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Madame Guyon - Das Innere Gebet

Date post: 30-May-2018
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  • 8/14/2019 Madame Guyon - Das Innere Gebet

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    Diese Informationsschrift wurde zusammengestellt von:Ingo Schneuing, Flrekeweg 9, 21339 Lneburg, Tel. 04131 32589

    mailto:[email protected]://www.bertha-dudde.info/

    DAS INGE

    von Mad

    1. Teil: Kurze(von ihr

    Nach einer Ausgab

    Nach

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    DAS INNERE GEBET

    von Madame Guyon

    1. Teil: Kurzes Mittel zu beten(von ihr selbst verfasst)

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    Nach einer Ausgabe aus dem Jahre 1740.

    Nachdruck 2006

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    Kurzes Mittel zu beten.

    Das innere Gebet ist ein so wichtiger Punkt, dass man sagen kann,

    es sei das einzige Mittel, um in diesem Leben zur Vollkommenheitund zu einer lauteren, selbstlosen Liebe des Herzens zu gelangen. Allewelche wirkliche Christen sein wollen, sind zu diesem Stand derlauteren Liebe und Vollkommenheit berufen. Damit sie diesen Standaber erreichen knnen, wird ihnen kraft der Berufung auch die ntigeGnade dargereicht werden. Das innere Gebet ist fr alle Menschengeeignet, ja selbst die einfltigsten Leute knnen dieses Gebet ver-richten. Das Mittel und der Weg dazu ist kurz, das heit aber nicht,

    dass man sogleich vollkommen sei, denn man geht von Stufe zu Stufe.Das innere Gebet bringt uns am schnellsten zur Vereinigung mitGott und zur bereinstimmung mit seinem Willen. Nach vielenAbwechselungen, Prfungen und Reinigungen in und nach diesemLeben werden wir uns durch die berlassung, durch die Vereinigungund durch die Umgestaltung unseres Willens in den Willen Gottes sobefestigt und besttigt finden, dass wir in uns keinen eigenen Willenmehr finden knnen. Wir werden nur noch das wollen, was Gott will,

    so dass der Wille Gottes unser Wille geworden ist.Dass aber dieses schon in diesem Leben geschehen kann und muss,

    ist unbestritten, obgleich auch nach dem Tode noch eine grereVollendung erfolgt. Denn wenn man die Hingabe unseres Willens anden Willen Gottes in diesem Leben noch nicht haben knnte, so wrdeJesus Christus nicht befohlen haben, um solches zu bitten, indem Ersprach: Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel. Httennmlich nur die Seligen im Himmel die bereinstimmung mit demWillen Gottes, so htte ja Jesus um etwas gebeten, das gar nichtmglich gewesen wre. Wir sehen also, dass das innere Gebet nichtsNeues ist. Man hat allezeit um die Erfllung des Willens Gottesgebetet. Jesus Christus hat sein ganzes Leben im inneren Gebetzugebracht und ganze Nchte darin verharrt.

    Vielleicht denken einige, das innere Gebet sei allein fr die Weisenund Gelehrten und nicht fr die Unwissenden und Ungebildeten. MeinLieber, was kann die wahren Christen von andern Vlkern unterschei-den, als nur das innere Gebet und die bung der Gegenwart Gottes?

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    Und wenn der Apostel Paulus sagt, dass man ohne Unterlass betensoll, schliet er hievon einen einzigen aus? Redet er nicht zu allen?Denn das Gebet ohne Unterlass kann nur durch das innere Gebetgeschehen. Deshalb ist es unmglich, ohne Unterlass zu beten, wennman nicht dem inneren Geistesleben ergeben ist. Solche, welche nochnicht im Inneren stehen, meinen es sei unmglich, immer zu beten.Dass aber nichts leichter ist als das, wissen nur die inneren, geistlichenMenschen. Dieser innere Stand ist eine fortwhrende Danksagung zuGott durch Jesus Christus und in Jesus Christus; und es ist der WilleGottes, dass wir in diesem Stand des Gebets und der stetigen Danksa-gung verharren. Das innere Gebet ist fr alle bestimmt, genauso wieder Glaube, die Hoffnung und die Liebe ebenfalls fr alle wahrenChristen sind. Denn Glauben, Hoffnung und Liebe anzunehmen, insich wirken zu lassen und wieder aufzuopfern, ist ein sehr gutes undvortreffliches Gebet. Denn wenn wir, belehrt durch den Geist Gottes,das innere Gebet im Geist und in der Wahrheit einfltig verrichten, sowerden auch die drei Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe,ausgebt. Ebenso verhlt es sich auch mit den Wirkungen der anderenTugenden, welche alle gegenseitig voneinander abhngen undvoneinander ausgehen, sei es nun das Werk der Anbetung Gottes, desLobes, der Danksagung oder der Bitten.

    Jeder wahre Christ ist schuldig, diese Wirkungen der Tugendenwenigstens mit dem Herzen oder innerlich hervorzubringen, auchwenn er sie nicht mit dem Munde ausspricht oder uerlich verrichtet.Deshalb ist es notwendig, innerlich zu beten und sich so zu ben imGlauben, in der Hoffnung und in der Liebe. Denn diese drei Haupttu-genden knnen nie besser ausgebt werden als im inneren Gebet. Werdeshalb das innere Gebet unterlsst, vernachlssigt die Ausbung desGlaubens, der Hoffnung und der Liebe.

    Wenn nun jemand in seiner Blindheit behauptet, das innere Gebetsei nicht fr alle, so msste er auch sagen, dass Glaube, Hoffnung undLiebe ebenfalls nicht fr alle seien. Denn wie wir gesehen haben,gehrt das innere Gebet mit den drei Haupttugenden so fest zusam-men, dass man nicht eine Sache verneinen und die andere besttigenkann. Wer also zugibt, dass Glaube, Hoffnung und Liebe fr einen

    Christen unentbehrliche Tugenden sind, der beweist hierdurch dieNotwendigkeit des inneren Gebets. Wer das eine besttigt, erhrtet

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    auch das andere; wer das eine verteidigt, muss notwendig auch dasandere verteidigen, da Glaube, Hoffnung und Liebe nie besser als iminneren Gebet ausgebt werden knnen.

    Somit sind alle zu diesem Weg und zu diesem Ziel berufen, nmlichnichts mehr zu wollen als was Gott will, und durch das Mittel desinneren Gebets wieder in ihren Ursprung, welcher Gott ist, einzuge-hen. Denn Gottes Gte ist unendlich. Er zgert nicht, allen denen dieEr berufen hat, die ntigen Mittel anzubieten und mitzuteilen, wennsie nur treu wren, sich dieser Mittel auch zu bedienen, um sich auf'diesem Weg und zu diesem Ziel fhren zu lassen. Denn durch diedargereichte gttliche Kraft kann man diesen Weg gehen. Wenntrotzdem nur sehr wenige dahingelangen, so ist das aus Mangel anTreue. Denn die Treue besteht nicht darin, dass man in eigenerWirksamkeit und selbstgeflliger Beschftigung auf seiner Hut stehe,indem man auf sich selbst acht hat und von sich aus viel wirkt,sondern darin besteht die Treue, dass man glaube und sich an Gottberlasse.

    Glaube doch, dass Gott allgtig und allmchtig ist. Allgtig indiesem Sinn, um diejenigen niemals zu verlassen, welche sich Ihm

    bergeben; und allmchtig, um uns jederzeit zu untersttzen und zuerhalten. Die Treue besteht aber auch in einer vlligen, absoluten undbedenkenlosen berlassung und bergabe an Gott wider jedeVernunft, welche auf keinen Eigennutzen sieht, sondern sich wie blindfhren lsst von dem, der ihn leitet.

    O ihr armen Seelen, die ihr so oft und so lange unter der Gefangen-schaft der Snde seufzt. Warum bergebt ihr euch nicht an Gott, undwarum schenkt ihr euch nicht Ihm durch das Mittel des inneren

    Gebets? Ihr wrdet durch dasselbe bald zurechtkommen. Glaubetnicht, das innere Gebet sei nur fr die Unschuldigen und bekehrtenSeelen, sondern gerade die grten Snder und die unbekehrtenMenschen haben das Gebet am meisten ntig. Das Gebet ist einUmgang Gottes mit der Seele, und ein Umgang der Seele mit Gott.Gott kehrt sich zuerst zur Seele, und die Seele kehrt sich zu Gott. Wasist das anderes als eine Bekehrung? Denn die Bekehrung ist ein Gebet,und es gibt keine wahrhaftige Bekehrung ohne das Gebet. Das innere

    Gebet ist die Nahrung der Seele. In dieser heiligen Ruhe schpft dieSeele die Krfte, die ihr ntig sind. Nimmt man ihr diese Nahrung

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    weg, so wird sie sogleich in Mattlosigkeit oder auch in eine tdlicheOhnmacht fallen.

