt.Übrigens soll ein jüdisches Haus nie vollen-det sein, so lange der Tempel von Jerusalemnicht vollendet ist. In den Häusern und Woh-nungen ist die Ostwand häufig mit einem„Misrach“-Bild oder einem Teppich mar-kiert, um anzuzeigen, in welcher RichtungJerusalem liegt48.

5. Gebetshaltungen und Gebetsutensilien

Symbole und Gebetshaltungen sollen im Ju-dentum den Gläubigen helfen, die Kawwa-nah des Betens zu unterstützen. Gebetetwird im Stehen oder Sitzen. Stehen ist Aus-druck der Ehrerbietung und des Respektesgegenüber der Heiligkeit Gottes. Darumsteht man, wenn man mit Gott spricht oderdie Thorarolle durch die Synagoge getragenwird49. Während der Lesungen und Erläute-rungen sitzt man. Auch während der SchmaJisrael wird gesessen, da es in dem Gebetheißt: „… und sprich von ihnen, wenn du indeinem Hause sitzt…“. An bestimmten Stel-len im des Achtzehnbitten-Gebetes verbeugtman sich. Gebetsrichtung ist, wenn möglich,der Osten, also Richtung Jerusalem, demOrt, in dem bis 70. n. Chr. der Tempel stand,der wiedererrichtet wird, wenn der Messiaskommt.

Häufig sieht man betende Juden wippenoder sich immer wieder verneigen. Dafürgibt es verschiedene Erklärungen. Die einensagen, Bewegung helfe, zu lernen. Anderesehen darin den Ausdruck von Trance oderinnerer Sammlung. Eine weitere Erklärungist, dass die Betenden früher nur ein Buchhatten, um das sie herumstanden. Der je-weilige Vorleser beugte sich vor und die, dienicht lasen, beugten sich zurück. Dadurchentstand die Wippbewegung. Eine, bei wei-tem nicht letzte, Erklärung führt die Bewe-gung auf Psalm 35,10 zurück, der in Lu-therübersetzung von 1984 lautet: „Allemeine Gebeine sollen sagen: HERR, wer istdir gleich?“50.

III. Gebet im Judentum

46 Mesusa (hebr.): Türpfosten.47 Dtn. 6, 4-9 und 11, 13-21.48 Misrach (hebr.): Osten. Vgl. Neumann, Moritz u.a.: Shabbat Shalom: Streifzüge durch die jüdische Welt, Würzburg 2005: S. 123.49 Vgl. Donin, Chajim Halevy: Jüdische Gebete heute. Eine Einführung zum Gebetbuch und zum Synagogengottesdienst; Jerusalem 1986:

S.42f.50 Vgl. Kolatch, Alfred J.: Jüdische Welt verstehen. 600 Fragen und Antworten, Wiesbaden 2011: S. 187.

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Während der Zeit des Tempels und kurznach seiner Zerstörung gab es auch die Sit-te des Niederkniens. Diese Sitte wurde al-lerdings verboten, als die Christen dasKnien übernahmen. Wenn in bestimmtenGebeten die Heiligkeit Gottes erwähnt wird,stellen sich manche Juden auf die Zehen-spitzen, um deutlich zu machen, dass sieganz und gar zu Gott streben oder schließendie Füße eng zusammen, um einer Vorgabeim Buch Ezechiel zu folgen51.Beim Bußgebet, dem Tachanun im Morgen-und Nachmittagsgottesdienst, beugt der sit-zende Betende den Kopf über den linkenArm und deutet so zum einen das Nieder-werfen an und erinnert zum anderen an dieHaltung des Opfertieres, das auf die linkeSeite gelegt wurde, bevor ihm die Hals-schlagader durchgeschnitten wurde52.Beim Gebet tragen Männer – auch die Gäs-te der Synagoge oder eines heiligen Ortes –eine Kopfbedeckung, in der Regel eine Kip-pa, ein kleines rundes Käppchen aus Stoffoder Leder53. Diese Tradition, die auf keinbiblisches Gebot zurückgeht, ist Ausdruckder Gottesfurcht, der Demut und der Be-scheidenheit54. Mit der Kopfbedeckungzeigt der Gläubige, dass er an Gott denkt,weshalb viele Juden, vor allem die der or-thodoxen Strömungen angehören, perma-nent eine Kippa oder einen Hut tragen55. Lauvergleicht die Kippa mit einer Soldatenmüt-ze: Der Träger bringt seine Bereitschaft zur

Pflichterfüllung zum Ausdruck. Auch Frau-en bedecken während des Gebets ihrenKopf56. Während des Morgengebets trägt der Be-tende den Tallit, einen rechteckigen Gebets-mantel aus reinem Gewebe, an dessen vierEnden Schaufäden, hebräisch: Zizijot, an-genäht sind. Diese Zizijot sind das eigent-lich wichtige: Es sind vier Schnüre, die denBetenden an die Einhaltung der Gebote Got-tes erinnern soll57. Die Zahl der Fäden, Kno-ten und Windungen der Fäden ergibt die An-zahl der jüdischen Ge- und Verbote 613. EinTallit, dessen Quasten beschädigt sind, istunbrauchbar. Fromme Juden tragen den gan-zen Tag über den sogenannten Kleinen Tal-lit über der Unterwäsche, um permanent andie 613 Gebote erinnert zu werden58. Beim Morgengebet wird das Schma Jisrael59

gesprochen. Hier ist der Tallit nach jüdischerTradition unabdingbar. Da im Mittagsgebetdas Schma nicht gebetet wird und dasAbendgebet sich nicht an die Opferritualeim Tempel anglehnt, ist bei diesen Gebetender Gebrauch nicht üblich60. Der Leiter ei-nes Gebetes trägt den Tallit immer. Das Tra-gen des Tallit ist allerdings keine Pflicht,sondern ein Brauch. Er umhüllt Schulternund Rücken. Um ungestört meditieren oderbeten zu können, legen ihn manche Gläubi-ge auch als Kapuze über den Kopf.Der Gläubige legt nach dem Tallit zum Mor-gengebet unter Zitieren von Segenssprüchen

III. Gebet im Judentum

51 Ezechiel 1,7. Vgl. Kolatch, Alfred J.: Jüdische Welt verstehen. 600 Fragen und Antworten, Wiesbaden 2011: S. 179.52 Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums. Gütersloh 1992: S. 444.53 Jiddisch: Kappel; slavisch: Jarmulke. 54 Lau, Israel M: Wie Juden leben. Glaube, Alltag, Feste; Gütersloh 1988: S. 9.55 Vgl. Böckler, Annette: Jüdischer Gottesdienst, Wesen und Struktur. Berlin, 2002: S. 147.56 Verheiratet Frauen bedecken nach der Tradition ihr Haar mit einem Kopftuch, einem Hut oder mit einer Perücke. Schon im Hohelied wird

das Haar als etwas sehr sinnliches beschrieben. Es sollte darum in der Öffentlichkeit nicht gezeigt werden. Die Tradition, eine Perückestatt dem eigenen Haar zu zeigen, entstand in der Barockzeit, als von Frankreich ausgehend Perücken Mode wurden.

57 Num. 15, 37-41.58 Vgl. Böckler, Annette: Jüdischer Gottesdienst, Wesen und Struktur. Berlin, 2002: S. 139.59 Im Schma Jisrael wird die Bibelstelle Num. 15, 37-41 zitiert.60 Vgl. Donin, Chajim H.: Jüdisches Gebet heute. Jerusalem 1986: S. 34.

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in vorgeschriebener Weise61 die Tefillin, dieGebetsriemen mit Kapseln, am rechten Armund auf der Stirn an. Er folgt damit dem Ge-bot in Dtn. 6,8: „Du sollst sie als Zeichenum das Handgelenk binden. Sie sollen zumSchmuck auf deiner Stirn werden.“ Die Te-fillin werden nicht am Sabbat oder an Fei-ertagen getragen, da sie als Erinnerungszei-chen an die Gebote Gottes bei dertagtäglichen Arbeit gedacht sind und derSabbat arbeitsfrei ist62. Zudem spricht derSabbat schon für sich, so dass Erinnerungs-zeichen nicht nötig sind. In den zwei leder-nen Kapseln der Teffilin sind jeweils viergleiche auf Pergament geschriebene Textab-schnitte der Thora63 enthalten. Beim Tefillinfür den Arm werden die Texte auf ein einzi-ges Pergament geschrieben und in die Kap-sel gelegt, bei dem für den Kopf werden dievorgeschriebenen vier Texte auf vier Perga-mente geschrieben und in eine Kapsel mitvier Kammern gesteckt64. In der Synagoge verwenden die Gläubigenein Gebetsbuch. Orthodoxe Juden verwendenin ihren Gottesdiensten in der Regel nur dieHebräische Sprache, Reformsynagogen hin-gegen verwenden moderne Übersetzungen.

6. Einzelne Gebete

Wie erwähnt, kennt das Judentum eine Viel-zahl von gebotenen und freien Gebeten. Andieser Stelle soll auf die drei der wichtigs-ten Gebete eingegangen werden: Das Glau-bensbekenntnis, das Achtzehn-Bitten-Gebetund das Kaddisch.

6.1 Das Glaubensbekenntnis

Das Glaubensbekenntnis, das „Höre Israel“ist das wichtigste Gebet im Judentum. Es istdas einzige Gebet, das in der Thora aus-drücklich vorgeschrieben wird65. Alle ande-ren Gebete, bis auf Segenssprüche überSpeisen, gehen auf Weise und Rabbiner zu-rück. Das Schma Israel muss abends undmorgens gebetet werden:

Schma Israel, A-donaj E-lohejnu, A-donajEchad.

Höre Israel, der Ewige unser Gott, derEwige ist Eins.

Das Bekenntnis ist mit voller Andacht zusprechen. Der Gläubige bedeckt dabei seineAugen. Das Gebet darf unter keinen Um-ständen unterbrochen werden, und wenn einGläubiger irgendwo vorbeikommt und hört,dass es gebetet wird, muss er es mitbeten. Begleitet wird das Schma Jisrael von ver-schiedenen Lesungen aus der Thora, die lei-se gesprochen werden66:

„Gesegnet sei der Name der Herrlichkeitseines Reiches für immer und ewig.

Du sollst den Ewigen, deinen Gott, liebenmit deinem ganzen Herzen und mit dei-ner ganzen Seele und mit deinem ganzenVermögen. Und es seien diese Worte, dieIch dir heute auftrage, auf deinem Her-zen. Schärfe sie deinen Kindern ein undsprich in ihnen, wenn du zu Hause sitzestund wenn du auf dem Wege gehst, wenndu dich hinlegst und wenn du aufstehst.Binde sie zum Zeichen an deine Hand,und sie seien als Denkband zwischen dei-

III. Gebet im Judentum

61 Eine ausführliche Beschreibung bei Donin, Chajim H.: Jüdisches Gebet heute. Jerusalem 1986: S. 38ff.62 Vgl. Donin, Chajim H.: Jüdisches Gebet heute. Jerusalem 1986: S. 37f.63 Ex. 13, 2-10; Ex. 13, 11-16; Dtn. 6, 4-9; Dtn. 11, 13-20.64 Vgl. . Böckler, Annette: Jüdischer Gottesdienst, Wesen und Struktur. Berlin, 2002: S. 43.65 Vgl. Dtn. 6,4.66 Text in Seidler, Meir: Schma Jisrael. Einheit - Die jüdische Sicht, Kovar 1998; zitiert nach: Grünefeld, Jehonatan: Das Schma Jisrael im

Morgengebet: http://www.talmud.de/pdformat/schma.pdf (abgerufen am 10.08.2016).

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nen Augen. Schreibe sie an die Türpfos-ten deines Hauses und deiner Tore.67

Und es sei, wenn ihr auf Meine Gebote,die Ich euch heute gebiete, wirklich hö-ren werdet, den Ewigen, euren Gott zulieben und Ihm zu dienen mit eurem gan-zen Herzen und eurer ganzen Seele.Dann werde ich Regen eurem Land zuseiner Zeit geben, Früh- und Spätregen,und du wirst dein Getreide einsammeln,deinen Most und dein Öl. Und ich werdeGras deinem Feld geben für dein Vieh,und du wirst essen und satt werden. Hü-tet euch, dass euer Herz nicht verführtwerde und ihr abweicht und anderenGöttern dient und euch vor ihnen ver-beugt. Dann wird der Zorn des Ewigenwider euch entbrennen, Er wird den Him-mel verschließen, und es wird kein Regensein, und die Erde wird ihren Ertrag nichtgeben, und ihr werdet schnell zugrundegehen aus dem guten Land, das der Ewi-ge euch gibt. Legt diese Worte auf euerHerz und auf eure Seele, bindet sie zumZeichen an eure Hand, und sie seien alsDenkband zwischen euren Augen. Ihrsollt sie euren Kindern lehren und in ih-nen sprechen, wenn du zu Hause sitzestund wenn du aufstehst. Und schreibe siean die Türpfosten deines Hauses und dei-ner Tore. Damit eurer Tage viele werdenund der Tage eurer Kinder auf dem Erd-boden, den der Ewige euren Vätern zu-geschworen hat, ihnen zu geben, wie dieTage des Himmels über der Erde.68

Und der Ewige sprach zu Mose und sag-

te: Sprich zu den Kindern Israel und sa-ge ihnen, sie sollen sich Schaufäden ma-chen an den Ecken ihrer Kleider für ihreGeschlechter, und sie sollen an denSchaufäden an der Ecke je einen him-melblauen Faden anbringen. Und es solleuch zu Schaufäden sein, und ihr sollt siesehen und euch an alle Gebote des Ewi-gen erinnern und sie tun, und ihr solltnicht eurem Herzen und euren Augennachspähen, denen ihr nachbuhlt. Damitihr euch erinnert und alle Meine Gebotetut und heilig seid eurem Gotte. Ich binder Ewige, euer Gott, der Ich euch ausdem Lande Ägypten herausgeführt habe,euch zum Gott zu sein. Ich bin der Ewige,euer Gott.“69

Die Haltung beim Schma Jisrael hängt vonden Sitten in der jeweiligen Ortsgemeindeab. Man kann es im Stehen beten. In der Re-gel bete man es allerdings im Sitzen, da eseigentlich Teil des Bibelstudiums ist undman beim Lernen sitzt. Das Wort „Echad“(einzig) wird beim Aussprechen in die Län-ge gezogen. Echad ist schwer zu übersetzen.Martin Buber übersetzt: „Höre Jisrael! Erunser Gott! ER einer!“. Echad bedeutet ein,einzig, eine unteilbare Einheit und machtden monotheistischen Charakter des jüdi-schen Glaubens deutlich. Die begleitenden Texte zum Schma Jisraelweisen auf Gott als denjenigen hin, der dieRegeln setzt, an die sich die Gläubigen je-derzeit zu erinnern und zu halten haben. Sieerinnern aber auch an die einzigartige Liebeund Treue Gottes zum Volk Israel.

III. Gebet im Judentum

67 Dtn. 6, 4.68 Dtn. 11, 13-21.69 Num. 15, 37-41.

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6.2. Das Achtzehn-Bitten-

oder Amida-Gebet

Das Achtzehn-Bitten- oder sogenannte Ami-da-Gebet ist das zweite wichtige Gebet imjüdischen Glauben. Es ist das zentrale Ge-bet im jüdischen Gottesdienst und bestehtaus 19 Abschnitten70. Nachweisbar ist eserstmalig im 9. Jahrhundert nach Christus.Das Achtzehn-Bitten-Gebet wird im Stehengebetet (darum auch sein hebräischer Name„Amida“ = Gebet im Stehen). Bevor es lautim Gottesdienst rezitiert wird, betet es jederGläubige für sich und kann eigene Bitteneinfügen.Beim Amida-Gebet handelt es sich um einGebet, das sich an die Riten im JerusalemerTempel orientiert hat und darum ursprüng-lich nur morgens und nachmittags Pflichtwar. Erst im Laufe der Zeit bürgerte sich ein,das Amida auch am Abend zu beten. Grob kann man das Achtzehn-Bitten-Gebetin folgende Abschnitte teilen:1. Erinnerung an die „Erzväter“2. Erinnerung an die Machterweise Gottes3. Heiligung Gottes4.-16. Hauptteil – Dieser bezieht sich auf

konkrete Anliegen eines Tages. AnWerktagen besteht der Hauptteil aus13 Bitten für ein jüdisches Leben, amSabbat aus einer Bitte für einen gutenRuhetag und an Festtagen aus ent-sprechenden Bitten für das Fest. ImMussaf (Zusatzgebet) am Sabbat undFesttagen enthält es zusätzliche Op-ferbestimmungen, am Neujahrsfestdrei zusätzliche Abschnitte über ‚Got-tes Königtum‘, ‚Gottes Erinnerung‘und das ‚Schofarblasen‘.

17. Erinnerung an den Tempeldienst

18. Dank19. Priestersegen und Friedensbitte

Das Achtzehn-Bitten-Gebet wird, wennmöglich, im Stehen gebetet. Zu Beginn gehtder Gläubige drei angedeutete Schritte vorund drei Schritte wieder zurück, um die Ehr-furcht vor Gott als dem König der Königezu bezeugen. Beim Stehen hält man die Fü-ße geschlossen und wendet sich in RichtungJerusalem. Man faltet die Hände über demHerzen. Bei der Formel „Gelobt seist du…“knickt man vielerorts leicht mit den Knienein und deutet eine Verbeugung an.

6.3. Das Kaddisch

Das dritte wichtige Gebet, das an dieserStelle vorgestellt werden soll, ist das Kad-disch. Anders als die beiden vorherigen Ge-bete, die ursprünglich nur in hebräischerSprache gebetet wurden, besteht dieses Ge-bet aus hebräischen und aramäischen Teilen.Es ist unklar, wann das Kaddisch-Gebet ent-standen ist71. Erste schriftliche Aufzeich-nungen stammen aus dem 9. Jahrhundert un-serer Zeitrechnung. Das Kaddisch-Gebet ist ein Heiligungsge-bet, das es in verschiedenen Versionen gibt,die zu verschiedenen Anlässen gesprochenwerden. Das sogenannte Halbkaddisch, oh-ne die aramäische Friedensbitte, wird in dersynagogalen Liturgie verwendet. Es verbin-det die einzelnen Teile der Liturgie. Nachdem Bibel- oder Talmudstudium wird dasKaddisch nach dem Studium gebetet, umGott für das erworbene Wissen zu loben.Das Kaddisch der Waisen, die längste undbekannteste Fassung des Kaddischs, wirdals Gebet für die Verstorbenen benutzt. Da-

III. Gebet im Judentum

70 Ursprünglich hatte es nur 18 Bitten. Am Sabbat und an Feiertagen besteht das Gebet nur aus sieben Bitten, d.h. die Bitten 4 – 16 werdennicht gebetet.

71 Vgl. Lehnardt, Andreas: Die Geschichte des Kaddisch-Gebets; in: Homolka, Walter (Hrsg.): Liturgie als Theologie: das Gebet als Zentrumjüdischen Denkens, Berlin 2005.

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bei wird das Gebet auf dem Friedhof amGrab des oder der Verstorbenen von den ei-genen Kindern oder einem Verwandten re-zitiert72. In den folgenden elf Monaten wirdes dann täglich mit der Gemeinde (Minjan)während des dreimaligen Pflichtgebetes ge-sprochen. Bei allen Formen des Kaddischsbetet ein oder eine Gläubige vor und die Ge-meinde antwortet bei der Aufforderung„Und sprechet: Amen“.

Erhoben und geheiligt werde sein großerName auf der Welt, die nach seinem Wil-len von Ihm erschaffen wurde- sein Reichsoll in eurem Leben in den eurigen Tagenund im Leben des ganzen Hauses Israelschnell und in nächster Zeit erstehen.Und wir sprechen: Amen!

Sein großer Name sei gepriesen in Ewig-keit und Ewigkeit der Ewigkeiten. Ge-priesen sei und gerühmt, verherrlicht, er-hoben, erhöht, gefeiert, hocherhoben undgepriesen sei der Name des Heiligen, ge-lobt sei er, hoch über jedem Lob und Ge-sang, Verherrlichung und Trostverhei-ßung, die je in der Welt gesprochenwurde, sprechet Amen!

[Frieden in Fülle komme über Israel undüber die Gelehrten, über die Studieren-den und deren Schülerinnen und Schüler.Frieden in Fülle komme über jeden Men-schen, der sich mit der Thora beschäftigt,sei es an diesem Ort oder an anderen Or-ten. Frieden in Fülle komme über sie undüber euch und Erlösung von Gott, derQuelle des Lebens und Ursprung allerWeisheit, sprechet: Amen.]73

Möge Erhöhung finden das Gebet unddie Bitte von ganz Israel vor seinem Va-ter im Himmel, sprechet Amen!74

Fülle des Friedens und Leben möge vomHimmel herab uns und ganz Israel zu-teilwerden, sprechet Amen!75

Der Frieden stiftet in seinen Himmelshö-hen, stifte Frieden unter uns und ganz Is-rael, sprechet Amen!76

Das Kaddisch wird im Stehen mit ge-schlossenen Füßen gesprochen. Vor demletzten Abschnitt des Gebetes, treten dieGläubigen drei Schritte zurück, verbeugensich während des Sprechens erst leicht nachlinks, dann leicht nach vorne, leicht nachrechts und nochmal leicht nach vorne.

III. Gebet im Judentum

72 Empfohlen sei der Film „Kaddisch für einen Freund“, der das Zusammenleben von Arabern und Juden in Berlin-Kreuzberg thematisiert.73 Dieser Abschnitt wird nur beim Kaddisch nach dem Studium gebetet.74 Dieser Abschnitt wird beim Trauer-Kaddisch und beim Halbkaddisch weggelassen.75 Dieser Abschnitt wird beim Halbkaddisch weggelassen.76 Dieser Abschnitt wird beim Halbkaddisch weggelassen.

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1. Der Islam – Zugang

Bevor wir uns dem Gebet im Islam zuwen-den, soll versucht werden, einen Zugangzum Islam zu legen. Diese Religion, istChristinnen und Christen auf der einen Sei-te sehr nah. Sie ist eine monotheistische Re-ligion, die sich wie das Judentum und dasChristentum auf Abraham und Mose beruft.Durch unterschiedliche politische und his-torische Ereignisse ist der Islam auch sehrfremd und mit vielen Vorurteilen behaftet.

Der Islam ist die zweitgrößte Religion aufdiesem Planeten und auf allen Kontinentenvertreten. In 40 Ländern bildet die Muslimedie religiöse Mehrheit der Bevölkerung. Diegrößten muslimischen Länder sind Indone-sien und Pakistan. Im gesamten ostasiati-schen Bereich leben die meisten Muslime,fast 45%. Insgesamt gibt es ca. 1,55 Milli-arden Muslime, das sind ca. 23 % der Welt-bevölkerung (Christen: 2,2 Mrd.)1. Wir hierin Deutschland kommen in der Regel mitMenschen mit sunnitisch türkisch-anatoli-schem Hintergrund in Berührung, der abernur 4,7% des Weltislam ausmacht2.

Islam (vom arabischen Verb aslama) heißtübersetzt „sich hingeben“ oder „sich erge-ben“. Das Wort bezieht sich auf Gott: „SichGott hingeben“. Das Wort Muslim ist das

Partizip dieses Verbes und bedeutet somit:„derjenige, der sich Gott hingibt“3. DerHalbmond und der Stern als Symbole des Is-lam sind Hinweise, dass die Astrologie undder Mondkalender für den Islam eine be-deutende Rolle spielen. So beginnt der Mo-nat Ramadan erst mit Erscheinen der Mond-sichel.

1.1 Die fünf Säulen

In der Regel wird der Islam mit den soge-nannten fünf Säulen des Islam erklärt. Die-se fünf Säulen werden im Heiligen Buch desKorans nicht ausdrücklich genannt, sondernnur angedeutet. In den Hadithen4 aber wirddefiniert, was ein gläubiger Muslim oder ei-ne gläubige Muslimin tun muss5:

• Einmal täglich die Schahada, das islami-sches Glaubensbekenntnis, beten;

• Fünfmal täglich das Salāt, das Pflichtge-bet, verrichten;

• Einmal im Jahr die Zakāt, die Almosenga-be, entrichten (ca. 5% dessen, was nachAbzug des Lebensunterhaltes übrig ist);

• Saum: Im Ramadan fasten;• Einmal im Leben die Haddsch, die Pilger-

fahrt nach Mekka, vollziehen.

Der Hinweis auf die Fünf Säulen greift abernicht sehr genau. Sie sind ja nur Hand-

IV. Das Gebet im Islam

IV. Das Gebet im IslamJuanita Villamor-Meyer/Thomas M. Schimmel

1 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/256878/umfrage/verteilung-der-weltbevoelkerung-nach-religionen/ [abgerufen am17.11.2016 – 16.00 Uhr]

2 Der Bevölkerungsanteil der Muslime im Jahr 2010 in Deutschland betrug - je nach Quelle - 4,2 bis 4,6 %, das sind etwa 4 Millionen Men-schen. Davon werden 74% der sunnitischen Richtung zugerechnet. Vgl. http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situati-on-in-deutschland/145148/religionszugehoerigkeit [abgerufen am 17.11.2016 - 16.00 Uhr].

3 Vgl. Ruthven, Malise: Der Islam. Eine kurze Einführung, Stuttgart 2000: S. 11 f.4 Hadithe sind belegte Überlieferungen von Handlungen oder Aussprüchen des Propheten Muhammad.5 Vgl. Schimmel, Annemarie: Die Religion des Islam, Stuttgart 2010, S. 34 ff.

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lungsanweisungen. Sie sind sozusagen nurSymptome der Religionen. Fragt man einenMuslim oder eine Muslimin, an was er odersie glaubt, wird man folgende Antwort er-halten:

• an den einen Gott6;• an die von Gott offenbarten Bücher: Tho-

ra, Psalmen, Evangelien, Koran;• an seine Gesandten/Propheten;• an seine Engel und Dschinnen (übersinn-

liche Wesen);• an das jüngste Gericht;• an das Schicksal, ob gut oder schlecht und

dass es von Gott allein bestimmt ist.

1.2 Das Glaubensbekenntnis

Um Muslim zu werden, muss man öffent-lich das Glaubensbekenntnis ablegen: Ich bezeuge: Es gibt keinen Gott außer Gottund ich bezeuge, dass Muhammad der Ge-sandte Gottes ist.Der gläubige Muslim betet dieses Glau-bensbekenntnis jeden Tag. Es ist fester Be-standteil seines Lebens und seines religiö-sen Bewusstseins.

1.3 Gott

„Sag: Er ist Gott, ein einziger. Er ist Gottdurch und durch. Er hat nicht gezeugt nochist er gezeugt worden. Keiner kann sich anihm messen“.In dieser Sure wird der eindeutige Mono-theismus des Islam sehr deutlich. Gott ist ei-ner! Eine Beigesellung von Jesus und demheiligen Geist ist dem Islam vollkommenfremd. Die Zeugung eines Gottessohnesoder einer Gottestochter ist im theologi-

schen Gefüge nicht denkbar und ausge-schlossen. Diese Zeugung würde ja die Ein-maligkeit Gottes unterwandern. Er ist auchnicht gezeugt worden: Das hieße ja, das je-mand oder etwas vor ihm dagewesen seinmüsste. Und dass niemand sich an ihm mes-sen kann zeigt deutlich seine Allmacht undseine Allwissenheit.Wie die Bibel gibt der Koran auch Auskunftüber Gott und charakterisiert ihn. Auchwenn Gott unvorstellbar ist, finden sich imKoran Antropomorphismen: Gott wird inMenschengestalt gedacht und mit mensch-lichen Eigenschaften beschrieben. So etwa,wenn er mit starker Hand etwas tut oder sichauf dem Thron zurechtsetzt7. Mit den sogenannten schönsten Namen Got-tes wird Gott im Koran charakterisiert. 99sollen es sein und wer sie verinnerlicht,kommt ins Paradies. Die erste und am häu-figsten genannte Eigenschaft Gottes ist dieBarmherzigkeit, die auch in der allererstenund am häufigsten rezitierten Sure genanntist. Gott ist nach muslimischen Auffassungallwissend und allmächtig. Nichts auf derWelt passiert, ohne dass er es wüsste odervorherbestimmt hätte8.

1.4 Die heiligen Bücher

Der Islam erkennt die Thora, die Psalmen,die Evangelien und den Koran als geoffen-barte Worte Gottes an9. Die Gelehrten imMittelalter mussten alle vier Quellen aus-wendig kennen. Nach muslimischer Auffas-sung hat Gott die Schriften den Prophetenund Gesandten geoffenbart. Jedoch hättenChristen und Juden diese Schriften ver-fälscht. Deshalb war es notwendig, dass der

IV. Das Gebet im Islam

6 Das Wort Allah ist kein Eigenname sondern des arabische Wort für Gott. Es wird übrigens auch von arabischen Christen benutzt. 7 Vgl. Khoury, Adel Theodor: Der Koran, erschlossen und kommentiert, Düsseldorf 2005, S. 79ff.8 Vgl. Khoury, Adel Theodor: Der Koran, erschlossen und kommentiert, Düsseldorf 2005, S. 68ff.9 Vgl. Pacaci, Mehemet: Heilige Schriften, in: Antes, Peter u.a. (Hg.): Lexikon des Dialoges. Grundbegriffe aus Christentum und Islam, Frei-

burg 2013: S. 320.