    Auf welche Art und Weise soll man nun das innere Gebet verrich-

    ten? Um diese Frage beantworten zu knnen, muss man zuerst darauf hinweisen, dass das innere Gebet aus zwei Arten bestehen kann,nmlich aus dem wirksamen Gebet und aus dem leidenden Gebet. Daswirksame Gebet ist fr jedermann, hingegen soll und kann manniemand in das leidende Gebet einfhren. -

    Das wirksame Gebet kann man auf zwei Arten ausben: 1) DasWort- oder Mundgebet. Es wird mit Worten aus dem Herzen gebetet,sei es nun mit lauter Stimme oder nur in Gedanken. Das zweite ist das

    Herzensgebet. Es wird ohne Stimme, ohne Worte und Gedankengebetet. Dieses Herzensgebet ist die Vorbereitung und gleichzeitig dieEinfhrung in das leidende Gebet. Das Herzensgebet ist unvergleich-lich ntzlicher und Gott viel angenehmer als das Wort- und Mundge-bet. Gott verleiht groen Segen zu dem Herzensgebet und es knnenohne weiteres Wirkungen und Frchte erkannt werden.

    Wir mssen lernen mit dem Herzen zu beten, wozu auch die Einfl-tigen fhig sind, und nicht mit dem Verstande. Beten wir doch ein

    Gebet der Liebe und nicht des tiefsinnigen Nachdenkens, ein Gebetdes Geistes Gottes und nicht des Geistes der Menschen. Aber eben,man will prchtige und ausstudierte Gebete verrichten. Man schmcktsie knstlich und macht sie so unmglich; doch hat der Geist Gottesein solches Ausschmcken nicht ntig. Ich stelle mich lieber tglicheinige Augenblicke vor Gott hin, indem ich, ohne vernnftigeberlegungen oder Betrachtungen anzustellen, mein Gebet etwa mitfolgenden Stoss-Seufzern beginne:O mein Vater! O mein Gott! Omein Alles! Darauf verharre ich dann einige Augenblicke in einemehrerbietigen stillschweigen, ohne Ihm weiter etwas zu sagen. Ichstelle mich nur vor Gott dar und bergebe Ihm meinen Willen, auf dass Er damit schalten und walten mge, und lasse das Herz alleinohne Mithilfe der Vernunft, der Gedanken oder der Worte beten.Wenn ihr euch nun auf eine solche Weise alle Tage im Gebet bt, sobin ich sicher, dass ihr davon bald eine gute Wirkung versprt. Bleibtnur so vor den gttlichen Augen liegen, wie man sich an die Strahlen

    der Sonne legt oder sich ans Feuer stellt, um sich zu wrmen, so wirdman aufs neue warm. Und wenn auch auf eurer Seite keine Wirkung

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    zu sein scheint, weil es mehr ein leidendes als wirksames Stilleseinvor Gott ist, so werdet ihr doch von der gttlichen Hitze seiner Liebeunvermerkt durchdrungen. Denn wie das Feuer die Menschen, welchein einer gewissen Entfernung stehen, auf eine fast unempfindlicheWeise durchdringt und ihnen seine Wrme mitteilt, ohne dass manviel dabei empfindet, also werdet ihr auch in diesem Gebet keinebesondere Wirkung wahrnehmen.

    Solltet ihr auch in dem Herzensgebet weniger Innigkeit verspren,so bitte ich euch, dasselbe trotzdem zu versuchen. Denn ihr werdetsehen, dass eure Seele viel mehr im Guten zunimmt durch dasleidende Gebet als durch das wirksame Gebet. Beim Herzensgebet sollGott selbst der einzige Grund eures Gebets werden. bergebt euch inseine Hand, damit Er aus euch alles mache, was Ihm gefllt. Undsolltet ihr auch in diesem Gebet verschiedene Zustnde durchlaufen,es sei nun Innigkeit oder geistliche Drre, so muss euch doch alleszum Besten dienen und ihr werdet in der Liebe befestigt werden. Dennwas unserer eigenen Vernunft am wenigsten ntzlich zu sein scheint,das ntzt uns am meisten.

    Vor allem aber stellt die Wirksamkeit des Verstandes auf die Seite,

    ohne denselben weiter nachzuhngen, damit das Herz nicht ausge-trocknet werde. Verrichtet ein Gebet der Liebesneigung mit wenigenWorten und schweigt wieder. Sagt zum Beispiel: "O mein Gott, ichwollte dich gerne lieben, so wie du es verdienst! Hilf mir, dass ichdich wenigstens soviel liebe, als ich fhig bin." Danach verharrt ineinem ehrerbietigen Stillschweigen eine Zeitlang vor Ihm und sagtdarin: "Breite doch mein Herz aus, damit es mehr Liebe in sichaufnehme, zerschmilz dasselbe, auf dass es in dich hineinfliee." Das

    sind nur kleine Proben, ihr knnt natrlich sagen, was euch in denSinn kommt. Jedoch seid vielmehr mit den Herzen als mit den Kopf wirksam und verharrt nach solchen kurzen Worten der Liebe imStillschweigen, mit einer tiefen Demut und liebevollen Ehrerbietung.Denn man kann beten ohne ein einziges Wort zu bilden oder auszu-sprechen, ohne Betrachtungen anzustellen und ohne nachzusinnen,ohne vernnftige Worte oder berlegungen, ja ohne uerlich etwaszu wissen oder zu unterscheiden. Denn das Gebet ist fr die Seele eine

    ganz natrliche Sache, wenn sie darin eine gewisse Fertigkeit undGewohnheit erlangt hat, gleichwie das leibliche Auge sehen kann,

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    ohne den Unterschied im Wirken und Sehen zu empfinden. So ist dasHerzensgebet ein Gebet ohne Worte und Gedanken, ein unausgespro-chenes Gebet, wobei es auch hier wieder Unterschiede gibt. Ist dasGebet vollkommen, so ist es eine Frucht der Liebe zu Gott, wo nur dielautere Liebe betet. Ist es weniger vollkommen, so ist es mehr eineEmpfindung unserer Bedrfnisse, wo das hilfesuchende Herz sich vorGott darstellt. Denn wenn man hilfesuchend ist, so redet man mehr,man hat da keinen Lehrmeister ntig. Einen armen Bettler muss manauch nicht belehren, wie und was; er bitten soll.

    Wenn uns nun unser Herr befiehlt, ohne Unterlass zu beten, so hatEr von uns keine unmgliche Sache verlangt. Wir wollen nun sehen,welche Art von Gebet immerwhrend sein kann. Das Wortgebet, beiwelchem die Worte oder Gedanken aus einem Herzen herkommen,das sich in Liebe zu Gott hinneigt, kann nicht immerwhrend sein.Tausend Dinge unterbrechen dasselbe. Jedermann ist bekannt, dassman nicht allezeit auf eine bewusste Weise an Gott denken oder mitIhm reden kann, da man fters durch allerlei Zerstreuungen unterbro-chen wird, seien es Geschfte oder andere vorkommende uerlicheDinge,. wie auch der Schlaf und sonstige Bedrfnisse dieses Lebens.Man muss oft mit andern Menschen umgehen, den Nchsten beisprin-gen um ihn zu trsten, man muss die Verbindlichkeiten bei seinemBeruf erfllen und den Vor- gesetzten gehorchen, so dass man ftersabgelenkt wird.

    Ebensowenig ist die Betrachtung ein immerwhrendes Gebet, dennallezeit Betrachtungen ber gttliche Dinge anzustellen, drfte sehrschwierig sein. Abgesehen davon ist die Betrachtung kein eigentlichesGebet, da nur der Verstand allein ohne den Willen ttig ist. Und der

    Verstand ist in seiner schwachen Art oft unkonzentriert, unbestndigund oberflchlich, so dass das, was im Verstand durch vernunftgem-es berlegen vorgeht, nicht immerwhrend sein kann. Nur ein Herz,das sich in Liebe zu Gott hinneigt, macht, dass die Seele gerade zuGott aufsteigt.

    Die Gebete, welche man Stossgebete zu nennen pflegt, bertreffendie Betrachtung um vieles und sind sehr gut, weil sie aus demAndenken an Gott stammen. Doch knnen auch diese nicht immer-

    whrend sein.

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    Wenn wir das Gebet der Betrachtung einem Nachlesen der hrenvergleichen, wo es viele Mhe und wenig Frucht gibt, so knnen wirdas Gebet der Liebesneigung, wo die Seele sich in Liebe zu ihremGott hinneigt, einer Ernte vergleichen, wo man mit einen Schnittganze Hnde voll hren einsammeln kann. Denn wenn man sicheinfltig und in Liebe zu seinem Gott hinneigt, so wird das Herzsogleich angefllt. Es wird ihm soviel gegeben, dass es sich in innigerFreude eine Zeitlang davon ernhren kann. Alle diese Arten desGebets (sofern man sich nicht damit berladet) sind sehr gut, um indas immerwhrende Gebet eingefhrt zu werden, gleichwie die Opferdes Alten Testaments eine Vorbereitung auf das immerwhrendeOpfer Jesu Christi waren.

    Nun haben wir immer noch nicht gezeigt, welches Gebet zu allenZeiten und an allen Orten geschehen kann, das immerwhrend ist undhchstens durch die Snde und Untreue gestrt und unterbrochenwerden kann. Es ist das Glaubens- und Liebesgebet, welches durchden Glauben und durch die Liebe im Innern verrichtet wird. DiesesGebet des Glaubens ist einfltig, lauter und allgemein. Es wird wederetwas wahrgenommen, noch kann man etwas unterscheiden. Es istalles endlos, ohne Ziel und Mass. Es knnen weder Gemtsempfin-dungen noch Gedanken, weder Worte noch Gebetsanliegen unter-schieden werden. Es kann auch nicht unterbrochen, noch gestrt oderaufgehoben werden. Ebensowenig oder noch weniger kann dasLiebesgebet, das durch die vllige Neigung des Herzens zu Gottverrichtet wird, unterbrochen oder gestrt werden, weil das Herz nichtermdet zu lieben.

    Das Gebet ohne Unterlass kann weder durch den Mund, noch durch

    Worte und Gedanken, noch durch vernunftsgeme berlegungen undVerstandesfolgerungen geschehen, da es mehr eine stetige Vereini-gung unseres Willens mit dem Willen Gottes ist. Aber wie kommenwir zu diesem Gebet? Es ist vor allem das Herzensgebet, das wirbereits erwhnt haben, welches uns in das immerwhrende Gebeteinfhrt. Auch muss die Seele sich ganz zu Gott hinneigen, Ihmanhangen, nach Ihm streben, bis sie sich mit Ihm vereinigt findet.Dann wird sie empfinden, dass in ihrem Herzen ein immerwhrendes

    Gebet und eine ununterbrochene Liebe Eingang gefunden hat.

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    O wie sind die Menschen betrogen, welche alle ihre Frmmigkeitmit der Wirksamkeit des Verstandes ausben und meinen, das Gebetmsse ein Vernunftsgeschft sein. Auf diese Art kann man einenunbegreiflichen Gott nicht erkennen und begreifen. Denn das Gebetmuss eine immerwhrende Liebe oder Liebesbezeugung sein. Mangeht mit Gott um wie mit einem guten Freund. Anfangs hat manseinem guten Freund tausend Dinge zu sagen und ihm viele Sachenvorzulegen. Nachher aber wei man nicht mehr so viel, und man kannauch nicht mehr gut weiterreden, ohne den vertraulichen Umgang zustren, da man alles gesagt hat. Hingegen kann man einander trotzdembesuchen, es ist eine Freude zusammen zu sein, auch wenn man nichtmiteinander redet. Es gengt wenn man empfindet, dass einer bei demandern ist. Man ruht in dem Genuss einer sen und angenehmenFreundschaft, man schweigt still und versteht einander trotzdem. Manwei, dass man in allem eins ist, das eine Herz ergiet sich ohneUnterlass in das andere, so dass die zwei Herzen zu einem werden.Und so gelangt man durch den Umgang mit Gott im stillen, innerenGebet zu einer einfltigen und vertraulichen Vereinigung.

    In dem Gebet ohne Unterlass ist unser Herz zu Gott hingeneigt.Diese Neigung zu Gott kommt aus der Liebe hervor. Und wie durchdie Wirkung der gttlichen Gnade die Liebe zu Gott in uns entstandenist, so macht nun die Liebe wiederum, dass die gttliche Gegenwart inuns vermehrt wird. Und so kann das Gebet der Liebe in uns ohneunser Nachsinnen geschehen, wie man fters erfahren kann. Wie beieinem Menschen, der atmet, ohne darber nachzudenken, so ist auchdieser Weg des immerwhrenden Gebets geheim, mystisch undunbegreiflich. Es ist ein Gebet, das zu aller Zeit geschehen kann, ohnedass das Herz bewusst redet oder denkt.

    Neben diesem immerwhrenden Herzensgebet gibt es aber noch einfrmlicheres und ausdrcklicheres Gebet, welches man zu gewissenfestgesetzten Zeiten verrichten soll. Bei diesem Gebet schiebt dieSeele alle anderen Beschftigungen zurck, um sich einzig und alleinmit Gott zu beschftigen. Wenn man in einem wirksamen Stande ist,so geschieht dieses ausdrckliche Gebet zu vorher festgesetztenZeiten; ist man hingegen in einem leidenden Stand, so geschieht das

    Gebet zu denjenigen Zeiten, welche der innere Geist durch seinen Zuganzeigt.

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    Es ist ein Betrug. wenn man sich einbildet. dass man keine andereordentliche Zeit nehmen msse. um das innere Gebet zu verrichten,weil man ja die Gegenwart Gottes den ganzen Tag ber habe undgenieen knne. Denn der Genuss der Gegenwart Gottes ist ja ebendie Frucht und eine weitere Ausbreitung des inneren Gebets. Wer esdeshalb unterlsst, zu gewissen Zeiten das ausdrckliche Gebet zuverrichten (unter welchem Vorwand es auch immer sein mag), derwird die Gegenwart Gottes in den tglichen Beschftigungen nichtlange behalten knnen. Ich wei, da es nicht immer mglich ist, dasGebet zu einer gewissen. ordentlichen Stunde zu verrichten, da mandurch unvermeidbare Vorflle daran gehindert werden kann. Trotz-dem muss man sich jeden Tag Gelegenheit zur stillen Zeit nehmen.Wenn wir unserem Leib die Nahrung geben, so ist es angebracht, auchunsere Seele tglich zu ernhren. Soviel Zeit verschwenden wirunntz, lasset uns Gott einen Teil davon geben. denn nur diese Zeit istnicht verloren, die wir Ihm schenken.

    Damit das innere Gebet in uns recht erweckt wird, hat die Seeleanfangs zwei bungen zu verrichten. Erstens die bung und Vorstel-lung der Gegenwart Gottes. Denn es ist eine Glaubenswahrheit, dassdie unendliche Majestt Gottes und die ganze anbetungswrdigeDreieinigkeit alles erfllt. Deshalb muss die Seele diese Wahrheit festglauben und sich inwendig in diesem Glauben ben, dass nmlichGott der Vater, der Sohn und der Heilige Geist in ihr wahrhaftiggegenwrtig sei. Zweitens muss sie sich vllig und von ganzemHerzen Gottes Hnden berlassen, indem sie sowohl ihr Inneres alsihr ueres samt allen ihren Krften und Verrichtungen diesemallerheiligsten Willen bergibt, so dass er fr Zeit und Ewigkeit,sowohl whrend als auer dem Gebet mit ihr verfahren darf, wie esihm beliebt.

    Es ist eben notwendig, dass man sich im Anfang dieser bungbedient, damit das Feuer angeblasen wird. Nachher wenn es angezn-det ist und brennt, hat die Seele weiter nichts zu tun, als die ganze Zeitber im Frieden und Stillschweigen zu verharren, indem sie sichdanach ausstreckt, sich mit diesem liebevollen Andenken Gottes zubeschftigen, welcher genau so in ihr gegenwrtig ist, als Er im

    Himmel ist.

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    Wer ihr auch sein mget, die ihr noch keine bestndige Gewohnheitund Fertigkeit im inneren Gebet habt, so kennt ihr doch das Unserva-ter! Damit habt ihr genug, das innere Gebet zu verrichten, auch wennihr gleich nichts anderes wtet. Denn eine jede Bitte im Unservaterist so inhaltsreich, dass man davon eine gute, lange und brnstigeBeschauung anstellen kann. Besonders aber wenn man diese Bittenbei sich wiederholt, sie lebendig durchdringt oder im Grunde desHerzens erwgt, so bringen diese ganz andere und bessere Wirkungenhervor, als wenn sie nur mit dem Munde ausgesprochen werden.Wenn ihr die Worte etliche Tage in euren Herzen erwgt und denGeist der Gnade und des Gebets in euch wirken lasst, so werdet ihr,wie die Erfahrung lehrt, schnell aus fleischlichen in geistlicheMenschen verwandelt werden. Denn dieses tiefe Gebet, das imGlauben durch die zuvorkommende Gnade des Heiligen Geistesverrichtet wird, zieht den Geist Gottes ber euch herbei, oder aber,wenn ihr den Geist Gottes schon habt, wird dessen Wirkung in euchvermehrt werden, und diese wunderschne Vernderung, als seinalleiniges Werk, in euch vollbringen. Diese Verheiung, zu welcherGott steht, gilt fr alle rechtschaffenen Beter.