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Erzengel Gabriel Muhammad den Koran ge-offenbart hat, der nach islamischer Auffas-sung das unverfälschte Wort Gottes ist, dasweder geändert noch interpretiert werdendarf. Die Anerkennung der Thora und derEvangelien als heilige Schriften macht aberdeutlich, dass Christen und Juden im isla-mischen Sinne keine Ungläubigen sind. ImKoran heißt es dazu: Diejenigen, die glauben, und diejenigen, diedem Judentum angehören, und die Christenund die Säbier – wer immer an Gott und denJüngsten Tag glaubt und rechtschaffen han-delt, – die haben ihren Lohn bei ihremHerrn, und keine Furcht soll sie überkom-men, noch werden sie traurig sein10.

1.5 Propheten

Das Siegel der Propheten ist Muhammad,dem Gott den Koran geoffenbart hat. Nachihm kommt kein Prophet mehr11. Im Islambegegnen uns aber auch Propheten der Bi-bel. Der erste Gesandte Gottes in dieserWelt, der nur durch einen Akt Gottes ge-schaffen wurde, ist Adam. Mose hat das Ge-setz gebracht und Abraham den Monotheis-mus. Er war es auch, der die Kaaba gebauthat. Der wichtigste Prophet nach Muham-mad aber ist Jesus, in dem sich das strengeGesetz Gottes sowie die Menschenliebe undZärtlichkeit Gottes vereinen. Er ist nebenAdam der einzige Mensch ohne Vater, weilMaria ihn jungfräulich geboren hat. AuchJohannes der Täufer und Maria sind im Is-lam wichtig12.

1.6 Engel

Neben Gott, glauben Muslime, existierenauch Engel und Dschinnen. Ein Engel hatsich gleich zu Beginn korrekt benommen:Er weigert sich gemäß dem Glaubensbe-kenntnis, vor Adam niederzufallen und wur-de dafür verbannt. Engel sind aus Licht undkönnen nur Gott gehorchen. Jeden Men-schen begleiten drei Engel: Zwei sitzen aufden Schultern und schreiben das Gute unddas Böse in Bücher, einer ist der Schutzen-gel. Daneben gibt es Dschinnen, die ausFeuer gemacht sind, Verstand haben und dieWelt bevölkern13.

1.7 Der Mensch

Der Mensch hat eine besondere Stellung imIslam, so wie in den anderen abrahamiti-schen Religionen auch. Gott hat ihn ge-schaffen, um ein Gegenüber zu haben, demer seine Liebe und Barmherzigkeit zuteil-werden lassen kann. Die Welt hat er ge-schaffen, damit der Mensch einen Lebens-unterhalt hat. Den Menschen hat er alsStellvertreter und Kümmerer in seineSchöpfung gesetzt. Der Mensch ist im Ge-genzug Gott zu Dank und Lob verpflichtet.Er ist im Kern gut – aber verführbar. Alle re-ligiösen Rituale sollen dem Menschen hel-fen, diesen guten Kern zu erkennen undnach Gottes Geboten zu leben. Diese Gebo-te sind keine Last, sondern eine Hilfe für dasLeben und das Zusammenleben der Men-schen14.

IV. Das Gebet im Islam

10 Sure 2:62.11 Vgl. Ismail Hakki Ünal: Muhammad, in: Antes, Peter u.a. (Hg.): Lexikon des Dialoges. Grundbegriffe aus Christentum und Islam, Freiburg

2013: S. 488.12 Vgl. Bauschke, Martin: Der Sohn Marias, Jesus im Koran, Darmstadt 2013: S. 9ff.13 Vgl. Khoury, Adel Theodor: Der Koran, erschlossen und kommentiert, Düsseldorf 2005, S. 89 ff.14 Vgl. Khoury, Adel Theodor: Der Koran, erschlossen und kommentiert, Düsseldorf 2005, S. 200 ff.

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1.8 Die Konfessionen

Zwei große Konfessionen prägen den Islam:die Sunniten, abgeleitet von dem Wort Sun-na, das Überlieferung oder Tradition heißt.Ca. 80% der heutigen Muslime sind Sunni-ten. Daneben gibt es die Schiiten. BeideKonfessionen trennten ursprünglich nichtunterschiedliche theologische Auffassun-gen, sondern Fragen der Nachfolge Mu-hammads15. Als Untergruppen gibt es beiden Sunniten beispielsweise die Wahabitenund Salafisten, bei den Schiiten die Alawi-ten, Alewiten oder Drusen.

2. Das Gebet

Eine der wichtigsten Formen der Kommu-nikation zwischen Mensch und Gott stelltauch im Islam das Gebet dar, das stark durchdie Gebetspraxis im Judentum (Pflichtgebet)zur Zeit Muhammads beeinflusst ist. DerGläubige tritt durch das rituelle Gebet (sa-lat) in direkten Kontakt mit Gott und er kannwährend seines freiwilligen und persönli-chen Gebetes (duʿāʾ) Gott anrufen und sei-ne Hilfe erbitten. Zudem ist er aufgerufen,ständig Gottes zu gedenken (dikr). Alle Ge-betsformen sind gleich wichtig16, auch wenndas rituelle Gebet als Säule des Islam mehrAufmerksamkeit erfährt. Während des rituellen Gebetes gebrauchtder Gläubige nicht seine eigenen Worte,noch drückt er seine Gedanken aus. Er führteine Reihe ritueller Handlungen durch, dieunter anderem das Rezitieren bestimmter

Verse zu bestimmten Zeitpunkten beinhal-tet. Der Mensch soll dadurch mehrfach täg-lich an seinen Bund mit Gott erinnert wer-den und diesem gedenken. Dieses Ritualkann als Hilfsmittel betrachtet werden. Esist eine Reise in sich selbst, um sein Lebenbewusster und reflektierter gestalten zu kön-nen17. In Sure 29 heißt es:

„Und verrichtet das Gebet, wahrlich dasGebet hält vom Abscheulichen undSchändlichen ab“.

Von großer Bedeutung ist die Aufrichtigkeitund Hingabe, mit der der gläubige Menschsein Gebet verrichtet. Er wendet sich mitLeib und Seele Gott zu und soll sich dessenauch bewusst sein. Das Gebet stellt ein Zei-chen seiner Ergebenheit und Dankbarkeit,aber auch der Bewegung auf Gott zu und derNähe zu Gott dar18. Während er den Vorga-ben des traditionellen Gebetes folgt, liegtseine gesamte Aufmerksamkeit auf demkorrekten Vollzug seiner Handlungen. Soll-te ihm ein grober Fehler beim Rezitierenoder im Bewegungsablauf unterlaufen, sokann sein Gebet hinfällig werden und ermuss es in Gänze wiederholen. In Koran-versen wird vorgeschrieben, dass ein Gebetmit Sündenbekenntnis und Reue beginnensoll, danach soll man Gott loben undschließlich seine Wünsche mitteilen. Entge-gen der allgemeinen Vorstellung finden sichjedoch im Koran keine exakten Anweisun-gen zum Ablauf des Gebetes. Die Vorgabengehen zurück auf die Tradition des Prophe-ten und sind über Jahrhunderte bewahrt wor-den.

IV. Das Gebet im Islam

15 Vgl. Schulte von Drach, Markus: Was Sunniten und Schiiten trennt, in: Süddeutsche Zeitung vom 16.06.2015.(http://www.sueddeutsche.de/politik/islam-was-schiiten-und-sunniten-trennt-1.840806 [Abruf am 15.11.2016, 12.00 Uhr].

16 Vgl. Essabah, Elhadi: Ruft zu mir, so erhöre ich euch! , Bedeutung und Sinn des Bittgebetes im Islam, in: Schmidt, Hansjörg u.a. (Hg.): „ImNamen Gottes…“, Theologien und Praxis des Gebets in Christentum und Islam; Regensburg 2006: s. 91ff.

17 Vgl. Khorchide, Mouhanad: Islam ist Barmherzigkeit, Freibung 2012: S. 117ff.18 Sure 96, 19: „Wirf dich nieder und such die Nähe Gottes“.

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2.1 Ort des Gebetes

Ein Muslim kann überall beten: In einemGebetsraum, auf der Straße, in der eigenenWohnung. Voraussetzung ist, dass der Ortsauber ist. Um das zu gewährleisten, benut-zen Muslime zumeist einen Gebetsteppich,den sie zum Gebet auslegen. Dies ist dannfür den Zeitpunkt des Gebetes ihre Mo-schee, was übersetzt „Ort der Niederwer-fung“ bedeutet. Eine Moschee kann also na-hezu überall sein.Während die täglichen Pflichtgebete alsoüberall gebetet werden können, müssenMänner das Freitagsgebet allerdings ge-meinsam in der gebauten Moschee vollzie-hen. Moscheen sind immer gleich einge-richtet: Es gibt eine Gebetsnische, die zurVerstärkung der Lautstärke des Vorbetersdient und die Gebetsrichtung anzeigt. Esgibt die Kanzeltreppe, von welcher der Imanfreitags die Predigt hält und den Lehrstuhl,von dem aus Vorträge und Schulungen er-folgen. Die Moschee ist aber viel mehr als nur derOrt, an dem die Gläubigen zum Gebet zu-sammenkommen. Sie ist ein Dreh- und An-gelpunkt des religiösen und sozialen Lebensder Gläubigen: Oft finden sich im unmittel-baren Umfeld der Moschee kleine Läden,Reisebüros oder Bestattungsinstitute undCafés sowie Bibliotheken und Bildungsein-richtungen.

2.2 Reinheit

Nicht nur der Ort des Gebetes soll saubersein. Auch die Beterin oder der Beter selbstsollen das Gebet in sauberem Zustand voll-ziehen. In jeder Moschee gibt es darumBrunnen oder Waschgelegenheiten mit flie-ßendem Wasser. Der oder die Gläubige soll

sich vor dem Gebet das Gesicht, Hände undUnterarme, Kopf und Füße sowie Ohren,Nase und Mund waschen. Nach Krankheit,Sex oder Menstruation ist eine Ganzkörper-waschung nötig. Bei jeder Handlung wirdein Gebet gesprochen.

2.3 Gebetsrichtung

Zum Beten steht man mit dem Gesicht inRichtung Mekka. Die ursprüngliche Ge-betsrichtung war Jerusalem, änderte sichaber in Abgrenzung zum Judentum undChristentum nach der Auswanderung vonMekka nach Medina. Damit Gläubige in derMoschee wissen, in welche Richtung sie be-ten müssen, gibt es die Gebetsnische, denMihrab und häufig auch entsprechendeMuster auf dem Teppich der Moschee. Dassalle Muslime auf ein Zentrum gerichtet hinbeten, ist ein Zeichen der Gemeinschaft:Das Gebet ist somit nicht nur ein Akt derVerbundenheit und Nähe des Menschen mitGott sondern auch ein Zeichen der Verbun-denheit aller Gläubigen.In muslimischen Hotels liegt oft ein kleinerKompass oder der Raum ist entsprechendausgestaltet, sodass der Gläubige die kor-rekte Gebetsrichtung sieht. Inzwischen gibtes sogar mobile Apps, die von vielen Mus-limen gerne als Hilfestellung genutzt wer-den.

2.4 Gebetshaltung

Es gibt im Islam verschiedene Gebetshal-tungen, die während eines rak’a durchlaufenwerden. „Die Körperhaltung, die das Rezi-tieren von Versen und Gebeten begleiten,sollen beim Beter die innere Einstellungzum Ausdruck bringen, die als ‚Anwesen-heit des Herzens‘ bezeichnet wird“19. Rak’a

38 IV. Das Gebet im Islam

19 Khoury, Adel Theodor: Der Islam. Sein Glaube, seine Lebensordnung, sein Anspruch, Freiburg 1988: S. 135.

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nennt man den Ablauf eines rituellen Ge-betszyklus, den Muslime beim rituellen aberauch beim freien Gebet vollziehen. Je nachGebetszeit wird eine unterschiedliche An-zahl von rak’a durchlaufen.Das gemeinschaftliche rituelle Gebet in derMoschee wird in Reihen gebetet. Die Gläu-bigen stehen eng, Schulter an Schulter, ne-beneinander, um die Gleichheit und die Ge-meinschaft zu bezeugen. Kommt einGläubiger zu spät zum Gebet und steht al-lein in der letzten Reihe, gesellen sich sofortGläubige aus den vorderen Reihen zu ihm,damit er nicht allein beten muss. Beim frei-en Gebet vollziehen die Gläubigen das rak’aallein.

2.5 Pflichtgebet

Im Koran wird zwar vom rituellen Gebet ge-sprochen. Die Zahl20 und der Zeitpunkt sindaber erst im Laufe der Zeit entstanden. In ei-nem Hadith21 legt Mohammad die Gebets-zeiten fest:• Fadschr-Gebet: Das Morgengebet wird

zwischen der Morgendämmerung unddem Sonnenaufgang, verrichtet, also in derZeit, in der man einen weißen Faden nichtvom schwarzen Faden unterscheidenkann;

• Zuhr-Gebet: Das Mittagsgebet wird ver-richtet, wenn die Sonne den Zenith über-schritten hat;

• Die Zeit des ʿAsr-Gebets ist der Zeitpunkt,an dem der Schatten eines Gegenstandesgenau so lang ist wie der Gegenstandselbst;

• die Zeit des Abendgebetes, des Maghrib-Gebets, beginnt kurz nach Sonnenunter-gang (schwarzer und weißer Faden) undendet mit dem Beginn der ʿIschāʾ-Zeit;

• ie Zeit für das ʿ Ischā'-Gebet beginnt, wennder rote Schimmer (aš-šafaq al-aḥmar) desAbendlichts verschwunden ist, die Sonnealso vollkommen untergegangen ist.

Kurz vor den Pflichtgebeten ruft der Muez-zin zum Gebet:„Gott ist größer. Gott ist größer. Gott ist grö-ßer. Gott ist größer. Ich bezeuge, dass es kei-nen Gott gibt außer Gott. Ich bezeuge, dasses keinen Gott gibt außer Gott. Ich bezeuge,Mohammad ist der Gesandte Gottes. Ich be-zeuge, Mohammad ist der Gesandte Gottes.Auf zum Gebet. Auf zum Gebet. Auf zumWohlergehen. Auf zum Wohlergehen. Esgibt keinen Gott außer Gott.“ (In der Mor-gendämmerung wird hinzugefügt: „Das Ge-bet ist besser als der Schlaf“) „Gott ist grö-ßer. Gott ist größer. Gott ist größer. Gott istgrößer. Es gibt keinen Gott außer Gott“22.