    Was nun das Bitten anbetrifft, so ist es fr die Seele das Beste,wenn sie nichts anderes tut, als ihre Not und Pein Gott hinzulegen.Denn wer in Bescheidenheit liebt, kmmert sich nicht darum, wie erum das Ntige bitten soll, sondern er legt seine Not einfach vor Gotthin, damit der Herr das mache, was Er fr gut findet. Gleich wie dieSchwestern des Lazarus dem Herrn Jesu nicht melden lieen, Er solleihren Bruder wieder gesund machen; sondern sie lieen Ihm nursagen, dass derjenige, den Er liebe, krank geworden sei. DiesesVorgehen ist aus folgenden Grnden empfehlenswert: 1) weil der Herrbesser wei als wir, was fr uns das Beste ist. 2) weil Gott mehrMitleid hat, wenn Er die Not und die bergabe desjenigen sieht, denEr liebt. 3) weil die Seele vor der Eigenliebe mehr bewahrt bleibt,wenn sie nur das vor Gott hinlegt, was ihr mangelt, als wenn sie umdas bittet, was nach ihrer Meinung fr sie ntig ist.

    Wenn die Seele sich so verhlt, dass sie ihre Nte einfach vor Gotthinlegt, so soll sie etwa folgendermaen sprechen: "Saget dem Herrn,

    dass ich krank bin, und weil Er allein meine Genesung ist und michgesund machen kann, dass Er mir die Gesundheit schenke. - "Saget

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    den Herrn, dass ich Kummer und Angst habe, und weil Er alleinmeine Ruhe ist, dass Er mir Ruhe gebe." - "Saget dem Herrn, dass ichsterbe, und weil Er allein mein Leben ist, dass Er mir das Lebenschenke."

    Als Hanna, die Mutter Samuels, den Herrn um einen Sohn bat,schwieg sie in ihrem Gebet den grten Teil. Ihr Gebet war ein Gebetdes Stillschweigens. Weshalb wohl? Weil es eine Bitte des Glaubenswar, welche ohne Gerusch der Worte, in der Unterwerfung unter denWillen Gottes verrichtet wurde. Sie war vom Geist Gottes belebt,deshalb tat sie ihr Gebet ohne viele Worte. Wenn es darum geht, Gottum etwas zu bitten, so muss man schweigen, weil wir nicht wissen,was wir bitten sollen und wie wir es vorzubringen haben. Schweigenwir aber, so bittet der Heilige Geist selbst fr uns mit unaussprechli-chen Seufzern. Was bittet aber dieser Heilige Geist, der uns in unserenSchwachheiten aufhilft? Er bittet nur um das, was gut und vollkom-men ist, weil er nur allein um den Willen Gottes bittet, dass derselbegeschehen mge. Deshalb mssen unsere Bitten mit Ehrfurcht undStillschweigen blass vor Gott dargestellt werden. Im Gebet der bloenDarstellung oder Einfalt bittet man, ohne das geringste zu sagen. Manerwartet alles, ohne etwas zu fordern. Man verlangt die Erfllung derBitten, indem man sich den Willen Gottes unterwirft, d.h. manberlsst es Ihm, ob Er die Bitten erfllen oder abschlagen wolle. Ineinem solchen Gebet erlangt man meistens mehr, als man sich zubitten getraute.

    Dieses Gebet der bloen Darstellung folgt auf das Gebet der Lie-besneigung, indem die Seele nichts anderes tut, als sich ganz einfltigvor Gott darzustellen. Es gibt im Evangelium Beispiele von dieser Art

    Gebete. Ein Gebet der Liebesneigung ist der Ausspruch: Erbarme dichmeiner, mach mich gesund, whrend die Worte: Wenn du willst, sokannst du mich gesund machen, einem Gebet der bloen Darstellungentsprechen. Die Dinge, um welche man bittet, werden nur dargestellt.Man lsst nachher die Sache wie sie ist, in einer gnzlichen Gleichgl-tigkeit. Man muss aber darin treu sein, und nicht seine grobe Hand anGottes Werk legen wollen. Es ist ein stummes Gebet, viel krftiger als jedes andere; ein Gebet, welches Gott fast allezeit erhrt.

    Aber dieses verlange ich von euch, dass ihr im Gebet einfltig seid,ohne ausschweifende Worte, auf dass Gott, welcher seinen Geist ber

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    die Einfltigen ausgiet, selbst euer Gebet sei. Lasst eure Gedankenwegfallen und rumt ihnen keinen Platz ein; seid einfltig amVerstand und habt nur eine einzige Absicht auf Gott in allem euremTun. Solltet ihr auch whrend den Gebet zerstreut sein, so werdet ihrGott dennoch angenehm sein, sofern ihr nicht in die Zerstreuungeinwilligt und mit allem Willen im Gebet verharrt.

    Was wir von unserer Seite aus tun knnen und sollen, ist das, dasswir uns aller Gedanken und aller Worte (diejenigen ausgenommen, zuwelchen wir verbunden sind, und was die Pflichten unseres Standesund Berufs erfordern), aller berlegungen der Vernunft, allerGestalten und Bilder, auch von allem Nachsinnen entschlagen, indemwir solches nicht mit Willen ins Gemt einlassen, sondern alles fallenlassen, sobald es sich eindrngen will, es sei nun whrend der Zeit desordentlichen Gebets oder auch den Tag ber. Das ist mir schon langeklar geworden, dass es notwendig ist, keine Gedanken in das Gemteinzulassen, seien es nun gute oder bse. Auch muss man von allenGestalten und Bildern frei und ledig sein, wenn man das lautere,innere Gebet verrichten will.

    Es ist eine Gott entgegengesetzte, eigensinnige Meinung, wenn man

    glaubt, nur mit Worten oder Gedanken beten zu knnen, die innerlichoder uerlich ausgesprochen werden. Denn nur im Stillschweigenund in der Ruhe der ganzen Seele mit allen ihren Sinnen, Neigungenund Krften, werden die Worte des Geistes und des Lebens, sowieseine lebendigen und geheimen Lichter in das Herz eingeflsst. Manmuss Gott nur Zeit dazu geben, ohne zu meinen, dass dieser Stand desinneren Stillschweigens Zeitverlust und Miggang sei. Im Gegenteilist die Seele mehr als je beschftigt, weil sie sich in diesem Gebet im

    Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe bt. Sie bt sich imGlauben, weil sie an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geistglaubt, und sich dieser Dreieinigkeit berlsst, welche wahrhaftig inihr gegenwrtig ist. Sie bt sich aber auch in der Hoffnung, da ja dieSeele in einem solchen Gebet des inneren Stillschweigens nichtverharren wrde, wenn sie nicht Hoffnung htte, Gott darin zugefallen. Am besten aber bt sie die Tugend der Liebe aus, weil siedem Willen Gottes gelassen und ergeben bleibt.

    Da man in einem solchen ehrerbietigen Stillschweigen die groenTugenden auf eine so herrliche Art ausben kann, so wollen wir uns

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    doch in Zukunft an dieses Gebet halten. Doch wollen wir nicht alleinwegen den Tugenden das innere Gebet Oben, sondern vor allemwegen der lauteren Liebe zu Gott. Die Liebe soll die treibende Kraftsein und das Gebet beseligen. Denn Gott ist ein Geist und als solcherauch Wahrheit. Deshalb will Er auch eine entsprechende Anbetung.Obschon nun auch die anderen Arten des Gebets gut und heilig sind,so sind sie eigentlich doch nicht fr Ihn geeignet, da sie wenighnlichkeit mit dem haben, was Er ist. Als ein Geist muss Er eineAnbetung vom Geist haben, man muss Ihn im Geist anbeten. AlsWahrheit will Er, dass man Ihn in der Wahrheit anbetet. So wird dasAnbeten im Geist zu einer Vereinigung mit der Wahrheit. Man kannnicht im Geist anbeten, ohne auch zugleich in der Wahrheit anzubeten,weil der Geist sowohl Wahrheit ist, als auch die Wahrheit desselbstndigen Worts. Alle anderen Arten Gott anzubeten, haben einenGeschmack des Menschlichen und werden oft in eigener Absicht undmit Eigennutzen vorgebracht und davon durchdrungen.

    Wir betrgen uns in unseren Sinnbildern und in den Begriffen, diewir von Gott haben. Deshalb kann auch unsere Anbetung, welcheunseren Sinnbildern entspricht, nie mit dem was Gott ist zusammen-passen oder Ihm hnlich sein. So lasset uns denn gleicher Meinungsein und zugeben, dass nur die Anbetung allein Gott wohlgefllig ist,die im Geist und in der Wahrheit geschieht. Und diese Anbetung istes, welche das selbstndige Wort, Jesus Christus, durch seinen Geistin uns wirkt. Auch der Apostel weist darauf hin, wenn er sagt, dass derHeilige Geist in uns bete. Der Geist aber betet nur in uns nach demwas er ist, das ist auf eine rein geistliche Weise.

    Deshalb ist es klar und offenbar, dass das wahrhaftige, innere Gebet

    nicht anders als durch die Hilfe des Heiligen Geistes in uns geschehenkann. Denn wenn wir nicht einmal vermgen, den verherrlichtenNamen JESUS mit gebhrender Ehrerbietung oder einiger Gottes-furcht auszusprechen, oder Ihn einen Herrn in der Wahrheit zunennen, ohne besonderen Beistand des Heiligen Geistes, wievielweniger knnen wir aus uns selbst von ganzem Herzen auf eine Artund Weise beten, die Gott angenehm wre? Und wenn wir nichtwissen, um was wir bitten mssen, noch fhig sind so zu bitten, wie es

    sich gebhrt, muss dann nicht der Heilige Geist fr uns mit unaus-sprechlichen Seufzern bitten? Und muss nicht Gott, welcher die

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    Herzen ergrndet und allein versteht, was der Heilige Geist in demGeiste des inneren Menschen verlangt, muss nicht Er veranlassen,dass der Heilige Geist in uns bittet?

    Wo nun der Geist Gottes ist, da ist Freiheit. Sicher wre es einevermessene und unntze Bemhung, wenn man demselben Vorschrif-ten machen und seine Wirkung einschrnken wollte. Deshalb mussman sich nicht in eine Art des Gebets zwingen, sondern sein Herz demHeiligen Geist ffnen und es ihm bergeben, damit er nach der ganzenStrke und Gre seiner Zge, die reine Gnade sind, den Menschenbewege und lenke. Und so gibt der Heilige Geist uns die Freiheit,entweder im Gebet zu reden oder zu schweigen, entweder um einigeGnade zu bitten oder um nichts zu bitten, entweder empfindlicheGnadenbezeugungen zu genieen oder nichts zu erhalten, entweder inBrnstigkeit zu sein oder in geistlicher Drre, entweder stark zu seinoder schwach, entweder im Licht zu wandeln oder in der Finsternis,entweder mit Trost und Sigkeit oder mit Ekel und Widerwillenerfllt zu werden, ent- weder in einem geheimen, unbegreiflichenWeg zu stehen oder in Empfindlichkeit zu sein.

    Es ist nicht schwer, diesen gttlichen Zug zu erkennen, da dieser

    Zug von einer Innigkeit begleitet wird. Auch sprt man ein Unverm-gen, diesem gttlichen Zug entgegen zu arbeiten. Was hingegen dereigene Geist mit Anstrengung und Geschftigkeit hervorbringen will,wirkt hart, mhsam, verdreht, unfruchtbar und ist ohne Geschmack;und solches kann nur mit Gewalt behalten werden.

    Der Herr wird in der Schrift JEHOVA, ewiger Gott, genannt. Damitwird uns zu verstehen gegeben, dass Er immer Gott ist und als solcherimmer angebetet, angefleht und angerufen werden muss. Unser

    Gottesdienst und unsere Anbetung muss ewig werden. Deshalb sagtJesus Christus selbst, dass man allezeit beten und nicht nachlassenoder ermden solle. Auch der Apostel Paulus will haben, dass manohne Unterlass bete, wie bereits angefhrt worden ist. Es ist aber nurder Stand des Glaubens, welcher das Gebet immerwhrend machenkann. Abraham, der Vater der Glubigen, ein Mann mit dem grtenGlauben, der jemals gewesen ist, rief den Namen Gottes an allenOrten an. Weil er in einem immerwhrenden Gebet stand, hinterlie er

    an allen Orten Merkmale seiner Anbetung, seines Gebets und seinesOpfers.

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    Damit wir aber diesen Geist des Gebets, welcher uns mit dem Herrnvereinigen soll, behalten knnen, um in dem immerwhrenden Gebetzu verharren, mssen wir zwei Punkte beobachten und tun. Erstensmssen wir dem Geist Nahrung geben. Zweitens mssen wir allesvermeiden, was uns veranlassen knnte, denselben zu verlieren. Wasdem Geist des Gebets Nahrung geben kann, ist das Lesen erbaulicherBcher, besonders aber der Heiligen Schrift, und zwar nach einergewissen Ordnung. Auch das ordentliche Gebet zu gewissen Zeitenund die fters wiederholte Einkehr oder Sammlung des Gemts denTag ber ist sehr ntzlich. Zu empfehlen ist auch die Einsamkeit unddas Zurckziehen von allen Geschften und von allem Umgang mitden Menschen, besonders wenn man merkt, dass man es ntig hat,oder es uns von geistlich erfahrenen Leuten angeraten wird. Was abermacht, dass wir den Geist des Glaubens verlieren, ist z.B. die Snde,der Umgang mit Weltleuten, besonders mit solchen, die einer Irrlehreangehren oder sonst falsche Andachten haben. Das soll uns vollerFurcht machen, dass wir immer auf unserer Hut stehen und vorsichtigwandeln.

    Wenn wir aber gewahr werden, dass wir einen Fehler begangenhaben, sei es aus bereilung oder gar mit Willen, so sollen wir imgleichen Augenblick einfltig und aufrichtig und mit ganzem Herzenzu Jesu Christo zurckkehren. Dies geschehe nach dem geistlichenStand der Seele in mehr oder weniger wirkender Weise, je nachdemunser inneres Gebet mehr oder weniger wirksam oder leidend ist.

    Man muss demnach beten, in der Gegenwart des Herrn wandeln,sich nicht allzusehr in die ueren Dinge, in sein Geschft oder seineArbeit auskehren und sich zerstreuen, sondern sich absterben und sein

    Fleisch bezhmen, indem man sich selbst und seinen unordentlichenNeigungen absagt. Denn die Absterbung und die Verleugnung gehenmit dem inneren Gebet Hand in Hand und gehren notwendigerweisezusammen. Ohne inneres Gebet gibt es keine wahrhafte Absterbungund Verleugnung, ebenso gibt es auch ohne Absterbung und Verleug-nung kein wahrhaftes inneres Gebet. Wenn das eine oder das anderefehlt, so ist keine Bekehrung, kein inneres rechtschaffenes Wesen,keine Vollkommenheit und kein wahres Christentum mglich. Man

    darf sich da nicht betrgen. Es ist unmglich, ohne die Absterbungoder Kreuzigung und ohne die Verleugnung seiner selbst Gott

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    wahrhaft ergeben zu sein. Entweder nimmt die Absterbung zu oderdas innere Gebet nimmt ab.

    Diese Absterbung oder Kreuzigung kann die Seele nicht von sich

    aus lernen, indem sie mit allem Flei sich selbst zu tten oder zukreuzigen sucht. Gott selbst unterrichtet die Seele. Sie muss nichtsanderes tun, als sich durch die Liebesneigung mit Gott zu beschfti-gen, sich Ihm zu bergeben und zu berlassen. Dann wird sie von Gottzur rechten Zeit auf alles aufmerksam gemacht. Er geht hinter ihr herund unterweist sie fortwhrend. Wenn die Seele ihren Mund ffnenwill um zu reden, so macht dieser innere Bestrafer, dass sie den Mundwieder schliet. Wenn sie etwas ansehen will, so lsst Er sie dieAugen abwenden.

    Damit das innere Gebet rechtschaffen ist, muss die Absterbung mitdemselben Schritt halten. Je nachdem das innere Gebet zunimmt,mssen auch die Sinne und die Erregungen des Gemts bezhmtwerden. Da darf man sich nicht schonen, in welcher Sache es auchimmer sein mag. Man kann die Absterbung der Sinne und derGemtsaffekte als die anfngliche Arbeit des wahrhaftigen innerenGebets bezeichnen. Deshalb muss man immer gegen dieselben

    angehen, weil sie das Gebet hindern und stren. Anfangs geschiehtdas in eigener Wirkung, bis Gott selbst eingreift und dem Menschendie weitere Mglichkeit zu wirken benimmt. Mit seiner Wirkung, diealles menschliche Wirken weit bertrifft, bndigt Er die Affekte undSinne auf eine viel krftigere Weise. Da muss man dann sehr treu sein,dass man im Anfang nichts bersieht, damit man sich die tglicheAbsterbung und Verleugnung richtig angewhnt. Nachher, imfortgeschrittenen geistlichen Leben, wird eine noch grere Treue

    erfordert. Man muss sich von seiner Arbeit und von seinem Wirkenentblen und Gott die Arbeit tun lassen. Auch sollen wir nicht auseigenen Krften Gutes wirken und beten wollen, sondern dem GeisteGottes Raum geben, dass er in uns bete und wir durch ihn.

    O in diesem Stand des Glaubens verrichtet man ein krftiges Gebet,das Gebet Jesu Christi, durch Jesus Christus und seinen Geist. DieSeele befindet sich in einem immerwhrenden, wirklichen Gebet,ohne Worte, ohne Nachsinnen, ohne berlegungen und Entschlsse.