2.6 Freitagsgebet oder

Gemeimschaftsgebet

Das Gebet am Freitagmittag ist das wich-tigste Gebet der Woche und muss von er-wachsenen, gesunden Männern gemein-schaftlich gebetet werden. Der Freitag istdabei kein Feiertag, allerdings muss wäh-rend des Freitagsgebetes alle Arbeit undHandel ruhen23. Männer sind angehalten,dieses in der Moschee zu verrichten, wäh-rend es für Frauen nicht verpflichtend ist24.Nachdem der Gläubige seinen ganzen Kör-

IV. Das Gebet im Islam

20 Ein Hadith erzählt die Begebenheit, wie der Prophet Muhammad bei seiner nächtlichen Himmelsreise von Gott die Anordnung erhielt, dassdie Menschen 50 Mal am Tag beten sollten. Als er anschließend Mose traf, forderte dieser ihn auf, Gott herunterzuhandeln, da weder 50Gebete noch 25 Gebete von Menschen zu schaffen sein. Vgl. Ferchl, Dieter (Hg.): Al Buhari, Die Sammlung der Hadithe, Stuttgart 1991:S96.

21 Ferchl, Dieter (Hg.): Al Buhari, Die Sammlung der Hadithe, Stuttgart 1991:S 122 ff.22 Khoury, Adel Theodor: Der Koran, erschlossen und kommentiert, Düsseldorf 2005: S. 230.23 Vgl. Sure 62, 9-10.24 Vgl. Khoury, Adel Theodor: Der Koran, erschlossen und kommentiert, Düsseldorf 2005: S. 234f.

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per gereinigt hat, betet er zwei rakʾa. Diesenfolgt die Predigt des Imams von der Kan-zeltreppe aus, die in großen Moscheen zufinden sind. Danach betet man zwei ge-meinschaftliche rakʾa. Die Freitagspredigtbezieht sich nicht ausschließlich auf religiö-se Fragen und ist keinesfalls mit der imChristentum üblichen Schriftauslegung zuverwechseln. Die Predigt ist eine Ermah-nung und behandelt aktuelle gesellschafts-politische oder auch historische Ereignisse,die für die Gemeinschaft von Belang sind25.Neben dem Freitag gibt es auch andere An-lässe für das gemeinschaftliche Gebet: Sodas Ende des Fastenmonats Ramadans, dasOpferfest oder der Tod eines Gläubigen.

2.7 Freiwilliges Gebet

Im Islam gibt es neben dem rituellen Gebetauch das freiwillige Gebet. Muslime sollenständig beten und Gottes gedenken. Auf die-se Weise bildete sich die Tradition der Wie-derholung der 99 Namen Gottes heraus, dieimmer und immer wieder mit Hilfe einerPerlenkette memoriert werden. Doch es gibtauch empfohlene Gelegenheiten für dasfreie Gebet: Unmittelbar vor dem rituellenGebet, in der Morgen- und Abenddämme-rung bei Regen, beim Fasten, in Krankheitund Not. Es gibt spezielle Gebete für Kin-der, Reisende, Eltern oder Menschen, denenUnrecht widerfährt. Eine weitere Form des freiwilligen Gebetesstellt die duʿāʾ dar, das Bittgebet. Bei die-sem wendet sich der Betende an Gott undspricht diesen mit seinen eigenen Worten an.Er bittet Gott um Beistand, Hilfe oder danktihm für seine Barmherzigkeit und Güte. Zu-tiefst persönliche Gedanken und Gefühle

werden in diesen Gebeten zum Ausdruckgebracht.Bittgebete des Propheten Muhammads, sei-ner Gefährten und großer Persönlichkeitender islamischen Geschichte wurden tradiertund dienen vielen Gläubigen zur Orientie-rung und Anregung. Als Beispiele seien hierzwei Gebete dokumentiert:

"O unser Herr, lass unsere Herzen nichtleiden, um sich zu verirren, nachdem du(mit Recht) uns geführt hast, bewilligeuns Gnade von Dir, denn wahrlich Duund Du (allein) bist der Gutmütigste."(Ali Imran, 8)

"Und wenn dich meine Diener nach Mirfragen, dann (sage zu ihnen) wahrlich,Ich bin sehr nahe, Ich antworte den Be-tenden, wenn sie Mich anbeten. So soll-ten sie meinen Aufruf hören, und an michglauben, damit sie ein führendes Lichtsein können."(Al-Baqarah, 186)

2.8 Gebetsuntensilien

Fromme Gläubige kennen die Korantexte,die im Pflichtgebet rezitiert werden, aus-wendig. Daher ist kein Gebet- oder Gesang-buch notwendig. In einer Moschee findensich aber Exemplare des Koran und kleineLesestische. So findet man in der Moscheehäufig Menschen, die sich auf dem Bodensitzen in die Lektüre der Heiligen Schrift desIslams vertiefen. Hier wird auch deutlich,dass die Moschee -ähnlich wie die Synago-ge – nicht nur ein Ort der Anbetung sondernauch der Bildung und des Studiums ist.Ebenso findet man in Moscheen kleineStänder mit Perlenketten. Diese Gebetsket-

40 IV. Das Gebet im Islam

25 Vgl. Tosun, Cemal: Predigt. In: Antes, Peter u.a. (Hg.): Lexikon des Dialoges. Grundbegriffe aus Christentum und Islam, Freiburg 2013: S.553.

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41

te entstand aus derselben hinduistischen Ur-form wie der christliche Rosenkranz. Siehilft den Betenden, si in das Gebet zu ver-

senken und die 99 schönen Namen Gotteszu rezitieren. Es gibt Ketten mit 33, 99 odersogar 1000 Perlen26.

IV. Das Gebet im Islam

26 Vgl. Daun, Thomas: Gebetsketten und Perlenschnüre in den Weltreligionen, in: http://www.deutschlandfunk.de/mala-misbaha-und-der-ro-senkranz-gebetsketten-und.2540.de.html?dram:article_id=335274 (Abruf am 20.11.2016).

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Teil 2:

Teilnehmende Beobachtungen

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Die Glocken läuten zum Abendgottesdienst.Noch 15 Minuten bis der Pfarrer mit der Li-turgie beginnt und ich sehe, wie Gläubigevon allen Richtungen sich auf die Kirche zu-bewegen. Sie treffen sich auf den Treppen,an der Tür. Die, die sich kennen, begrüßensich mit "Guten Abend" und beginnen einGespräch, andere grüßen mit einem Kopfni-cken, einem Lächeln, einem Blick. Auch ichwerde mit einem Kopfnicken und Lächelnbegrüßt und mir wird die Tür aufgehalten.Ich bedanke mich und trete ein. Eine wohli-ge Kerzenlichtatmospähre empfängt mich inder doch sehr kalten Kirche und schenkt soinnere Wärme und das Gefühl von Will-kommensein. Die Bänke sind noch relativ leer und von al-len Seiten wird der Blick in die hintere Mit-te, den Altar geführt, der hell erleuchtet undgolden verziert ist. Man erkennt sofort, dasssich dort der Hauptraum der Kirche befindet.Mein Begleiter, der sich bereit erklärt hat,mir in diesem Gottesdienst Gesellschaft zuleisten und einige erklärende Worte zum Ab-lauf zu sprechen, ist jetzt auch angekommen.Ich greife mir noch ein Gesangsbuch, undwir nehmen in den vorderen Reihen Platz.

Während mein Begleiter mir erklärt, dass eserst seit der Neuzeit Kirchenbänke gibt unddie Gläubigen früher die ganze Zeit über ge-standen haben und heute noch vorwiegendund an bestimmten Stellen des Gottesdiens-tes stehen, wird die Kirche immer voller.Menschen aller Altersgruppen und unter-schiedlicher Herkunft, Paare und Familiensind anzutreffen. Bei den Muslimen ist esheutzutage so, dass sich Männer und Frauentrennen, wenn sie in die Moschee kommen.Sie vollziehen die Gebete und die Gottesan-dacht in heiligen Nächten beispielsweise ge-trennt voneinander. Nicht aber in der Kaaba,vor dem Haus Gottes in Mekka2. Da ist esnicht verboten, gemischt als Paar, Familieoder Gemeinschaft beieinander zu sein. Die Gemeinschaft während der Gottesan-dacht gibt ein Gefühl von familiärer Unter-stützung und mehr Wohlbefinden, wogegendas isolierte Gedenken des allmächtigenHerrn, einem mehr Ehrfurcht einflößt undein tieferes Reflektieren auch über den ei-genen Zustand und die eigene Position vorGott ermöglicht und bewirkt. Sufis3 ziehenes daher vor, in der Zeit vor der Morgen-dämmerung, wo die meisten Menschen

V. Heute ist der Tag Gottes 43

1 Die Autorin ist Anhängerin des Sufismus, einer Strömung im Islam. Im Sufismus ist es üblich jeden Text mit den Worten „Im Namen desHerrn, des Barmherzigen und Allgnädigen“ zu beginnen. Wenn der Name des Propheten Mohamed erwähnt wird, wird der Einschub: „Frie-de und Gruß auf ihnen allen und ihren Familien“ gemacht. An bestimmten Stellen fügt der Gläubige die Worte „Lob sei dem Herrn aller Wel-tern und Geschöpfe – Halleluja!“ in den Text ein. Diese kurzen Gebetsrufe wurden zugunsten einer besseren Lesbarkeit aus dem Text ent-fernt. (Anmerkung der Redaktion)

2 Die Kaaba steht im Islam symbolisch für das Haus Gottes, das vom Propheten Abraham mit seinem Sohn Ismael nach Gottes Angaben er-baut wurde. Es gehört zu den Säulen, den Pflichten des Islam, dass ein Muslim einmal in seinem Leben die Kaaba im Rahmen der Hadjj-Reise (Pilgerritual) zu einem bestimmten Zeitpunkt im islamischen Jahr besucht.

3 Sufis sind Anhänger des Sufismus, der islamischen Mystik.

V.Heute ist der Tag Gottes– Beobachtungen einer Muslimin während

einer katholischen Messe

Feride Funda Gökçimen-Gençaslan1

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noch schlafen und alles Ablenkende vomDunkel der Nacht verschleiert ist, sich ih-rem Herrn intensiv zuzuwenden und Seinerzu gedenken.

Während ich gerade so angeregt durch dieFamilie in der vorderen Bankreihe über ge-meinschaftliches und einsames Gottesge-denken reflektiere, tritt der Pfarrer vor denAltar und der Gottesdienst beginnt.

Mein Begleiter macht mich auf die vornerechts oben angehängte Anzeigetafel auf-merksam. Diese gibt nämlich vor, welcheStrophen aus welchem Lied des dicken Ge-sangsbuches gesungen werden. Dennoch ha-be ich Schwierigkeiten, die richtigen Stro-phen zu singen und die Melodie zu treffen.Obwohl ich nicht unmusikalisch bin und wirin unserer Sufi-Gemeinschaft regelmäßigmelodisches Dhikr4 machen, habe ich dochSchwierigkeiten in die Lieder einzusteigenund gelassen mitzusingen. Ganz im Gegen-satz zu den Gläubigen in der Kirche, die al-le fröhlich im Stehen mitsingen.

Ich muss ehrlich gestehen, dass ich eine ge-wisse Schwere und tiefere Ehrfurcht imRaum erwartet habe, wie sie mir aus weni-gen TV-Übertragungsszenen von Feiertags-gottesdiensten oder Filmen in Erinnerungsind. Doch die Atmosphäre und Stimmungheute in diesem Raum ist sehr leicht und ge-mütlich. Sie wäre noch viel gemütlicher,wenn es etwas wärmer in der Kirche wäreund man die Jacken ablegen könnte. Dochdas Stehen und Setzen und wieder Aufste-hen und die Liturgie am Altar Verfolgen,lässt keinen Moment, um über die Raum-temperatur nachzudenken.

Während der Pfarrer nun am Altar dieWandlung vollzieht und dabei, wie ich esauch vom eigenen Glauben her kenne, die

Handinnenflächen nach oben zeigend dieGebete spricht, fallen mir die Weihnachts-bäume im Hintergrund auf und irritierenmich ein wenig, da es bereits Ende Januarist. Meine Verwunderung ist wohl meinemBegleiter aufgefallen, dass er mir sogleicherklärt, dass die Weihnachtszeit bei den Ka-tholiken bis zum 2. Februar dauert.

Die Verse, die zum Teil auch mit der Ge-meinde zusammen gesprochen werden, be-inhalten die Bitte um Vergebung, Danksa-gungen und Lobpreisungen an Gott. Nichtsanderes als das, was auch wir Muslime täg-lich bei den Pflichtgebeten sprechen. Diewenigen Stellen, wo der Pfarrer die Dreifal-tigkeit benennt, indem er vom Vater, Sohnund heiligem Geist spricht, bringen michnicht aus der kontemplativen Stimmung, inder ich innerlich in Worten meiner Traditiondem Gebet beistimme.

Mit dem Umherreichen des Spendenkorbeswerde ich sehr unvorbereitet konfrontiert, sodass ich nicht schnell genug reagieren kann,um auch ein paar Münzen hineinzugeben.Zuerst denke ich, in Erwartung des Abend-mahlakts, es wird Brot dargereicht. Doch alsder Korb bei mir ankommt, sehe ich, dass essich um einen Spendenkorb handelt.

Obwohl nun Spenden zur Erhaltung von Ge-betshäusern, Gemeinden sowie die obliga-torische Pflicht der jährlichen Armenabga-be auch zur alltäglichen Praxis der Muslimegehört, empfinde ich den Zeitpunkt hier et-was unglücklich gewählt, da es mich in demAugenblick aus der spirituellen Stimmunglöst und an das materiell Verpflichtende er-innert.

Bewegt hat mich auch die Lesung, die über-all auf der Welt in den Gottesdiensten die-ses Tages, zum Vortragen vorgegeben ist

44 V. Heute ist der Tag Gottes

4 Das Erinnern des Herrn im Rezitieren von Lobpreisungen, seiner schönen Namen und Attribute sowie Verse aus dem Koran.

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und so - laut meinem Begleiter - den katho-lischen Zusammenhalt in der Weltkirche be-stärkt. Heute wird aus dem Buch Nehemia gelesen:

"In jenen Tagen brachte der Priester Esradas Gesetz vor die Versammlung; zu ihrgehörten die Männer und die Frauen undalle, die das Gesetz verstehen konnten.Vom frühen Morgen bis zum Mittag lasEsra auf dem Platz vor dem Wassertorden Männern und Frauen und denen, diees verstehen konnten, das Gesetz vor.Das ganze Volk lauschte auf das Buchdes Gesetzes.Der Schriftgelehrte Esra stand auf einerKanzel aus Holz, die man eigens dafürerrichtet hatte.Esra öffnete das Buch vor aller Augen;denn er stand höher als das versammelteVolk. Als er das Buch aufschlug, erhobensich alle.Dann pries Esra den Herrn, den großenGott; darauf antworteten alle mit erhobe-nen Händen: Amen, amen! Sie verneig-ten sich, warfen sich vor dem Herrn nie-der, mit dem Gesicht zur Erde.Man las aus dem Buch, dem Gesetz Got-tes, in Abschnitten vor und gab dazu Er-klärungen, so dass die Leute das Vorge-lesene verstehen konnten.Der Statthalter Nehemia, der Priester undSchriftgelehrte Esra und die Leviten, diedas Volk unterwiesen, sagten dann zumganzen Volk: Heute ist ein heiliger Tagzu Ehren des Herrn, eures Gottes. Seidnicht traurig, und weint nicht! Alle Leu-te weinten nämlich, als sie die Worte desGesetzes hörten.