    Alles was sie ist und alles was in ihr ist betet durch Jesus Christus undin Jesus Christus. Ohne dass die Seele ausdrcklich an das Gebet oder

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    an einzelne Gebetsanliegen denkt, um dies oder das zu erlangen, soerhlt sie doch zur Stunde alles, was sie ntig hat. O wie hat das Gebeteine Macht bei Gott. Aber welches Gebet? Das innere Gebet desStillschweigens, die Zuneigung des Herzens zu Gott, ein Gebet ohneGedanken, Worte und Bilder, da man alles von der Barmherzigkeitund Allmacht Gottes erwartet. Diejenigen, welche dieses Gebetverrichten, erlangen darin so viele Krfte, dass sie nicht allein selbergetrstet werden, sondern auch andere trsten knnen, die bedrngtsind.

    Man kann sich fragen, ob denn die anderen Gebete und Gebetsartenabgeschafft werden sollen, wenn man nur noch auf eine geheime,nicht mehr wahrnehmbare Weise beten soll? Sind nicht die Wort- undMundgebete bei vielen Personen und in vielen Zeiten und Gelegenhei-ten notwendig und mssen als solche verrichtet werden? Wenn alleMenschen in die Beschauung eingingen und der leidenden Beschau-ung gewrdigt wrden, was wrde aus der Wirkung werden?

    Dieser allgemeine Einwand kann wie folgt beantwortet werden: Eswird immer solche haben die wirken, denn jeder, der in die Beschau-ung eingehen will, muss zuerst in wirksamer Weise ttig sein. Denn

    die Wirkung ist die Tr und die Vorbereitung zur Beschauung. Eswerden sich deshalb allezeit Anfnger im Christentum finden, die inder ersten Stufe des Wirkens stehen. Genauso wie diejenigen, welchedas menschliche Ziel erreicht haben, sterben mssen, so werden auchimmer wieder andere geboren und mssen von vorne beginnen, damitsie zum Ziel gelangen. Denn es gilt ohne Ausnahme fr alle Men-schen, dass sie sich ben knnen im inneren Gebet, in der Erttungdes alten Menschen und in der Verleugnung seiner selbst und aller

    erschaffenen Dinge. Alle sollen sich ben, es seien Jnglinge,Jungfrauen, verheiratete Personen, Frsten, Frstinnen, Knige,Kniginnen, Obrigkeiten, Edle, Herren, Gelehrte, Soldaten, Kaufleute,Handwerker und Tagelhner. Es ist kein einziger ausgenommen, dernicht aufgerufen wird, mit Flei zu streben nach dem inneren Gebet,nach der Liebe, der Erttung der Gemtsaffekte und Sinne, und derVerleugnung.

    Im brigen mssen wir mit groer Sorgfalt die Leute aussuchen, mit

    welchen wir Umgang haben mgen; auch drfen wir uns die ntigenStunden nicht rauben lassen, in welchen wir nur mit Gott allein im

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    Gebet Umgang haben. Vor allem aber htet euch vor der Kleinmtig-keit, wenn ihr im inneren Gebet nicht so gesammelt seid, wie ihr gernemchtet. Gebt das innere Gebet nicht auf und schiebt es nicht hinaus.Oft kann man sich im Gemt nicht sammeln, weil man sich vorher ingroe Zerstreuungen eingelassen hat. Wollt ihr, dass eure Gedankennicht scharenweise kommen, um euch im Gebet zu beunruhigen, soerlaubt ihnen nicht, den Tag ber scharenweise bei euch einzuziehen.Die Gedanken drfen nicht so lange im Kopf bleiben, als es ihnengefllt. Gewhnt euch daran, den Tag ber die Tr vor den eindrin-genden Gedanken zu verschlieen. Sobald die Gedanken kommen,lasst sie fallen und behaltet sie nicht mit Willen, sondern kehrt euchauf die Seite Gottes. Je mehr ihr jetzt noch Mhe habt, solches zuvollbringen, und es euch schwer fllt, desto mehr msst ihr euchGewalt antun, damit ihr mit Gott vereinigt werdet. Denn es fllt nichtschwer, Ihm zu folgen, da Er uns ja auf eine sprbare Weise zieht undseine Treue und Liebe gegen uns bezeugt. Und so knnen auch wirvon unserer Treue Zeugnis geben, wenn wir unserer Natur Gewaltantun und Ihn von ganzem Herzen suchen. Wir mssen Gott so langesuchen, bis wir Ihn gefunden haben; wir mssen so lange anklopfen,bis Er uns auftut; wir mssen so lange bitten, bis Er uns seine gttlicheGegenwart gewhrt. Denn die gttliche Gegenwart ist das einzige, dasuns in allen Widerwrtigkeiten helfen kann.

    Es gibt Seelen, die sich entschuldigen, dass sie nicht immer betenknnen. Geht man der Sache nach, so findet man, dass sie in mancher-lei Sachen verwickelt sind und an vielen Dingen hngen, welche sienicht fahren lassen wollen. Wieder andere unterlassen das innereGebet mit der Ausrede, dass sie viele Geschfte htten. Doch damitbetrgen sie sich nur selbst, denn das innere Gebet kann auch whrendden Geschften verrichtet werden, da diese ausgezeichnete Speise desInnern zu allen Zeiten genossen werden kann.

    Es gibt Leute, die in wichtigen Geschften stehen, und so vieleunumgnglich ntige Pflichten zu erfllen haben, dass ihnen fast keineZeit mehr brigbleibt, besondere Gebetsbungen abzuhalten. Solchemssen ernstlich darauf bedacht sein, ihre Zeit wohl anzuwenden unddas Ntigste nicht zu versumen. Denn wenn man sich nicht Zeit

    nimmt, so findet man sie nachher auch nicht mehr. Und doch ist eswichtig, fr Gott und den Nchsten seine Zeit zu opfern, wie man ja

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    auch oftmals mit unntigen Dingen seine Zeit vertreibt, obwohl mankein Bedrfnis danach hat. Denn ich habe niemals begreifen knnen,wie man das innere Gebet versumen und zugleich im Geisteslebenstehen kann.. Es gibt nmlich solche, welche meinen, man msse sichkeine besondere Zeit fr das innere Gebet mehr nehmen, wenn manim inneren Geistesleben weit voran gekommen sei. Gegen solcheAuffassungen habe ich soviel als mglich immer Stellung genommen.Denn wer kann sich wohl mit Jesus Christus vergleichen, welcherganze Nchte in dieser heiligen bung zugebracht hat? Selbstver-stndlich kann man ohne Bedenken das innere Gebet einmal unterlas-sen, wenn man umstndehalber pltzlich daran verhindert wird. Dochsoll das nur selten geschehen und nicht zur Gewohnheit werden.Sobald man kann, soll man die bung des inneren Gebets wiedervornehmen, denn darauf beruht das ganze Wesen des Christentums.Am besten ist es, sich eine gewisse Regel zu machen und sichentschieden daran zu halten. Obwohl eine so strenge Beobachtung inAnsehung des Gebets zu weit zu gehen scheint, ist es doch notwendig,da man sich sonst nur zerstreut. Man wird trge, verliert seine Krfte,entfernt sich unvermerkt von Gott, liefert sich seinen Lsten aus undbemerkt die Abweichung nicht eher, als bis fast keine Hoffnung zurUmkehr mehr da ist.

    O lasst uns beten, lasst uns beten! Das Gebet ist unser einziges Heil.Gelobt sei der Herr, welcher weder mein Gebet noch seine Barmher-zigkeit von mir abgewendet hat. Damit man aber im Gebet treu seinmge, mu man mit aller Treue und Standhaftigkeit seine Geschfteden Tag ber so einrichten, dass alles in fester Ordnung bleibt.

    Das Gebet, welches auch whrend den ueren Geschften verrich-

    tet werden kann, ist eine Frucht des inneren Gebets oder der stillenGebetsbung. Es ist wie die Hitze eines Ofens, welche sich noch langeerhlt, auch wenn kein Holz mehr nachgelegt wird; es ist die Salbungdes Gebets, welche erhalten bleibt; es ist der Geruch des kstlichenRucherwerks, der sich innen ausgebreitet hat; es ist der verborgeneGeschmack des himmlischen Mannas, womit man genhrt worden ist;es ist der Eindruck der Liebe und der Gegenwart Gottes in unserenHerzen, welcher mitten unter den Geschften erhalten bleibt. Und so

    wird der Mensch in sein Inneres zurckgerufen, wenn er sich inuerlichen Geschften zerstreut hat.

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    Wenn man vom inneren Gebet aufsteht, das man zu besonderenZeiten verrichtet hat, so soll man das, was man empfangen hat, alsetwas Kostbares bewahren und es nicht verlieren. Das Feuer der Liebeund der Innigkeit wird im Gebet und durchs Gebet angezndet, docherlischt es schnell, wenn es den Tag ber nicht unterhalten wird. Manmuss ihm Nahrung geben, indem man fters in sein Inneres einkehrt,in Liebe und Dankbarkeit an seinen Gott denkt und oft in schmerzens-vollen Ausdrcken seiner frheren Snden gedenkt, und die verloreneZeit beklagt, in welcher man ohne Erkenntnis und ohne Liebe Gotteswar.

    Man mu mit Augustinus sagen: "O du alte und neue Schnheit.Wie habe ich so lange Zeit gelebt, ohne dich zu lieben. Ist es mglich,dass ich dich so spt erkannt habe, der du meine hchste Glckselig-keit bist? Ach, das war mein Fehler, dass ich dich in allen sichtbarenDingen suchte, wo du nicht zu finden warst, und dass ich dich nichtinwendig in mir suchte, wo es doch dein Wille war, dass ich dichdaselbst finden sollte."

    Es gibt Zeiten, wo das Herzensgebet und die innere Gebetsbungschwer und mhsam wird, weil die Liebesneigung des Herzens

    verborgener ist und weniger empfunden wird. Da mu man dannentweder den Willen durch Erhebungen des Gemts zur Liebe, zumVertrauen und zur bergabe und durch Einkehr in das Innere erwe-cken, oder ganz an Gott gelassen bleiben, indem man ein Gebet derGeduld nach dem Grad der Seele verrichtet. Man mu die Verzge-rung und den Aufschub der Trstungen erdulden, wie die Schrift sagt,damit unser Leben wachse und erneuert werde.

    Ihr werdet aber einwenden, dass ihr im Gebet nichts ausrichtet,

    wenn ihr in demselben ganz trocken und zerstreut seid. Da ist zusagen, dass Gott sicher etwas ausrichten wird, wenn ihr nur treu seidund nicht in die Zerstreuungen einwilligt oder denselben nachhngt.Denn die Zerstreuungen, wenn sie nicht willentlich unterhaltenwerden, hindern das Herzensgebet nicht. Das Herz bleibt auch in denverschiedensten Erschtterungen und Unruhen dieses Lebens Gottergeben. Man mu nur nicht sein Herz von Gott abziehen und Ihn mitWillen beleidigen. Die Empfindungen und die Innigkeit bei der

    Andacht sind nicht ein Zeichen einer vollkommenen Andacht, sondernnur zufllige und vorbeigehende Dinge, ein Strohfeuer, das von keiner

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    Dauer sein kann. Eine grndliche Andacht aber verliert sich nicht,auch wenn die Empfindung aufhrt. Sie ist den zuflligen Ursachennicht unterworfen. Der Kern der Frmmigkeit besteht im Glauben, inder bergabe an den Willen Gottes, in der geheiligten Liebe ohne jedeEmpfindung.

    Wenn man mit einer Person lange Zeit keinen Umgang mehr gehabthat, so wird dieselbe uns ganz fremd. Deshalb mssen wir mit unserenFreunden fters verkehren, wenn wir eine gewisse vertraute Bezie-hung unterhalten wollen. Genauso verhlt es sich auch mit Gott. Jemehr wir mit Gott umgehen, desto vertrauter wird Er uns, und destomehr lieben wir Ihn.

    berlasst euch unserem Herrn und nehmt im Gebet eure Zuflucht zuIhm. Unterlasst dasselbe niemals, auch wenn ihr keinen Geschmackdaran habt. Denn wenn man sich dem Feuer nhert, wird man davonerwrmt, auch wenn man es nicht sieht. Je mehr man sich von derGegend entfernt, wo die Sonne krftig scheint, desto weiter kommtman in dunkle und kalte Eislnder. Und so ist es auch umgekehrt: Jemehr man sich der Sonne nhert, desto krftiger und strker wird dieHitze. Wenn es Gott gefllt, euch im Gebet etwas zu geben, so nehmt

    es mit Gleichmtigkeit an. Gehet zum Gebet um den Willen Gottes zutun, und seid auch nach dem Gebet wohlvergngt, unbekmmertdarum, wie Gott mit euch im Gebet gehandelt hat. Wandelt imGlauben und berlasst euch ganz den Hnden Gottes. Ihr knnt sichersein, dass die Frchte des inneren Gebets unzhlig sind. Und wennman in diesem Leben die besten Frchte nicht erkennen kann, sowerden sie doch aufbehalten auf den herrlichen Tag der Ewigkeit.Deshalb stellt euch einfltig vor Gott dar. Verharret im Gebet sowohl

    in der Dunkelheit als auch im Licht, sowohl in der sen Empfindungseiner Gegenwart, als auch in dem unempfindlichen Zustand derDrre. Es kommt nicht darauf an, dass wir unser eigenes Wohlgefallenan Gott haben, sondern dass Gott an uns Gefallen hat. Und je mehrwir unter seiner Hand beugsam sind, desto mehr gefallen wir Ihm. Essoll fr uns alles gleichgltig sein, denn da wir ja nichts mehr fr unsselber wollen, so wollen wir nur noch Gott um seiner selbst willen.Das ist ein groes Ziel, und wiewohl wir von uns aus nichts verm-

    gen, so sind wir doch dazu berufen. Die Zeiten wechseln ab, imWinter schlagen die Bume Wurzeln und erhalten dadurch eine

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    dauerhaftere Festigkeit. Denn es ist gewiss, dass die Zeit der geistli-chen Drre und Dunkelheit eine Zeit der Reinigung fr die Seele ist.Doch ist es wichtig, dass man in solchen Zeiten mehr auf dem Wegdes Herzens wandelt, als auf dem Wege des Verstandes. Wir sollenden Willen in der Liebe, Gelassenheit und Geduld ben und nicht denVerstand durch Nachsinnen und Betrachtungen schrfen; denn einVerstand ohne Wirken ntzt nichts. Doch mit dem Herzen ist esanders. Ein Herz hrt auch ohne sinnliche Empfindung nicht auf,wahrhaftig und tatkrftig zu lieben. Ja die Wirkung des Herzens istumso lauterer, je verborgener sie ist. Deshalb habt keine Bedenken,auf dem Wege des Herzens und Willens zu wandeln.

    Es gibt Seelen, welche sich wirklich Gott ergeben wollen, weil siees fr das Beste halten; doch schrecken sie sogleich wieder zurck,wenn ihr Land ganz trocken und unfruchtbar ist und die Wasser derGnade bitter schmecken. Das ist eine allgemeine Klage, dass man auf dem Wege des inneren Gebets nur Bitterkeiten empfinde, statt derSigkeiten, welche andere darin finden. Da soll man sich nur selbstdie Schuld geben, weil man nmlich die himmlischen Sigkeitennicht schmecken kann, ohne die irdischen fahren zu lassen. Dochmsst ihr ber die Schwierigkeiten nicht erschrecken, da es inWirklichkeit gar keine gibt. berlasst euch nur Gott, denn was denMenschen unmglich scheint, das ist bei Ihm sehr leicht mglich. Sofasset denn Mut, ich erhoffe viel von eurer Seele, wenn ihr Gott getreuseid. Denn das soll eben die Frucht und Wirkung der Widerwrtigkei-ten und Leiden, der Prfungen, der Versuchungen und der geistlichenUnfruchtbarkeit sein, dass wir unsere Seelen in der Gegenwart desHerrn ausschtten. So machte es auch Hanna, die Mutter Samuels.Wer ein Gef ausleert, tut nichts anderes, als es gegen die Erde zuneigen, und ohne weitere Anstrengung leert sich das Gef von selbstaus. So ist es auch mit demjenigen beschaffen, welcher seine Seele inder Gegenwart des Herrn ausschttet. Er tut nichts anderes, als dass ersich sanft zu Gott hinneigt. Er folge der Grundneigung, welche dieSeele durch die Gnade Jesu Christi hat, sich mit ihrem Zentrum zuvereinigen, so fliet sie unvermerkterweise gegen Gott hin, wie einreines, klares Wasser.

    Was war es wohl, was Hanna, die Mutter Samuels, zum Gebettrieb? Es war der bergroe Schmerz, welcher in ihr die Neigung zum

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    Gebet auslste. Und so bin ich auch kaum vor Gott, so verliere ich alleanderen Bilder, und kann nichts anderes tun, als dem Zug der Neigungzu folgen. Diese Neigung legt Gott selbst in uns, damit wir in Ihneinflieen und uns in Ihn versenken sollen. Wie ein mit Wasserangeflltes Gef ausgeleert wird und nichts darin zurckbleibt, sowill ich mich von mir selbst ganz ausleeren und mich in Ihn versen-ken. Das ist mein einziges Bestreben, weiter verlange ich nichts, alsdass ich auf diese Weise bete. Mein Gebet ist meine Neigung, undmeine Neigung ist mein Gebet; und sowohl das Gebet als auch dieNeigung werden durch meine Liebe und durch meinen Schmerzhervorgebracht. Denn wir beten notwendigerweise dasjenige an, waswir am meisten lieben, da die Anbetung der Neigung des Herzensfolgt. Wenn wir nun Gott ber alles lieben, so beten wir Ihn wahrhaf-tig an. Deshalb gehrt das Gebot der Liebe und das Gebot derAnbetung zusammen. Du sollst den Herrn deinen Gott lieben und Ihmallein dienen. Denn sobald man jemand liebt, gibt man sich Mhe, nurallein demjenigen zu dienen, den man liebt. Er ist unser Gott, und alssolchen mssen wir Ihn als unseren Gott anrufen und nicht als denGott eines andern. Wir mssen Ihm so dienen, wie Er von uns bedientsein will, und nicht, wie andere Ihm dienen oder blo vorgeben zudienen.