Dann sagte Esra zu ihnen: Nun geht, hal-tet ein festliches Mahl, und trinkt süßenWein! Schickt auch denen etwas, dieselbst nichts haben; denn heute ist einheiliger Tag zur Ehre des Herrn. Machteuch keine Sorgen; denn die Freude amHerrn ist eure Stärke."

Als Muslima und Philanthropin suche ichimmer vergleichbare Momente in religiösen,kulturellen und auch künstlerischen Ritua-len verschiedener Traditionen, die die Ge-meinsamkeit der Herkunft von dem EinenGott zu erkennen geben. Das Zusammen-spiel von Lesung und Predigt hier, ist demZusammenspiel von Muezzin5 und Imam6

beim Freitagsgebet ähnlich. Während derMuezzin die vorgegebenen Stellen für dasjeweilige Gebet rezitiert, spricht der Imambei seiner Hutba7 die Anwesenden direktund frei an. Hierbei bezieht er sich auf be-stimmte Koranverse, öffnet deren Verständ-nis in Anwendung auf gegenwärtige Gege-benheiten, wobei er oftmals auch Beispieleaus den Leben der Propheten und Heilige alsExempel vorzeigt. Die aus dem Buch Nehemia vorgetrageneStelle, berichtet folglich genau von der Arteiner Predigt wie sie im Judentum, Chris-tentum und Islam immer noch gebräuchlichist.So spricht auch der Pfarrer heute im katho-lischen Gottesdienst. Er macht die Gemein-de aufmerksam auf die kleinen Dinge imAlltag, durch die der Herr spricht und sichzu erkennen gibt. "Was Gott mir durch dieZeichen der gegenwärtigen Zeit sagenwill.", spricht er und macht weitere Ausfüh-rungen, bezogen auf das vorgetragene Bi-

V. Heute ist der Tag Gottes 45

5 Ausrufer des Edhan, dem Gebetsruf zum Salah, dem täglichen Pflichtgebet. Er rezitiert auch bestimmte Koranstellen zwischen den Gebe-ten.

6 Vorbeter und 'Prediger' beim Freitagsgebet.7 Ansprache / Predigt beim Freitagsgebet.

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belzitat mit Hinblick sowohl auf das Alte alsauch auf das Neue Testament, aus dem eben-falls eine Lesung vorgetragen wird. Ein Satzseiner Predigt, prägt sich besonders bei mirein und löst eine tiefere Reflexion aus:"Heute ist der Tag Gottes!"

Im Islam gibt es - wie auch im Judentumund Christentum - heilige Tage und Nächte,die sowohl in tiefer Andacht zelebriert alsauch in Gemeinschaft gefeiert werden. Einganz besonderer Tag ist der 10. Muharram8

auch Ashura-Tag genannt.

Gott erschuf die Himmel und die Erden aneinem 10. Muharram, sowie Adam und Eva.Die meisten Propheten wurden am 10. Mu-harram gesegnet und ihre Bitten wurden er-füllt. So strandete an diesem Tag die Archedes Propheten Noah nach der Sintflut. DerProphet Abraham wurde aus Nimrods Feu-er errettet. Dem Propheten David wurde ver-geben, seinem Sohn Salomon sein Reich zu-rückgegeben. Der Prophet Moses überquertemit seinem Volk das Rote Meer, das sich vorihm öffnete, während seine Verfolger, derPharao mit seiner Armee, ertranken. DerProphet Jonas wurde nach vierzigtägigerGefangenschaft aus dem Bauch des Wals er-rettet. Dem Propheten Hiob brachte dieserTag Erlösung von seinen Prüfungen, Ge-sundheit und größeren Wohlstand als je zu-vor. Der Prophet Jakob fand nach 40 Jahrenseinen Sohn den Propheten Joseph wieder.An diesem Tag wurde Jesus der Messias ge-boren und auch wieder an einem 10. Mu-harram in den Himmel genommen. DemSiegel der Propheten Muhammed wurdendie sieben Himmel geöffnet und Rettung vordem Stamm der Quraisch geschenkt.

All diese wunderbaren Ereignisse fanden aneinem 10. Muharrem statt. Daher sagen dieMuslime, "Heute ist der Tag Gottes und ererhört alle Gebete seiner Diener!" und ge-denken aller Propheten des Alten, Neuenund Letzten Testaments, dem Heiligen Ko-ran. Denn so verstehen die Muslime die Hei-ligen Bücher, als ein Buch mit drei Kapitelnund das Ganze als die Religion Gottes, dieReligion der Ergebenheit, Islam.

Daher gehört es auch zu den Säulen desGlaubens im Islam, an alle himmlischen Bü-cher und alle himmlischen Gesandten vonAdam bis Muhammed zu glauben.

Dieses Fundament ist es, dem ich zu ver-danken glaube, dass ich mich in einem ka-tholischen Gottesdienst nicht fremd fühleund sogar Freude am gemeinsamen Erlebenhabe. Vor allem, der Moment, wo sich dieGläubigen an alle, die neben und vor undhinter ihnen stehen, die Hände reichen undsich gegenseitig Frieden wünschen, berührtmich emotional sehr. Dieser Moment exis-tiert nämlich auch im islamischen Gottes-dienst, wo alle sich gegenseitig die Annah-me ihrer Gebete vom Herrn wünschen undsich mit Selam aleykum, dem Friedensgrußund -wunsch verabschieden. Die Freudeüber die gemeinsam zelebrierte Gottesan-dacht und der himmlische Segen, der daraufliegt, lässt alles Befremdliche am Anderenunbedeutend werden. So auch die Anwe-senheit einer durch ihre Kopfbedeckung alsNicht-Christin erkennbaren Dame, der mitderselben Inbrunst Friede gewünscht wird,wie der eigenen Gemeinde. Das ist derhimmlische Frieden, auf den wir gläubigeJuden, Christen und Muslime gemeinsam

46 V. Heute ist der Tag Gottes

8 Der erste Monat im islamischen Mondkalender.9 Dazu zählen die Pslamen Davids, die Thora Mose, das Evangelium Jesu und der Koran Muhammeds, Friede und Gruß auf Ihnen Allen und

Ihren Familien.

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warten: Dein Reich komme, Dein Wille ge-schehe O Herr, wie im Himmel so auf derErde! Auch wenn ich nach diesem sehr eindrucks-vollen Erlebnis, nicht anfangen werde, jedenSonntag in die Kirche zu gehen, werde ichsicherlich immer wieder mal die eine oderandere Einladung zu einem Gottesdienst an-nehmen und gerne daran teilnehmen. Zur

Eucharistie kann ich leider keine Gemein-samkeit oder Brücke zu meinem Glaubenaufbauen. Aber die Präsenz des aufrichtigenGlaubens an Gott und das gemeinsame War-ten auf das Himmlische Königreich auf Er-den ist ein Moment der Versöhnung, den ichgerne mit meinen christlichen Geschwisternin einer kalten Kirche verbringe und sogarsehr genieße.

V. Heute ist der Tag Gottes 47

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Durch eine Glastür, zwischen bodentiefenFenstern, treten meine Begleiterin und ichin das Kirchengebäude ein. Das geschäftigeTreiben im Vorraum des Kirchensaales, wel-ches man bereits zuvor durch die Fenster be-obachten konnte, wird nun deutlich hörbar.Die Menschen, die die Zeit vor dem Beginndes Sonntagsgottesdienstes für den Aus-tausch genutzt haben, machen sich auf denWeg zu ihren Sitzplätzen im Kirchensaal.Auch wir gehen sogleich hinein und werdenherzlich an der Saaltür begrüßt. Ein großerheller Raum empfängt uns. Neben dem Ein-gang, unter einer Empore auf der sich dieOrgel befindet, steht vor einem kleinenStuhlkreis, der, wie ich später erfahre, im-mer nur bei den Treffen mittwochs genutztwird, ein kleiner Tisch, auf dem unter-schiedliche Publikationen liegen. Unter an-derem ist dort die wöchentliche Lesung aus-gelegt, welche mir zugleich von meinerBegleiterin gegeben wird, damit ich demAblauf besser folgen kann. Leise gehen wirüber den, mit einem flauschigen mintgrünenTeppich, ausgelegten Boden zu unserenPlätzen. Unter jedem Stuhl liegt eine Aus-gabe des Gesangbuches der christlichenWissenschaft bereit.

Bis die Orgel laut und mächtig erklingt,herrscht eine bedächtige Stille, die nur durchdas Tuscheln meiner Begleiterin und mir un-terbrochen wird. Zwanglos unterhält sie sich

mit mir und zeigt mir damit deutlich, wiesehr sie in diesem Umfeld beheimatet ist.Mit der Musik kommt im Raum auch Be-wegung auf. Die Menschen scheinen zu er-wachen, sie richten sich auf, nehmen die Ge-sangsbücher zur Hand oder legen andereLektüre beiseite. Unterdessen stehen aus dervorderen Reihe zwei Personen auf und be-geben sich auf eine Art Bühne oder Podium,die mit zwei gleich großen Pulten ausge-stattet ist. Der Gottesdienst beginnt, nach-dem gemeinsam im Stehen ein Gotteslobgesungen wird und die Menschen wieder ih-re Plätze eingenommen haben. Die Lektorinund der Lektor begleiten die Gläubigendurch die Bibellektion und tragen in ab-wechselnder Form Abschnitte aus ihrem„Pastor“ vor. Der „Pastor“, so erfahre ichunterdessen, ist die Bibel (Neue Luther-Bi-bel) sowie das Lehrbuch „Wissenschaft undGesundheit mit Schlüssel zur HeiligenSchrift“ von Mary Baker Eddy. Zu meinemErstaunen werden die einzelnen Bestandtei-le des Gottesdienstes angekündigt, was ichzunächst etwas befremdlich finde. Dies än-dert sich jedoch bei der genaueren Betrach-tung des Heftchens in meiner Hand. DasThema der Bibellektion ist „das Sakra-ment“. Es erscheint mir naheliegend, dassdie gottesdienstlichen Handlungen an einemsolchen Tag angekündigt und ihre Bedeu-tung dargelegt wird.

48 VI. Christliche Wissenschaft

VI.Christliche Wissenschaft

– Die Worte „Pastor“ und „Kommunion“ haben

eine andere Bedeutung

Juanita Villamor-Meyer

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Das nächste Lied wird angestimmt und dieLiederbücher zur Hand genommen. DieMenschen stehen auf, und ich ahme es ih-nen nach. Musikalisch nicht sehr begabt undohne Kenntnis der Melodien unterlasse ichjegliche Versuche zu summen und widmemich ganz der Lektüre der Liedtexte. Essind großartige Lieder, einige preisen dieHerrlichkeit und Macht Gottes an, anderesuchen die Stärkung der einzelnen Gläubi-gen und der Gemeinschaft. Die Texte sindin deutscher sowie englischer Sprache an-gegeben, was mir erneut die enge Bindungder Gläubigen an die Mutterkirche in Bos-

ton/USA ins Gedächtnis ruft, die offen-sichtlich nicht nur Herausgeberin der wö-chentlichen Bibellektionen sondern auch desLiederbuches ist. Die Lesung greift unter-schiedliche Bibelpassagen auf; die passen-den Stellen in Mary Baker Eddys Buch, dieim Anschluss gelesen werden wecken starkmein Interesse. Diese sind Erläuterungenund Kommentare, den Lektürenschlüsselnaus dem Deutschunterricht nicht unähnlich.

Der tiefere Sinn der Heiligen Schrift wirdergründet und erhält dadurch Gültigkeit ausder Handlungsrichtlinien für das Hier undJetzt abgeleitet werden.

VI. Christliche Wissenschaft 49

Matthäus 11:2–6

2 Als aber Johannes im Gefängnis von den Wer-ken Christi hörte, sandte er zwei seiner Jünger 3und ließ ihm sagen: „Bist du der, der kommensoll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ 4Jesus antwortete ihnen: „Geht hin und sagt Jo-hannes, was ihr hört und seht: 5 Blinde sehen undLahme gehen, Aussätzige werden rein und Taubehören, Tote stehen auf, und Armen wird dasEvangelium gepredigt; 6 und glückselig ist, wersich nicht an mir ärgert.“

21 | 1. Johannes 3:16, 17

16 Daran haben wir die Liebe erkannt, dass ersein Leben für uns gelassen hat; auch wir sollendas Leben für die Brüder lassen. 17 Wenn aberjemand die Güter dieser Welt hat und sieht seinenhilfsbedürftigen Bruder und schließt sein Herzvor ihm zu, wie kann die Liebe Gottes in ihmbleiben?

12 | 494:11–22

Die göttliche 12 Liebe hat immer jeden mensch-lichen Bedarf gestillt und wird ihn immer stillen.Man sollte nicht denken, dass Jesus die göttlicheMacht zu heilen nur für eine ausgewählte Anzahlvon Menschen oder 15 eine begrenzte Zeitspan-ne demonstrierte, denn die göttliche Liebe ver-sorgt die ganze Menschheit und zu jeder Stundemit allem Guten. Das Wunder der Gnade ist keinWunder für die Liebe. Jesus 18 demonstrierte dieUnfähigkeit der Körperlichkeit wie auch die un-endliche Fähigkeit des Geistes und half dadurchdem irrenden menschlichen Sinn, seinen eigenen21 Überzeugungen zu entrinnen und in der gött-lichen Wissenschaft Sicherheit zu suchen.

26 | 270:24–25

24 Sanftmut und Nächstenliebe haben göttlicheAutorität.

27 | 572:6–8, 12–17

6 Der ganz einfache und grundlegende Rat desinspirierten Schreibers lautet, dass wir „einanderlieben“ (1. Johannes 3:23). 12 Liebe erfüllt dasGesetz der Christlichen Wissenschaft, und nichtsGeringeres als dieses göttliche Prinzip kann,wenn es verstanden und demonstriert wird, je-mals die Vision der 15 Apokalypse vermitteln, diesieben Siegel des Irrtums mit Wahrheit öffnenoder die unzählbaren Illusionen von Sünde,Krankheit und Tod aufdecken.

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Der Zugang zum heiligen Text erinnert michstark an Koraninterpretationen von großenislamischen Gelehrten, die auch dem Worteine innere und äußere Bedeutung zuschrei-ben und häufig die Liebe als das göttlichePrinzip schlechthin hervorheben.

Die Lektorin spricht die Kommunion an undeine leichte Nervosität packt mich. Schnellgehe ich alle Möglichkeiten in meinemKopf durch, wie das gemeinsame Abend-mahl üblicherweise in den Großkirchen ge-feiert wird, und ich hoffe inständig, dass dasRitual keinen Wein zum Gegenstand hat undman sich nicht vor dem Pult im Halbkreisaufstellen muss. Zu meiner Überraschung istnichts davon Gegenstand des von mir zu ei-lig mit dem Ausdruck „Abendmahl“ verse-henen Ritus. Christliche Wissenschaftlerin-nen und Wissenschaftler verstehen dieKommunion als die geistige Vereinigungdes Menschen mit Gott. Im inbrünstigen,stillen Gebet suchen sich die Gläubigen mitihrem Schöpfer zu vereinen. Ein bis zwei-mal jährlich wird diese rituelle Handlung inden Tochterkirchen gemeinsam vollzogen.Die Lektorin fordert die Anwesenden auf,sich im stillen Gebet mit Gott zu vereinenund weist auf die Möglichkeit hin, dieskniend zu tun. Meine Begleiterin flüstert mirmit einem Lächeln zu: „Mensch, da machenwir das schon einmal im Jahr und genau die-sen Tag erwischt du – natürlich kannst dusitzen bleiben“ und ich höre sie noch etwasvon praktischen Kniebänken in katholischenKirchen murmeln, während sie sich hin-kniet. Ich bleibe sitzen und lasse vorsichtigmeinen Blick durch den Raum schweifen.Nur wenige Gottesdienstbesucher sind sit-zen geblieben – die meisten knien auf demBoden und sind in ihr Gebet vertieft. Man-

che drehen sich um und stützen sich mit ih-ren Ellenbogen, auf dem Stuhl auf dem siesaßen, ab. Andere bleiben den Pulten zuge-wandt und falten ihre Hände vor die Brust,während einzelne Gläubige im Gebet auchihre Stirn auf den Boden legen und auf denersten Blick Menschen islamischen Glau-bens bei der Niederwerfung während ihresPflichtgebetes gleichen. Abgelöst wird die-se Form von Gebet von der gemeinsamenDeklamation des „Vater Unsers“, welcherSatz für Satz von der Lektorin mit der Be-deutung seiner inneren Dimension ergänztwird1:

Unser Vater im Himmel!

L: Unser Vater-Mutter-GOTT, all-har-monisch.

Dein Name werde geheiligt.

L: Einziger Anbetungswürdiger.

Dein Reich komme.

L: Dein Reich ist gekommen; Du bist im-mer-gegenwärtig.

Dein Wille geschehe auf Erden wie im Him-mel.

L: Befähige uns zu wissen, dass GOTT –wie im Himmel so auf Erden – all-mächtig, allerhaben ist.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

L: Gib uns Gnade für heute; speise diehungernden Herzen.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wirunseren Schuldigern vergeben.

L: Und LIEBE spiegelt sich in Liebe wi-der.

50 VI. Christliche Wissenschaft

1 Aus: Mary Baker Eddy Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 16-17.

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Und führe uns nicht in Versuchung, sondernerlöse uns vom Bösen.

L: Und GOTT führt uns nicht in Versu-chung, sondern erlöst uns von Sünde,Krankheit und Tod.

Denn dein ist das Reich und die Kraft unddie Herrlichkeit in Ewigkeit.

L: Denn Gott ist unendlich, die Allmacht,alles LEBEN, alle WAHRHEIT, alleLIEBE, über Allem und Alles.

Die Betenden nehmen wieder ihre Plätze einund kurze Zeit darauf erklingt auch das Ab-schlusslied des Gottesdienstes, welches allemit Inbrunst singen. Nach dem Gottesdienst kommen schnell inein sehr herzliches Gespräch mit Freundenund Bekannten meiner Begleiterin. Wir un-terhalten uns kurz über Heilungsberichte ausdem Journal der Christlichen Wissenschaft2

und die christlich-wissenschaftlichen Pfle-ge, welche im Onlineportal der ChristlichenWissenschaft Deutschland wie folgt erläu-tert wird: „[…] Ihre Tätigkeit beinhaltet Hil-fe bei der Grundpflege des Menschen wieKörperpflege, Mobilisierung, Ernährungund Versorgung von Wunden. Während ih-rer Arbeit unterstützen sie die Heilung durchdie Aufrechterhaltung einer heilenden ge-danklichen Atmosphäre durch das Wissen,dass Gott für alle seine Kinder liebevollsorgt […]“3. Ich erfahre zum ersten Mal et-was von dieser Praxis und bin davon sehrbeeindruckt, da ich mir gut vorstellen kann,wie dies einem gläubigen Menschen, der aufPflege angewiesen ist, hilft. Ohne diesesThema zu sehr zu vertiefen, beschließen wir,die Kirche zu verlassen, um uns noch ge-

meinsam in ein nahgelegenes Café zu set-zen. Dort finden sich dann ein Professor fürAnthropologie, eine Kunststudentin, einejunge Mutter, eine Religionswissenschaftle-rin - oder einfach nur vier Frauen und einMann im Café, die alle interessiert an Spiri-tualität sind und über Gott und die Welt phi-losophieren.

Mit mehr Fragen als Antworten im Gepäckkehre ich heim und entschließe mich, aucheine Zusammenkunft der Christlichen Wis-senschaft am Mittwoch zu besuchen. Nachdrei Wochen ist es endlich soweit – meinZeitplan erlaubt mir den Besuch einer Mitt-wochszusammenkunft. Bei dieser Zusam-menkunft spielen persönliche Erfahrungenund Heilungsberichte die tragende Rolle undstellen daher eine ganz besondere Art derVersammlung.

Zu Beginn werden Bibelstellen und Zitateaus dem Lehrbuch „Wissenschaft und Ge-sundheit mit Schlüssel zur HeiligenSchrift“ von Mary Baker Eddy zu zuvorfestgelegten Themen verlesen. Die Anwe-senden erhalten Denkanstöße und die Ge-legenheit, sich mit einem Aspekt des Le-bens und ihres Glaubens besondersauseinanderzusetzen. Dann beginnt widerErwarten der für mich schönste und span-nendste Teil der Versammlung: Nacheinan-der berichten Teilnehmende von ihren ganzpersönlichen Erlebnissen, ihrem Leben, ih-ren Problemen und den Lösungen, die siedafür fanden. Offen sprechen sie über ihreÄngste, Nöte und darüber wie dankbar siefür ihren Glauben, ihre Familie und ihreGemeinschaft sind. Eine so schöne Stim-mung und interessante Beiträge hatte ichnicht erwartet – ich hatte mich auf langat-

VI. Christliche Wissenschaft 51

2 Zeitung/ Portal der Christlichen Wissenschaft, in der Gläubige von ihren ganz persönlichen Heilungserfahrungen berichten und einanderhelfen können.

3 Vgl. Christliche Wissenschaft: http://christliche-wissenschaft.de/heilung/pfleger. Stand 29.03.2016.

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mige Predigten Einzelner eingestellt, unddem häufig dazugehörigen peinlichen Au-genblick, bei dem man spürt, wie der ganzeRaum sich wünscht, dass der Redner end-lich zu reden aufhört. Aber nein, jeder Be-richt ist fesselnd, verständlich und zutiefstmenschlich. Einer der Teilnehmer bedanktsich explizit: „[…] für diese offene und

warmherzige Atmosphäre. Das ist bei wei-tem nicht selbstverständlich. Hier, und dasist heute ganz besonders spürbar, öffnenMenschen ihr Herz, teilen ihre Gedankenund Anliegen mit, und zwar weil sie wissen,dass sie hier nicht verletzt werden, sondernso genommen werden wie sie sind […]“.Auch ich bin dankbar für diesen Abend.

52 VI. Christliche Wissenschaft

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Es hatte sich sehr schnell herausgestellt,dass der Zugang zu einer jüdischen Ge-meinde sich doch etwas schwieriger gestal-tet, als ich zuvor gedacht hatte. Viele mei-ner elektronischen Anfragen blieben vonden Rabbinern unbeantwortet. Ich kann abersehr gut verstehen, dass die Rabbiner vielWert auf den Schutz ihrer Gemeinde legen.Die jüdischen Gemeinden, so meine Ein-schätzung, leben ihre religiösen Praktikeneher in ihrer eigenen sozialen Umgebung.Somit sind auch die jüdischen Gottesdiens-te nicht öffentlich zugänglich, außer manmeldet sich vorher offiziell an und kann sichvor Ort ausweisen. Persönlich hatte ich nochnie einen jüdischen Gottesdienst besucht.Synagogen habe ich bisher eher als Museenoder besondere Ausstellungsorte kennenge-lernt. Eine Synagoge ist aber natürlich mehrals ein Museum, es ist genauso wie eine Kir-che oder Moschee ein Sakralbau mit einemregen religiösen Leben.

Nun, kehren wir zu meinen Versuchen, aneinem jüdischen Gottesdienst teilzunehmen,zurück. Nach einer gefühlten halben Ewig-keit konnte ich endlich einen Kontakt zu ei-nem Rabbiner herstellen. Es war eine sehrfreundliche Art der Kommunikation und ichwurde von Rabbiner Steiman zu einigenVeranstaltungen in seiner Synagoge einge-laden. Die Synagoge befindet sich in einem

Komplex der Henry und Emma Budge-Stif-tung in Frankfurt am Main.

In dieser Stiftung leben jüdische und christ-liche Bewohner unter einem Dach zusam-men und werden dabei in ihrem Glaubenvon einer Pfarrerin, einem Diakon und ei-nem Rabbiner, Rabbiner Steiman, seelsor-gerisch betreut. Solch eine Art von Alten-wohnheim ist einzigartig in Deutschland.Dieses Konzept erinnert mich an das inter-religiöse Projekt der Stiftung House of One1

in Berlin. Mit dem interreligiösen Konzeptdes Wohnkomplexes, konnte ich mir späterzum Teil die Offenheit des Rabbiners mei-nem Anliegen gegenüber erklären.

Pünktlich um 17:30 betrat ich die Synagogezum Freitagsgottesdienst. Leise nahm ichPlatz und schaute mich um. Schon nach kur-zer Zeit vor Ort wurde ich von RabbinerSteiman angesprochen, der Gottesdienst hat-te noch nicht begonnen und er begrüßte allehereinkommenden Gäste. Die Gebetsge-meinschaft begrüßt sich mit den Worten„Schabbat Schalom“, Rabbiner Steimanscheint auch alle Gottesdienstbesucher per-sönlich zu kennen. Wobei man natürlich er-wähnen muss, dass sich die Teilnehmerzahlin Grenzen hält und die Gemeinschaft ausälteren Menschen besteht, die ohnehin vonRabbiner Steiman seelsorgerisch betreutwerden. Auch ich werde von den Teilneh-

VII. Kabbalat Schabbat 53

1 Beim House of One in Berlin versuchen eine christliche, eine jüdische und eine muslimische Konfession gemeinsam ein Gotteshaus mit Ge-bets- und Begegnungsräumen für die drei Religionen zu errichten.

VII.Kabbalat Schabbat– Mein Besuch in der Synagoge

zum Freitagsgottesdienst

Alexandra Dornhof

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mern freundlich begrüßt. Eine Dame suchtdirekt das Gespräch mit mir und es stelltsich heraus, dass sie und ihr Ehemann voracht Jahren zum Judentum konvertiert sind.Nach kurzer Zeit gesellt sich auch ihr Mannzu unserer Gesprächsrunde und ich fühlemich wirklich wohl und nicht allein gelas-sen. Einige der Frauen tragen kleine Kopf-bedeckungen, die Männer haben jedoch al-le eine Kippa2 auf. Eine Kippa darf eineFrau in einer traditionellen konservativenSynagoge keinesfalls tragen, betont meinenette Sitznachbarin, dies ist nur den Män-nern vorbehalten. Ebenfalls erfahre ich, dassder Schabbat immer zu einer bestimmtenUhrzeit3 beginnt und nicht erst mit dem Got-tesdienst. Diesen Freitag startete der Schab-bat bereits um 16 Uhr. Die Uhrzeit ist eineOrientierung für die Gläubigen, denn ab die-ser Uhrzeit darf nicht mehr gearbeitet wer-den. Je nach Gemeinde wird diese Regelungmehr oder weniger streng genommen. Mei-ne Sitznachbarin berichtet mir davon, dasses manchmal schwierig ist den Schabbateinzuhalten, denn allein um den Gottes-dienst besuchen zu können, müssen sie Au-to fahren. Auch der Kiddusch4 wurde vonder Ehefrau des Rabbiners erst nach 16 Uhrvorbereitet. Da drückt man wohl ein Augezu.Was mir sofort aufgefallen ist, als ich dieSynagoge betreten habe, war der große Da-vidstern auf der Decke, der den Altar krönt.Der Davidstern zeigt zwei untrennbar mit-einander verflochtene Dreiecke. Sie sind dasZeichen der Juden für ihre Verbundenheitmit Gott. So wie in vielen anderen Sakral-bauten finden sich auch in dieser Synagogereligiöse Symbole. Wobei der Davidstern

kein jüdisches religiöses Symbol im direk-ten Sinne ist. Zwar fand ich ihn auf denblauen Gebetsbüchern gedruckt, als einge-rahmtes Bild auf dem Altar und auch sonstan unterschiedlichen Stellen in der Synago-ge, trotzdem hat er keinen religiösen Sym-bolcharakter. Dagegen ist die Menora, dersiebenarmigen Leuchter, ein religiöses Sym-bol. Rechts und links vor dem Thoraschreinsind die Leuchter auch in dieser Synagogeausgestellt. Diese Leuchter waren ein wich-tiges Requisit im Heiligen Tempel zu Jeru-salem. Die Herstellung dieser wird in derThora genauestens beschrieben, der David-stern dagegen wurde erst später zum Sym-bol des Judentums. Insgesamt kann ich dieSynagoge als einen freundlichen und hellenRaum, welcher mit wenigen schlichten Re-quisiten ausgestatten ist, beschreiben. Dass die Sitzordnung nach Frauen und Män-nern aufgeteilt ist, fällt mir erst auf, nach-dem sich der Ehemann meiner Sitznachba-rin nach unserer Plauderei auf die rechteSeite der Sitzreihen setzt. Ich habe michwohl intuitiv direkt auf die richtige Seite ge-setzt. Interessant war es für mich zu erfah-ren, dass die hinteren Sitzreihen jedoch vonbeiden Geschlechtern gemischt besetzt wer-den können und nur bei den vorderen Rei-hen auf Geschlechtertrennung geachtetwird. So wie es in einer Kirche üblicherweise einLiederbuch gibt, wurde auch mir ein blauesHeft mit einer Art Liturgie für den KabbalatSchabbat5 in die Hand gedrückt. Meine Sitz-nachbarin berichtete mir, dass der Freitag-gottesdienst in der Budge Synagoge immeranhand dieser Liturgie durchgeführt wirdund sie es mittlerweile recht langweilig fin-

54 VII. Kabbalat Schabbat

2 Kleine, runde Mütze bzw. Scheitelkappe.3 Die Uhrzeit orientiert sich am Sonnenuntergang.4 Segnung des Weinbechers. Mit dieser Handlung wir der Schabbat begonnen.5 Liturgische Handlung zum Beginn des Schabbat.