    Erinnert euch, dass das Reich Gottes, welches in dem innerenGeistesleben besteht, einem im Acker verborgenen Schatz verglichenwird. Dieser Schatz findet sich weniger bei solchen Leuten, die beiandern in einem guten Ruf oder Ansehen stehen, da er dort der Gefahrausgesetzt wre, durch die Hochachtung der Mitmenschen und durchdie eigene Selbstgeflligkeit besudelt und entzogen zu werden.Deshalb ist dieser Schatz vor allem bei denen, die sich verborgenhalten und nach auen nicht viel Aufsehen machen, weil all ihr Feuerinwendig eingeschlossen ist. O es gibt wenige Seelen, welche Gottallein, ohne Nebengtzen, anbeten. Es finden sich viele solche, welcheden Dienst und die Verehrung Gottes mit der Abgtterei vereinbarenwollen. Man will Gott und die Welt, das innere Geisteswesen und dieEigenheit miteinander verbinden. Man mag sich Gott nicht berlassenund will alles Fleischliche und Irdische neben Ihm beibehalten. Das istaber unmglich, solches beleidigt Ihn und reizt Ihn zum Zorn. Gottmuss bei uns allein, ohne Nebengott, die Hauptsache sein. Trotzdem

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    glauben viele Gott zu gefallen, obwohl sie Ihm nur einen mit Aber-glauben ver- mischten Dienst abstatten. Solches aber ist ein Gruelvor Gott. Er will nicht, dass man Ihm nur darum dient, weil man sicheinen Nutzen oder sonst etwas Gutes verspricht. Denn manche bildensich ein, dass Gott schuldig sei, uns mit tausend Gtern zu berscht-ten, nur weil man Ihm alle Tage einige Lippengebete, wovon das Herzweit entfernt ist, abstattet. Dazwischen opfert man noch dem Gtzender Eigenliebe, und will die heilige Liebe und die Weltliebe zusam-men im gleichen Herzen bewahren, obwohl die beiden einander nichtleiden knnen. Denn wenn in einem Herzen noch die weltliche Liebeherrscht, so kann man daraus schlieen, dass die heilige Liebe dortkeinen Wohnsitz hat. Wenn aber die heilige Liebe Gottes und dieNchstenliebe in einem Herzen wohl bekannt ist und gebt wird, sokann daraus geschlossen werden, dass diese Liebe allein im Herzenvorherrschend ist. Trotzdem kann das Herz noch von verdrielichenEmpfindungen und Versuchungen umgeben sein, welche im Gegen-satz zur heiligen Liebe stehen. Oft haben wir auch noch Schmerzenund innere Leiden whrend und auerhalb des Gebets. Wenn wir derSache nachgehen, so finden wir, dass diese Leiden von unlauterenAbsichten in Bezug auf uns selbst herrhren. Wir mgen uns noch sosehr bemnteln, so kommen doch alle unsere gefhrlichsten und ammeisten eingewurzelten bel und Schmerzen daher, dass wir gegenuns selbst und gegenber den irdischen Dingen noch so sehr empfng-lich sind und nichts anderes anschauen mgen, weil wir uns selbst unddas Irdische lieben. Deshalb ist es fr uns notwendig, dass wir zu Gottzurckkehren. Der Teufel gibt sich nicht Mhe, uns mit groenSnden zu versuchen, wenn er uns in einem irdischen Sinn gefangenhalten kann, der in verkehrter Selbstliebe nur auf sich gerichtet und frirdische Dinge empfnglich ist. Wir mssen uns nur vor Jesu darstel-len und Ihn durch stilles Gebet anflehen, so wird Er diesen Teufel ausuns vertreiben und uns von dieser Seelenkrankheit heilen. Denn dieseKrankheit ist die gefhrlichste unter allen, sie ist die Quelle von allenandern beln.

    Seid berzeugt, dass Gott euch zu einem ganz einfltigen Gebetberuft. Doch msst ihr euch ganz in seine Hnde bergeben und nichtmehr auf euch selbst oder auf euer Gebet sehen. Es ist nicht immergut, seine Zuneigung, die man zu Gott hat, wahrzunehmen und mit

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    Aufmerksamkeit darauf zu achten, wie man betet und wie das Herzauf Gott gerichtet ist. Es ist mir lieber, wenn ihr whrend dem Gebethin und wieder zerstreut seid, jedoch ohne Beteiligung des Herzensund des Willens. Das sind eben die Fehler von denen, die im wirken-den Stand oder in der wirksamen Beschauung stehen, dass sieentweder durch Nachsinnen und berlegungen hinter sich schauen,oder sich bei etwas aufhalten, das geringer ist als Gott. Solche Seelensind innerlich gespalten. Auf der einen Seite sind sie geneigt, demAntrieb zu folgen und sich Gott zu bergeben, auf der andern Seitefrchten sie, sie mchten die Kontrolle ber sich verlieren und dergeschaffenen Sttzen verlustig gehen. So kommt es, dass sie sich baldbergeben, bald wieder zurckhalten; in der einen Sache berlassensie sich bis auf einen gewissen Punkt an Gott, in der andern aber nicht.Diese gegen sich selbst gerichtete Spaltung hlt die Seele das ganzeLeben hindurch in unaussprechlichen inneren Nten, ngsten undZerrttungen, welche allein durch den Ungehorsam gegen Gottentstehen. Denn auf der einen Seite zieht Gott und treibt die Seele an,sich in Ihn zu versenken und zu verlieren; auf der andern Seite hltsich die Seele zurck und erduldet lieber eine unertrgliche Qual voninnen, weil sie weder Gott noch sich selbst angehrt.

    Hier ist nicht der groe Haufe der Namenchristen gemeint, welchedem Geld, der Ehre, den Eitelkeiten und den sinnlichen Lsten dienenund unter die Gtzenanbeter gerechnet werden. Nein, es sind dieGlubigen gemeint, welche noch wankelmtig und unbestndig sind.Sie bringen ihr ganzes Leben mit Bauen und Niederreien zu. Wennsie jemanden finden, der sie anfhrt, so ergeben sie sich dem innerenGebet. Nachher aber, wenn man nicht mehr davon redet oder einigeSchwierigkeiten auftauchen, lassen sie das Gebet wieder fahren. Siehaben sich Gott fr eine kurze Zeit bergeben, haben Ihm auchVersprechungen gemacht. Nachher aber vergessen sie alles wieder.Nach und nach fallen solche Seelen in die Abgtterei zurck, in ihreEigenliebe und Ergtzungen, und das alles unter dem Vorwand derNotwendigkeit und mit Rcksicht auf ihre Gesundheit. EntschiedeneGlubige aber knnen eine solche niedertrchtige und oberflchlicheTeilung zwischen Gott und der Welt nicht leiden. Sie wollen sichlieber ganz verlieren, ganz verleugnen und in Gott versinken. Esmissfllt ihnen sehr, wenn man es halb mit Gott und halb mit der Welt

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    hlt. Sie knnen es nicht unterlassen, solche wankelmtige Seelendarauf aufmerksam zu machen, weil sie erkennen, dass man allerleiNten ausgesetzt ist, wenn man in seiner Eigenheit verharrt und sichGott nicht ganz bergibt. Doch werden solche Belehrungen meistensunwillig aufgenommen, weil diese Seelen in ihrer Eigenliebe wollen,dass man Mitleid mit ihren Nten hat. Ja sie wollen, dass man glaube,ihre Nte seien von Gott gewirkt. Deshalb haben sie eine Abneigunggegen die, welche sie auf ihre Fehler hinweisen.

    O gttlicher Jesu! Ich vereinige mich mit jenem Gebet Gottes, dasdu bei Nacht und in Einsamkeit auf dem Berge gebetet hast. Lasst unsmit Jesu Christo auf dem Berge beten, lasst uns beten, wie Er gebetethat. Lasst uns anschauen, lasst uns lieben, so werden wir das GebetGottes verrichten. Mach du, dass wir nie ein anderes Gebet tunmgen. O Gott, sende diesen inneren Geist auf die ganze Erde, sowird dieselbe von neuem geschaffen werden. Gib uns neue Herzen.Amen, o Jesu!


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