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det. Allein der Inhalt der Predigt des Rabbi-ners hat immer einen unterschiedlichenSchwerpunkt. Als ich auf die Uhr schaue, istes bereits 18 Uhr und der Gottesdienst hatimmer noch nicht begonnen. Meine Sitz-nachbarin erklärt mich freundlicherweise,wie es zu dieser Verspätung kommt. BevorRabbiner Steiman mit dem Gottesdienst be-ginnen kann, muss traditionell eine Minjanvorhanden sein. Eine Minjan ist eine Ge-betsgemeinschaft von mindestens zehnmündigen männlichen Juden. In traditionel-len Synagogen wird viel Wert auf diesemännliche Gebetsgemeinschaft gelegt. Da-gegen reicht es in einer liberalen Synagogevöllg aus, wenn insgesamt zehn Gläubigebeiderlei Geschlechts anwesend sind. Nachlangem Warten ist leider kein Minjan zu-stande gekommen und Rabbiner Steiman er-öffnet den Gottesdienst.

Mir hat es besonders gefallen, dass Rabbi-ner Steiman sehr schön aus dem blauen Ge-betsbuch vorgesungen hat, auf Hebräischund von rechts nach links gelesen. Ich hattewirklich viel Glück mit meiner Sitznachba-rin, denn während des Gottesdienstes hat siemir immer wieder den Inhalt der Lieder er-klärt und mir gesagt, was als nächsteskommt. Zu allererst wird der Schabbat be-grüßt. Der Rabbiner bittet zwei Damen ausdem Saal, die Schabbatkerzen symbolischanzuzünden. Symbolisch bedeutet, dass dieKerzen schon gebrannt haben, da sie schonum 16 Uhr, also pünktlich zum Schabbat,angezündet wurden. Diese religiöse Hand-lung wird in der Synagoge von den weibli-chen Gemeindemitgliedern und im privatenHaushalt von den weiblichen Familienmit-gliedern durchgeführt.

Nach mehreren gesungenen Gebeten, derenInhalt ich leider nicht wiedergeben kann,steht die Gemeinde auf, alle drehen sich inRichtung Westen um und verbeugen sich beiden Sätzen „Komm, oh Braut; Komm, ohBraut!“. Der Grund hierfür ist die Annahme,dass die Braut Schabbat genau zu diesemMoment in die Synagoge einkehrt und siesomit im Stehen von den Betenden gegrüßtwird. Dann schütteln sich die Sitznachbarndie Hände und begrüßen sich nochmals mit„Schabbat Schalom“. Ich empfinde die At-mosphäre als sehr ungezwungen. Nachdemnun der Schabbat feierlich mit Gesang undGebet begrüßt wurde, folgt das Abendgebet.Einige Passagen liest jeder leise für sich undeinige werden vom Rabbiner auch etwas be-schleunigter vorgesungen und vorgelesen.Der Gottesdienst findet größtenteils aufHebräisch statt, die Predigt trägt der Rabbi-ner jedoch auf Deutsch vor. Als die Teilneh-menden für sich im Stillen beten fällt mirauf, dass sie kleine Schritte vorwärts undrückwärts machen und gleichzeitig kleineVerbeugungen durchführen. Warum das soist kann ich leider nicht genau erklären6. AmEnde sind viele Fragen unbeantwortet ge-blieben.

An diesem Freitag war „Mitgefühl“ das zen-trale Thema der Predigt. Rabbiner Steimanerklärte der Gebetsgemeinschaft, dass derBegriff „Mitgefühl“ sich im Hebräischenvom Begriff „Mutterleib“ ableiten lässt,denn niemand kann so viel Mitgefühl ent-wickeln, wie eine Mutter zu ihrem Kind imMutterleib. Nicht umsonst spricht RabbinerSteiman Liebe, Respekt und Mitgefühl inseiner Predigt an, denn in drei Wochen wirdHanukkah (Lichterfest) gefeiert. Der Ha-

VII. Kabbalat Schabbat 55

6 Erklärung vgl. S. 28, Kap. Gebet im Judentum.

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nukkahmonat ist für die jüdische Gemeindesehr wichtig. Das Besondere in diesem Jahr7

ist, dass es sich mit dem christlichen Weih-nachtsfest überschneidet, weshalb in derBudge-Stiftung eine „Weihnnukka“ von derjüdischen und christlichen Gemeinde veran-staltet wird. Der Rabbiner betont abergleichzeitig, dass es sich dabei keinesfallsum Religionsvermischung handelt. Nach-dem der Rabbiner seine Predigt beendet hat,widmet er sich dem letzten Teil der Liturgie,dem Schlussgebet zu. Mittlerweile ist es19:00 Uhr. Mit einem fröhlich „SchabbatSchalom“ beendet Rabbiner Steiman gegen19:30 den Gottesdienst und lädt alle zumKiddusch ein. Kiddusch bezeichnet einen Weinsegen mitImbiss, natürlich sind das Mahl und derWein koscher8, sogar die Teller sind ko-scher. Der älteste männliche Teilnehmer desGottesdienstes spricht den Kiddusch, alsoden Segensspruch, über den Wein und denChalloth (das Schabbatbrot) aus. Nach demSegen speisen alle gemeinsam an einemTisch. Boris, mein Tischnachbar, erzähltmir, dass die Regeln in seiner alten Ge-meinde etwas strenger waren und man erstspeisen durfte, nachdem man mit der rech-ten Hand ein Stück vom Challoth genom-men und es gegessen hatte. Beim Essen er-fahre ich, dass die Anwesenden ihrenLebensabend in diesem Wohnkomplex ver-

bringen. Boris ist mittlerweile seit zwei Jah-ren in der Budge-Stiftung. Er wird hier ge-pflegt und nimmt am religiösen Leben teil.Er selber ist ein russischer Jude, weshalbwir uns auf Russisch unterhalten. Da ichselber russische Wurzeln habe, beherrscheich die russische Sprache, was zu einer lan-gen Unterhaltung führt. Nachdem ich wirk-lich sehr freundlich von allen aufgenommenwurde und mit einigen Teilnehmern desGottesdienstes die Telefonnummern ausge-tauscht hatte, verabschiedete ich mich. Ichkonnte sehr viele neue und interessante Ein-drücke sammeln und mein Bild einer eherunbelebten museumsartigen Synagoge hatsich gewandelt. Bei der Verabschiedung wurde ich nur nochdarum gebeten, in der Synagoge einige Ste-cker aus der Steckdose zu ziehen und dasLicht auszuschalten, da dies den Gläubigenam Schabbat nicht erlaubt ist. Ich hätte nichtgedacht, dass diese Handlung am Schabbatnicht ausgeführt werden dürfen, aber nunhabe ich dazugelernt. Ich denke, es ist wich-tig zu erwähnen (Dies haben auch die Teil-nehmer des Gottesdienstes betont.), dasssich jüdische Gottesdienste je nach Glau-bensausrichtung der jeweiligen Gemeindestark unterscheiden. In der Haussynagogeder Budge-Stiftung konnte ich einige Ein-drücke zum traditionellen jüdischen Gottes-dienst sammeln.

56 VII. Kabbalat Schabbat

7 2016.8 Als koscher bezeichnet man Speisen und Gegenstände, die gemäß den jüdischen Gesetzen rituell rein sind.

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Ich begebe mich auf den Weg nach BerlinWilmersdorf und bin voll freudiger Erwar-tung, wie mein heutiger Besuch in der Ah-madiyya Anjuman Ischat-i-Islam Lahore-Gemeinde1 wohl verlaufen mag. Währendmeines Studiums2 hatte ich bereits Gelegen-heit, die Schwestergemeinde in Hamburgbesuchen zu dürfen. Aber dennoch: Jede Ge-meinschaft hat ihre eigene Dynamik und dieAtmosphäre kann trotz gleicher Glaubens-grundsätze variieren.Im Internet habe ich gesehen, dass es sichum einen sehr besonderen Bau aus den1920er Jahren handelt und ich freue mich,das „Taj Mahal Berlins“ einmal mit eigenenAugen bestaunen zu können.Im Vorfeld hatte ich per E-Mail Kontakt zudem dortigen Imam. Er machte einen sehroffenen, unkomplizierten Eindruck aufmich.Von der U-Bahn Station gehe ich ca. 10 Mi-nuten und bleibe vor einem unscheinbarenFlachbau stehen, an dem arabische Schrift-zeichen angebracht sind. Ich muss im Inter-net auf eine falsche Seite gekommen sein,denn mit der Moschee auf dem Foto im In-ternet hat dieses Gebäude nichts gemein-sam.

Ein älterer Herr auf einem Plastikstuhl liestversunken im Kor'an. Eine Gruppe jungerMädchen mit bunten Kopftüchern steht imKreis und kichert. Zwei ältere Damen sitzenauf einer Bank und trinken Tee. Ich freuemich über das bunte Treiben vor der Tür undbegebe mich zum Eingang des Flachbaus.Da sehe ich zwei große, bullige Männer ander Tür mit dem Logo einer Security Firmaauf den Jacken und werde stutzig. Erst jetztfallen mir die Hinweisschilder an den Türenauf; es handelt sich gar nicht um die Moschee, sondern um eine Unterkunft fürgeflüchtete Menschen. Ich mag diese Mo-mente, in denen ich mit meinen eigenen Vor-urteilen konfrontiert werde. Sie machen mirbewusst, wie tief manche Vorurteile sitzenund helfen, sie zu hinterfragen.

Ich laufe ein Stück weiter und stelle fest:Die Internetrecherche stimmte doch. DieMoschee mit dem (Vor-) Garten ist wirklichbeeindruckend3. Ich gehe durch das Garten-tor und steuere auf eine Art Anbau zu. DieTüren stehen offen und ich stelle mir dieFrage: Gibt es ein Pendant zur Sakristei?Das heißt einen Raum, in dem sich derImam vorbereitet oder wo die Waschungendurchgeführt werden?

VIII. Besuch der Ahmadiyya-Moschee 57

1 Die Strömung der Ahmadiyya-Bewegung ist eine aus Indien und Pakistan kommende Sonderform des Islam. Sie unterscheidet sich von denSunniten und Schiiten in der Frage, ob nach dem Propheten Muhammad noch weitere Propheten kommen können. Ahmadiyya-Bewegungspaltet sich in Ahmadiyya Anjuman Ischat-i-Islam Lahore (AAIL) und Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ).

2 Ich habe meinen Bachelor Abschluss in Stadtentwicklung und Religionswissenschaft an der Universität Hamburg gemacht.3 Die „Wilmersdorfer Moschee“ in persisch-indischem Stil ist die älteste Moschee in Deutschland, die als Gebetshaus gebaut wurde. Sie wur-

de 1928 eingeweiht, hat eine große Kuppel und zwei freistehende Minarette.

VIII.Besuch der Ahmadiyya-Moschee

Tabea Perger

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Ich rufe Imam Aziz an. Da kommt plötzlichein zierlicher Mann im Anzug, mit dezentbestickter Takke4 und winkt mir mit demklingelnden Handy in der Hand zu. Er hatein freundliches Gesicht mit leuchtendenAugen und einem ansteckenden Lächeln.Gemeinsam gehen wir zum Hauptgebäudeund er plaudert fröhlich. Wir treten ein undsofort durchströmt mich ein angenehmerDuft von Süßholz und Tee. Dabei ist keinTee in Sicht. Trotzdem ist es angenehm undirgendwie heimelig. Es sind schon einigePersonen in der Moschee, sodass Iman Azizsich sogleich in den vorderen Teil der Mo-schee begibt. Im hinteren Teil des Raumesstehen ein paar Frauen mit Kindern, diemich neugierig anschauen und mir verlegenzulächeln.

Ich scheine den Ruf des Muezzin verpasst zuhaben, denn im vorderen Teil der Moscheebeginnt bereits das Gebet. Der Imam hat an-gefangen zu sprechen und heißt auf Deutschalle herzlich willkommen. Dann folgt schondie Abfolge an Bewegungen, die das Gebetbegleiten und die viele auch ohne Moschee-besuch kennen5: zunächst stehend, Händeleicht angehoben, dann die Hände auf dieOberschenkel und den Rumpf gebeugt, da-nach auf dem Boden gebeugt und schließlichkniend, gebeugt. Dieser Bewegungsablaufwird mehrfach wiederholt. Es bereitet mirviel Freude, den kleinsten Gottesdienstteil-nehmern dabei zuzusehen, wie sie stolz denAblauf des Gebetes mitmachen und jede Be-wegung im Detail kennen. Einige meinermuslimischen Freunde haben ein enges Ver-

hältnis zu ihren Vätern. Sie begründen es mitden gemeinsamen Moscheegängen und wennich die aufgeweckten kleinen Jungen beob-achte, wie sie ab und zu einen verstohlenenBlick zu ihren Vätern, Onkeln und Brüdernwerfen, um sich dann wieder ganz konzen-triert vorzubeugen, nehmen diese Äußerun-gen plötzlich Gestalt an. Vielleicht schaffensie es noch nicht ganz, ihren Geist auf Allahzu konzentrieren. Aber ich spüre, wie einBand zwischen den Menschen entsteht, egal,ob groß oder klein. Und ist diese Verbindungnicht Ausdruck seiner Anwesenheit?

Doch auch neben mir spielt sich einiges ab:Eines der Mädchen das keine Kopfbede-ckung trägt, schlängelt sich unter den Tü-chern und Röcken der Frauen umher. EineJugendliche hält in einer Hand den Ko'ranund streichelt mit der anderen fortwährendden Buchrücken. Genauso neugierig, wieich mich umsehe, schauen auch die Frauenmich an. Es ist ein wohlwollendes Beob-achten mit einladenden Gesten, die mir teil-weise die Abläufe des Gottesdienstes erläu-tern sollen.

Die Chutba6, welche in der Ahmadiyya Mo-schee auf Deutsch und Englisch gesprochenwird, handelt an diesem Tag vom Teilen.Der Imam illustriert seine Botschaft durchviele Geschichten aus dem Alltag und machtsie so auch für die jüngeren Besucher zu-gänglich. Einige Frauen lassen beim Zuhö-ren hölzerne Misbahas7 durch die Fingergleiten. Ich bin überrascht, dass noch immerMenschen in die Moschee strömen und sichganz natürlich in die Gruppe einfügen.

58 VIII. Besuch der Ahmadiyya-Moschee

4 Takke, Gebetsmütze. Das Tragen eine Gebetsmütze ist im Islam anders als im Judentum (Kippa) nicht zwingend vorgeschrieben und wirdunterschiedlich begründet: Nach der Überlieferung soll Muhammad seinen Kopf beim Gebet bedeckt habe. Es ist ein Zeichen der Zugehö-rigkeit zum Islam oder die Andeutung einer Krone, die die Würde des Menschen betont oder ein Schmuckstück, weil Gott erwartet, dass dieMenschen in ihrem schönsten Kleid zum Gebet kommen.

5 Salāt (arab.): Gebet. Das muslimische Gebet wird als Salāt bezeichnet. In diesem Fall war ich überrascht: Es war eine Art Einstiegsgebet,woraufhin die Chutba (=Predigt) folgte und dann nochmal ein "ausführliches Gebet". Vgl. Basistext Islam S. 39.

6 Chutba (arab.): Freitagspredigt. Die Chutba ist nicht unbedingt eine Auslegung von Korantexten sondern eher eine Ermahnung des Imam inRichtung Gläubige. Es geht in der Regel um aktuelle Themen in der Gemeinde oder der Gesellschaft.

7 Perlenkette mit 33 oder 99 Kugeln. S.a. Basisartikel Islam S. 40.

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Im Anschluss an die Chutba wird das rituel-le Pflichtgebet (Salāt) gehalten und diesesMal konzentriere ich mich nicht auf meinUmfeld, sondern versuche, mich auf das Ge-bet zu konzentrieren. Ich weiß, dass die ein-zelnen Haltungen eigentlich einem be-stimmten Inhalt und teilweise konkretenWorten zugeordnet sind. Aber es geht auchintuitiv. Zum Abschluss des Gebets wirdkniend nach rechts und links der Friedens-gruß „as-salāmu ʿalaykum“8 gesprochen.Die Worte sind mir spätestens seit einerÄgyptenreise vor zehn Jahren bekannt, so-dass ich sie mitspreche, was bei meiner Sitz-nachbarin eine freudige Reaktion auslöst.Allein hierdurch fühle ich mich wohl undam richtigen Platz. Während des katholi-schen Gottesdienstes zählt das gegenseitigeHandschütteln und Friedenwünschen zumeinen Lieblingsmomenten.

Die Gruppe von Männern im vorderen Mo-scheebereich löst sich nach dem Gebet rechtschnell auf, doch die Frauen und Mädchenscheinen es nicht eilig zu haben. Sie kom-men auf mich zu, geben mir die Hand, wäh-

rend sie die andere auf ihr Herz legen. Sielächeln, ich bekomme zwei Kinder in denArm gedrückt und vorsichtig ein Kopftuchumgebunden. Die Offenheit und Gast-freundschaft ist wirklich überwältigend. Wirtauschen unsere Namen aus und eines derjüngeren Mädchen erklärt mir auf Deutsch,dass viele von ihnen Syrerinnen seien undin der Unterkunft am Ende der Straße woh-nen. Sie seien in der Moscheegemeinschaftgut aufgenommen worden, auch wenn sievorher keiner Ahmadiyya Gemeinde ange-hört hatten. Hier hält man zusammen und istfür ein Miteinander auf Augenhöhe und ei-nen friedvollen Islam.

Ich bin noch zum Gespräch beim Imam ein-geladen, der jedoch erst einmal damit be-schäftigt ist, Süßigkeiten an die johlendenKinder zu verteilen. Aus der aufgeregtenTraube heraus lächelt er mir zu. „Malschauen“, sagt er, „wie gut ihr die Süßig-keiten mit den anderen teilt.“ Da steht auchschon das erste Mädchen vor mir und hältmir einen halben Schokoladenkeks unterdie Nase.

VIII. Besuch der Ahmadiyya-Moschee 59

8 Auf Deutsch: Der Friede sei mit euch.

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Im Rahmen einer von der „franziskanischenInitiative 1219. Religions- und Kulturdia-log“ organisierten interreligiösen Studien-reise besuchen wir an einem Abend in Is-tanbul den Zikir2 eines Sufi-Ordens. Ichspreche kein Türkisch. Und vom Sufismus3

weiß ich, dass es sich um eine religiöse Min-derheit im Islam handelt, den mystischenZweig. Im Kopf habe ich Bilder der tanzen-den Derwische4.

Wir sind pünktlich da. Es herrscht bereitsein reges Treiben. Das Haus ist unscheinbar.Eher ein Wohnhaus als ein Gotteshaus. DieSchuhe werden am Eingang ausgezogen.Die Frauen gehen nach oben auf die Empo-re, die Männer gehen durch mehrere Räu-me, in denen viele Männer angeregte Ge-spräche führen. Die Atmosphäre ist

entspannt, ich bin angespannt. Ich halteBlickkontakt zu den mir bekannten Gesich-tern meiner Gruppe. Wir werden in die Got-tesdiensträume geführt und nehmen auf be-quemen Sitzkissen Platz.

Der erste von zwei Räumen ist gut gefülltmit Männern jeden Alters, viele mit einerweißen Kopfbedeckung5, die in Meditati-onshaltung auf dem Boden sitzend in stillemGebet versunken sind. Diesen Raum könnendie Frauen, selbst den Blicken der Männerentzogen, von der Empore aus einsehen6.

Wir sitzen in einem zweiten Raum. Durcheine große Tür und Sichtfenster ist diesermit dem ersten Raum verbunden, in dem ei-ne Nische die Gebetsrichtung Mekka an-zeigt. Die Wände sind voll behängt mit Bil-dern von Männern, ungewöhnlich im

60 IX. Was ich „verstehe“ wenn ich nichts verstehe

1 Tekke (türk.): Schutzort, Rückzugsort. Zentrum eines Sufi-Ordens.2 Zikir oder Dhikr (arab.) = Gedenken. Es handelt sich um einen Gottesdienst, der dem Gottesgedenken und der Vergegenwärtigung Gottes

dient. Er ist neben dem rituellen Gebet (Salāt) und dem Bittgebet (duʿā'), die dritte Form des muslimischen Gebets. 3 Sufismus ist die Sammelbezeichnung für verschiedene mystische bzw. asketische Strömungen im Islam, die oft als Ordensgemeinschaften

bzw. Bruderschaften unter der Leitung eines geistlichen Meisters (Sheik) organisiert sind. Schon zur Zeit Muhammads gab es Muslime, dieaus Gottesliebe und Gottessehnsucht streng fasteten, häufig meditierten, wenig schliefen und das nächtliches Gebet vollzogen. Sufismusist eine Spiritualität oder sogar Lebensform, mit der man über verschiedene Entwicklungsstufen zu Gott gelangt. Ausdruck findet der Sufis-mus in wunderbarer Poesie, theologischen Abhandlungen und verschiedene Formen des Gottesgedenken in Musik, Wort oder Bewegung.Im orthodoxen und streng konservativen Islam ist der Sufismus umstritten, da Musik und Tanz als unislamisch gelten.

4 Derwisch (persisch.) oder faqīr (arab.): Armer, Bettler. Mitglied eines Sufiordens, der die Versenkung in Gott und das Gottesgedenken durchden sema, einen (Dreh-)Tanz, praktiziert.

5 Takke, Gebetsmütze. Das Tragen einer Gebetsmütze ist im Islam anders als im Judentum (Kippa) nicht zwingend vorgeschrieben und wirdunterschiedlich begründet: Nach der Überlieferung soll Muhammad seinen Kopf beim Gebet bedeckt habe. Es ist ein Zeichen der Zugehö-rigkeit zum Islam oder die Andeutung einer Krone, die die Würde des Menschen betont oder ein Schmuckstück, weil Gott erwartet, dass dieMenschen in ihrem schönsten Kleid zum Gebet kommen.

6 Später erfuhr ich allerdings, dass auch die Frauen nichts sahen.

IX.Was ich „verstehe“wenn ich nichts verstehe

– Zikir - Gottesdienst in der Nurettin-Cerrahi Tekke1

Ernst Keim

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ansonsten eher bilderarmen Islam. Auch ei-nige arabische Schriftzeichen schmückendie Wände. Der Boden ist mit schönen Tep-pichen ausgelegt. An den Wänden gibt esSitzkissen und niedrige Sitzmöglichkeiten.Am Ende des zweiten Raumes befindet sichein erhöhter Sitz, roter Samt, breite Armleh-nen, gemütliche Kissen.

An den Wänden sitzen eher ältere Männerin leise Gespräche vertieft, im Koran lesendoder vor sich hin dösend. Immer wiederkommen und gehen Männer, mit einer leich-ten Verbeugung, die Hand am Herzen, dieAnwesenden begrüßend. Dies ist das Sze-narium der nächsten Stunde. Ich entspannemich.

Wir werden gebeten, den Sitzplatz zu wech-seln und neben dem erhöhten Sitz am Rau-mende Platz zu nehmen. Dies ist notwendig,denn jetzt füllt sich der Raum sehr schnell.Das rituelle Abendgebet steht an. Wären wirsitzen geblieben, hätten wir mit dem Rückenzur Gebetsrichtung gesessen. Beide Gottes-diensträume sind jetzt bis auf den letztenPlatz gefüllt. Die Gläubigen vollziehen ei-nige rak’a7 bevor das gemeinsame Abend-gebet mit seinen rak’a vollzogen wird.

Danach beginnt der eigentliche Zikir. Erwird gestaltet von einer Instrumentengrup-pe mit tamburinähnlichen Instrumenten, ei-nem/r Vorsänger(gruppe), und den Gesän-gen der Gläubigen. Die Gesänge sindAnrufungen Allahs und/oder des Propheten,die aus wenigen Worten, manchmal aus nureiner Silbe oder einem Buchstaben beste-hen, die immer wieder wiederholt und vongemeinsamen rhythmischen Körperbewe-gungen begleitet werden. Dies führt die Teil-

nehmer in eine Art Trance, die immer eksta-tischer wird und plötzlich abbricht - nachkurzer Stille aber wieder zum nächsten Ge-sang/Anruf führt. (Gesang/Bewegung –Pause – Gesang/Bewegung – Pause - …)8.Dieser Teil der Feier dauert ca. eine Stunde,geht dann in den „Tanz der Derwische“über. Ein Teil der Teilnehmer verabschiedetsich zu diesem Zeitpunkt. Während der ers-te Teil im Sitzen vollzogen wurde, stehendie Teilnehmer jetzt auf und beginnen imKreis zu gehen. Der Tanz wird ebenfalls vonden Instrumenten und den Gesängen derTeilnehmer begleitet.

Nach ca. 45 Minuten wird es neben mir um-triebig. Kekse, Obst, Feuerzeug und Ziga-retten werden bereitgestellt. Der Tanz endetabrupt, einige gehen, die Gemeinde drehtsich um 180 Grad, eine Gasse für denScheich wird gebildet, den geistlichen Leiterdes Ordens, der auf einem erhöhten SitzPlatz nimmt. Wo bisher hinten war, ist jetztvorne. Der Raum füllt sich. Der Scheichnimmt das Mikrophon und beginnt eine Re-de. Ich assoziiere Predigt, wenn da nichtTee, Früchte und die Zigaretten wären. Of-fensichtlich fügt der Scheich ein paar Scher-ze in seine Rede ein, steckt sich gemütlicheine Zigarette an und nimmt einen SchluckTee. Am anderen Ende des Saales betretenMänner den Raum mit Tabletts voller Tee-gläser. Ein Mann balanciert diese durch dieTeilnehmerreihen, was wegen der vielenMenschen sehr schwierig ist, bis zu unsererGästegruppe. Wir werden zuerst bedient.Danach erfolgt die gleiche Prozedur mitKeksen, dann mit frischen Feigen, währendder Scheich weiter seine Rede hält.

IX. Was ich „verstehe“ wenn ich nichts verstehe 61

7 Fest vorgeschriebener Ablauf von Gebeten und Gebetshaltungen. Vgl. S.34 Islambasistext.8 Die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel schreibt dazu: „Der dhikir [Zikir] wurde ausgelegt als das Polieren des Herzens. Man stelle

sich das Herz wie einen Spiegel vor, und man weiß ja, dass die Spiegel früher aus Stahl waren: Je mehr man das Herz mit der religiösenWiederholung von Formeln beschäftigt, desto reiner wurde es und konnte dann am Ende wie ein Spiegel die göttliche Schönheit in sich auf-nehmen“ (Schimmel, Annemarie: Im Namen Allahs des Allbarmherzigen, Düsseldorf 1996: S. 132).

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Der Gottesdienst nimmt für uns dann leiderein überraschendes Ende. Die Frauen unse-rer Gruppe, unter denen sich auch die orts-kundige Reiseleitung befand und die auf derEmpore nichts von der Rede mitbekommen,wollen zurück ins Franziskanerkloster, indem wir untergebracht sind. So müssen wirnun quer durch den Raum über alle Köpfehinweg, letztlich gestützt von den am Bo-den sitzenden Männern, den Raum verlas-sen, während alle anderen weiter andächtigdem Scheich lauschen.Mehr über die Sufi-Orden erfahren wir amnächsten Tag beim Besuch eines Sufi-Sheichs:

Scheich kann man nur werden, wenn manseine Abstammung in direkter Linie auf Mo-hammed zurückführen kann. Also Sukzessi-on durch Geburt, nicht durch Weihe.Im Sufismus geht es um eine intensive Le-benspraxis, die alle Bereiche des Lebens er-fasst. Dabei nimmt der Scheich eine wichti-ge Stellung ein. Im christlichen Bereichnennt man dies wohl einen geistlichen Be-gleiter. Ein Zikir, ist mehr als ein Gottes-dienst. Er ist auch ein Lebens- und Lernort,Ort der Begegnung und des Austausches.

62 IX. Was ich „verstehe“ wenn ich nichts verstehe

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Autorinnen und Autoren

Alexandra Dornhof, Soziologin, Bildungsreferentin bei der Interessengemeinschaft der Deut-schen aus Russland

Stefan Federbusch OFM, Theologe, Leiter des Exerzitienhauses - Franziskanisches Zentrumfür Stille und Begegnung in Hofheim am Taunus

Feride Funda G.-Gençaslan, Vorsitzende des Sufi-Zentrums Rabbaniyya - Der WahreMensch e.V.

Ernst Keim, Diplom-Sozialarbeiter

Tabea Perger, Kultur- und Religionswissenschaftlerin, Wissenschaftliche Hilfskraft der Lan-gen Nacht der Religionen

Dr. Hermann Schalück OFM, Theologe, ehm. Generalminister des Franziskanerordens undehm. Leiter von missio (Aachen)

Dr. Thomas M. Schimmel, Politikwissenschaftler, Geschäftsführer der franziskanischen Ini-tiative 1219. Religions- und Kulturdialog

Juanita Villamor-Meyer, Religionswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Islam, Geschäftsfüh-rerin des Berliner Forums der Religionen

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missionszentrale der franziskaner e.V.


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